Victor Hugo
Die Elenden. Zweiter Theil. Cosette
Victor Hugo

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Siebentes Buch. Eine Parenthese

I.
Das Kloster als abstrakte Idee

Dieses Buch ist ein Drama, dessen Hauptrolle der Unendliche spielt.

Der Mensch spielt die zweite.

Aus diesem Grunde haben wir, da wir ein Kloster an unserem Wege fanden, uns darin umsehen müssen. Warum? Weil das Kloster, als eine dem Orient wie dem Occident, dem Alterthum wie der Neuzeit, dem Heidenthum, dem Buddhismus, dem Islam wie dem Christenthum gemeinsame Erscheinung eines der optischen Instrumente ist, deren sich der Mensch bedient, um sich den Unendlichen näher zu rücken.

Es ist hier nicht der Ort, ins Weite zu schweifen; aber trotz aller Einwände, die wir uns zu erheben veranlaßt fühlen, ja trotz des Unwillens, den wir hier und da nicht unterdrücken können, empfinden wir Achtung und Ehrfurcht jedes Mal, wenn wir im Menschen dem Unendlichen begegnen. Die Synagoge, die Moschee, die Pagode, hat für uns etwas Widerwärtiges, das wir verabscheuen, und etwas Erhabenes, das wir verehren. Sie bieten immer Stoff zu tieferen Betrachtungen, sind Mauern, an denen göttliches Licht sich bricht.

II.
Das Kloster als geschichtliche Thatsache

Unter dem Gesichtspunkt der Geschichte, der Vernunft und der Wahrheit betrachtet, ist das Mönchsthum verdammenswert.

Die Klöster sind Hemmnisse des Verkehrs, Sammelpunkte der Trägheit, wo Sammelpunkte der Arbeit sein sollten. Sie sind für die menschliche Gesellschaft dasselbe, was die Mistel für die Eiche, die Warze für den organischen Körper ist. Sie nähren sich auf Kosten des Landes, das sie duldet. Als die europäische Zivilisation noch in den Windeln lag, dienten sie dem Fortschritt, insofern sie sich der barbarischen Rohheit und Gewaltthätigkeit als ein geistiges Element entgegenstellten und Erziehungs-Institute der unreifen Menschheit waren; heutzutage, wo die Völker ihr Mannesalter erreicht haben, können die Klöster nur hinderlich sein. Wieviel Schaden sie stiften können, sehen wir an Italien und Spanien, Ländern, die Jahrhunderte lang Hauptträger der Kultur waren und durch das Mönchsthum an den Rand des Abgrunds gebracht worden sind. Erst jetzt fangen diese beiden Nationen wieder an zu gesunden, dank den energischen Heilmitteln, die ihnen das Revolutionsjahr 1789 gebracht hat.

Das Kloster, besonders das Frauenkloster, wie es sich noch zu Anfang dieses Jahrhunderts in Italien, Oesterreich, Spanien unseren Blicken darstellt, ist eine der grauenhaftesten Schöpfungen des Mittelalters, ein Koncentrationspunkt aller Schrecknisse des Todes.

Besonders das spanische Kloster ist schaurig. Da erheben sich unter dunsterfüllten Gewölben, unter dämmrigen Kuppeln, von Dunkelheit umhüllt, turmhohe Altäre; da hängen im tiefsten Schatten große, weiße Krucifixe; da liegen nackt auf Ebenholz elfenbeinerne Christusleichen, von Blut triefend, von scheußlicher Magerkeit, mit klaffenden Wunden, mit silbernen Dornen gekrönt, von goldenen Nägeln durchbohrt, die Stirn mit Rubinen statt Blutstropfen bedeckt und mit diamantnen Thränen in den Augen. Zu den Füßen dieser grausigen Bildnisse weinen über Rubinen und Diamanten, verschleierte Wesen, aus deren Körper das härene Bußhemd und stachlige Geißeln blutige Male hinterlassen haben, deren Brüste eingedrückt, deren Kniee zerschunden sind; Frauen, die sich für Bräute, hagere Gespenster, die sich für Seraphim halten. Denken, wollen, lieben, leben diese Frauen? Nein! Sie sind Wesen, die im Reich des Todes wohnen.

Das katholische Spanien war römischer gesinnt, als Rom selber. Das spanische Kloster gab ein vollendetes Vorbild für alle katholischen Klöster ab. Hier spürte man den Orient. Der Erzbischof war der Kislar-Aga des Himmels, der im Interesse des Höchsten Seelen einsperrte und spionirte. Das Kloster war ein Serail, in dem die Nonne die Odaliske und der Priester den Eunuchen darstellte. Die gottbegeisterten Mädchen sahen sich im Traum zu Gattinnen Christi erkoren. In der Nacht stieg der schöne Mann vom Kreuze herab und umarmte die Insassin der Zelle. Hohe Mauern behüteten vor den Zerstreuungen des Lebens die mystische Sultanin, deren Herr und Gebieter der Gekreuzigte war. Ein Blick in die Außenwelt war ein Akt der Untreue. Statt des ledernen Sacks hatte man hier das in pace, das lebenslängliche Gefängniß, die Erinnerung. Im Orient warf man die Frauen ins Meer, hier begrub man sie.

Heutzutage widerlegen die Anhänger der Vergangenheit solche Thatsachen mit einem überlegenen Lächeln. Man hat jetzt eine ebenso sonderbare, wie bequeme Methode die Offenbarungen der Geschichte zu unterdrücken, die Bemerkungen der Philosophen zu entkräften, allen lästigen Thatsachen und heikligen Fragen aus dem Wege zu gehen, »Erfindungen von Phrasendrechslern!« meinen die Schlauköpfe, und die Dummen sprechen es ihnen nach. Für diese Leute waren Rousseau und Diderot Phrasendrechsler; Phrasen drechselte Voltaire, als er Calas, Labarre, Sirven vertheidigte, Neuerdings hat auch Jemand die Entdeckung gemacht, daß Nero das unschuldige Opfer des Phrasendrechslers Tacitus war, daß man mit dem armen Holophernes Mitleid haben müsse.

Thatsachen sind aber doch widerborstige Dinger, die sich nicht bei Seite schieben lassen. Der Verfasser dieses Buches hat acht Meilen von Brüssel, in der Abtei Villers mit seinen eigenen Augen ein Stück Mittelalter gesehen, das Jedermann erreichbar ist, nämlich vier unterirdische Verließe, vier in pace. Jedes dieser Gefängnisse hat eine, gegenwärtig demolirte, eiserne Thür, einen Abtritt und eine vergitterte Luke, die draußen zwei Fuß über dem Flusse, der Tille, und drinnen sechs Fuß über dem Erdboden angebracht ist. Auswendig wird die Mauer von dem hier vier Fuß tiefen Wasser bespült, das viel Feuchtigkeit in die Zelle hineindringt. Und auf dem feuchten Fußboden mußte der Insasse des in pace liegen. In dem einen von diesen Gefängnissen sieht man noch ein an der Mauer befestigtes Halseisen; in einem andern eine Art Kiste aus dünnen Granitplatten. Sie ist zu kurz, als daß ein Mensch sich darin der Länge nach hinstrecken, zu niedrig, als daß er sich aufrichten könnte. Aber in solche steinerne Kisten steckte man menschliche Wesen und stülpte über sie einen steinernen Deckel. Dies ist eine Thatsache, die man mit Augen sehen, mit Händen greifen kann.

III.
Mit welchem Vorbehalt man die Vergangenheit achten kann

Das Mönchsthum, wie es in Spanien existirte und noch jetzt in Tibet besteht, ist eine Art Schwindsucht für die Civilisation. Es entvölkert die Länder, verkümmert Willenskraft und Verstand, ist eine Stütze der Tyrannei des Staates und eine Ursache unsäglicher Qualen für die Unglücklichen, die ihr Leben innerhalb der Zellenmauern verschmachten.

Trotz alledem, trotz der Aufklärung unseres Jahrhunderts, hat sich das Mönchthum in unser neunzehntes Jahrhundert hinübergerettet, und eine sonderbare Wiederbelebung des ascetischen Geistes setzt gegenwärtig die civilisirte Welt in Erstaunen. Veraltete Institutionen klammern sich verzweifelt ans Leben.

Sonderbarer Weise giebt es Leute, die Vergangnes und Abgestorbenes am Leben erhalten möchten, Mönchthum und Militarismus wieder herzustellen versuchen. Diese übertünchen das baufällige Haus der Vergangenheit mit schönen Farben, die sie Ordnung, Gottesgnadenthum, Moral, Familie, Achtung vor den Vorfahren, Autorität, Ueberlieferung, Religion nennen und sagen: »Ist das nicht ein Haus, wo es sich angenehm wohnen läßt?« –

Was uns betrifft, so finden wir manches Alte, das uns achtungswert erscheint, und enthalten uns der Angriffe, wenn die Vergangenheit anerkennt, daß sie vergangen ist. Behauptet sie aber, sie sei lebensfähig, so suchen wir sie zu töten. Wir wissen auch, daß wir mit dem Aberglauben, den Vorurtheilen unablässig Krieg führen müssen. Ewiger Kampf ist eine Nothwendigkeit des Daseins, und der Spuk ist ein Gegner, der sich schwer fassen, schwer werfen läßt.

Ein Mönchsorden in Frankreich, mitten im neunzehnten Jahrhundert, ist ein Kollegium Eulen, das im Sonnenlicht tagt; klösterlicher Ascetismus in der Stadt, der die Welt die Revolutionen von 1789, 1830, 1848 verdankt, ist ein Anachronismus. In gewöhnlichen Zeiten wird man mit solchen verjährten Dingen fertig, in dem man ihnen die Jahreszahl vorhält, aber wir leben leider eben nicht in gewöhnlichen Zeiten.

Wir müssen also kämpfen.

Kämpfen, aber nicht gegen Alles und Jedes. Es ist ein wesentliches Merkmal der Wahrheit, daß sie das Uebermaß meidet. Wozu übertreiben? Es giebt Dinge, die zerstört und Dinge, die blos ins rechte Licht gerückt werden müssen. Nichts Wirksameres, als wohlwollende und sachgemäße Kritik! Was der Beleuchtung bedarf, soll man darum noch nicht in Brand stecken.

Ist aber das Mönchswesen im neunzehnten Jahrhundert, in jedweder Gestalt und in allen Landen, verdammenswert, so haben wir uns andererseits mit der Religion abzufinden. Dieses an Räthseln reiche, gewichtige Problem gestatte man uns, jetzt näher zu prüfen.

IV.
Principielle Fragen über die Berechtigung des Klosterwesens

Gewisse Menschen thun sich zusammen und beziehen dasselbe Wohngebäude. Kraft welches Rechtes? Weil die Association gesetzlich gestattet ist.

Sie schließen sich ein. Kraft welches Rechtes? Ein Jeder darf seine Thür auflassen und verschließen.

Sie gehen nicht aus. Kraft welches Rechtes? Sie dürfen gehen und kommen und folglich auch zu Hause bleiben.

Was thun sie in ihrem Hause?

Sie sprechen leise; sie schlagen die Augen nieder; sie arbeiten. Sie entsagen der Welt, dem Stadtleben, dem Sinnengenuß, der Eitelkeit, dem Hochmuth, dem Eigennutz. Sie kleiden sich in grobe Wolle oder Leinwand. Keiner hat irgend etwas zu eigen. Bei dem Eintritt giebt der Reiche seinen Reichthum hin und wird arm, erkennt der Vornehme, der Adelige den Bauern als seines Gleichen an. Die Zelle des Einen unterscheidet sich nicht von der Zelle des Anderen. Sie sind Einer wie der Andere mit der Tonsur versehen, tragen eine Kutte, essen Schwarzbrot, schlafen auf Stroh, sterben auf einem Haufen Asche. Verlangen es ihre Satzungen, daß sie barfuß gehen, so gehen Alle barfuß. Alle Titel, ja sogar die Familiennamen sind abgeschafft. Sie führen nur noch Vornamen. Haben sie doch die fleischliche Familie aufgelöst und eine geistige aus ihrer Genossenschaft gebildet. Sie haben keine anderen Verwandten mehr, als die ganze Menschheit. Sie unterstützen die Armen, pflegen die Kranken. Sie wählen Diejenigen, denen sie gehorchen wollen. Ihre Anrede untereinander ist »Mein Bruder!«

Hier schneidet man mir die Rede ab und ruft: »Das ist ja ein ideales Kloster!«

Meinetwegen. Aber wäre es auch nur ein mögliches, so darf ich es nicht außer Betracht lassen.

Daher habe ich auch in dem vorigen Buche von dem Kloster in achtungsvollem Tone gesprochen. Wird das Urtheil der Geschichte und Politik respektirt, darf ich die Frage unter einem rein philosophischen Gesichtspunkt betrachten, wird Einmischung in die Politik unterlassen, so werde ich, vorausgesetzt, daß gegen Niemand ein Zwang ausgeübt wird, klösterliche Genossenschaften einer achtungsvollen Theilnahme für werth erachten. Eine Genossenschaft ist eine Gemeinde, und die Gemeinde ist die Trägerin des Rechtes. Das Kloster ist dann ein Erzeugniß der Losung: »Gleichheit und Brüderlichkeit!« Ja groß ist die Freiheit! Sie bringt Herrliches zu Wege, sogar die Verwandlung des Klosters in eine Republik!

Jetzt eine andere Frage.

Die Männer und Frauen, die innerhalb der Mauern eines Klosters weilen, kleiden sich in Wolle, und sie nennen sich Brüder. Das ist Alles recht schön; aber thun sie nicht noch etwas Anderes?

Gewiß.

Was?

Sie sehen ins Weite, knieen, falten die Hände.

Was bedeutet das?

V.
Das Gebet

Sie beten.

Zu wem?

Zu Gott.

Was heißt das, beten?

Giebt es ein Unendliches außer uns? Ist dieses Unendliche ein Wesen, imminent, ewig, nothwendiger Weise substantiell und mit Vernunft begabt, weil es unendlich ist und weil, wenn ihm die Materialität und die Vernunft abgingen, dies Beschränkungen sein würden? Erweckt dies Unendliche in uns den Begriff des Seins, während wir uns nur Existenz beilegen können? In andern Worten, ist es nicht das Absolute, dem gegenüber wir das Relative darstellen?

Besteht nun nicht neben dem Unendlichen außer uns zugleich ein Unendliches in uns? Ist dann nicht das eine Unendliche dem andern übergeordnet, das zweite nicht das Spiegelbild, der Wiederschein, das Echo des Ersten? Ist das zweite Unendliche auch mit Intelligenz begabt? Denkt, liebt, will es? Wenn die beiden Unendlichen Vernunftwesen sind, so hat jedes von ihnen auch ein mit der Fähigkeit zu wollen begabtes Prinzip, es existiert dann ein Ich in dem oberen und ein Ich in dem unteren Unendlichen. Das untere ist die Seele, das andere heißt Gott.

Mittels des Denkens das niedere Unendliche mit dem oberen in Berührung bringen, heißt beten.

Nehmen wir dem Menschengeiste nichts; Vernichtung schadet. Verändern und Verbessern, darauf kommt es an. Gewisse Fähigkeiten des Menschen sind dem Unbekannten zugewandt: das Denken, die Phantasie, das Gebet. Das Unbekannte ist ein unermeßlicher Ocean. Was ist das Gewissen? Der Kompaß des Unbekannten. Das Denken, die Phantasie, das Gebet sind Ausstrahlungen der Seele, die dem Licht zueilen. Wir müssen ihnen Ehrfurcht zollen.

Das Großartige an der Demokratie ist, daß sie nichts negirt und der Menschheit keines ihrer Besitztümer nimmt. Neben den Menschenrechten, die uns 1789 geschenkt, besteht das Recht der Seele.

Jedweden Fanatismus unter unsere Füße treten und das Unendliche verehren, dies sind die Forderungen des Gesetzes. Beschränken wir uns nicht darauf, vor dem Baum der Schöpfung niederzuknieen und uns in die Betrachtung seiner Herrlichkeiten zu versenken. Wir haben auch eine Pflicht: wir sollen die Vervollkommnung der Menschenseele fördern, das Mysterium gegen das Wunder vertheidigen, das Unbegreifliche anbeten und das Verkehrte verwerfen, als unerklärlich nur das gelten lassen, was wir unerklärt lassen müssen, die Religion vom Aberglauben befreien, Gott abraupen.

VI.
Ueber die absolute Vorzüglichkeit des Gebetes

Was die Art zu beten anbetrifft, so ist jedes Gebet gut, vorausgesetzt, daß es ein aufrichtiges ist.

Wir wissen wohl, es giebt eine Philosophie, die das Unendliche leugnet. So giebt es auch eine Philosophie, die dem Licht der Sonne das Dasein abspricht. Die Pathologen nennen das Blindheit.

Einen Sinn, der Einem fehlt, zur Quelle der Wahrheit erheben, dazu gehört die naive Dreistigkeit des Blinden.

Merkwürdig ist der Hochmuth dieser Philosophen, gegenüber denen, die fähig sind, Gott zu sehen. Man glaubt, einen Maulwurf zu hören, der da schreit: »Die thun mir leid mit ihrer Sonne!«

Allerdings giebt es auch unter den Atheisten Geistesriesen. Diese aber führt eben ihre hohe Intelligenz der Wahrheit zu; sie sind keine echten Atheisten. Sie streiten im Grunde nur um eine Definition, eine Begriffsbestimmung; jedenfalls verleiht die Art ihrer Argumentation dem von ihnen angefochtenen Glauben eine starke Stütze.

Wir bewundern sie mithin als große Philosophen, während wir sie wegen ihrer Philosophie unerbittlich schelten.

Sonderbar muthet uns auch das Spiel mit Worten in der Philosophie an. So hat neuerdings ein Metaphysiker des Nordens mit einer nebelhaft unklaren Theorie eine Umwälzung auf dem Gebiet des philosophischen Denkens herbeizuführen geglaubt, blos indem er statt Kraft Wille sagte.

Statt »die Pflanze wächst!« »die Pflanze will!« zu setzen, wäre ja ein fruchtbarer Gedanke, wenn man zugleich hinzusetzte: »Das Weltall will!« Warum? Weil sich daraus die Schlußforderung ergeben würde: »Die Pflanze will, also hat sie ein Ich; das Weltall will, also hat es einen Gott!«

Uns, die wir doch zum Unterschiede von dieser Philosophenschule nichts a priori verwerfen, scheint es schwieriger nachzuweisen, daß die Pflanze die Fähigkeit zu wollen hat, als daß dem Weltall ein Wille inne wohnt, was jene Metaphysiker leugnen.

Die Willensfähigkeit des Unendlichen, d. h. Gottes Dasein bestreiten, kann man, wie wir dargethan haben, nur indem man das Unendliche leugnet.

Die Leugnung des Unendlichen führt direkt zum Skepticismus. Es wird dann alles zu einer »Anschauungsform des Verstandes.«

Mit einem Skeptiker kann man nicht diskutiren. Leugnet er doch, daß sein Gegner existirt, und ist durchaus nicht sicher, daß er existirt.

Von seinem Standpunkt aus ist es denkbar, daß er für sich selber eine Anschauung seines Verstandes ist.

Dabei merkt er aber nicht, daß er Alles, was er geleugnet hat, alsbald wieder zugiebt, indem er das Wort »Verstand« ausspricht.

Kurz, ein Lehrsystem, das in einem großen Nein gipfelt, versperrt der Philosophie alle Wege.

Solch einem Nein kann man nur ein Ja entgegensetzen.

Der Skepticismus hat keine Existenzberechtigung.

Es giebt kein Nichts. Null existirt nicht. Alles ist etwas. Von nichts kann man aussagen, daß es nicht sei.

Der Mensch bewarf der Bejahung noch mehr, als der Nahrung.

Auch Sehen und Zeigen genügt nicht. Die Philosophie soll sich bethätigen, soll die Besserung des Menschen bezwecken und erreichen. Sokrates Weisheit soll sich mit Adams Paradiesesglück vermählen und einem Mark-Aurel das Dasein geben. Nicht der Genuß ist der Zweck des Daseins. Das Vieh genießt; der Ehrgeiz des Menschen soll nach etwas Höherem streben. Das Denken ist das Lebenselement der Seele. Den verschmachtenden Menschen Gedanken kredenzen, Allen den Gottesbegriff als Elixier darbieten, um ihr moralisches Bewußtsein und die Wissenschaft ein Band schlingen, – das ist die Aufgabe der wahren Philosophie. Die Betrachtung führt zu Handlungen. Das Absolute soll praktisch wirken. Das Ideal muß eine für den menschlichen Verstand verdaubare Form annehmen. Das Ideal darf sagen: »Nehmet hin, dies ist mein Fleisch; dies ist mein Blut.« Die Weisheit ist eine Kommunion. Unter dieser Bedingung hört sie auf, eine unfruchtbare Liebe zur Wissenschaft zu sein, wird das höchste Princip, das alle Menschen zu einem Ganzen vereinigt, und schwingt sich zum Range einer Religion empor.

VII.
Vorsicht beim Tadel

Die Geschichte und die Philosophie haben ewige Pflichten, die zugleich einfache, selbst verständliche sind. Einen Hohenpriester wie Kaiphas, einen Richter wie Drako, einen Gesetzgeber wie Trimalchio, einen Kaiser wie Tiberius soll man bekämpfen. Aber nicht ganz so leicht läßt sich über das Mönchsthum aburtheilen.

Die Klöster sind Zufluchtsstätten des Irrthums, aber auch der Unschuld; der Verirrung, aber auch des guten Willens; der Unwissenheit, aber auch der Hingabe an ein Ideal. Deshalb stehen sich in einem Urtheil über das Mönchsleben immer ein Ja und ein Nein gegenüber.

Ein Kloster ist ein Widerspruch. Das Ziel des Mönches ist die ewige Seligkeit, sein Mittel, dieses Ziel zu erreichen, die Selbstaufopferung. Also der Egoismus neben der heldenmüthigsten Selbstverleugnung.

»Entsagen, um zu herrschen!« scheint der Wahrspruch des Mönchthums zu lauten.

Im Kloster leidet man, um zur Lust zu gelangen, zieht man einen Wechsel auf den Tod. Im Kloster verbüßt man Höllenstrafen, um desto schneller in das Paradies einzugehen.

Es will uns nicht scheinen, daß es statthaft sei, über einen solchen Gegenstand zu spotten. Gutes und Böses sind hier ernsthaft zu nehmen.

Ein gerechter Mann runzelt wohl die Stirn über das moderne Klosterleben, enthält sich aber jedes boshaften Hohnes.

VIII.
Glaube und Gesetz

Noch einige Worte.

Wir mißbilligen es, wenn die Kirche sich auf Intriguen einläßt; wir verachten die Geistlichkeit, die am Weltlichen hängt; aber wir ehren immer einen Menschen, dessen Geist sich mit höheren Dingen beschäftigt.

Wir neigen uns vor dem, der sich vor dem Höchsten demüthigt.

Der Religion kann der Mensch nicht entrathen. Wehe dem, der an nichts glaubt!

Wer sich mit Gedanken beschäftigt, ist darum noch nicht unbeschäftigt. Es giebt sichtbare und unsichtbare Arbeit.

Auch wenn er die Hände in den Schoß legt oder sie faltet, kann der Mensch thätig sein. Die beschauliche Betrachtung ist eine produktive Leistung.

Weil er vier Jahre lang in regungsloser Betrachtung verweilte, wurde Thales der Begründer der Philosophie.

Für uns sind die Klostermönche keine Müßiggänger, die Klausner keine Faulpelze.

Wir sind, ohne von dem Gesagten irgend etwas zu widerrufen, der Meinung, daß es den Lebenden geziemt, beständig an das Grab zu denken. In diesem Punkt stimmen der Priester und der Philosoph überein. »Wir müssen sterben!« lautet der Gruß der Trappisten und mahnt Horaz, wenn er uns auffordert, das Leben zu genießen.

Gedankenlose und oberflächliche Leute sagen:

»Wozu sind die denn in der Welt nütze?«

Wir antworten: »Wer weiß, ob es irgend eine nützlichere Arbeit giebt, als die jene Leute leisten.«

Es muß doch wohl Leute geben, die immer für diejenigen beten, die nie beten.

Unseres Erachtens kommt es auf das Quantum Nachdenken an, das auf das Gebet verwendet wird.

Es ist etwas Schönes und Großes um das Gebet eines Leibnitz, eines Voltaire. Deo erexit Voltaire.

Wir sind für die Religion und gegen die Religionen.

Wir gehören zu denen, die an die Unzulänglichkeit der überlieferten Formeln und an die Kraft des eigner Initiative entstammten Gebets glauben.

Zu jetziger Zeit übrigens, einer Zeit, die glücklicher Weise unserm Jahrhundert nicht sein wesentliches Gepräge aufdrücken wird, einer Zeit, wo so viele Menschen die Stirn vor den Mächtigen dieser Welt neigen und nur einer Genußmoral fröhnen, in einer solchen Zeit verdient derjenige, der die Welt flieht, Hochachtung. Ein Opfer, zu dem uns falsche Grundsätze veranlassen, ist immerhin ein Opfer. Einen Irrtum, der in herber Selbstüberwindung ausmündet, zum Range einer Pflicht erheben, ist etwas Großes.


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