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Siebzehntes Kapitel. Ein heimlicher Dienst

Das Haus lag ebenfalls am Fluß, war aber im Vergleich zu den benachbarten sehr klein und in recht verwahrlostem Zustand. Ein schmaler Garten zog sich bis zum Fluß hinunter. Noch war das hölzerne Gatter hinter mir nicht wieder ins Schloß gefallen, als ich schon oben auf den paar Stufen vor der nicht gerade einladend aussehenden Haustür stand und auf das Ausschwingen einer altmodischen Glocke horchte. Das Häuschen, in das Lady Laura Belsize in ihren sehr reduzierten Verhältnissen sich zurückgezogen hatte, machte einen ziemlich bedrückenden Eindruck.

Ich fragte jedoch nicht nach Lady Laura, sondern nach Fräulein Belsize; das schlampige Dienstmädchen wußte aber nicht zu sagen, ob sie daheim sei oder nicht. Vielleicht sei sie im Garten oder auf dem Fluß; ich könne ja einen Moment nähertreten und warten. Das tat ich, mußte mich aber über zehn Minuten in dem düstern, unfreundlichen Innern, auf das die Außenseite den Ankömmling vorbereitete, langweilen und hatte Zeit genug, mich umzusehen. Mehrere schwere altmodische Möbel sprachen beredsam von bessern Zeiten. Das Sofa sehe ich im Geiste noch heute, ebenso die Kristallkrone und den prachtvollen schmiedeisernen Vorsetzer vor dem Kamin. Ein uralter mächtiger Sekretär nahm fast das halbe Zimmer ein; oben darauf stand in seltsamem Kontrast in einem billigen Rahmen eine Photographie von Kamilla Belsize in großer Hoftoilette.

Ich studierte gerade diesen fast barbarisch anmutenden Putz – die Federn im Haar, den reichen Schmuck und die lange, malerisch gelegte Courschleppe – und fragte mich, welcher vornehme Verwandte da wohl eingesprungen sei und warum Kamilla wohl so gelangweilt in all dieser Pracht aussehe, als die Tür aufging und sie selbst hereinkam – durchaus nicht elegant, aber auch nichts weniger als gelangweilt.

Sie schien erstaunt, ärgerlich, ja vorwurfsvoll, meiner Meinung nach sogar nervös und aufgeregt, obwohl ihr Stolz dies nicht merken lassen wollte. Und ihrem weißen Cheviotkostüm sah man an, daß es schon viel auf dem Fluß getragen worden war. Ich bemerkte sofort, daß einer der großen Emailknöpfe an der Jacke fehlte.

Bis dahin war ich selbst voll nervöser Angst gewesen, doch diese Anwandlung war vollkommen vorüber, als ich nun sprach.

»Sie sind gewiß sehr erstaunt über meine Zudringlichkeit,« begann ich, »aber ich glaubte, dies müsse Ihnen gehören, Fräulein Belsize.«

Aus meiner Westentasche holte ich den fehlenden Emailknopf hervor.

»Wo haben Sie den Knopf gefunden?« fragte sie mit sichtlich gesteigerter Verwunderung. »Und woher wußten Sie, daß er mir gehört?« setzte sie hastig hinzu.

»Ich wußte es nicht,« antwortete ich, »es war nur eine Vermutung.«

»Sie haben mir aber noch nicht gesagt, wo Sie ihn fanden.«

»In einem leerstehenden Hause nicht weit von hier.«

Ihr stockte der Atem, dann fühlte ich ihn wieder wie einen leisen Hauch. Unbewußt hatte ich den Knopf in der Hand behalten.

»Ich bin Ihnen sehr zu Dank verpflichtet, Herr Manders; wollen Sie ihn mir wieder geben?«

Ich gab ihn ihr. Während der ganzen Zeit hatten wir einander angestarrt. Ich starrte noch mehr, als sie ihren Dank wiederholte.

»Sie also waren es!« rief ich aus und bedauerte, daß sie Erstaunen zu heucheln suchte, war dann aber froh, als das unbekümmert sorglose Licht in ihren im Ausdruck so rasch wechselnden Augen wieder überwog.

»Wer hätte es denn Ihrer Meinung nach sonst sein können?« fragte sie mit einem kühlen Lächeln.

»Ich wußte nicht, ob es überhaupt jemand gewesen war. Ich wußte nicht, was ich davon denken sollte. Ich fand den Revolver urplötzlich in meiner Hand.«

»Wessen Revolver war es?«

»Dan Levys.«

»Gut,« sagte sie ernst, »dann war es um so besser.«

»Sie haben mir das Leben gerettet.«

»Ich dachte, Sie hätten ihm seins genommen – und ich wäre dabei behilflich gewesen.«

Ihre Stimme zitterte nicht; sie war vorsichtig, dringend, wagemutig und eindringlich – jetzt wieder ganz ihr Ton.

»Nein,« sagte ich, »ich habe den Kerl nicht erschossen, ich habe ihm nur eingeredet, daß ich es getan hätte.«

»Auch mir haben Sie es eingeredet, bis ich hörte, was Sie zu ihm sagten.«

»Von Ihnen war absolut kein Laut zu hören.«

»Das glaube ich wohl, ich habe mich rasch aus dem Staube gemacht.«

»Aber Fräulein Belsize, wenn Sie mir jetzt nicht erzählen, wie es kam, daß Sie überhaupt dahin gerieten, verliere ich den Verstand vor Neugier.«

»Ist es nicht eigentlich an Ihnen, mir erst zu sagen, wie Sie – Sie alle dahin kamen?«

»Mir ist's egal, wer zuerst erzählt,« rief ich aufgeregt.

»Dann also ich,« sagte sie sofort, führte mich zu dem entsetzlichen Sofa und setzte sich mit einem so ruhigen Gesicht, als ob sie eine ganz alltägliche Geschichte zu berichten hätte. Ich selbst konnte kaum mehr glauben, daß alles, was wir jetzt besprachen, in so kurzer Zeit sich wirklich zugetragen hatte. Hinter uns war ein Fenster, durch das man den Rasenstreifen, den Kiesweg und am Ende die Weiden, die mit ihren Zweigen ins Wasser hingen, sah. Alles erschien mir unwirklich, so unwirklich, wie die Vorfälle, von denen wir uns unterhielten.

»Sie wissen, was neulich geschah – an dem Nachmittag, an dem nicht Kricket gespielt werden konnte, meine ich,« begann Fräulein Belsize, »denn Sie waren ja dabei. Und obwohl Sie nicht blieben und mitanhörten, was nachher noch alles herauskam, vermute ich doch, daß Sie alles wissen. Herr Raffles hat Ihnen gewiß alles erzählt; ich hörte wenigstens, wie der gute alte Papa Garland ihm die Erlaubnis dazu gab. Es ist eine böse Geschichte, und bei so etwas kommt niemand ganz rein davon. Aber welcher Mensch könnte es wohl mit dem Wucherer aufnehmen – ausgenommen vielleicht Herr Raffles!«

Ich nickte nur.

»Ja,« fuhr sie nach kurzem Besinnen fort, »er hat sich großartig benommen, das muß man ihm lassen. Er sagte, er kenne Levy recht gut und werde sehen, was sich tun lasse. Aber er sprach wie ein Richter von einem abgetanen Verurteilten. Während der ganzen Zeit ging mir die Karlsbader Sache durch den Kopf, und was der schreckliche Mensch wohl gemeint hatte, als er so vor uns allen zu Herrn Raffles sprach. Ich verstehe wohl, daß er in uns den Glauben erwecken wollte, aber war da – konnte daran etwas Wahres sein?«

Fräulein Belsize sah mich an, als erwarte sie eine Antwort, wehrte aber sofort ab, als ich sprechen wollte.

»Ich will gar nichts wissen, Herr Manders. Sie wissen natürlich über Herrn Raffles alles ganz genau, aber mich geht es ja nichts an. In diesem Fall freilich stehe ich vollkommen auf seiner Seite. Sie sagten mir, daß das Ganze nur ein alberner Spaß von Levy gewesen sei; das habe ich zu glauben versucht, trotz der beiden Kerls, die ihm bei Lords auf Schritt und Tritt folgten, sogar trotzdem er dort auf so merkwürdige Weise verschwand und sie mit ihm. Er kam auch den ganzen Nachmittag nicht wieder und hatte doch die lange Reise von Karlsbad nur gemacht, um zu diesem Match hier zu sein. Warum war er überhaupt dort gewesen? Was hatte er dort zu suchen? Und wie kann er jemand aus Levys Klauen befreien, wenn er selbst sich in seiner Gewalt befindet?«

»Sie kennen Raffles nicht,« war diesmal meine prompte Antwort. »Er war niemals länger als eine Minute in der Gewalt irgend eines Menschen. Ich möchte mich verbürgen, daß er auch aus der verzweifeltsten Lage einen Ausweg finden würde.«

»Sie meinen durch eine verzweifelte Tat? Das war es gerade, was ich fürchtete,« erklärte Fräulein Belsize offen. »Irgend etwas ist in Karlsbad geschehen, etwas Schlimmeres ist im Werke, um Teddy zu retten,« flüsterte sie, »Teddy und seinen armen Vater.«

Ich gab zu, daß Raffles vor nichts zurückschrecke, wenn es gelte, seinen Freunden zu helfen, und wieder sagte das junge Mädchen, das gerade habe sie gefürchtet. Ihr Ton, wenn sie von Raffles sprach, war jetzt ein ganz andrer, und das fand ich durchaus in Ordnung. Sie schien überwältigt von Dankbarkeit, als sie von dem unglücklichen Vater und seinem Sohn sprach.

»Ich hatte ganz recht,« rief sie, in ihren frühern Ton zurückfallend, für den ich weder Erklärung noch Bezeichnung fand. »Ich kam am Sonnabend nach dem Match ganz unglücklich nach Hause –«

»Obwohl Teddy so gut abgeschnitten hatte?« warf ich törichterweise dazwischen.

»Ich konnte mir nicht helfen, ich mußte immer wieder an Herrn Raffles denken,« erwiderte Kamilla mit einem Aufflammen ihrer ehrlichen Augen, »und fragte mich unausgesetzt, was wohl im Werke sei. Dann sah ich ihn am Sonntag auf dem Wasser.«

»Davon hat er mir nichts erzählt.«

»Weil er nicht ahnt, daß ich ihn erkannt habe; er war verkleidet – und zwar ganz ausgezeichnet,« sagte Kamilla halblaut, »aber bei mir nutzt ihm das nichts, ich erkenne ihn doch,« setzte sie wie stolz auf ihren Scharfblick hinzu.

»Haben Sie es ihm gesagt, Fräulein Belsize?«

»O nein. Ich sprach nicht mit ihm; wozu sollte ich mich in seine Angelegenheiten mischen? Ich sah, wie er vom Boot aus sich das Bootshaus unten an Levys Garten genau betrachtete, als niemand in der Nähe war. Warum? Was mochte er beabsichtigen? Die Karlsbader Geschichte fiel mir ein, und ich hatte das Gefühl, daß hier etwas Ähnliches im Werke war.«

»Und weiter?«

»Was sollte ich tun? Sollte ich überhaupt etwas tun? Durfte ich mich da hineinmischen? Sie können sich denken, wie mir die Gedanken durch den Kopf jagten. Mit der Erzählung will ich Sie jedoch nicht langweilen. Ich wollte auf jeden Fall wissen, was vorging, und wenn es das Schrecklichste wäre. Den ganzen gestrigen Tag geschah nichts, von Herrn Raffles nirgends eine Spur; auch die Nacht vorher war nichts vorgefallen, sonst hätten wir etwas gehört. Das bestärkte mich in meiner Überzeugung, daß die folgende Nacht in Aussicht genommen war. Die Gnadenfrist war abgelaufen – Sie wissen, was ich meine – Garlands letzte Woche in ihrem eigenen Haus. Wenn etwas getan werden sollte, so war es höchste Zeit. Ich wußte, daß Herr Raffles etwas plante, und ich wollte wissen, was – das ist alles.«

»Mit vollem Recht,« murmelte ich, zweifle aber, ob Fräulein Belsize mich hörte. Sie ließ weder Ermutigung noch Beifall hören. Der frühere Ausdruck – ihr eigenster, unbekümmert sorgloser Ausdruck – strahlte wieder aus ihren Augen.

»Die vorletzte Nacht schlief ich nur sehr wenig, und die letzte bin ich gar nicht ins Bett gegangen. Ich erzählte Ihnen ja schon, daß ich mitunter Einfälle habe, die die ganze Nachbarschaft in Staunen versetzen. Letzte Nacht, wenn es nicht schon Morgen war, machte ich den tollsten Streich. Ich besitze ein kleines Kanu und bringe die letzte Zeit fast ausschließlich in dem kleinen Ding zu. Auch gestern nacht war ich damit auf dem Fluß nach Mitternacht, ohne daß hier jemand eine Ahnung davon hatte, teils um mich zu vergewissern, teils – ach, verzeihen Sie, Herr Manders.«

»Ich habe nichts gesagt.«

»Ihr Ausdruck sagt genug auch ohne Worte.«

»Mir wäre es sehr lieb, wenn Sie fortfahren wollten.«

»Trotzdem Sie genau wissen, was ich sagen will?«

Natürlich wußte ich es, rang es ihr aber doch nach und nach ab. Die schattenhafte Gestalt in dem Kanu, die an uns vorüberglitt, als wir uns mühten, Dan Levy in sein eigenes Boot zu schaffen, und die wieder an dem leeren Hause auftauchte, gerade als wir ihn dort ausladen wollten, war das hübsche schlanke Mädchen gewesen, das jetzt neben mir saß. Sie hatte uns gesehen – nach uns gesucht – hatte unsre Stimmen gehört und erkannt; nur was wir taten – jedenfalls unsre Tat um Mitternacht – hatte sie sich falsch ausgelegt. Sie wollte es nicht zugeben, doch glaube ich bestimmt, sie hatte gefürchtet, daß wir bei Nacht und Nebel eine Leiche in dem einsamen Turm verbergen wollten.

Doch muß ihr Herz dem widersprochen haben, und ich denke mir, daß sie eine ganz unbestimmte Ahnung der Wahrheit hatte. Aber sie mußte erfahren, was vorgefallen war; deshalb war sie, mutig und entschlossen, wie ich sie von Anfang an erkannt hatte, nachdem sie sich in Levys Haus überzeugt, daß niemand etwas über seinen Verbleib wisse oder sich Sorgen darum mache, an dem einsamen leeren Hause gelandet und beherzt eingedrungen, um das Geheimnis zu ergründen. Ihr gleichmäßiger Schritt auf der Wendeltreppe war das Signal zu meinem Kampf auf Leben und Tod mit Levy. Sie hatte alles gehört, sogar etwas davon gesehen, ja aus Levys schrecklichen Flüchen so viel herausgehört, um sich später ungefähr ein Bild von der Lage der Dinge zwischen ihm, Raffles und mir zu machen. Was die Ausdrucksweise des Wucherers betraf, so versicherte sie mir mit übermütigem Lächeln, sie habe selbst zuweilen eine Vorliebe für Kraftausdrücke und sei deshalb nicht vor Entsetzen erstarrt, wie es in demselben Falle ihrer Mutter und den guten Nachbarn wohl ergangen sein würde. Der Revolver war ihr gerade vor die Füße gefallen und zuerst hatte sie gemeint, daß ich ihm über das Geländer folgen würde, dann aber, ehe sie einen klaren Gedanken fassen konnte, hatte sie ihn in meine wild umhergreifende Hand gelegt.

»Aber als Sie ihn abfeuerten,« sagte sie, »war mir's, als ob ich zur Mörderin geworden sei. Sie sehen, da habe ich Sie wieder falsch beurteilt.«

Mir war nicht scherzhaft zumute. Ich wußte nur, daß ich nie zuvor in solche Augen geblickt, so kühn, so traurig und doch wieder so übermütig! Ich dachte, daß ich noch nie eine solche Stimme gehört oder in einem Menschen Sorglosigkeit und tiefes Gefühl in so harmonischer Mischung gefunden habe. Ich fühlte, daß es weder Mann noch Weib gebe, die an Kamilla Belsize heranreichten, ausgenommen A. J. Raffles! Und doch –

Und doch war es gerade Raffles' wegen, daß sie mir rätselhaft und unverständlich erschien, gerade wie damals bei Lords, als sie mir beim Abschied an der Gartenpforte sagte: »Sie werden natürlich kein Wort von dem verraten, was ich Ihnen erzählt habe, Herr Manders.«

»Sie meinen Ihre Abenteuer von gestern nacht und heute morgen?« fragte ich ganz bestürzt.

»Ich meine jedes einzelne Wort, das hier gesprochen wurde,« war ihre prompte Antwort. »Nicht eine Silbe davon darf verlauten, wenn es mir nicht leid tun soll, daß ich je ein Wort mit Ihnen gewechselt habe.«

Sie sprach, als ob sie von selbst zu mir gekommen wäre und mich zu ihrem Vertrauten gemacht hätte! Darüber ging ich hinweg, obwohl es mir auffiel.

»Ich werde mit keiner Seele darüber sprechen,« sagte ich, »das heißt – ausgenommen – ich meine, Sie werden doch –«

»Nein, ohne alle Ausnahmen.«

»Nicht einmal mit meinem lieben alten Raffles?«

»Mit Herrn Raffles am allerwenigsten,« rief Kamilla Belsize mit einem Aufblitzen der herrischen Augen. »Gerade Herr Raffles darf um keinen Preis der Welt etwas davon erfahren.«

»Nicht einmal, daß Sie es waren, die sowohl mich wie ihn rettete?« fragte ich voller Eifer, denn es war mein sehnlichster Wunsch, daß diese zwei Menschen besser voneinander denken lernen sollten. Was Kamilla betraf, schien dieser Wunsch ja in Erfüllung zu gehen, und Raffles brauchte ich nur alles zu erzählen, um ihn zu ihrem ergebensten Freund zu machen fürs ganze Leben. Aber sie war hart und unerbittlich, wie von verborgenem Feuer gestählt.

»Es ist ungerecht, Herr Manders, daß Sie, weil ich dort hinkomme, mich aufrege und mir in der Aufregung einen Knopf abdrehe, wie ich wohl getan haben muß, daß Sie mich nun verraten wollen, wo ich selbst Ihnen sicher nichts verraten hätte!«

Das also war der Lohn für meine Treue und Verschwiegenheit! Das wollte ich mir nicht bieten lassen.

»Bei Lords haben Sie mir schon Ihr volles Vertrauen geschenkt, und nicht ein Wort ist davon über meine Lippen gekommen.«

»Auch Herrn Raffles gegenüber nicht?« fragte sie rasch mit unverhülltem Eifer.

»Nicht ein Wort,« war meine Antwort. »Raffles hat keine Ahnung, daß Sie etwas bemerkten, und noch weniger, wie erpicht Sie darauf waren, ihn zu warnen.«

Einen Augenblick blickten die herrlichen Augen kampflustig in die meinen. Dann gewann etwas andres die Oberhand, vielleicht war es ihr Stolz – und sie streckte mir die Hand entgegen.

»Auch von dieser Geschichte darf er niemals etwas erfahren,« sagte sie ebenso fest wie im Anfang. »Aber Sie vergeben mir hoffentlich, daß ich Ihnen nicht völlig vertraute. In Zukunft werde ich es immer und unbedingt tun.«

»Ich vergebe Ihnen alles, Fräulein Belsize, nur nicht Ihre Antipathie gegen meinen liebsten Freund.«

Ich hatte sehr ernst gesprochen und ihre Hand dabei festgehalten; sie zog sie zurück, als ich die letzten Worte sagte.

»Ich habe keine Antipathie gegen ihn,« antwortete sie mit einem seltsamen Ton; aber mit noch seltsamerer Betonung fügte sie hinzu: »Aber auch keine Sympathie.«

Auch da kam mir noch nicht der Gedanke, welches Wort hier wohl am Platze gewesen wäre oder weshalb Kamilla Belsize sich so rasch abwandte.

Ich sah ihre Augen vor mir und dachte an sie auf dem ganzen Wege zur Bahn, dann aber auch nicht einen Augenblick mehr. Von dem Augenblick an, als ich den Bahnsteig betrat, hatte ich an ganz andre Dinge zu denken. Ich war auf den verkehrten Bahnsteig geraten und wollte gerade über die Brücke gehen, als der Zug von London einlief und ein Mann, den ich von Ansehen kannte, heraussprang, noch ehe der Zug anhielt.

Der Mann war Mackenzie, der findige, schottische Detektiv, mit dem wir schon früher zusammengestoßen waren, und der, wie ich glaubte, Raffles seitdem unablässig im Auge behalten hatte. Er war schon über den Bahnsteig hinüber, als der Zug still stand, und ich tat, was Raffles an meiner Stelle getan haben würde, ich lief ihm nach.

»Sie kennen das Haus von Dan Levy am Fluß?« hörte ich ihn in seinem breiten Dialekt den Kutscher fragen. »Dann fahren Sie mich dahin, aber so schnell, als wäre uns der Teufel auf den Fersen.«


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