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Zweites Buch.

Das Schloß des Standesherrn.

Wo keine Götter sind, walten Gespenster.        

Erstes Kapitel.

Im Park, dem Schlosse gegenüber, saß die Gesellschaft, und erfreute sich des klaren Herbstabends. Wie geht es unsrem Kranken? fragte der Herzog einen Mann von zuversichtlichem Aeußern.

Nach Wunsch, erwiederte der Arzt. Das Fieber ist zwar noch vorhanden, doch schon im Abnehmen. Die Crisis ist überstanden. Wenn ich bedenke, daß zu den Folgen der schweren Verwundung sich noch die starke nervöse Affection gesellt hatte, so muß ich über die Kraft dieser Natur erstaunen, welche so vereinigten Angriffen zu widerstehen im Stande war.

Hat man den Thäter noch immer nicht entdeckt? fragte die Herzogin.

Der Verwundete konnte bis jetzt keine Auskunft geben. Jener Mann, der ihn gefunden und die Nachricht in das Städtchen gebracht hat, wußte auch nichts Näheres zu sagen.

Und der Knabe, sein kleiner Diener?

Der Arzt sah mit einem eignen Blicke vor sich nieder. Er erzählt Sachen, gnädigste Herzogin, die zu abenteuerlich sind, als daß ich sie hier wiederholen möchte. Ich fürchte, dieser Knabe ist auf eine gräuliche Art verwahrloset oder verbildet.

Das Gespräch wandte sich auf die sonderbare Fügung der Umstände, welche unsrem Freunde die Hülfe gebracht hatte. Der Weg, welchen die Herrschaften bei der Rückkehr von dem alten Schlosse Falkenstein einschlugen, führte in geringer Entfernung an dem Tannengehölze durch, in dem Hermann seine Wunde erhielt. Er mochte eine Stunde in seinem Blute gelegen haben, ohne daß ein Chirurgus sich blicken ließ. Flämmchen saß ausgeweint, still, verzweifelt bei dem Ohnmächtigen. Da hörte sie von fern den dumpfen Ton der über Kies und Grand fortarbeitenden Kutsche. Sie stürzte durch die Tannen, fiel am Wagenschlage auf die Kniee 66 und flehte um Erbarmen für den Halbtodten. Welcher Schreck für die Herrschaften, als sie den jungen Mann, der ihnen in mancher Beziehung interessant geworden war, in solchem Zustande wiedersahen! Man half sich mit ihm, wie man konnte, und brachte ihn, nothdürftig verbunden, langsamen Fahrens nach dem Schlosse.

Aber welches Unglück, wenn sie später gekommen wären! Wenn die Abendkälte, der Thau den Verwundeten auf dem kühlen Boden getroffen hätten! Wenn der andre Weg, wie der Kutscher anfangs gewollt, eingeschlagen worden wäre! Alle diese Fälle wurden besprochen, in deren Aufzählung besonders die Herzogin die größte Lebhaftigkeit zeigte.

Ein junger blasser Mann, den Tonsur und schwarze Kleidung als den Hausgeistlichen bezeichneten, hatte sich bisher wenig geäußert. Nun aber, als das Reich der Möglichkeiten solchergestalt durchgemustert wurde, nahm er das Wort, und erklärte mit schwärmerischem Feuer, daß es für den Gläubigen kein Ungefähr gebe, daß Gottes Finger in Allem sichtbar sei, und daß auch der Fremde nicht ohne den Rathschluß des Himmels sich in diesem Schlosse befinde.

Der Arzt warf hierauf schalkhaft die Frage hin, welcher Religion der Fremde wohl sein möge?

Er ist aus einer protestantischen Familie, versetzte Wilhelmi sarcastisch. Indessen wer kennt den Rathschluß des Himmels mit ihm?

Der Geistliche war still geworden. Der Herzog erklärte, der Rathschluß des Himmels werde wenigstens auf keinen Fall sein, den jungen Mann innerhalb des Burgfriedens zu einem andern Glauben zu bringen. Er halte als Grundherr auf seinem Gebiete an den Bestimmungen des Westphälischen Friedens fest, und keine Confession solle da, wo er etwas zu sagen habe, sich gegen eine andre Zudringlichkeiten erlauben.

Der Geistliche stand auf, und beurlaubte sich, weil die Stunde seiner Uebungen gekommen sei. Nach seiner Entfernung entstand die Stille, durch welche ein gebildeter Kreis die Medisance schlechter Gesellschaften bei sich ersetzt, wenn Jemand weggegangen ist, dessen Sinn nicht ganz zu den Uebrigen paßt. Endlich sagte die Herzogin: Sich gegen die Ereignisse ungebärdig stemmen, ist meistens so unnütz. Können wir dem armen, in der Dunkelheit forttappenden Menschen einen andern Rath geben, als: gewöhne Dich, in jedem Vorfallen das Walten der himmlischen Mächte voll Ergebung aufzusuchen?

67 Aufzusuchen! Sehr schön! versetzte Wilhelmi. Aber um alles in der Welt nur nicht zu früh, zu gedankenlos es zu finden. Jedwedes, auch das Herrlichste, kann zur Spielerei, zur Redensart werden. Wer wollte gegen das Schönste, gegen einen wahrhaft gottergebnen Sinn polemisiren? Aber zu rasch bei einem Unglücke mit der Unterwerfung unter die allmächtige Hand Gottes fertig zu sein, beweiset mir nur, daß das Unglück dem Betroffnen ein so gar großes nicht war. Nur mit abgefallnen Wangen, erloschnen Augen, und kummerbleichen Lippen spricht der Mensch jenes Wort würdig aus. Auch die Heiligen haben ihr Haar zerrauft, und in der Asche getrauert! Es ist unsittlich und unfromm, immer sittlich und fromm sein zu wollen. Wenn Sie, meine Fürstin, mir nach einem schweren Leid, wovor Sie Gott bewahren möge, sagen: der Herr ist über mir! dann weine ich mit Ihnen, wenn ich Ihnen nicht helfen kann. Wenn aber die Mutter, der das Kind starb, spricht: Wie sollte ich klagen, da es bei Gott ist? und acht Tage darauf in ihre gewöhnlichen Gesellschaften geht; wenn der sogenannte Freund dem in weite Ferne, vielleicht für immer, scheidenden Freunde nichts weiter nachzurufen weiß, als: Man soll sein Herz an nichts Irdisches hängen! dann wende ich meine Schritte, und überlasse die gemüthlichen Schwätzer ihrer öden Selbstzufriedenheit. Aus dunkler Tiefe, aus tausend Quellen springt das Leben; man soll ja nicht glauben, die unendliche Fluth in einem Fingerhute auffangen zu können!

Er war sehr bewegt. Unter einer kalten, ja abstoßenden Außenseite verbarg sich bei ihm die höchste Zartheit, und eine bis zum Leidenschaftlichen gehende Wahrheit der Empfindung. Vielleicht bedurfte er jener Kräfte, um nicht zwischen den Rädern des Alltags zerrieben zu werden.

Der Herzog flüsterte dem Arzte zu: Bringen Sie etwas auf, was uns vor der Fortsetzung dieser Predigt schützt. Worauf jener laut anhob: Mein Metier verschafft mir nicht so tiefe Seelenanschauungen, wie unser Freund sie uns vorgetragen hat. Indessen sehe ich am Krankenbette doch auch manches Menschliche. Nur, daß ich nicht darüber weine, sondern lache. Ich habe in meinem Gedenkbuche eine Anecdote aufgezeichnet, an welche ich durch diese Gespräche erinnert wurde. Wenn für die Theestunde keine bessere Unterhaltung bereit ist, so will ich meine Geschichte von den Fügungen des Himmels hiemit dazu anbieten.

Man verlangte sie zu hören. Die Herzogin erhob sich. Ein alter 68 Bedienter kam, und sagte Wilhelmi etwas ins Ohr, seinen Zorn, wie es schien, schwer verbergend. Wilhelmi sah bestürzt auf den Herzog und entfernte sich. Der Arzt ging, um noch einige Krankenbesuche zu machen.

Die Herrschaften wollten durch den Laubgang nach dem Schlosse zurückkehren. Ein kleiner Junge trat aus dem Gebüsch, schlug Rad, stellte sich auf den Kopf, und machte noch mehrere dergleichen Kunststücke, um sein Almosen zu verdienen. Die Herzogin verbot ihm die halsbrechenden Possen, reichte ihm Geld, und fragte: Wie heißt Dein Vater? Als der Junge den Namen eines Bettlers genannt hatte, sah die Herzogin ihn scharf an, und sagte: Ich möchte für diese Unwahrheit Dir das Geld wieder abnehmen. Du bist ein Kind des Waldmeiers, und hast nur aus Uebermuth gebettelt. Der Junge wurde roth und schlich davon, er gehörte wirklich jenem Manne, der für sich und die Seinigen genug zu leben hatte.

Wie war Dir möglich, die Abkunft des Knaben so bestimmt auszusprechen? fragte ihr Gemahl.

Du kennst meine unglückliche Gabe, Familienzüge zu erkennen, versetzte sie. Ich habe früher geglaubt, es sei Täuschung, aber unzählige Erfahrungen haben mich endlich überzeugt, daß mir die Genealogie auch da erscheint, wo sie andren Menschen nicht sichtbar wird. Es ist kein gutes Geschenk der Natur. Leider, fuhr sie schamhaft fort, sehe ich so manchen geheimen Fehler, wo die Welt nur Pflicht und Tugend erblickt. Ach, es ist nicht Alles eines Bluts, was einen Namen trägt. Laß mich Dir nun auch ein Geständniß thun. Als ich unsrem Kranken zum erstenmal ins Gesicht sah, erschreckte mich die größte Aehnlichkeit mit Johannen. Ich war bestürzt! Ich möchte so gern mit Dir nun ein ruhiges, geordnetes Leben führen: wir haben schon so viel Verdruß von Jener, ich ahnete neue Störungen, die nie ausbleiben, wenn man sich mit Menschen verworrnen Schicksals einläßt, deßhalb bat ich Dich, uns den Jüngling fern zu halten.

Ihr Gemahl stand einige Minuten nachdenklich. Du irrtest Dich gewiß. Mein Vater war ja leider so offen gegen mich über seine Fehltritte. Er hätte mir diesen auch gestanden. Und überdieß . . . es ist nicht möglich!

Nein, sagte sie, und wir wollen nicht mehr daran denken. Ein unerwartetes Ereigniß hat ihn uns, wenn nicht wider, doch ohne unsern Willen gebracht. Ob darin etwas Besondres zu finden ist, weiß ich nicht, aber ich 69 fühle, daß wir ihn pflegen, und für ihn sorgen müssen, wenn er es verdient. Das Loos eines Menschen gilt mehr als Ahnungen und Träume.

Sie sprach das einfach, sanft, wie sie pflegte. Ihr Gemahl sah umher; es war Niemand in der Nähe. Er umfaßte sie, und schloß sie mit der zärtlichsten Liebe in seine Arme. Bleibe die Genossin meiner Entwürfe, die Freundin meiner innersten Gedanken! sagte er gerührt. Sie ruhte beglückt am Herzen des Mannes, der ihres Lebens Stolz und Freude war.

Sie standen unter der Gruppe des Amor und der Psyche, und die reinen Sterne sahen auf diese Umarmung nieder.



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