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Viertes Kapitel.

Am folgenden Morgen besuchte der Domherr den Arzt ganz früh, und eröffnete ihm, daß er sich verheirathen werde, da er auf Erlassung der Cölibatspflicht Seitens der Staatsbehörde sicher rechnen könne. Der Arzt bezeigte sich darüber nicht im mindesten erstaunt, sondern fragte ihn trocken: Wen? Worauf der Domherr versetzte: er wisse es noch nicht, da es ihm aber an Bekanntschaft unter den Damen des Landes nicht mangle, so werde er leicht eine angemeßne Partie ermitteln, zu welchem Ende er gegenwärtig aufbrechen wolle.

Dieser Plan ist ein unglückseliger zu nennen, sagte der Arzt. In Ihren Jahren haben sich Gewohnheiten und Verwöhnungen so festgesetzt, daß ein zweites, freies und selbstständiges Wesen nicht mehr in diesen Bann sich finden kann, und die Sache nothwendig mit Scheidung oder vollendeter Herrschaft des Pantoffels schließen muß. Er erzählte ihm aus dem Stegreife einige Geschichten von verspäteten Heirathen, die wirklich ein betrübtes Ende genommen hatten, so daß der Andre ganz nachdenklich wurde, und mit trauriger Miene sagte: Aber heirathen will ich und muß ich, denn, was Ihr gestern Abend zuletzt sagtet, Doctor, das hat 215 Grund, und es ist mir über Nacht schon die Bestätigung geworden. Ich konnte nicht schlafen, versenkte mich in Eure Unsterblichkeitstheorie, und auf einmal, nicht träumend, sondern wie gesagt, hellwachend im Bezirke jener Gedanken und Gefühle, die Ihr in mir aufgeregt hattet, empfand ich etwas, was mir die unumstößlichste Wahrheit Eurer Behauptungen erwies. Plötzlich war ich nämlich nicht mehr ich selbst, der Domherr aus dem Neunzehnten Jahrhundert, sondern mein Urgroßvater, der General in venetianischen Diensten. Ich hielt um die Hand meiner Urgroßmutter an, ich drückte mich in dem damals üblichen Kauderwälsch von Deutsch und Französisch aus, und, Ihr mögt mir's glauben oder nicht, ich habe den rothen Plüsch mit silbernen Litzen, den er zu tragen pflegte, deutlich auf meinem Leibe gefühlt.

Lieber, sagte der Arzt mit ungläubigem Gesichte, transcendentale Dinge so ins Einzelne verfolgen, führt nur zu Phantastereien.

Ich weiß wohl, daß Ihr gleich wieder skeptisch werdet, wenn Ihr etwas behauptet habt, versetzte der Domherr. Aber ich lasse mich dadurch nicht irre führen. Den Verjüngungstrank, von dem Ihr neulich spracht, und den Ihr jetzt abläugnet, muß ich auch noch von Euch herausholen. Kurz, seht mich an: Bin ich mein Urgroßvater oder bin ich es nicht?

Domherr, sagte der Arzt, welcher sich während dieses Gesprächs vor seinem Gaste unbefangen ankleidete, Ihr seid ein großer Narr.

Ihr könnt mich gar nicht beleidigen! rief der Domherr. Heimführen wollt Ihr mich, wie man den Bauer nach Hause schickt, aber es wird Euch nicht gelingen. So gewiß ich in mir die Thatsache erlebt habe, daß der Urgroßvater in mir wirklich fortbesteht, so gewiß werde ich in einem Sohne fortdauern, den ich daher fest entschlossen bin, zu erzeugen. Was soll nun dieses Abschweifen, dieses Ironisiren? Gestern waren wir ja ganz einverstanden; geht doch ehrlich mit mir um.

Kann man sich denn auf Sie verlassen? erwiederte der Arzt, indem er begann, sich zu rasiren. Muß man nicht immer besorgen, daß Sie umschlagen, sobald man glaubt, Sie bei einem Punkte fest zu haben. Seit mehreren Tagen trage ich mich mit einer Idee, Ihre Unsterblichkeit festzustellen, doch, was hilft das? Sie werden nach Ihrem Kopfe heirathen, höchst unglücklich, vielleicht ein Hahnrei werden, und ohne Ihren Zweck zu erreichen, früh ins Grab sinken.

Der Domherr drang hierauf angelegentlichst in den Arzt, ihm seine 216 Idee zu eröffnen. Dieser ließ sich lange bitten, endlich sagte er ihm, daß Heirathen ältlicher Männer nur dann zum Heile führen könnten, wenn der Gatte die Gattin sich erzöge. Er könne ihm ein schönes durch allerhand Unglück hülflos gewordenes Kind aus guter Familie zuweisen, welches gewiß das Erziehungswerk verlohnen, und mit der Zeit die allein für ihn passende Frau abgeben werde.

Als der Domherr nun heftig verlangte, mit diesem Kinde bekannt gemacht zu werden, verwies ihn der Arzt zur Geduld und sagte, er müsse zuerst sich überzeugen, daß er die arme Verlaßne ihm auch sicher anvertrauen könne. Durch seine Reden schimmerte so etwas von fürstlicher Abkunft, wodurch die Einbildungskraft des Domherrn in Feuer und Flammen gesetzt wurde.

Ihr Gespräch wurde durch einen Bedienten unterbrochen, welcher die Meldung machte, daß Waffenschmiede und andere Handwerker angekommen seien, die nöthigen Zurüstungen zum Turnier ins Werk zu richten. Der Arzt erklärte nun dem Domherrn rund heraus, daß er zuerst das Kampfspiel in Gang bringen helfen müsse, ehe an weitere Unterhandlung über den bewußten Gegenstand zu denken sei. Dieser fügte sich in die Bedingung und ging mit erneuter Thätigkeit an die halbvergeßnen Arbeiten. Nun wurden im Ahnensaale rüstige Schmiede und gewandte Polirer beschäftigt, die Rüstungen zu ordnen, auszubessern und zu putzen, so daß in Kurzem Alles ein blankes Ansehen gewann. Wo etwas fehlte, wo einem Schwerte, einem Schilde durch leichte Vergoldung nachzuhelfen war, ließ der geschäftige Mann gleich das Nöthige besorgen, und da er viel Geschmack besaß, die Kosten nicht schonte, und geschickte Werkmeister unter sich hatte, so konnte er der Herzogin bald eine Sammlung der spiegelhellsten Schutz- und Trutzwaffen vorweisen.

Auf einem grünen Platze hinter dem Park, von dem ein gewundner Weg zu der Anhöhe führte, auf welcher der Geistliche Hermann versucht hatte, sollte das Turnier gehalten werden. Der Domherr ließ den Rasen abstechen, Sand anfahren, Schranken und Tribünen aufrichten. Mit Hülfe reichlicher Trinkgelder erhoben sich, zum Erstaunen schnell, zierliche gothische Gerüste, die auf leichten Pfeilern um den reinlichen Plan liefen. Im Innern des Schlosses beschäftigte er fünf fleißige Tapeziere, welche die Fahnen, Behänge, Festons und Pavillione so rasch lieferten, daß man 217 berechnen konnte, mit allen Vorbereitungen wenigstens acht Tage vor dem Geburtsfeste des Herzogs, welches in die Mitte des Junius fiel, fertig zu werden.

Unter dem Hammern, Klopfen und Nieten, wovon das Geräusch durch das ganze Schloß schallte, drangen eine Menge Hausirer und Juden ein, welche immer, wie durch Instinkt geleitet, merken, wo es etwas zu handeln geben möchte, Seiltänzer und Taschenspieler meldeten sich, um bei dem ritterlichen Spiele ihre Künste zu zeigen, ein zudringlicher Mensch, der eine kleine Menagerie umherführte, hatte nur mit Mühe abgewiesen werden können. Der Zulauf so vieler fremder Gesichter verursachte einige Hausdiebstähle, welche, obgleich sie unbedeutend waren, der Herzogin die trübsten Stunden machten.

Indessen wußte sie sich gegen den weiblichen Besuch, der ihr jetzt fast täglich aus der Nachbarschaft zu Theil ward, auf das beste zusammenzunehmen. Diese Damen, welche entweder ihre eigne Sache, oder die ihrer Töchter führten, hätten gern erfahren, wer zur Königin der Minne und Schönheit bestimmt worden sei? und Jede schöpfte aus den freundlichen Mienen und gefälligen Worten der liebenswürdigen Festgeberin beim Abschiede die schönsten Hoffnungen.

Während nun der Domherr mit Freigebigkeit jedes Hinderniß bezwang, die theuersten Rechnungen genehmigte und doppelten Tagelohn anwies, warf die Herzogin immer ängstlichere Blicke auf ihre Nadelgelder, mit welchen sie sehr haushälterisch umzugehen gewohnt war, und die unmöglich für diesen Aufwand zureichen konnten. Kaum bemerkte der Herzog, welcher sonst für Alles jetzt taub und blind zu sein schien, an seiner Gemahlin eine Verlegenheit, als er, die Ursache ahnend, dem Arzte eine bedeutende Summe einhändigen ließ, mit der Weisung, dafür Sorge zu tragen, daß sämmtliche Rechnungen bis zur Hälfte gekürzt, seiner Gemahlin vorgelegt würden.

Der Domherr las in den Abendstunden, wann seine Geschäfte zu Ende waren, viel in Memoiren einer gewissen Gattung, von denen der Vater des Herzogs eine starke Sammlung in der Bibliothek hatte aufstellen lassen. Seine Vermuthungen, welcher erlauchten Familie Sprößling ihm anvertraut werden solle, schweiften wild umher. Er suchte bei den Orleans, bei italienischen und russischen Geschlechtern. Endlich fand er es so reizend, ein Kind aus dem bekanntlich nie ganz erloschenen 218 Stamme der Comnenen zu seiner Gattin zu erziehen, daß der Gedanke sich in ihm festsetzte, Flämmchen müsse daher rühren. Denn den Namen hatte ihm der Arzt vertraut, der sonst unerbittlich blieb, und erst nach dem Turnier ihn zu dem Mädchen führen wollte.

Dieser schrieb indessen in seinem Denkbuche allerhand Bemerkungen nieder, von denen wir einige hier mittheilen.


»Was ist ein Menschenleben? Ein Nichts. Jedes Ereigniß, welches in der Geschichte Front macht, fährt gleichgültig über deren tausend hin, die alle in unsern Augen eben so kostbar und wichtig erscheinen müssen, als das Einzelne, womit wir uns im Zustande des sogenannten Friedens ängstlich zu schaffen machen. Unter allen Wahrheiten ist die wahrste, daß kein Mensch unentbehrlich ist. Der Arzt stellte sich an, als sei er vom Gegentheil überzeugt.«


»Man wird es müde, Blut und Fleisch, Nerven und Eingeweide zu untersuchen. Was wir von diesen Dingen wissen können, wissen wir so ziemlich, und ich für meine Person theile wenigstens den Eifer meiner Collegen nicht, zu dem aufgeschichteten Haufen der Thatsächelchen noch das und jenes Sandkörnchen zu fügen. Die einzige interessante Substanz bleibt für mich noch die menschliche Seele.«


»Da gälte es nun, Experimente anzustellen, zu analisiren, zu verbinden. Wie man Blut und andere Flüssigkeiten des Körpers auf den geeigneten Mitteln prüft, so müßte man ein gleiches Verfahren mit den Geistern anstellen, um zu sehen, in welche Bestandtheile sie sich zersetzen lassen, was an ihnen wandelbar und was dagegen unbezwinglich erscheint. Freilich verbietet die Moral den Gebrauch der Agentien und Reagentien, welche in dieser Sphäre allein wirksam sein möchten. Allein wie uns Niemand darüber Vorwürfe macht, wenn wir, um zu einem wichtigen wissenschaftlichen Aufschlusse zu gelangen, den Schmerz der Thiere nicht achten, so giebt es ja auch wohl unter den Menschen Exemplare, mit denen man allenfalls sich erlauben dürfte, Versuche zu machen.«


219 »Und dann habe ich bei den Dingen, die mir jetzt durch den Kopf gehen, doch immer eine gute Absicht: Abweichungen im Psychischen wieder auf die Linie der Natur zurückzuführen. Wer kann mich also tadeln?«


»Was ich von dem Mädchen höre, lege ich mir als Arzt leicht aus. Dennoch bleibt darin etwas Mystisches. Tanz? Wer hat seine Bedeutung schon ergründet? Religiöse Tänze. Tanz der Schamanen.«


»Wenn ich den alten Wilhelmi um eine Lappalie verbannt und trauernd sehe, wenn ich den Lärmen um Nichts hier im Schlosse höre, wenn ich daran denke, wie der Herzog, ohne Kinder, spart, um nur das Fideicommiß zu vergrößern, welches einmal Gott weiß wem? zu Statten kommt, wenn ich den Krämer von der einen und den Pfaffen von der andern Seite lauern sehe, so ist es mir, als müsse über Kurz oder Lang etwas Fremdes, Unerwartetes hereinbrechen, wovon jetzt Keiner einen Begriff hat.«


»Was hat uns denn nur zusammengeblasen und was hält uns noch bei einander?«


»Es ist mit den Häusern, den Familien, den Freundschaften zu Ende, man sieht es klar.«


»Wenn ich nur der verruchten Liebe quitt werden könnte! Daß eine weiße Haut, eine kleine Hand, eine Iris von der und der Farbe, ein seidenes Kleid und ein gesticktes Taschentuch einen vernünftigen Menschen aus der Fassung bringen! Und es ist keine Sinnlichkeit dabei; das ist das Schlimmste.«



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