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Sie wundern sich, daß eine Liebe zur Beschäftigung mit Empfindungen, eine Milde und Zartheit in denselben, ein Eingehen in fremde Gemütsstimmungen, mir unter vielen und abziehenden Geschäften geblieben ist. Das kommt doch nur daher, daß jenes eigentlich die natürliche Beschaffenheit meines Gemüts ist, und daß es mir immer eigen gewesen ist, gegen das innere und eigentliche Sein, die Geschäfte nur wie eine Art Nebensache zu behandeln, immer ihrer mächtig zu bleiben, statt mich von ihnen beherrschen zu lassen. Man macht sich darum und auf diese Weise nur desto besser. Und das, was den Menschen als Mensch berührt, die Gefühle, die ihn erfüllen, die sich in ihm drängen und stoßen, haben immer einen hauptsächlichen Reiz für mich gehabt. Ich habe zuerst damit angefangen, mich selbst zu kennen und mich selbst zu beherrschen, und kein Mensch kann sich klarer durchschauen, keiner sich mehr in seiner Gewalt haben als ich. Ich habe dabei immer nach zwei Dingen gestrebt: mich empfänglich zu halten für jede Freude des Lebens, und dennoch durchaus in allem, was ich mir selbst nicht geben kann, unabhängig zu bleiben, niemandes zu bedürfen, auch nicht der Begünstigungen des Schicksals, sondern auf mir allein zu stehen, und mein Glück in mir und durch mich zu bauen. Beides habe ich in hohem Grade erreicht. Über keine Freude und keinen Genuß des Lebens bin ich hinweg, wie es die Leute nennen. Die einfachste Sache, wenn sie nur etwas Anmutiges oder Höheres an sich trägt, oder wenn sie mir durch irgend etwas besonders zusagt, gewährt mir reine Freude. Daher niemand so dankbar ist als ich, weil wirklich auch wenig Menschen so viel Grund zur Dankbarkeit haben. Teils begegnet ihnen vielleicht weniger Erfreuliches, teils aber finden sie auch in dem, was ihnen begegnet, das Erfreuliche nicht so heraus, und genießen es nicht, wie sie könnten. Aber kein Mensch ist auch so wenig bedürftig als ich, und darauf beruht ein großer Teil meines Glücks, denn jedes Bedürfnis ist, wie es befriedigt wird, nur eigentlich Stillung eines Schmerzes, und alles, was darauf verwendet wird, geht dem reinen, ruhigen, stillen Genuß ab.

Der Fähigkeit, sich einem fremden Willen, bloß weil es ein solcher Wille ist, auch geradezu gegen die Neigung zu unterwerfen, als Muß sich zu unterwerfen, dieser Fähigkeit bedarf jeder, auch der Mann, und ich würde mich sehr tadeln, wenn ich nicht wüßte, daß ich sie hätte. Sie macht überdies das Gemüt milder, weicher und, so sonderbar es scheint, zugleich stärker, selbständiger und der Freiheit würdiger.

Ohne Kampf und Entbehrung ist kein Menschenleben, auch das glücklichste nicht, denn gerade das wahre Glück baut sich jeder nur dadurch, daß er sich durch seine Gefühle unabhängig vom Schicksale macht.


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Burgörner, im Juli 1822.

Ich habe zwei recht liebe Briefe von Ihnen bald nacheinander empfangen, liebe Charlotte, die mir herzliche, wahre Freude gemacht haben, und wofür ich Ihnen ebenso herzlich danke. Die Güte und Liebe, die Sie mir so treu, wahr und natürlich bezeigen, tut meinem Herzen unendlich wohl, und wenn ich auch fühle, daß, wenn Sie von mir reden, das nur nach der Art ist, wie Sie mich ansehen, nicht gerade wie ich wirklich bin, so freut es mich, selbst da ich viel abbrechen muß, da ja dies liebevolle Zusetzen eine Folge und ein Beweis Ihrer Empfindung ist. Die Erinnerungen an Pyrmont haben mich sehr gefreut, auch mir steht noch vieles, sehr vieles in der Erinnerung von jener Zeit her. Mancher Gespräche unter uns erinnere ich mich auch noch. Es war in jener Zeit und selbst in der Gegend eine Scheide im Urteil über viele Dinge, auch über Dichtungen und Charakterformen, die in jeder Zeit sehr in Verbindung miteinander stehen. Die einen lebten mehr in Klopstock, den Stolbergen, und den Dichtern und Theaterstücken, die ruhiger und weniger excentrisch hinliefen; die andern mehr in Goethe, Schiller, von dem man damals eigentlich nur die ersten Stücke hatte (Die Räuber, Fiesko), und allem Regellosen, Excentrischen. Ich stand noch sehr unentschieden. Sie schienen mir mehr auf die erste Weise gebildet. Ich erinnere mich, daß Sie die Schillerschen Stücke nicht liebten. Alles das ist mir sehr im Gedächtnis geblieben, und ist mir noch heute, selbst außer der Persönlichkeit, merkwürdig, weil sich seit jener Zeit, auch in den inneren Ansichten, viel mehr verändert hat, als die doch nicht so unendlich lange Reihe der Jahre voraussehen ließe. Darum ist es mir auch sehr angenehm, wenn Sie, liebe Charlotte, gerade in Ihrer Jugend recht lange verweilen, in der Fortsetzung Ihrer Lebenserzählung. Ich werde Ihnen sehr dankbar sein, wenn Sie sich dieser Arbeit recht sorgfältig unterziehen. Auch wünschte ich genauer zu erfahren, durch welche Bücher Sie schon früh eine so ungewöhnlich ernste Bildung und Stimmung bekommen haben, und wie und wodurch diese in späteren Jahren sich so sehr befestigt hat. Ich wiederhole auch hier, Sie können in dem allen nicht weitläufig genug sein. Über das: jemand nach seinem Charakter behandeln, kann ich nicht ganz Ihrer Meinung sein. Ich tue es immer, einesteils weil es leicht zum Zwecke führt, dann, weil ich nicht berufen bin, auf den Charakter der Menschen gegen ihren Willen einzuwirken, endlich, weil die Menschen dabei glücklich und heiter bleiben und man gern Glück und Heiterkeit um sich verbreitet. Allein, was mich selbst betrifft, so wünsche ich immer und tue alles dazu, daß mich die Menschen nicht nach meinem Charakter nehmen mögen. Denn was heißt das anders, als den Charakter, wie er nun einmal ist, für abgeschlossen und unveränderlich annehmen, und ihn in allem, was er in sich enthält, zu bestärken? Nun aber ist keines Menschen Charakter fehlerfrei, es heißt also auch, den Menschen in seinen Fehlern bestärken. Ich weiß wohl, daß es mich manchmal tief schmerzt, wenn ich gegen meinen Charakter behandelt werde, allein ein solcher innerer Schmerz ist allemal heilsam, und das wahre Glück beruht gar nicht auf Schmerzlosigkeit. In dem Grade nun, daß die Menschen meines vertrauten Umgangs mir zu erkennen geben, daß Sie auch gern mit Kraft und Selbstverleugnung an sich arbeiten, daß sie heilsame Schmerzen nicht scheuen, behandle ich auch sie weniger mit Rücksicht auf ihren Charakter, und so könnte ich wohl bisweilen gegen die, welche mir innerlich am nächsten stehen, gerade am wenigsten schonend erscheinen. ~

Es tut mir sehr leid, aus einzelnen Äußerungen zu erkennen, daß Sie leidend waren, vielleicht noch sind. Schonen Sie sich, liebe, gute Charlotte, schonen Sie sich auch für mich, denken Sie, daß es mich unendlich bekümmert, Sie leidend zu wissen. Ihre Ruhe, Ihre Heiterkeit, vor allem Ihre Gesundheit ist es, worauf es mir ankam. Frauen sind darin glücklicher und unglücklicher als Männer, daß ihre meisten Arbeiten von der Art sind; daß sie während derselben meist an ganz etwas anderes denken können. Ich würde es ein Glück nennen.

Denn man kann ein ganz inneres Leben fast den ganzen Tag fortführen, ohne in seinen Arbeiten oder in seinem Berufe dabei zu verlieren oder gestört zu werden. Es ist das auch wohl ein Hauptgrund, warum wenigstens viele Frauen die Männer in allem übertreffen, was zur tieferen und feineren Kenntnis seiner selbst und anderer führt. Allein, wenn jene inneren Gedanken nicht beglückend, oder wenn sie wenigstens das nicht rein und unvermischt sind, sondern niederschlagend und beunruhigend dabei, so ist allerdings die Gefahr größer, welche die innere Ruhe bedroht; da Männer in ihren Geschäften selbst, auch wider ihren Willen, Zerstreuung und Abziehung von einem das Innere einnehmenden Gedanken finden.

Fürchten Sie nie, daß mir Ihre entschiedene Vorliebe für die einsame Stille, die Sie sich selbst geschaffen haben, mißfallen könne. Gerade das Gegenteil. Die Zeichnung Ihres kleinen Landhauses und Gartens, die Ihrem letzten Brief beigelegt war, hat mir Vergnügen gemacht; es ist angenehm, sich mit jemand, den man liebt, alle Umgebungen denken zu können. Die Einseitigkeit, welche, wie Sie sagen, Ewald für Sie gefürchtet und darum die große Zurückgezogenheit, worin Sie leben, nicht ganz gebilligt habe, ist allerdings etwas, das nicht taugt. Einmal aber ist sie bei Ihnen nicht zu besorgen, andernteils auch kann man doch für sehr vieles verstummen, ohne zu verarmen im Innern, oder dem Wahren, Guten und Schönen abzusterben.

Die Abgeschiedenheit spannt alle Vermögen eines weiblichen, in sich zarten und tiefen Gemüts höher, läutert die Seele und zieht sie ab von den kleinlichen, zerstreuenden Rücksichten, worein Frauen leichter verfallen als Männer. Auch gibt eine Frau, die die Einsamkeit liebt und in ihr lebt, gleich den Begriff, daß sie keine Freude sucht, als die sie aus der Tiefe ihres eigenen Innern schöpft, und das ist das Haupterfordernis, um einem selbst tiefer und besser fühlenden Mann zu gefallen und ein bleibendes, unwandelbares Interesse einzuflößen.

Die wenigsten Menschen verstehen, wie unendlich viel in der Einsamkeit liegt, und gerade für eine Frau liegt. Wenn sie verheiratet ist und Kinder hat, ist ihr Familienkreis ihre Einsamkeit, im entgegengesetzten Fall aber ist es eine absolute, in der man wirklich allein lebt und wenig Menschen sieht.

Das Glück vergeht und läßt in der Seele kaum eine flache Spur zurück und ist oft gar kein Glück zu nennen, da man dauernd dadurch nicht gewinnt. Das Unglück vergeht auch (und das ist ein großer Trost), läßt aber tiefe Spuren zurück, und wenn man es wohl zu benutzen weiß, heilsame, und ist oft ein sehr hohes Glück, da es läutert und stärkt. Dann ist es eine eigene Sache im Leben, daß, wenn man garnicht an Glück oder Unglück denkt, sondern nur an strenge, sich nicht schonende Pflichterfüllung, das Glück sich von selbst, auch bei entbehrender, mühevoller Lebensweise einstellt. Dies habe ich oft bei Frauen in sehr unglücklichen ehelichen Verhältnissen erlebt, die aber lieber untergingen, als ihre Stelle verlassen wollten. Leben Sie herzlich wohl.

Ihr

H.


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Berlin, den 2. Dezember 1822.

Ich habe Ihren Brief, liebe Charlotte, empfangen, und danke Ihnen von ganzem Herzen dafür. Es gehört immer zu meinen angenehmsten Empfindungen, etwas von Ihnen zu erhalten, und jemehr ich darin Ihre treue und liebevolle Anhänglichkeit erkenne, desto tiefer ist der Eindruck, den Ihre Zeilen auf mich machen. Die Erinnerung der Vergangenheit gesellt sich alsdann zu dem Genuß der Gegenwart, und ich rechne es immer zu den günstigsten Schicksalen meines Lebens, daß Sie mein Andenken haben bewahren wollen, und daß, wie mich Ihnen Beschäftigungen, Schicksale genähert haben, Sie fortdauernd Wert auf meine Teilnahme legen, in meine Ideen eingehen, und es sich selbst für ein Glück, ja wohl gar mir zum Verdienst anrechnen, daß mir Empfindungen blieben, die nur mit meinem eigenen Leben aufhören können. Es könnte mich dieser Beifall eigentlich stolz machen, allein dazu habe ich keine Anlage. Ich kenne mehr, wie irgendeiner, meine Fehler und Schwächen und weiß, daß es kein Verdienst genannt werden kann, daß, wenn man einmal vom Schicksal gewürdigt worden ist, das natürlich Treffliche und Gediegene zu sehen, wenn es sich, auch durch eine Gabe des Glücks, einem wirklich erschlossen hat, man es nun auch im Tiefsten der Seele festhält und sich nicht wieder entreißen läßt. Für ein solches Glück halte ich es, daß ich Sie einmal sah und Sie mir blieben, und fortfuhren, mir mit Treue anzuhängen, sich noch jetzt gern und willig mir unterordnen und mir erlauben, Ihnen so vertraulich zu schreiben. Ich habe die Stimmung von der Natur empfangen, die ich für eine ihrer wohltätigsten Gaben halte, daß ich das Unglück nie fürchte, ja, wo es mich betraf, und das ist doch einigemal auf sehr harte Weise geschehen, es nur als einen ernsten, aber nicht übelwollenden Begleiter betrachte; dagegen das Glück unendlich schätze, erkenne und genieße. Ich meine aber so das recht reine Glück, das, von allem Verdienst entblößt, uns die Götter schicken, ohne daß der Mensch dazu das mindeste tut. Ein solches Glück war es, daß Sie mir je begegneten, daß mir ein irdisches Bild vor Augen trat, das mir immer blieb und immer bleiben wird, mit dem nichts meinen Frieden stören kann und stören wird. Denn selbst, wenn es möglich wäre, daß Sie etwas anwandelte, das ich mißbilligen müßte, so bliebe jenes Bild ewig rein und unentweiht in mir. Es wäre dann etwas, das Ihnen so begegnete, wie es jedem Menschen wohl begegnen kann, es wäre aber nicht in die Züge verwebt, die den Umriß jenes Bildes ausmachen. Denn jeder Mensch trägt eigentlich, wie gut er sei, einen noch besseren Menschen in sich, der sein viel eigentlicheres Selbst ausmacht, dem er aber wohl einmal untreu wird, und an diesem inneren und nicht so veränderlichen Sein, nicht an dem veränderlichen und alltäglichen muß man hängen, auf jenes dieses zurückführen, und manches verzeihen, woran jenes tiefere Sein unschuldig ist. So hatte ich ja auch nie geahnt, welchen Schatz von Liebe und Treue Sie mir ein langes Leben bewahrten. Wie sollte es mich nicht beglücken! Diese Empfindungen, die Sie für mich hegen, die Gefühle, die aus jedem Ihrer Briefe sprechen, sind ja der Grund, auf dem alles, was wir miteinander wechseln, rein und schön hinfließt, von dem es die Farbe annimmt und in dessen Licht es erscheint. Darin liegt auch der große Reiz, den Ihre Lebensbeschreibung für mich hat. Jemehr ich die Umgebungen kennen lerne, in denen Sie, meine gute Charlotte, aufwuchsen, jemehr ich Sie mir darin denke, desto mannigfaltiger bewegt schweben mir die Züge vor, an die meine Einbildungskraft immer gern und lieblich geheftet ist. Solchen Genuß der Phantasie rechne ich zu den höchsten, die den Menschen gegeben sind, und in vieler Rücksicht ziehe ich ihn der Wirklichkeit vor. In diese kann immer leicht etwas störend eintreten, aber jene nähert sich den Ideen, und das Größte und Schönste, das Menschen zu erkennen imstande sind, bleiben doch die reinen, nur mit dem inneren Blick erkennbaren Ideen. In ihnen zu leben ist eigentlich der wahre Genuß, das Glück, was man ohne Beimischung irgendeiner Trübheit in sich aufnimmt. Nur haben wenig Menschen eigentlich Sinn dafür. Denn es gehört dazu eine Neigung der Beschauung, die in Menschen unmöglich ist, bei denen Sinnlichkeit und innere moralische Empfindung in Verlangen zur Wirklichkeit und zum Genuß übergehen. Ich bin von diesem Verlangen mein ganzes Leben hindurch sehr frei gewesen und habe daher mehr durch den Anblick vom Inneren und Äußeren genossen, und in beiden Rücksichten mehr die Wahrheit der Dinge erkannt, ohne mich Täuschungen hinzugeben.

Sie haben mich, liebe Charlotte, schon vor längerer Zeit gebeten, Ihnen Nachricht von den Meinigen zu geben; Sie haben den Wunsch leise erneuert und sprechen ihn jetzt wieder auf eine so zart empfundene Art aus, daß ich mir fast einen Vorwurf darüber mache. Sie sagen: die nahen Angehörigen geliebter Männer seien für Frauen unendlich teure, geheiligte Gegenstände; die Kinder, Teile seines Wesens, die Lebensgefährtin, als die Mutter dieser, würden in dem Grade, wie sie den Geliebten beglücken, von der innigsten Zärtlichkeit umfaßt. Indem ich es zu würdigen weiß, aus wie edler Quelle dergleichen Äußerungen kommen, danke ich Ihnen recht herzlich dafür. Ich habe es nur von Brief zu Brief verschoben, weil ich gewöhnlich das letzte Wort eines Blattes und die letzte Viertelstunde der Zeit erreichte, ehe ich dazu kam. Ich fange bei meiner Frau an, da ich mich nicht erinnere, ob Sie wissen, wer sie eigentlich ist. Wenn ich Ihnen also etwas sage, was Ihnen bekannt ist, so seien Sie mir darum nicht böse. Sie war ein Fräulein von Dacheröden, in ihrer Jugend sehr schön, und, ob sie gleich acht Kinder gehabt hat, noch viel mehr erhalten, als es Frauen, die nicht in dem Falle sind, gelungen ist. Sie ist seit einiger Zeit kränklich, aber auf keine Weise, die Besorgnis erregte, oder ihre natürliche Heiterkeit störte. Burgörner gehört ihr und ist eins ihrer Güter, dahingegen Tegel und die schlesischen mir gehören. Unsere Ehe wurde bloß durch gegenseitige Neigung, ohne alles Zutun von Eltern und Verwandten, geschlossen, sie hat in den einunddreißig Jahren, die sie nun währt, nie einen nur weniger zufriedenen Moment gehabt, unser Glück ist gegenseitig heute, wie im Anfang, und hat nur die Farbe der verlaufenden Zeit nach und nach angenommen. Da wir beide von Natur heiter sind, so ist unser Verhältnis selbst jugendlicher geblieben, als es sonst der Fall sein würde. Meine Geschäfte haben uns manchmal lange voneinander getrennt, aber seitdem ich freie Muße genieße, sind wir fast ununterbrochen zusammen, und dies fortsetzen zu können, wird mich vorzüglich bewegen, wenn es nicht durchaus sein muß, nicht wieder in Dienst zu treten. Gleich nach meiner Verheiratung lebte ich auch außer Dienstverhältnissen über zehn Jahre lang, und reiste damals mit meiner Frau nach Frankreich und Spanien. Jetzt in der Stadt berühre ich fast die Straße mit keinem Fuß, und fahre auch selten aus. Auf dem Lande gehen wir immer zusammen spazieren, oder sind beide zu Hause. Von unsern acht Kindern haben wir leider drei, eins in Paris, zwei in Rom, verloren, als ich dort Gesandter war. Jetzt haben wir noch drei Töchter und zwei Söhne. Die älteste Tochter wird sich schwerlich verheiraten, sie bleibt gern mit uns, und wir würden sie, da sie so lange mit uns gewesen ist, noch ungerner missen. Meine beiden andern Töchter sind verheiratet; die zweite heiratete, ehe sie noch fünfzehn Jahre alt war, und ihr Mann in den Krieg ging. Sie hat den Obrist-Lieutenant von Hedemann zum Manne und lebt überaus glücklich. Die jüngste ist an den Geheimrat von Bülow verheiratet, der Legations-Sekretär bei mir in London war, und jetzt hier bei dem auswärtigen Departement steht. Sie hat eine Tochter, die bald ein Jahr alt sein wird, und lebt gleichfalls sehr heiter und in ihrer Häuslichkeit zufrieden. Mein jüngster Sohn ist noch im Hause und wird bei mir erzogen. Mein ältester ist Kavallerieoffizier in Breslau und hat eine schöne und liebenswürdige Frau. Sie hat leider noch keine Kinder. So wissen Sie wenigstens im ganzen so viel, daß Sie sich meine Familie und mein Leben in derselben vorstellen können. Außer meiner Familie sehe ich wenig Leute. In Privathäuser gehe ich selten, nur zu einigen alten Bekannten.

Ich muß nun schließen, das Papier ist zu Ende. Leben Sie herzlich wohl, liebe Charlotte. Mit der unwandelbarsten und wärmsten Anhänglichkeit der Ihrige.

H.



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