Hartmann von der Aue
Iwein mit dem Löwen
Hartmann von der Aue

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5575  

Also litt er Mühe genug,

Bis der Weg so weit ihn trug
Wo eine Burg gelegen:
Da kehrt' er ein um sich zu pflegen,
Und fand verschlossen das Thor,
5580   Und einen Knappen davor.
Der kannte seines Herren Muth,
(Deß Herz gastfreundlich und gut
Sich an dem Knappen erwies,
Der den Ritter willkommen hieß)
5585   Und bot ihm guten Empfang.
Auch mein' ich wohl, ihn zwang
Ermüdung und Wegesnoth
Daß er gern nahm was man ihm bot;
Man hat gar leichtes Spiel
5590   Den Gast zu laden der bleiben will.

    Aufgethan ward ihm das Thor,
Da traten aus der Burg hervor
Ritter und Knechte zuhand,
Die nach Gebühr und Stand

5595   Ihn empfingen und begrüßten
Und ihm viel gern versüßten
Seinen Kummer und seine Noth,
Wie ihnen ihr Herr gebot,
Der selber ihm entgegen ging,
5600   Und ihn fröhlich empfing
Und schuf ihm solch' Gemach,
Daß er wohl an den Werken sach,
Des Burgherrn Willen und sein Muth
Sei leutselig und gut.
5605   Es ward ihm ungesäumt
Der Kemenaten eine geräumt
Gesondert und abgelegen,
Ihn und den Leuen zu pflegen.
Alsbald entwaffnet man ihn,
5610   Und sendet der Burgherr hin
Zu seinen Töchtern zwein;
Nie mochten gefunden sein
Schönre Mägdlein irgend wo.
Nun pflegten sein die zwo,
5615   Und wurden seine Wunden
Gesalbt und wohl verbunden. –
Es wohnt' in ihrem Gemüthe
Zu feiner Kunst die Güte,
Daß sie des Ritters wie des Leuen
5620   Pflegten in allen Treuen.
Vierzehn Nächte blieb er da,
Bis er sich wohl genesen sah,
Und völlige Kraft gewann,
Bevor er schied hindann. –

5625  

    Nun hatt' es Gott verhängt
Daß der Tod einen Grafen hart bedrängt,
Und führt den Kranken mit Macht
In des Grabes finstre Nacht,
Den von dem schwarzen Dorn.Auch Chrétien hat li sires de la noire espine; in der walisischen Erzählung kommt die Episode vom Erbstreit nicht vor.

5630   Der war gar bald verlohrn,
Denn er mußt' ihm zur Beute geben
Beides, Gesundheit und Leben;
Doch ließ der Graf im Sterben
Zwei schöne Töchter, ihn zu beerben.

5635  

    Nun wollte die ältre also bald
Die jüngre Schwester mit Gewalt
Von dem Erbtheil scheiden,
Das dienen sollte beiden.
Die Junge zu ihr da sprach:

5640   »Schwester, dies Ungemach
Verbietet Dir Gott, in Treuen!
Ich hoffte mich zu freuen
Größrer Liebe von Dir.
Schwester, Du zeigest mir
5645   Zu feindseligen Muth!
Willst Du aus meinem Gut
Mich treiben und meinen Ehren,
Muß ich mich deß erwehren.
Ich kämpfe nicht, ich bin eine Magd,
5650   Doch hab' ich keinem Recht entsagt,
Weil ich selber nicht fechten kann.
Bei Gott, ich finde wohl den Mann,
Der mir durch Zucht und Sitte
Nimmer weigert die Bitte,
5655   Und schirmet mich vor Dir.
Schwester, Du mußt mir
Willig gönnen zu erben,
Wo nicht, einen Kämpfer werben.
Den König Artus fleh' ich an,
5660   Und find' auch da den Mann
Der mit seinem guten Schwerdt
Deinen Uebermuth Dir wehrt.«

    Das merkte sich die Ungute,
Und sann in ihrem Muthe,

5665   Wie sie vorbeuge der Gefahr;
Und hinterlistig wie sie war
Schwieg sie still dazu,
Und erreichte den Hof vor ihr so fruh,
Daß sie sich anwarb Herrn Gawein.
5670   Die Jüngre hohlt sie nicht mehr ein;
Sie hatt' als ein Kind gefehlt,
Daß sie den Vorsatz nicht verhehlt;
Auch war's zu spät als sie's einsah;
Da sie hinkam, fand sie die Schwester da.

5675  

    Die war viel froh, daß ihr's gelungen.
Doch hatte Herr Gawein das bedungen,
Sie sollt' es keinem sagen.
Nun war in denselben Tagen
Die Königin wieder gekommen

5680   Die Meljaganz sich hatte genommen,
Der Degen unverzagt.
Auch war ihnen kürzlich da gesagt
Von dem Riesen Märe,
Den zu höchster Ehre,
5685   Der Ritter mit dem Löwen schlug.
Deß dankt' ihm da genug
Mit Worten und mit Muthe
Gawein der viel Gute,
Weils ihm zu Liebe der Held
5690   Vollbracht' und eigens das bestellt,
Man sollt' es ihm zu wissen thun.
Von seiner Niftel erfuhr ers nun,Niftel wird theils als Nichte gebraucht wie hier, und 7750, – theils als Cousine, wie 6873.
Und als sie's ihm gesagt,
Wie eifrig er da klagt
5695   Daß er den Freund nicht kannte,
Der Niemand seinen Namen nannte!
Er kannt' ihn durch die Märe,
Und wußte doch nicht, wer er wäre.

    Da zu Hof kam die jüngre Magd

5700   Wie ich Euch das gesagt,
Weil sie nach einem Kämpfer trachtet,
Und keiner auf sie achtet,
Da klagte sie viel sehre
Um ihr Gut und ihre Ehre:
5705   Denn der im Sinn ihr lag,
Der sprach: »Jungfrau, ich mag
Leider Euch nicht zu Diensten stehn,
Weil viel Unmuße mir geschehn
Von andern Thaten und Dingen,
5710   Die ich erst muß vollbringen.
Wärt Ihr früher kommen,
Eh ich mich angenommen
Andrer Pflichten, schöne Magd,
Hätt' ich Euch's nicht versagt.«

5715  

Da sie zum Kampfe keinen fand,
Trat die Jungfrau zu Hand
Vor den König Artus und sprach:
»Seit ich unter Euerm Dach
Keinen Kämpfer mag gewinnen,

5720   Doch wollt' ich nicht von hinnen,
Eh ich Urlaub von Euch nahm.
Ich lasse still und zahm
Mein rechtes Erbe keinem andern,
Muß ich von hier auch hülflos wandern.
5725   Nun hör' ich, so verwegen
Und mannlich sei kein Degen,
Als der den Löwen mit sich hat:
Fänd' ich den, so würde mir Rath.
Zeigt die Schwester sich willig,
5730   Dann thut sie recht und billig;
Sie mag auch dann mit Minnen
Viel gern von mir gewinnen,
Was ich nach Recht und Ehren
5735   Doch wenn sie mir die Treue bricht,
Laß ich von meiner Klage nicht.«

    Seit der Aeltern das gelungen,
Daß sie sich errungen
Vom Hof den allerbesten Mann,

5740   Ward ein theurer Eid von ihr gethan,
Sie gebe weiter nichts heraus.
Da sprach der König: »In meinem Haus
Ist Sitte, wer da klage,
Dem soll man vierzig Tage
5745   Zum Kampf einräumen als Frist.«
Sie sprach: »Wenns einer erbötig ist,
Mag er sogleich den Kampf betreiben,
Denn länger kann ich nicht bleiben.« –
Als das den König nicht dünkte gut,
5750   Da bekehrt sie ihren Muth,
Denn sie war ohne Sorg' und Bangen
Die Schwester möge wen erlangen
Der ihrem Kämpfer sei zu kühn,
Müsse sie auch ein Jahr verziehn.

5755  

    Nun ward die Frist besprochen
Binnen hier und sechs Wochen;
So sprach's der König aus.
Da verließ die Jüngste sein Haus,
Befahl sich Gottes Schutz und Gnaden,

5760   Und ritt auf mancherlei Pfaden
Fern hinaus in das Land,
Doch wie sie strebte, sie fand
Weder den Mann, noch Märe
Wo er zu treffen wäre,
5765   Und mühte sich auf irrer Fahrt
Bis sie davon siech ward.
Spähend und mit Fragen
Kam sie zu einem ihrer Magen;
Dem begann sie ihre Fahrt zu sagen,
5770   Ihre Noth und Siechheit zu klagen.
Als er ihre Leiden ersach,
Behielt er sie da zu besserm Gemach,
Und sandt' als sie ihn bat
Seine eigne Tochter an ihrer Statt,
5775   Die zog für sie dem Ritter nach,
Und fand viel Müh' und Ungemach.

    So ritt sie einen ganzen Tag,
Daß sie keines Gefährten pflag,
Bis nach Sonnenuntergang.

5780   Sie folgt' einem Pfad entlang,
Der trug sie in einen Wald.
Die Nacht war finster und kalt,
Es erhub sich Regen und Wind;
Wie ertrüge das ein Kind
5785   Das keinen Kummer noch gewann?
Es hätt' ein wohlgemuther Mann
Solche Fahrt gescheut.
Der Müh' und Noth, die sie bedräut,
War so ungewohnt die zarte Magd,
5790   Daß sie ganz und gar verzagt.
Der Weg war finster und tief,
Daß sie Gott anfleht' und zu ihm rief
Ob er ihr Leid bedächte,
Und sie zu Leuten brächte.
5795   Und als sie schon sich wähnt verloren,
Da hörte sie ein Horn
Blasen im Walde fern;
Und durch Gottes Beistand, unsers Herrn,
Geschah, daß sie sich kehrte
5800   Wie den Weg sie lehrte
Jenes Hornes Schall.
Er wies sie in ein Thal,
Ans Ende wo der Burghof lag.
Der Wächter der des Thurmes pflag,
5805   Viel bald erschaut sie der.
Ein Gast der also spät einher
Und also müde kommt geritten,.
Leicht mag man den erbitten,
Hat er nicht große Eile,
5810   Daß er zur Nacht dort weile.
Nach kurzer Bitte blieb sie da.
Zu ihrem Gemach geschah
Was irgend sich ersinnen ließ,
Und gute Pflege verhieß;
5815   Dann schuf der Wirth ihr daß sie speise.
Es wundert ihn die Reise,
Und fragt er sie die Märe,
Was ihr Gewerbe wäre?

    Die junge Maid da sprach:

5820   »Einem Ritter zieh' ich nach,
Den ich nie sah noch ihn erkenne.
Ich weiß nicht wie ich ihn Euch nenne
Sein Name ward mir nie genannt.
Er ist mir anders nicht bekannt,
5825   Als daß er einen Löwen hat.
Nun hab' ich von ihm nicht Spur noch Rath,
Man rühmt seinen Muth viel sehr,
Und soll ich diese Beschwer
Jemahls überwinden,
5830   Muß ich den Degen finden«

    Der Wirth sprach: »Ihr seid nicht betrogen.
Der hat Euch nicht von ihm gelogen,
Der Euch Gutes von ihm gesagt:
Weil seine Kühnheit uuverzagt

5835   Von großem Kummer mich erlöste.
Gott sandt' ihn daß er mich tröste.
Wie dankbar seiner GnadeAehnliche Ausdrücke eines frommen Segenswunsches kommen häufig im Parcival und Tristan vor. Gewiß war schon mit dem altgermanischen heidnischen Gebet Neigen des Leibes und Kniebeugung verbunden. Noch im Mittelalter pflegte man sich vor leblosen Gegenständen zu neigen, d. h. sie zu segnen und zu benedeien; einem geliebten Lande, dem Wege, den jemand gewandelt war, dem Tage.
Neig' ich mich oft dem Pfade
Der ihn hieher mir trug!
5840   Der gute Ritter erschlug
Einen Riesen, der mein Land
Verwüstet und verbrannt,
Und mir tödtete zwei liebe Kind:
Und viere die noch lebend sind,
5845   Die hatt' er mir gefangen,
Und wollt' sie ha'n erhangen.
Ich war sein Spiel und Spott.
Da sandte mir den Ritter Gott,
An dem Unhold mich zu rächen:
5850   Der erschlug den viel Frechen
Draußen an jenem Thor;
Noch liegt sein Gebein davor.
Er schuf mir große Ehre!
Gott pflege sein, wohin er kehre.«

5855  

    Der Märe freute sich die Magd.
Sie sprach: »Lieber Herre, sagt,
Als er von Euch entlassen ward,
Wißt Ihr, wohin er seine Fahrt
Lenkte? Das sagt mir an.«

5860   Er sprach: »Daß ichs nicht kann,
Das ist mir leid genug.
Doch den Weg den er einschlug,
Den zeig' ich Euch morgen fruh.
Wer weiß, ob Gott Euch nicht dazu
5865   Selber Hülf' und Rath verleiht?«
Nun war zum Schlafen auch Zeit.

    Früh morgens als es tagt,
Da rüstete sich die Magd,
Und folgt' ihm auf der Straße

5870   Recht nach genauer Maaße
Wie ihr der Weg beschrieben ward,
Und war auch auf der rechten Fahrt,
Die sie zum Brunnen trug,
Wo er den Truchseß schlug,
5875   Und dessen Brüder überwand.
Leute die sie da fand,
Die erzählten ihr das;
Und ritte sie fürbaß
Und wolle wissen Märe
5880   Wohin er gekehret wäre,
Das könn' ihr Jene vielleicht ansagen,
Um die er die Drei erschlagen.
Sie sprach: »Nun sagt mir wer die sei?« –
Sie sprachen: »Sie ist nahe bei,
5885   Eine Jungfrau, heißt Lunete,
Die knieet in ihrem Gebete
In der Kapelle hie:
Da reitet hin und fraget sie:
Wenn die Euch nicht bescheiden kann,
5890   Kein andrer sagt's Euch an.«

    Als sie gefragt nun ward,
Ob sie irgend wisse von seiner Fahrt,
Da hieß ihr Frau Lunete
Die höfische, treue, stäte,

5895   Ihren Zelter gewinnen.
Sie sprach: »Ich will von hinnen
Euch bis zur Stelle geleiten
Wo er mich bat mit ihm zu reiten,
Als er für mich gestritten,
5900   Und weiter ins Land geritten.«

    So that sie den Ort ihr dar,
Und sprach: »Fraue, nun nehmet wahr,
An dieser Stätte ließ ich ihn:
Wohin stünde sein Sinn,

5905   Deß wollt' er nichts mir sagen.
Und eines muß ich Gott noch klagen,
Er und sein Löwe waren wund,
So sehre, daß er zu der Stund'
Weit nicht mochte ziehn.
5910   Gott unser Herr behüte ihn,
Und schirm' ihn vor Gefahr!
Er ist edel und aller Fehle baar,
Wie nur ein Ritter soll.
Traun, ich gönnt' Euch beiden wohl
5915   Daß Ihr gesund ihn fändet,
Weil Ihr dann überwändet
Durch ihn all' Eure Noth.
Weiß Gott, Fraue, ich wäre todt,
Wär' er mir nicht zu Hülfe kommen:
5920   So werd' auch Euch entnommen
Alle Eure Schwere.
Was ich guter Märe
Von Euch vernehme, deß freu' ich mich.«
Hiemit trennten sie sich.
5925   Die Suchende spornte schnell und jach;
Der rechten Straße folgt sie nach,
Bis die Veste vor ihr lag,
Wo man sein also liebreich pflag,
Mit Sorgfalt auserlesen,
5930   Und hielt ihn bis er war genesen.

    Nun ritt sie zu des Schlosses Thor;
Und mochte wohl davor
Von Rittern und von Frauen
Ein solch' Gesinde schauen

5935   Wie es den Burgherrn ehrte:
Zu dem sie rasch sich kehrte,
Und fragt sofort ihn Märe,
Ob Kund' ihm von dem Ritter wäre,
Den sie zu suchen kam? –
5940   Als das der Wirth vernahm,
Alsbald er ihr entgegen ging,
Fröhlich die Maid empfing,
Und bot ihr Herberg' an.
Sie sprach: »Ich suche einen Mann,
5945   Und bis ich den erfragt,
Hab' ich aller Ruh' und Rast entsagt:
Von ihm zu hören kam ich her.« –
»Wie ist sein Nahm'?« entgegnet' Er.
Sie sprach: »Nach dem ich bin gesandt,
5950   Der ward nie anders mir genannt,
Als daß ein Löwe mit ihm ist.«
Er sprach: »Der hat vor kurzer Frist
Urlaub von uns begehrt.
Mir ward von ihm das nicht gewährt,
5955   Sonst hätt' er länger bei uns verweilt:
Er und der Leu sind wohl geheilt.
Sie lagen beide gefährlich wund,
Nun fahren sie frisch und ganz gesund.
Wollt ihr ihn bald ereilen,
5960   So dürft Ihr auch hier nicht weilen:
Folgt seinem Hufschlag nur,
Und verliehrt ihr nicht die Spur,
So hohlt Ihr ihn ein bei Zeiten.«
Da säumte sie nicht zu reiten.
5965   Kein Zelten mochte sie haben,Zelten, das alte Wort für Paßgang reiten: davon Zelter.
Galopiren ließ sie, und traben,
Bis sie von weitem ihn sah.
So lieb als ihr davon geschah,
So mög' uns auch noch gescheh'n
5970   Uns also erfreut einmahl zu sehn.

    Sie gedacht' in ihrem Muthe:
»Allmächt'ger Gott der Gute,
Wie fang' ichs nun am besten an,
Seit ich gesunden den Mann?

5975   Mit Müh' und großer Beschwer
Sucht' ich nach ihm bisher,
Und hatte vorhin mir oft gedacht,
Wenn ichs so weit gebracht,
Wie glückselig ich wäre,
5980   Und daß ich alle Schwere
Völlig dann überwunden.
Nun da ich ihn gefunden,
Läßt mich die Angst nicht ruhn,
Was er werde thun?
5985   Wär' er mir jetzt nicht gnädig,
Alles Trostes wär ich ledig.«

    Dies Gebet sprach sie für sich:
»Herr und Gott, nun lehre mich
Wie ich die Rede wohl bedenke,

5990   Daß ich den Sinn ihm lenke,
Und er die Bitte mir nicht wehrt.
Weigert mir, was ich begehrt,
Mein Unglück, oder sein Zorn,
So war mein Finden verlorn!
5995   Gott gebe mir Heil und rechten Sinn.«
Alsbald nun ritt sie zu ihm hin,
Und sprach: »Gott schütz' Euch alle Zeit!
Ich eilte zu Euch gar weit,
Eure Gnade anzuflehn;
6000   Gott lasse mich wohl vor Euch bestehn.«
Er sprach: »Ich habe Gnade nicht.»Bei mir kann von Herablassung nicht die Rede sein; ich stehe selbst so tief, als einer nur stehen kann.«
Wem meines Beistands gebricht,
Und wo ein Guter deß begehrt,
Dem wird er nimmer von mir gewehrt.«
6005   Weil er ihr das wohl ansach,
Daß sie um ihn viel Ungemach
Auf ihrer Fahrt getroffen,
Hieß er sie alles Gute hoffen.
Er sprach: »Fraue, mich kümmert sehr
6010   Eure Müh' und Beschwer,
Und kann ichs von Euch wenden,
Soll Euer Leid sich enden.«
Da neigt sie sich ihm und Gott,Die Verstärkung des persönlichen Pronomens durch den Namen Gottes hält Grimm (deutsche Mythologie I., S. 14.) für eigenthümlich germanisch, und führt sie auf die frühsten Zeiten zurück. So die treuherzige Formel: »Gott und mir willkommen;« »das weiß Gott und ich.« Zuweilen wird das böse Wesen neben der Gottheit genannt ( got noch den tiuvel loben 1273), eben so »in beschirmet der tiuvel noch got,« 4635. d. h. gar Niemand.

Altgermanischen Ursprungs ist eben so, wenn die Gedichte des Mittelalters Gott menschliche Leidenschaften oder besondere Zustände des Wohlbehagens, der Freude oder der Rache beilegen: noch mehr wenn sie ihm Neigung für menschliche Schönheit oder Wohlgefallen an Kämpfen und Tjostiren zuschreiben. Dahin gehören die naiven Stellen im Iwein 1021 und 3045; dahin auch die zornige Rede des Pförtners 6104; ferner Ausdrücke wie Gott der reiche, oder das ganz menschliche Bild, daß Gott jemanden vergessen könne.


Und fügt sich seinem Gebot
6015   Mit heißem Dank und Segen.
Sie sprach: »Nicht meinetwegen
Geschieht die Bitte, noch für mich.
Sie ist würdiger viel als ich,
Die mich nach Euch hat ausgesandt.
6020   Ich sag' Euch wie's um sie bewandt.
Sie kam viel ungerecht in Noth;
Ihr Vater ist seit Kurzem todt,
Und will die Schwester sie verderben,
Und ihr wehren zu erben,
6025   Weil sie ein wenig älter ist.
Nun gewann sie kaum sich Frist:
Denn nach sechstehalb Wochen
Wird das Urtheil gesprochen
Zwischen den Schwestern beiden:
6030   Sie muß sodann sich scheiden
Von ihrem Erbetheil,
Wofern sie nicht zu ihrem Heil
Einen Kämpfer bringt, der ihre Rechte
Vor Uebergewalt verfechte.
6035   Nun ward sie auf Euch gewiesen,
Weil alle Stimmen Euch priesen,
Daß sie zum Trost Euch hat erkohren:
Auch ging ihr nicht verlohren
Durch Hoffahrt noch durch träge Zucht,
6040   Daß sie Euch selbst nicht aufgesucht:
Sie ward an ihrer Reise
Verhindert gült'ger Weise,
Weil sie leider auf ihrer Fahrt
Von großer Ermüdung siech ward,
6045   Und mußte der Krankheit wegen
In meines Vaters Hause sich legen.
Der sandte mich her an ihrer Statt;
Nun bitt' ich Euch, wie sie mich bat.

    Sie hieß mich Eure Güte

6050   Mahnen mit ganzem Gemüthe.
Seit Euch Gott die Ehre gann,
Daß mancher würd'ge Mann
An Euerm Ruhm sich mag erbau'n,
So ehret Gott und die Frau'n,
6055   Dann seid Ihr höfisch und weise.
Nun geruht die Preise
Euch und der Magd zu mehren:
Euch selbst an Euern Ehren,
Der Jungfrau an ihrem Gute.
6060   Was Ihr beschließt in Eurem Muthe,
Deß gebt, um Gott, mir Kunde.«
Er sprach: »Dann kam zur guten Stunde
Der Bot' und säumte nicht ein Haar.
Der alte Spruch ist wahr,
6065   Wer guten Boten sendet,
Sein Frommen sich vollendet.
Ich seh' an solchem Boten wohl,
Wie man die Frauen ehren soll:
Ich thu' viel gern was sie begehrt,
6070   So lange mir Kraft und Leben währt.
Nun reitet voran, und führet mich;
Wohin Ihr führt, da folge ich.«

    So ward die Botin empfangen,
Und war nun völlig vergangen

6075   Ihre Angst und zweifelnde Schwere.
Viel manche neue Märe
Ward erzählt auf der Haide:
So vertrieben sie beide
Mit Wechselgespräch den Tag.
6080   Nun sahn sie, wie vor ihnen lag
Eine Burg an der Straße,
Reisenden in willkommner Maaße,
Die herbergen sollten,
Wie auch die beiden es wollten.

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