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Tegel, den 15. Mai 1825.

So sehr ich auch die Natur liebe und gern in ihr weile, bin ich doch, seit ich hier bin, nicht sehr viel ins Freie gekommen. Wenn nicht Besuch kommt, was bei diesen kalten und regnichten Tagen nicht so häufig der Fall ist, pflege ich von sechs bis acht Uhr abends draußen zu sein. Ich ziehe den Abend dem Morgen besonders wegen des Sonnenuntergangs vor. Nicht leicht versäume ich diesen an irgend einem Tage zu sehen. Ich habe ihn immer werter gehalten als den Aufgang, obgleich das vielleicht nur daher kommt, daß man am Abend, nach vollendeten Geschäften, ruhiger und besser gestimmt ist, sich Natureindrücken zu überlassen. Den ganzen Tag über arbeite ich in meiner Stube, die aber nach der Mittags- und Abendseite die unmittelbare Aussicht nach dem Garten und hohen Bäumen hat. Dies Arbeiten in selbstgewählten Studien, unabhängigem Denken (denn meine eigentlichen Geschäfte kosten mir verhältnismäßig sehr wenig Zeit) kann ich eigentlich als mein Leben ansehen. Meine Ideen, und dies in Büchern, in Anschauungen, in Erfahrungen, wodurch sie genährt werden, beschäftigen mich eigentlich allein und ausschließend; und ich kann mit Recht sagen, daß ich mein sehr heiteres und glückliches Dasein, wenn nicht allein, doch größtenteils ihnen verdanke. Hat man sich einmal an dies Leben in Ideen gewöhnt, so verlieren Kummer und Unglücksfälle ihren Stachel. Man ist wohl wehmütig und traurig, aber nie ungeduldig noch ratlos. Ich knüpfe, weil ich einmal diese Gewohnheit gefaßt habe, dies Nachdenken immer an gelehrte Beschäftigungen, aber ich suche mich immer und an jedem Punkte darin zu freien Ideen zu erheben, die sich dann an alles, was nicht wirklich, und an alles, was in der Wirklichkeit echten und wesenhaften Glanz, Gehalt und Reiz hat, knüpfen. In dieser höheren Region werden die Ideen, die als gelehrte Beschäftigungen nur für wenige bestimmt scheinen, wieder sehr einfach und knüpfen sich an alles allgemein Menschliche an.

Ich freue mich zu denken, daß Sie diesen Brief, wie Sie es immer freut, zum Pfingstfest bekommen. Mit unwandelbaren Gesinnungen der Ihrige.

H.


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Tegel, den 16. Juli 1825.

Dies ruhige, schöne, meinem Alter und Neigungen angemessene Verhältnis können wir ungestört so lange fortsetzen, als wir miteinander im Leben fortwandeln; es ist von meiner Seite nichts da, was es unterbrechen könnte, und ich weiß nichts, was es von Ihrer Seite hindern könnte Genügt Ihnen, wie ich denn sicher überzeugt bin, daß es Ihnen genügt, dies, so ist unser Verhältnis so klar und rein, wie es nur immer gedacht werden kann. Sie brauchen auch garnicht zu denken, daß Sie darin bloß die Empfangende sind; ich habe Ihnen oft gesagt, daß mir Ihre Briefe, Ihre natürlichen, weiblichen Äußerungen Ihrer Ergebenheit, Ihre Lebensbeschreibung recht große Freude machen und gemacht haben. Glaube ich, daß Sie mir eine besondere machen könnten, so haben Sie ja gesehen, daß ich es Ihnen frei und natürlich geäußert habe. Sagt das Ihnen nicht zu, so trete ich davon zurück, und gewiß ohne Erbitterung, ohne Klage, ohne, wie ich Ihnen sagte, irgend eine Empfindung, die Ihnen unangenehm sein könnte, bloß in dem Gefühle, daß nicht zwei Menschen ganz gleich denken können. Also auch so etwas müssen Sie, liebe Charlotte, nicht schwer aufnehmen. Es gibt schon sehr vieles, was auch das glücklichste Leben schwer machen kann, daß man es nicht willkürlich vermehren muß. Willkürlich ist nun zwar eine solche Mißstimmung nicht, aber man kann doch gegen sie arbeiten. Das erfordert freilich Selbstbeherrschung, aber darauf muß ich auch zurückkommen, daß die allen Menschen nötig ist. So glaube ich, liebe Charlotte, mich so rein ausgesprochen zu haben, daß Ihnen wenigstens in mir nichts dunkel und rätselhaft bleiben kann. Nun muß ich noch eine Stelle Ihres Briefes berichtigen, wo Sie mich ganz mißverstanden haben, wo Sie mich ganz mißverstanden haben: An dieser Stelle wie auch zu Anfang des Briefes hat Charlotte das Original Humboldts gekürzt. (Vgl. hierzu die Leitzmannschen Forschungen, vor allem eine handschriftliche Notiz Charlottes zu diesem Brief.) indem Sie sagen, daß ich nichts zu meinem Glück bedürfe als mich. Es ist das allerdings wahr. Aber das kann ich, wie streng ich mich untersuche, nicht tadeln, es ist vielmehr in mir die Frucht eines langen und darauf gerichteten Lebens gewesen. Ich lebe nämlich in Gefühlen, Studien, Ideen; diese sind es eigentlich, die machen, daß ich nichts Fremdes bedarf, und sie sind auf unvergängliche Dinge gerichtet, sie lassen mich nicht sinken, wenn mir Erwartungen fehlschlagen, wie ich es oft, wenn mir Unglücksfälle zustießen, erlebt habe. Nur wenn man in diesem Sinne nichts bedarf, kann man möglichst frei von Egoismus sein, denn da man für sich nichts fordert, kann man andern hilfreicher sein. Man genießt auch dann jede Freude mehr, gerade weil sie kein Bedürfnis ist, sondern eine reine, schöne Zugabe zum Dasein. Alles, was dem Bedürfnis ähnlich ist, hat die Eigentümlichkeit, daß man es viel weniger genießt, wenn man es hat, als es schmerzt, wenn man es entbehrt. Darum aber fühle ich (ich habe es ja mehr als einmal erfahren) den Verlust geliebter Personen wohl eher tiefer als andere, wenn auch mit mehr Fassung und Ruhe. Nur die Wehmut setze ich nicht dem Glücke entgegen, sondern teile das Glück in wehmütiges und heiteres, und setze jenes nicht gegen dieses zurück. So meinte ich das, was Sie anders verstanden, und wenn Sie den Inhalt meiner Briefe im ganzen durchgehen, werden Sie immer dies darin ausgesprochen finden. Dafür, daß einzelne Stellen anders erscheinen könnten, möchte ich nicht einstehen, da man nicht jedesmal alles begrenzen kann, doch glaube ich es kaum. Leben Sie nun herzlich wohl, rechnen Sie fest auf die Unveränderlichkeit meiner Gesinnungen, verscheuchen Sie vor allem jede unnütze Besorgnis, erheitern Sie sich. Denken Sie, daß Sie mir Freude damit machen, das tun Sie ja so gerne. Von Herzen Ihr

H.


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Burgörner, den 18. August 1825.

Ich bin seit einigen Tagen hier und habe mich schon sehr an dem Gefühle erfreut, das den Aufenthalt in der Provinz und in einer Gegend, wo man ganz und gar von größern Städten entfernt ist, begleitet. Ich finde mich immer sehr leicht darein und habe daran ein vorzügliches Gefallen. Es wandelt mich auch nicht die leiseste Neugierde an, und ich kann sehr gut selbst die Zeitungen entbehren. Ich pflege alsdann auch meine Beschäftigungen fast ganz einförmig einzurichten und so viel als möglich bei einem Ideengange zu bleiben. Ich habe von jeher eine große Neigung gehabt, mich in eine Sache zu vertiefen, und habe oft Gelegenheit gehabt, die Vorteile und Nachteile davon an mir selbst zu erfahren. Denn daß diese Vorliebe für eine und dieselbe oft wiederholte Beschäftigung, dies Grübeln über eine Idee auch seine beschränkenden und daher schädlichen Eigenschaften hat, läßt sich nicht leugnen. Die Vertiefung bringt im Grunde dieselbe Wirkung hervor als die Zerstreuung, sie läßt vieles nicht bemerken, manches ungeschickt betreiben. Der Unterschied ist nur freilich, daß der zerstreute Mensch sich in nichts zersplittert, und nichts findet, noch besitzt, an dem er zu haften vermöchte, daß aber der Vertiefte immer eins hat, was ihn für die Vernachlässigung des übrigen entschädigt. Am nachteiligsten empfinde ich diesen Hang, sich einer Sache, die dann meistenteils eine innere Idee ist, hinzugeben dann, wenn ich mich in der freien Natur befinde. Ich liebe sie unendlich, und der Genuß oft selbst einer einfachen Gegend, geschweige denn einer schönen, hat für mich mehr Reiz als fast alles übrige sonst. Aber auch der Eindruck, den die Natur macht, schließt sich immer wieder an den mich innerlich beschäftigenden Gedanken an, und verwandelt sich selbst in eine allgemeine Empfindung; dagegen entgehen mir eine ganze Menge Einzelheiten. Ich würde nie zum Naturbeobachter darum getaugt haben, und hätte sicherlich mitten unter Pflanzen und Steinen sehr vieles unbemerkt vorübergehen lassen, was ich zu anderer Zeit mit Bedauern inne geworden sein würde. Indes möchte ich darum diesen Hang zur Vertiefung nicht fahren lassen und ihn nicht bloß nicht mit dem entgegengesetzten Extrem vertauschen, sondern mich nicht einmal gern mit der Mittelstraße zwischen beiden Extremen, die man sonst wohl als die weisere zu preisen pflegt, begnügen. Man lernt doch das, dem man sich so ganz, so ausschließend, so in fester Beharrlichkeit widmet, besser kennen, und je länger man dabei verweilt, desto mehr scheint an ihm in der Betrachtung hervorzutreten. Man kann in der Tat nicht sagen, daß die Dinge der Welt dasjenige, was an ihnen zu sehen ist, offen daliegen haben. Der eine sieht, was dem andern entgeht, und es ist, als wenn der Blick, wenn er durch gehörige Vertiefung geschärft wird, erst selbst den Gegenstand erschlösse. Die einfachsten Sachen können darum denjenigen, der einmal diesen Hang hat, sehr lange Zeit, und nicht auf eine leere, nutzlose Weise beschäftigen. Vorzüglich finde ich immer, geht bei dieser anhaltenden Betrachtung, wenn sie nicht bloße Gedanken, sondern Gegenstände der Welt betrifft, dasjenige auf, was die Zeit an ihnen gearbeitet hat, die Spur der Vergangenheit in der Gegenwart, ja oft auch die reife Ahnung der Zukunft, welcher die Gegenwart entgegengeht. Darin liegt auch einer der höchsten Reize. Denn alles, was das Laufen und das ununterbrochene Fließen der Zeit versinnlicht, zieht den Menschen unendlich und unnennbar an. Sehr natürlich, da er selbst das Geschöpf der Zeit ist, da seine Schicksale auf ihr wie auf einem immer wogenden Meere schweben, da er nie weiß, ob er sich der Gegenwart sicher vertrauen darf, und ob nicht eine trügerische Zukunft seiner wartet. Das tiefere Eindringen in die Gegenstände, das man dem Hange zur Vertiefung dankt, wäre aber noch der mindeste Vorteil. Denn Sie könnten mir vielleicht mit Recht einwenden, daß es gar wenig Dinge gibt, die ein solches Eindringen verdienen. Das viel Wichtigere dabei ist der Gewinn, den der Geist in sich, aus diesem Sichsammeln auf einen Punkt, aus dieser Genügsamkeit mit wenigen Gegenständen, auf die er sich vereinzelt, zieht. Es entspringt notwendig daraus eine größere geistige Innigkeit, eine höhere Wärme, eine Liebe, mit der man das umfaßt, mit dem man sich gleichsam allein in der Welt fühlt. Dadurch wird auf den Charakter selbst gewirkt, oder vielmehr, da nichts Äußeres hinzutritt, sondern dieser Hang aus dem Charakter selbst hervorgeht, so entwickelt sich der Charakter dadurch und bildet sich zu einer höheren Würde und gehaltvolleren Schönheit aus. Denn es gibt Ideen, mit denen er gleichsam zusammengewachsen ist, die er nie aufgeben möchte, die ihn wie beständige Leiter, Freunde, Tröster begleiten, und diese Ideen, die so zu ihm treten, sind gerade immer die eigentümlichsten, diejenigen, die ein anderer oft garnicht, oft erst nach Jahren, verstehen und begreifen kann, was garnicht darin liegt, daß sie ihm, wie man es auszudrücken pflegt, zu hoch, zu verwickelt wären, sondern nur darin, daß sie so unzertrennbar mit einem andern Individuum verbunden sind. In Ideen dieser Gattung würde ich nie von dem Allerkleinsten, ohne vollkommene Änderung meiner früheren Überzeugung, zurückgehen; es kann nichts geben, was für dies Zurückgehen Entschädigung gewährte, und welches Opfer auch einer solchen zu tiefer Überzeugung gewordenen Idee gebracht werden müßte, so kann es nie, gegen sie selbst gehalten, zu groß sein. Die Festigkeit aber, die darin sich ausspricht, ist keine eigensinnige, sie entsteht nicht einmal allein aus Verstandesüberlegung. Denn ob sie gleich an sich freilich, wie die Überzeugung, von demjenigen, was von dieser Festigkeit begleitet ist, aus dem Verstande entspringt, so gesellt sich nun in einem Gemüte, das den Hang besitzt, eine Idee und einen sich mit ihr verbindenden Gegenstand ganz und gewissermaßen ausschließend zu umfassen, dazu Wärme, Empfindung und eigentliche Liebe. Das ganze Leben wird durch diese Stimmung innerlicher, und wo sie recht einheimisch geworden ist, dauert sie, wie ich in verschiedenen Perioden meines Lebens erfahren habe, auch in derselben Innerlichkeit mitten unter großen äußeren Bewegungen fort. Sie macht alsdann denjenigen, welcher sie besitzt, von allen Äußerlichkeiten unabhängig. Überhaupt wird durch dieselbe das Bedürfnis, sich gerade mit einem äußeren Gegenstande zu verbinden, vermindert. Denn die Liebe, welche die bloße innere Idee erweckt, vertritt schon dessen Stelle. Wo aber etwas Äußeres mit der Idee zusammentrifft, da ist nun auch die Wirkung doppelt stark und dauernd. Die Ideen, welche so durch das Leben begleiten, sind auch natürlich zugleich dann die, welche am besten vorbereiten, das Leben auch entbehren zu können. Denn da das Leben vorzüglich nur durch sie Wert hat, sie aber fest mit den tiefsten Kräften des Gemüts und der Seele vereinigt sind, so kann ich mir wenigstens nicht denken, wie nicht mit ihnen gerade auch das Eigenste, was man besitzt, mit einem hinübergehen sollte. Es ist wohl zu hoffen und mit Vertrauen zu erwarten, daß sie klarer, heller, und in neuer vielfacherer Anwendung den Geist umgeben werden.

Recht herzlich habe ich mich gefreut, in Ihrem Briefe zu erkennen und ausgedrückt zu finden, daß Sie wieder ruhig und heiter werden und aufs neue erkannt haben, daß ich nur beides zu befördern wünsche. Gewiß habe ich nur diese wohlwollenden Gesinnungen für Sie gehabt, wie ich vor einigen Jahren den Briefwechsel mit Ihnen wieder anfing. Ich glaube mir in meinen Gesinnungen stets gleich geblieben zu sein, und Sie können gewiß ferner darauf rechnen. Die Grundsätze, nach denen ich handle, stammen weder aus Eigensinn, noch sind sie eben so wenig auf eigene Wünsche berechnet. Sehr gefreut hat es mich auch, das volle feste Vertrauen, wie sonst bei Ihnen, zu diesen Ihnen mit liebevollem Anteil geweihten Gesinnungen gefunden zu haben. Halten Sie dies unverbrüchlich fest, liebste Charlotte, und nie wird etwas Störendes in unserem Verhältnis entstehen. Daß Sie der Konsequenz gram und feind sind, wenn sie nichts als Eigensinn ist, und nur diesen edleren Namen annimmt, darin haben Sie ganz recht. Es ist dies dann nur eine tadelnswerte Scheinheiligkeit. Doch muß man nicht alles Eigensinn nennen, wovon man die Gründe nicht einsieht, oder was auf solchen Gründen beruht, für die man, wenn man sie auch kennt, keinen Sinn hat. Das wäre wieder auf der andern Seite und in einem andern Extreme gefehlt. Noch weniger könnte es Konsequenz genannt werden, wenn man bei Meinungen beharren wollte, die man selbst abgeändert hätte und nicht mehr, wie ehemals, für wahr hält; das wäre nichts als Rechthaberei, oder die Schwäche, nicht vor andern bekennen zu wollen, daß man früher unrecht gehabt hat. Wenn man das selbst fühlt, muß man auch keine Schwierigkeit darin finden, es vor andern einzugestehen. Ich halte garnichts davon, in seinen Grundsätzen, Meinungen und Empfindungen so ein für alle Mal abgeschlossen zu sein und zu denken, daß das nun alles darum so recht wäre, weil man es so lange dafür gehalten hat. Ich prüfe vielmehr immer alles aufs neue und würde es keinen Augenblick Hehl haben, wenn auch das, woran ich sehr gehangen hätte, mir plötzlich anders erschiene. Ich würde dann nicht nur selbst meine vorige Meinung ablegen, sondern es auch ohne allen Anstand bekennen. Gerade aber, wenn man so gestimmt ist, begegnet einem dies bei andern viel weniger, denn man ist dann an sich dem Nachdenken geneigt, und die Grundsätze und Meinungen, die man hat, gründen sich dann auch auf das Nachdenken, solche aber vertauscht man nicht leicht mit andern, wenn man auch sich neuen Prüfungen noch so offen erhält. Sie sagen, daß Sie in den letzten Wochen zu sehr ernsthaftem Nachdenken über sich geführt worden sind und Ihre Blicke sehr in die Tiefe Ihres Innern gerichtet haben. Sie werden dann dabei erfahren haben, wie wohltätig es ist. Mir kehrt aus solchen Selbstbetrachtungen, die ich für die höchste und beste Beschäftigung halte, alle Mal eine große und nicht leicht wieder zu zerstörende Heiterkeit zurück. Man findet entweder, daß der Zustand des Gemüts von der Art ist, wie man nur wünschen kann ihn zu erhalten, und hat nichts nötig gehabt, als ihn nur besser zu entwirren, mehr Licht und Klarheit in ihm zu genießen – und das ist gewiß der Fall bei Ihnen – oder man muß sich selbst anklagen und unzufrieden mit sich sein; dann ändert man seinen Sinn, nötigt das Gemüt zu dem, was es aus Irrtum, oder Schwäche, oder sonst einer Verkehrtheit versagte, und genießt gerade wieder in dem Gefühl, sich auf den rechten Weg zurückgebracht zu haben, einer neuen und nun wahrhaft befestigten Heiterkeit. Leben Sie herzlich wohl, bleiben Sie ruhig und heiter, und rechnen Sie auf die Gleichheit und Unveränderlichkeit meiner Gesinnungen.

H.


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Burgörner, den 6. September 1825.

Es ist nahe an Mitternacht, da ich meinen Brief an Sie anfange, er kann aber, es ist heute Dienstag, erst am Freitag abgehen. Ich habe immer im Briefschreiben die Sitte, die ich aber nicht unbedingt loben will, mich im Schreiben nicht an die Posttage zu kehren, sondern meiner Neigung zu folgen. Bei vertraulichen Briefen, wie die unsrigen sind, ist das eigentlich nicht gut. Es ist natürlich, solche Briefe sobald als möglich in die Hände desjenigen zu wünschen, dem sie bestimmt sind. Aber mit andern Briefen, die Dinge betreffen, an denen das Gemüt keinen oder wenigen Teil nimmt ist es nicht übel, sie einige Tage liegen zu lassen. Man kann dann noch vielleicht ändern.

Was Sie über den Einfluß des schnelleren oder langsameren Umlaufs des Bluts auf das Gemüt sagen, ist vollkommen wahr und darf bei Beurteilung anderer nicht aus der Acht gelassen werden. Indes ist es eine schöne Eigenschaft im Menschen, und ein ihm von dem Schöpfer ausschließlich vor den übrigen Erdengeschöpfen eingeräumter Vorzug, daß er immer fühlt, daß er durch den Gedanken und durch den Entschluß jeden körperlichen Einfluß, wie stark er sein möge, hemmen und beherrschen kann. Es sagt dem Menschen eine innere Stimme, daß er frei und unabhängig ist, sie rechnet ihm das Gute und das Böse an, und aus der Beurteilung seiner selbst, die immer stärker und strenger sein muß als die anderer, muß man jene ganz körperlichen Einflüsse völlig hinweglassen. Es sind zwei verschiedene Gebiete, das der Abhängigkeit und das der Freiheit, und durch den bloßen Verstand läßt sich der Streit beider nicht lösen. In der Welt der Erscheinungen sind alle Dinge dergestalt verkettet, daß man, wenn man alle Umstände bis auf die kleinsten und entferntesten immer genau wüßte, beweisen könnte, daß der Mensch in jedem Augenblick gezwungen war, so zu handeln, wie er gehandelt hat. Dabei hat er aber doch immer das Gefühl, daß er, wollte er in das hemmende Rad greifen und sich von dieser ihn umstehenden Vostehendes Wort unleserlich. Re Verkettung losmachen, es vermöchte. In diesem Gefühl seiner Freiheit liegt seine Menschenwürde. Es ist aber auch das, wodurch er gleichsam aus einer andern Welt in diese eintritt. Denn im Irdischen allein kann nichts frei, und im Überirdischen nichts gebunden sein. Der Widerstreit ist nur dadurch zu lösen, daß es eine Herrschaft des ganzen Gebiets der Freiheit über das ganze Gebiet der Abhängigkeit gibt, die wir nur im einzelnen nicht begreifen können, die aber die Verkettung der Dinge vom Uranfange so leitet, daß sie den freien Beschlüssen des Willens entsprechen muß.

Wie ich mir Ihren körperlichen Zustand denke, liebe Charlotte, so hängt er auch sehr von der Seele ab. Suchen Sie daher vor allem sich zu erheitern und von allen Seiten zu beruhigen. Es ist dies freilich leichter zu sagen als zu tun, aber viel vermag es doch, wenn man sich nur alles, was einem besorglich scheint, recht klar macht und vollständig auseinandersetzt, und alles in sich zurückruft, worin man mit dem Geschick zufrieden sein oder es vielleicht sogar dankbar preisen kann. Gelingt es dem Geist, die Krankheit oder Kränklichkeit ganz aus sich zu entfernen und bloß in den Körper zu bannen, so ist unendlich viel gewonnen, und so erträgt sich danach körperliches Übel mit Fassung und wirklicher, nicht scheinbarer Ruhe, und erträgt sich nicht bloß, sondern hat sehr oft auch noch etwas die Seele schön und sanft Reinigendes. Ich selbst bin zwar mehrere Male, und ein paar Mal sehr gefährlich, krank gewesen, aber an dauernder Kränklichkeit, eigentlich schwacher Konstitution, habe ich nie gelitten. Ich bin aber oft mit Personen umgegangen, Männern und Frauen, in denen dieser Zustand der tägliche war, und die nicht einmal irgend wahrscheinliche Hoffnung hatten, sich je anders als durch den Tod herauszuwickeln. Zu diesen Menschen gehörte Schiller vorzüglich. Er litt sehr, litt dauernd, und wußte, wie auch eingetroffen ist, daß diese beständigen Leiden nach und nach seinen Tod herbeiführen würden. Von ihm aber konnte man wirklich sagen, daß er die Krankheit in dem Körper verschlossen hielt. Denn zu welcher Stunde man zu ihm kommen, wie man ihn antreffen mochte, so war sein Geist ruhig und heiter, und aufgelegt zu freundschaftlicher Mitteilung und interessantem und selbst tiefem Gespräch. Er pflegte sogar wohl zu sagen, daß man besser bei einem gewissen, doch freilich nicht zu angreifenden Übel arbeite, und ich habe ihn in solchen, wirklich sehr unerfreulichen Zuständen Gedichte und prosaische Aufsätze machend gefunden, denen man diesen Ursprung gewiß nicht ansah.

Wenn sich Schwäche mit Wallung des Blutes, Unruhe oder gar Beängstigung vereinigt, und dies Leiden mehrere Jahre dauert, so begreife ich freilich wohl, daß es Überdruß am Leben überhaupt hervorbringen kann, diesem aber sollte man doch mit allen Kräften immer entgegen arbeiten. Ich will nicht einmal darauf zurückgehen, daß dies offenbar sogar gebotene Religionspflicht ist, aber das Leben ist schon, selbst wenn es am längsten währt, gegen die unendliche Zeit, wo man wenigstens keinen Begriff im voraus von der Art des Daseins hat, so kurz, daß man nicht mit seinen Wünschen die Schranken noch näher rücken, sondern sich vielmehr, so gut es irgend gehen will, darin betten muß, und gewiß ist es fast noch wichtiger, wie der Mensch das Schicksal nimmt, als wie sein Schicksal ist. Es ist eine sprichwörtliche Redensart, daß jeder sich das seinige schafft, und man pflegt das so zu nehmen, daß er es sich durch Vernunft oder Unvernunft gut oder schlecht bereitet. Man kann es aber auch so verstehen, daß, wie er es aus den Händen der Vorsehung empfängt, er sich so hinein paßt, daß es ihm doch wohl darin wird, wieviel Mängel es darbieten möge.

Erhalten Sie mir Ihr liebevolles Andenken und seien Sie des meinigen unbezweifelt gewiß. Meine Gedanken begleiten Sie öfter, als Sie es wohl denken. Der Ihrige.

H.



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