|
6085 |
Die Burg stand abwärts; vor dem Thor |
|
|
Lag ein Marktflecken davor,
Da ritten sie hinein.
Unlieber Empfang ward da den Zwein
Von allen die in den Straßen |
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6090 |
Müssig standen und saßen.
Ihre Blicke finster und queer
Weissagten schlimme Mär';
Sie wandten ihnen den Rücken zu,
Und riefen: »Ihr kommt hieher zu fruh, |
|
6095 |
Es wird Euch schlecht ergehn!
Ihr wißt nicht was Euch mag geschehn,
Sonst wärt Ihr hier nicht eingekehrt.
Ihr werdet wenig nur geehrt;
Wem seid Ihr hier willkommen? |
|
6100 |
Oder was ist Euch angekommen
Mit Eurer Fahrt hieher?
Wer fragt nach Euch beiden, wer?
Ihr sollt uns glauben das,
Euch hat Gott recht in seinem Haß |
|
6105 |
Daher geführet beide
Zu Euerm größten Leide;
Ihr seid uns unwillkommen!«
Da sie dies Wort vernommen,
Da sprach der Ritter mit dem Leu'n: |
|
6110 |
»Was frommt dies Schelten und Dräun?
Oder womit verschuld' ich das?
Verdient' ich je mir Euern Haß,
So ist's unwissentlich geschehn;
Und deß mögt Ihr Euch versehn |
|
6115 |
Auf mein Wort und in Wahrheit,
Ich kam nicht her zu Euerm Leid:
Kann ich's, so scheid' ich von hinnen
Mit Euer aller Minnen.
Freunde und liebe Leute, |
|
6120 |
Empfangt Ihr so wie heute
All' Eure Gäste hier,
So ist das wenig tröstlich schier
Einem herkommenden Mann,
Der Euer nicht entrathen kann.« |
|
6125 |
Nun hört' eine Fraue diesen Zorn,
Die in der Stadt war geborn,
Und ihres Wegs gegangen kam,
Als er zur Burg die Straße nahm.
Die winkt' ihnen da von fern, |
|
6130 |
Und sprach: »Liebe Herrn,
Dies Reden nehmt Euch nicht zu nah:
Aus guter Absicht das geschah,
Drum zürnt den Leuten nicht so sehr.
Es dauert sie Eure Ehr', |
|
6135 |
Und die junge adliche Magd! –
Ihr habt dem Leben entsagt,
Und kann Euch nichts dafür bewahren,
Wollt' Ihr zur Burg hinfahren.
Weiß Gott, von Haß war keine Spur: |
|
6140 |
Sie gönnten Euch beiden nur
Ihr hättet die Burg gemieden,
Und rittet fürbaß in Frieden.
Denn ein Gebot ist uns gegeben,
Wir sollen bei Gut und Leben, |
|
6145 |
Weder Weib noch Mann,
Einen Gast hier irgend empfahn
Im Flecken vor des Schlosses Thor;
Drum kehrt kein Fremder je hier vor.
Gott sei Euch ferner hold! |
|
6150 |
Ich weiß, wenn Ihr's vollbringen wollt,
Wie bald Euch reut die That:
Kehrt noch um, das ist mein Rath,
Und reitet von hier fürbaß.«
Er sprach: »Vielleicht wohl nützte mir das, |
|
6155 |
Folgt' ich Eurem Rath:
Nun aber ist es zu spat.
Wohin ritt' ich mit der jungen Magd?
Ich muß hier weilen bis es tagt.«
Sie sprach: »Möcht' ich Euch dann sehn |
|
6160 |
(Leider wirds nicht also geschehn)
Wieder zurücke kehren
Nach Euern Ehren,
So helf' mir Gott, deß lobt' ich ihn.«
Also ritt er fürder hin, |
|
6165 |
Bis ihn der Thorwart sach.
Der winkt' ihm da und sprach:
»Nur herein, Ritter, immer herein!
Denn dafür steh' ich ein,
Ihr seid hier viel willkommen, |
|
6170 |
Nur wird's Euch wenig frommen.«
Nach diesem Empfange
Säumt' er nicht allzulange
Ihm aufzuthun die Pforte.
Mit manchem drohn'den Worte |
|
6175 |
Trat ihm der Pförtner da entgegen;
Daran war ihm nicht viel gelegen.
Er sah den Ritter tückisch an,
Wie ein ungetreuer Mann:
Er sprach: »Das wäre jetzt bedacht, |
|
6180 |
Wie man herein Euch hat gebracht;
Nun sorgt Ihr selbst wie Ihr kommt hinaus;«
Damit schloß er das Haus.
Herr Iwein nahm sich's wenig nah,
Weil er nichts bedrohliches noch ersah, |
|
6185 |
Nicht in der Burg, noch außen vor.
Nun aber schaut' er drinnen am Thor
Ein Werkhaus, weit und groß,
Von Holz und aller Zierde bloß,
Wie armer Leute Gemach: |
|
6190 |
Drin er durch ein Fenster sach
Weben wohl dreihundert Weiber,
Die trugen Gewand und Leiber
Von ärmlicher Gestalt,
Doch schien ihm keine alt. |
|
6195 |
Da war nach Ordnung und Zucht
Jeder ihr Tagwerk ausgesucht:
Viele wirkten beide
Goldne Fäden und Seide;
Viele webten am Rahm Gewande, |
|
6200 |
Schwere Arbeit, doch ohne Schande;
Die keins der beiden verstanden
Die lasen Garn; die wanden,
Die brachen den Flachs, die schwangen ihn,
Die mußten ihn durch die Hechel ziehn, |
|
6205 |
Die nähten und die sponnen,
Und hatten doch nichts gewonnen;
Denn ihre Mühsal nimmer und nie
Schützte die Armen hie
Vor Hunger und Durstes Qual; |
|
6210 |
Kaum mocht' ihr kärgliches Mahl
Den jammervollen Gestalten
Das schwache Leben erhalten,
Das dennoch fast hinschwand.
Umstarrt von Schmutz an Leib und Gewand |
|
6215 |
Welkten sie bleich und abgezehrt.
Es war auf ihrem Heerd
Nicht Fleisch noch Fisch zu sehn:
So mußte den Armen entgehn
Gemach, Bewirthung und Ehre: |
|
6220 |
Das quälte sie mit großer Schwere.
Nun mochten auch sie den Fremden erspähn:
Und hatt' er vorhin sie trauern sehn,
Ward ihres Leids jetzt mehr denn je.
Ihnen that die Scham so weh, |
|
6225 |
Daß ihnen die Hände sinken wollten,
Und ihre Thränen rollten
Von ihren Augen auf das Lein.
Daß also zerrissen und unrein
Ein fremder Mann sie sollte sehn, |
|
6230 |
Leider war ihnen nie geschehn.
Ihnen sank das Haupt zu Thal,
Und sie vergaßen rings im Saal
Des Werks in ihren Händen.
Ueber die Elenden |
|
6235 |
Wollt' er Kunde gern gewinnen,
Und fragte den Pförtner drinnen,
Weil er Keinen sonst ersah.
Recht bübisch sprach der Bube da;
Denn als er dem Thor' entgegegen ging, |
|
6240 |
Der Bub' ihn bübisch so empfing,
Und gab aus Bubenmunde
Ihm die bübische Kunde:
»Herr Gast, Ihr wolltet vor das Thor?
Nichts da, ich schob den Riegel vor. |
|
6245 |
Es ist Euch anders ausersehn,
Euch muß erst Euer Recht geschehn,
Eh' man Euch aufsperrt die Pforte.
Kommt Ihr je von diesem Orte,
Wird man Euch anders geleiten: |
|
6250 |
Man wird Euch vorher bereiten
Schimpf und Unehren,
Und Euch zuvor noch kennen lehren
Hiesig Gewicht und Maaß.
Wie Gott doch Euer gar vergaß, |
|
6255 |
Als ich zur Burg Euch führte hin!
Ihr scheidet von hier mit Ungewinn.«
Da sprach der Ritter mit dem Leun:
»Man mag mir nach Gefallen dräun;
Find' ich hier keine größre Noth, |
|
6260 |
Fürwahr, das bringt mir nicht den Tod.
Schließest Du also fest Dein Thor?
Nun höre, ständ' ich draußen vor,
Ich käme dennoch wieder hin.
Daß ich zu Dir gegangen bin, |
|
6265 |
Das geschah auf mein Erfragen.
Freund, jetzt sollst Du mir sagen
Wie stehts um diese armen Weib?
Es sind Gebährden und Leib
Bei ihnen gestaltet so, |
|
6270 |
Daß, wären sie reich und froh,
Sie prangten in voller Schönheit.«
Der Frage gab er keinen Bescheid.
Er sprach: »Ich sag' Euch einen Bast!
Meint Ihr denn, Herr Gast, |
|
6275 |
Es sei mir nicht zur Plage
Eure müssige Frage? –
Ihr verschwendet viel Müh' und Zeit.«
Der Ritter sprach: »Das ist mir leid!«
Und ging lachend hindann, |
|
6280 |
Als der so grobem Mann
Nicht Red' und Antwort stehen will:
Er hielt sein Schelten für ein Spiel.
Nun untersucht' er Wand für Wand,
Bis er des Hauses Thüre fand, |
|
6285 |
Und ging zu den Frauen hin.
Wie sehr nun auch ihr Sinn
Der Noth und Armuth erlegen,
Doch zeigte keine sich verlegen;
Jede verneigte sich sofort, |
|
6290 |
Und keine setzte die Arbeit fort
Derweil er bei ihnen saß;
Ihre höfische Zucht gebot ihnen das.
Auch sah' er, daß sie wohlerzogen
Unnöth'ger Reden wenig pflogen, |
|
6295 |
Der doch sonst gar oft geschieht
Wo man viele Frau'n beisammen sieht:
Denn da wohnte in Armuth
Bescheidner Sinn und Wille gut.
Ihre Wangen färbten oft sich roth, |
|
6300 |
Als er zu ihrem Dienst sich bot:
Und während er bei ihnen saß,
Sah er viel Augen trüb' und naß.
Mitleidig und hülfsbereit
Sprach er: »Wär' es Euch nicht leid, |
|
6305 |
So mögt' ich gern Euch fragen
Nach Euern Sippen und Magen?
Seid Ihr zu solchem Dienst erzogen,
So wär' ich sehr betrogen;
Ich sehe wohl wie weh Euch thut |
|
6310 |
Die Beschämung solcher Armuth:
Das hab' ich daran erkannt,
Weil wer als Kind sie schon empfand
Nicht fühlt so tiefe Scham,
Als ich an Euch wahrnahm; |
|
6315 |
Drum sagt mir minder nicht noch mehr.
Als nur die Eine Mär'.
Ob Euch solches Leben
Durch Geburt oder Unglück ward gegeben?«
Da sprach die Eine zu Hand: |
|
6320 |
»Uns're Geburt und unsern Stand
Woll'n wir viel gern Euch sagen,
Und Gott und guten Leuten klagen
Wie große Ehr' uns ward entnommen,
Und sind in solche Trübsal kommen. |
|
6325 |
Herre, es ist unser Land
Die Jungfraun-Insel genannt,
Und liegt von hier viel fern.
Nun hatte unsres Landes Herrn
Seine Jugend verleitet, |
|
6330 |
Daß er den Muth sich faßt und reitet
Auf Abentheuer aus.
Da führt sein Weg ihn hinaus,
Und uns zum Leid kommt Er
Recht wie Ihr daher, |
|
6335 |
Und geschah ihm ganz wie Euch geschicht.
Denn da gilt Widerrede nicht,
Ihr müßt auf morgen fechten
Mit zween des Teufels Knechten;
Die sind so stark und wehrhaft, |
|
6340 |
Daß hättet Ihr wie sechs Männer Kraft,
Ein Wind wär's gegen die.
Gott allein mag helfen hie;
Wenn er sich drum bemühen will,
Dann ist ihm Nichts zu viel, |
|
6345 |
Und kann auch ohn' ihn nichts geschehn.
Nun müssen wir morgen an Euch sehn
Den Jammer, der bis zu dieser Frist
Von Manchem hier erduldet ist.
So mußte mein Fürst hieher reiten, |
|
6350 |
Und sollte das Paar bestreiten.
Sein Wille und tapfrer Muth
Waren bereit und gut.
Damahls war sein Alter fürwahr
Kaum erst achtzehn Jahr, |
|
6355 |
Und war so zart und schlank,
Daß er des Sieges ohne Dank
Und Kampf sich mußte begeben,
Und hätte verlohren Leib und Leben
Hätt' er sich nicht von diesen |
|
6360 |
Unseligen Riesen
Gelöst, wie ich Euch will sagen;
Sie hätten ihn sonst erschlagen,
Stellt' er nicht außer dem Eid
Geißel und Sicherheit, |
|
6365 |
Er wolle zinsen für sein Leben.
Nun muß er jährlich geben
Dreißig Jungfrauen daher,
So lange sie leben oder Er.
Zwar wenn je ein kühner Mann |
|
6370 |
Den Sieg über sie gewinnen kann,
So wären wir dann befreit;
Doch das ist außer der Hoffnung weit! –
Denn zu ihrer Kraft
Sind sie so kühn und wehrhaft, |
|
6375 |
Daß nirgend je auf Erden
Ihr Sieger mag gefunden werden.
Wir sind als Zins gegeben,
Und führen ein kummervolles Leben!
Uns ward betrübte Jugend; |
|
6380 |
Denn ohne alle Tugend
Sind unsre Vögte hie.
Vortheil haben wir nie
Von unsrer Müh' und Plage;
Was man uns auch versage, |
|
6385 |
Wir müssen's immer leiden.
Von Golde und von Seiden
Wirken wir Prachtgewande,
Schönre giebts in keinem Lande;
Uns aber hilft das nicht ein Stroh; |
|
6390 |
Nicht eine Stunde werden wir froh.
Wir müssen zum Erbarmen
Uns müh'n mit Händen und Armen,
Eh' wir so viel erwerben
Daß wir nicht Hungers sterben. |
|
6395 |
Man lohnet uns wie ich Euch sage;
Nun sprecht wer mag von solchem Ertrage
Kost gewinnen dem Munde?
Man giebt uns von dem Pfunde
Vier Pfennige zum Gedinge; |
|
6400 |
Der Lohn ist allzugeringe
Für Speise wie für Kleider;
Drum sind wir auch leider
Völlig verarmt und baar.
Von unserm Gewinn im Jahr |
|
6405 |
Häufen sie Schätze auf für sich;
Wir aber verschmachten jämmerlich.«
Nun dauert' ihn ihr Ungemach;
Er seufzte sehr und sprach:
»Laßt uns auf Gott, den Süßen vertrau'n; |
|
6410 |
Er woll' Euch tilgen, Ihr armen Frau'n,
Dies unwürdige Leben,
Und Heil und Ehr' Euch geben.
Euer Elend ist mir leid,
Und wißt, bei meinem Eid, |
|
6415 |
So herzlich erbarmt es mich,
Vermag ich nur, so helfe ich.
Jetzt geh' ich bis ich finde
Des Hauses Ingesinde,
Und sehe, wie mich das empfange. |
|
6420 |
Die Rede macht mir noch nicht bange;
Und wenn Gott helfen will,
So hoff' ich, komm' ich wohl ans Ziel.«
Drauf bat er Gott, die Frau'n zu pflegen,
Auch gaben sie ihm viel manchen Segen. |
|
6425 |
Nun begann er umher zu spähn,
Und sah einen schönen Palas dort stehn:
Ging dann mit seiner Jungfrauen
Hinauf sich umzuschauen,
Und fand droben nicht Weib noch Mann. |
|
6430 |
Einen Rückweg sucht' er dann
Der durch der Halle Breite
Hinaus in's Freie ihn leite;
Und als er die erforschet gar,
Nahm er einer Stiege wahr, |
|
6435 |
Die führt' auf ihren Stufen ihn
In einen Baumgarten hin,
Der war so geräumig und so weit,
Daß er nicht vor noch seit
Keinen schönern je ersach. |
|
6440 |
Da lag zu seinem Gemach
Ein alter Ritter im kühlen Schatten;
Ihm stand ein Bett auf den grünen Matten,
Deß wäre gewesen froh
Die Göttin Frau Juno, |
|
6445 |
Die nie auf schönerm Polster saß.
Die frischen Blüthen, das reine Gras,
Die trugen ihm durch die Luft
Würzigen süßen Duft;
Der Greis war schön von Gesicht und Leib, |
|
6450 |
Und wähn' ich wohl, so war sein Weib,
Eine Fraue die da vor ihm saß.
Sie mochten beide, glaubt mir das,
Nach so hohen Jahren
Nicht stattlicher aussehn noch gebahren. |
|
6455 |
Vor beiden saß eine junge Magd,
Die viel wohl, wie mir gesagt,
Wälsch zu lesen war bereit;
Die kürzte beiden die Zeit.
Auch mochte sie mit Minnen |
|
6460 |
Ein Lächeln leicht von ihnen gewinnen;
Was sie las, erfreute das Paar,
Weil sie der beiden Tochter war.
Auch ist wohl recht daß man die kröne,
Die edle Zucht und Schöne, |
|
6465 |
Hohe Geburt und Jugend,
Reichthum und keusche Tugend
Güte und weise Rede hat.
So diese: da war für alles Rath,
Was der Wunsch an Frauen nur begehrt: |
|
6470 |
Ihr Lesen dünkte sie da viel werth. –
Als sie den Gast ersehn,
Begonnten sie zu gehn
Die Frauen mit ihrem Herrn
Entgegen ihm schon von fern, |
|
6475 |
Und empfingen ihn also wohl,
Als ein Wirth den Fremden soll,
Der ihm willkommen ist.
Danach hatt' ihn in kurzer Frist
Entwaffnet die junge Maid. |
|
6480 |
So viel Höfischkeit
Genügte dem heimathfernen Mann:
Hierauf that sie ihm an
Ein Hemd von frischem Leine
Geridieret feine; |
|
6485 |
Ein sammtnes Mäntellein,
Unterlegt mit Härmelein
Ward ihm von ihr verehrt:
Ein Rock ward nicht von ihm begehrt,
Weil es ein warmer Abend was. |
|
6490 |
An das allerschönste Gras
Das er in dem Baumgarten fand,
Führte sie ihn bei der Hand,
Und saßen da bei einander.
Allda nun erkannt' er |
|
6495 |
Wie bei ihrer wonniglichen Jugend
Wohnten Güte und große Tugend.
Ich wähne daß man an keinem Kinde
Nimmer mehr erfinde
So edle Zucht noch süßes Wort: |
|
6500 |
Sie hätte wohl bezwungen sofort
Eines Engels Gedanken und Sinn,
Daß er für sie zur Erde hin
Nimmer den Flug bereue.
Ja selbst des Ritters Treue |
|
6505 |
Die er fest und stet im Herzen trug,
Eine Minneswunde fast sie schlug.
Vermöchte Frauengüte
Die Treu' in seinem Gemüthe
Zum Wanken je zu bringen, |
|
6510 |
So mocht' es ihr beinah gelingen.
Und hätt' er sie nie gesehn,
Ihm wäre besser geschehn,
Denn das Scheiden thät ihm weh.
Er erfreute sich nie und je |
|
6515 |
Außer an seinem eignen Weibe
An süßerer Red' und schönerm Leibe.
Als nun diese Vier
Sich so gesondert allhier,
Mochten sich an den Paaren beiden |
|
6520 |
Ganz gleich wohl unterscheiden
Jahre, Gemüth und Neigung;
Deß hab' ich gewisse Ueberzeugung.
Die Unterredung war verschieden:
Die Jungen wünschten sich zufrieden |
|
6525 |
Und heimlich in ihrem Sinne
Das Glück unschuldiger Minne,
Und freuten sich ihrer Jugend.
Sie sprachen von der Sommers Tugend,
Und wie sie beide wollten, |
|
6530 |
Wenn sie leben sollten,
An guter Freundschaft halten.
Dagegen redeten die Alten
Von ihrem steigenden Alter,
Und sei der Winter ein kalter, |
|
6535 |
So wollten sie sich schützen
Mit rauhen Fuchsmützen
Ihre Häupter vor dem Frost.
Dann sprachen sie von der Kost,
Ersparung und Gemache; |
|
6540 |
Sie überlegten ihre Sache
Hausväterlich, mit sorglichem Rath.
Nun wars auch schon so spat,
Daß ihn abrief ein Bote
Zum fertigen Abendbrote. |
|
6545 |
Da gingen sie zum Essen,
Und ward deß nicht vergessen;
Es erwies der würd'ge Greis
Völlig und mit höchstem Fleiß
Dem Ritter so große Ehre, |
|
6550 |
Daß nimmer ein Wirth mehre
Seinem Gast erbot.
Deß war er werth und war ihm Noth.
Da war zu reicher Dienerschaft
Alles in Füll' und bester Kraft. |
|
6555 |
Nun dacht' er heimlich in seinem Muth:
»Es fährt vielleicht noch alles gut;
Nur fürcht' ich das viel sehre,
Daß ich so großer Ehre
Theuer entgelten müsse |
|
6560 |
(Der Anfang ist zu süße,)
Nach dem was mir der Schalk verhieß,
Der mich in die Burg einließ,
Der Wächter an der Pforte;
Und nach dem warnenden Worte |
|
6565 |
Das mir die Frau'n gesagt.
Gehab Dich wohl, sei unverzagt;
Dir geschieht, was Dir geschehen soll,
Und anders nichts, das weiß ich wohl!«
Als sie vollbracht das Mahl, |
|
6570 |
Saßen sie nicht mehr lang im Saal;
Man rüstete den Drei'n,
Der Jungfrau, dem Leun und Herrn Iwein
Abgesondert ein Zimmer.
Wer in der Welt auch immer |
|
6575 |
Als Wunder ihm das nachsagt,
Daß eine nicht verwandte Magd
Ihm Nächtens also nahe lag,
Mit der er anders nichts doch pflag,
Der weiß nicht, daß ein rechter Mann |
|
6580 |
Sich alles deß enthalten kann,
Deß er sich enthalten will.
Weiß Gott, deren sind schwerlich viel.
Die Nacht ging ruhig hin:
Gott schaff' ihm morgen Gewinn, |
|
6585 |
Und schenk' ihm bess'res Gelingen da,
Als er sich deß versah.
Als der Tag schien helle,
Ging er zur Burgkapelle,
Wo man den heiligen Geist |
|
6590 |
In der Frühmesse preist;
Dann wollt er Urlaub ha'n genommen.
Da sprach der Wirth: »Die her sind kommen
Und Ritter waren, wie Ihr,
Die haben alle sämmtlich mir |
|
6595 |
Erfüllt des Hauses Gebot,
Das mitunter in Noth
Meine Gäste gebracht und Müh'.
Zween Riesen sind allhie,
Und Keiner darf von dannen gehn, |
|
6600 |
Er müsse sie erst bestehn.
Daß noch Keiner sie überwand! –
Die Sach' ist also nun bewandt:
Giebt's einen so beglückten Mann,
Daß er die Zwei besiegen kann, |
|
6605 |
Dem muß ich meine Tochter geben;
Und sollte der mich überleben,
Viel Ehre möcht' er erwerben,
(Ich habe weiter keinen Erben)
Und würd' ihm all' dies Land. |
|
6610 |
Auch ist es leider so bewandt,
So lange die zwei noch streitbar sind,
Darf ich derweil mein Kind
Keinem Manne geben.
Wagt nun, Ritter, das Leben. |
|
6615 |
Euch ist vielleicht nach Gütern Noth:
Hier findet Ihr Reichthum oder Tod.
Unter allen vielleicht, wer weiß?
Erringt Ihr Euch den Preis:
Oft stand schon Einer über Zwein.« |
|
6620 |
Da entgegnet ihm Herr Iwein,
Und sprach als sei er verzagt:
»Eure Tochter ist eine schöne Magd,
Und ist edel und reich;
Ich dünke mich dem nicht gleich, |
|
6625 |
So hoch mich zu erheben.
Sie soll nach einem Fürsten streben:
Auch fänd' ich ein Weib noch wohl
(Wenn ich ein Weib je nehmen soll)
Die besser meinem Maaß entspricht: |
|
6630 |
Eurer Tochter begehr' ich nicht,
Nein, nimmer will ich meinen Leib
Wagen um irgend ein Weib
So gar aus aller Maaßen,
Daß ich mich sollt' erschlagen lassen |
|
6635 |
Ohne Kampf und Wehr;
Denn Zwei sind Einem zu schwer;
Ja sollt' ich Einen nur bestehn,
Ich müßt' in Angst daran gehn.«
Da sprach der Wirth: »Ihr seid verzagt. |
|
6640 |
Daß Ihr von Eurer Schwachheit sagt,
Ich weiß wohl, warum das geschicht;
Ihr streitet um meine Tochter nicht,
Weil Ihr zagt in Euerm Muth.
Fechten müßt Ihr, und ist Euch gut, |
|
6645 |
Denn rettet Euch nicht der Kampf um sie,
Auch ohne Wehr erschlagen Euch die.«
Da sprach der Gast: »Das nenn' ich Noth,
Herre, daß man Euer Brod
Mit dem Leben zahlen soll! |
|
6650 |
Nun denk' ich thu' ich am besten wohl,
Auf dem Platz zu sein bei Zeiten.
Muß ich einmahl hier streiten,
Ists besser daß es gleich geschicht.«
Deshalb säumt' er auch nicht, |
|
6655 |
Er waffnete sich zuhand:
Und nach dem Hengste ward gesandt.
Der war die Nacht so wohl bewahrt,
Daß er zu Hause nimmer ward
Kunriert so meisterlich. |
|
6660 |
Schlechten Lohn verdiente sich,
Wer daran wandte solchen Fleiß;
Er that es ohne des Gasts Geheiß.
Oft wendet sich das Spiel,
Daß Einer dem Andern schaden will, |
|
6665 |
Und hat ihm viel gefrommt.
Weß Dienst nun so zu Statten kommt,
Daß er Liebes und Gutes
Dem Gast erzeigt unwilligen Muthes,
Der soll um kleinen Lohn nicht klagen. |
|
6670 |
Er brauchte Keinem Dank zu sagen
Für seines Rosses Gemach,
Weil es im Wahn geschach,
Der Hengst könn' ihnen nicht entgehn.
Wenn sie sich daran versehn, |
|
6675 |
Ists mir wahrlich wenig leid.
Nun war der Gast wohl bereit.
Die Riesen kamen mit starker Wehr,
Sie mochten bestreiten ein Heer;
Sie waren gewaffnet schwer, |
|
6680 |
So daß an ihnen nicht mehr
Blos erschien als das Haupt alleine,
Dazu die Arme und Beine.
Die Kolben die sie trugen,
An welchem Ende sie damit schlugen, |
|
6685 |
Vor denen mochte nichts bestehn;
Viel Todtschlag war damit geschehn.
Als sie den großen Löwen nun
Seinen weiten Rachen aufthun,
Bei seinem Herren stehen schaun, |
|
6690 |
Und mit den scharfen Klaun
Die Erde kratzen ohne Rast,
Sprachen sie zu dem Gast:
»Herre, was will der Leue?
Uns dünkt, daß er uns dräue |
|
6695 |
Mit seinem zornigen Gesicht.
Hier ist keiner der mit Euch ficht,
Er sei vorher denn fortgethan;
Griffe das Thier uns an,
So kämpften zwei mit zwein.« |
|
6700 |
Da sprach mein Herr Iwein:
»Mein Löwe folgt mir das ganze Jahr.
Ich befehle ihm fürwahr
Nimmer von mir zu gehn,
Und seh' ihn gerne bei mir stehn. |
|
6705 |
Ich führ' ihn in keinen Streit:
Seit Ihr aber erboßt mir seid,
Laß' ichs ruhig geschehn,
Will Euch ein Gegner mehr bestehn,
Gleichviel ob Mann oder Thier.« |
|
6710 |
Da vermaßen sie sich schier,
Sie föchten nimmer gegen ihn,
Er führe denn den Löwen hin;
So mußt' er entfernen seinen Genossen.
In einen Stall ward der geschlossen, |
|
6715 |
Wo er durch die Wand ersah
Den Streit der auf dem Hof geschah.
Die zwei ungefügen Mann
Die huben den Kampf nun an.
Gott helfe dem Gaste bald und viel, |
|
6720 |
Denn ungleich stand das Spiel,
Er erfuhr noch nie so große Noth!
Der Schild, den er den Keulen bot,
Der ward gar bald zerschellt;
Kein Waffen in aller Welt |
|
6725 |
Hätte vermocht die schweren
Kolben ihm abzuwehren.
Man sah den Helm zerspringen;
Der Rock anstatt von Eisenringen
Schien gewirkt von Stroh. |
|
6730 |
Den Ritter, sonst so kampfesfroh,
Schirmte kaum sein mannlicher Sinn,
Daß er vor großem Ungewinn
Und sicherm Tod sich wehrte;
Zwar führt' er mit dem Schwerte |
|
6735 |
Unterweilen einen Schlag
Sicher und kräftig wie er pflag.
Da solcher Schläge hart
Der Löwe kundig ward,
Und beides hört' und sach, |
|
6740 |
Da müht' ihn sehr sein Ungemach.
Doch fand er weder Loch noch Thür
Daß er käme hinfür,
Und suchte heftig, bis er fand
Zur Erden an der Wand |
|
6745 |
Eine faule Schwelle.
Der treue Heergeselle
Der biß und kratzte dann
Holz und Erde, bis er gewann
Eine räumige Ausfahrt, |
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6750 |
Die viel bald und hurtig ward
Ihrer Einem zu leide.
Gott fälle die Recken beide! –
Seines Herren Sorgen und Müh'n
Die er je geduldet um ihn, |
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6755 |
Die lohnt' er nun ihm traun.
Er begonnte die scharfen Klau'n
In des Unholds Rücken zu heften,
Und warf mit großen Kräften
Rücklings unter sich den Wicht. |
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6760 |
Den schonte seine Rache nicht;
Er zerriß und brach zuhand
Wo er ihn nackt erfand,
Bis er nach Hülfe heulend rief.
Das hörte sein Gesell und lief, |
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6765 |
Verließ sofort den Mann,
Und rannte flugs den Löwen an;
Den hätt' er gern erschlagen
Hätt's ihm sein Herr vertragen.
Seit den befreit der Leu, |
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6770 |
Half er ihm wieder treu,
Und that fürwahr gar wohl und recht.
Sobald ihm jener Teufelsknecht
Seinen Rücken kehrte,
Und Gott mit Glück ihn ehrte, |
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6775 |
Schlug er ihm in kurzer Zeit
Viel Wunden, tief und weit;
Beides, auf Arm und Bein,
Hieb er kräftig ein,
Und gab ihm manchen Schlag. |
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6780 |
Denn jener der danieder lag,
Der mocht' ihm nicht zu Hülfe kommen,
Weil ihm der Leu benommen
So gar den Sinn und die Kraft,
Daß er dem Tod sich kaum entrafft. |
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6785 |
So kämpften sie gegen den Riesen an,
Beide, der Löw' und der Mann,
Und hatten ihn viel bald erschlagen;
Doch nicht als einen Zagen,
Denn er führt noch manchen grimmen Hieb |
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6790 |
Seit er ohne Gesellen blieb.
Zwar lebt der Andre noch,
Der mußte sich jedoch
Ihrer Gnade gar ergeben;
Dem ließ er da durch Gott das Leben. |
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6795 |
Daß des Pförtners Drohn
Und sein spottender Hohn
Sich so in Freude verkehret,
Deß sei Gott immer geehret.
Als er Sieg alldort gewann, |
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6800 |
Da bot der Wirth ihm an
Seine Tochter und sein Land.
Da sprach er: »Wär' Euch das erkannt,
Wie gar all' meine Sinne
Eines andern Weibes Minne |
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6805 |
In ihre Gewalt genommen hat,
So dünkt' Euch ein Verrath
Würd' ich Eures Kindes Mann;
Weil ich nimmer kann
Treu einer Andern werden, |
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6810 |
Als nur der Einen auf Erden,
Die meinem Herzen die Freud' entführt.«
»Ihr müßt sie nehmen, sprach der Wirth,
Oder Ihr seid gefangen;
Euch wär' es wohl ergangen, |
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6815 |
Denn willig gäb' ich sie Euch hin.
Hättet Ihr Verstand und Sinn,
Ihr bätet mich was ich Euch bat.«
Er sprach: »Ihr hättet Euch in der That
Betrogen, das will ich Euch sagen. |
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6820 |
Denn ich soll in den nächsten Tagen
Einen schweren Kampf bestehn,
Und mußte mich dazu verstehn
Daß König Artus ihn sähe
Und er vor seinem Hof geschähe. |
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6825 |
Würde sie nun mein Weib,
Und ich verlöhre den Leib,
So wäre sie schlecht geehrt.«
Der Wirth sprach: »Ob Ihr wiederkehrt
Ist mir gleichgült'ge Märe, |
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6830 |
Und kränkt mich nun viel schwere
Daß ich vorhin sie Euch anbot,
Denn wahrlich, bis an meinen Tod
Mag ich Euer entbehren.«
Der Gast ließ seinen Zorn gewähren. |
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6835 |
Er sprach: »Herre wohlgethan,
Was Ihr verspracht, laßt mich empfahn;
Gedenkt an Eure Fürstenschaft,
Daß Eu'r Gelübde habe Kraft.
Weil ich hier den Sieg gewann, |
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6840 |
Laßt die Gefangnen alle hindann
Los und ledig um meinetwillen.«
Der Burgherr sprach: »Das muß ich erfüllen;«
Und ließ sie frei aus ihren Banden.
Er hielt sie noch in seinen Landen |
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6845 |
Bis an den siebenten Tag;
Viel sorglich man ihrer pflag,
Hielt reiches Gewand und Kleid
Und ein Pferd für jede bereit,
Daß sie wohl mochten reiten. |
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6850 |
In also kurzen Zeiten
Gewannen sie wieder ihre Gestalt,
Und wurden die schönsten Jungfrau'n bald,
Die je der Ritter sach:
So viel schuf das kurze Gemach. |
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6855 |
Drauf ritt er mit ihnen hindann,
Und brachte sie als ein höfischer Mann
Viel treu in Sicherheit.
Und als nun endet sein Geleit,
Inbrünstig Gott sie baten |
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6860 |
(Wie sie von Recht das thaten)
Für ihren Herrn und Ritter,
Der sie aus Leiden bitter
Befreit, und aus der argen Haft,
Daß er ihn Heil und Ruhm und Kraft, |
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6865 |
Und hohes Alter laß' erleben,
Und sein Reich ihm wolle geben. |