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Auf dem Tempelhofer Flugplatz hatten sich viele Menschen eingefunden, um dem Start der neuen D 4000 beizuwohnen. D 4000 machte einen Passagierrundflug Berlin–Köln–Paris–Haag–Bremen–Berlin.

Wie die Welt doch von oben aussieht! Linde konnte sich nicht satt sehen an dem wechselvollen Spiel der Landschaften dort unten: Die märkischen Seen in ihrem Rahmen grüner Wälder, bald schon die Elbe, dann die Weser, der Teutoburger Wald und jetzt der weite Kessel der Roten Erde, Westfalens Kohlen- und Eisengebiet, ein grauer Dunst über Hochöfen und Essen.

Köln!

Da ragt er empor, der Welten schönster Bau, steingewordene Mystik aus dem Geiste deutscher Tannen!

Der große glitzernde Vogel rundet ihn in langsamer Fahrt, dann, mitten über der Stadt, dröhnt der Motor auf. Pfeilschnell und gerade geht es zum nächsten Ziel:

Paris!

Ahnte man dort, was D 4000 bedeutete? Man kam eine gute halbe Stunde zu früh, und trotzdem hatte sich schon eine ganze Anzahl Schaulustiger angefunden. In irgendeinem Kreise mußte etwas durchgesickert sein. Nun ja, das Flugzeug war ja angemeldet, und auf der Botschaft in Berlin wird man ja wohl nicht geschlafen haben.

Ganz plötzlich stand der große, durchsichtige Vogel dicht über dem Platz und landete, ehe man sich von seinem Staunen erholt hatte. Nichts war vorher zu hören gewesen. Die Maschine war ja schneller als der Schall! Und was man sehen konnte, waren zuerst der Führer und die Passagiere, dann erst die Maschine selbst.

Linde und noch ein Herr stiegen aus. Schon war der Vogel wieder in seinem Element. Im 500-Kilometer-Tempo raste er über die Stadt, drei-, viermal, rundete den Eiffelturm und brauste nach Norden ab.

Linde ging zur Fahrgastkontrolle und zeigte ihren Paß vor. Man war höflich, aber sehr genau. Der ausgestiegene Herr kam schneller durch. Linde wunderte sich nicht. Es war ja der Militärattaché der französischen Botschaft in Berlin.

Sie nahm eine Taxe: »Versailles – Schloß!«

Es war eine lange Fahrt. Endlich kamen die großen Baumwipfel des Parkes und dann das Schloß, das Schicksalsschloß.

Der Wagen hielt. Hier war ein Postkasten. Hier konnte der Brief hinein. Schicksal, gespielt aus dieser Schicksalsecke! Sie entlohnte den Chauffeur. Da aber kommt von hinten ein zweiter Wagen. Nanu? – Habe ich den nicht schon gesehen? – Einen roten und einen schwarzen Gummi? – Vorhin hinter uns? – Vorsicht Linde!

Sie läßt den Brief in ihrer Handtasche und tritt ins Schloß, geht in die Spiegelgalerie. Sonnenlicht strömt in die breiten Fenster, blitzt auf dem Parkett. Hier also! – Hier senkten sich Deutschlands Fahnen vor dem Greis, der ihr erster Kaiser ward! – And hier, im gleichen Raum, wurde jene Teufelsbibel überreicht, die sich Vertrag »des Friedens« nennt! – Hier! –

*

Und hier steht sie, Linde Hefften, im Auftrage eines anderen, der den Kampf aufnimmt gegen jenes Dokument der Schande!

In ihrer Tasche ruht der Brief!

Sie weiß genau, was das bedeutet. Stolz schlägt ihr Herz. Ihr Großvater stand hier und heute sie, die Enkelin. Soldatenblut!

*

Sie wendet sich, geht dem Ausgang zu.

Ein Herr steht dort, Mitte Dreißig etwa, elegant, ein nicht unsympathisches Gesicht. Er zieht den Hut und spricht sie an, in fließendem Deutsch:

»Verzeihen Sie, Fräulein v. Hefften, wenn ich die Kühnheit habe, Sie anzusprechen, aber ich habe die Pflicht, Ihnen als quasi offizieller Persönlichkeit die Honneurs Frankreichs zu machen. – Ich bin François Faillet von der Flughafenleitung in le Bourget.«

Linde ist es sichtlich unangenehm. Sie fragt, ob es nicht mehr möglich sei, einen ungenierten Privatabstecher nach Paris zu machen.

»Aber gnädiges Fräulein, gerade darin wollen wir Ihnen ja behilflich sein. Ich meine, die rechte Hand eines Dr. Harsen hat doch wohl ein Recht darauf, namentlich, wenn sie die Tochter eines preußischen Generals ist. – Ich darf Ihnen auch gleich mitteilen, daß wir Zimmer für Sie im Hotel »Ambassadeur« bestellt haben. Wollen Sie sich dort bitte als Gast der Flughafenleitung fühlen!«

Also richtig eingefangen! Was tun? – Der Brief muß doch unauffällig in den Kasten! Der andere redet schon wieder weiter:

»Ich wollte Sie nicht dort im Saale schon stören, ich als Franzose.«

Da schießt Linde ein rettender Gedanke durch den Kopf:

»Nun gut«, reicht sie ihm die Hand, »ich bin Ihnen sehr verbunden. Ich habe Sie übrigens schon kommen sehen. Ich danke Ihnen auch für Ihre Ritterlichkeit. Darf ich aber diese noch einmal in Anspruch nehmen?«

»Aber selbstverständlich, gnädiges Fräulein!«

»Also, Herr Faillet, ich bitte Sie, mich als Deutsche noch einmal für einige Zeit mit meinen schmerzlichen Erinnerungen allein zu lassen und mir ein Café in der Nähe anzugeben, wo wir uns in etwa einer halben Stunde wieder treffen können.«

Da konnte er natürlich schlecht nein sagen. Ob Sie aber auch wirklich käme?

»Ich geb' Ihnen sogar ein Pfand, Herr Faillet.« Lächelnd überreicht sie ihm den Gepäckschein.

Ja, er fährt wirklich ab.

Ein Briefträger kommt und leert den Kasten. Sie läßt es geschehen. Dann erst tritt sie wieder hinaus. Nächste Leerung am folgenden Morgen. Recht so! Dann lautet der Poststempel nicht von dem Tage, an dem Linde Hefften in Paris eintraf. Flugpostmarken sind drauf, sind schon in Berlin besorgt gewesen. Rein damit! – Ab nach Sidney!

Einige Zeit sitzt sie noch auf der Bank und sammelt ihre Gedanken. Es ist ein liebenswürdiger Mensch, aber trotzdem: Vorsicht! – Dann schlendert sie langsam zu dem Café. Faillet springt ihr entgegen. Man ist bald in fröhlicher Unterhaltung.

»Wissen Sie, gnädiges Fräulein, worüber ich mich wundere?«

»Na?«

»Daß Sie gar nicht fragen, woher ich Ihren Namen kenne.«

»Was man weiß, braucht man nicht zu fragen, Herr Faillet. Ich habe mir doch bei Ihrem Konsulat das Visum geholt, und da man bei Ihnen ein so merkwürdiges Interesse für alle Alumnitleute hat …«

»Merkwürdiges Interesse ist glänzend, gnädiges Fräulein! Sie bauen da geradezu ein Fabelwesen von Flugzeug, drohen alles pleite zu machen und dann, dann wundert man sich noch in Leichtstadt über unser Interesse!«

»Nein, Herr Faillet, nur über die Art, in der es sich betätigt.«

»Aber gnädiges Fräulein, so ist es doch nun einmal im Leben. Warum verkauft Harsen denn keine Lizenzen?«

»Er hatte die feste Absicht. Aber die Werkspionage hat ihn verärgert. Er ist ein harter Dickkopf, Herr Faillet.« Sie wundert sich selbst, daß sie ihm das mit fröhlichem Lachen ins Gesicht sagen kann. Aber beide wollen sich nicht streiten. Man spricht über andere Dinge, über das neben ihnen liegende Porzellanstädtchen Sevres und über Paris, ja, das herrliche, einzige Paris. Faillet schwärmt für seine Vaterstadt wie ein Backfisch.

Sie fahren beide in die Stadt hinein, und es gibt noch einen gemütlichen Abend, erst im Hotel, dann in einem jener typischen Cafés, die den Gast fast im Straßengewühl sitzen lassen. Der Abend ist ja warm und schön. Faillet ist die Ritterlichkeit selbst. Ob Linde einen kleinen köstlichen Kognak trinken würde? Warum nicht? Dann kommt eine Flasche deutschen Weines. »Ein Gruß aus Ihrer Heimat!«

Man sagt ja, daß der deutsche Wein in der Fremde doppelt gut schmeckt. Das liegt nicht am Wein allein.

»Ich möchte Ihnen ›Lorcher Schräge‹ von 1929 empfehlen. Der ist groß, hat viel Körper und Würze.«

Der Wein kommt.

»Kennen Sie den?« – Er zeigt die Flasche.

Sonderbare Frage! Den gibt es ja auch in Leichtstadt im Hotel! – Und woher kennt dieser Franzose die Fachausdrücke der deutschen Weinhändler? Aber es ist nur ein ganz schneller Verdacht, der das Denken kreuzt. Man stößt jetzt auf die Heimat an und macht Pläne für den morgigen Tag.

Faillet trinkt häufig zu. – Ob er mir einen kleinen Schwips verpassen will? – Und flirten tut der Mann! – Auf Deubel komm raus! – Eigentlich ganz amüsant. – Wohin das wohl noch führen soll? –

Eine Uniform taucht auf, ein Major. Langsam schiebt er sich durch die Tischreihen, die Zigarette im Mund, das goldbetreßte Käppi auf dem Kopf.

»Guten Abend, Herr Major!«

Major Durail ist erstaunt und erfreut. Artig gibt er einen Handkuß. So ist man zu dritt. Die Soldatentochter und der Major kommen ins Fachsimpeln. Man spricht jetzt französisch; denn mit der deutschen Sprache ist es bei dem Major recht schlecht bestellt.

»Aber mein gnädiges Fräulein, dann muß es Sie ja brennend interessieren, mal unsere neuen Befestigungen in Lothringen kennenzulernen.«

»Fabelhaft wäre das. Aber man wird da natürlich nicht hin dürfen.«

»Warum nicht? – Wenn ich Sie führe? – Und im übrigen: die Bilder waren ja sogar in den Zeitungen.«

Linde erinnerte sich. Also übermorgen wollte man zunächst nach Metz, dort übernachten und dann zu den Befestigungen. Einige Einzelheiten wird man allerdings wohl nicht sehen dürfen, aber doch das meiste.

Die Stunden vergehen. Es gibt noch einen Bummel durch die Straßen und schließlich besucht man noch eine Bar. »Nur im Vorübergehen.« So wird es recht spät. Faillet läßt es sich nicht nehmen, Linde noch bis zur Treppe zu begleiten. Er hat einen richtigen, niedlichen, aber gar nicht zu leugnenden Spitz. Linde macht beim Abschied den Arm etwas steif. Das gibt sicherheitshalber etwas mehr Abstand. Der Mann hat so etwas Verliebtes an sich! – – –

Der nächste Tag gehört Paris, den Straßen, den Läden, dem Invalidendom, der Madeleine und schließlich dem Louvre. Ja, der deutsche Städtebauer Haußmann hat hier trefflich breite Boulevards geschaffen. Es ist viel alte schöne Kultur hier und viel neue Eleganz. Aber zwischen diesen beiden klafft irgendwie eine Lücke, ist irgendwie ein Gegensatz. Das Neue hat so etwas Fassadenhaftes, Äußerliches an sich. Linde denkt sich, daß hier die Kultur von der Zivilisation plattgewalzt worden ist.

Am Tage darauf, am frühen Nachmittag, trafen sie in Metz ein. Nein, wie diese Stadt herabgekommen aussieht! Gewiß, einige neue Prunkvillen, aber Papier und anderes auf der Straße.

Drei Soldaten kommen da entgegen, junge, gesunde Kerle. Sie grüßen, und der Major dankt. Und da geschieht es, daß Linde, die Soldatentochter, eine seltsame Beobachtung macht. Der Dank war nicht jene lässige Bewegung des Zeigefingers an den Käppirand, wie sie sonst dort üblich ist, nein, die Hand ging zu hoch, und zu schnell war es auch. Es schien einen Augenblick, als wolle er einen Hut abnehmen. Das alles war nur eine Kleinigkeit, ein Bruchteil einer Sekunde. Eine andere hätte es gar nicht bemerkt. Aber Kleinigkeiten sind schon oft Wendepunkte gewesen.

In Lille hat der Mann ein Bataillon? Warum brachte er vorgestern das Gespräch immer wieder davon ab? Geheimnisse waren das doch nicht!

Linde hat einen Schreck bekommen. Was wird denn hier gespielt? – Nur nichts merken lassen! Und sie zwingt sich zu heiterem Plaudern. Gut, daß man endlich im Hotel ist!

Als die anderen Herren aus ihrem Zimmer kommen, ist Linde schon fertig mit dem Kaffeetrinken: »Ich bin gleich wieder da. Ich will mir nur ein paar Ansichtskarten kaufen.«

Auf der Straße fragt sie einen Soldaten nach der Kommandantur. Der gestikuliert mit beiden Armen, aber klug wird man daraus nicht. Sie sagt ihm einige nette Worte, und der galante junge Mars ist erfreut, eine so vornehme Dame begleiten zu dürfen.

»Ich möchte den Ordonnanzoffizier sprechen!«

Die Worte kommen so knapp und bestimmt, daß die Schreiber gar nichts anderes zu tun wagen, als sie anzumelden und gleichzeitig ihr die Tür zu öffnen. Der junge Hauptmann ist überrascht.

»Entschuldigen Sie, ich möchte Sie nicht aufhalten, nur eine ganz kurze Frage: Gibt es in der Armee einen Major Durail?«

Der Hauptmann bietet ihr einen Stuhl an und schlägt in einem Buche nach. »Durail? – Durail? – Nein, mein Fräulein!«

In diesem Augenblick kommt ein Major herein, ein unangenehmes Gesicht. Er sieht fragend zu der Besucherin.

»Die Dame möchte wissen, ob es in der Armee einen Major Durail gibt«, erklärt der Hauptmann die Lage.

»Durail? – Jawohl!«

»In Reims, nicht wahr?«

»Jawohl, mein Fräulein.«

»Ich danke Ihnen sehr, meine Herren!«

Sie wendet sich und geht. Aber die Wendung dauerte eine Winzigkeit länger als sonst. Sie mußte doch die Miene des Majors beobachten. Der Mann war wirklich nicht gewandt! Er hatte sich nicht in der Gewalt. Es kam ihm wohl zu plötzlich.

Nachlässig schlendernd, anscheinend guter Dinge, geht sie in Richtung auf das Hotel zurück. Aber in ihr jagen die Gedanken: In der Rangliste steht er nicht. Also ist er nicht Offizier. Der andere aber will ihn dafür ausgeben. In Reims! – Gut, daß ihr der Trick so schnell einfiel. Durail selber will ja in Lille stehen. Er will mir die Befestigungen zeigen! – Ja, und dann läßt man mich natürlich festnehmen, und einen Durail hat es nie gegeben! Ich bin dann eine Spionin! – Fertig! – Und wozu das? – Nun, dann kommen die ewigen Verhöre, die Behandlung, die dunkle Zelle, die Schikanen, um – um die kleine Boschin so mürbe zu machen, daß sie mit den Nerven zusammenbricht und das Geheimnis des Alumnits verrät! – Da liegt der Hase im Pfeffer!

Wartet, Ihr Brüder! So dumm ist die Linde Hefften nun auch nicht!

Aber mit dieser Erkenntnis ist man noch nicht raus aus der Falle, hier aus der Festung Metz. Der Paß lautet ja auf Paris, nicht auf Metz. Daran hat sie vorher gar nicht gedacht. Der richtige Major in der Kommandantur ist mit im Komplott. Gehe ich zum Bahnhof, so greift man mich. Gehe ich zum Hotel, so weiß der Durail sicher schon, daß ich Lunte gerochen hab'. Der andere ruft ihn doch an. Das ist klar!

Linde, du bist ganz verratzt! Aber gründlich!

Sie nimmt eine Taxe: »Thionville!« – Nur raus aus diesem Nest. Diedenhofen ist ja nicht weit.

Nach Diedenhofen dürfe er nicht fahren. Wegen der Konkurrenz mit der Eisenbahn.

Pech über Pech! – Sie überlegt.

»Zum Dom!« – Das sind nur zwei Minuten. Aber es ist gleich. Irgendwohin, wo man überlegen kann!

Das Dämmerlicht dieser im Innern so herrlichen deutschen Kirche umfängt sie. Sie geben Ruhe, diese gewaltigen Massen steingewordener Harmonie. Linde setzt sich in das Gestühl und überlegt.

Soll sie einfach zur Polizei gehen und die Sache anzeigen? Eine Behörde gegen die andere? – Aber da ist ja die Sache mit dem Paß. Also es geht nicht.

Soll sie mit einem Auto nach Westen zu, also in unvermuteter Richtung fliehen, vielleicht bis zur Bahnstation Etain, von da nach Paris? Dann könnte die deutsche Botschaft weiter helfen. Aber die Taxen werden ja dorthin auch nicht dürfen.

Soll sie in irgendein Dorf östlich Metz fahren und dann zu Fuß in der Nacht das Saargebiet erreichen? Dann nimmt man sie gerade inmitten des Befestigungsgürtels fest. Da wird ja doch alles alarmiert sein. So etwas wie einen deutschen Konsul gibt es hier wohl nicht, und wenn, dann kann der auch nicht helfen.

Nein, es bleibt gar nichts anderes übrig, als D 4000, als sich hier irgendwo abholen zu lassen. Dazu muß man erst einmal mit Deutschland telefonieren. Mit wem dort? – Es darf bei den Postmenschen hier keinen Verdacht erregen. Möglichst also nicht mit Leichtstadt. Leichtstadt kennt jeder von der Antennengeschichte her. Mit meinem Vater? – Der ist noch im Amt – Ingenieuramt! Das ist erst recht spionageverdächtig! – Aber wer sonst? – Der kleine Teekessel ist jetzt sicher nicht zu Hause. – Und wessen Fernsprechnummer weiß ich sonst noch? – Wer ist noch einigermaßen helle?

Hans Felderhoff! – Richtig!

Eine halbe Stunde dauert es auf dem Postamt. Da kann man sich überlegen, wie man die Worte setzen muß. Sie sollen bei den Telefonisten möglichst keinen Argwohn wecken. Am besten spricht man deutsch, deutlich aber schnell, damit es von denen hier nicht verstanden wird.

Wenn bloß nicht immer der Gedanke käme: Jetzt kommt hier einer rein und holt mich ab. Dann ist alles vergebens!

»Berlin kommt!«

»… Ja, ja, Herr Felderhoff! Die Linde Hefften – Autofahrten Alexanderplatz nach Hause! Hören Sie bitte genau zu: Bin in großer Not in Metz. Sehe Ausweg nur in Abholung mit D 4000 – D 4000. Morgen früh 5 Uhr großer Platz hinter Königsregiment. Bitte meinem Vater mitteilen. – Haben Sie verstanden? – Nein, kein Geld. – Dieselbe Not wie Sie damals. Vorsicht! Sonst wohlauf. Herzlichen Gruß! – Schluß!« –

Bezahlen. – Ruhig heraus!

Was nun?

Es ist jetzt 7 Uhr, also noch zwei Stunden hell. Man wird sie suchen. Das ist wohl selbstverständlich. Da muß man wohl das tun, was den anderen am allerunwahrscheinlichsten ist. Aber erst muß man sich orientieren. Es ist überhaupt ein Mordsdusel, daß man die Sache von dem Platz von Vaters Erzählungen her kennt! Wo der liegt? – Keine Ahnung!

Da ist eine kleine Weinkneipe. Brrr! – Lauter Männer! Und ein Qualm! – »Einen Benediktiner und den Stadtplan bitte. Sagen Sie, wann ist der Dom erbaut und was wiegt seine größte Glocke? – Wissen Sie nicht? – Waren Sie schon einmal in England, garçon? – Schade, ich dachte, ich könnte mich mal mit jemandem in meiner Sprache unterhalten.«

Schauderhaft klingt das! Französisch mit englischem Anklang! Aber es ist besser so.

Also der Stadtplan.

Ich muß nach Westen über die Mosel. Das nimmt kein Mensch an. Die Heimat liegt im Osten. Aber ein Marsch wird das, wirklich nicht von schlechten Eltern!

Und sie marschiert los. Über die Brücke und dann links ab. Links muß immer die Mosel liegen. Ein gewaltiger Umweg ist das. Häuser und immer wieder Häuser. Sie sind klein und schmutzig. Bisweilen sind Obstgärten dazwischen. Der Bürgersteig hört auf, nur daß die Gossen den Damm in drei Streifen teilen. Es geht sich da nicht schön mit den Straßenschuhen. Aber es hilft ja nichts.

Menschen sind noch eine ganze Menge auf der Straße, darunter viele Soldaten, mit und ohne Mädel am Arm. Linde sieht sich so einen Einzelgänger an. Die Uniform interessiert sie doch. Aber der Mann denkt wohl an anderes und redet sie an. Der Abend sei doch so wunderschön, ob sie den nicht zusammen genießen könnten? So ein kleiner Spaziergang? – Sieh einer mal an! – Wenn der wüßte! – Nein, heute könne sie leider nicht, aber morgen um dieselbe Zeit, hier unter der großen Linde. Sie müsse jetzt schnell zu ihrer Herrschaft. – Sie geben sich beide freundschaftlich die Hand. – Weiter!

Es dauert aber nicht allzu lange, und die Angelegenheit wiederholt sich. Die Herren Soldaten hier scheinen doch ein bedürftiges Herz zu haben. »Dreist und gottesfürchtig« sind sie auch! Aber schließlich, was macht sie auch hier in der finsteren Gegend!

Also der zweite wird auch unter die große Linde bestellt. Da hat er dann Gesellschaft!

Der dritte ist ein Kavallerist. Mit dem geht es schon ganz flott. Man hat schon den richtigen Ton heraus. Er ist sehr höflich und nett und grüßt wie ein Graf. Der arme Kerl! Auch er wird unter der Linde stehen. Was die sich anglotzen werden! Schade, daß man das nicht sehen kann! – Nun, sie können dann ja Skat spielen!

Jedenfalls ist es so am besten. Nur nicht zimperlich tun! Wenn die Leute einen suchen, werden sie doch sicher die Soldaten fragen, ob sie eine einzelne Dame, eine deutsche Spionin gesehen haben. Das haben die dreie dann wohl nicht.

Ob man schon am Suchen ist? Am Bahnhof sicherlich schon lange, nach Osten zu wohl auch schon. Hier hat es vielleicht noch etwas Zeit. Eine so verrückte Idee trauen sie einem doch wohl nicht zu. Aber vorsichtig muß man trotz alledem sein! – Ob sie bei der Post nachgefragt haben? Hoffentlich nicht! Dann wäre alles verpatzt. Aber die können das wohl gar nicht verstanden haben, die Herren Postbeamten. – Weiter!

Es sind immer noch Häuser und Gehöfte da. Langweilig! Dann kommt die Eisenbahn. Die hat sie sich gemerkt. Da muß man rüber. Im nächsten Ort muß man sich ganz links halten. – Jetzt dämmert es schon gewaltig. Gut so! –

Jetzt ist es ganz finster. Aber dann kommt Moulins mit den Straßenlaternen. Huh, wie ist das dreckig hier!

Ist da hinten nicht Pferdegetrappel? Das ist kein Wagen. Das Rollen der Räder fehlt. Also Reiter! – Vorsicht!

Hier gibt es noch Misthaufen an der Straße, und an dem einen steht ein leerer Ackerwagen. Dahinter ist Deckung. – Höchste Zeit! – Ja, es sind Gendarmen! – Jetzt kommen sie! – Ganz still stehen, nicht rühren! – Vor dem Wagen reiten sie entlang. Sie reden miteinander, aber man versteht es nicht. Das Herz klopft so stark. Aber das hören ja auch die wieder nicht. – Ob sie mich suchen? – Wen denn sonst? – Gottlob, sie merken nichts! Sie reiten vorüber. – Da vorne geht eine einzelne Frau. – Wie sie die anglotzen! – Na, nun weiß man ja Bescheid! – Sie fragen die Frau etwas, und sie zuckt mit den Achseln. Jetzt traben sie ab. – – Weiter!

Jetzt kommt eine Art Platz, wohl der Markt. Hier muß es links abgehen. Richtig!

Finsternis! – Rechts und links sind Wiesen. Gottseidank! Hier sucht mich keiner!

Ein Bauerngehöft liegt da. Die Hunde bellen wie verrückt. Diese dummen Tölen! Werden mich doch nicht verraten? – Möglichst schnell vorbei!

Gottseidank, da ist die Mosel!

Wenn nur kein Posten auf der Brücke ist! – Sonst muß ich schwimmen, die Sachen ausziehen, ein Bündel schnüren und dann drüben einen Trockenplatz errichten. Eine Waschfrau in der Sommernacht! Ganz romantisch! Aber schön ist anders!

Nein, die Brücke ist frei! – Weiter!

Da steht wieder ein Bauernhaus und wieder kläffen die Köter. Man kommt an dem Haus rechtwinklig auf eine Landstraße. Rechts muß es richtig sein. Links liegt Metz. Der Himmel ist dort hell. Rechts ist es stockduster.

Richtig, hier muß man über die Eisenbahn, die Hauptstrecke, zwei Geleise. Es geht auf einer Brücke hinüber. So, jetzt muß man links ab! – Wenn man den Weg nur finden könnte! – Doch, hier geht es den Damm hinunter. Jetzt ist es so finster, daß man sich an den Bäumen entlangtasten muß, immer von einem zum anderen. Es ist schlimm, wenn einer dazwischen fehlt.

Rechts schreit ein Kauz: »Huhuhuhu.« Was so schreit, muß ein Waldkauz sein. Also ist rechts wohl ein Wald oder ein Park, möglich, daß es der Schloßpark von Freskati ist. Dann bin ich dicht am Ziel. Es wäre aber auch Zeit. Die Knie tun weh und der Hunger plagt. Die Füße brennen. Der eine Hacken ist fort und am anderen Schuh ist die Spange gerissen. Wie sagt Vater doch immer? – »Na, dann gleicht sich das ja wieder aus.« – Wenn man nur nicht dauernd den Schuh verlieren würde. Er ist von dem vielen Laufen ganz weit geworden.

Jetzt ist der Weg zu Ende. Wieder geht es rechts und links ab. And was ist da vorne? – Eine feste, ebene Grasnarbe!

Hurra! – Der Übungsplatz!

Jetzt muß da irgendwo ein Wäldchen sein, mitten auf dem Platz. In dem will ich mich ja verstecken. Aber wo? Man kann ja nicht einmal seine Nasenspitze sehen. Und nun ist auch der Schuh wieder weg.

Guter Schuh, ach komm doch wieder!

Pustekuchen! Der denkt ja gar nicht dran! Der ist ja froh, daß er mich los ist.

Endlos dauert es, bis er wieder da ist. Man hat natürlich im Kreise um ihn herumgesucht. – Ach was, unter den Arm mit den beiden Dingern! Was gehn mich jetzt noch die Strümpfe an! Laß sie kaputt gehen – oder – ja, ich zieh sie auch noch aus. Rein in die Handtasche! Da wird ihnen wohl nichts passieren.

So, jetzt geht Doktors Sekretärin als Barfüßele durch die Nacht auf einem französischen Übungsplatz in der Festung Metz. Das hat man sich auch noch nicht träumen lassen.

Wo ist denn nur dieser blöde Wald?

Ach, was soll ich den noch suchen. Solange es dunkel ist, brauche ich ihn nicht. Nachher werde ich ihn schon sehen. Woll'n uns mal erst etwas langlegen. Die Beine woll'n doch nicht mehr. Hier ist so eine Art Maulwurfshaufen, da kann ich meinen Kopf drauflegen. Entschuldigen Sie, Herr Maulwurf!

Ah, wie das gut tut! – Man könnte schlafen. Aber die Gedanken lassen es nicht zu. Ob der Vater verstanden haben wird? »Großer Platz hinter Königsregiment?« Er hat ja hier in Metz gestanden. Er wird sich das schon austifteln. Wenn sie Freskaty gesagt hätte, wäre alles klar, aber auch für die anderen. Das ging leider nicht. Und wenn das Flugzeug nun nicht kommt? Wenn es was anderes vorhat? – Bah, das läßt der Doktor nicht zu. Dann wird er grob. Selten ist er das, aber dann dröhnt's. Mich, nein, mich läßt er nicht im Stich! – Niemals! – Und wenn er den Himmel einschlagen müßte! – Ich bin doch ein glückliches Mädel, ein mordsglückliches Mädel! Und wenn ich hier auf der Erde liege und allmählich anfange zu bibbern, macht nichts, ich bin ein mordsglückliches Mädel. Und wenn ich nicht so glücklich und fidel jetzt wäre, so würde ich dir, du schauerlicher Kauz da hinten, meine Schuhe an den Schnabel werfen. Kümmere dich um deinen Mann oder um deine Frau und heule einem glücklichen Mädel hier nichts vor, du Flennaugust oder du Tränenauguste! Fang lieber die Mäuse weg, die hier so quieken. Sonst knabbern die noch meine nackten Beine an, die ekligen Biester die!

Was mag denn die Uhr sein? Sehen kann man nichts. Aber fünf Stunden bin ich wohl gut unterwegs gewesen. Mitternacht muß längst vorüber sein. Da rechts neben Metz wird es schon heller. Da schiebt sich die unterirdische Sonne schon ein bißchen näher heran.

Kinder, was die in Leichtstadt für Augen machen werden! Und was wird der Doktor sagen? Wird er froh sein, wenn ich wieder heil angekommen bin? Er müßte mich eigentlich vor Freude recht fest in den Arm nehmen. Da darf man ihm dann doch gar nicht böse sein, nicht wahr? – Nein, gottseidank nicht! – Aber er wird es nicht tun. Er ist zu ruhig dazu, und bei Tage sieht sowas immer ganz anders aus. – Schade, daß er mich nicht selber holen kann. Ich würde heulen vor Freude. – Aber er darf es nicht riskieren, den Franzosen in die Finger zu fallen. Nein, das geht nicht. – Schade! –

Da wird es immer heller, und nun sieht man auch das Wäldchen, ganz dicht dabei! – – –

Und wenn sie mich nun nicht abholen? Wenn die Polizei einen politischen Strich durch die Rechnung macht? Es ist doch verboten, die Festung zu überfliegen! Oder wenn Morgennebel kommt? – Bah, dann wandere ich eben ins Kittchen. Dann werd' ich eben gezwiebelt, hilft nichts! Dann denk' ich immer an den Doktor und beiß' die Zähne zusammen. – Es wär' ja gelacht! – Kinder, mich kriegt ihr nicht rum! – Kinder, am liebsten möcht' ich ein Liedchen singen, ein lustiges Liedchen, »Alle Vögel sind schon da« oder was ähnliches.

Linde, mach' keinen Blödsinn! Die Sache wird immer heller und du liegst hier ganz offen. Als ob es keine Patrouillen oder so etwas geben könnte. Marsch in den Wald!

So, hier ist's noch dunkel. Wahrhaftig, da reiten drei! Sie hängen direkt auf den Kleppern. Die Zügel sind lang und die Köpfe tief, bei Mann und Pferd. Die sind sicher die ganze Nacht unterwegs gewesen. Ja, liebe Leute, es tut mir ja herzlich leid. Diese Art Mädchenjagd macht euch sicher keinen Spaß. Alumnit scheint euch doch viel wert zu sein. Fünfzig Schritt seid ihr vorbeigeritten. Ich möchte euch das auf einer Ansichtskarte schreiben.

Was die Zeit rennt! Es wird immer heller. Aber kühl ist es jetzt. Ich muß mal ordentlich meine Beine reiben. Einen Schnupfen sind die Brüder hier nicht wert!

Sieh 'mal an, da will die Sonne kommen! Wie es farbig wird. Wie glüht es da vorne! Der liebe Gott knipst Licht an. – Wie die Strahlen blitzen! Erst ist es ein leuchtender Berg, eine Gralsburg, und dann die volle Kugel, daß man die Augen schließen muß. Und der Tau glitzert an den Gräsern. Das ist Wasser, welches die kleinen Engel beim Waschen verpanscht haben! – Und da steigt auch eine Lerche hoch und will den Tag begrüßen. Sie flattert auf einer Stelle, während sie singt. Die ist genau so fröhlich wie du!

Jetzt aber aufgepaßt!

Eine halbe Stunde vergeht noch. Die Uhr ist natürlich stehen geblieben. Es gibt hier keinen Nachttisch, sonst hätte man sie schon aufgezogen. Sie sind doch noch nicht galant genug, die Franzosen!

Immer noch nicht!?

Ob sie mich hier sitzen lassen? Jetzt wird man doch ängstlich. Womöglich kommen hier Truppen zum Exerzieren. Und dahinten links, sind das nicht Flugzeughallen? – Wahrhaftig, da macht schon jemand das Tor auf! – – –

Wie aus dem Boden gewachsen steht D 4000 auf dem Platz. Als das Donnern des Motors kommt, hält sie schon.

»Hier! – Hier!«

Es ist ein Schrei, in dem Erlösung und Freude sich austoben. Die Maschine rollt an, und Linde läuft auf sie zu, was die Beine hergeben wollen. Die Tür fliegt auf, und Winterfeld springt heraus: »Guten Morgen! – Bitte! – Rasch!« Er hält die Hände zusammen. Das ist das Trittbrett. An die bloßen Füße denken sie beide nicht, nur schnell hinein! Die Tür klappt zu, und der Motor brüllt. D 4000 jagt über den Boden und steigt steil hinauf, in die Sonne hinein.

Frei! – Frei!

*

Wie die Menschen klein werden, die da unten durcheinander laufen und reiten! Und die schießen wohl gar. Und was sie schieben, um den Eindecker aus der Halle herauszubekommen. Was soll dies vorsintflutliche Ding! – Hier ist Alumnit, da laßt Euch begraben!

Metz wird immer kleiner im Morgendunst. – –

Winterfeld hat den Hörer der drahtlosen Telefonie in der Hand:

»Jawohl, Herr Doktor, ich habe den Ausreißer. Ganz gesund und munter. Alles glatt gegangen.«

Linde muß den Hörer nehmen. Sie kann kaum sprechen vor Glückseligkeit. Abgerissene Sätze sind es nur, das Allernötigste, nur daß er sich einen ungefähren Begriff machen kann.

»Wenn Sie erst ausgeschlafen haben, müssen Sie in aller Ruhe erzählen. Bis dahin auf Wiedersehn!«

Winterfeld erklärt, er wäre mitgefahren, um unter Umständen als amtliches Polizeiorgan helfen zu können. Am liebsten hätte der Doktor selber mitgewollt. Aber das ging ja nicht. Ja, es wäre schon eine Aufregung gewesen!

»Ach, ich bin Ihnen ja so dankbar, Herr Kriminalrat. Aber jetzt tun Sie mir mal den Gefallen und sehen sich da rechts die schöne Landschaft an, ja?«

Ob die Gegend von Mörchingen gerade schön ist, ist Geschmacksache. Aber Linde muß sich doch erst mal Schuh und Strümpfe anziehen. »So, fertig!«

Und nun will Winterfeld ausführlich jede Einzelheit wissen. – »Bitte ganz genau, die Sache mit dem Wein!«

»Sieh einer mal an! Der Mann ist mir nicht ganz unbekannt. Dem war ich erst neulich auf der Spur. Er war als angeblicher Weinreisender in Leichtstadt und hat im Hotel den gleichen Wein verkauft. So ein Bürschchen!«

Herrlich ist die brausende Fahrt über Deutschlands Gaue, wenn die Morgensonne alles in Gold und Silber taucht, und der Rhein wie eine diamantene Kette blitzt. Sie schauten beide. Wie schön ist die Welt!

Kurz vor sieben war man auf dem kleinen Flugplatz von Leichtstadt. Die Limousine des Doktors stand auf dem Weg, und da kommt er ja auch selber an und streckt zum Willkomm beide Hände entgegen. Als sie nun im Wagen erzählen will, legt er seine Hand auf ihren Mund: »Erst ordentlich ausschlafen!«

Jetzt ist man da.

»Fräulein Herder, sorgen Sie dafür, daß unser Kind schleunigst in die Klappe kommt, verstanden? Schließen Sie das Zimmer bis zum Mittag ab.«

»Jawohl, Herr Doktor!«

Am Nachmittag gibt es dann den großen Bericht. Max muß dazu Kaffee bringen. Als sie fertig ist, sagt Harsen:

»Das haben Sie ganz prachtvoll gemacht, ganz prachtvoll, Linde! Dafür muß man Ihnen direkt einen Kuß geben!« Er hat ihren Kopf in beiden Händen und schnell ist es geschehen. Es ist die Erregung der Freude. »Sie wissen ja gar nicht, wie ich mich darüber freue. Einmal, daß Sie rausgekommen sind aus der Falle, ja, das ist die Hauptsache, und zweitens, daß Sie uns dabei so geholfen haben. – Ja, Sie wissen wohl noch gar nicht, was das bedeutet? Es ist der Beweis, daß jetzt nicht mehr die Industrien allein, sondern die Staaten, die Regierungen gegen uns arbeiten. Es geht der Entscheidung zu!«

Da sieht er, daß sie immer noch ganz rot übergossen dasteht:

»Ach bitte, bitte, Sie nehmen mir das doch nicht übel?«

Es liegt soviel Herzlichkeit, Freundschaft und auch Schalk in der Stimme. Da reitet sie der Teufel, daß sie ihm sagt: »Nicht mal wiedergeben hab' ich ihn können.« Und schon ist sie raus.

Linde, was bist du frech zu deinem Chef! Einesteils müßt' ich mich nun ohrfeigen, andererseits verspüre ich aber gar keine Reue, nein wirklich nicht! Was ist das bloß? – Ich glaube, ich bin seit gestern jung geworden, ein richtiges Göhr bin ich geworden. Das geht doch nicht so weiter! Seltsam nur, daß ich mich ganz wohl dabei fühle. Sauwohl! – –

Am Abend sitzt das ganze Nonnenkloster im Hotel, an dem gemütlichen Ecktisch. Aber nicht eine fehlt. Da geht das Erzählen wieder von vorne los. Mit einem Male kommt auch der Doktor. So jung hat er noch nie ausgesehen, denkt Linde. Nein, er hat nichts übel genommen. Fröhlich ist er. Er muß auf das Sofa und lädt die ganze Gesellschaft zu »Lorcher Schräge« ein. Der Wirt ist ganz verdutzt, wie er hört, von welchem Früchtchen er den Tropfen gekauft hat. Der Doktor erzählt, daß der Bericht über Lindes Erlebnisse schon beim Auswärtigen Amt sei. Es würde wohl einen tollen politischen Krach geben, Landung in der Festung Metz, Überfliegen der Befestigungen usw. Aber gerade das brauche er jetzt.

Wo Winterfeld wäre? – Ja, der sei heute nachmittag nach Goslar gefahren. –

Ob Linde, als man endlich nach Hause ging, nicht doch einen ganz, ganz kleinen, niedlichen Spitz hatte? Hedwig Fall behauptete jedenfalls, daß die Ansichtskarte an Felderhoff kaum zu lesen sei. Das tat ihr leid, denn der Hans war trotz der Geschichte damals doch ein anständiger Kerl!

*

Das war noch eine aufregende Sache mit der »Romanze«, wie man im Nonnenkloster zu sagen pflegte.

Winterfeld hatte im Hotel Kaiserhof Quartier genommen. Die Sache war ihm zunächst sehr unsicher vorgekommen. Daß Spioninnen den Weg der Liebe zu benutzen versuchen, ist so alt, wie die Geschichte der Menschheit. Daß diese Anneliese Traut spionieren wollte, war mehr als wahrscheinlich. Ob aber der rohe Einbruch mit ihr zusammenhing, war doch sehr fraglich. Es wurde ja von allen Seiten her spioniert. Da konnten beide Sachen getrennte Dinge sein. Dann aber kam der Doktor mit den Manuskriptblättern an. Zweifellos war es das gleiche Papier. Das war zwar noch kein Beweis, aber es stärkte den Verdacht.

Nun kam die Sache mit dem Herrn Faillet, dem angeblichen Weinhändler, der in Leichtstadt und in Paris sein Unwesen trieb. Da muß man kombinieren: Der Einbrecher ist Franzose, dieser Faillet ist Franzose, wenn die Traut auch Französin ist oder im Auftrage der Franzosen arbeitet, dann ist nicht anzunehmen, daß alle drei ohne Zusammenhang sind. Nun ist aber der Einbrecher direkt von Kehl aus hierhergekommen. Er kann nicht in Goslar gewesen sein. Es ist auch kaum wahrscheinlich, daß die Traut mit ihm zwischendurch in Frankreich zusammengewesen ist. Möglich ist dagegen, daß dieser Faillet den Zwischenträger gemacht hat. Dann wird man hier hoffentlich auf seine Spur stoßen. In Leichtstadt hatte er den Namen Fürbring getragen. Es ist nicht wahrscheinlich, daß er noch einen anderen gefälschten Ausweis besitzt und wenn schon, dann wohl nur für den Fall einer Flucht. Die gutgläubige Weinfirma in Mainz wird ja auch nur mit einem Manne verkehren, der nur einen Namen hat. Schlimmstenfalls wird man noch auf die Antwort aus Mainz warten müssen, heute also nur das Feld sondieren und das Täubchen unter Aufsicht stellen.

Winterfeld zieht zunächst den Wirt ins Vertrauen. Ja, »Lorcher Schräge« von 1929 sei da. Fürbring oder so ähnlich kann der Mann auch geheißen haben. Das Datum ließ sich an Hand der Bestellung ermitteln, drei Tage vor dem Einbruch. Danach fand sich auch die Eintragung im Hotelbuch.

Die Dame? – Oh, eine reizende Dame! Er wäre ganz erstaunt! – Sie sitzt gerade im Jagdzimmer, in der Ecke unter dem großen Hirschbild. Als die Anneliese Traut hinausgeht, folgt Winterfeld in weitem Abstand. Sie geht nur an den Briefkasten und kehrt zurück.

Also zur Post!

Der Briefkasten wird geleert. Es ist noch nicht allzuviel darin, immerhin an die hundert Briefe. Da ist die steile Schrift! – Eine Enttäuschung: »Herrn Dr. H. Harsen.« Er öffnet trotzdem:

 

»Lieber Doktor, es hilft Ihnen alles nichts. Ich muß noch einige Daten haben und komme in den nächsten Tagen auf höchstens drei Minuten. Ich bin ja so folgsam.

Es grüßt Sie herzlichst
Ihre A. Traut.«

 

Na, das nützt ja nun gar nichts!

Aber Winterfeld überlegt: Sie hat zu diesem Brief sicher nicht länger als drei oder vier Minuten gebraucht. Eine Viertelstunde hat sie aber mindestens geschrieben. Also muß noch ein Brief da sein.

Aber es findet sich keiner.

Er überlegt. – Ob sie eine Schreibmaschine hat oder gar Deckumschläge?

Es gibt wohl nur ein Mittel, um das festzustellen, wenn man nicht alle Briefe öffnen will: Der Geruch, das Parfüm. Sie verwendet es ja recht reichlich. Der Brief an Harsen zeigt das.

Der Postdirektor hilft. Er hat eine gute Nase. Es ist höchstens dieser Brief hier, ein gedruckter Geschäftsumschlag: »Blumen- und Gemüse-Samenhandlung van Delftern, Haarlem, Holland.« Winterfeld ruft eine Gartenfirma am Ort an. Nein, im europäischen Garten-Adreßbuch steht die Firma nicht. Es müsse wohl irgend so eine neue Schleuderfirma sein.

Also der Brief wird geöffnet: Da ist ihre Handschrift! – Französisch!

 

Lieber François!

Sag doch bitte Bescheid, daß ich sofort abreise, wenn das Geld nicht bald kommt. Ich kann doch nicht dafür, daß die Sache neulich schief gegangen ist. Sie sollen doch keinen Trottel schicken! Ich bin ernstlich böse über diese Auswahl!

Übrigens, lieber François, Deine Eifersucht ist geradezu lächerlich. Ich wollte, ich wäre erst soweit, daß Du Grund hättest, oder wie soll ich das sonst anfangen? Kannst Du baden, ohne naß zu werden? Oder glaubst Du, ich würde in dem Wasser drin bleiben? Ich möchte nur wissen, was Du Dir gestern auf dem Gebiete in Paris geleistet hast. Ich glaube, wenn Du bei der erst einmal Feuer anzündest, brennst Du lichterloh, mein Freund. Also sei nicht albern!

Ich bin immer
Deine Adrienne.

 

Sieh einer mal an! Die letzten Sätze hättest du nicht schreiben sollen! –

Es war nicht schwer, ihre Bekanntschaft zu suchen. Sie plauderte entzückend und hatte ein Paar bestrickend schöne Augen. Winterfeld lud sie zu einer Flasche »Lorcher Schräge« ein. Er war nicht ganz frei von Mitleid. Wenigstens einen letzten Abend wollte er ihr gönnen. Erst zum Schluß sagte er:

»Wissen Sie, gnädiges Fräulein, warum ich gerade diesen Wein gewählt habe? – Ich habe ihn vorgestern in Paris getrunken, im Café de Laurier. Ihr Freund François Faillet oder wie er sonst heißt, kann nicht viel davon vertragen. Es tut mir herzlich leid, Fräulein Adrienne, in Alkohol und Eifersucht hat er Sie verraten.« Damit schob er ihr seine Visitenkarte hin.

Sie war bleich und einer Ohnmacht nahe.

»Ich wäre Ihnen dankbar, Fräulein Adrienne, wenn Sie in diesem schweren Augenblick die Würde der Dame zu wahren wüßten.«

Sie stand auf und reichte ihm die Hand:

»Dann wollen wir gehen, Herr Kriminalrat!«

*

Das Nonnenkloster hatte also wirklich Gesprächsstoff. Erst Lindes Erlebnisse in Frankreich, dann gleich am Tage darauf die Verhaftung der »Romanze«. Es wurde ja immer bunter in und um Leichtstadt herum, immer interessanter und aufregender.

Herrlich!

Und der Doktor, der doch früher so ernst und schweigsam war, wurde mit jedem Tage lebendiger und fröhlicher. Dem machte wohl selbst der Krach mit Frankreich Spaß!

Ja, es war ein mächtiger diplomatischer Krach. In Frankreich war ja jetzt ein neues Ministerium am Ruder und Herr de Landois Außenminister. Es herrschte also Schneider-Creusot. Die gallischen Zeitungen waren in Galle über die deutsche »Spionin« und die Provokation der Landung in Metz. Deutschland solle sich entschuldigen, Genugtuung geben usw.

Harsen hatte Linde sofort zum Fotografen geschickt. Aber sie müsse ein fröhliches Gesicht machen. Das war nicht schwer. Sie brauchte bloß an den Doktor und den schnellen Kuß zu denken. So sah sie denn auf dem Bild ganz reizend aus. Der Fotograf mußte sofort die Abzüge an alle großen Pariser Blätter schicken – im Eilbrief. Der Konkurrenz wegen brachten sie alle das Bild. Die Wirkung war seltsam. Das Publikum bekam Sympathie mit dieser deutschen »Spionin« und begann die Sache sportmäßig aufzufassen. Einige Zeitungen schwenkten etwas um und begannen, sich dem Geschmack ihrer Leser anzupassen. Diese Blätter bekamen einen Originalaufsatz, den Linde unter Beistand eines humorbegabten Journalisten verfaßte und zeichnete. Zum großen Erstaunen der Pariser wurde der Kommissar mit Namen genannt, der sich als Major Durail ausgegeben hatte. Seine Fähigkeit im Grüßen wurde besonders hervorgehoben. Am nächsten Tage erfolgte die Aufdeckung des Spionagefalles Adrienne Dumont – François Faillet. »Der niedergeschossene Einbrecher wurde aufgewärmt«, wie Harsen schmunzelnd meinte. Die englischen Reporter jagten sich in Leichtstadt die Hacken ab. Ganz England schwärmte für Linde. Der Sportgeist dieses Landes war erwacht.

Dazwischen kam wie ein Keulenschlag eine Erklärung Harsens:

»Es ist mir ganz gleich, wer sich alles auf den Kopf stellt. Wenn jemand aus meinem Werk in eine Falle gelockt wird, dann hole ich ihn heraus, nicht nur aus Metz, sondern meinetwegen auch mitten aus Paris.«

Gleichsam als Beweis für die Ernsthaftigkeit dieser Worte landete am nächsten Tage der kleine Sporteinsitzer mit Adelt am Steuer dicht vor dem Triumphbogen, rollte durch diesen hindurch und brauste wieder davon. Einem hinzueilenden Straßenjungen hatte Adelt einen Strauß schwarzer Rosen zugeworfen. Auf dem Zettel daran stand die Aufforderung, die Rosen an das Denkmal der gefallenen Kriegsflieger zu legen. Da es gerade der Jahrestag der Enthüllung des Denkmals war, konnte man die Sache so oder auch so auffassen. Auf jeden Fall machte das Flugzeug fabelhaften Eindruck.

Neuer Aufruhr kam in die Welt, als Harsen die geplanten Flugstrecken der Alumnitflugzeuge veröffentlichte. Die »Interessengemeinschaft Lufthansa – Alumnitwerke A.G.« wollte mit den neuen »Blitzflugzeugen« befliegen die Strecken von Berlin nach New York, Buenos Aires, Kapstadt, Portugiesisch-, also nicht Britisch-Indien, Siam, Peking, Moskau, Angora und schließlich auch San Franzisko auf der kürzesten Strecke, also über den Pol.

Diese Auswahl gab bei denjenigen Staaten berechtigtes Aufsehen, die darin fehlten. Harsen erklärte ganz offen, daß er als Anhänger des Friedens und der Abrüstung die Gefahr eines Mißbrauches der Flugzeuge vermeiden wolle. Die neuen Flugzeuge seien doch immerhin als unangreifbare Bombenflugzeuge zu verwenden. Er wolle sie infolgedessen nicht einer Beschlagnahme durch Staaten aussetzen, die ihren Friedenswillen wohl in Worten, nicht aber durch die Tat der Abrüstung erwiesen hätten. Aus dem gleichen Grunde seien die Flugzeuge nicht verkäuflich.

Eine Antwort auf die Frage, warum er denn Rußland befliegen lasse, lehnte er rundweg ab. Er wäre keine Rechenschaft schuldig und täte das, was ihm und nicht, was anderen gut dünkte.

Das war nichts anderes als eine recht grobe Kriegserklärung an einen guten Teil der Welt, eine Aufrollung der Abrüstungsfrage von einer ganz neuen Seite her, durch einen Privatmann, aber einen, der das Alumnit in der Hand hatte und damit Macht.

Es gab einen ungeheuren Krach, vorerst in den Zeitungen der Welt. Die Regierungen hüllten sich in Schweigen. Man mußte sich wohl erst klar werden und miteinander Fühlung nehmen.

In diese Situation platzte der Aufsatz der »Sidney-Post« hinein. Japans U-Boote aus Alumnit! Jetzt war der Teufel los.

*

Eine Art pikanter Würze erhielt dieser Aufruhr durch die in immer stärkerem Maße bekannt werdenden Spionagefälle, von denen in unserer Chronik nur die wichtigsten überhaupt erwähnt werden können. Da ist z. B. der immer noch ungeklärte Fall des Pseudo-Martens. Wir erinnern uns, daß der Attentäter vor dem Schmelzofen erkannt und vor dem Kleiderspind des richtigen Martens gestellt worden war. Als Auftraggeber schien ein Mann in Frage zu kommen, der, mit einer goldenen Brille bewaffnet, auf dem Bahnhof Köln Dollars in Mark gewechselt hatte. Neue Scheine aus diesem Wechselgeschäft hatte jedenfalls der Spion in seiner Tasche gehabt.

Die Angelegenheit war dem Kriminalrat Messerschmidt in Köln übertragen worden. Messerschmidt begab sich auf den Bahnhof. Die Zeit des Geldwechselns stand ziemlich genau fest. Die Zeit vom Aussteigen aus einem Zug bis zum Wechseln und die Tafel der eintreffenden Züge mußte Aufschluß geben. Das Geldwechseln ist doch gewöhnlich das Erste, was man in einem fremden Lande vornimmt. Da die Zeit der aus dem Ausland eintreffenden Züge nicht paßte, kam nur ein Zug aus Bremerhaven in Frage. Hier stimmten die Zeiten ausgezeichnet. Es konnte nun weiterhin angenommen werden, daß der »Brillenmann« sich nicht in Bremerhaven, Bremen oder einer anderen Stadt aufgehalten hatte, er hätte sonst dort gewechselt. Also mußte er die Überfahrt auf einem Dampfer gemacht haben, an den der D-Zug Anschluß hatte. Es war dies die »Bremen«. Telefonisch wurden die Passagierlisten erbeten. Außerdem wurde die Schiffsleitung des wieder auf hoher See befindlichen Dampfers um Nachforschung bei den Stewards gebeten, unter welchem Namen ein wahrscheinlich allein reisender Amerikaner kurzer, stämmiger Gestalt mit goldener Brille gereist sei.

Das war der eine Weg logischer Auslese, den Messerschmidt verfolgte. Der andere mußte irgendwie auf die neuen Geldscheine gegründet werden, denn der Mann wird sie sicherlich doch ausgeben. Es ist aber doch unmöglich, in ganz Deutschland eine Kontrolle darüber auszuführen! Wie soll man sich da helfen?

Messerschmidt sagte sich, daß der Mann doch sicherlich nach einer gewissen miteinander verabredeten Zeit mit dem in Köln gedungenen, in Leichtstadt arbeitenden Verbrecher zusammentreffen will, am wahrscheinlichsten in Köln selbst. Man trifft sich doch am besten da, wo man sich verabredet hat. Die Örtlichkeit ist bekannt.

Was macht nun dieser Mann in der Zwischenzeit?

Möglich ist, daß er noch weitere Spione sucht. Dann wäre er wohl noch in Köln, und die Scheine werden das anzeigen. Sonst aber?

Nun, was macht ein Amerikaner, der Zeit hat? Er sieht sich die berühmten Sehenswürdigkeiten an. Wenn er als Basis Köln hat, heißt das doch sicherlich, er fährt den Rhein herauf, also Godesberg, Königswinter und weiter bis Bingen. Und dann? In den meisten Fällen wohl Heidelberg, sonst vielleicht auch Baden-Baden. Hier überall muß auf die Scheine geachtet werden. So wurde das Spinnennetz gewebt, in welchem sich die Fliege fangen sollte.

Richtig! – Godesberg, Rolandseck und Koblenz meldeten das Geld. Aber die Ausgabe mußte schon zwei Tage zurückliegen. Da wurde Messerschmidt ungeduldig und fuhr nach Heidelberg, die Schiffsliste in der Tasche. Er hatte telefonisch angeordnet, daß alle Besucher der Schloßruine sich in ein »Goldenes Gästebuch« eintragen sollten. Nun fuhr er im Kraftwagen hinauf. Als er am Eingang zum Schloßhof ausstieg, kam ein kleiner Herr heran, der anscheinend die Taxe zur Rückfahrt haben wollte. Dieser Herr nickte mit dem Kopf nach rückwärts und sagte: »Herr Kriminalrat, da haben sie eben einen Spion festgenommen – Alumnitspion.« Messerschmidt eilte dorthin, während der andere abfuhr.

Von der Verhaftung war kein Wort wahr.

Der Sprecher war nicht mehr aufzufinden.

*

Der Legationsrat Miller von der amerikanischen Botschaft war bei Harsen.

»Sie werden sich wundern, Mister Harsen, daß ich in amtlichem Auftrag mit Ihnen politisch verhandele, daß der Staat zu Ihnen als Privatmann kommt.«

»Es ist der erste Staat, Herr Miller, andere werden folgen.«

Miller legte dar, daß die Lieferung von U-Booten an Japan dem Vertrag von Versailles widerspreche, wonach kein Kriegsmaterial geliefert werden dürfe.

Harsen fragte, ob der Vertrag denn noch bestände?

»Wieso?«

»Weil der andere Partner ihn nicht hält, nämlich die Bestimmung, selber auch abzurüsten.«

»Sie, im Besitz des mächtigsten Kriegsrohstoffs der Welt, sprechen von Abrüstung?«

»Wie Sie hören!«

Miller meinte, dann hätte er doch nicht an Japan liefern dürfen. Harsen stand auf, holte eine der Bauzeichnungen aus dem Geheimschrank und zeigte die Überschrift: »Eisbrecher.«

»Das wußten Sie doch, daß das ein Deckname ist.«

»Sie werden zugeben, daß das Brechen des Eises von unten das einzig rentable und sichere Verfahren ist. – Im übrigen, Herr Legationsrat, kommt es ja nicht darauf an, was ist, sondern was nachgewiesen werden kann.«

»Sie sind sehr offen, Herr Dr. Harsen!«

»Kann ich es mir nicht leisten?«

Da wurde Herr Miller sehr freundlich, denn er wollte ja auch »Eisbrecher« haben. »… die Küsten von Alaska und Labrador …«

»Dann müßte ich an Kanada also auch liefern?«

Nein, das wollte er nun wieder nicht.

»Herr Miller, es hat keinen Zweck! Sie haben mich selbst auf den Friedensvertrag aufmerksam gemacht. Ich bin fest entschlossen, ihn zu halten. Ich kann Ihnen nicht liefern.«

»Auch nicht mehr an Japan?«

»Auch nicht!«

Aber dann Flugzeuge, »Verkehrsflugzeuge«?

»Das ist eine Angelegenheit, die von der Haltung der Mächte in der Abrüstungsfrage abhängig ist.«

Miller redete noch lange, bat und versprach. Aber es half nichts.

»Mein letztes Wort!«

*

Auf dem Schloßhof von Heidelberg stand der Kriminalrat Messerschmidt und tippte sich an die Stirn: »Ich Esel!«

Aber schließlich: Der andere ist ja auch ein Esel. Weshalb spricht er mich an? Entweder er faßte die Sache amerikanisch, also sportmäßig auf oder er wollte mich ablenken, daß ich ihn nicht genau ansehen sollte. Ich sollte keinen Argwohn haben, solange er bei mir stand. Woher kennt er mich? Irgend etwas ist nicht dicht! Der Dollar rollt. – Daß ich auch nicht stutzig wurde, als er meinen Titel nannte! Aber das kommt so häufig vor, es kennen einen so viele. – Auf dem Bahnhof bekomme ich ihn nicht mehr. Er fährt natürlich im Auto irgendwohin. Die Heidelberger Polizei bekommt das raus, aber dann ist es zu spät. Der Mann weiß ja auch, daß sein Komplize geschnappt ist. Der Kollege Winterfeld hat ja die Bilder veröffentlicht, statt die Fingerabdrücke an die Behörden zu senden. Er meinte, das ginge schneller. Es bindet den Amerikaner also nichts mehr an Köln. Daß er seine Vergnügungsreise nicht abgebrochen hat, ist echt amerikanische Dickfelligkeit. Damit hat man ja aber gerechnet. Bei einem anderen wäre Messerschmidt gar nicht nach Heidelberg gefahren.

Halt! – Er wird sein Gepäck doch noch in Köln haben! – Ich muß schneller hin, als er!

Polizeiflugzeug!

* * *

 


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