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Viertes Kapitel. Unser Shylock

Oft habe ich darüber nachgesonnen, bei welchem Punkt unsres Gesprächs in Raffles wohl der Plan entstand, den wir getreulich ausführten; denn wir hatten ja fast unaufhörlich geredet seit seiner Ankunft um acht Uhr abends bis gegen zwei Uhr früh. Aber das, was wir zwischen zwei und drei besprachen, war, was wir wirklich zwischen neun und zehn ausführten, mit einer einzigen Ausnahme, die durch eine gänzlich unvorhergesehene Entwicklung bedingt war, über die man bis zur passenden Zeit am besten schweigt. Raffles' Phantasie und Vorsorge um die kleinsten Einzelheiten übertreffen unverkennbar seine gesprochenen Worte, und doch kristallisieren sich im Verlauf seiner Rede seine Ideen für den Zuhörer ganz deutlich, so daß ein Satz, der zuerst nur eine schattenhafte Idee hinwirft, in einem scharfumrissenen Plan gipfelt, wie ein Bild unter der Linse im Brennpunkt erscheint, klar bis auf die zartesten Feinheiten.

Nach der langen Nacht im Albany und einem Bad und einer Tasse Tee bei mir zu Hause fand ich Raffles bereits meiner harrend in Piccadilly, und wir wanderten zusammen hinunter, wo Jermyn Street ihren Rachen öffnet. Dort nickten wir uns zu, und ich ging weiter geradeaus, machte dann plötzlich kehrt, als habe ich etwas vergessen, und bog in Jermyn Street ein, ungefähr fünfzig Meter hinter Raffles. Ich wollte ihn nicht einholen, folgte jedoch seinen Spuren in genügend kurzem Abstand, um ein erstes unvorhergesehenes Erlebnis, das zu der Zeit nicht viel bedeutete, mit anzusehen; es war dies nur der etwas ungestüm gewaltsame Abgang eines andern Besuchers von Dan Levy, der Raffles direkt in die Arme fiel. Eine überstürzte Entschuldigung wurde mit höflicher Fassung entgegengenommen, darauf folgte ein aufgeregter Erguß, den ich nicht verstehen konnte, weil ich nicht nahe genug war. Es war ein kleiner Mann mit langem nachtschwarzem Haar, der eifrig an seinem Sombrero bürstete, während er sprach und Raffles ruhig zuhörte. Aus ihrem Benehmen konnte ich schließen, daß der soeben stattgehabte Zusammenprall nicht das Thema ihrer Unterredung bildete, aber es gelang mir nicht, ein Wort zu verstehen, obwohl ich vor einem Hutladen wartete, bis Raffles hineingegangen und sein neuer Bekannter mit einem Schwall gemurmelter Flüche in gebrochenem Englisch an mir vorüber war.

»Wieder eins von Shylocks Opfern,« dachte ich; er mochte wohl innerlich an seinem Pfund Fleisch verbluten, seine Augen waren schon ganz blutunterlaufen.

Lange stand ich vor dem Hutladen und ging schließlich hinein, um mir eine Mütze auszusuchen. In diesen kleinen Läden ist das Licht miserabel, so daß ich gezwungen war, einige Mützen mit an das Tageslicht auf die Türschwelle zu nehmen, um ihre Farbe zu prüfen und dabei einen raschen Überblick über die Straße zu gewinnen. Dann setzten sie mir einen sinnreichen Apparat auf, um das genaue Maß meines Schädels zu erhalten, da ich den Wunsch geäußert hatte, ihn fortan nur hier bedecken zu lassen. Alles dies mußte wohl zwanzig Minuten in Anspruch genommen haben, doch als ich ungefähr bis zu Shylocks Hause gekommen war, fiel mir ein, daß ich auch einen steifen Filzhut brauche, weshalb ich umkehrte, um mir einen zu bestellen. Und wie der nächste Schlag das Schiff an die Boje bringt, so stellte mich mein nächstes Umlegen, wobei ich schon ernsthaft an einen Zylinder gedacht hatte, Raffles gerade gegenüber.

Wir begrüßten uns laut und schüttelten uns die Hände; unser Zusammentreffen erfolgte fast unter den Fenstern des Geldverleihers, und die Begrüßung war so wenig englisch in ihrer Herzlichkeit, daß es Raffles zwischen unserm Händedrücken und Auf-die-Schulter-Klopfen gelang, ein dickes Paket in meine Brusttasche zu praktizieren. Ich glaube nicht, daß selbst der mißtrauischste Vorübergehende es gesehen hätte. Aber Straßen haben Argusaugen und einige davon sind immer auf einen gerichtet.

»Sie mußten darum auf die Bank schicken,« flüsterte Raffles, »und so sind die Scheine kaum durch ihre Hände gegangen. Aber laß Shylock nicht etwa sein eigenes Kuvert erspähen.«

Im nächsten Augenblick sagte er ganz etwas andres, das jeder hören konnte, und gleich darauf drängte er mich in Shylocks Haustür.

»Ich werde mit dir hinaufgehen und dich einführen,« rief er laut. »Du könntest zu keinem bessern Menschen kommen, alter Freund – er ist der einzig ehrliche in ganz Europa. Ist Herr Levy zu sprechen?«

Ein körperlich zurückgebliebener junger Mann, der sprach, als habe er eine Hasenscharte, obwohl nichts davon zu sehen war, sagte, er glaube wohl, wolle aber sehen, was er durch das Telephon zu bewerkstelligen suchte, das er von »Durch« auf »Privat« umstellte. Er glitt von seinem Stuhl herunter und sagte zu einem andern Jüngling von sehr ähnlichem Äußern und der gleichen eigentümlichen Sprache, er möge auf das Telephon achten, während er uns nach oben führe. Hinter den Mahagonischränken saßen noch weitere Kommis, und im Hinaufsteigen hörten wir, wie der Neuankömmling sie mit heiserer Stimme begrüßte.

Dan Levy, wie ich ihn wohl nennen muß, wenn Raffles nicht gerade das Wort hat, machte den Eindruck eines sehr großen Mannes an seinem riesigen Schreibtisch, erschien jedoch bei weitem nicht so elefantenhaft plump wie vor einigen Wochen an dem winzigen Tischchen im Savoy-Restaurant. Auf den ersten Blick sah man, daß die Entbehrungen der letzten Zeit seinen Körperumfang wesentlich verringert hatten; er sah dadurch um zehn Jahre jünger aus. Seine Kleidung war die eines vornehmen Herrn; wie er da in seinem tadellos sitzenden Rock und der gut gebundenen Krawatte an seinem Schreibtisch saß, stieg auch in mir das widersinnige Respektsgefühl auf, das Raffles beim Anblick der seidenen Pyjamas empfunden hatte. Aber das breite Gesicht, das uns mit boshafter und etwas spöttischer Munterkeit entgegenblickte, machte noch tiefern Eindruck auf mich. Die groben Züge mit den verschwommenen Konturen verrieten weit eher hartnäckige Kampflust als niedrige Schlauheit eines gewöhnlichen Wucherers, und besonders die Nase, von viel gesünderer Farbe, als da ich sie zuerst erblickte, wirkte zugleich gebieterisch und drohend in ihrer Größe. Ein wahrer Augentrost neben dieser furchterweckenden Erscheinung war Raffles in seiner unbekümmerten Gelassenheit. Er stellte mich mit seiner unnachahmlichen liebenswürdigen Überlegenheit, die ihm in allen Klassen der Gesellschaft treu blieb, dem andern vor.

»Freue mich, Sie kennen zu lernen,« sagte Levy, »bitte, mein Herr, nehmen Sie Platz.«

Ich blieb aber stehen, obwohl ich ein leises Zittern in den Beinen fühlte, fuhr mit einer Hand in die Brusttasche und begann den Inhalt aus dem Umschlag, den Raffles mir zugesteckt hatte, herauszuarbeiten, während ich in einem Ton, den wir die Nacht vorher genügend geübt hatten, sagte: »Daß mein Besuch Ihnen wirklich Freude bereiten wird, wage ich zu bezweifeln, Herr Levy. Ich komme für meinen Freund, Herrn Edward Garland.«

»Ich glaubte, du wolltest dir Geld leihen,« warf Raffles ärgerlich ein. Der Geldverleiher beobachtete mich mit blitzenden Augen und zusammengepreßten Lippen.

»Davon habe ich kein Wort gesagt,« fuhr ich Raffles an und glaubte Beifall und Ermutigung hinter seinem spöttischen Blick zu lesen.

»Wer ist denn diese kleine Giftkröte?« fragte ihn der Geldverleiher mit prachtvoller Frechheit.

»Ein alter Freund von mir,« erwiderte Raffles in einem so beleidigten Ton, daß man danach das Ende der alten Freundschaft voraussagen konnte. »Ich glaubte, er sei in Verlegenheit, sonst wäre ich gewiß nicht mit heraufgekommen, um ihn bei Ihnen einzuführen.«

»Ich habe dich gar nicht um deine Einführung gebeten, Raffles,« sagte ich in beleidigendem Ton. »Ich traf mit dir in der Tür zusammen, als du hinaus und ich herein wollte. Ich fand dich etwas zudringlich, das kann ich wohl sagen.«

Darauf riß Raffles mit einem echt angelsächsischen Fluch, der meine Person mit späterer körperlicher Züchtigung bedrohte, die Tür auf, um uns allein zu lassen. Dies war genau, wie wir es geprobt hatten. Aber Dan Levy hielt Raffles zurück, und das war gerade, was wir erhofft hatten.

»Aber meine Herrn,« rief er, »machen Sie mein Kontor doch nicht zum Kampfplatz! Und Sie, Herr Raffles, bitte, übergeben Sie mich diesem gefährlichen Herrn doch nicht auf Gnade und Ungnade.«

»Zwei gegen einen ist mir auch recht,« stieß ich wütend hervor. »Ich mache mir nichts daraus.« Meine Brust hob sich unter tiefen Atemzügen gemäß meinen Verhaltungsmaßregeln; doch war mir das in Wirklichkeit auch eine Erleichterung.

»Also bitte,« sagte Levy, »warum schickt Sie Herr Garland?«

»Das werden Sie wohl wissen,« entgegnete ich, »wegen seiner Schuld.«

»Seien Sie doch nicht so grob,« gab Levy zurück, »was ist mit der Schuld?«

»Eine infame Nichtswürdigkeit ist es!« schrie ich.

»Da muß ich Ihnen beistimmen,« lachte Levy, »alles hätte schon vor Monaten geordnet werden müssen.«

»Vor Monaten?« wiederholte ich. »Es sind ja erst zwölf Monate, seit er dreihundert Pfund von Ihnen lieh, und nun wollen Sie ihm siebenhundert abzwacken.«

»Allerdings,« sagte Levy kalt bis ans Herz hinan.

»Er leiht sich dreihundert schlimmstenfalls auf ein Jahr und Sie erpressen dafür achthundert, wenn das Jahr abgelaufen ist.«

»Eben hast du sieben gesagt,« unterbrach mich Raffles mit der Stimme eines Menschen, den eine plötzliche Angst ergreift.

»Sie haben auch von Erpressen gesprochen,« fügte Dan Levy mit unheilverkündendem Ton hinzu. »Sie möchten wohl gern die Treppe hinunterfliegen?«

»Wollen Sie die Summen etwa leugnen?« gab ich zurück.

»Nein, durchaus nicht. Haben Sie seine Rückzahlungsquittungen?«

»Ja, hier in meiner Hand, gebe sie aber nicht heraus. Du weißt noch nicht,« fügte ich mich an Raffles wendend scharf hinzu, »daß der junge Mann bereits hundert Pfund in Raten bezahlt hat; dadurch kommen die achthundert heraus, und genau dasselbe wird dir passieren, wenn du so verrückt warst, auf eine Anleihe hier hereinzufallen.«

Der Geldverleiher hatte länger mit mir Geduld gehabt, als einer von uns ihm zugetraut hatte; jetzt aber schob er seinen Stuhl zurück und stand in seiner bedrohlichen Größe mit einem greulichen Fluch vor mir.

»Ist das alles, was Sie zu sagen haben?« donnerte er. »Dann machen Sie, daß Sie hinauskommen.«

»Nein, ich bin noch nicht fertig,« sagte ich, ein Dokument auseinanderfaltend, das Raffles mit den Quittungen von Teddy Garland erhalten hatte; ich hatte es fertig gebracht, diese Papiere aus meiner Brusttasche herauszuholen, in die ich den Inhalt des Kuverts von Raffles zu entleeren versucht hatte. »Hier ist ein Brief,« fuhr ich fort, »erst gestern geschrieben, und zwar von Ihnen an Herrn Garland, in dem Sie außer verschiedenen andern Unverschämtheiten noch das Folgende sagen: ›Dies ist endgültig mein letztes Wort, und Entschuldigungen irgendwelcher Art werde ich weder dulden noch gelten lassen. Sie haben mir zehnmal mehr Mühe gemacht, als Ihre Kundschaft wert ist, und ich bin froh, Sie loszuwerden. Zahlen Sie also bis zwölf Uhr morgen mittag, oder Sie können sich darauf verlassen, daß die obenerwähnten Drohungen buchstäblich ausgeführt werden, und noch in derselben Stunde werde ich Schritte tun, daß sie verwirklicht werden. Dies ist mit tödlicher Gewißheit Ihre letzte Chance, wie es auch das letzte Mal ist, daß ich Ihnen in dieser Angelegenheit schreibe.‹«

»Ist es auch,« sagte Levy mit einem Fluch. »Das ist ein ganz schlimmer Fall, Herr Raffles.«

»Da bin ich ganz Ihrer Meinung,« sagte ich. »Und darf ich fragen, ob Sie versuchen wollen, Garland ›loszuwerden‹, indem Sie volle Zahlung beanspruchen?«

»Vor zwölf heute mittag,« sagte Levy kurz.

»Achthundert zum ersten und letzten für die dreihundert, die er vor einem Jahr borgte?«

»Ja.«

»Das sind aber wirklich recht harte Bedingungen für den jungen Mann,« sagte ich in den versöhnlichen Ton überleitend, über den mir Raffles später wiederholt Komplimente machte; damals aber sagte er nur, seiner Meinung nach sei Garland selbst schuld.

»Natürlich, Herr Raffles,« rief der Geldverleiher und nahm selbst auch einen versöhnlicheren Ton an. »Es war mein Geld, es waren meine dreihundert blanken Goldstücke, und man kann doch das, was einem gehört, zu dem höchsten Preis, der dafür zu haben ist, verkaufen.«

»Unzweifelhaft,« sagte Raffles.

»Also! Geld ist genau wie alles andre. Wenn man keins hat und kann sich keins erbetteln oder erwerben, so muß man es zu einem bestimmten Preise kaufen. Mein Recht ist es jedenfalls, die Höhe des Preises zu bestimmen, und wenn ich einen Liebhaberpreis bekommen kann, so nehme ich ihn. Die Menschen, die meine Preise zahlen, sind natürlich Narren; das hängt aber ganz davon ab, wie nötig sie das Geld brauchen, und das ist ihre Sache und nicht die meine. Bei Ihrem liederlichen jungen Freund wäre alles in schönster Ordnung gewesen, wenn er seinen Vertrag erfüllt hätte; ein Wortbrüchiger verdient aber, daß ihm die Würmer aus der Nase gezogen werden, verdammt noch einmal! Ich habe Ihren Freund nicht reingelegt, er lief ja mit offenen Augen in sein Verderben. Herr Garland wußte recht wohl, was ich berechnete und was ich ihm ohne Zögern ankreiden würde, sobald er seinen Verpflichtungen nicht nachkam. Und warum auch nicht? Es steht ja auf dem Wechsel. Und was meinen Sie denn, wozu ich mein Geschäft betreibe? Geschäft ist Geschäft, Herr Raffles, und von Räuberei ist keine Rede, Verehrtester. Außerdem, einer wird bei jedem Geschäft ausgebeutet, wenn man genau zusieht. Bei mir ist aber alles ehrlich und steht deutlich auf dem Wechsel.«

»Eine bewundernswerte Darlegung,« sagte Raffles gewichtig.

»Kommt für Sie jedoch nicht in Betracht, Herr Raffles,« war Levys geschickte Antwort, »Herr Garland gehörte nicht zu meinen Freunden und ist außerdem ein Narr, während Sie, wie ich hoffe, wohl das eine, jedoch nicht das andre sind.«

»Es kommt also wirklich darauf heraus,« sagte ich, »daß Sie den vollen Betrag heute morgen beanspruchen?«

»Bis zwölf Uhr, jetzt ist es gerade zehn.«

»Die ganzen siebenhundert Pfund?«

»In bar,« sagte Levy, »Wechsel werden nicht angenommen.«

»Dann,« sagte ich ergeben, »bleibt mir nichts andres übrig, als meinen Auftrag auszuführen und Sie hier glatt zu bezahlen.«

Ich sah Levy nicht an, hörte aber, wie ihm plötzlich der Atem stockte beim Anblick der Banknoten, und dann fühlte ich seinen eklen Atem auf meiner Stirn, als ich mich niederbeugte, um die Scheine auf seinen Schreibtisch zu zählen. Ich war schon ziemlich weit damit gekommen, als er mich wieder anredete. Ich brauche doch nicht so eilig damit zu sein, es sähe ja geradeso aus, als habe ich nur ein Spiel mit ihm treiben wollen; in seiner Stimme war sogar ein leises Zittern bemerkbar. Warum hatte ich denn nicht gleich gesagt, daß ich das Geld habe, fuhr er mich wieder an, da ich ohne aufzusehen weiterzählte. Ich nahm von seinem Ärger gar keine Notiz, sondern sagte gelassen: »Und nun, Herr Levy, darf ich Sie wohl bitten, mir Herrn Garlands Wechsel auszuhändigen.«

»Ja, den sollen Sie haben,« brummte er und öffnete seinen Geldschrank mit solcher Wucht, daß die Schlüssel herausfielen. Raffles steckte sie mit musterhafter Schnelligkeit wieder ein, während Levy den Wechsel heraussuchte.

Endlich war dies böse Schriftstück in meinen Händen. Levy brüllte in das Sprachrohr hinein und pflichtgemäß erschien der junge Mann mit der unvollkommenen Sprache.

»Den unverschämten jungen Menschen da können Sie an die Luft setzen,« schrie Levy, »rufen Sie Moses zu Hilfe.«

Der kleine Angestellte stand verdutzt und blickte von mir zu Raffles und fragte schließlich, welchen sein Herr meine.

»Den da,« brüllte der Geldverleiher und drohte mir mit seiner gewaltigen Faust. »Herr Raffles ist ein Freund von mir.«

»Aber – a–auch ein F–Freund von ihm,« stotterte der junge Mann. »Ti–Timeon M–Markth kam über d–die Straße herüber, um mir d–das zu s–sagen. Er s–sah sie vo–vor unsrer T–Tür sich die Hand sch–schütteln, nachdem er sie in Piccadilly Arm in Arm getroffen hatte, u–und d–das wollte er n–nur s–sagen, im Fall –«

Dem Jüngling wurde nicht gestattet, den Schluß seines Satzes herauszubringen; Levy faßte ihn beim Kragen, schüttelte ihn und stieß ihn aus dem Zimmer, sein Kragen flog hinterher. Ich hörte ihn auf der Treppe heulen, während Levy die Tür abschloß und den Schlüssel in die Tasche steckte. Aber ich hörte nicht, daß Raffles in den Drehstuhl vor dem Schreibtisch schlüpfte, und wurde es nicht eher gewahr, als bis der Wucherer und ich uns umdrehten.

»Wollen Sie machen, daß Sie da wegkommen!« tobte Levy.

Raffles aber drehte den Stuhl herum und lachte ihm ins Gesicht.

»So leicht nicht,« sagte er. »Wenn Sie die Tür nicht binnen einer Minute wieder öffnen, so bediene ich mich dieses Telephons, um die Polizei herzurufen.«

»Die Polizei, so?« sagte Levy und suchte mit Gewalt seine Fassung zurückzugewinnen, »das sollten Sie lieber mir überlassen, Sie edles Schwindlerpaar!«

»Außerdem,« fuhr Raffles fort, »haben Sie natürlich in einer der Schubladen ein argumentum ad hominem. Hier ist es schon und in unsern Händen gerade so nützlich wie in den Ihren.«

Er hatte die rechte obere Schublade geöffnet und aus derselben einen großen Revolver genommen; es war das Werk eines Augenblicks, ihn seiner fünf Patronen zu entladen und dann dem Eigentümer auszuhändigen.

»Verfluchte Bande,« zischte dieser und warf ihn mit großem Gepolter in den Kamin. »Dafür sollen Sie mir aber zahlen, meine werten Herrn, denn dies ist kein spitzfindiger Kniff mehr, sondern verbrecherischer Betrug.«

»Den Beweis werden Sie erbringen müssen,« sagte Raffles. »Inzwischen haben Sie wohl die Güte, die Tür zu öffnen, das Eingeschlossensein bekommt Ihnen nicht, Sie sehen ganz elend aus, wie ein schlapper Moorumschlag.«

Der Geldverleiher war wirklich im Gesicht ebenso fahl geworden wie sein Haar, und seine Augenbrauen, die dunkel und gefärbt aussahen, standen wie große Tintenkleckse darin. Der Vergleich, den Raffles mit seinem unverbesserlichen Leichtsinn gebraucht hatte, war wohl treffend, aber unbesonnen, denn ich sah, wie unser Shylock nachdenklich wurde. Glücklicherweise hatte er aber an dem augenblicklichen Nebel noch genug; doch weit davon entfernt nachzugeben, stellte er sich mit dem Rücken gegen die Tür und schwor einen schrecklichen Eid, von da nicht wanken und weichen zu wollen.

»Auch gut,« gab Raffles zurück und nahm den Hörer ans Ohr. »Ist das Amt da? Bitte, neun – zwei – drei – drei.«

»Das ist Betrug,« fing Levy wieder an, »und Sie wissen es auch selbst recht gut.«

»Absolut nicht, das wissen Sie auch ganz gut,« sagte Raffles halblaut mit der Art eines Menschen, dessen Gedanken auf das Telephon konzentriert sind.

»Sie haben das Geld hergegeben,« fügte ich hinzu, »das ist ja Ihr Geschäft, und es geht Sie gar nichts an, was er nachher damit tut.«

»Er ist ein ganz infamer Schwindler,« zischte Levy, »und Sie sind sein Helfershelfer.«

Ich war durchaus nicht traurig, als ich Raffles' Gesicht auf der andern Seite des Schreibtisches sich aufhellen sah.

»Ist da Howson, Anstruther und Martin? Das sind nur meine Anwälte, Herr Levy ... Ja? Bitte, verbinden Sie mich mit Herrn Martin ... Charlie, du? ... Bitte, komm sofort nach Jermyn Street, Nummer weiß ich nicht – Dan Levy, der Geldverleiher, weißt du. Aber, bitte, nimm dir einen Wagen – danke, alter Freund! ... Hör mal, einen Augenblick noch – einen Konstabler ...«

Dan Levy hatte aufgeschlossen und die Tür weit geöffnet.

»Da habt ihr euern Willen, ihr Halunken! Aber wir treffen uns noch wieder, Gaunerpack!«

Raffles sah mit gerunzelter Stirn auf das Telephon.

»Wir sind abgehängt worden,« sagte er. »Einen Augenblick! Ja, nun können Sie gleich wieder sprechen, Herr Levy.«

Sie tauschten ihre Plätze, und kein weiteres Wort fiel, bis Raffles und ich auf der Treppe waren.

»Zum Donnerwetter, das Telephon ist nicht mal durchgestellt,« schrie der Wucherer und eilte uns nach.

»Aber wir sind durch, Herr Levy,« rief Raffles lachend, während wir die Treppe hinunterliefen.


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