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III.

Fatthûme war eben dabei, zwei große rothbraune Krüge auszuwaschen, um sie nachher am Brunnen zu füllen. Obschon es noch früh am Morgen war, brannte die Sonne schon schwer, und es überlief sie immer wie ein glühender Strom, wenn sie sich bückte und mit feuchtem Sand den schlank gerundeten Henkel sauber rieb. Kein Windhauch griff in die Feigen- und Dattelbäume. Die Luft lag heiß und träge da und verhieß einen sengenden Wüstentag. Ab und zu ließ sie den Blick auf dem Eingang des Hauptzeltes ruhen, aus dem ihr Gatte, der Scheikh Hamed, heraustreten mußte, denn in ihrem Nachbarzelt hatte sie schon sein Kußkussuh fertig, das er jeden Morgen aß, und auch der tiefschwarze Kaffee dampfte schon auf glühenden Kohlen, damit der Scheikh nicht einen Augenblick zu warten brauchte.

Einmal, als sie vergebens gelauscht hatte, ob er schon wach sei, hatte sie die Krüge behutsam in den Sand gestellt und sich emporgerichtet mit hoch erhobenem Kopfe. Schlaff hingen die schmalen braunen Hände an dem grünen Untergewand herab, und in dem Blick, der weithin über die Zeltreihen und weithin über die Palmen- und Feigenbäume flog, lag eine sonderbare stille Gluth; die Lippen öffneten sich, als wollten sie zu einem Entfernten sprechen.

Da schlugen ein paar Hunde an.

Sie fuhr zusammen und bückte sich hastig, um von Neuem feuchten Sand in die Töpfe zu werfen.

Sie hörte Schritte eiligst über den Sand knirschen, aber mit gesenktem Blick arbeitete sie weiter, denn an dem festen Tritt erkannte sie einen Mann, und wie durfte sie, die echte Moslemfrau, einen fremden Mann anschauen? Nur wenige Schritte von ihr entfernt hielt der Fremde an. Sie hörte sein heftiges Athmen deutlich, und plötzlich vernahm sie die laute Frage:

»He, Scheikh Hamed! Seid Ihr schon auf?«

Sie erkannte jetzt die Stimme. Das war Hassan, der Sklave Ysseïds, mit dem ihre Gespielin Subida verehelicht war. Sie horchte gespannt hin, während ihre Finger mechanisch an den Wänden der Krüge auf und abglitten.

Wieder rief Hassan:

»Scheikh Hamed? Seid Ihr auf? – Kommt zu meinem Herrn Ysseïd. Sein Weib Subida ist todt!«

Mit einem leisen Schreckenslaut ließ Fatthûme den Krug fallen, den sie eben in der Hand gehalten, daß er hin- und herschaukelnd im Sande liegen blieb, und hockte mit abgewandtem Gesicht am Boden hin.

Scheikh Hamed erschien mit ruhigem Gesicht vor seinem Zelte. Er gähnte, während er fragte:

»Was, todt?«

»Allah behüte und bewahre Euch, Herr. Kommt nur hin. Ich weiß nicht, weshalb. Sidi Ysseïd erwartet Euch!«

Scheikh Hameds Blick traf jetzt das am Boden kauernde Weib. Er sah, wie sie zitterte, und verstand, warum. Die Todte war ja die langjährige Vertraute Fatthûmes gewesen! Da wurde seine Stimme ein wenig milder, und er bot ihr den Morgengruß.

»Allah segne diesen Tag für Dich! Fatthûme!«

»Ich danke Dir, Herr!« antwortete sie leise und erhob sich. »Willst Du nicht Kaffee trinken und Kußkussuh essen?«

»Nein, bei Ysseïd trinke ich ihn!«

Sie sah ihm nach, und in ihrer Brust schlug es so laut, als ob sie ahnte, warum ihre kleine, schmale Subida so plötzlich gestorben war. Hatte sie nicht noch gestern Nachmittag mit ihr gelacht und mit ihr Mandeln gegessen? Hatte sie nicht noch gestern Abend für sie einen geheimen Auftrag ausgeführt?«

Was war mit ihr?

Sie grübelte und grübelte. Erst gestern hatten sie einander gestanden, daß sie sich als junge Frauen so lieb hätten wie einst als Mädchen, da sie mit den andern zum Brunnen gingen, am Boden niederhockten und sich Liebesgeschichten erzählten. Und Beide waren zu dem Ergebniß gekommen, daß sie erst ein Jahr lang ihren Männern gehörten und in dieser Zeit fast ganz das Lachen verlernt hätten! Und die arme kleine Subida hatte still vor sich hingesehen und dann plötzlich gesagt: »Wie Gott will! Es geschieht ja Nichts ohne ihn!« Und dann hatte sie aufgelacht und ein Liedchen gesummt, das sie, Fatthûme, nur zu gut kannte. Ben Aïssa hatte es früher an manchem Abend in El Kantarah gesungen, früher, als er noch der Freund des Scheikhs war und noch in El Kantarah wohnte ...

Ihre Gedanken verirrten sich. Lässig lag die Hand in ihrem Schoß, und aus dem Gewirr der Empfindungen, die sie durchströmten, löste sich die eine stumme Frage: »Wird er heute da sein?«

Vergessen war die todte Subida, das ganze weite Dorf. Sie sah nur den Brunnen, in dessen Schatten Ben Aïssa kauerte und ihrer harrte.

Ein Zittern durchlief ihren Körper, und helle Schweißtropfen traten auf die Stirne. Da sah sie weit hinten den Scheikh zurückkehren, in eifrigem Gespräch mit Sidi Ali el Kebir. Sie fühlte den Drang, ihm entgegenzueilen und ihn zu fragen, ob es wahr sei, daß Subida todt und warum sie so plötzlich gestorben, aber ihre Glieder waren wie an den Boden geheftet, ihre Sinne so verstört, daß sie den Gruß, den ihr der greise Ali bot, nur mit scheuem Kopfnicken erwiderte und kaum hörbar Etwas murmelte.

Jetzt standen die beiden Männer dicht vor ihr, aber unterwürfig, wie sie es von Kindheit an gewöhnt war, hielt sie den Kopf gesenkt und wartete auf ein gnädiges Wort ihres Herrn.

»Ysseïd traf gut. Mitten in's Herz,« sagte der Scheikh mit tiefer Stimme. »Möge jeder Moslem seine Ehre so rächen, wie es Ysseïd that.«

»Allah allein ist der Herr; er macht, was er will!« hüstelte der Alte und trat mit dem Scheikh in das Hauptzelt, durch dessen offene Eingangsspalte das volle heiße Sonnenlicht strömte.

Wie erstarrt kauerte Fatthûme am Boden. Aus der beengten Brust stieß pfeifender Athem. Ysseïd hatte Subida getödtet!! Mitten in ihr Herz hatte er den Dolch gestoßen.

Und heute früh?

Warum heute früh?

Was hatte seine Wuth erregt? Was konnte die stille sanfte Subida verbrochen haben? Sie grübelte in Einem fort, aber ihr tiefes Weh überwand ihr klares Sinnen, und so jagten sich die Gedanken in ihrem verwirrten Kopf in irrer Hast, und sie saß da und stierte vor sich hin, indeß ihr große Thränen über die gebräunten Wangen rannen.

Die Sonne war höher und höher gestiegen, und auf dem hellen Sande lag schwere und träge Gluth. Ein leiser Wind hatte sich jetzt aufgemacht und trug von nahen Oliven- und Granatenbäumen leise Düfte herüber; wenn er über den Sand hinwegstrich, hob sich feiner Staub vom Boden auf, der die Lust noch trockener und heißer machte.

Die tiefe Stimme des Scheikhs weckte sie aus ihrem ruhelosen Brüten.

»Also, Ali, schreib das Protokoll!« klang es aus dem Zelte. »Ich war gerade dabei, aus dem Zelt zu gehen. Da höre ich draußen rufen! ›Scheikh Hamed! Seid Ihr auf? Kommt zu meinem Herrn Ysseïd. Sein Weib Subida ist todt!‹ Ich gehe hinaus. Draußen steht Hassan, Ysseïds Sklave. Ich gehe mit ihm zu Ysseïd. Ysseïd sitzt auf einer Strohmatte. Neben ihm liegt Subida todt. Ich sage: ›Allah segne Deinen Tag!‹ ›Dich behüte Muhamed!‹ sagt er. ›Hast Du Subida getödtet?‹ frage ich. ›Ja!‹ sagt Ysseïd, ›ich habe sie getödtet.‹ Da frage ich: ›Warum?‹ – Ysseïd sagt: Heute früh schlafe ich nur halb, und da seh ich, wie Subida leise aufsteht. Sie guckt mich lange an, und ich thue, als wenn ich schlafe. Ganz still geht sie aus dem Zelt, und ich schleiche hinterher. Weißt Du, Herr, wohin sie ging? Zum Kuât (Kuppler) Killo, den kein Schakal anbellt und kein Hund ansieht. Killo wartet schon vor seinem Zelt, und Subida spricht zu ihm und streichelt seinen Bart. Ich stehe hinter einer Dattel und sehe Alles. Endlich nickt der Kuât – dieses Hundeblut! – ›Ja‹, und sie lacht und geht hastig und leis zurück. Ich gehe auch zurück. Und wie sie in's Zelt tritt, ganz behutsam und langsam und sich bückt, da sieht sie Niemanden. Sie schreit auf, ich packe sie am Hals und ziehe sie ganz zu mir herein. Und wie sie am Boden liegt, setze ich ihr den Dolch an den Hals und sage: ›Subida, was machst Du beim Kuât? Mit wem hältst Du's?‹ Sie röchelt und spricht kein Wort. ›Sag's oder ich schneid' Dir den Hals durch!‹ schrei' ich und faß' den Dolch fester. Sie beißt die Lippen zusammen und zischt: ›Nein!‹ Da schnitt ich ihr den Hals durch, und den großen Dolch stieß ich ihr mitten in die Brust! ... Das, Scheikh, hab' ich gethan!‹ Darauf hab' ich, der Scheikh Hamed, gesagt: – Hast Du Alles geschrieben, Ali? Gut! Weiter – Da habe ich, der Scheikh Hamed, gesagt: ›Du hast Recht gethan, Ysseïd, Allah wird Dich segnen. Du bist ein Mann, und Deine Ehre ist rein wie frische Stutenmilch. Wer ein treuloses Weib hat, der tödte es! ... Darauf ...«

Er hielt plötzlich inne, denn vor dem Zelt hörte er ein Krachen, und dann fiel ein Körper schwer zur Erde. Er ging hinaus, indeß Ali el Kebir langsam die krausen arabischen Buchstaben seines Protokolls weiter malte. Vor dem Zelte lag zwischen zerbrochenen Krügen Fatthûme lang ausgestreckt, das Gesicht grau und blutleer. Aus dem Nachbarzelt stürzte Aïscha mit einem Sklaven hervor, und noch ehe der Scheikh zu der Entscheidung kam, ob er sie liegen lassen oder aufheben sollte, trugen Aïscha und ein paar hinzugeeilte Frauen die Ohnmächtige in ihr Zelt. Als sich die Wand hinter ihnen geschlossen und nur noch das Gemurmel einiger alter Weiber hörbar wurde, die mit in das Zelt gegangen waren, kehrte er nachdenklich zu Ali zurück.

»Wo habe ich aufgehört?« fragte er und ging, den Oberkörper hin- und herwiegend, auf und ab.

»Wer ein treuloses Weib hat, der tödte es!« hüstelte die heisere Stimme des Graubarts.

Die Palmenzweige, welche die Zelte überdachten, bogen sich im Winde, und die schlanken Blätter raschelten wie unter dem Griff einer festen Hand. Durch die Eingangsöffnung wehte die schwüle Sommerluft herein und lagerte sich drückend um seine Wangen.

»Wer ein treuloses Weib hat, der tödte es!« murmelte er wie mechanisch nach ... Ihm wollte das Bild, das er eben gesehen, gar nicht aus dem Sinn. Gewiß hatte sie gehört, was er gesprochen, vielleicht gar gehorcht, wie es dies erbärmliche Geschlecht der Weiber so gern that! Aber ein Jahr lang hatte sie schon mit ihm zusammen gelebt, und nie hatte sie sein Argwohn beim Horchen ertappt! Warum jetzt? Gewiß, sie wollte nur wissen, warum ihre Subida, diese Tochter einer Hündin, dieses ›Hundeblut‹, erdolcht worden war! Aber konnte sie das nicht ahnen? Legte ein getreuer Muselmann – Allah segne seine Tage und vernichte alle Christen und Judenhunde! – doch nur Hand an sein Weib, wenn sie treulos war und zu einem andern Manne die Augen aufschlug! Warum hatte sie also gehorcht? Warum fiel sie zu Boden?

»Nun, Scheikh,« wiederholte Ali und lachte, denn er wollte einen Witz machen, »Allah sagt zwar: ›Am Ende der Geduld liegt das Himmelreich‹, da aber Dein Protokoll kein Himmelreich ist, möchte ich nicht, daß Du es erst am Ende meiner Geduld zu Ende bringst.«

Er lächelte still vor sich hin, obschon sein prüfendes Auge bemerkte, daß seine witzige Bemerkung nicht die Spur eines Lächelns auf dem tiefbraunen Gesicht des Scheikhs hervorgerufen hatte. Und so wiederholte er, lauter, als es seine Art war, indem er den Kopf vorstreckte, die Worte: »Wer ein treuloses Weib hat, der tödte es!«

Wie vom Blitz getroffen, stand der Scheikh da. Ein Verdacht stieg in ihm empor, der ihm den Athem nahm, und seine Hand griff nach dem Dolch, der im Gürtel steckte. Aber als er den Blick des Alten verwundert auf sich ruhen fühlte, besann er sich und zwang sein Herz zur Ruhe. Wie weibisch, sich Hinreißen zu lassen! Er athmete tief aus, als ginge mit seinem Athemzug auch sein niederdrückender Gedanke fort.

»Ysseïds Dolch muß heiß bleiben. Es ist noch nicht zu Ende. Noch lebt der Versucher Subidas,« fuhr er mit harter Stimme fort.

»Weiß er, wer es ist?« entgegnete achselzuckend der Alte, »Subida hat Nichts verrathen. Sonderbar!« Und er wunderte sich im Stillen maßlos, daß ein Weib einmal still geschwiegen hatte.

»Hat er den Kuât schon gefragt?«

»Nein!«

»Er muß ihn nennen, der Hund, der Bastard. He, Achmed,« rief er mit mächtiger Stimme und wartete ein paar Augenblicke, bis die unterwürfige Gestalt des Schwarzen vor dem Zelt erschien, »lauf zu Killo, dem Kuât. Der Hund soll sofort herkommen, sonst reiße ich ihm die Leber aus dem Leib und werfe sie den Schakalen zum Fraße hin.«

In Eilsprüngen lief der Neger über den Sand. Stillschweigend hatte Sidi Ali el Kebir zugehört. Ihn ging es eigentlich wenig an. Ihm fiel eine mystische Ansicht ein, die der berühmte Zamachscharî über die Dschin (Geister) ausgesprochen hatte. Und sein grüblerischer Sinn versenkte sich in die Geheimnisse des Urgrunds der Existenz der bösen Geister und ihrer endlichen Besiegung durch Muhamed, den heiligen, den seligen. Während er still nachdachte, ob das Princip des Bösen vor oder gleichzeitig nach dem Princip des Guten zur Welt gekommen war, überhörte er ganz, wie der Scheikh, der neben ihm regungslos stand, einmal wie geistesabwesend hervorzischte: »Wer ein treuloses Weib hat, der tödte es!«

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