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8

Der Justizwachtmeister trat an den Vorsitzenden heran und sagte leise: »Das ist der Zeuge Reinert, Herr Landgerichtsdirektor, der Mann will eine wichtige Bekundung machen.«

»Reinert? ... Reinert? Doch nicht etwa der Detektiv?«

»Jawohl, Herr Vorsitzender!«

»Soll mal vortreten!... Kommen Sie mal gleich her, Herr Reinert. Sie kommen uns gerade paßrecht! Was haben Sie zu bekunden? ... Ach so, ich muß Sie erst vereidigen!«

Die Vereidigung geschah. Dann berichtete der Detektiv, er halte sich seit Anfang des Prozesses, zu dem er ja auch geladen sei, zur Verfügung des Gerichts und wäre die ganze Zeit draußen im Zeugenraum gewesen. Da habe er heute ein Gespräch oder wenigstens Brocken davon zwischen einer Dame und einem Herrn aufgefangen, das, wie er glaube, von großer Wichtigkeit sei: Ein Fräulein, das von den anderen Loni genannt wurde, hätte mit einem großen blonden Herrn, der Gert hieß, gesprochen. Wahrscheinlich sei die Dame eifersüchtig gewesen. Sie habe ihm andauernd Vorwürfe gemacht, und zuletzt hätte sie ihm gedroht, wenn sie ihn noch ein einziges Mal mit der anderen zusammen sähe, würde sie alles sagen, was sie wüßte. Dann könnte er am Ende da sitzen, wo jetzt van Geldern säße.

Der Vorsitzende sah hinüber zum Staatsanwalt und dann zu Doktor Vierklee. Dann wandte er sich an Reinert: »Nehmen Sie bitte einen von den Justizwachtmeistern mit. Gehen Sie raus in den Zeugenraum und bringen Sie die beiden Leute herein!«

Der Detektiv verschwand mit langen Schritten. Der Saal war in Hochspannung.

Hallmann unterhielt sich mit seinem rechten Nachbar. Drüben auf der Reporterseite wisperte erregtes Fragen und Vermuten. Hans Lerse konstatierte: »Die erste große Sensation!... Vierklee will 'n uppercut landen!«

»Nutzt ihm alles nichts«, grunzte Balling von der Kriminalzeitung, »van Geldern war schon groggy, wie's noch gar nicht angefangen hat!«

Aber der Zeichner Paul Hansen, der eben Alla Berber mit dem letzten Schmiß ihrer zierlichen Persönlichkeit aufs Papier legte, blickte jetzt auf und meinte trocken:

»Den Reinert kenn' ich. Der Junge ist echt. Wenn der erst einen auf der Gabel hat, dann schwört er 'n direkt nach Plötzensee!«

Die anderen verbissen sich das Lachen. Der Protokollführer Doktor Lebermann drüben in der Saalecke beim Angeklagten blickte her. Er saß öfter mit Hans Lerse und Paul Hansen im »Blauen Kaninchen« und hätte seinen Platz jetzt gar zu gern mit der Journalistenbank vertauscht, um, wie er selbst sich in Gedanken ausdrückte, »den lieben Toten auch mal von der anderen Seite zu betrachten«

Der Detektiv kam wieder in den Saal und zwischen ihm und dem Justizwachtmeister der blonde Gert Stiebitz und die rotlockige Loni Bomperle.

Hallmann ließ den hochgewachsenen, auffallend hellblonden jungen Mann zuerst vortreten.

»Ihr Nationale bitte!«

Landgerichtsrat Schnellpfeffer machte seinen Nachbar leise auf etwas aufmerksam, und Hallmann sagte mit hastigem Nicken: »Sie, Fräulein, gehen noch solange raus!«

Loni Bomperle erschrak, wollte etwas erwidern, aber der Justizwachtmeister berührte ihre Schulter und führte sie hinaus.

»Also, wie heißen Sie?«

»Ich heiße Gert Stiebitz, bin am zwanzigsten Juni 1899 geboren, zu Glambitz in der Neumark auf dem Rittergut meines Vaters.«

»Haben Sie studiert?«

»Nein. Ich wollte Offizier werden ... war im Kadettenkorps in Lichterfelde und bin 1916 aus der Obersekunda ins Feld gezogen, als Fähnrich.«

»Und nach dem Kriege, was haben Sie da gemacht?«

»Ich bin Landwirt gewesen, habe ein Jahr studiert ... Nationalökonomie... dann auf der Landwirtschaftlichen Hochschule ... habe mich auch als Journalist versucht ... und habe dabei mein väterliches Vermögen so langsam aufgegessen ... außerdem bin ich mehrfach Verbänden beigetreten.«

»Sind Sie vorbestraft?«

»Nein, Herr Vorsitzender.«

Hallmann nickte: »Sie sind hier eigentlich als Zeuge geladen, aber es stellen sich nun im Laufe der Verhandlung Dinge heraus, die den Verdacht nahe legen, daß Sie mit dem Morde an Frau Martha Streckaus irgendwie in Verbindung stehen. Und jetzt antworten Sie mir präzis und wahrheitsgemäß weiter auf meine Fragen!«

Unwillkürlich straffte sich die Gestalt des blonden Gert.

»Wovon leben Sie also, Herr Zeuge?«

»Ich beziehe Gehalt von meinem Verband.«

»Wieviel?«

Der Blonde zögerte: »Muß ich das hier sagen?«

»Ja.«

»Also dreihundert Mark im Monat.«

»Und davon bestreiten Sie diesen Aufwand?«

»Ich lebe sehr einfach, Herr Landgerichtsdirektor!«

»Das sehe ich an Ihrem Anzug, an Ihrer Krawatte und an dem großen Brillanten, den Sie an der linken Hand tragen!«

»Die Sachen stammen noch aus einer besseren Zeit!«

Hallmann sah einen Augenblick in seine Akten und schoß plötzlich wie aus dem Hinterhalt die Frage auf den Zeugen ab: »Wo waren Sie am fünften Januar des Jahres nachmittags um vier Uhr?«

Der Blonde sah verwundert aus: »Wie soll ich denn das jetzt noch wissen?«

»Nun, dann werden wir Ihrem Gedächtnis etwas nachhelfen!« Er blickte nach der Zeugenbank hinüber. »Komm doch mal noch vor, Rose.«

Das Kind lief schnell zum Richtertisch.

»Ist das der Herr, den du damals hast aus der Droschke steigen sehen in der Quintenallee?«

Das kleine Mädchen, jetzt viel sicherer, blickte ohne Furcht zu dem großen Manne hinauf, der gleichmütig auf die Kleine herablächelte. »Kann er mal seinen Hut aufsetzen?« fragte Rose leise.

»Setzen Sie bitte Ihren Hut auf, Herr Zeuge ... nein, bleiben Sie hier! Der Justizwachtmeister wird ihn holen!« – Und zu Rose Mutmann: »Kannst du dich denn auf das Gesicht besinnen?«

»Ja ... ja ... aber er war nicht blond. Er hatte so schwarzes Haar, das sah wie Seide aus ...«

Hallmann faßte Gert Stiebitz fest ins Auge: »Und wenn auch die Zeit mit allen ihren Erschütterungen und Schwankungen manches von der anständigen Gesinnung Ihrer Jugendtage fortgewischt hat – Sie können doch nicht ganz vergessen haben! So frage ich Sie denn noch einmal: Wo waren Sie am fünften Januar?«

Der andere schwieg.

»Als Sie vor einiger Zeit geladen wurden, hier als Zeuge zu erscheinen, da müssen Sie sich ja klar darüber geworden sein, um was es sich bei diesem Prozeß handelt und warum das Gericht gerade Sie als Zeugen geladen hat! Sie wissen ganz genau, daß es um den Mord an Martha Streckaus geht. Sie wissen auch, daß die arme Frau an diesem fünften Januar in ihrer Wohnung draußen in Westend erstochen worden ist. Und da wollen Sie mir einreden, Sie hätten sich noch nicht überlegt, was das für ein Tag war und was Sie selbst an diesem Tage getan haben?«

Gert Stiebitz' Gesicht war wie mit einer undurchsichtigen Gardine verhängt: »Ich kann mich nicht erinnern, Herr Landgerichtsdirektor!«

»Dann setzen Sie sich dort drüben auf die Zeugenbank ... nein, halt, setzen Sie erst mal den Hut auf« – der Beamte hatte den weichen Filzhut, der dem van Gelderns ähnlich sah, aber eine dunkelbraune Farbe hatte, geholt und dem Vorsitzenden übergeben.

Gert Stiebitz nahm die Kopfbedeckung und zog sie, einem anscheinend unwillkürlichen Impuls folgend, tief in die Stirn.

»Tragen Sie denn immer Ihren Hut so?«

Zum ersten Mal erschrak Gert Stiebitz. Er hatte die beiden Kinder sofort erkannt. Rose Mutmann ebenso wie die noch auf der Zeugenbank sitzende Alla Berber. Er wußte ja auch, daß die beiden kleinen Mädchen eine Hauptrolle in dem Prozeß spielten. Und mit einer tiefen inneren Besorgnis, unter der gleichgültigen Maske nur halb verborgen, hatte er seinem Verhör entgegengesehen. Aus dieser Angst heraus, erkannt zu werden, hatte er eben den Hut tief ins Gesicht gedrückt.

»Alla Berber«, rief der Vorsitzende, »komm' du auch mal her! Nun seht euch beide mal den Herrn an!«

Alla war gleich fertig: »Er wäre es, Herr Präsident, wenn er schwarze Haare hätte.«

Und Rose: »Nein, es waren gar keine Haare, es war wie Seide!«

Hallmann fragte: »Haben Sie uns jetzt etwas mitzuteilen, Herr Zeuge?«

Gert Stiebitz hatte nichts als ein stummes Nein.

»Also setzen Sie sich auf die Bank, aber bitte etwas entfernt von den beiden kleinen Mädchen ... Braune!«

Der Justizwachtmeister kam herüber.

»Die Zeugin Bomperle!«

Loni Bomperle, eine fesche Wienerin, wie aus einem Magazin herausgeschnitten, schwippte herein.

»Also, Herr Präsident, da schaugen's ...«, wollte sie nach der Vereidigung anfangen.

Aber Hallmann nahm Loni gleich fest in die Finger.

»Ich will von Ihnen wissen, was Sie hier in Berlin für einen Beruf haben!«

»'an Beruf, Herr Präsident? Aber ja, an Beruf hab i aa! I bin Manicür' ... Schönheitspflege, wissens ... gelt? ... Oh, i bin lange Zeit bei Miß Ellinor in der Viktoriastraß' gewesen. Und da hab i a mein Schatz kennen 'lernt, den Gert ... der is da 'kommen un hat sei Freindin, die klane Blanche-Maria, abholen wollen ... aber die Blanch-Maria war schon lang' furt ... Der Baron Schani...«

Hallmann schüttelte verzweifelt den Kopf: »Wo sollen wir denn da hinkommen! Ich will von Ihnen weiter nichts, als daß Sie mir sagen, wovon Sie jetzt leben!«

Die Loni lehnte ihren kupferroten Kopf gegen die nackte Schulter und sah aus ihren Veilchenaugen so lieb zu Herrn Hallmann auf, daß selbst der »große Richter« nicht hart bleiben konnte. Er nickte leise:

»Also auch eine von den Lilien auf dem Felde.«

Dann wurde er wieder ernst: »Also nun, Fräulein Loni, nun sagen Sie uns mal ganz aufrichtig: Was wissen Sie von dem fünften Januar, und zwar vom Nachmittag?«

Ein Erschrecken, in dem der Zauber ihrer Erscheinung fast zerfiel, ging über Lonis Gesicht. Sie wandte sich jäh um. Ihr Blick tastete die Reihen der Zeugen hinunter und klammerte sich an den blonden Gert, der dort immer mit der gleichen Miene absoluter Sorglosigkeit und seinem fatalen Lächeln saß.

»Hat er was gesagt, Herr Präsident?«

»Sie sollen hierher sehen! Nicht umdrehen, verstehen Sie!«

Gehorsam, zitternd und halb besinnungslos stand Loni und sah den Richter an.

»Haben Sie miteinander über den Mord gesprochen?«

»Ja, Herr Präsident ... ja ... ich ...«

»Was haben Sie gesprochen?«

»Daß er fort gewesen is an dem Tag ... der Gert ...«

»Weswegen? ... weshalb war er fort?«

»Er hat mei Freindin, die Martha, die hat er halt b'suchen wollen ...«

»Wozu, zu welchem Zweck?«

»Mir ham ka Göld nöt gehabt, un da hab' i mein Schmuck g'nomm, dös Halsband mit die Brülliant'n, und die Martha, die hat's mir b'leihn sollen ... Aber ... sie war nöt da ... er hat's nöt troffen!«

Der Landgerichtsdirektor reckte sich hoch auf in seinem Stuhl: »Herr Stiebitz!«

Der blonde Gert schnellte empor.

»Treten Sie einmal vor!«

Gert marschierte förmlich an den grünen Tisch heran.

»Warum sagen Sie mir nicht die Wahrheit? Hier ist doch gar nichts zu verschweigen! Das ist doch eine ganz einfache Sache: Sie haben kein Geld gehabt, was nur zu erklärlich ist, bei der ewigen Differenz zwischen Ausgaben und Einnahmen ... Ihre Freundin hatte auch nichts, da sind Sie hingegangen, haben sich was borgen wollen! ... Wär's Ihnen denn lieber, Sie ständen jetzt hier unter Mordverdacht?«

Der große, blonde Mann hatte den Kopf sinken lassen. Sonst stand er aufrecht und unbeweglich. Er setzte sich, als ihn der Vorsitzende fortwinkte, wieder auf die Zeugenbank. Neben ihm nahm die schöne Loni Bomperle Platz. Aber alle ihre Versuche, ihn flüsternd zu einer Äußerung zu bringen, blieben umsonst.

Doktor Vierklee erhob sich: »Gestatten Sie, Herr Vorsitzender: wenn auch nach der Aussage der Zeugin Bomperle kaum ein Zweifel mehr daran sein kann, daß der Zeuge Gert Stiebitz als Täter nicht in Frage kommt, so müßte der Widerspruch in der Haarfarbe doch aufgeklärt werden. Ich meine ...«

Hallmann nickte: »Die Kinder sagen, er ist schwarz gewesen und hat Haare wie Seide gehabt. Und wir sehen hier: der Zeuge hat in Wirklichkeit ungewöhnlich hellblondes Haar ... Also, Herr Zeuge, wollen Sie uns darüber aufklären? Treten Sie noch einmal vor!«

Gert Stiebitz gehorchte und sagte, starr vor sich hinblickend: »Ich hatte meine schwarzseidene Frisierkappe über das Haar gezogen. Ich wollte von niemandem erkannt werden.«

»Weshalb? Warum nicht?«

»Weil ich nicht als Verehrer von Frau Martha Streckaus gelten wollte!«

Hallmann lachte halblaut: »Wieso? Fräulein Bomperle war wohl sehr eifersüchtig? ... Und wann sind Sie nun tatsächlich dort im Hause gewesen?«

»Das kann ich so genau nicht sagen, Herr Landgerichtsdirektor ... wahrscheinlich vor drei Uhr.«

»Und da war Frau Streckaus nicht im Hause?«

»Nein.«

Der Vorsitzende verzichtete auf ein weiteres Verhör. Man war mit diesem überraschenden Intermezzo in eine Sackgasse geraten.

Er gab dem Justizwachtmeister eine Weisung, der hinauseilte, um die Zeugin Heerström aufzurufen.


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