Karl Immermann
Düsseldorfer Anfänge
Karl Immermann

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1.

Die Düsseldorfer Künstler sind geistige Nomaden. Sie binden ihr Rößlein heute an diesen Pfahl, morgen an jenen Strauch. Sie malen nicht nur, sie verkleiden sich auch, machen Knittelreime, oder gelegentlich Ottaven, extemporieren Schnurren, oder führen geschriebene Komödien auf. Wie auf der Universität wächst in der akademischen Stadt jährlich eine frische Jugend nach. Wie aber nicht auf der Universität, bleibt mit wenigen Ausnahmen der alte Stock und Stamm. Der Student wird nach seinem Triennio ein Philister, den Künstler erhält die Kunst länger grün. Unsere Dreißigjährigen, zum Teil ehrsame Gatten und Väter, verschmähen nicht, »die kurzen bunten Lumpen um des Lebens arme Blöße zu schlagen«, die Egmont mit so rührender Bitte für sich in Anspruch nimmt.

Der Darstellungstrieb der Düsseldorfer Maler erlebt im Karneval seine Blüte. Der italienische Karneval ist ein Impromptu toller Volkslust, der kölnische schmeckt etwas nach Absicht und Berechnung; die Fastnachtsscherze unserer Künstler sind eine Fete, welche eine geistreiche Kaste sich und ihren Anhängern giebt. Diese Fete hat sich nun schon mehrere Jahre hindurch wiederholt, sie ist zur Tradition geworden. Ein geräumiges Haus draußen vor dem Thore, zwischen Gärten, thut seinen weiten Saal auf; lampenhelle ist er; da hinein laden sich die Maler ihre Freunde, die Ersten der Stadt, den Hof. Die bunten Masken kommen eine nach der andern an, man begrüßt sich, man sucht sich zu 12 enträtseln, Possen und Anspielungen fliegen durch den Saal. Plötzlich ertönt ein Zeichen hinter dem Vorhange, der einen Teil des Raums verhüllt, die mythischen, romantischen, exotischen Figuren ordnen sich still auf den Sitzen, die Gardine hebt sich, das Stück – eines von denen, welches Anlaß zu reicher Kostümierung giebt – beginnt, und eine zeitlang vergißt der zuschauende Türke seinen Turban, der schlanke, schöne Minnesänger sogar, welch ein hübsches Mädchen vom Peloponnes in seiner Nachbarschaft sitzt.

Vor einem Jahre war der Maler Faschingsabend besonders lebendig. Kaum zwölf Meilen von uns schworen die Belgier persévérance et courage um Luxemburg und Limburg, Skrzynetzky war in Brüssel angekommen, die Gesandten waren von dort abgereist; hier aber tummelten sich, als wohnten wir weit weg im Westmeer auf einer der Inseln der Seligen, Einfälle, Scherze, Attrappen. Uechtritz hat in seinem Buche über das Düsseldorfer Künstlerleben auf dessen politische Unschuld hingewiesen. In der That glaube ich, nur der Donner der Kanonen am Rhein würde diesen Zustand in den Sündenfall schrecken.

Indessen waren die Maler auch kriegerisch auf ihre Weise, d. h. in der Einbildung. Sie gaben Wallensteins Lager. Die Jacken, Koller, Hosen, Schärpen und Harnische der Kriegsleute, alten Waffenbüchern genau nachkopiert, und mit künstlerischer Klugheit zum lebhaftesten Farbenbilde zusammengestellt, verfehlten ihre Wirkung nicht; mit der nötigen Gravität sprach der Wachtmeister, dieser Feldherr in Holzschnittmanier, feurig und keck der Jäger, in einer eigenen komisch-rührenden Erhabenheit der Wallone. . . .

. . . »Der nie erfahren, wer er sei?
Sie stahlen ihn schon in jungen Jahren.« –

Das Reiterlied verklang, der Vorhang fiel, wurde aber gleich wieder aufgezogen. Nun gestaltete sich der Platz vor den Zelten bei Pilsen sozusagen zur vornehmsten Frontloge. Denn eine Reihe der geschmücktesten Damen nahm dort bei den Kochfeuern Platz, zwischen denen Gustel von Blasewitz und ihrer Schwester Kind aus 13 dem Reich den Melnecker umhergeschenkt hatte. Dieser und jener Spanier, mancher glänzende Ritter trat zu den Damen hinter ihre Stühle; ein gekröntes Haupt, ein weiser Meister stellte sich ein, und so gewann das Ganze da droben auf der kleinen Bühne das Ansehen eines Artushofes, der, freilich aus kontrastierendem Rahmen, vergnüglich auf das Getümmel unten im Saal niederschaute.

Das war groß unter den paar hundert Masken, die sich dort versammelt hatten. Der Jubel des Tanzes begann. Perserinnen, Gärtnermädchen, Fischerinnen, Donnen, Fürstinnen aus Rußland und Polen schwangen sich mit den Wallensteinern und anderem Sammet, Seidenzeuge, Zindel umher, dazwischen hüpfte der Zwerg, schnitt der rote Pickelhäring mit Kolben und Gugel seine Gesichter. Die braune Wahrsagerin fand in einem Winkel aufmerksame Zuhörer für ihre Prophezeiungen, die alle glücklich klangen. Selbst der arme Gelähmte war an seinen Krücken lustig, und maß allerhand Gelegenheitsreime den Begegnenden nach der Elle zu. Da aber der Verstand bei der Phantasie nicht fehlen darf, so umsäumte diese heiteren Tänze und Spiele ein Kreis ernsthafter und bescheidener Dominos.

Unter denen befand sich ein schwarzer, dem von vielen Seiten Komplimente gemacht wurden. Es hatte nämlich verlautet, daß er alte Regisseurkünste geübt und das Wallensteinische Lager einstudiert habe. Mit dieser Darstellung war man aber ausnehmend zufrieden. Der schwarze Domino bekam daher viel Schönes zu hören.

Er schien aber von diesen Freundlichkeiten nicht sonderlich gerührt zu sein und sich denselben eher zu entziehen, soweit dies die Rücksichten zuließen, welche ihm die gute Absicht seiner Gönner auferlegte. Er erwiderte, daß nicht ihm, sondern den geschickten Darstellern die Ehre gebühre, daß die Nachsicht der Zuschauer bei solchen Gelegenheiten die Unvollkommenheiten des Versuchs ergänze, und was dergleichen mehr war. Als nach einiger Zeit das zierlich-kräftige Aufstampfen zweier schöner Paare im Masureck die Augen der Umstehenden fesselte, benutzte er diesen Moment, sich still zurückzuziehen. Er entwich in ein Nebenzimmer, wo einige ältliche Herren sich beim Glase des stilleren Gesprächs erfreuten.

14 Ein blauer Domino folgte ihm. Dieser hatte im Saale kopfschüttelnd den ausweichenden Reden seines Freundes zugehört. Der Schwarze saß, halb in sich versunken, hinter einem Tische seitab von den andern. Der Blaue stellte sich vor ihn, und sagte nicht ohne Überwindung, wie es schien: »Du bist zwar da drinnen eben kein erkenntlicher Gepriesener gewesen, dennoch muß auch ich dir noch für den Genuß danken, den du uns gegeben hast. Ich erinnere mich von den großen öffentlichen Theatern her keiner ähnlichen Darstellung an Frische, Ründung, rauhem, kräftigem Leben.«

»Lieber,« versetzte der schwarze Domino, »wenn es dir und denen, die ich hier lieb habe, Spaß gemacht hat, so ist es gut, und nun laß uns von der ganzen Sache nicht weiter reden.«

»Nein,« erwiderte der blaue Domino, »einige Worte mußt du mir schon noch gestatten. Wie ist es dir möglich gewesen, mit zwanzig Dilettanten auf zwanzig Schuh Raum uns vorzugaukeln, daß wir uns wirklich inmitten der gewaltigen Armada des Friedländers befänden?«

»Vergiß zuvörderst nicht,« sagte hierauf der schwarze Domino, »daß allen dilettantischen Bemühungen der persönliche Anteil der Zuschauer kräftig nachhilft. ›Das ist der, und das ist der‹ – ›Mein Gott, wie sieht der – Dings da – aus?‹ Du glaubst nicht, welche Magie aus diesem Gemurmel des Auditoriums hervorflüstert. Sodann mußt du erwägen, daß der Naturalismus phantasievoller Nichtkünstler für den Augenblick oft wirklich mehr zu leisten imstande ist, als die Routine gewöhnlicher Schauspieler. Naturalisten sind wie junge Rekruten, mit denen zuweilen kühnere Handstreiche gelingen, als mit der alten Garde, welche die Gefahr kennt.«

»Also du bist, wie der Gott Epikurs, indifferent gegen deine Welt?« sagte der blaue Domino etwas scharf.

»Nein,« versetzte der Schwarze, »da du einmal mit mir über dieses fürtreffliche Lager so gründlich anbindest, so will ich dir gestehen, daß ich auch weiß, welchen Teil ich an seinem scenischen Siege habe. Bei solchen dramatischen Genrestücken kommt es hauptsächlich darauf an, die Phantasie der Zuschauer produktiv zu machen, auf daß sie glauben, was sie nicht sehen Deshalb ließ 15 ich vor dem Erheben der Gardine Signale auf der Bühne geben, denen dann hinten weit vom Garten her Trommelwirbel und Trompetenschmettern antwortete. Damit meinte ich ein großes Stück Land für die Einbildungskraft der Zuschauer zu erobern. Der Appell, der hierauf hinter dem Vorhange gehalten wurde, mußte dazu dienen, ihr geistiges Auge zu fixieren. Bei dem Spiel sorgte ich dafür, daß jeder meiner Wallensteiner zur rechten Zeit und am bestimmten Flecke in das Gefecht des stummen Mitspielens kam, welches bei einem solchen Stücke so wesentlich ist. Ich zeigte euch den Mann bald von vorn, bald vom Rücken, bald in der Stellung, bald in jener, jetzt in der Zusammenstellung mit diesem Kameraden, dann wieder in einer Gruppe mit andern, und so fort. Bedenke, daß mir fast immer fünfzehn disponible Komparsen solcher Art blieben, multipliziere diese mit fünfzehn und du findest zweihundert und fünfundzwanzig verschiedene Motive der Bewegung und Zusammenstellung, unter denen ich das Aussuchen der besten für die Dauer einer kurzen Stunde frei hatte.«

Der blaue Domino lachte. »So arithmetisch hätte ich diese ästhetischen Gebilde nie betrachtet!« rief er.

»Und doch ist in allen Dingen, wenn man sie einrichtet, ein gewisses Zählen und eine Art von Mathematik notwendig,« antwortete der schwarze Domino. »Ich hatte für sämtliche Scenen einen förmlichen strategischen Plan entworfen, nach welchem die Evolutionen der Haufen und Gruppen naturgemäß, und wie die poetischen Momente der Handlung sie bedingten, sich entfalteten. So kam es, daß die Zuschauer an den redenden Personen, als an den Trägern der Handlung, einen Halt hatten, in dem bewegten Mittel- und Hintergrund aber beständig neue Soldaten zu- und abströmen zu sehen wähnen durften. Die Herren Regisseure unserer großen und berühmten Hoftheater begnügen sich bei solchen Darstellungen damit, den Choristen und dritten oder vierten Fächern, welchen dergleichen Rollen zufallen, anzubefehlen, daß sie an der Handlung teilnehmen sollen. Das kommt mir so vor, als ob ein Feldherr einem einzelnen Regiment geböte, am Kriege überhaupt teilzunehmen. Gerade da, wo in unsrer heutigen Komödie mein strategischer Plan bis auf die halbe und Viertelswendung pedantisch exakt ausgeführt worden ist, mag wohl 16 der täuschendste Schein entstanden sein, daß die Sache sich von selbst gemacht habe. Denn in der Kunst sieht das Berechnetste und Regelrechteste immer wie der reizendste Zufall aus. Ich habe dich nun tief in meine Karten blicken lassen, und wenn du dazu nimmst, daß ich in den Zuschauern immer ein weites Draußen zu produzieren wußte, so wird dir mein Experiment ziemlich plan und begreiflich vorkommen. Ich ließ nämlich, wo es anging, und besonders in den enthusiastischen Scenen, an gewissen Gipfeln der Rede, von denen, die nicht auf der Bühne standen, Gesumme, Gelärm, Geschrei, Becherklingen machen, oder auch dann und wann . . . . eine halbe Strophe eines Schelmenliedes singen.«

»Vergiß nicht,« sagte der blaue Domino, »daß du das Stück von den meisten in Dialekten sprechen ließest.«

»Dieses Mittel, die Illusion der buntesten Mannigfaltigkeit zu erzeugen, liegt so nahe, daß man nicht begreift, wie die Leute, die sich mit dem Theater beschäftigen, es haben außer acht lassen können,« erwiderte der schwarze Domino. »Eine rohe Soldateska, die durcheinander schwatzt und selbst von sich aussagt, daß sie aus allen Ecken und Enden zusammengeblasen worden sei, braucht doch nicht mit uniformer klassischer Eleganz zu reden. Man zerstört also nicht den Sinn des Gedichts, man interpretiert vielmehr Schiller auf richtige Weise, wenn man statt des gangbaren reinen Deutsch ein Sprachmengfutter in diesem Stücke auftischt. Deshalb ist es mir eingefallen, den Böhmen böhmisch hart, den Oberdeutschen schwäbisch, den Tyroler tyrolisch, die Marketenderin sächsisch, den Kapuziner in dem kölnischen Dialekte, dessen er mächtig war, obgleich ich lieber einen Bayern oder Westfalen aus ihm gemacht hätte, den Holsteiner im breiweichen Küstenton reden zu lassen; der Wallone aber hatte sich selbst ein gebrochenes Idiom erfunden, welches mir noch lange im Ohr nachklingen wird, denn es gab der Rolle, anstatt ihr Pathos zu schwächen, im Gegenteil etwas eigen Ergreifendes.«

Der blaue Domino bedachte sich, und sagte dann: »Aus deinen Worten abstrahiere ich mir eine Regel. Man soll in der Kunst hauptsächlich per synekdochen wirken, durch den Teil das Ganze andeuten.«

Der Schwarze versetzte: »Alle echten Mittel der Kunst, namentlich der scenischen, sind höchst einfach, und kosten kein Geld, 17 sondern erfordern nur Verstand. Goethe wußte mit einem alten Lappen, den er irgendwo aufgetrieben, Wunderdinge auszurichten. Die heutigen Intendanten aber meinen, das, wofür sie nicht Geld ausgegeben, sei überhaupt nichts wert. Und mit diesen wenigen Worten ist der ganze Verfall deutscher Bühnenkunst beschrieben zugleich und erklärt«

»Ja,« sprach der blaue Domino mit Feierlichkeit, »unsere Bühne ist in einen Verfall geraten, der –«

»Oh, oh, oh!« rief der schwarze Domino, und hielt sich beide Ohren zu. »Lieber, ich bitte dich, nichts vom Verfall der deutschen Bühne weiter! Die Reden über dieses Elend sind mir fast so unleidlich geworden, wie das Elend selbst es mir ist. – Macht's besser, aber hört endlich mit diesen Jeremiaden auf! Genießt wenigstens das Gute, wo es sich einmal wieder emporringt, fördert es dankbar, verteidigt es tapfer! Aber ihr thut's ja nicht. Düsseldorf hat drei Jahre lang eine Bühne besessen, deren Mängel und Schwächen ich wahrhaftig, dem sie sehr wohl bekannt sind, nicht ableugnen werde. Aber die Wahrheit ist, und deshalb darf ich sie aussprechen: die Düsseldorfer Bühne hatte Tendenzen, wie sie mir aus keinem andern deutschen Gerüste neuerdings ersichtlich geworden sind, und was menschliche Kraft vermag, ist aufgeboten worden, den Tendenzen nachzukommen. Und hat sich eine kräftige Feder bewegt, ist ein beredter Mund laut geworden, die Gunst des Hofes, die Ambition unserer Reichen und Vornehmen rege zu machen, daß sie von ihrem Überfluß etwas abgaben, um das Institut zu erhalten? Mit nichten. Man hat uns gelassen und gleichgültig fallen lassen.«

»Den Untergang unserer Bühne möchte ich weit mehr von inneren Ursachen ableiten,« erwiderte der blaue Domino. »Ganz gewiß, wenn du dich nur aufrichtig prüfen willst, standest du einer gewissen Ermüdung und Blasiertheit über die Sache nahe. Und du warst doch die Feder in der Uhr.«

»Es ist mir lieb, daß ich mich über diesen Punkt einmal offen aussprechen darf,« sagte der schwarze Domino. »Ja, man hat dies verbreitet und drucken lassen, und es ist noch zuletzt etwas Ähnliches im Artikel des neusten Konversationslexikons, der von 18 mir handelt, gesagt worden. Es ist aber nicht wahr. Ich habe nie die Bühne überschätzt, und bin nicht der Meinung, daß Deutschland untergehn müsse, weil es seit Dezennien keine mehr besitzt. Ich weise der Bühne aber allerdings ihre Stelle im Kulturleben eines Volkes an, und bin der Meinung, daß diese nicht vom Pietismus, nicht von der Philosophie, nicht vom Kommerziellen, oder vom Bilderbesehen, oder von hundert andern Dingen, womit die Leute sich jetzt beschäftigen und unterhalten, ausgefüllt werden kann. Weil ich mich denn also nicht mit einem trunkenen, sondern mit einem nüchternen aber liebevollen Blick an die Bühne machte, so habe ich ihre Leitung als ein ernstes Geschäft angesehen, bei dem man bekanntlich das Vergnügen nicht in einem wollüstigen Kitzel, sondern nur darin sucht, daß man sieht, man bringe die Sache vorwärts. Da nun die Resultate meiner Arbeit augenfällig waren, und sich im Verlauf des Geschäfts nicht minderten, sondern steigerten, so hatte ich als guter Arbeiter meinen Lohn, fühlte mich in meinem Berufe frisch, und verspürte keinerlei Ermüdung.«

»Aber die Schauspieler?«

»Diesen muß ich das Zeugnis ehrenhaftesten Fleißes bis zuletzt geben Ich habe meinen Schauspielern nie geschmeichelt, ich habe ihnen Anstrengungen zumuten müssen, wie sie sonst nirgends den Leuten auferlegt werden, sie haben mir auch durch ihre Trakasserieen und Grillen tausendfach Verdruß gemacht, aber in der Hauptsache, in der Lust und Liebe zum Dinge, in der Ausdauer und Beharrlichkeit sind sie Kerntruppen zu vergleichen gewesen, welche sich noch schlagen, wenn auch kein Sieg mehr zu hoffen ist und die Milizen längst davon gelaufen sind.

Damit du aber nicht sagest, ich brüste mich nur mit ihnen, so erinnere dich gefälligst, daß die Düsseldorfer Bühne am letzten März 1837 aufhörte, und daß ein Vierteljahr vorher dem ganzen Personal gekündigt war. Es war also eine Zeit damals eingetreten, in der sonst die Kräfte eines Instituts erlahmen, weil die Gedanken, ohne Interesse an der Nähe, schon wild in der Ferne umherschweifen. Und da haben die Düsseldorfer Schauspieler am 1. März Egmont, am 16. Julius Cäsar, an Goethes Todestage, am 22., Iphigenie, am 31. Griseldis geliefert, neben der übrigen kurzen Tagesware. Egmont war in mehreren 19 Hauptrollen neu, Cäsar, Iphigenie, Griseldis waren ganz neu. Daß zu den Proben unter solchen Umständen nicht selten ein Teil der Nacht verwendet werden mußte, begreift sich; sie thaten und leisteten aber dieses, weil sie ihre Ehre darein setzten, daß die Bühne im höchsten Glanze der Thätigkeit untergehe. So lieferten sie mir den Beweis, daß auch der deutsche Schauspieler sogleich wieder ein ganz anderes Wesen wird, wenn man ihn nur richtig anfaßt. Die richtige Behandlung, welche ich meine, besteht aber nicht im Kajolieren oder Ordonnieren vom Kabinett des Intendanten aus, sondern darin, daß ihnen, nicht in hohlen Worten, sondern in der That und in der Wahrheit, das Bewußtsein werde von einem in tüchtigem Sinne unternommenen Wirken, daß der Intendant gestaltend, ordnend, erfindend bis in das Kleinste eingreift, daß er, um es kurz zu sagen, das Feuer des Gefechts nicht scheut. Mut und Geschick wird er nun freilich dazu nur haben, wenn er selbst von der Klinge ist. Man macht Rechner zu Financiers, Juristen zu Richtern, Maler oder Bildhauer zu Direktoren der Akademieen, aber im Gebiet der schwierigsten und verwickeltsten Kunst macht man Hofleute zu Intendanten. Es ist ein Widersinn, der kaum widersinniger gedacht werden kann.«

»Wenn ich dir auch alles das zugeben will, so würde das Versiegen des Repertoirs der Sache ein Ende gemacht haben,« sagte der blaue Domino.

»Leben ruht auf sich selbst, wird durch sich selbst verbürgt, weiß sich seine Zuflüsse zu öffnen!« rief der Schwarze. »Über einem Institut voll Kraft und Blut waltet sein Stern. Ich weiß nicht, was ich noch alles hätte geben lassen sollen, meine Projektenzettel enthalten manches seltsame, phantastische, poetische, gewagte Problem verzeichnet. Da fallen mir eben beispielsweise Fortunat, Manfred, Drei Vergeltungen in einer, Demetrius, den ich fortsetzen wollte, Almansor, versteht sich etwas zugestutzt, Grabbes Napoleon, scenenweise phantasmagorisch-tableauartig behandelt, Ödipus Rex ein. Denn auch an die antike Tragödie wollte ich mich wagen. Was davon mißlungen, was geglückt wäre, wer weiß es? Die Bühne aber würde fortgelebt haben 20 in dem neuen, alles hazardierenden Geiste. Konnte mittlerweile nicht ein frisches Talent erblühen,. und seine Kraft zu einem Theater hingezogen fühlen, welches ihm mehr Chancen für den Erfolg origineller Gedanken darbot, als ein anderes?

Du siehst also, Freund, wie sich die Sache eigentlich verhält. Die Düsseldorfer Bühne ist nicht an einem innern Leiden, sondern einzig und allein daran untergegangen, daß die mehreren Millionen, welche das Kapital unserer hiesigen Optimaten bilden, nicht ein ferneres jährliches Subsidium von viertausend Thalern mehr abwerfen wollten, denn so viel etwa bedurfte sie zu ihrem Fortbestand. Ich will dieses Faktum weder loben noch tadeln, aber konstatiert muß das Faktum endlich doch einmal werden. Ferner ist es faktisch, daß wegen jener mangelnden viertausend Thaler, und nur wegen ihrer, ein Institut zertrümmerte, welches bestimmt zu sein schien, in die Reihe der rheinischen Kulturanstalten mit einzurücken.«

Die beiden Dominos schwiegen. Endlich hob der Blaue, welcher bei seinem Freunde eine trübe Stimmung wahrzunehmen glaubte, wieder an und sagte: »Wirst du nicht die Geschichte dieses Theaters schreiben?«

»Ich kann kaum sagen, ich will sie schreiben, sondern es muß geschehen,« erwiderte der schwarze Domino. »Ich habe die Pflicht, denn ich allein kann doch nur von dem innern Mechanismus der Anstalt und ihren Gedanken im Einzelnen Rechenschaft geben. Nun ist aber die Aufgabe sehr schwer, und die Lösung will mir noch nicht klar werden. Mein Interesse an einer solchen Schrift ist ein rein praktisches: sie soll dem großen Publiko zeigen, auf welche Weise man etwa die Reorganisation der deutschen Bühne beginnen könnte. Ich muß aber, will ich gründlich zu Werke gehen, über viele Materien technisch verhandeln. Das interessiert nur den einzelnen Techniker. Das Publikum, fürchte ich, wird sich dabei langweilen. Es will, wenn es auch nicht auf den Bänken vor den Lampen sitzt, die Entscheidung, nicht den Prozeß.«

»Nun,« rief der blaue Domino, »bis dir die passende Form einfällt, erfreue dich unterweilen an der Geschicklichkeit unsrer Volontäre!«

21 »Nein,« versetzte der schwarze Domino ganz ernsthaft, »an einem solchen Gesellschaftsscherz kann ich mich nicht nachfreuen. Wenigstens ist er in meiner Schätzung ohne allen reellen Wert. Die Maler sind so gute Leute, sie sind mir so gefällig und liebevoll, daß es unrecht von mir wäre, wenn ich nicht einmal ihnen wieder einen kleinen Gefallen thäte, wenn ich ihnen ihren Spaß verderben wollte. Nachher mag ich aber nicht mehr davon reden hören, denn alles Dilettanten- und Zwitterwesen, wozu doch solche Privatkomödien auch gehören, wird einem gleichgültig, wenn man die Dreißig hinter sich hat, doppelt gleichgültig, wenn man, wie ich, die Kunst im strengen Stil und auf ihrem eigentlichen Boden trieb. Erzeige mir also die Liebe, und laß uns von einer Sache nun schweigen, über welche genug und vielleicht schon mehr als genug geredet worden ist.«

Der blaue Domino schüttelte nun abermals, wie im Saal, das Haupt, und ging halb unwillig nach dem Tummelplatze des Festes. Unter der Thüre aber wandte er sich um, und kehrte zu seinem Freund zurück, der hinter dem Tisch sitzen geblieben war. Zögernd kehrte er zurück, in seinem Antlitz kämpfte Verdruß mit wehmütiger Freundlichkeit. Er stellte sich vor den Freund hin, stemmte die Arme in die Seite und sagte: »Bist du nicht seltsam? Da drinnen klingen und jubeln die lustigsten Straußischen Walzer, schöne Mädchen und hübsche Jünglinge entfalten Putz und Reize, dir ist man dankbar für das Vergnügen, welches du der Gesellschaft gemacht hast, und du sitzest hier und grämelst.«

»Man grämelt ja nicht, wenn man über die Dinge, auf welche die Unterredung führt, gerade heraus spricht,« erwiderte der schwarze Domino etwas ungeduldig. »Du, mein freundschaftlicher Kritikus, stellst dich mit diesen und andern Worten, welche ich bisweilen von dir zu hören bekomme, auf die Seite derer, zu denen du doch deinem innersten Sinne nach nicht gehörst. Sie nennen mich erbittert und verbissen, wenn ich nicht jede Meinung, die der Tag eben aufbringt und sanktioniert, teile; sie heißen mich vornehm, weil ich nie habe Klique mache mögen. Das Komische bei der Sache ist, daß mich der hohe Adel, soweit er von mir Notiz genommen hat, seinerseits wieder für einen Antiaristokraten hält. Ja, ich fürchte fast, für noch etwas Schlimmeres, nämlich für eine rustique, wenn nicht gar plebeje Natur.

22 Ein solcher Tanz« fuhr er fort, »der die blühenden Gestalten durch einander wirbelt, hat für mich immer etwas Wehmütiges gehabt, und es beschlich mich dann die tragische Empfindung, welche den Grundton alles innern Lebens ausklingt. Schon als Knabe mußte ich mich oft halten, daß ich nicht in Thränen ausbrach, wenn die muntern Figürchen so hüpften und hüpften, und die Musik in einförmiger Weise immer fort lachte, und der Mond so seltsam blaß sich zwischen den Spalten der Vorhänge zu der Freude herein stahl. Ein schönes Mädchen, für die meine kindliche Empfindung schwärmte, hatte mir einst auf einem Balle fast immer in den begehrlichen Armen geschwebt, ich ruhte nicht und ließ nicht ab, bis sie mir zum nächsten Ball den Tanz versprach, und dann noch einen, und noch einen, ich weiß nicht wie viele. Sie starb aber in der Woche darauf, von einem jähen Übel hingerafft. Nun ging ich zwar als echter Knabe auf den nächsten Ball, aber es war mir doch wunderbar und fürchterlich zu Mut, als ich die von der toten Schönen erschmeichelten Tänze mit den Lebenden tanzte, und es kam mir immer so vor, als müsse ein blasser Schatten in die Thüre treten und unwillig den Finger heben. Es ist ein Symbol in diesem kindischen Vorgange verborgen. Wir sind dem Dunklen, dem Tode versprochen, das Leben reißt uns gleichgültig hin, in dessen Armen wir gleichwohl den ernsten Partner nicht vergessen.«

»Aschermittwochs-Betrachtungen! Es hat noch nicht zwölf geschlagen.«

»Maskenfreiheit! – Alle Gestalten sind beim Karneval zugelassen. Auch der Eremit darf nicht ausgeschlossen werden mit seiner Wüstenpredigt. – Indessen muß ich dir entdecken, daß mich noch andere Gedanken heute bewegen, als solche Reminiszenzen unreifer Jahre. Es kommt ja wohl, daß man zu Flöten und Geigen mit ernsten Melodieen im Kopfe tritt. Diese belgischen Wirren, die so hart an unsrer Grenze tosen, haben mich zu einer Lektüre geführt, die mich in den letzten acht Tagen unausgesetzt beschäftigte, wunderbar bewegte.«

Ein roter Domino, welcher schon seit einiger Zeit in der Nähe umhergewandelt war, und hin und wieder dem Gespräch zugehört hatte, trat jetzt zwischen die Redenden, legte dem Schwarzen die Hand auf die Schulter und rief: »Was?« . . . 23

»Ein garstig Lied! Pfui, ein politisch Lied!
Ein leidig Lied!« –

»Mehr eine historische Chorstrophe!« versetzte der schwarze Domino.



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