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Sechstes Bild

Vor dem Wirtshaus des Josef Lehninger. Martin und seine Kameraden verlassen die italienische Nacht. Rechts eine Bedürfnisanstalt.

Martin Also Ausschluß. Wegen unkameradschaftlichen Verhaltens. Wer lacht da nicht?

Stille.

Zweiter Kamerad Wohin?

Martin Zu mir.

Der Fremde Kamerad An die Arbeit! Wir dürfen keine Minute verlieren!

Martin Bald zieht sich die Bourgeoisie in den Turm der Diktatur zurück.

Der Fremde Kamerad Seid bereit!

Stille.

Martin leise, mißtrauisch: Wer ist denn das überhaupt?

Erster Kamerad Ich kenne ihn nicht.

Dritter Kamerad Mir ganz unbekannt.

Sie gehen alle in die Bedürfnisanstalt.

Der Fremde Kamerad folgt ihnen: Ich bin aus Magdeburg, Genossen!

Martins Stimme aus der Bedürfnisanstalt: So, aus Magdeburg. Also aus Preußen bist du. – Alsdann: ich möchte dir nur die Mitteilung machen, daß ich hier der offizielle Führer bin, und dann ist das hier bei uns so Sitte, daß der berufene Führer die Aktion leitet, und sonst niemand. Ob der jetzt auch aus Magdeburg ist oder nicht. Er erscheint wieder mit seinen Kameraden.

Stille.

Martin zum ersten Kameraden: Ist das jetzt den Tatsachen entsprechend, daß du das Denkmal Seiner Majestät versaut hast?

Zweiter Kamerad gewollt hochdeutsch: Wir haben es uns erlaubt, das Denkmal Seiner Majestät mit etwas roter Farbe zu verunzieren.

Martin Wer wir?

Zweiter Kamerad Ich.

Vierter Kamerad Und ich.

Martin So. Alsdann du ebenfalls. Das ist natürlich gottverlassen blöd. Oder vielleicht, meine Herren?!

Der fremde Kamerad Eine Denkmalsschändung ist natürlich lediglich Büberei. Kümmert euch doch nicht um die verjagten Dynastien, Jungs! Sorgt lieber dafür, daß man den Herren Kapitalisten dereinst keine Denkmäler errichtet!

Stille.

Martin bespricht sich leise mit seinen Kameraden; wendet sich dann dem fremden Kameraden zu: Ich will dir jetzt was sagen: ich meine, du bist ein Agent provacateur –

Der fremde Kamerad entsetzt: Genosse!

Martin Also das täte uns ja gerade noch abgehen, so fremde Provokateure – aus Magdeburg. Er läßt ihn stehen.

Der fremde Kamerad Man könnte verzweifeln.

Martin Bist du noch da? Ja, bist du denn noch da?! Er nähert sich ihm drohend.

Der fremde Kamerad rasch ab.

Karl kommt mit Leni aus dem Wirtshaus: Drinnen geht alles drunter und drüber.

Dritter Kamerad Sehr erfreut!

Leni Alle Leut gehen fort. Die ganze Stimmung ist beim Teufel.

Sechster Kamerad Dann ist sie dort, wo sie hingehört!

Karl Martin, ich bitte dich um Verzeihung.

Martin Wegen was?

Karl Daß ich mein Ehrenwort gebrochen hab. Das war natürlich eine Gaunerei, ich hab mir das genau überlegt, aber es war halt nur scheinbar eine Gaunerei. Ich habs ja nur scheinbar gebrochen.

Martin Wie willst du das verstanden haben?

Karl Schau, ich mußte doch tanzen! Ich hab es nämlich deiner Anna versprochen, daß ich das Fräulein da hinter mir zu unseren Idealen bekehren werd, und da muß man doch so einem Fräulein entgegenkommen, so was geht doch nur nach und nach –

Martin Daß du immer nur Fräuleins bekehrst –

Karl Jeder an seinem Platz. Ich gehör halt zu einer älteren Generation als wie du, das macht schon was aus, obwohl zwischen uns ja nur fünf Jahre Unterschied sind, aber fünf Kriegsjahr –

Martin Die historischen Gesetze kümmern sich einen Dreck um Privatschicksale, sie schreiten unerbittlich über den einzelnen hinweg, und zwar vorwärts.

Karl Da geb ich dir vollständig recht.

Martin Du wärst ja brauchbar, wenn man dir glauben könnt. Aber das kann man eben nicht, weil du ein halber Mensch bist.

Karl Du hast halt keine Konflikte mit deiner Erotik. Meiner Seel, manchmal beneid ich dich!

Martin Und du tust mir leid. Ich habs immer wieder versucht mit dir. Jetzt ists aus. Ich leg keinen Wert mehr auf deine Mitarbeit.

Karl verbeugt sich leicht: Bitte! Pardon! Ab mit Leni. Auch die Kameraden sind während dieser Szene verschwunden.

Anna kommt.

Martin Anna!

Anna Jetzt bin ich aber erschrocken!

Martin Du?

Anna Ich dacht, du wärst wer anders –

Martin So.

Anna Du warst mir jetzt so fremd.

Martin fast spöttisch: War ich das? – Hast was erreicht?

Anna Verschiedenes.

Martin Erstens?

Anna Erstens hab ich erfahren, daß diese Faschisten unsere italienische Nacht sprengen wollen –

Martin unterbricht sie: Erstens ist das nicht unsere italienische Nacht! Und zweitens ist denen ihre italienische Nacht bereits gesprengt. Ich persönlich hab sie gesprengt.

Anna Schon?

Martin Später! Und?

Anna Die Faschisten wollen hier alles verprügeln.

Martin So ists recht! Das vergönn ich diesem Vorstand! Diese Spießer sollen jetzt nur mal am eigenen Leibe die Früchte ihrer verräterischen Taktik verspüren! Wir Jungen überlassen sie ihrem Schicksal und bestimmen unser Schicksal selbst!

Anna Das würd ich aber nicht tun.

Martin Was heißt denn das?

Anna Ich würds nicht tun. Ich würd ihnen schon helfen, sie stehen uns doch immer noch näher als die anderen.

Martin Was du da nicht sagst!

Anna Wenn ich dem Stadtrat auch vergönn, daß er verprügelt wird, aber es sind doch auch noch andere dabei, dies vielleicht ehrlich meinen –

Martin spöttisch: Meinst du?

Anna Und zu guter Letzt geht das doch keinen Dritten was an, was wir unter uns für Konflikte haben! Das sind doch unsere Konflikte!

Martin gehässig: Ich glaub, daß das deine Privatansicht ist.

Anna Red nicht so hochdeutsch, bitte.

Stille.

Martin Und?

Anna Sonst nichts. Die Faschisten sind halt ganz fürchterlich wütend. Es soll heut abend irgendein Denkmal verunreinigt worden sein –

Martin Ja, das war der Stiegler, dieser Idiot –

Stille.

Anna Martin!

Martin überrascht: Ha?

Stille.

Anna Martin, weil einer von uns das Denkmal verdreckt hat, sollen jetzt die anderen da drinnen verprügelt werden?! Das find ich aber feig! Das ist unser nicht würdig! Das ist ungerecht – Sie stockt, da Martin plötzlich fasziniert auf ihren Hals starrt.

Stille.

Martin leise: Was ist denn das dort für ein Fleck?

Anna Wo?

Martin Da.

Anna Da? Das ist ein Fleck –

Stille.

Morgen wird er blau.

Martin So.

Anna Er war halt so grob.

Martin etwas unsicher: So, war er das –

Anna So sind sie alle, die Herren Männer.

Stille.

Martin Schau mich an.

Anna schaut ihn nicht an.

Martin Warum schaust mich denn nicht an?

Anna Weil ich dich nicht anschaun kann.

Martin Und warum kannst du mich jetzt nicht anschaun? Schau mich doch nicht so dumm an, Herrgottsakrament!

Stille.

Anna Mir war jetzt nur plötzlich so eigenartig –

Martin Wieso?

Anna Was du da nämlich von mir verlangst, daß ich mich nämlich mit irgendeinem Faschisten einlaß – und daß gerade du das verlangst –

Martin Was sind denn das für neue Gefühle?

Anna Nein, das waren alte –

Martin Du weißt, daß ich diese primitiven Sentimentalitäten nicht mag. Was sollen denn diese überwundenen Probleme? Nur keine Illusionen, bitte!

Anna Jetzt redst du wieder so hochdeutsch.

Stille.

Martin Anna, also grob war er zu dir, – der Herr Faschist.

Anna Ja.

Martin Sehr grob?

Anna Nicht besonders.

Stille.

Martin Aber grob war er doch. – Es ist vielleicht tatsächlich unter unserer Würde.

Anna Was?

Martin Daß wir nun diesen Vorstand da drinnen für unsere versaute Majestät verprügeln lassen – von diesen Herren Faschisten.

Anna Siehst du!

Martin Was soll ich denn sehen?! Gar nichts seh ich! Nichts! Radikal nichts! Aber, verstehst mich: diesen Triumph wollen wir den Herren Faschisten nicht gönnen! Komm! Ab mit Anna.

Karl kommt mit Leni. Beide scheinen verstimmt zu sein. Sie setzen sich auf eine Bank neben der Bedürfnisanstalt.

Leni Warum schweigst du schon so lang?

Karl Weil es mir weh um das Herz herum ist.

Leni Aber du kannst doch nichts dafür, daß diese italienische Nacht mit einem Mißton geendet hat!

Karl Ich danke dir. Er drückt ihr die Hand und vergräbt dann den Kopf in seinen Händen.

Stille.

Leni Dein Kamerad Martin erinnert mich an einen Bekannten. Mit dem war auch nicht zu reden, weil er nichts anderes gekannt hat wie sein Motorrad. Er hat zahlreiche Rennen gewonnen, und ich hab ihn halt in seinem Training gestört. Sei doch nicht so traurig –

Karl Jetzt möcht ich am liebsten nicht mehr leben.

Leni Warum denn?

Karl Ich hab halt ein zu scharfes Auge. Ich seh, wie sich die Welt entwickelt, und dann denk ich mir, wenn ich nur ein paar Jahre jünger wär, dann könnt ich noch aktiv mittun an ihrer Verbesserung – aber ich bin halt verdorben. Und müd.

Leni Das redst du dir nur ein.

Karl Ein halber Mensch! Nur die eine Hälfte hat Sinn für das Gute, die andere Hälfte ist reaktionär.

Leni Nicht deprimiert sein –

Karl Ich glaub, ich bin verflucht –

Leni Nein, nicht!

Karl erhebt sich: Doch!

Stille.

Karl setzt sich wieder.

Leni Glaubst du an Gott?

Karl schweigt.

Leni Es gibt einen Gott, und es gibt auch eine Erlösung.

Karl Wenn ich nur wüßt, wer mich verflucht hat.

Leni Laß mich dich erlösen.

Karl Du? Mich?

Leni Ich hab viertausend Mark, und wir gründen eine Kolonialwarenhandlung –

Karl Wir?

Leni Draußen bei meinem Onkel –

Karl Wir?

Leni Ich und du.

Stille.

Karl In bar?

Leni Ja.

Stille.

Karl Was denkst du jetzt? Denkst du jetzt an eine Ehegemeinschaft? Nein, dazu bist du mir zu schad!

Leni Oh, Mann, sprich doch nicht so hartherzig! Ich kenn dich ja schon durch und durch, wenn ich dich auch erst kurz kenn! Sie wirft sich ihm an den Hals; große Kußszene.

Karl Ich hab ja schon immer von der Erlösung durch das Weib geträumt, aber ich habs halt nicht glauben können – ich bin nämlich sehr verbittert, weißt du?

Leni gibt ihm einen Kuß auf die Stirn: Ja, die Welt ist voll Neid.


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