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17

Als Greta den Redaktionsdiener gebeten hatte, sie bei Herrn Lerse zu melden, setzte sie sich auf einen der vielen Stühle, die rings an den Wänden des Warteraumes standen. Auf dem großen grünbezogenen Tisch lagen die Zeitungen des Verlages aus.

Greta nahm eines der illustrierten Blätter und sah Bilder, Köpfe von Menschen, Tiere, Maschinen und Straßen, aber sie erfaßte nicht den Sinn dieser Dinge. Ihr Gehirn war für alles verschlossen, was nicht Paulus van Geldern und sein drohendes Schicksal hieß.

Es war sieben Uhr. Der tiefe Raum lag schon im Dämmern. Von irgendwoher kam dumpfes, regelmäßiges Geräusch, wie der rollende Herzschlag eines Riesen. Nur langsam verfiel Greta darauf, daß es die Rotationsmaschinen waren, die so brummten und brausten, die Druckpressen, die jeden Tag Hunderttausende von Zeitungen in das Land hinausschleuderten. Eine Tür ging auf. Hans Lerses dreieckiges Gesicht hing wie eine getönte Steinmaske in der Luft.

Greta sah nur den Kopf mit den beweglichen, durchdringenden Augen, dem harten Spitzkinn, der geraden, in die Luft stoßenden Nase und dem schmalen, fest geschlossenen Mund.

»Womit kann ich Ihnen dienen, Fräulein Heerström?«

Und sie, froh: »Sie kennen mich, Herr Lerse?«

Er nickte: »Natürlich, aus dem Gerichtssaal! Haben Sie etwas Neues über Ihren Mann?«

»Er ist noch nicht mein Mann... wir sind...«

Er bewegte kurz abwehrend den merkwürdigen Kopf: »Alles ist Mann und Frau, was sich liebt und so zueinander gehört wie Sie beide.«

Sie lächelte hilflos.

Er half ihr: »Ich glaube... ich weiß, weswegen Sie herkommen! Sie wollen meinen Beistand, van Geldern rauszuhauen!«

Greta nickte ein paarmal. Sie konnte nicht sprechen.

Der Journalist bat sie, sich zu setzen. Er selbst blieb stehen.

»Ich habe vorhin mit Vierklee gesprochen... mit seinem Büro, er selbst war nicht da... Ist denn etwas Neues?«

»Ja, ja, Herr Lerse!«

»Na, dann bitte, erzählen Sie doch!«

Greta, im Gefühl, sie dürfe den Vielbeschäftigten nicht zu lange aufhalten, verhaspelte sich, überstürzte die Worte und brachte alles durcheinander. Aber Lerse fand sich hindurch, warf das Zusammengehörige zusammen und hatte im Umsehen ein plastisches Bild der Szenen, die sich heute in Moabit im Zeugenraum und später im Gerichtssaal vor Gretas Augen abgespielt hatten.

»Und nun möchten Sie wissen, gnädiges Fräulein, wer diese beiden Menschen sind?«

Er lachte. Das Dreieck zwischen Augen und Mund schien einem Harlekin zu gehören, einem Clown, der plötzlich die tragische Maske abnimmt.

»Bei allem Bösen ist doch immer etwas Gutes! Keine Situation ist so verfahren, daß man nicht herausfindet!«

Und wieder ein kurzes Lachen.

»Was sagen Sie dazu, daß ich Ihre beiden Leute gut kenne... daß ich weiß, wer sie sind und – weit wichtiger! – wer er ist!«

Greta verlor die Beherrschung. Sie griff nach Lerses Arm und drückte ihn leidenschaftlich.

»Ach, sagen Sie mir, erzählen Sie mir alles, was Sie wissen! Vielleicht kann ich ihn damit retten! Ich habe ja keine Gedanken mehr! Ich schlafe keine Nacht! ... Jede Minute, jede Sekunde zermartere ich mir den Kopf, wie ich seine Unschuld beweisen kann...«

Lerse betrachtete nachdenklich das Oval ihres Gesichtes, in das die Röte der Erregung bis zur Stirn hinauf in den hellen Haaransatz stieg... Sie war sehr schön, diese Greta Heerström – schön und süß, wie ein Märchenbild. Irgendeine Erinnerung aus seiner Jugend wehte Hans Lerse an.

In der nächsten Sekunde war er wieder bei den Dingen, derentwegen sie hergekommen war und die bewältigt werden mußten.

Mit einer Schnelligkeit, wie sie nur der menschliche Gedanke in einem trainierten Gehirn möglich macht, entstand vor ihm ein Aufriß der ganzen Situation, des Prozesses und des Kampfes, den Paulus van Geldern mit der Justiz um sein Leben führte. Und in diesem Augenblick durchbrach Hans Lerses Denken die Erkenntnis: Der angeklagte Rechtsanwalt war unschuldig!

Und während er das dachte, erzählte er Greta von den beiden Menschen, an die sich des Mädchens Argwohn klammerte: »Lula de la Rocca, alias Luise Ocker, ist die Tochter einer Waschfrau und hat sich schon mit fünfzehn Jahren selbständig gemacht. Zuerst manikürte sie in einem Etablissement, das von der Polizei ausgehoben wurde, wobei Lula in die Fürsorge geriet. Da ist sie wohl – durch Fürsprache wahrscheinlich – nicht lange geblieben, denn vor zwei Jahren – jetzt ist sie achtzehn – habe ich sie schon wiedergesehen. Ich traf sie damals in Heringsdorf mit einem regulären Schieber – ich darf doch offen sprechen, gnädiges Fräulein?«

»Ich bitte darum, Herr Lerse!«

»... Das war also noch sehr Halbseide damals. Und unsere Lula hatte Pech, ihr Kavalier wurde in Misdroy wegen Zechprellerei verhaftet. Aber sie fand gleich wieder Anschluß... Sie spricht ein wenig Französisch, sonst ist sie blitzdumm... aber durchaus nicht bösartig, und von einer Temperamentlosigkeit, die sich mit solchem Beruf eigentlich, sollte man meinen, nicht vereinigen läßt. Sie hat dann mehrfach ihre Freunde gewechselt. Und jetzt seit ein paar Monaten ist sie, soviel ich weiß, mit dem Fürsten Bavaridze zusammen.«

Greta blickte fragend auf.

Lerse zog ein goldenes Zigarettenetui aus der Tasche und bot es Greta.

Sie lächelte nur zerstreut.

»Ja, und dieser Fürst... wer das ist, gnädiges Fräulein, wenn ich Ihnen das sagen soll...?« Er tat einen tiefen Zug aus seiner Zigarette: »Wer dieser Mann in Wirklichkeit ist, das weiß eigentlich niemand. Auf jeden Fall ein tadelloser Kavalier. Er ist das, was man vor dem Kriege einen Gent nannte... damit durchaus noch kein Gentleman... Ich kenne ihn nur ganz oberflächlich. Er hat mich interessiert durch seine etwas ausgefallene Note – aber ich muß noch einmal um Entschuldigung bitten, gnädiges Fräulein! Ich weiß nicht, ob ich mich bei diesem Thema so ganz in den nötigen Grenzen werde halten können?«

»Ich bitte, lieber Herr Lerse, legen Sie sich keine Beschränkung auf. Es gibt nichts, was ich in dieser Sache nicht hören kann und will... wo es sich um meinen... um meines Mannes Leben handelt!«

Der Journalist nickte ihr zu.

»Also! Der Fürst Bavaridze soll aus dem Kaukasus stammen. Andere Leute wollen wissen, daß ihn ein persischer Großwürdenträger auf dem Basar in Teheran aufgelesen hat, um ihn in seinen Palast auszunehmen – ja, das gibt es in Teheran, gnädiges Fräulein! Ob dieser mehr oder minder echte Fürst, wie behauptet wird, in geheimer Mission hier tätig ist«, Lerse hob die Schultern, »oder ob er als Hochstapler sein Geld verdient, das kann ich nicht sagen! Jedenfalls ist er klug, sehr gebildet und für meine Empfindung das Urbild eines diabolischen Menschen.

Aber was man über ihn spricht, ist noch viel interessanter! Er soll gegen Männer aufopfernd sein, dafür desto kälter und grausamer gegen all die Frauen, die er skrupellos für seine Zwecke benutzt... und das zeigt am besten sein Gesicht: Lieben tut dieser Mann niemand außer sich selbst! Ja, man sagt – ich bitte nochmals um Verzeihung, gnädiges Fräulein –, daß sein Spitzname Narziß durchaus verdient ist. Trotzdem dienen ihm die Frauen wie Sklavinnen. Dabei ist er durchaus nicht etwa knauserig oder läßt es seiner jeweiligen Leibeigenen an irgend etwas fehlen. Und daß er etwa von einer Frau Geld nehmen würde, das halte ich für gänzlich ausgeschlossen! Aber um auf das zu kommen, was sie vielleicht vermutet haben: ein Verbrecher und womöglich ein Mörder, das ist Orloff-Bavaridze nicht...« Lerse besann sich. »Das heißt, man kann ja nie wissen! Die Menschen sind und bleiben Rätsel, die Auflösung bringt meistens erst der Tod!«

Das Tischtelefon klingelte.

Lerse nahm den Hörer ab und meldete sich.

Greta konnte sein Gesicht sehen, das plötzlich straff in den Muskeln und gespannt um Mund und Augen wurde.

Er horchte und verriet nur ab und zu mit einem Laut sein Interesse.

Es dauerte eine ganze Zeit. Greta wurde wieder unruhig und ängstlich.

Lerse sah sie an und sagte hastig: »Einen Augenblick, gnädiges Fräulein!« Dabei deckte er die Hand über den Schalltrichter und lauschte weiter, wie es schien, von einem starken Gefühl getrieben.

Dann legte er langsam und vorsichtig den Hörer in die blanken Haken des Apparates, wendete sich Greta zu und sagte, ohne sie anzusehen: »Nachricht von der Polizei, Willi Vogel ist tot!«

Das Mädchen erschrak so, daß ihre Lippen zitterten. »Was ist denn... was ist denn mit ihm?«

»Ich weiß auch noch nicht... ich muß sofort hin ... nach seiner Wohnung!«

Er überlegte einen Augenblick. Dann, wie zu einem Kinde: »Sie brauchen sich nicht zu ängstigen!« Er berührte behutsam ihren Arm. »Wirklich, es ist kein Grund dazu vorhanden! Wir sind noch nicht an unserem Ziel, aber wir werden hinkommen...«

Greta stand, als Hans Lerse sich längst von ihr verabschiedet hatte, noch immer neben dem Tischtelefon, bis der Redaktionsdiener kam und höflich sagte: Das gnädige Fräulein wisse wohl den Weg nicht, er wolle sie hinausgeleiten!


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