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Die kleine Kuckucksuhr, die zu Häupten des Lagers hing, auf welchem die Tote ruhte, schlug mit hastigen Klängen drei.

Heinz Marquardt blickte traumverloren auf ...

Wie die Zeit vorwärts ging, trotzdem die Trude nun nicht mehr lebte und die Schläge der kleinen Uhr, die sie so gern gehabt hatte, nicht mehr hören konnte ... Aber noch war sie ja bei ihm, und er wollte sie nicht von sich lassen! Nein, wenigstens den Anblick ihres süßen Gesichts wollte er behalten ...

Der Polizeileutnant trat wieder herein und sagte:

»Die Beamten ziehen sich jetzt zurück, Herr Marquardt, ich möchte Sie bitten, auch zu gehen, damit ich die Wohnung zuschließen kann, denn Sie können doch hier nicht bleiben.«

In dem Gesicht des jungen Beamten bewegte sich keine Muskel, als Heinz erwiderte:

»Ich bleibe hier. Und wenn Sie mich mit Gewalt entfernen, breche ich die Türen entzwei und komme wieder her.«

Er sprach das nicht etwa leidenschaftlich, sondern mit der Ruhe, dem kalten Gleichmut, der sich ihm mitgeteilt zu haben schien aus der Nähe des großen Unbekannten, der in diesem Zimmer weilte.

Der Polizeileutnant zuckte die Achseln; er wußte nicht, was er tun sollte.

Aber er hatte auch nicht das Herz, seinen Leuten zu sagen, da nehmt ihn und führt ihn hinaus. So entschloß er sich denn nach einigem Zögern zu der Äußerung:

»Wenn Sie es nicht anders wollen, so bleiben Sie! ... Ich werde Sie aber einschließen, und Sie dürfen nichts von der Stelle rücken und verändern, denn uns liegt daran, daß das Bild der Räume ganz so bleibt, wie wir es gefunden haben ... Es werden nämlich«, setzte er erklärend hinzu, »schon morgen in aller Frühe die Gerichtsphotographen kommen, um hier Aufnahmen zu machen.«

Heinz Marquardt schwieg.

Was der Polizeibeamte da sagte, interessierte ihn gar nicht. Auch dessen leisen Gruß erwiderte er nicht und blieb, als er allein war, noch lange Zeit in unveränderter Haltung neben dem Bette sitzen.

Die Lampe auf dem Nachttischchen fing an zu blaken, und ein übler Petroleumduft durchzog den kleinen Raum. Der Büroschreiber zog die Luft ein, stand auf, aber auf halbem Wege bis zum Nachttisch kehrte er wieder um, denn alles, was in seinem Kopf und Herzen noch lebte, riß ihn unwiderstehlich zurück zu seinem toten Weibe. Erst nachdem er eine ganze Zeit gesessen hatte, ging er hin und schraubte die Lampe herunter, um dann instinktiv das Fenster zu öffnen und sich wieder neben der armen Trude niederzulassen.

Und nun, wie er in ihr entfärbtes Gesicht starrte, von dem der Hauch des Todes das süße Rot gestreift hatte, und dessen kindliche Zartheit einer erhabenen Ruhe gewichen war, nun fing in seinem Kopfe, in dem vorher, wie durch eine gewaltige Explosion, alles über den Haufen gestürzt war, nun fing es sich wieder an zu regen, und die Gedanken erhoben sich, schlugen ihre Augen auf und begannen noch irr- und ratlos, aber doch schon forschend und tastend um sich zu blicken.

Trude war tot.

Wieso denn?

Wodurch?

Durch wen?

Durch wen? Durch wen? Durch wen? Durch wen? Durch wen?

Heinz Marquardt fuhr – als schnellten plötzlich in seinen Beinen Stahlfedern empor – so fuhr er mit einem Ruck in die Höhe.

Nun stand er da, ganz gerade, aber den Körper in einem leichten Winkel gegen den Erdboden vorgeneigt. Seine Arme streckten sich mit ihren Fäusten stracks herunter nach dem Erdboden, und unter seinem wirren, schwarzen Haar stierten die Augen mit plötzlich erwachendem Feuer drohend in den Schatten des Bettes hinein.

Die Trude war plötzlich wie weg, er sah nichts mehr.

Er suchte.

Wer? Wer? Wer? Wer? Wer hatte sie ermordet?

Und auf einmal fing dieser Mensch an, sich wieder zu bewegen.

Erst langsam mit schweren, plumpen Schritten, wie eine Maschine, die im Antrieb ist. Dann arbeiteten seine Glieder schneller, er ging nicht mehr, er rannte, er raste durch das Zimmer ...

Und plötzlich blieb er wieder stehen, mit seinen brennenden Augen auf die Tote hinabschauend.

Wer hat dich ermordet?

Das sagte er nicht, aber seine Augen schrien es in lauter heulenden Schmerzensschreien hinab auf den Leichnam.

Und wie er abermals auf den Stuhl sank, wie wieder Tränen über seine Wangen liefen, da endlich war der Bann in seinem durch dieses furchtbare Ereignis fast zerschmetterten Hirn gebrochen, der Gedankenapparat arbeitete wieder ruhiger, und wenn auch der Gang seiner Ideen noch oft von wilden Schmerzen unterbrochen wurde, so begann doch schon wieder die Logik sich seiner zu bemächtigen, und der bei ihm so hervorragend ausgebildete Spürsinn fing an, Fährten zu suchen und zu verfolgen.

Von den tausend Gedanken, die seinen Kopf durchkreuzten, hieß der erste: Du mußt dich der Polizei zur Verfügung stellen und mit tätig sein bei der Auffindung des Mörders ... Ob man ihn als Helfer willkommen heißen würde? Oh, keine Frage! Obgleich ... So ein ganz leises Mißtrauen störte ihn da in seiner Zuversicht. Er hatte die Fragen des Herrn Geheimrats von vorhin noch nicht vergessen.

Aber würde er ihnen denn helfen können? Diesen Leuten, die so bewandert waren in der Auffindung von Verbrechern? ... Das heißt auch von Mördern? ... Es war doch schon eine ganze Anzahl solcher Schurken unentdeckt geblieben ... Und der, der ...

Die Raserei des Schmerzes bemächtigte sich seiner wieder; er warf sich vor dem Bett nieder, daß ihm die Knie schmerzten, und vergrub seinen Kopf in die Kissen. Doch der Anfall hielt nicht mehr so lange an wie vorher. In seinem Herzen war etwas erwacht, eine Empfindung, die alle anderen zu Boden schlug und jedes Hindernis aus dem Wege riß: der Durst nach Rache.

Wer war es? Wer war es gewesen?!

Und diese Frage, die wild, wie ein Irrsinniger in das Wesenlose hinausstarrte, glättete sich allmählich und wurde vernünftig und zerlegte sich in tausend Kombinationen und Möglichkeiten.

Wer kam denn in Betracht? Wer konnte es denn gewesen sein?

Stehend beugte er sich nieder, nahm die eiskalte Hand der Toten in die seine und preßte sie lange Zeit an seine fiebernden Lippen.

»Ich finde ihn!« murmelte er. »Ich finde ihn, verlaß dich darauf, mein Liebling! ... Und hier, hier! ...«

Er hatte die Totenhand fallen lassen, und seine eigenen, zu Krallen gekrümmten Fäuste vor die Entschlafene hinstreckend, schrie er laut:

»Damit werde ich ihn zerreißen! Zerreißen werde ich ihn!«

Und die Frage kam wieder, die große Frage, die sich schon anschickte, mit blutigen Augen hinter dem Mörder her zu schleichen, und ließ die Arme schlaff herabsinken und ließ sein Auge, in dem noch eben der Mord flammte, nach innen schauen, wo die Bilder sich drängten, die sein und Trudes Leben umfaßten.

Da rannte sein Argwohn weiter bis zu dem verstörten und verdüsterten Gesicht seines Bürokollegen, des kleinen Maaß, hin.

Sollte der ...?

Heinz Marquardt schüttelte unwillkürlich den Kopf. Das konnte er sich nicht denken. Warum denn? Wenn der das beabsichtigt hätte, weshalb würde er so lange damit gewartet haben? Und dann, der Rothaarige erschien ihm dazu nicht mutig genug.

Aber wer? ... Einer war's doch, und den mußte er finden, er mußte ihn finden, und wenn er bis ans Ende der Welt laufen sollte! ...

So konnte sich keiner verstecken ... Oh, er hatte Zeit: Er würde nicht nachlassen, und wenn sein Leben darüber hinginge. Und wenn er ihn hatte, wenn er ihn eines Nachts in einer Schenke oder beim Laternenlicht am Ende einer dunklen Gasse zu packen kriegte, dann würde er ihn hinausschleppen in das dunkle Feld, bis dahin, wo kein Mensch mehr war, wo niemand einen Hilferuf hörte, und da würde er ihn mit seinem Messer quälen und peinigen, so lange quälen wollte er ihn, bis der Hund eingestanden hatte, und dann ihn zum Richter bringen ... Oder nein, lieber selber das Urteil an ihm vollstrecken, daß nicht etwa durch verfluchte Advokatenkniffe der Henker um sein Recht kam!

Heinz Marquardt schüttelte leise den Kopf, soweit war er ja noch nicht. Erst mußte er ihn suchen und finden. Denn sich auf die Polizei verlassen, das fiel ihm gar nicht ein. Gewiß, er wollte ihnen seine Hilfe anbieten, aber wenn sie sie nicht annehmen, wenn sie ihn nicht mit offenen Armen willkommen hießen, dann würde er allein hinauswandern in die Nacht und würde diese Riesenstadt durchsieben wie eine Hand voll Erde und würde sich nicht Schlaf und Ruhe, nicht Speise und Trank gönnen, bis er den hatte, der ihm alles genommen!

Seine Augen irrten im Zimmer umher, er wußte nicht, was er da suchte, aber sein Instinkt lehrte ihn, daß man hier vielleicht irgendetwas finden könne, und daß, wenn man etwas finden würde, es von unglaublicher Wichtigkeit wäre.

Aber er sah nichts, und wieder sprangen seine Blicke hinauf zu ihr, die sie kaum verlassen hatten und liebkosten ihre blassen Wangen und die entfärbten kleinen Hände.

Und wie er sie so mit immer wieder feuchten Augen ansah, da fiel ihm plötzlich etwas ein ... Die Polizeibeamten hatten ja gesagt, sie hätte gar nicht hier gelegen auf dem Bett, als er sie fand ... aber er hatte sie doch hier gefunden! ... Hier auf dem Bette liegend ... wo denn sonst?!

Er streichelte ihre blasse Wange und murmelte:

»Armes Herz, was werden sie noch alles reden!«

»Nebenan? ... Im Eßzimmer? ... Weshalb denn da ...?«

Er nahm die Lampe und ging zögernd bis an die Tür, die nur angelehnt war. Aber davor blieb er stehen, als fürchtete er, die Tote da drinnen noch einmal ermordet zu finden.

Nun stieß er die Tür mit einem Ruck auf, und im Entsetzen suchte er mit der freien Linken nach einem Stützpunkt. Seine Augen wurden groß und hafteten voller Angst auf dem Teppich, dessen ihm so wohlbekannter ganz hellgetönter Grund jetzt wie schwarzgefärbt erschien ...

Da hatte sie gelegen? ... Da hatte er sie gefunden? ... Aber nein doch, im Schlafzimmer ... auf dem Bett ... Das Grauen in ihm wurde fortgedrängt durch den eigenen Zweifel ... war es nebenan im Schlafzimmer gewesen? Oder hatte er selbst, wie der Polizeikommissar vorhin gesagt, so sehr seine Fassung und Besinnung eingebüßt, angesichts dieses herzzerreißenden Bildes, daß er nicht mehr wußte, wo er den geliebten Leichnam aufgefunden und in seine Arme gerissen hatte? ... War das möglich, daß man so sehr vergessen konnte? ... Sie mußte doch hier gelegen haben, hier war ihr teures Blut in dunklen Strömen über den Teppich geflossen, und hier hatte ihr Haarkämmchen gelegen, die Kämmchen, die er ihr selbst geschenkt hatte! ... Denn wenn er das auch nicht mit eigenen Augen gesehen hatte oder sich dessen wenigstens nicht recht erinnern konnte, so kamen ihm doch jetzt die Worte der Polizeibeamten, die vorher spurlos an seinem Ohr vorbeigestrichen waren, deutlich ins Bewußtsein ... Und in diesem langsamen Heraufdämmern des vorhin Gehörten begann er schon persönliche Erinnerungen an jenen gräßlichen Moment, den furchtbarsten, den ein Mensch überhaupt erleben kann, zu erblicken.

Denn wie wäre sie sonst von hier nach dem Bett gekommen?! Laufen hatte sie doch nicht mehr können ...

Er schluchzte wild auf bei der Vorstellung, wie sein Weib, sein alles auf der Welt, zusammenbricht unter dem Dolchstoß des Mörders.

... Aber gelitten hatte sie auch nicht mehr, Gott sei Dank! Das hatte der Arzt ausdrücklich gesagt. Und das sah man auch an ihrem lieben Gesicht, das so friedlich leuchtete und keine Spur von Todesangst und Furcht erkennen ließ.

Also mußte er, er selber sie doch aufs Bett getragen haben, wiewohl er sich absolut nicht darauf besinnen konnte ... Der Mörder wird das doch nicht tun! ... Und die Beamten sicher auch nicht.

Er sah wieder auf die ungeheuren Blutflecke und stellte die Lampe auf den kleinen Bauerntisch. Dann brachte er, erst widerstrebend, seine Finger an die dunklen Stellen des Teppichs ... er war noch ganz feucht ... seine Finger wurden rot ...

Da weinte er hell auf und ging zurück und küßte seine Tote. Kam aber gleich wieder herein, als hätte er noch etwas vergessen. Was, fiel ihm nicht ein. Aber seine Blicke suchten, suchten überall an den bekannten Möbeln umher ... nichts ... nichts war zu finden ...

Neben dem Tisch war der eine der vier Nußbaumstühle etwas schief gerückt. Ordentlich wie immer stellte ihn Heinz Marquardt gerade.

Da! ... Was war denn da? ... Ganz unten in dem Rohrgeflecht der Rückenlehne hing etwas. Aha, eine Schlipsnadel! ... Eines der kleinen silbernen Zwanzigpfennigstücke, die längst nicht mehr im Kurs sind, aufgelötet und mit einem Namenszug graviert ... E. Z. ...

E. Z.? ... Des Büroschreibers Gesicht spannte sich in allen Muskeln.

Wer war »E. Z.« ...

 

Die kleine Uhr verkündete mit sechs hurtigen Schlägen den Anbruch der Morgenstunde, da erwachte Heinz Marquardt, den seine Gewohnheit, um diese Zeit aufzustehen, nicht länger schlafen ließ, aus schwerem Traum.

Vornübergesunken auf dem Stuhl neben dem Totenbett, hatte er mit dem Kopf neben dem grellweißen Gesicht der Leiche gelegen.

Ihm war gewesen, als stände er unten auf dem Hausflur und seine Frau beugte sich über das Geländer hinab und bat ihn, doch heute gleich nach Hause zu kommen. Er wollte nicht, und während sie noch miteinander hin und her sprachen, kam es ihm vor, als stürze sie plötzlich herunter, als breite er seine Arme aus, um sie noch aufzufangen – da erwachte er mit einem Angstruf.

Die Lampe schwelte, ein matter Schein fiel ins Fenster, den die erblaßte Nacht hineinwarf.

Heinz Marquardt durchschritt ruhelos ein paarmal die Wohnung; sein Gehirn bemühte sich, der widerstrebenden Eindrücke Herr zu werden, die dieses furchtbare Ereignis hatte auf ihn eindringen lassen, aber es gelang ihm noch nicht so recht, sich zu sammeln.

Jetzt hatte er das Bedürfnis, hinauszugehen, frische Luft zu schöpfen. Ihn fror. Wie er wieder zurückkam in das Schlafzimmer zu der Toten, strich er zärtlich und mitleidsvoll über das starre Antlitz und flüsterte so leise, daß nur die Tote ihn verstand, wenn, wie man sagt, die Toten hören können.

Es war eine merkwürdige Veränderung mit dem jungen Beamten in den wenigen Stunden vor sich gegangen. Sein immer schon ernstes, auf ein festes Ziel gerichtetes Wesen schien jetzt finster und versteinert, seine Bewegungen waren hastig und von einer wilden Leidenschaft erfüllt. Und die schwarzen, eng beieinander stehenden Augen hatten einen harten, mitleidslosen Schein bekommen.

Er zog seinen Paletot an, setzte sich den Hut auf und wollte die Wohnung verlassen. Wie er an der Korridortür war, merkte er, daß man ihn eingeschlossen hatte ... Warum? Sollte er etwa gefangen werden? Wer durfte es wagen, ihn seiner Freiheit zu berauben? Wahrhaftig, er hatte nicht übel Lust, mit den Fäusten gegen die Tür zu donnern, sie einzutreten, um hinauszukommen.

Doch er zwang sich zur Ruhe, und er hatte nicht mehr lange zu warten, da war auch die Polizei wieder da.

Zuerst kamen die Photographen vom Präsidium, um ihre Aufnahmen vorzubereiten. Dann die beiden Kommissare, von denen der eine, namens Bendemann, den Büroschreiber sofort ins Verhör nahm.

»Also Sie sind gestern frühmorgens schon früher als sonst fortgegangen, sagten Sie gestern? Warum taten Sie das?«

Heinz Marquardt, von einer rasenden Ungeduld erfüllt, irgendetwas zu hören oder selbst zu unternehmen, das ihn der Entdeckung des Verbrechens näherbringen könnte, entgegnete unwirsch:

»Weshalb ich früher fortgegangen bin? ... Na, sehr einfach, weil ich zu tun hatte im Büro!«

»Was hatten Sie zu tun?«

Marquardt sah den Beamten an, als zweifle er an dessen Geistesfähigkeiten, dann sagte er, sich gewaltsam beherrschend:

»Ich hatte zu arbeiten, wie jeden anderen Tag auch, nur daß die Arbeit sehr drängte.«

»Gehen Sie häufiger so früh weg?«

Heinz Marquardt schüttelte den Kopf, er wußte nicht, was er aus diesen Fragen machen sollte, dem gab er denn auch ganz offen Ausdruck.

»Weshalb fragen Sie mich denn das? ... Das hat mit der Sache hier nicht das geringste zu tun! Hier handelt es sich doch ganz allein darum, so schnell als möglich auf die Spur dieses verdammten Lumpen zu kommen, der mein armes Weib ermordet hat! Das hat doch nichts damit zu tun, daß ich ins Büro gehe.«

»Beruhigen Sie sich,« sagte der Kommissar, einen raschen Blick mit seinem Kollegen wechselnd, »bei der Beurteilung eines derartigen Falles ist der kleinste Umstand wichtig.«

Und der nun auch hinzutretende Kommissar Hartmuth bestätigte das, indem er wohlwollend sagte:

»Sie müssen nicht etwa glauben, daß wir Sie zu dem Verbrechen in Beziehungen bringen!«

Heinz Marquardt sah ihn mit einem ungewissen Ausdruck im Gesicht an.

»Mich?! ... Mich?! ... Ja, was soll ich denn dabei?« Mit einem Male lachte er wild auf.

»Ach, Sie meinen, ich hätte es getan?! ... Ja, meine Herren, wenn Sie imstande sind, das auch nur einen Moment anzunehmen, dann ist allerdings wenig Aussicht vorhanden, daß Sie den Schuft jemals kriegen werden! ... Dann hat es auch gar keinen Zweck, daß ich Ihnen meine Hilfe anbiete!«

Der Kommissar Hartmuth lächelte skeptisch.

»Ihre Hilfe bieten Sie uns an? Mein Gott, im Grunde genommen, wundert mich das nicht, denn derartige Anerbieten werden uns bei solchen Gelegenheiten sehr oft gemacht, aber ich versichere Ihnen, Herr Marquardt, die Sache hat gar keinen Zweck, ein Laie kriegt in solchen Sachen nie was raus! Ich glaube auch nicht, daß Herr Geheimrat von Rhode darauf eingehen würde. Bis jetzt hat er wenigstens solche Anerbietungen immer kurzerhand zurückgewiesen ... Nein, was Sie in der Sache tun können, das ist einzig und allein, daß Sie mit der größten Präzision die Auskünfte erteilen, die wir von Ihnen brauchen. Sehen Sie mal, das Publikum behauptet immer, wir finden die meisten Mörder nicht. Aber daran ist niemand anders wie das Publikum selber schuld. Teilweise wollen sie uns nicht sagen, was sie wissen, und andernteils sind sie auch nicht imstande dazu, ihre Gedanken im geringsten zusammenzunehmen. Von Ihnen kann man dagegen erwarten, daß Sie dazu imstande sein werden, und nun bitte ich Sie nochmals, uns genau anzugeben, was Sie über die Beziehungen Ihrer Frau, über ihr ganzes Vorleben usw. wissen.«

»Meine Frau«, sagte Heinz Marquardt mit erzwungener Ruhe, »ist die beste und folgsamste Gattin gewesen, überhaupt der liebste Mensch, den es gibt ...«

Er wollte dadurch ähnlichen Erkundigungen, wie sie gestern schon der Geheimrat von Rhode an ihn gerichtet hatte, von vornherein aus dem Wege gehen. Aber das gelang ihm nicht.

Der Kommissar Bendemann nahm jetzt wieder das Wort und sagte, seinen Kollegen ablösend:

»Wir verstehen wohl, daß es einem Ehemann, besonders, wenn es ein anständiger Mensch ist, schwer sein muß, etwas Ungünstiges über seine Frau auszusagen. Aber es sind ganz bestimmte Beobachtungen unsererseits, die uns diese Frage auch heute wieder nahelegen. Regen Sie sich doch bitte nicht so auf!« setzte er hinzu, als er das Wetterleuchten in Heinz Marquardts Gesicht sah, der schon wieder wütend auffahren wollte.

»Wenn wir an den Schauplatz eines derartigen Verbrechens gerufen werden, so haben wir uns jedesmal zuerst die Frage vorzulegen: welcher Art der Mord ist, der hier begangen wurde. Ein Mord kann begangen sein aus Rache, aus Eifersucht, im Affekt, wo er sich dann als Totschlag charakterisiert, aus Wollust und, das ist wohl das häufigste, es kann ein Raubmord sein.«

»Zuerst haben wir natürlich hier auch an einen Raubmord gedacht. Aber dem widerspricht der Befund der Leiche. Es wäre ja freilich denkbar, daß der Mörder sich in einer Zeit, wo die Tote sich nicht in der Wohnung aufgehalten hat, hier eingeschlichen hätte und dann plötzlich aus dem Hinterhalt sein Verbrechen begangen hätte. Aber hierfür fehlen uns alle Anhaltspunkte ... Oder wissen Sie etwas darüber, daß Ihre Frau die Wohnung eine Zeitlang unbeaufsichtigt gelassen?«

»Ja, jawohl,« fiel ihm Heinz Marquardt rasch ins Wort, »das hat sie gestern nachmittag!«

Die beiden Kommissare sahen sich abermals bedeutungsvoll an, dann sagte Hartmuth in weit kühlerem Tone:

»Woher wissen Sie denn das so genau?«

Marquardt schüttelte unwillkürlich den Kopf, als wollte er damit den lächerlichen Verdacht, der schon wieder in den Beamten aufzutauchen schien, ein für allemal beseitigen.

»Ach, ich habe doch gestern mittag noch mit ihr gesprochen! Ich sagte ihr noch extra, sie solle die Kette vorlegen und da ...« Das Schluchzen brach plötzlich wieder wie ein Strom aus seiner Brust hervor, daß er eine ganze Zeitlang nicht sprechen konnte.

Die Kommissare sahen ein bißchen ungeduldig drein, schwiegen aber, durch diesen elementaren Ausbruch schmerzlichen Gefühls mehr als durch jedes Wort abgebracht von ihrem ersten Verdachte.

Endlich sagte Heinz Marquardt, noch immer von Schluchzen unterbrochen:

»Da habe ich sie gefragt, ob sie auch nicht etwa die Tür aufgelassen hätte, weil sie das öfter tat, und da sagte sie ja, sie hätte es getan, aber 'n Augenblick ...«

»Das ändert allerdings die Sachlage«, meinte Bendemann und besann sich eine Weile.

»Aber trotzdem, es fehlt absolut nichts in der Wohnung ... Mit Ausnahme des Portemonnaies, und da sagen Sie selbst, daß nur wenige Mark drin gewesen sein können.«

»Ja,« meinte Heinz Marquardt, »aber ich weiß bestimmt, daß meine Frau einige kleine Ersparnisse hatte, mit denen sie bei Gelegenheit unser Meublement vervollständigen wollte. Wo sie das Geld hingetan hat, das weiß ich auch nicht, aber da war's; sie hat's mir neulich noch erst gezeigt ... es lag in solchem Pappkasten von Zigaretten ...«

»Na, wieviel war's denn?« fragte der Kommissar Hartmuth.

»Ganz genau sagen kann ich es nicht, aber es war ein Zwanzigmarkschein dabei, das weiß ich.«

Hartmuth schüttelte immer wieder den Kopf.

»Ich kann nicht sagen, was mir den Anlaß dazu gibt, aber ich habe solch Gefühl, als spielte das Geld jedenfalls nicht die Hauptrolle bei der Tat.«

»Sie kommen also schon wieder darauf«, sagte Heinz Marquardt wütend.

»Ich bedaure,« sagte der Kommissar kalt, »ich bin Beamter und muß als solcher meine Pflicht tun. Persönliche Rücksichten können mich dabei nur insoweit beeinflussen, als ich freien Blick behalte für das, was mir Tatsache zu sein scheint.«

Er nahm ziemlich rücksichtslos den Kollegen beiseite, flüsterte mit diesem eine Weile und sagte dann, wieder zu Heinz Marquardt hintretend:

»Ich mache Sie darauf aufmerksam, Herr Marquardt, daß Sie alles das, was Sie hier sagen, später zu beschwören haben werden. Und die Eidesformel lautet außerdem noch »daß ich nichts hinzusetzen und nichts verschweigen werde!« Sie werden also einsehen, daß Sie gesetzlich gezwungen sind, alles, aber auch alles zu sagen, was Sie wissen. Und darum frage ich Sie jetzt noch einmal: ist Ihnen irgendetwas hinsichtlich Ihrer Frau bekannt, was die Vermutung nahelegen könnte, daß die Ermordete früher oder später zu irgendeinem Manne in unerlaubten Beziehungen gestanden hätte?«

Heinz Marquardt biß die Zähne aufeinander.

»Nein,« stieß er hervor, »nein, ich weiß nichts, meine arme Trude war mir treu! Sie war das beste, das geliebteste Wesen unter der Sonne! Und nun lassen Sie mich in Frieden! Quälen Sie mich nicht so furchtbar!«

Er wandte sich ab und verhüllte von neuem sein Gesicht.

»Der arme Kerl tut mir leid,« sagte der Kommissar Hartmuth leise zu seinem Kollegen, »und doch bin ich fest überzeugt davon,« er dämpfte seine Stimme noch mehr zum Flüstern, »ich bin fest überzeugt, daß bei der Sache irgendetwas nicht in Ordnung ist. Sieh mal, Bendemann, so sieht 'n Raubmord nicht aus! Der Mensch, der jemand tötet, um ihn zu berauben, bedient sich zunächst nicht des Dolches. Es ist nicht so leicht, jemand mit einem Dolchstich zu töten ... 'n Schlächtermesser, ein Beil, ein Hammer, das alles laß ich gelten, aber ein Dolch? ... Nein! ... Und dann, nachdem der Raubmörder seine Tat vollbracht hat, da läßt er keinen Korb, keine Kommode, keinen Schrank undurchsucht! Er schmeißt die Kleider, die Sachen, die Wäsche, alles schmeißt er auf 'n Boden und hat natürlich gar keine Zeit, wieder was einzupacken. Hier war alles so ordentlich, als hätte überhaupt kein fremder Fuß die Wohnung inzwischen betreten.« Und mit einer leichten Bewegung des Kopfes nach Heinz Marquardt, der am Fenster stand und in den grauenden Morgen hinausstarrte, setzte er hinzu: »Versuche du doch noch mal, ob du nicht irgendeine Form findest, um etwas aus dem Manne herauszuholen. Der arme Kerl kann einem ja leid tun, aber es hilft doch alles nichts, wir sollen und wollen den Mörder haben.«

Darauf ging Bendemann noch mal an den Büroschreiber heran, legte ihm die Hand auf die Schulter und sagte freundlich:

»Sind Sie denn schon lange verheiratet, Herr Marquardt?«

Sich umschauend und den Beamten anblickend, so fremd, als hätte er ihn nie vorher gesehen, meinte Heinz:

»Ja, 'n halbes Jahr ...«

»Wo haben Sie denn Ihre Frau kennengelernt?« fragte der andere ganz harmlos.

Heinz Marquardt wurde auf einmal dunkelrot.

Der Kommissar begriff sofort und meinte mit gespannter Miene:

»Meine Frage scheint Ihnen nicht angenehm zu sein?«

Heinz Marquardt zuckte die Achseln.

»Was heißt: nicht angenehm? ... Ich habe Trude auf 'n Ball kennengelernt, sie war da mit 'm Kollegen von mir aus meinem Büro.«

»Ach, und dem haben Sie sie weggeschnappt?« Bendemann lachte.

Peinlich berührt meinte Heinz Marquardt:

»Weggeschnappt? Wie Sie wollen ... Der betreffende Kollege wohnte damals gerade bei Trudes Mutter, die inzwischen verstorben ist, und da ging Trude eines schönen Tages mit ihm auf 'n Ball, wo ich auch war ... irgend'n Verhältnis hat zwischen den beiden niemals bestanden ...«

»Wenigstens wissen Sie nichts davon«, warf der Kommissar ein.

»Nein,« meinte Heinz Marquardt, sich wieder ereifernd, »es hat keins bestanden! Denn wenn eins bestanden hätte, dann hätte es mir Trude gesagt! Die verschwieg mir nichts. Von der wußte ich alles!«

Der Kommissar erwiderte darauf nichts, er fragte nur: »Wie hieß denn der Mann?«

»Maaß«, antwortete Marquardt zögernd. Er sah deutlich, daß er jetzt seinem Kollegen Unannehmlichkeiten bereitete.

»Und ist er noch bei Ihnen im Büro?«

»Ja.«

»Wissen Sie auch zufällig, ob er gestern während der Zeit, wo ... wo das Verbrechen etwa passiert ist, wo sich der Herr Maaß da aufgehalten hat?«

Heinz Marquardt schwieg.

»Also er war nicht im Büro?« fragte Bendemann lauernd.

»Nein«, erwiderte Heinz, der das Wort mühsam herausbrachte.

Der Kommissar wandte sich um nach seinem Kollegen, als wollte er fragen:

»Hast du gehört, Hartmuth?«

Der andere Beamte, der am Tische stand und aufmerksam lauschte, nickte mit dem Kopf. Statt seines Kollegen nahm er jetzt das Wort.

»Haben Sie denn ein besonderes Interesse an diesem Maaß, Herr Marquardt?«

»Das nicht,« sagte Heinz, »aber ... der arme Kerl ist heute noch traurig darüber, daß er damals den kürzeren gezogen hat, ich möchte ihm nun nicht obendrein noch Unannehmlichkeiten machen.«

Kommissar Hartmuth lächelte ironisch.

»Das werden nicht die schlimmsten Unannehmlichkeiten sein ... War er gestern den ganzen Tag nicht im Büro?«

»Nein, vormittags war er da ... Erst nach dem Frühstück, was wir für gewöhnlich so um eins, halb zwei halten, wir gehen da manchmal runter und trinken 'ne kleine Weiße, und ich habe dann oft in der Budike an meine arme Trude telephoniert ... wie wir wieder oben kamen gestern, war er nicht da. Er hatte sich entschuldigt, sagten die anderen, er wäre krank.«

»Und ist auch nachmittags nicht wiedergekommen?« fragte Bendemann.

Heinz Marquardt schüttelte den Kopf.

»Na, den werden wir uns vor allen Dingen mal langen«, meinte Bendemann. »Du könntest mal gleich runterfahren, Hartmuth. Nimm dir aber für alle Fälle noch jemand mit.«

Kommissar Hartmuth winkte mit der Hand und wollte eben das Zimmer verlassen, als es klingelte. Gleich darauf betrat der Geheimrat von Rohde das Zimmer.

»Jetzt können Sie gleich Ihren Wunsch vorbringen«, sagte Bendemann leise zu Marquardt, und dieser besann sich auch nicht einen Augenblick.

Mit einer Verbeugung gegen den Geheimrat brachte er sein Anliegen vor.

Der Geheimrat betrachtete ihn eine Weile durch seine scharfen Brillengläser, über die die borstigen Augenbrauen noch etwas hinauswuchsen, dann sagte er:

»Das macht Ihrem Herzen alle Ehre, junger Mann, was Sie da wollen. Aber es jeht nich! Jeht absolut nich! ... Würde den janzen Betrieb erschüttern ... Nee, wahrhaftig, können wir nich machen! ... Wir haben Vigilanten, das sind ehemalige Verbrecher, die können uns hin und wieder was verraten, und dann bezahlen wir se, und wenn's mal im Reichstag zur Sprache kommt, dann schimpft die sojenannte Linke schon so wie so darüber ... Nu noch 'n anderes Laienelement reinbringen, nee, junger Mann, 's jeht wirklich nich ... Is ja sehr nett von Ihnen, aber das müssen Sie nun schon uns überlassen ...«

Heinz Marquardt erwiderte kein Wort. Er ging wieder zurück ans Fenster, sah hinaus, hinüber zur anderen Seite, wo neben dem Giebel des Seitenflügels die Felder sich hinbreiteten, die im grauen Nebeldunst verschwammen, dann wandte er sich an den Kriminalkommissar und fragte diesen mit einer gleichgültigen tonlosen Stimme, ob er jetzt gehen könne.

»Ja, vorläufig werde ich Sie wohl nicht brauchen,« meinte Bendemann, »aber später müssen Sie wieder hier sein.«

Heinz Marquardt nickte, setzte seinen Hut auf und verließ das Zimmer.

* * *


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