Karl Immermann
Düsseldorfer Anfänge
Karl Immermann

 << zurück 

Anzeige. Gutenberg Edition 16. Alle Werke aus dem Projekt Gutenberg-DE. Mit zusätzlichen E-Books. Eine einmalige Bibliothek. +++ Information und Bestellung in unserem Shop +++

6.

»Ich widmete damals, vor sechs Jahren, diesem großen Gedichte die Sorgfalt, welche es unerläßlich fordert,« sagte der schwarze Domino. »In meiner Bearbeitung hatte ich den Spaßmacher gestrichen, den Luxus in den Scenen des mohrischen Personenkreises 98 beschränkt, die wunderliche Audienz von Alfonso und Tarudante durch einfache Botenmeldungen zu ersetzen versucht. Denn auch in diesem hohen Werke hat Calderon nicht von seinen uns ungenießbaren Seltsamkeiten ablassen mögen, und sie stören darin doppelt. Ehe ich den Schauspielern das Stück vorlas, las ich ihnen ein Kollegium über den Angriff eines solchen Werkes und über die Rezitation des Verses, damit der Trochäus und die Strophe klinge und nicht so theaterüblich herabgeleiert werde. Sie kamen auch wirklich in eine gesammelte Stimmung für die Aufgabe. Die Vorbereitungen selbst wurden durch einen Wetteifer freundschaftlichen Mitwirkens verschönt. Schadow gab mir eine kleine, klösterlich abgelegene Zelle auf der Akademie zu den Leseproben her. Man mußte an allerhand Polterkram vorbei durch die unbesuchtesten Gänge wandern, und war in dem engen Gemache wie von aller Welt abgeschieden. Unter den Fenstern rauschte der Rhein, die weißen Wände rötete die Frühlingssonne. Bei dem Klange der Wellen, in dem rosigen Schein wurden da Silben gemessen, Accente festgestellt, die Schattierungen der Rede ausgearbeitet. Schirmer entwarf mir den Prospekt von Fez, Hildebrandt stellte die Ausschiffungs- und Kriegsgruppen, Felix Mendelssohn schrieb die Musik zum Werke; zwei herrliche Sklavenchöre nämlich, und einen ganz originellen, wie aufgelöste katholische Kirchenhymnen klingenden Marsch, zur Erscheinung des Geistes. Es waren gute Tage! – Mich freut es, daß ich mit der Exposition deinen Sinn getroffen habe. Ich wirkte nämlich dahin, daß Grua, der den Prinzen spielte, in den ersten Scenen die Rolle ohne die herkömmlichen Bezeichnungen der Devotion, leicht, ritterlich-froh und wagemutig nahm.«

»Wie wurden Sie aber überhaupt mit der Truppe, deren Vorgesetzter Sie doch nicht waren, fertig?« fragten mehrere junge Leute.

»Gut, übel, friedlich, kriegerisch, heute so, morgen so,« versetzte der schwarze Domino. »Das Schauspielervölkchen hat noch niemand erschöpfend beschrieben, man muß mit ihm zu thun bekommen, um es kennen zu lernen. Das sonderbarste ist, daß seine Launen wirklich nach notwendigen Naturgesetzen zu entstehen scheinen. Denn auch bei Dilettanten, wenn sie Komödie spielen, zeigen sich unverzüglich alle Nücken und Tücken ihrer Kollegen vom Fach. Meine Akten aus jener Zeit sind lustig zu lesen, jeden Tag bekam ich wenigstens drei Billets, denn die Schauspieler geben 99 alles schriftlich von sich. Da widmet mir einer brieflich seine ›ungeheuchelte Verehrung‹, der wenige Blätter später mir rund heraus erklärt, seine Nerven litten von meiner Behandlung! Die Liebhaberin schmollt und wird wieder gut, der Held poltert, streckt sich aber doch nach der Decke; der Intrigant und Bösewicht war im ganzen der Vernünftigste und meine beste Stütze. Alle schrieen über Ungerechtigkeit und Tyrannei, und zuletzt that jeder seine Schuldigkeit. Die gelungene Emilia Galotti hatte die Tradition erzeugt, daß der Sieg unter diesen Fahnen blühe und die Schauspieler sind Sklaven der Tradition, welche das einzig Feste in dieser Kunst des Augenblicks ist. Die Sache marschierte, was kümmerte mich das Hallo unterweges?

Eine jener sogenannten Mustervorstellungen, Nathan, war besonders merkwürdig durch Seydelmann, der den Nathan gab. Fein und klug, wie er ist, und das Terrain, auf das er denn doch nun einmal getreten war, mit richtigem Blicke würdigend, gab er meiner Bitte, um der anderen willen die Mühe der Vorbereitungen nicht zu scheuen, das willfährigste Gehör, und machte die ihm gewiß sehr langweiligen Proben alle mit durch, selbst einige Zimmerproben.«

»Über ihn erhob sich auch hier der Streit, ob er ein Genie sei oder nur ein berechnender Verstandesmensch,« sagte der rote Domino. »Für mich ein höchst ungereimter Dispüt. Ich denke, wenn ein Mann mit einer schweren Zunge, einem von Natur stumpfen Organ und einer eben nicht sonderlichen Figur so erstaunenswürdige Dinge zustande bringt, wie Seydelmann, so kann man schon zufrieden sein und Gott danken, der so viel Scharfsinn, Beobachtung und Verstand in einem Individuum versammelte.«

»Seine Masken und die Nichtigkeiten, an welche er die reichste Kunst verspendet, habe ich mit der größten Bewunderung gesehen,« sagte der blaue Domino. »Vatel – was steht dieser Darstellung gleich? Daß er den König im ›Tagesbefehl‹ in Haltung, Spiel, Gestus genau zu porträtieren wußte, will bei einem 100 solchen Künstler noch nicht viel sagen. Aber er stattete die Rede mit einem so elegischen, zuweilen halb singenden Abklingen aus, daß mich diese Erfindung, die aus dem tiefsten Anschauen hervorging, erschütterte und mir die ganze historische Einsamkeit des großen Fürsten vor den bewegten Sinn brachte. Fast aber scheint es, daß der Künstler ein leeres Gefäß vor sich haben muß, um seinen Reichtum ausschütten zu können. Wo ein Werk ihm entgegentritt, stellt sich die Sache etwas anders. Er liefert da auch immer das Bedeutende, nur nicht immer das, was das Werk will. Nathan, Clavigo, Mephistopheles sah ich von ihm mit einem Gemisch von Hingebung und Widerstreben. Nathan spielte er im Tone eines Herderschen Humanitätspredigers und in solcher Auffassung vortrefflich, aber die fein-sarkastische Zumischung, die dem Juden nicht fehlen darf, blieb aus. Aus Mephistopheles machte er einen erdichten, knarrenden Geist, mit eiserner Konsequenz, es ist wahr; aber wo war der Marinelli der Hölle, den Goethe im Sinne hatte? Dagegen verhielt sich im Clavigo das Ding wieder umgekehrt. Mir war Carlos, dieser gerade, durchaus rechtliche und wohlmeinende Freund, wie ihn Seydelmann uns zeichnete, die am meisten tragische Figur, weil ein so über den andern stehender Mensch sich doch so gröblich irren und an einem Lump, wie Clavigo, den treuen Anteil als an einer bevorzugten Natur nehmen konnte.«

»Was soll er machen?« rief der schwarze Domino. »Er steht in einer zertrümmerten Kunstwelt, und kein Schauspieler kann sie wieder zusammenfügen. Er hat das Gefühl überwiegender Begabung in sich – was soll er machen? frage ich. Er macht sich zum Mittelpunkt, um wenigstens selbst etwas zu sein, da das Ganze ein Nichts ist. Ohne seine Schuld außer stand gesetzt, in ein Ganzes bescheiden, wahr, subordiniert einzugreifen, bildet er sich durch Mischung, Entmischung, Kombination, Bizarrerie eine eigene kleine egoistische Welt. Wenn der Stil verstarb, leben die Grillen auf. Seydelmann ist wenigstens die genialste Grille der heutigen Schauspielerei.«

Man wollte weiter über diesen Künstler reden, aber ein laut hallendes Vivat aus mehreren hundert Kehlen im Saale unterbrach das Gespräch. Trompeten und Pauken schmetterten und wirbelten; der Jubel wollte nicht enden. Die jungen Leute eilten nach dem Orte, wo diese laute Ehrenbezeugung erklang; die Dominos vermochten endlich herauszuhören, daß sie Schadow'n galt.

101 Einer von ihnen wendete sich ab und zog sein Tuch hervor. Die andern lächelten, denn sie kannten die Schwäche ihres Freundes.

»Ja,« rief er, nachdem er seine Thränen getrocknet, halb ärgerlich, halb mitlachend, »es ist ein verwünschter Naturfehler bei mir, daß ich weinen muß, jedesmal, wenn ich ein Vivat höre. Oft ist mir dabei in der Seele gar nicht weinerlich zu Mute gewesen, und dennoch brach das Wasser hervor. Es muß wohl mein Sinn für thatsächliche Momente sein, der mich zu einem so unfreiwillig Gerührten macht.«

Sein Nachbar sagte: »Nun, hier darfst du allenfalls bewegt sein, denn der, dem da ein paar hundert Jünglinge huldigen, hat Außerordentliches geleistet.«

»Gewiß,« versetzte der andere. »Wir haben hier gleichsam ein fait accompli, eine vollendete Thatsache vor uns. Und vor denen hegen selbst die Regierungen Ehrfurcht. Die Wahrheit, daß man etwas Seiendes für seiend halten, daran nicht nergeln noch mäkeln soll, ist ein Gewinn in dem Denken unserer Epoche. Wir haben hier Großes werden sehen. Ein Mann kommt vor dreizehn Jahren daher, gefolgt von fünf Schülern, die recht hübsche Sachen gemacht haben, doch aber noch völlig unfertig sind. Er betritt ein fremdes Terrain, ohne mächtige Verbindungen zu haben, er muß sich alles erst selbst schaffen. Sein Gouvernement unterstützt ihn wohl, jedoch nur mäßig; keines Königs mächtiger Arm hält ihn, stellt ihm die geniusentflammenden Aufgaben. Einen Namen bringt er mit, genannt allerdings in der Kunstwelt, keineswegs aber mit der Glorie allgemeiner Berühmtheit umgeben. Und nach dreizehn Jahren steht er an der Spitze einer Anstalt, worin die Hunderte nun fast statt der ursprünglichen Einheiten zählen. Die Räume sind zu eng für den Andrang, der Ruf der Anstalt geht durch Europa, und zieht die Lehrlinge aus allen Landen, bis zum hohen Norden hinauf, herbei. Die Werke der Schule zieren Königs- und Kaiserpaläste, die Erben großer Reiche besuchen den Chef und treten zum Teil unter sein Dach. Der Kunstverein, der doch auch ohne ihn nicht entstanden wäre, hat jährlich über zwanzigtausend Thaler zu verwenden. Die Schule sandte Kolonieen aus nach Dresden und Frankfurt. Was aber noch mehr: das Haupt wurde längst von den Gliedern überflügelt und dennoch lösen sich viele der edelsten Glieder nicht ab, wohl wissend, daß der Zusammenhang, wie er war, ihnen auch noch 102 jetzt fromme. Dieser Organismus findet nun aber immer noch seinen Schwerpunkt im Stifter, obgleich fast alle jüngeren Meister ganz abweichend von ihm denken. Man würde es wohl empfinden, wenn er dauernd von seiner Schöpfung zurückträte. – Ist das nun keine Thatsache, so giebt es überhaupt keine. Und nur seltene Eigenschaften konnten sie schaffen.«

»Man sollte denn aber endlich sie nennen, einen historisch gewordenen Namen nicht mit falschen Bezeichnungen verdunkeln oder durch ausweichende Reden verwischen!« rief der schwarze Domino. »Kläglich dreht sich das Urteil über die Werke des Mannes, von dem wir reden, krümmt sich und windet sich, um das öffentliche Geheimnis nicht laut werden zu lassen: daß Schadow kein Genie sei. Oder wollt ihr es behaupten, so nennt mir den Jünger von Bedeutung, dem er seine Farbe und Zeichnung gegeben, nennt mir das Werk von ihm, welchem die Nation ihre Stimme erteilt hätte! Alles, was hier Berühmtes entstand, entstand durch die Schule, die im eigentlichen Sinne doch nicht seine Schule ist.«

»Laßt uns nicht in Negationen und Antithesen uns verlieren!« sagte der blaue Domino. »Auch die Kunst hat, dem Gesetze der Zeit folgend, einen repräsentativen Charakter angenommen. In einem repräsentativen Staate aber gedeiht der große Selbstherrscher nicht, ein gescheiter, balancierender Louis Philipp ist die Persönlichkeit, die ihm eignet. Das wahre Genie würde in seinem hohen Drange, in seinem unbekümmerten Stolze, nie etwas wie die Düsseldorfer Schule hervorgebracht haben. Cornelius, den ein seltsamer Irrtum hier, wo es nichts al fresco zu malen gab, zuerst zum Direktor gemacht hatte, ging, ohne eine Spur zu hinterlassen. Freilich war er nur kurz hier, er ist aber von der Art, daß er unter keiner Bedingung hier hätte lange ausdauern können. Schadow kam, und da waren nun die Qualitäten, die hieher gehören. Anstatt des urkräftigen Schaffens, welches sich nur um sich bekümmert, hatte er eine allseitige Empfänglichkeit, und jene Fürstengabe, die Fähigkeiten zu sehen und jede an ihren Ort zu stellen. Der Verstand ist das Dominierende in ihm, unterstützt von einer zähen Beharrlichkeit. Ich sage nicht, daß ihm Gefühl und Phantasie fehlen, aber sie stehen unter der Herrschaft 103 des Kopfes. Er verwendet sie, gebraucht sie, anstatt sich von ihnen hinreißen zu lassen. Wer die Jahre her gesehen hat, wie er fest und klug, nie seine Absichten aus dem Auge verlierend, Charaktere und Schwächen berechnend und behandelnd, zur rechten Zeit sich schmiegend und im günstigen Augenblicke imponierend, sein Reich gründete und führte, der hat etwas Merkwürdiges gesehen.«

»Du hast mir nur das Wort aus dem Munde genommen« sagte der schwarze Domino. »Meine Meinung konnte nicht sein, ihn herabzusetzen. – Ich glaube, daß ein Verein solcher Eigenschaften, wie er sie besitzt, fähig machen würde, die öffentlichen Angelegenheiten unter den schwierigsten Umständen zu führen. Schadow wäre gewiß ein tüchtiger Staatsmann geworden, hätten die Sterne ihm die Feder des Diplomaten statt des Pinsels zugewiesen.«

»Meine historische Betrachtung läßt mich solche Eventualitäten nicht aufstellen,« sagte der rote Domino. »Ich unterscheide vielmehr in Schadow zwei geschichtliche Personen: den vor der italienischen Reise im Jahre 1830 und den nachher. Jener hatte wirklich die allseitigste Empfänglichkeit, er war gutmütig, wohlwollend, konnte selbst naiv sein. Zwar war er auch damals schon christkatholisch in seinem Künstlerherzen gesinnt, er malte – außer Porträts – nur heilige Bilder und nannte die religiöse Kunst die höchste. Aber alles das war doch nur mehr Privatliebhaberei. Daneben war er der humanste Patron der Landschaft, des Humors, des Genres, selbst wenn dieses bis zu Kegelbahnen und Trinkstuben hinabstieg. Er gab da Rat, kritisierte, emendierte treu, fleißig, einsichtsvoll, wie an Engelsflügeln und Madonnengesichtern. Rührend war seine Freude, wenn etwas gelang, es gelang, wo es sein mochte. Schrötter, der von der Kupferstecherei zum Malen übergegangen war, konnte erst lange der Farbe nicht mächtig werden. Wißt ihr nun noch, wie Schadow einst, wen er von 104 Bekannten traf, vor Schrötters Bild rief, und jedem als ein Ereignis ankündigte, daß der Reflex der Abendsonne auf dem Rockärmel des alten Fischers in der Mitte der Gruppe so schön gelungen sei, daß nun endlich Schrötter die Farbe habe? Solcher Dinge kamen damals unzählige vor. Den rationalistischen Lessing liebte er mit väterlicher Zuneigung. Mit Litteratur, Poesie hielt er sich in Berührung, abweichende Meinungen brachten ihn nicht auf, machten ihn nicht stumm. – In Italien aber wachten die alten Reminiszenzen auf, die große religiöse Kunst hatte ihm von neuem so imponiert, daß er zurückkam, nicht als ein Halbverwandelter, wie Sie ihn früher genannt haben, sondern als ein Geblendeter, oder wenn man im Bilderkreise seiner Kunst bleiben will, mit übermaltem Geiste. Denn ich muß sagen, daß ich für meine Person immer noch an das Richtige und Natürliche in seinem Wesen glaube, welches eben ist, das Gute und Schöne in jeder Richtung zu lieben und zu pflegen. Freilich ist die Übermalung jetzt stark. Nicht plötzlich trat sie hervor, sondern die Kruste setzte sich nach und nach an. Krankheiten, Verstimmungen mögen mit eingewirkt haben. Die Schüler wurden berühmter, als er, und wodurch wurden sie berühmt? Nicht durch Himmelfahrten und heilige Familien, sondern durch die Landschaft, durch das Genre, das romantische sowohl, als das reale. Wer wird ihn schelten, wenn selbst etwas Gereiztheit sich seiner Empfindung beigemischt hat? Genug, es sollte nun mit aller Gewalt eine religiöse Schule am Rheine erblühen. Das hatte zur Folge, daß eine stille Entfremdung zwischen ihm und den meisten Heroen der Anstalt allmählig einschlich. Niemanden hat er absichtlich gekränkt oder zurückgesetzt; gegen solche Beschuldigung, welche der Klatsch auch gegen ihn erhoben hat, muß man ihn durchaus verteidigen. Aber die Dinge wirkten, und sie sind immer mächtiger, als jede Absicht. Nun bringen sie ihm noch Vivats, es ist wahr, aber die eigentlich Bedeutenden rufen doch nur mit aus Pietät und Dankbarkeit, ein lebendiges Gefühl des Zusammenwirkens mit ihm stiftet die Verbindung nicht, welche allerdings, wie ich sagte, noch besteht. Sie sehen einander als eine Notwendigkeit an, er sie, sie ihn, das ist ihre Gegenwart zu einander, und darüber hinaus liegt freilich ein viel schöneres, ein weit beglückenderes Verhältnis. 105 Geistigen Einflüssen, welche die jetzige Befangenheit irre machen könnten, hat er sich zu entziehen gewußt. Praktisch aber brachte er es nur zur Bevölkerung jener drei oder vier Ateliers, welche Galiläa scherzweise genannt werden, und worin man sich zur Ehre Gottes unfruchtbar genug abquält«

»Deger? Vergissest du Degern?«

»Deger ist ein reiner, schöner Mensch, er ist der hervorragendste unter den frommen Malern, und auf ihn rechnete Schadow wohl auch am meisten, als Stütze der sogenannten höheren Richtung. Aber ich frage: Tragen denn diese abgedämpften Farben des Lieblingsschülers, diese zärtelnden Engel, diese kindlich frommen, oder mit dem hektisch schmachtenden Zuge um das Auge versehenen Madonnen die Bürgschaft langen Lebens in sich? Sieht man sie sich nicht schon jetzt müde, je länger man sie ansieht? Spricht sich denn in dieser frauenhaften Milde und Unschuld der christliche Geist der jüngsten Vergangenheit oder der Gegenwart aus? Und den müßte doch ein Meister zu erfassen wissen, wenn ihm gelingen sollte, einen neuen dauernden Typus christlicher Kunst zu finden, denn in den Leib seiner Mutter kann niemand zurückkehren, auch die Kunst nicht. Sind nun nicht gerade die Besten, die Wahrhaftigsten der Jetztwelt durch allen Spott und Zweifel der Heiden hindurch gegangen, bevor sie zum Erlöser gelangten? So möchte denn wohl ein Paulinisches Bewußtsein eher, als die legendenhafte Süßigkeit, aus den neuen christlichen Bildern blicken müssen, sollten sie zur Höhe der Zeit sich erheben, auf dieser Höhe sich erhalten. Nicht die wimpersenkende Madonna, sondern der in den leuchtenden Lichtern des Himmels über den geistvollen Verfolger triumphierende Christus scheint mir der Vorwurf der neueren religiösen Kunst zu sein, wenn eine solche entstehen soll. Deger nahm in seinen ersten Christkindern dazu einen Ansatz, sie hatten etwas Tapferschreitendes, Siegreichblickendes. Nachher ist er hievon wieder zurückgewichen in die Reminiszenz an Fiesole. 106 Zuletzt sah ich eine Zeichnung von ihm: die Himmelfahrt. Der Erlöser blickt wehmütig segnend zu den Aposteln hinunter. Also auch hier Empfindsamkeit! dachte ich. Daß der Sohn sich setzt zur Rechten des Vaters, das ist das göttliche Faktum, und wird nun wohl dessen erhabene Majestät durch diese weiche Gebärde ausgedrückt? Man muß erwarten, wie den Künstler Italien, wo er sich jetzt befindet, vollenden wird, denn seine Bahn ist ja noch nicht geschlossen.«

»Man kommt, wenn man im stillen für sich die Dinge betrachtet, immer mit dem Urteile des Tages ins Gedränge,« sagte der schwarze Domino. »So ist es mir mit den Ansichten über unsere Schule gegangen, nachdem der erste lyrische Taumel der Anfänge vorüber war, und das Urteil in seine Rechte trat. Vor acht, neun Jahren sollten hier lauter werdende Michel Angelos, Raphaels, Rembrandts, Ruysdaels umherwandeln. Ich liebte meine Freunde wahrhaftig von Herzen und freute mich jedes guten Bildes, das von ihnen kam, aber ich hatte denn doch Dresden, Berlin, Kassel, München, Pommersfelden, Amsterdam, den Haag gesehen und wußte ungefähr, wie die alten Sachen aus den Rahmen schauten. Ich vermißte bei den unsrigen etwas: die geniale Sicherheit, das à plomb der alten Meister, die überzeugende Kraft und Notwendigkeit der Gestalten. Versuche sah ich, höchst tüchtige Versuche, aber schwankend zwischen der Kühnheit des Individuums, immer nur sich und sein Personellstes auszudrücken, und der Scheu, Fehler zu begehen. Diese Furcht vor gemalten kühnen dummen Streichen war immer ein charakteristischer Zug der hiesigen Schule. – Jetzt beginnt das Blatt sich zu wenden. Eine Umstimmung der Meinung naht ganz sichtbar an. Zwar bestellen und kaufen die Liebhaber noch reichlich, aber das Urteil der Stimmführer spricht doch schon seit einigen Jahren häufig vom Düsseldorfer Schmerz, von der Weichlichkeit, vom stereotyp gewordenen Brüten. Ungerecht abermals. Man muß nie eine Richtung in ihren Schwächen angreifen, noch sie darin verteidigen wollen. Geben wir daher die Goldschmiedstöchterlein, die Kirchengängerinnen, die Nonnen, Pagen, Ritter willig den Stickmustern preis, in welche sie so rasch übergingen! Die Stärken der Schule haben aber unleugbar eine allgemeine geistige Stimmung der 107 Nation, von welcher sie sich in ihrem Bewußtsein erst jetzt loszumachen beginnt, in Form und Farbe gebracht. Und wenn diese Stimmung eben die sentimental-romantische war, und wenn darin das Weiche, Ferne, Musikalische, Kontemplative anstatt des Starken, Nahen, Plastischen, Handelnden vorwaltete, warum scheltet ihr die Malerei, da ihr die Poesie gelobt habt, der ihr alle einen Teil euerer Bildung verdankt? Die Poesie ging voran, die Malerei folgte, und es wurde hier etwas wahr, was Louis de Maynard in seiner Betrachtung über die neuere Kunst der Franzosen einmal sagte: l'idée passe du papier à la toile.«

»Nur müssen Sie mir eine Bemerkung erlauben,« versetzte der rote Domino. »Der Scherz über die sogenannte Zopfperiode des achtzehnten Jahrhunderts ist in unserer Schule bekanntlich ein stehender geworden. Ich aber möchte sagen, daß selbst aus manchen Stücken unserer Besten abermals ein Zopf hervorsieht, freilich viel vornehmer und poetischer zusammengeflochten, als der alte pudrichte.«

Der schwarze Domino erwiderte: »Es fehlt der Schule mit einem Worte die letzte Weihe, die naive Ursprünglichkeit, welche die Haare entweder frei wallen läßt, oder kurzweg abschneidet. Das ist aber nicht die Schuld der Einzelnen. Darin tritt das Mißgeschick des Urverhältnisses zu Tage. Das unbedingt Große geschieht doch nur, in der Kunst wie im Leben, wenn ein großer Praktiker auftritt, positiv leistend und die Geister entweder in die Nachahmung fortreißend, oder sie zu selbständigen Gegensätzen treibend und nötigend. Das war hier nicht der Fall. Das Höchste kann aber nicht kommen, wenn nur durch Methode, Kritik, Einsicht, Klugheit gleichsam zur Kunst die Gelegenheit gemacht wird. Und nur das geschah hier. Die Einzelnen waren also, bei aller Unterweisung in den Vorhallen, im Allerheiligsten dennoch lediglich auf sich gewiesen. Nun hätte unter ihnen ein wahrhaft tonangebender Meister im höchsten Sinne des Wortes entstehen können, und viele haben Lessing diesen Meister genannt. Er kann es werden, noch ist er es aber nicht. Für sich hat er genug, aber für eine echte Schule hat er nicht genug. Es fehlt ihm die 108 Weite des Blickes, es fehlt ihm der Mut, die großen Erscheinungen seiner Kunst ins Auge zu fassen auf die Gefahr hin, eine zeitlang an sich irre zu werden. Dieses Versunkensein in sich geht so weit, daß er es bisher standhaft abgelehnt hat, Galerieen und Museen zu beschauen. Solange eine solche Isolierung fortdauert, wird auch in seinen Werken etwas Starres und Monotones sichtbar bleiben, welches, für meinen Blick wenigstens, diese große Kraft noch gefesselt hält. Groß und gewaltig ist sie, und davon erlebte ich kürzlich in Frankfurt die Bestätigung für mich. Sein Ezzelin war das einzige unter den neueren Bildern des Museums, welches mir neben den alten Werken Stich hielt.«

»Die Schule hatte einen Grundfehler, sie besaß schon in ihren ersten Anfängen eine Vorstellung von sich, von ihrer Mission, von der sogenannten Würde der Kunst,« sagte der rote Domino. »Freilich entsprang auch er aus dem Umstande, daß der Gründer mehr ein Theoretiker als ein Praktiker war, denn lediglich für die Theorie stellen sich dergleichen Abstraktionen ein, der echte Praktiker hat nur Vorstellungen von seinen Stoffen, und wenn er an seine Kunst denkt, so ist sie ihm ein Aggregat bewährter Handwerksgeheimnisse. Jenes mythisches Gefühl aber von der besonderen Vornehmigkeit des Berufes, oder von dem Berufe selbst, als einer intellektuellen Luftgestalt, welches der Meister, wie er nur konnte, den Jüngern einzuimpfen suchte, hat, abgesehen von dem schädlichen Einflusse auf die moralische Physiognomie der Schule, manchen auch in seiner Kunst geirrt, in Gebiete getrieben, in welche er nicht gehörte, – allen vielleicht bis auf den heutigen Tag noch ein Etwas vor das Auge geschoben, daß sie mit dem letzten, schärfsten Malerblicke die Dinge nicht sehen, wie sie eben einzig und allein für den Maler vorhanden sein sollen. Sie sehen die Dinge zu natürlich zugleich und zu unwahr, die rechte Mitte ist hier noch zu entdecken.«

»Ihr dreht euch im Kreise um den eigentlichen Punkt, wie Leute, die, im Walde verirrt, das Haus suchen, das zwanzig Schritte von ihren tappenden Füßen liegt,« sagte der blaue Domino.

»Nun, nun, nur nicht so unsanft zurechtgewiesen!« riefen die beiden andern. »Sei uns ein freundlicher Leiter!«

Der blaue Domino versetzte: »Die Farbe fehlt noch der 109 Düsseldorfer Schule; die eigene, selbständig gefundene Farbe. Die Farbe ist dem Maler, was das Wort dem Dichter; er denkt, fühlt, phantasiert in ihr. Sie ist aber nicht das Rot und Blau, das da klebrig auf der Palette steht, sondern die Verwandlung, welche Zinnober und Ultramarin im Geiste des Künstlers erleiden. Das ist eine so wunderbare Metamorphose, wie die von Gemüte und Fleisch in Blut und Nervengeist. Nicht die Farbe, wie sie in der Natur ist, kann der Maler brauchen, sondern ein begünstigter Genius operiert jene Metamorphose in sich, und die Geister zweiten Ranges empfangen die Farbe von Mustern. Die Kunst empfängt von der Kunst. Man kann nun in eure Ansichten eingehen und sagen: eben weil der Schule ein großes schaffendes Vorbild fehlte, suchte sie in ihrer Ratlosigkeit einen Halt, und den sollte ihr die beliebte Natürlichkeit des Kolorits, oder das Kolorit nach der Natur bieten. Aber eine Farbe kann so unnatürlich wie möglich, und dennoch völlig kunstwahr sein. Seht Tizians Venus in der Nähe, es ist etwas Graurötliches da auf die Leinwand gestrichen; tretet zurück und das lebendigste Fleisch wallt euch entgegen. Ich habe spanische Bilder gesehen. Dicht vor der Tafel sah ich nur schwarze und weiße und blutrote Striche, vier Schritte davon entzückten mich Magdalenengesichter, büßend im Ausdruck der tiefsten Reue. Die Farbe ist eine große Entdeckung. Unzählige Versuche müssen dieser vorhergehen. Zwei Jahrhunderte lang und länger war sie aller Orten abhanden gekommen; sollen fünfzehn Jahre hier hingereicht haben, sie wieder zu finden? Es gab alte Meister, die so eifersüchtig auf diesen Punkt hielten, daß sie das Geheimnis, wie sie ihre Palette ausrüsteten, mit in das Grab nahmen. Ich glaube aber, daß die echte malerische Farbe auch hier noch entdeckt werden wird, denn so viele und bedeutende Kräfte können sich nicht wie durch ein Wunder zusammengefunden haben, ohne zuletzt ein Endziel zu erreichen.«

»Überhaupt haben wir ja von den Mängeln der Schule nur geredet, um sie aus dem Zwielicht allgemeiner Redensarten, lobender und tadelnder, uns zur deutlichen Gestaltung zu bringen,« sagte der rote Domino. »Denn über ihre Verdienst sind wir einverstanden. Sie ist da, eine unter ganz eigenen historischen Umständen entsprossene Zunft, die, sich gliedernd in Meister, Lehrlinge und Gesellen, bei allem innerlichen Hader, der nicht länger abgeleugnet werden darf, doch durch ein unsichtbares Etwas noch immer 110 zusammengehalten wird. Der Urtypus dieser Zunft war der Geist, welcher in der Litteratur hauptsächlich durch Goethe, Tieck, Uhland ausgesprochen ist. Dieser Geist versetzte sich mit etwas norddeutscher Reflexion, und suchte malerische Konsistenz zu gewinnen durch die treuesten und fleißigsten Studien nach der sinnlichen Natur. Später traten Münchener, französische, niederländische Einflüsse auf, und es fand ein gegenseitiges Assimilieren des Ursprünglichen und Nachgeborenen statt, am augenfälligsten in der Landschaft, doch auch zu Zeiten bemerkbar im Genre, und selbst in der Historie nicht ganz verborgen. Ein Eklektizismus, nicht im rohen, sondern im feineren und geistigeren Sinne, herrscht; auch dieser ist eine vollendete Thatsache, und aus ihr werden sich gewiß noch große Folgen ergeben.«

Der blaue Domino stand auf. »Ich freue mich dieses Abends,« sagte er. »Wir haben kein platonisches Gespräch geführt, in dem einer die Weisheit hat und mit verstellter Unwissenheit die andern belehrt, sondern es war eine deutsche Unterhaltung. Jeder gab seinen Scherf, im Sinne und Gemüt waren wir einig, und nur die Auffassungen waren hin und wieder verschieden. So ist es uns gelungen, die Düsseldorfer Anfänge uns vorzuführen, keine unverächtliche Station im Gesamtleben des Vaterlandes. Wie viel wäre noch zu sprechen! Wie gern untersuchte ich, nur bei unserer letzten Materie stehen bleibend, mit euch: Welche moralische Gestalt der Maler durch seine Kunst erhält und wie eine Künstlergilde auf den Geist einer ganzen Stadt, darin sie waltet, influenziert? Wir würden da auch gewiß auf bestimmte Resultate im Guten wie im Schlimmen kommen. Wir würden finden, daß auch in diesem Gebiete Stand und Beruf den Menschen fertig machen helfen. Der Soldat wird durch die Waffen tapfer und ehrenzart, aber auch leicht rauh und hochfahrend; der Dichter durchschaut in seinem einsamen Zimmer alle Rätsel der Welt, aber manche Grille pflegt nebenbei in dieser Einsamkeit zu nisten; der Richter ist gerecht, aber der Aktenstaub kann ihn moralisch engbrüstig machen. Und so würden wir finden, daß der Maler, durch das beständige Vertiefen in die Form und in das äußerlich Erscheinende, zwar für sein Leben eine ausgeprägte Gestalt und eine frohe Sichtbarkeit gewinnt, zugleich aber in Gefahr steht, sich 111 selbst in der Äußerlichkeit zu verlieren, und den Sinn für die innersten Beziehungen des Daseins, so wie den Maßstab für die höchste Würde des Menschlichen, die in einem unsichtbaren Reiche thront, einzubüßen. Endlich würden wir finden, daß eine Stadt durch das in ihr vorherrschende künstlerische Element zwar ein buntes und mannigfaltiges Ansehen erhält, welches aber doch zuweilen etwas von einem Schaugerichte hat, und daß vielen schwächeren Seelen in ihr, unter dem Schwelgen in Formen und Bildern, die Anlage zum Ernst und zur gründlichen Durchbildung des Geistes abhanden kommt. – Aber es ist zwei Uhr morgens, immer gedrängter fahren die Wagen ab, die älteren Leute sind fast alle weg, und nur das junge Volk tanzt noch, als solle das dauern bis zum jüngsten Tage.«

Puck sprang vorüber. »Eine Verschwörung ist im Gange!« rief er und verschwand durch eine Seitenthüre.

Die drei Dominos wußten nicht, was die Worte bedeuten sollten. Der schwarze Domino goß aus der letzten Flasche die Gläser bis zum Rande voll und rief: »Laß uns den drei Nornen opfern, welche die Zeit weben. Sie heißen Wurd, Werdandi und Skuld.«

Der rote Domino erhob sein Glas und sprach: »So nenne ich Wurd, die Vergangenheit. Ihr gilt mein Opfer. So viele verschiedenartige Menschen, auf engem Raume zusammengedrängt, mußten manche Reibung erzeugen. Ich sprach einst mit einem Freunde über das Unbehagliche unseres Lebens, was in Soupçons und Übelnehmereien sich abhetzte. Laß es gut sein, sagte er, es ist ein Zustand wie im Mittelalter. Die Barone halten sich auf ihren Burgen, machen einander Fehde, werfen einander die Schutzbefohlenen nieder. Es ist doch Leben und Kraft in diesem Getreibe und jeder vertraut seiner Faust. – Wurd sei gepriesen!«

»Ich beuge mich vor Skuld, der Zukunft,« sagte der blaue Domino. »Ohne Wort ist der Dienst dieser Norne, wir wollen ihr, stille Hoffnung im Herzen, entgegengehen.«

»Durch eure List fällt mir Werdandi zu, die Gegenwart!« rief der schwarze Domino. »Also . . .«

Aber er konnte nicht ausreden. Denn der Papageigrüne 112 war in das Zimmer getreten, begleitet vom Ceremonienmeister im gestickten Hofkleide, mit Allongenperrücke und dem goldenen Stabe. »Nichts fällt euch allen dreien zu, als ein Tanz im Saale mit der Dame, die eben an der Tour im Kotillon ist,« sagte er. »Sie läßt euch durch mich und diesen Chevalier hier holen. Die Tour aber ist, daß ihr unermüdlichen Redner die Dame umtanzt, sie dann das Taschentuch emporwirft, und der Glückliche, welcher es hascht, mit ihr herum walzen darf.«

Was war da zu thun? Werdandi kam in diesem Zimmer um ihren Opferspruch. Der Ceremonienmeister trat vor, die Dominos folgten, der papageigrüne Verschwörer schloß. Im Saale empfing den Zug fröhliches Gelächter. Papagena, ein reizendes Mädchen im buntesten Federkleide, stand in der Mitte des weiten Tanzkreises. Die Geschichte sagt nicht, ob die Dominos mit ihr getanzt haben, oder ob sie sich mit einem Scherze auslösten gegen sie, die wohl für ein Bild der blühendsten Gegenwart gelten konnte.

 


 


 << zurück