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Tegel, den 18. März 1827.

Sie kennen schon meine Neigung, bisweilen auf dem Lande zu sein, und so wird es Sie nicht wundern, wenn ich Ihnen von Tegel jetzt schreibe. Ich bin indes nur auf ein paar Tage hier und habe die Stadt eigentlich noch nicht verlassen. Wenngleich die Witterung rauh ist, so hindert mich das nicht, alle Tage spazieren zu gehen, nämlich hier, und so lange und so oft ich hier bin.

Der See, der in meinen Besitzungen ist, ist natürlich jetzt wieder ganz frei von Eis. Das ist immer ein Schauspiel, an dem ich mich sehr erfreue, dies Befreitwerden des Wassers von den Banden, die ihm im Winter seine schöne Beweglichkeit rauben und es dem festen Lande gleichmachen. Man fühlt ordentlich die wiedergegebene freie Bewegung mit und ist der rauhen Starrheit gram, welche das zarte, hingleitende Element, so tief sie ihren Einfluß auszuüben vermag, um den schönsten Teil seiner eigentümlichen Natur bringt. Man sagt gewöhnlich, das Wasser trennt die Länder und Orte, aber es verbindet sie eher, es bietet eine viel leichter zu durchschneidende Fläche dar als das feste Land, und es ist ein so hübscher Gedanke, daß, wie weit auch die Ufer voneinander entfernt sind, die Welle, die mir die Füße bespült, in kurzer Zeit am gegenüberstehenden Gestade sein kann.

Mit Vergnügen lese ich in Ihrem Briefe, daß Sie mit dem Plan einer kleinen Reise nach Offenbach beschäftigt sind, und bitte Sie, doch ja Ihren Vorsatz nicht aufzugeben; auch glaube ich, daß Sie, liebe Charlotte, einmal einer Erholung bedürfen, oder eine solche wenigstens sehr wohltätig auf Sie wirken würde. Ich empfinde recht wohl, daß Sie darum auf keine Weise unzufrieden mit Ihrer Lage, oder Ihrer Beschäftigung überdrüssig sind. Allein es ist doch in den Menschen so. Wenn sie eine lange Zeit hindurch dieselbe Sache, auch ohne Widerwillen, sogar mit Vergnügen getrieben haben, so bemächtigt sich ihrer dennoch eine durch die Einförmigkeit bewirkte Ermüdung, und neue, auch nur auf eine kurze Zeit genossene Gegenstände geben den Gedanken und der Empfindung eine neue Spannung, die gewöhnlich auch auf den Körper zurückwirkt. Die Wahl von Offenbach finde ich sehr angemessen, da Sie dort eine innig mit Ihnen verbundene, liebe, vertraute Freundin haben; es ist ein angenehmer Ort in einer sehr hübschen Gegend, auch nicht sehr weit von Ihnen entfernt. Ich war sehr oft da, zum erstenmal in demselben Jahre, wo ich Sie in Pyrmont sah, im Jahre 1788. Ich besuchte die dort als Schriftstellerin bekannte Frau von Laroche, die ich auch viele Jahre später dort wieder sah, als ich mit meiner Frau und Familie von Paris zurückkam. Sie war eine geistreiche und noch im hohen Alter unendlich lebendige Frau und hatte etwas ganz besonders Angenehmes und Liebenswürdiges, wenn man sie mitten im Kreise ihrer Kinder und Enkel sah. Ein Sohn, wenig älter als ich, lebt noch hier in Berlin in sehr genauer Freundschaft mit mir, ist glücklich verheiratet und in jeder Rücksicht ein trefflicher Mensch. – Ich wünsche von Herzen, daß Sie das Vorhaben ausführen.


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Berlin, den 10. April 1827.

Ich habe Ihren Brief, liebe Charlotte, den Sie nach meinem Wunsch am 3. abgeschickt haben, richtig erhalten und danke Ihnen herzlich dafür. Der heitere, zufriedene Ton, der darin von der ersten bis zur letzten Zeile herrscht, hat mir eine ganz besondere Freude gemacht. Es scheint mir aber, als wären Sie schon seit längerer Zeit viel gleichförmiger gestimmt als im Anfang unseres brieflichen Umgangs. Es ist sehr gütig und liebevoll von Ihnen, und gereicht mir zur Freude, daß Sie es dem Einfluß zuschreiben, den Sie mir so willig gestatten. Das Verdienst ist auf Ihrer Seite; Ihre Seele ist so klar und empfänglich wie Ihr Gemüt, und so sind Sie jeder Überzeugung und jeder Wahrheit immer offen. Ich liebe die Heiterkeit ungemein. Es ist nicht gerade die laute, die sich wie genießende Fröhlichkeit ankündigt, sondern die stille, die sich so recht und ganz über die innere Seele ergießt. Ich liebe sie in anderen und mir vorzüglich der größeren Klarheit wegen, die in der Heiterkeit immer die Gedanken haben, und die für mich die erste und unerläßliche Bedingung eines genügenden Daseins im Leben für sich und im Umgange mit anderen ist. Die Wehmut führt auch bisweilen eine und oft noch größere Klarheit mit sich. Man sieht und empfindet die Dinge in ihrer Nacktheit, wenn das Gemüt so tief in sich bewegt ist, daß der Schleier zerreißt, der sie sonst verhüllt. Aber es ist dies, wie ich es nennen möchte, eine schmerzliche Klarheit, die teuer erkauft werden muß, und sie zeigt die Gegenstände auch nur im Augenblicke und vorübergehend, wie man auch augenblicklich in die Tiefe des Himmels schaut, wenn der Blitz die Wolken zerreißt. Davon ist die leichte Klarheit ruhiger Heiterkeit himmelweit verschieden. Diese zeigt die Dinge teils, als gingen sie fremd vor einem vorüber, teils als besitze man Stärke genug, sich nicht von ihnen bewegen zu lassen. Auf beide Weisen geht die Masse der Ereignisse wie ein Schauspiel vorüber, und das ist eigentlich die des Menschen würdigste Art, sie anzusehen, ohne lange bei ihnen zu verweilen oder sich gar in sie zu vertiefen, immer eingedenk, daß es ein ganz anderes und würdigeres geistiges Gebiet gibt, in dem der Mensch wirklich sich heimatlich zu fühlen bestimmt ist. Wenn man das Fremde so nimmt, und dasjenige, was Anteil der Freundschaft und Zuneigung nur in der Tat zur Wirklichkeit macht, die sich auf keine Weise mehr als Schauspiel behandeln läßt, nicht mehr bloß die Phantasie und den Gedanken in Anspruch nimmt, sondern warm und lebendig das Herz ergreift, so behandelt man das Leben vielleicht auf die unter allen zweckmäßigste Art. Es ist mir für die Erhaltung und Fortdauer Ihrer Heiterkeit, liebste Charlotte, sehr lieb, daß Sie sich mit dem Plane Ihrer kleinen Reise beschäftigen. Es würde Ihnen diese Beschäftigung selbst zur Entschädigung dienen, im Fall sich der Ausführung des Projekts etwas entgegenstellte. Ich kann mir aber das nicht denken, da die Sache so ungemein einfach ist. Was Sie mir in Ihrem letzten Briefe über Offenbach sagen, hat mir viel Vergnügen gemacht. Ich wußte nicht, daß der Isenburger Hof das ehemalige Haus der Frau von Laroche Frau von Laroche: Sophie von Laroche (1731 bis 1807), die Jugendgeliebte Wielands, Schriftstellerin, wird in Goethes »Dichtung und Wahrheit« an verschiedenen Stellen erwähnt. war. Es ist sehr hübsch und sehr natürlich von Ihnen, daß Sie alles lebhaft bei Ihrem Dortsein und Wohnen in dem Hause interessierte, so daß Sie bei allen Details verweilten, da die Schriften der Laroche, wie Sie mir sagen, Ihnen in der Jugend nicht nur großes Vergnügen gewährten, sondern bildend auf Sie wirkten. In gut gearteten Gemütern bewahrt und erhält sich dann eine dankbare Anhänglichkeit. Gerade der Garten, von dem Sie reden, ist das einzige, dessen ich mich deutlich erinnere. Ich sah die Frau von Laroche zum letzten Male darin, als ich im Jahre 1801 mit meiner Frau und Familie aus Paris zurückkam. Es war eine Laube im Garten, in der wir saßen. Sie erinnern mich an das, was Goethe in seiner Biographie, Wahrheit und Dichtung, von der Familie Laroche sagt, wo er bei seiner Rückkehr von Wetzlar nach Frankfurt dort mehrere Tage einkehrte und freundschaftlich aufgenommen war. Sie sind, wie es scheint, nicht ganz zufrieden mit Goethe und der Art, wie er die würdige Frau und die übrigen Familienmitglieder darstellt.

Leben Sie für heute herzlich wohl, und schreiben Sie mir doch den 24. d.M. Mit der herzlichsten und immer unveränderlichen Teilnahme Ihr

H.


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Berlin, den 2. Mai 1827.

Tausend Dank, liebe Charlotte, für Ihren mir sehr erwünscht gewesenen Brief vom 24. d. Mts. Ich habe es immer sehr gern, wenn ich, indem ich einen Brief schreibe, einen zur Beantwortung vor mir habe. Wenn auch unser Briefwechsel selten etwas enthält, worauf eigentlich eine Antwort erforderlich wäre, so ist doch ein Briefwechsel seiner Natur nach immer eine Erwiderung, und man schreibt weniger gern, wenn der Faden für den Augenblick abgerissen ist und von neuem angeknüpft werden muß. Das begegnet mir nun durch Ihre liebevolle Aufmerksamkeit nie, sondern unsere Briefe wechseln sich regelmäßig ab. Ich bin überzeugt, daß, wenn manche Menschen wüßten, daß wir uns so regelmäßig schreiben, ohne über wissenschaftliche oder Geschäftsgegenstände zu reden, noch uns Tatsachen mitzuteilen, sie gar nicht begreifen würden, was man sich sagen könne, wenn man sich scheinbar nichts zu sagen hat. Recht wenige Menschen haben einen Begriff und einen Sinn für die Mitteilung von Gedanken, Ideen und Empfindungen, wenn es ihnen auch auf keine Art an Verstand, Geist und Regsamkeit für alle Gefühle fehlt, für welche der Mensch empfänglich zu sein pflegt. Es gehört zum Gefallen an solchen Mitteilungen noch mehr, nämlich die Neigung, das, was man selbst denkt und fühlt, gern außerhalb des eigenen Seins im andern zu erblicken. Bei einem Umgange, wie es der zwischen uns beiden ist, ist es nicht eben der Wunsch, etwas in den andern zu verpflanzen, Meinungen in ihm zu begründen, zu befestigen oder zu zerstören, wenigstens fühle ich keinen solchen Hang und solches Bemühen in mir. Aber was ich deutlich fühle, ist ein großes und in der Liebe zu gefaßten Meinungen selbst gegründetes Verlangen, was ich über Gegenstände inneren Bewußtseins meine und empfinde, mit den Erfahrungen und der Vorstellungsweise anderer zu vergleichen. Es kommt einem nun gewissermaßen in sich gesicherter vor, was man mit dem Vorstellen und dem Denken anderer zusammen hält, und wenn es keinen andern Grund gegenseitiger Mitteilung im Menschengeschlecht gäbe, so wäre schon dies gewiß ein hinlänglicher. Es hat auch gewissermaßen das Schreiben darin einen Vorzug vor dem mündlichen Gespräch. Es vereinigt die Vorzüge des letzteren mit denen des einsamen Nachdenkens, die doch gleichfalls unverkennlich sind. Man hat für alles, was die Mitteilung der Gedanken und Empfindungen betrifft, den andern nicht minder gegenwärtig, als wenn man persönlich beieinander ist, und zu der Sammlung und dem Festhalten der eigenen Gedanken trägt doch unfehlbar das Alleinsein, und selbst, daß man den Faden seiner Gedanken ruhig ausspinnen kann, ehe ein anderer dazwischentritt, bei.

Es ist mir sehr erfreulich gewesen zu sehen, daß es Ihnen lieb war, meinen Brief gerade in den Feiertagen zu erhalten. Es war das meine Absicht. Ich weiß, daß Sie sich in den Festtagen Muße, Ruhe und Erholung erlauben, die Sie, gute Charlotte, so oft ersehnen – und ihrer so selten teilhaftig werden, – ich weiß auch, daß Ihnen das Pfingstfest besonders lieb ist in seiner geistigen Bedeutung, und nun erkenne ich mit Vergnügen, daß so die Tage in Heiterkeit still an Ihnen vorübergegangen sind, und mein Brief und dessen Beantwortung Ihre zufriedene, heitere Stimmung vermehrt hat. Ich gestehe Ihnen, daß Ihre einfache Zufriedenheit mir stets erfreulich, oft rührend ist. Sie geht aus Ihrem Innern hervor, wodurch sich das Äußere gestaltet. Ich teile ganz Ihre Meinung, daß die Einrichtung bestimmter Ruhetage, selbst wenn sie garnicht mit religiöser Feier zusammenhinge, eine für jeden, der ein menschenfreundliches, auf alle Klassen der Gesellschaft gerichtetes Gemüt hat, höchst erfreuliche und wirklich erquickende Idee ist. Es gibt nichts so Selbstisches und Herzloses, als wenn Vornehme und Reiche mit Mißfallen, oder wenigstens mit einem gewissen verschmähenden Ekel auf Sonn- und Feiertage zurückblicken. Selbst die Wahl des siebenten Tages ist gewiß die weiseste, welche hätte gefunden werden können. So willkürlich es scheint und bis auf einen Punkt auch sein mag, die Arbeit um einen Tag zu verkürzen oder zu verlängern, so bin ich überzeugt, daß sechs Tage gerade das wahre, den Menschen in ihren physischen Kräften und in ihrem Beharren in einförmiger Beschäftigung angemessene Maß ist. Es liegt noch etwas Humanes auch darin, daß die zur Arbeit dem Menschen behilflichen Tiere diese Ruhe mitgenießen. Die Periode wiederkehrender Ruhe über die Maße zu verlängern,, würde ebenso unhuman als töricht sein. Ich habe dies sogar einmal an einem Beispiel in der Erfahrung gesehen. Da ich in der Revolutionszeit einige Jahre in Paris war, so habe ich dort es erlebt, daß man auch diese Einrichtung, sich an die göttliche Einsetzung nicht kehrend, dem trocknen und hölzernen Dezimalsystem untergeordnet hatte. Der zehnte Tag erst war es, was wir einen Sonntag nennen, und alle gewöhnliche Betriebsamkeit ging neun Tage lang fort. Wenn dies eigentlich sichtbar viel zu viel war, so wurde von mehreren, so viel es die Polizeigesetze erlaubten, der Sonntag zugleich mitgefeiert, und so entstand wieder zu vieler Müßiggang. So schwankt man immer zwischen zwei Äußersten, wie man sich von dem regelmäßigen und geordneten Mittelwege entfernt.

Wenn dies nun aber bloß nach schon vernunftgemäßen und weltlichen Betrachtungen hiermit der Fall ist, wie anders stellt sich noch die Sache nach den religiösen Beziehungen dar; dadurch wird die Idee, wie der Genuß der Feiertage, zu einer Quelle geistiger Heiterkeit und wahren Trostes. Die großen Feiertage sind überdies mit so merkwürdigen Geschichtsereignissen verbunden, daß sie dadurch eine besondere Heiligkeit erhalten. Es ist gewiß die angemessenste Feier dieser Tage, in der Bibel selbst, in allen vier Evangelisten, die Erzählung derjenigen, auf welche sich das Fest bezieht, zu lesen, wie Sie mir schreiben, daß Sie zu tun pflegen seit vielen Jahren. In den Evangelisten ist namentlich die Übereinstimmung in der Erzählung ebenso merkwürdig als die Art, wie die Erzählung der einzelnen voneinander abweicht. Die Übereinstimmung bürgt für die Treue und Wahrheit, und in ihr liegt das Gepräge des Geistes, in dem alle diese unmittelbaren Zeugen, die Christus selbst sahen und begleiteten, schrieben. Allein dieser Geist, ob er gleich ein Geist der Einheit war, der alle beseelte, hinderte doch nicht, daß sich nicht die eigentümliche Echtheit und Schönheit jedes einzelnen Erzählers hätte gehörig entfalten und darstellen können. Wirklich kann man, wenn man gewohnt ist, die vier Evangelisten oft zu lesen, nicht leicht verkennen, von welchem eine Stelle ist, wenn man nur irgendeine solche auswählt, in der sich das Charakteristische einigermaßen zeigen läßt. Es scheint mir auch aus Ihrem letzten Briefe, wie ich schon öfter bemerkt zu haben glaube, daß Sie dem Evangelium Johannis den Vorzug geben. Dieser Ausdruck ist zwar nicht passend, da in diesen Schriften mit Recht alles gleich geachtet werden muß. Allein es ist doch natürlich, daß der eine Erzähler das Herz und die Empfindung auf eine andere Art als der andere anspricht, und alsdann läßt sich auch nach Individualitäten ein Unterschied im Eindruck festsetzen. Ich teile ganz Ihre Meinung hierüber. Es ist gerade im Johannes, wenn man es so nennen darf, etwas vorzüglich Seelenvolles.

In dem, was Sie über das Glück sagen, haben Sie mich doch einmal mißverstanden, wie das ja auch bei den meisten und großen Übereinstimmungen unter uns manchmal nicht anders sein kann. Was ich darüber denke, wende ich übrigens nur für mich an. Ich finde es für mich tröstend und ausreichend. Ich liebe es, auf mir selbst zu stehen, und entbehre lieber, als ich an Hoffnungen hänge, die auch fehlschlagen können. Jeder mag darin seine Weise haben. Mit innigster Teilnahme Ihr

H.


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Tegel, den 23. Mai 1827.

Sie haben mir, liebe Charlotte, mit Ihrem Brief vom 12., 13. und 14. d.M. eine große Freude gemacht, für welche ich Ihnen herzlich danke. Ich habe mit großem Vergnügen daraus ersehen, daß Sie wohl und heiter sind und das schöne und wirklich ungewöhnlich schöne Frühjahr genießen. Sie wundern sich nicht mit Unrecht, daß ich dieses Jahr später, als es die Jahreszeit zu erlauben schien, hierher gegangen bin. Indes pflege ich gewöhnlich erst im Juni die Stadt zu verlassen. Es ist jetzt sehr schön hier, und eigentlich war es vor acht Tagen noch schöner. Es blühte da der lila oder spanische Flieder, der gerade hier in großer Menge und Schönheit ist; er gibt für Auge und Geruch dem Garten immer einen großen Reiz. Ich entbehre das indes wenig, denn ich kann nicht sagen, daß ich gerade auf einzelne Blumen sehr viel hielte. Die ganze Gartenkunst läßt mich ziemlich gleichgültig. Ich suche die großen Bäume, und ziehe noch mehr die eines freien Waldes den gepflanzten vor, und mein Vergnügen am Landleben ist mehr das freie und weite Herumgehen in einer angenehmen Gegend, als das Bekümmern um Pflanzungen und Blumenanlagen. Dies weite Herumgehen und die Freude an Bäumen habe ich nun hier sehr. Um mein Haus unmittelbar herum sind schöne, alte und doch noch in voller Kraft stehende Bäume in bedeutender Menge, und will ich weiter gehen, so habe ich dicht hinter meinem Park einen großen, dem König gehörenden Wald. Die Bäume haben darin etwas so Schönes und Anziehendes, auch für die Phantasie, daß, da sie ihren Ort nicht verändern können, sie Zeugen aller Veränderungen sind, die in einer Gegend vorgehen, und da einige ein überaus hohes Alter erreichen, so gleichen sie darin geschichtlichen Monumenten und haben doch ein Leben, sind doch wie wir, entstehend und vergehend, nicht starr und leblos wie Fluren und Flüsse, von denen sonst das im vorigen Gesagte in gleichem Maße gilt. Daß man sie jünger und älter und endlich nach und nach dem Tode zugehend sieht, zieht immer näher und näher an sie an. Gewiß aber ist es, um diesen Eindrücken offen zu bleiben, notwendig, von Kindheit an oft und anhaltend auf dem Lande gewesen zu sein. Nur auf diese Weise verschwistern sich Gedanken und Empfindungen mit den uns in der Natur umgebenden Gegenständen. Sonderbar aber ist es, daß meine Liebhaberei nur auf die Bäume geht, die, da sie keine eßbare Frucht tragen, gewissermaßen wilde heißen können. Obstbäume haben höchstens in der Blüte einen Reiz für mich. Es gibt zwar sehr große, und deren Wuchs in der Tat malerisch ist. Aber sie sagen mir nichts, ohne daß ich mir weiter einen Grund davon angeben könnte. Es liegt indes vermutlich darin, daß man die Obstbäume gewöhnlich nahe an Gebäuden findet, oder daß sie doch immer die Kunst und Sorgfalt des Menschen verraten, da die Seele und die Einbildungskraft die freie Natur fordert, an welcher der Mensch nichts gemodelt und nichts geändert hat. Es ist schon schlimm genug, daß so oft Bäume, die wirklich auf große Schönheit Anspruch machen können, durch Menschenhände und ewiges Behauen ganz um ihren freien und großartigen Wuchs gebracht werden. So ergeht es z.B. den Weiden. Sie werden, wenn man sie frei und ungehindert wachsen läßt, zu starken, hohen und malerisch schönen Bäumen. Noch in meiner Kindheit gab es in Berlin selbst drei solche wirklich wundervolle Bäume, die aber auch jetzt nicht mehr vorhanden sind. Aber ich sehe, daß ich zwei volle Seiten über meine Liebhaberei an Bäumen geschrieben habe. Wüßte ich nicht, wie gut Sie sind, liebe Charlotte, so müßte ich fürchten, Sie zu ermüden, so aber rechne ich darauf, daß Sie gern lesen, was ich schreibe, meist meinen Ideen gern folgen und sie in sich fortspinnen. Mir ist es ein sehr angenehmes Gefühl, mich so vor Ihnen ganz zwanglos gehen zu lassen, und zu Ihnen zu reden wie zu mir selbst. Aber ich habe Ihnen noch das eine und andere heute zu sagen, so werden Sie diesmal noch einen längeren Brief als gewöhnlich erhalten.

Ihr letzter Brief hat mir darin besonders Freude gemacht, daß Sie meine Meinung teilen in dem, was ich über den Wert einer schriftlichen Mitteilung, wie wir sie in unserm Briefwechsel aufgenommen, sagte. Auch haben Sie darin vollkommen recht, daß ein solcher brieflicher Umgang, der nie unterbrochen wird, zu einer gegenseitigen tieferen Kenntnis des Charakters führt. Wenn es gewiß nur wenige sind, die an einem Briefwechsel, wie der unsrige ist, Gefallen finden würden, so möchten ihn auch vielleicht wenig Frauen führen können. Es sind dazu doch Individualitäten erforderlich, die nicht jedermanns Sache sind, vor allen auch eine Innerlichkeit des Lebens. Ich kenne Frauen, denen niemand Geist absprechen kann, noch absprechen wird, sie besitzen viele und selbst gelehrte Kenntnisse. Im Gebiete der Wissenschaften ist ihnen wenig fremd; sie haben alles gelesen, was in die neuere und frühere Zeit fällt, und selbst die Schriften und Schriftsteller der Vorzeit sind ihnen bekannt, und ihre Unterhaltung ermüdet, und ihre Briefe sind kaum zu lesen. Man fragt wohl, woran das liegt, und die Antwort ist nicht leicht. Gewiß aber ist die Sprache ein Haupterfordernis, und sie ist nicht allen verliehen und in der Tat mehr angeboren als angebildet. Sie haben die Sprache wohl das Kleid der Seele genannt. Es ist das eine ungemein richtige Bezeichnung, die mir sehr gefallen hat. Ihnen, liebe Charlotte, ist die Sprache vor vielen anderen geworden, und wenn auch, wie Sie wohl gesagt haben, Sie mit der neuen, modernen Lektüre unbekannt geblieben sind, zu der Ihnen keine Zeit übrig blieb, indem Sie auch nicht durch Ihre Neigungen dahin gezogen wurden, so hat Ihnen das garnicht geschadet, vielleicht ist das Eigentümliche Ihnen dadurch gerade mehr erhalten. Ich selbst bin auch ganz unbekannt mit diesen Büchern. Es ist aber unverkennbar, daß Sie bei früherer, größerer Muße nur unsere besten Schriften gelesen, ja mit ihnen gelebt haben, so hat sich Charakter und Denkweise zugleich mit Sprache und Stil gebildet. Leben, Wärme und Feuer ist in Ihrer Sprache, die dabei immer einfach und natürlich und nie gesucht oder schwülstig ist. Ich habe Ihnen schon oft Ähnliches gesagt, ohne mich einer Schmeichelei schuldig zu machen. Die Tatsache liegt in jedem Ihrer Briefe und in jedem Heft Ihrer Biographie. Es hat mich garnicht überrascht, daß Sie mir sagen, wie Sie schon sehr früh die Neigung gehabt, in »ernsthafte« Korrespondenz zu treten, die nicht Erzählung von erlebten Begebenheiten, sondern Betrachtungen, Gedanken und dergleichen enthalte. Jede Gelegenheit dazu haben Sie schon als Kind mit einer Art Leidenschaft ergriffen, und Ihre empfangenen Briefchen, wohl geordnet, mit Wichtigkeit bewahrt. Früh schon, wohl mit zwölf Jahren, wären Ihnen manche Briefe übertragen, z. B. in der Familie, auch die Krankenberichte an den verwandten Hausarzt. Überhaupt bemerken Sie, wären Ihnen unter allen Beschäftigungen die mit Crayon und Feder die liebsten gewesen, ob Ihnen doch auch eine vielleicht seltene Kunstfertigkeit in weiblicher Arbeit angeboren sei; gewiß angeboren meinen Sie, da Sie nie in irgend etwas Unterricht bekommen oder auch bedurft haben, da der scharf unterscheidende Blick Ihres Auges hinreichend gewesen, Sie zu belehren. (Diese Fähigkeit, bemerken Sie, wäre in dem letzten Teil Ihres Lebens von der größten Wichtigkeit für Sie geworden.) Ob nun dies Talent oder Kunstfertigkeit Sie auch erfreut habe und Ihnen viel Lob gewonnen, hätten Sie sich doch noch lieber Ihrem kleinen Schreibtisch zugewendet und Auszüge aus allen Büchern gemacht, mit denen Sie nach und nach bekannt geworden.

Ich rufe Ihnen, liebe Charlotte, diese Selbstschilderungen aus einem Heft Ihrer Biographie nicht ohne Absicht zurück. Die frühe Übung im Schreiben mag beigetragen haben, Ihnen eine ungewöhnliche Leichtigkeit, Fertigkeit, Gewandtheit, Richtigkeit und Gefälligkeit des Ausdrucks zu geben, nicht weniger aber sind auch die intellektuellen Kräfte erforderlich, die als Grundlage jenen den Wert geben.

Durch alle diese, sich stets erneuernden Bemerkungen ist schon mehr als einmal der Gedanke in mir erregt, den ich Ihnen heute aussprechen will, über den Sie lachen werden, der aber mein Ernst ist. Hören Sie mich denn aufmerksam an, liebe Charlotte. Ich weiß, wie Sie in jener, nun schon lange vergangenen Zeit, nach den Ihnen leider unersetzt gebliebenen Vermögensverlusten, ganz niedergebeugt waren. Ich habe es nicht vergessen, wie Sie damals mit sich, Verhängnis und Entschlüssen kämpften und endlich, da Sie etwas ergreifen mußten, die Kunstarbeit wählten, mit der Sie Ihre Neigung in einige Harmonie zu bringen dachten. Ich habe nicht vergessen, wie Sie nun unermüdet allen Fleiß und Nachdenken anwendeten und sich so eine seltene Geschicklichkeit gewannen, so daß Ihre Fabrikate den ausländischen gleichgestellt, sehr gesucht und versendet wurden. So gelang es Ihrer Anstrengung und Ausdauer, sich eine unabhängige Selbständigkeit zu schaffen, die Ihnen noch die Freiheit gab, nach Ihrer Neigung ein halb ländliches Leben zu führen. Es macht Ihnen viel Ehre und erregt meine volle und wahre Achtung. Nicht allein das Talent weiß ich zu würdigen, mehr noch die Charakterseiten, die dazu erfordert werden.

Gern möchte ich Sie indes in einer freieren Lage und in Beschäftigungen wissen, worin Sie bei zunehmenden Jahren weniger angestrengt, mehr sich selbst lebten: das müßte, denke ich, zu erreichen sein. Ja, teure Charlotte, ich möchte Sie so gern aus Ihrer sehr angestrengten Lebensweise herausgehoben wissen und weiß zugleich, daß, was für viele andere paßt, doch nicht für Sie ist.

Sie haben sehr oft in Ihren Briefen des schönen Verhältnisses gedacht, worin Sie von Kindheit an, durch alle wechselnden Schicksale Ihres Lebens, bis an sein Grab, zu Ewald gestanden; Sie denken mit gerührter Dankbarkeit des Einflusses, den er auf Sie gehabt, und der unendlichen Teilnahme, die er Ihnen in Rat und Tat durch ein langes Leben trostvoll bewiesen. Hat er nie die Idee in Ihnen geweckt, Vorteil aus Ihrer Feder zu ziehen? Wie viele Frauen taten und tun das, die vielleicht weniger dazu berechtigt sind als Sie. Denken Sie nur an Therese Huber, deren Sie schon mehrmals mit Liebe erwähnt haben, die Ihnen durch gemeinschaftliche Freunde näher bekannt war. Es war wirklich Notwendigkeit, was sie bestimmte zum Schreiben. Anfangs war sie gewiß weniger dazu befähigt als Sie. Sie wenden mir hier vielleicht ein, Therese Huber Therese Huber, Schriftstellerin (1764-1829), Tochter des Göttinger Gelehrten Heyne, war mit Georg Forster, dem Freunde Humboldts, und später mit dem Schriftsteller Ferdinand Ludwig Huber verheiratet. arbeitete an der Seite ihres Mannes, unter seinem Schutz, Forthilfe und Korrektur. Wenn Sie einen solchen Entschluß fassen auf meinen Rat, so ist es billig, daß ich Ihnen hilfreich bin. Schreiben Sie Ihre Ansichten, Gedanken, Betrachtungen über freigewählte Gegenstände. Ihre eigenen Schicksale und mancher, die Ihnen näher standen, bieten Ihnen gewiß Stoff genug, mehr noch Ihr reiches, inneres Leben, das auch in der sehr einfachen und angestrengten Lebensweise sich nie erschöpfte. Die Schilderungen innerer Seelenzustande gelingen Ihnen ganz vorzüglich.

Denken Sie meinem Vorschlage nach, prüfen Sie Ihre inneren Kräfte, seien Sie nicht zu bescheiden und sagen mir, mit dem Vertrauen, das Sie mir ja immer und unwandelbar so gütig zeigen, und worauf meine Teilnahme an allem, was Sie angeht, auch gerechten Anspruch hat, Ihre Meinung.

Und nun leben Sie herzlich wohl, liebe Charlotte, ich erschrecke selbst über die Länge meines Briefes, aber Sie finden darin einen Beweis der innigen Teilnahme, womit ich Ihnen angehöre und unwandelbar angehören werde. Ihr

H.



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