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Erstes Bild

Im Wirtshaus des Josef Lehninger.

Kranz, Engelbert und der Stadtrat Ammetsberger spielen Tarock. Karl kiebitzt. Betz trinkt zufrieden sein Bier. Martin liest die Zeitung. Der Wirt bohrt in der Nase. Es ist Sonntag vormittag, und die Sonne scheint.

Stille.

Betz Martin. Was gibts denn Neues in der großen Welt?

Martin Nichts. Daß das Proletariat die Steuern zahlt, und daß die Herren Unternehmer die Republik prellen, hint und vorn, das ist doch nichts Neues. Oder?

Betz leert sein Glas.

Martin Und daß die Herren republikanischen Pensionsempfänger kaiserlich reaktionäre Parademarsch veranstalten mit Feldgottesdienst und Kleinkaliberschießen, und daß wir Republikaner uns das alles gefallen lassen, das ist doch auch nichts Neues. Oder?

Betz Wir leben in einer demokratischen Republik, lieber Martin.

Jetzt zieht draußen eine Abteilung Faschisten mit Musik vorbei. Alle, außer Stadtrat und Wirt, treten an die Fenster und sehen sich stumm den Zug an - erst als er vorbei ist, rühren sie sich wieder.

Stadtrat mit den Karten in der Hand: Von einer akuten Bedrohung der demokratischen Republik kann natürlich keineswegs gesprochen werden. Schon weil es der Reaktion an einem ideologischen Unterbau mangelt.

Engelbert Bravo!

Stadtrat Kameraden! Solange es einen republikanischen Schutzverband gibt, und solange ich hier die Ehre habe, Vorsitzender der hiesigen Ortsgruppe zu sein, solange kann die Republik ruhig schlafen!

Martin Gute Nacht!

Kranz Ich möchte das Wort ergreifen! Ich möchte jetzt etwas vorschlagen! Ich möchte jetzt dafür plädieren, daß wir jetzt wieder weitertarocken und uns nicht wieder stören lassen von diesen germanischen Hoftrotteln samt ihrem sogenannten deutschen Tag!

Engelbert Samt ihrem Dritten Reich!

Stadtrat Einstimmig angenommen! Er mischt und teilt aus.

Karl Wie ist das eigentlich heut nacht?

Stadtrat Was denn?

Karl Na in bezug auf unsere italienische Nacht heut nacht –

Stadtrat unterbricht ihn: Natürlich steigt unsere italienische Nacht heut nacht! Oder glaubt denn da wer, daß es sich der republikanische Schutzverband von irgendeiner reaktionären Seite her verbieten lassen könnt, hier bei unserem Freunde Josef Lehninger eine italienische Nacht zu arrangieren, und zwar wann er will? Unsere republikanische italienische Nacht steigt heute nacht trotz Mussolini und Konsorten! Karo As! Er spielt aus.

Engelbert Daß du das nicht weißt!

Karl Woher soll ich denn das wissen?

Betz Ich habs doch bereits offiziell verkündet.

Engelbert Aber der Kamerad Karl war halt wieder mal nicht da. Eichel!

Karl Ich kann doch nicht immer da sein.

Engelbert Sogar beim letzten Generalappell war er nicht da, vor lauter Weibergeschichten!

Kranz Solo!

Stadtrat Bettel!

Engelbert Aus der Hand?

Stadtrat Aus der hohlen Hand!

Karl zu Betz: Soll ich mir das jetzt gefallen lassen? Das mit den Weibergeschichten?

Betz Du kannst es doch nicht leugnen, daß dich die Weiber von deinen Pflichten gegenüber der Republik abhalten –

Karl Also das sind doch meine intimsten privaten Interessen, muß ich schon bitten. Und zwar energisch!

Jetzt zieht draußen abermals eine Abteilung Faschisten mit Musik vorbei. - Alle lauschen, aber keiner tritt an das Fenster.

Stille.

Betz Es ist halt alles relativ.

Martin Aber was! Eine Affenschand ist das! Während sich die Reaktion bewaffnet, veranstalten wir braven Republikaner italienische Nacht!

Betz Eigentlich ist es ja unglaublich, daß die Reaktion derart erstarkt.

Martin Einen Dreck ist das unglaublich! Das könnt man sich ja direkt ausrechnen – wer die wirtschaftliche Macht hat, hat immer recht, bekanntlich. Aber ihr vom Vorstand scheint das nicht zu wissen. Noch bild ich es mir ein, daß ihr wissen wollt, aber ab und zu fällt es mir schon recht schwer –

Engelbert Hoho!

Betz Du bist halt ein Pessimist.

Martin Ein Dreck bin ich.

Stadtrat Und außerdem ist er ein Krakeeler! Ein ganz ein gewöhnlicher Krakeeler.

Stille.

Martin erhebt sich langsam: Herr Stadtrat. Sag einmal, Herr Stadtrat, kennst du noch einen gewissen Karl Marx?

Stadtrat schlägt auf den Tisch: Natürlich kenn ich meinen Marx! Und ob ich meinen Marx kenn! Und außerdem verbitt ich mir das!

Engelbert Sehr richtig!

Kranz Solo!

Stadtrat Oder glaubst denn du, du oberflächlicher Phantast, daß kurz und gut mit der Verwirklichung des Marxismus kurz und gut das Paradies auf Erden entsteht?

Martin Was du unter kurz und gut verstehst, das weiß ich nicht. Ich weiß auch nicht, was du unter Paradies verstanden haben willst, aber ich kanns mir lebhaft ausmalen, was du unter Marxismus verstehst. Verstanden? Was ich darunter versteh, daran glaube ich.

Kranz Solo, Herrgottsakrament! Er spielt aus.

Stille.

betz Weißt du, was ich nicht kann?

Martin Nein.

Betz Ich kann nicht glauben.

Stille.

Martin Das glaub ich gern, daß du nicht glauben kannst. Du kannst nicht glauben, weil du nicht mußt. Du bist ja auch kein Prolet, du pensionierter Kanzleisekretär –

Betz Ich bin zwar Kanzleiobersekretär, aber das spielt natürlich keine Rolle.

Martin Natürlich.

Betz Das ist gar nicht so natürlich!

Martin sieht ihn verdutzt an: Geh, so leck mich doch am Arsch! Rasch ab mit seiner Zeitung.

Stadtrat Ein feiner Mann –

Stille.

Wirt Obs wieder regnen wird? Jedesmal, wenn ich eine Sau abstich, versaut mir das Wetter die ganze italienische Nacht.

Betz Das glaub ich nicht.

Wirt Warum? Weil es ihr seid?

Betz Nein. Sondern weil das Tief über Irland einem Hoch über dem Golf von Biskaya gewichen ist.

Stadtrat Sehr richtig!

Wirt Wer behauptet das?

Betz Die amtliche Landeswetterwarte.

wirt Geh, laßts mich aus mit den Behörden!

Martin erscheint wieder, tritt zu Betz und legt ein Flugblatt vor ihn hin: Da!

Betz Was soll ich damit?

Martin Lesen!

Betz Warum soll ich das dumme faschistische Zeug da lesen?

Martin Weil es dich interessieren dürft.

betz Aber keine Idee!

Martin mit erhobener Stimme: Das da dürfte sogar alle anwesenden Herrschaften hier interessieren!

Die Herrschaften horchen auf.

Stadtrat Was hat er denn schon wieder, dieser ewige Querulant?

Betz überflog mechanisch das Flugblatt, stockt und schlägt nun mit der Faust auf den Tisch: Was?! Na das ist empörend! Ist das aber empörend, Josef!

Wirt wird unsicher und will sich drücken.

Betz fixiert ihn empört: Halt! - Halt, lieber Josef- das da dürft nämlich vor allem dich interessieren - weißt du, was da drinnen geschrieben steht?

Wirt verlegen: Nein –

Betz Du kannst also nicht lesen?

Wirt lächelt verzweifelt: Nein –

Betz Analphabet?

Stadtrat hat aufgehorcht: Was soll denn das schon wieder darstellen dort?

Wirt Nichts, Leutl! Nichts –

Betz Nichts? Aber was du da nicht sagst, lieber Josef?! Ich glaub gar, du bist ein grandioser Schuft!

Wirt Das darfst du nicht sagen, Heinrich!

Betz Ich sags noch einmal, lieber Josef.

Stadtrat Wieso?

Kranz Ja Sakrament –

Martin unterbricht ihn: Moment!

Betz Moment! Das ist hier nämlich ein sogenannter Tagesbefehl – der Tagesbefehl der Herren Faschisten für ihren heutigen deutschen Tag – Er reicht das Blatt Karl. Josef, wir Republikaner sind deine Stammgäst, und du verkaufst deine Seele! Und alles um des Mammons willen!

Karl Also das ist ja direkt impertinent! Bitte mir zuzuhören, Kameraden! Er liest. »Ab sechzehn Uhr bis achtzehn Uhr treffen sich die Spielleute im Gartenlokal des Josef Lehninger« -

Kranz Was für Spielleut?

Karl Die faschistischen Spielleut! Pfui Teufel!

Betz Eine Schmach ist das! Der liebe Kamerad Josef reserviert unsere Stammtisch für die Reaktion!

Karl Und wir Republikaner, denkt er, kommen dann hernach dran mit unserer italienischen Nacht und kaufen ihm brav sein Zeug ab!

Martin Die Brosamen, die wo die Herren Reaktionäre nicht mehr zammfressen konnten!

Engelbert Hört, hört!

Wirt Ich glaub, wir reden aneinander vorbei -

Martin Aber was denn nicht noch!

Karl Ah, das ist aber korrupt!

Wirt Ich bin nicht korrupt! Das bin ich nicht, Leutl, das ist meine Frau.

Betz Papperlapapp!

Wirt Da gibts kein Papperlapapp! Ihr kennt meine Frau nicht, liebe Leutl! Die scheißt sich was um die politische Konstellationen. Der ist es sauwurscht, wer ihre Wurst zammfrißt! Und ich Rindvieh hab mal von einem heiteren Lebensabend geträumt! Und wenn ich jetzt den schwarzweißroten Fetzen nicht raussteck, verderben mir sechzig Portionen Schweinsbraten, das war doch ein furchtbarer Blödsinn, die Reichsfarben zu ändern! Meiner Seel, ich bin schon ganz durcheinand!

Kranz Wenn du jetzt nicht mein Freund wärst, tät ich dir jetzt ins Gesicht spucken, lieber Josef!

Engelbert Bravo!

Stille.

Wirt verzweifelt: Meiner Seel, jetzt sauf ich mir einen an, und dann erschieß ich meine Alte. Und dann spring ich zum Fenster naus, aber vorher zünd ich noch alles an.

Ab.

Stadtrat Ja Himmelherrgottsakrament! Ein jedes Mal, wann ich ein gutes Blatt hab, geht die Kracherei los! Mit erhobener Stimme. Aber sehen möcht ich doch, welche Macht unsere italienische Nacht heut nacht zu vereiteln vermag! Kameraden, wir weichen nicht, und wärs die vereinigte Weltreaktion! Unsere republikanische italienische Nacht steigt heute nacht, wie gesagt! Auch ein Herr Josef Lehninger wird uns keinen Strich durch die Rechnung machen! Ein jeder merkt sich, was er für ein Blatt gehabt hat, wir spielen auf meiner Veranda weiter. Kommt, Kameraden!

Martin Hurra!

Kranz Du Mephisto –

Alle verlassen das Lokal.


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