Hans Hopfen
Robert Leichtfuß
Hans Hopfen

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Der gewinnsüchtige Lefranc ließ sich die Mühe nicht verdrießen, so oft es seine Zeit erlaubte, nach der Rue Murillo zu eilen, die fünf Treppen mit keuchendem Atem zu erklimmen, um sich dann in Robert Leichtfuß' Werkstatt auszuruhen und an der werdenden Landschaft auf dessen Staffelei zu erquicken.

»Wald und Fluß im Sturme« hat es ihm besonders angethan. Er sah es entstehen. Es kam ihm so vor, als wäre dabei etwas von seinem Geiste mitthätig gewesen. Seine Ratschläge hatten, wie er meinte, den Künstler auf diese Motive gebracht. Er bildete sich nicht wenig darauf ein. Und wenn er sich auch nicht den Vater des Bildes nennen konnte, na, so freut' es ihn doch, sich wenigstens – den Paten des Bildes nennen zu dürfen.

Den Maler versicherte Lefranc, daß er kolossale Fortschritte gemacht habe in letzten Zeiten, daß er sich eine ganz neue, daß er sich eine überraschende Manier zurecht gemacht habe. Diese koloristischen Wirkungen mit einzelnen Farbenflecken in der Staffage, die keineswegs mehr peinlich ausgeführt war, riß den grauen Kenner zu unverhohlenen Lobsprüchen hin.

171 Mehr als einmal stand er mit dem rasierten Kinn in der krauenden Hand vor diesem werdenden Kunstwerke und fragte sich, ob es nicht an der Zeit wäre, einen Meister wie diesen da unter eigener Flagge vors Publikum segeln zu lassen . . . Je nun, es war eine gewagte Sache. Es konnte glücken, es konnte aber auch mißglücken – während die Tiburtins, die falschen wie die echten, ihres reißenden Absatzes und ihrer hohen Preise allemal sicher waren.

Lefranc war ja vor allem Händler, Kaufmann und auf seine kaufmännischen Erfolge angewiesen und erpicht. Aber der Kunstkenner, der Liebhaber regte sich doch in seinem schwarzen Herzen. Es that ihm wirklich leid, daß solch ein Bursche nicht sich Namen und Vermögen auf eigene Faust machen sollte. Denn, genau betrachtet und ganz ehrlich gesprochen, er konnte ja mehr als der andre; Tiburtin ward alt, er verstockte sich in seiner allerdings glänzenden Manier, er war Manierist geworden ganz und gar und ließ sich kein graues Härchen darüber wachsen, daß seine Produktion nun immerzu in dem eigenen ausgefahrenen Geleise weiter einherfuhr. Dagegen über Roberts gebeugtem Haupt eine göttliche Willkür ihn des Meisters Weise übertreffen, vervollkommnen, vertiefen und zugleich erhöhen hieß.

Selbstverständlich herrschte diese Ehrlichkeit nur in den Selbstgesprächen Lefrancs. Wo wird er einen Künstler durch solche Bekenntnisse in seinen Ansprüchen steigern! Und anspruchsvoll waren sie ja alle, diese Künstler! Nein, vor allem war Lefranc Geschäftsmensch und mußte seinen Vorteil wahrnehmen. Er hatte schon ein Herz, aber er hielt es im Zaume des Schweigens. Und darum verriet er von den Gedanken, die ihn bei Betrachtung der neuesten Schöpfungen Roberts heimsuchten, ebensowenig, als dieser ihm gestand, durch welches Uebel und mit welchen Sorgen er auf diese neue, dem Kenner so wirksam scheinende Methode des Farbenauftrags und der geringeren Detailausführung gekommen war, und warum er sich auch noch immer von dem Welkeblätterfall nicht trennen wollte.

Die unsichere und intermittierende Thätigkeit seiner Augen hatten ihm diese starken und jähen Farbeneffekte an die Hand gegeben; er wagte nicht zu hoffen, ein Bild mit der sonst geübten, genauern Detailausführung vollenden zu können, und er wollte, was er in diesen Zeiten geschaffen, in den letzten Tagen, da ihm noch zu sehen, manchmal zu sehen vergönnt war, wie zum Abschied vor Augen haben und sich nicht früher, als es sein mußte, davon trennen.

172 Auch was er von älteren Bildern noch besaß, kramte er aus dem Gerümpel hervor oder ließ es bei den Kunsthändlern, da es verstreut vergebens auf Ankauf wartete, zurückholen und umgab sich so mit diesen Zeugen seiner künstlerischen Thätigkeit.

Da war der Ausschnitt aus dem Heimwesen des Horaz, da die Kopie des Claude Lorrain, die beiden Oelbilder und die vielen Aquarellskizzen, die er in Roqueville und auf der Fahrt dorthin gemalt hatte, die lang vor Lefranc verborgene Spreelandschaft, welche gewissermaßen die Umrisse zu seinem letzten Bilde geliefert, das Stückchen Weltstadt vor seinem Fenster, das er in der trübsten Zeit hier oben, wie um sich auf andre Gedanken zu bringen, so hingepinselt hatte, und noch andre kleinere Sachen. Das stattliche Inventarium eines richtigen Landschaftsmalers, wenn auch eines Landschaftsmalers wider Willen.

Sowie sich Lefranc bei ihm melden ließ, verhüllte Robert noch immer rasch seine Werke und lehnte sie mit dem Gesicht gegen die Wand und duldete nicht, daß der Schnüffler ihnen zu nahe kam. Das Mißtrauen gegen den Mann, der nur aufs Uebervorteilen seiner Nebenmenschen aus war, und der seinen Künstlerstolz oft bitter gekränkt hatte, hielt ihn instinktiv davon ab, jenem mehr zu zeigen, als er ihm schuldig war. Aber wenn Sophie zu ihm kam, da war er stolz, ihr noch immer etwas zeigen zu können, was sie noch nicht kannte, und ihr den Beweis zu liefern, daß er auch auf dem Gebiete seiner Kunst, welches zu bebauen ihn freiwillige Neigung niemals angetrieben hatte, kein fauler Knecht gewesen sei. Angesichts dieser Bilder erzählte er ihr, in welcher Zeit und unter welchen Umständen dies und jenes entstanden war. An der Hand dieses Bilderbuches erfuhr sie also seine bunte Lebensgeschichte.

Die Lust zu reden war über ihn gekommen, als die Pausen länger geworden, die sich zwischen sein malerisches Schaffen drängten. Es war ein nervöses, hastiges Reden, abgelöst von langem Hinbrüten und Schweigen, während dessen er halb bei Bewußtsein in den wachsenden Abgrund seiner Blindheit zu starren schien.

Eines Tages im April war alles aus. Draußen fuhr der Frühling in die wintermüde Welt; die Sonne lachte zur Erde, und die Menschen lachten zur Sonne empor; Natur und Geschöpfe freuten sich des neuen Lichts, des neuen Lebens. In Roberts Malerstüblein lag ein Mann an der Erde, für den es kein Licht mehr gab. Der schwarze, heiße Trank hatte ihm nur mehr auf etliche Minuten noch die Fähigkeit erweckt, Dinge 173 vor seinen Augen zu erkennen, aber auch diese nur mehr wie durch einen Schleier, der sich von Sekunde zu Sekunde verdichtete. Er stützte das Haupt mit beiden Armen und brütete am Boden so hin. Um ihn herum lagen zerstreutes Malergerät und Trümmer von Pinseln, die er in aufwallendem Zorn über sein Geschick in den zur Unthätigkeit verurteilten Händen zerbrochen hatte.

So fand ihn Sophie, als sie gegen Mittag, mit einem Sträußchen Frühlingsblumen in der Hand, zu Erna kam, die in ratloser Verzweiflung neben dem Vater, auf dem Estrich sitzend, ihrer harrte.

Robert fragte, wer da wäre. Er erkannte Sophie aber sofort an der Stimme. Er sammelte sich auf und bat, ihn zu einem Stuhle zu führen. Er sprach den beiden Mädchen Mut und Geduld zu; auch er wolle Mut und Geduld haben; er wußte ja lange voraus, wie's kommen würde; und nun war's eben da und mußte ertragen werden in Gottes Namen!

Allein diese gottergebene Stimmung hielt nicht vor. Sie schlug in wilden Groll um, und trotz der beschwichtigenden Bitten der beiden Wesen, die er innig liebte und nie betrüben wollte, bäumte sich seine ganze Seele in flammendem Zorn empor gegen das ungerechte, gegen das grausame Geschick. In einer Zeit, da der rastlose Promethide nach einer vierten Dimension, nach einem sechsten Sinn verlangte, spürte, forschte, ward ihm von den fünf Sinnen der notwendigste genommen! Taub hätte er noch malen, lahm sich noch durch erfindliche Vorrichtungen zum Malen verhelfen mögen, seine Blindheit kam einer Verurteilung zum Hungertode gleich.

Dann ward wieder ein andres Gefühl Herr über ihn, das packte ihn wie Sturmwind und trug ihn im Nu in eine andre Region der Gedanken. Er schlug an seine Brust mit geballter Faust und widerrief den Vorwurf gegen das Geschick, das wohl grausam, aber nicht ungerecht die furchtbare Strafe über ihn verhängte. Er habe gefrevelt, mit seinen Augen gefrevelt an der Kunst, an der heiligen Ehrlichkeit in der Kunst, als er sich zum Handlanger eines Betrügers herabgewürdigt. Darum habe das Schicksal ihn an seinen Augen gestraft. Nun habe das Schicksal ihn gezeichnet!

Sophie verwies ihm solche Reden, die ihrer religiösen Empfindung widerstrebten, und sie bat mit zärtlichen Vorwürfen, er möge sein Unglück nicht durch solchen Frevel verschärfen, sondern sein Gemüt zur Geduld und Hoffnung auf Gott wenden.

Er aber schäumte noch über von Bitternis und vergalt ihr 174 sanftes Zureden mit der herben Bitte, das Versprechen, welches er vor Wochen ihrem Mitleid abgerungen habe, wieder zurückzunehmen. Hütet euch vor den Gezeichneten! Ein also vom Schicksal Gezeichneter, wie er, habe nicht mehr das Recht, ein andres gesundes, herrliches Wesen an sein elendes Dasein zu ketten, er, der auf den Bettel angewiesen sei, habe jedes Recht verwirkt, ein Weib an sich zu fesseln. Tausend Dank für Sophiens Liebe, die ihn noch hart vor dem Sturze ins tiefste Elend innig beglückte; aber er dürfe sie nicht mitreißen in seinen Sturz, er wolle nicht aus Mitleid geliebt werden und nicht von Almosen leben. Und darum – er sagte es ruhiger geworden mit dem Ton überlegten Entschlusses – wolle er ein Ende machen. Er bäte nur noch einmal um so viel Licht für eine Minute, um die letzte Pflicht gegen sich selbst zu üben, seinem elenden Dasein ein Ziel zu setzen mit rascher Hand. Dann möge Sophie den letzten Liebesdienst ihm erweisen und sein Kind nach Berlin bringen, wo es durch die Erbschaft Heriberts vor allem Mangel gesichert sein werde . . .

Sophie nahm diese wilden Erklärungen nicht widerspruchslos hin. Auch Erna weinte bitterlich. Robert aber blieb dabei, daß für ihn alle Hoffnung verloren, ein thatloses Leben kein Leben und Mitleid eine himmlische Tugend, aber keine Leidenschaft sei, auf die man das Lebensglück eines Weibes stellen dürfe.

Während sie noch also in Liebe hadernd bei einander saßen, kam Lefranc an. Der hatte bei den letzten Besuchen von Roberts Launen, wie er dessen verfinsterte Stimmung, ohne deren Ursache zu kennen, benannte, manche Unfreundlichkeit geduldig hingenommen, um nicht vor der Ablieferung der Bilder mit dem Maler in einen unliebsamen Konflikt zu geraten. Nun aber hatte er sich's überlegt. Er mußte Ernst machen! Jawohl! Die Bilder gehörten ihm nach ausdrücklicher Abmachung. Das Geld für das eine war in immer neuen Vorschüssen bereits bezahlt worden. Für das zweite Bild wollte er, in Gottes Namen, weil es ihm so sehr gefiel, einen etwas höheren Preis auf den Tisch legen. Aber das Verzögern und Vertrösten mußte nun ein Ende nehmen. Das zweite Bild war ja, der eigensinnige Maler mochte dagegen einwenden, was er wollte, doch ganz oder doch nahezu fertig. Es war nur Bosheit des verwöhnten Genies, daß Lefranc nicht zu seinem Eigentum, nicht zu der Möglichkeit gedieh, mit neuen Tiburtins gute Geschäfte zu machen. Darum hatte er sich auf dem Wege nach der Murillostraße fest vorgenommen, heute nicht mehr mit sich spaßen zu lassen, sondern mit aller Entschiedenheit, ja, wenn 175 es sein mußte, mit Härte aufzutreten und zur Not mit Klageschrift und Sequestration zu drohen. Lefranc war ja sehr rücksichtsvoll, wenn ein erheblicher Gewinn in Aussicht stand; aber die Aussicht durfte sich nicht immerfort erweitern, sondern es mußte endlich zum Gewinn, zum reellen Gewinn, zum Geschäft kommen! Amen!

Mit diesen Vorsätzen trat Lefranc ziemlich breitspurig bei Robert Leichtfuß ein. Es war ihm unangenehm, daß er nicht nur das Töchterchen des Malers, sondern auch das Fräulein Martin im Atelier fand. Vor Frauen spricht sich's unbequem von Geschäften. Er deutete diese Erfahrung nicht ganz schüchtern an und betonte, daß er heute notgedrungen erschienen wäre, um sehr ernsthaft von Geschäften zu sprechen.

Robert antwortete nichts. Sein Groll schien sich zu sammeln, um bei den nächsten Worten des Krämers sich sprudelnd und verblüffend über ihn zu ergießen, über den Verführer, der seine Not benutzt hatte, ihn zum Frevel an der Kunst zu zwingen.

Indessen bat Sophie Herrn Lefranc, heute nicht von Geschäften zu sprechen, Herr Leichtfuß sei sehr krank und ein großes Unglück sei geschehen.

Der Alte hörte nicht recht auf das superkluge Frauenzimmer hin, das nach seinem Dafürhalten hier nichts dreinzureden hatte. Beim Anblick all der bunten Sachen, die da herumstanden und hingen, war in ihm der Kunstliebhaber erwacht. Leichtfuß hatte in seiner heutigen Verfassung nicht mehr daran gedacht, seine Malereien vor profanen Augen zu verbergen, und so ging Lefranc hastig von einem Stück zum andern und leckte sich, wie es bei verschwiegener Bewunderung seine Gewohnheit war, die trockenen Lippen.

»Ei,. ei, ei!« rief er, »was sind das für hübsche Sachen! Und was? . . . vor solchen Sachen soll ich nicht vom Geschäft reden? . . . Das wäre! Werden schon ein Geschäft machen. Das heißt vielleicht! Wenn Herr Leichtfuß nicht unbillig sein will . . . Ja, ja! Aber nun zu meinem Eigentum! Wie steht es denn damit? Sind sie endlich fertig, Meister Robert, mit dem neuen Tiburtin?«

Der Angeredete ballte, von Sophiens bittendem Flüstern zurückgehalten, nur stumm seine Fäuste, während Lefranc vor dem Bild auf der Staffelei verstummte und für die nächsten Augenblicke nur genießender Kenner war. Nun sah er daneben auch die Spreelandschaft, und er fing an, laut zu denken. »Ei, ei, ei, das sind ja Pendants! Dieselbe Landschaft in verschiedener Stimmung! Ausgezeichnet! Das erhöht ihren Wert! 176 Müssen miteinander verkauft werden!« Beinahe hätte der sonst so Schlaue sein Lob zu unvorsichtig ausgekramt! Er schlug sich vor den Mund und mehr, um etwas Gegensätzliches zu sagen, als um ein Urteil auszusprechen, rief er, das Gesicht von dem Bilde zu dessen Schöpfer wendend: »Aber so zögern Sie doch nicht mit den letzten Pinselstrichen und machen das Ding da fertig, Sie Zauderer!«

Sophie fand den Alten unerträglich und hielt es für geboten, ihm den Ernst der Lage zu Bewußtsein zu bringen. »Herr Leichtfuß wird dies Bild nicht fertig machen, mein Herr! Ich deutete vorhin schon an . . .«

»Was? Nicht fertig?« unterbrach sie Lefranc. »Das Bild ist ja fertig, erzfertig ist es! Und was noch etwa fehlt, kann in wenigen Tagen . . .«

»Es kann niemals fertig werden!« rief nun Robert, »es ist verurteilt, zu bleiben, was es ist. Ich kann nicht mehr malen! Nie mehr! Ich sehe nicht mehr.«

»Ach, ach, ach! Was Sie sich einbilden! Sie haben mir schon neulich einmal etwas von Ihren Augen gesagt. Wie kamen Sie denn zu solchem Leiden! Fliegende Mücken, Kongestionen, weiter nichts. Ich kenne das!«

»Sie irren sich,« sagte Sophie und ging nahe auf den Ungläubigen zu. Dann fuhr sie leiser fort: »Herrn Roberts Uebel hat in den letzten Tagen reißende Fortschritte gemacht. Quälen Sie den armen Unglücklichen nicht länger! Herr Robert ist erblindet!«

»E, e, e, erblindet?!« rief Lefranc aus. Das Wort schien gar nicht aus der Kehle des Erschreckten zu wollen. Er griff mit zitternder Hand nach einem Stuhl. Seine Beine versagten ihm den Dienst.

Da saß er und sah bald das Bild, bald den Maler an. Er mußte sich die Stirne unter der Perücke mit dem Taschentuche kühlen. »Wirklich, thatsächlich, unleugbar erblindet?« Er schlug die Hände zusammen, und dann schrie er wie mit thränenerstickter Stimme: »Aber dann bin ich ja ein betrogener Mann! Ein bestohlener Mann! Ich habe Bestellungen auf drei Tiburtins provoziert bei meinen amerikanischen Geschäftsfreunden. Ich bin ihnen verpflichtet. Sie lassen nicht mit sich spaßen! Und statt der dreie kann ich nur einen liefern! Einen einzigen, denn die Saumseligkeit des Herrn da ließ den zweiten nicht zur Vollendung gedeihen, geschweige daß ein dritter in baldiger Aussicht stünde . . . aber ich werde mich schadlos halten . . . ich werde . . .«

Er wollte eine häßliche Drohung aussprechen. Aber sein 177 in der Stube herumirrendes Auge blieb auf dem Manne haften, der, von seinem Unglück gebeugt, zwischen seiner Braut und seinem Kinde still dasaß und Drohungen und Vorwürfe keiner Erwiderung mehr wert achtete.

Der Anblick that es selbst dem gewinnsüchtigen Lefranc im Herzen an, und indem er sich langsam dem Sitzenden näherte, änderte er den Ton seiner Stimme und sprach: »Verzeihen Sie mir den heftigen Ausdruck meines eignen Verdrusses! Er überwältigte mich! . . . Nein, wirklich blind? Herr Robert, wie lange kenne ich Sie! Wie oft haben Sie mir mit ihren lustigen Augen ins Gesicht gelacht! Wie viel Schönes haben Sie gesehen, wie viel Schönes haben Sie geschaffen mit diesen Augen! . . . Wirklich Schönes! Hier steht's ja herum! . . . Und nun erblindet? Um Gotteswillen, erblindet?«

Sophie nickte mit dem Haupt bejahend.

Lefranc schlug abermals die Hände vor dem Munde zusammen: »Wirklich außer stande zu sehen? . . . Keine Finte? Keine Ausrede? . . . Ach, Verzeihung, ich sehe ja, in welcher Stimmung Sie sich hier befinden alle drei . . . aber die Aerzte geben doch Hoffnung . . .?«

Sophie zuckte die Achseln und schickte einen Blick nach oben, als wollte sie sagen: Nur bei Gott ist noch Hoffnung, aber es geschehen keine Wunder mehr!

Lefranc rückte ganz nahe zu Robert heran, er streichelte, mit seinen knöcherichten Fingern, so sanft er vermochte, die herabhängende Hand und redete wimmernden Tones: »O Sie Aermster! Wie ich Sie beklage! Obschon auch ich so viel an Ihnen verliere, ich beklage Sie herzlich. Ein Maler, der erblindet, das ist ja ein unsagbares Elend, das ist ja ein erbärmlicher Widersinn! Was soll nun aus Ihnen werden! Sie sind wahrhaftig ein verlorener Mann!«

Sophie machte eine Bewegung der Abwehr. Lefrancs Mitleid drückte sich etwas rauh aus, und sie suchte nach Worten, es ihm zu verweisen. Aber in dem Alten ging jetzt auf einmal eine grelle Veränderung vor. Die Züge bewegten sich heftig, die alten Runzeln arbeiteten durcheinander, und die Kinnladen fingen an zu wackeln, als sollte der Unterkiefer des so merkwürdig aufgeregten Mannes in die Brüche gehen. Auch die Ellbogen kamen in Bewegung und nun sprang er, mit den Fingern seiner rechten Hand schnalzend, jählings in die Höhe und rief: »Aber nein! Aber nein! Kein verlorener, ein gemachter Mann sind Sie! Mitten im Unglück ein Glückspilz! So etwas war ja noch niemals da! Noch niemals da!«

178 Sophie erschrak bei den wunderlichen Bewegungen und den noch viel wunderlicheren Worten des Alten. Sie glaubte nicht anders, als er sei plötzlich verrückt geworden.

Der aber stand nun mitten in der Stube und rief, ihr Erstaunen wohl bemerkend, seine Reden mit den Windmühlflügelbewegungen seiner hageren Arme bekräftigend: »Sie halten mich für übergeschnappt, was? Sie verstehen nichts vom Geschäft! Gar nichts! Nicht einen Grashalm verstehen Sie davon! . . . Fassen Sie: ein Maler, ein bedeutender Maler, ein genialer Maler, der das und das und das und den ganzen Rest gemalt hat und der erblindet! Mitten in der großartigsten, in der späten Entfaltung seines langverirrten und doch unvergleichlichen Talentes erblindet! Im Begriff, seinen größten, berühmtesten Nebenbuhler, den gewaltigen Tiburtin in Grund und Boden hineinzumalen, erblindet! Aber, mein Kind, so eine Reklame war ja noch niemals da! Noch niemals da! Mit dieser Reklame bring' ich die ganze Pariser Kunstwelt in eine Aufregung, in ein Fieber, in einen Heißhunger sondergleichen. Sie sollen sehen! Ah, Lefranc, der alte Schäker, ist nicht der erste beste! Sie sollen Wunder sehen! Bei meiner Ehre! . . . Aber gratulieren Sie doch Herrn Robert Leichtfuß zu dieser verfluchten Erblindung! Sie macht ja sein Glück! Sie macht ihn zum reichen Manne! Sie glauben mir nicht? Sie schütteln den Kopf? Sie halten mich noch immer für übergeschnappt? . . . Sie werden mir noch abbitten. Jawohl! In acht Wochen, in sechs Wochen leg' ich Herrn Leichtfuß ein Vermögen zu Füßen, oder Sie sollen mich einen wirklichen Narren, ja einen Dummkopf, einen Maulmacher nennen! Ein Vermögen! sag' ich Ihnen bei meiner Ehre! Ein wirkliches Vermögen, nicht ein Sümmchen, nicht einen mit zwei Nullen verzierten Bettel, Gott sei davor! Eine sechsstellige Zahl, die sich gewaschen haben soll, ein wahres Vermögen!«

Robert schien all das nicht zu beachten. Er kauerte in sich versunken da, als wäre nun auch der Sinn des Ohres im Absterben begriffen. Sophie sah mehr geängstigt, als von Hoffnungen ergriffen auf den durch dies Elend entzückten Händler. Klein-Erna, das leicht bewegliche Kindergemüt, mußte lachen, denn sie begriff von den Worten wenig, und der alte Herr geberdete sich so närrisch.

Der aber lief jetzt an den Wänden und vor den Staffeleien herum und zählte die Oelgemälde laut, und kramte in den Aquarellen und Handzeichnungen und rief dazwischen: »Ich stoße ins Horn! Mit beiden Lungen kräftigst! Geben Sie auf 179 den Widerhall acht, mein Fräulein! Ich kenne mein Paris, ich kenne die Pariser Presse, ich kenne das Pariser Publikum! Sie stehen vor einem der sensationellsten Ereignisse der neuesten Kunstgeschichte! Robert Leichtfuß erblindet! Der junge Nebenbuhler, der Ueberwinder Tiburtins seines Augenlichts beraubt! Uebermorgen Leitartikel in allen Blättern, so lang wie mein Arm! Und dann kommt mein persönliches Gewicht hinzu. Ich lege mich ins Zeug, und ich bereite eine Ausstellung, eine Versteigerung vor! Eine Versteigerung, sag' ich Ihnen, derengleichen noch nicht oft da war in dieser Welt, in dieser Stadt, in dieser Zeit! . . . Aber er ist doch blind? Wirklich blind, der verehrte Meister?«

»Beruhigen Sie sich, mein Herr, er ist leider wirklich blind!« sagte Sophie, die keinen Glauben an das seltsame Gebaren Lefrancs knüpfte und angesichts des großen Unglücks keiner Freude, keiner Hoffnung fähig war.

Der Alte ward nicht müde, sie mit Fragen zu quälen. Er wollte wissen, was alles noch von landschaftlichen Arbeiten etwa vorhanden wäre. Beileibe nur von landschaftlichen Arbeiten! Von allem andern wollte er durchaus nichts wissen. Ja, er sprach von diesen andern Arbeiten wegwerfend und mit merklichem Hasse, wie von beklagenswerten Ursachen, die den trefflichen Meister vom rechten Weg abgelenkt und lange, viel zu lange nicht auf den rechten Weg hatten zurückgelangen lassen, auf den Weg, den ihm Lefranc schon vor vielen Jahren gewiesen.

Robert Leichtfuß gab auf alle Anreden keine Antworten mehr. Seine Teilnahmslosigkeit ängstigte Sophie. So wenig sie an die schwindelhaften Verheißungen des alten Mannes glaubte, den Robert in den letzten Zeiten nicht anders als seinen bösen Feind, seinen Versucher und Verführer genannt hatte, so wollte sie doch nichts außer acht lassen, was ihrem Geliebten nur irgend zu Ruhm und Geld verhelfen konnte. Sie war auch in dessen Genius so sehr vernarrt, daß sie von einer Ausstellung seiner Werke – und zu einer solchen mußt' es ja, wenn Lefranc nicht ganz verlogen war, doch kommen – sich ein bißchen Sonnenschein für dies verdüsterte Leben versprach.

So stöberte sie denn mit dem Kunsthändler alle Winkel, alle Mappen durch. Sie fanden auch noch ein paar Aquarelle aus Italien und einige Bleistiftzeichnungen aus den Giardini pubblici und dem Berliner Tiergarten, auf welche der Maler nicht den geringsten Wert gelegt hatte, die aber seinem Nothelfer zum Ruhm durchaus nicht unwichtig, nicht wertlos erschienen.

Dann nahm Sophie ein genaues Inventar sämtlicher 180 Arbeiten auf und ließ es Lefranc unterschreiben. Die Symphonie in Gelb war natürlich des Käufers Eigentum; an allen andern Stücken groß und klein aber hatte er in seiner früher so ablehnenden Haltung kein Eigentum erworben. Auch der Klügste irrt sich eben zuweilen. Aber trotzdem war er überzeugt, auch mit dem üblichen Prozentsatz bei dieser vorhabenden Versteigerung für sich kein schlechtes Geschäft zu machen, und der liebe Herr Kollege dort hinten in der Rue de Chateaudun sollte sich schon wundern und ärgern! Ei, ei, und wie sehr! Was war es denn für ein besondres Kunststück, eine Versteigerung von einem auf allen Märkten Europas bereits hoch kotierten Künstler mit Glück durchzuführen! Aber einen unbekannten oder doch verkannten großen Künstler zu entdecken und ihn, der heute noch in einem finstern Stockwerk darbt, zum riesigen Erfolg zu heben, das war bedeutend, das gab Ruhm und Ansehen! Und konnte Lefranc nicht beschwören, daß er ein Bild, na, sagen wir zur bessern Abänderung des Satzes: daß er Bilder Roberts schon vor vielen Jahren nach Amerika verkauft hatte – und zu sehr ansehnlichem Preise!

Es war ein bitteres Gefühl der Unsicherheit für Sophien, als sie am andern Tage der Verpackung all der Werke beiwohnen mußte, welche Robert in langen Jahren geschaffen hatte, und die nun ein Mensch wie Lefranc abholen ließ. Leichtfuß hatte das Interesse an seinen Schöpfungen ganz verloren. Auf jede Frage, jede Bitte um Entscheidung, um Auskunft gab er keinen oder höchstens den Bescheid, daß man damit machen möge, was man wolle, man könne sie versteigern oder verbrennen, es war ihm in seiner Lethargie einerlei. Was man ihm vorsagte, hieß er gut. Nur gestoßen und gedrängt gab er überhaupt Antwort, und diese im Sinne des Fragers. Nur eines schien ihm selbst in seiner Entkräftung aller Sinne noch am Herzen zu liegen, daß nunmehr sein Namenszug nicht übermalt und nirgends, wo er ihn angebracht, beseitigt werden dürfe, sondern bestehen bleiben müsse in seinem lichten Rot, wie er ihn in die Bilder geschrieben hatte.

Das war das einzige, was ihn noch bewegte, sichtlich sogar freudig bewegte, wenn er auf die beruhigenden Versicherungen Sophiens hin sagen und wiederholen durfte: »Dann hab' ich also keinen Mißbrauch getrieben mit meinem Namen, mit meiner Kunst, mit meinen armen Augen und habe zu keinem Betruge geholfen! Gott sei Dank!«

Dies freudige »Gott sei Dank« war wie das letzte Flämmchen, das sich aus zerfallendem Aschenhaufen gen Himmel schwingt. 181 Der einst hoch lodernde Brand seines kunstgeweihten Lebens schien am Verlöschen. Sein dumpf hinbrütender Zustand schien der geringen Hoffnung noch mit jeder Stunde etwas abzubrechen. Also that er seinen besten Freunden den herbsten Kummer an, daß diejenigen, die ihn am innigsten liebten, aus Mitleid ihm schier den Tod wünschten. Denn mochte nun auch durch Lefrancs List und Rührigkeit in die verkommene Wirtschaft ein goldbringend Flüßchen geleitet werden, dies Leben war doch kein Leben mehr, und der Tod erschien als ein Erlöser.


So stand es um Robert Leichtfuß, als mich in den Osterferien desselbigen Jahres der ehrenvolle Ruf eines vornehmen Landsmannes nach Paris entbot, welcher eine von den dortigen Aerzten als notwendig erkannte, nicht ungefährliche Operation von keiner andern Hand als der meinigen ausgeführt wissen wollte. Mir waren in jüngster Zeit einige ähnliche chirurgische Leistungen in überraschender Weise gelungen, und der Kranke war mir von alters her lieb und wert, so daß ich, obwohl überzeugt, daß viele meiner Pariser Kollegen derselben Aufgabe nicht minder, ja gewiß noch mehr als ich gewachsen waren, mich wohlgemut auf den Weg machte, um diesem besondern Vertrauen gerecht zu werden.

Die immerhin heikle Aufgabe ward denn auch, Gott sei Dank, aufs glücklichste gelöst, und meines erlauchten Patienten Befinden gab die schönsten Hoffnungen, daß wie die Operation selber vollkommen gelungen war, so auch seine Rekonvaleszenz günstig verlaufen werde. Immerhin ward es mir zur Pflicht gemacht, diese Rekonvaleszenz abzuwarten und mich deshalb noch eine und andre Woche am schönen Strande der Seine zu verweilen. Ich beschloß, die Zeit recht auszunutzen und mich gründlich satt zu sehen, sowohl auf dem Gebiete meiner Wissenschaft als auch im öffentlichen Leben der an merkwürdigen Erscheinungen so reichen Stadt, die mir einst so vertraut gewesen und die ich, seit Jahren ganz und gar meinem akademischen Berufe hingegeben, nun so lange nicht wiederbetreten hatte.

Auch die Pariser Zeitungen regten meine Neugierde an, und vielleicht um so mehr, als ich im gewöhnlichen Leben selten die Zeit erübrige, andre als medizinische Fachblätter in die Hand zu nehmen.

Wie soll ich nun mein Erstaunen beschreiben, als ich eines Abends im Gasthause, vor dem Auftragen der Mahlzeit im »Figaro« lesend, einen sehr wirksam geschriebenen Artikel finde, 182 darin von einem gewissen Maler Robert Leichtfuß die allermerkwürdigsten Dinge berichtet wurden.

Der Name fiel mir beim ersten Blick auf, darum las ich, was ich vielleicht überschlagen hätte, mit steigender Aufmerksamkeit weiter. Ich war ja nicht nach Paris gekommen, um allermodernste Bilder zu besehen; aber Robert Leichtfuß klang mir so bekannt. Und richtig im nächsten Augenblick wußt' ich auch, daß ich den Mann schon als Studenten in Tübingen gekannt hatte. Die Szene auf der Neckarbrücke mit dem gerührten Bruder Straubinger fiel mir ein, und dann das Bild, welches ich vor etwa zehn Jahren hier in Paris und dann später in New York als einen Tiburtin »non signé« gesehen hatte.

Eifrigst las ich weiter und meinte bald, daß mir die Haare zu Berge stünden, denn hier fand ich die Geschichte eines Genies in kurzen eindringlichen Absätzen, wie die Stationen eines Leidensweges geschildert, der auf dem Kalvarienberge vorzeitiger Blindheit seinen entsetzlichen Abschluß findet. Manches war darin wohl etwas phantastisch aufgetragen, manches übertrieben, manches frei hinzu erfunden; die reine Wahrheit, wie ich sie in den vorstehenden Blättern niedergelegt, habe ich erst später aus Roberts und andrer Munde gehört. Aber wirksam war der Aufsatz gemacht. Das mußte man ihm lassen! Man schämte sich ordentlich beim Lesen, daß ein so merkwürdiges Talent in unsrer auf ihr Kunstverständnis so eingebildeten europäischen Gesellschaft so wenig zur Geltung hatte durchdringen können, während jene Amerikaner, die wir in Angelegenheiten der Musen noch immer für halbe Wilde über die Achseln ansehen, sich um die Bilder dieses Mannes raufen sollten. Und man kriegte eine Lust, diesen Schaden wettzumachen, daß ich das glänzende Honorar meines erlauchten Patienten schon in meiner Tasche zittern fühlte vor Begier, die angekündigte Versteigerung als einer der Meistbietenden mitzumachen. Diese Naivität muß einem deutschen Universitätsprofessor verziehen werden, denn ich lernte erst später kennen, was solch eine Auktion in Paris für finanzielle Bedeutung hat, und was für Summen da zu Nutz und Frommen eines in Mode gekommenen Künstlers und seines Unternehmers gegeneinander aufgeboten werden.

Indessen traten alle Wünsche und Vorsätze vor dem einen mich betrübenden Gedanken zurück, daß der ebenso tüchtige wie liebenswürdige Mensch nahe am Erblinden oder schon wirklich erblindet, jedenfalls außer stande sei, seiner Kunst sich noch irgend ausübend zu widmen. Das war schrecklich, und ich konnte an diesem Abend keinen fröhlichen Einfall mehr 183 gewinnen, so sehr ich mir vordem auch vorgenommen hatte, mich weidlich zu unterhalten.

Ich nahm ein andres, nahm ein drittes, viertes und fünftes Zeitungsblatt zur Hand und staunte, denn, als ob sie sich untereinander das Wort gegeben hätten, in jedem stand ein augenfälliger Artikel, der das Lob meines alten Freundes sang, sein Unglück in grellen Farben schilderte und auf die Ausstellung und demnächstige Versteigerung seiner Gemälde in der Salle Lefranc nachdrücklich, wie auf eins der wichtigsten Ereignisse der modernen Kunstgeschichte, hinwies.

In den Einzelheiten seiner Lebensbeschreibung wichen sie sehr voneinander ab, einige sogar in ganz unverträglicher Weise. Die einen nannten ihn von Geburt einen Schweizer, andre einen Elsäßer, andre redeten gar nicht von seiner Herkunft. Daß er von Haus aus ein biederer Schwabe war, sagte keiner; das hätte wahrscheinlich für Paris den Effekt verdorben und dem Veranstalter der Versteigerung das Geschäft gestört. Alle aber stimmten darin überein, daß der Mann, von der Manier »seines verehrten Meisters Tiburtin« ausgehend, das Erstaunlichste in der Landschaftsmalerei geleistet habe, in Amerika und England ein ganz beliebter Künstler, für Paris, wo er seit Jahren lebe, aber von dem bekannten Kunstkenner Lefranc so gut wie erst erfunden und ausgegraben worden sei.

Ein Blatt wußte eine komische Odyssee von einem Amerikaner zu erzählen, der, um eine ihm vom Meister einst zu Florenz versagte berühmte Kopie eines Claude Lorrain denn doch zu erwerben, durch ganz Italien, Holland und Frankreich gefahren und erst durch die erste Notiz in Pariser Blättern dahinter gekommen sei, daß diese merkwürdige Kopie sich in der Lefrancschen Ausstellung finden werde. Liebhaber könnten sich hier auf einen grimmigen Kampf mit dem kunstgierigen, dollargerüsteten Nabob gefaßt machen.

Ein andres Blatt goß die ätzende Lauge seines Spottes über die Jury des letzten Salons aus, welche dem Werke eines solchen Künstlers den Eintritt verweigert hatte. Doch solcherlei Blamagen war man von diesen Perücken gewöhnt. Robert Leichtfuß, der Mann mit dem unaussprechlichen Vatersnamen, war ja auch nicht auf dem Miste der Akademie gewachsen. Auf den Bergen der freien Schweiz hatte er bis in sein elftes Jahr die Ziegenböcke seines Vaters geweidet und porträtiert. Kein Prix de Rome hatte ihn bequem mit Staatsgeldern ausgerüstet, um sich Italien von den Fenstern der Villa Medicis zu betrachten. Es war ein Märtyrer der Kunst, der seinem 184 grausamen Genius sich selbst zum Opfer gebracht, der gedarbt, gefroren, gehungert und in unablässiger Arbeit in glühender Sonne und bei nächtlicher Lampe das Licht seiner Augen preisgegeben hatte.

Mir ward von dem vielen Lesen über einen Mann, von dem ich viele Jahre kein Wort vernommen hatte, nachgerade ganz wirr im Kopfe. Es ging mir nicht ein, daß er wirklich erblindet sein sollte. Ich war zwar kein Augenarzt, aber Roberts ganze physische Person stand mir jetzt klar vor meiner Erinnerung, mir war, als hätt' ich ihn zur Untersuchung vor mir – so vieles, was ich heut' abend über den Freund gelesen hatte, war bestimmt erlogen, vielleicht war es auch mit seiner Erblindung nicht ganz richtig. Es war eine schwache Hoffnung freilich, denn gerade in dem einen Punkt waren die verschiedenen Berichterstatter von betrübender Einstimmigkeit.

Ich konnte in der Nacht nichts mehr thun, nichts mehr erfahren. Ich schlief schlecht vor Ungeduld und Betrübnis. Das erste, was ich am andern Tage versuchte, war, daß ich zu Lefranc ins Geschäft ging. Die Ausstellung war mit dem größten Geschick und Geschmack vollzogen; der Eindruck ein überwältigender. Robert Leichtfuß war wirklich ein Landschaftsmaler ersten Ranges. Doch nahm ich mir bei diesem ersten Besuch weder die Zeit, noch konnt' ich mir die Stimmung geben, dem Künstler gerecht zu werden, denn mich drängte es vor allem, den leidenden Menschen heimzusuchen und zu diesem Behufe von dem Aussteller die Wohnung desselben zu erfahren.

Keine halbe Stunde war seit meinem Eintritt in den Laden des Kunsthändlers vergangen, da hielt mein Fiaker schon in der Rue Murillo vor dem Hause, das Robert Leichtfuß bewohnte.

Ich fand meinen alten Freund in einer wunderlichen Stellung halb sitzend, halb liegend in sich zusammengekauert. Ein schönes Mädchen von etwa dreiundzwanzig Jahren, dessen starkes, blondes Haar, tiefblaue Augen und frische Gesichtsfarbe einen auf den ersten Blick gefangen nahmen, saß nahe bei ihm, die Hand an seinem Handgelenk, als fühlte sie nach seinem Pulse. Unweit von den beiden stand ein Mann mit hoher, weißer Krawatte und so glänzend glatt rasierten Lippen und Wangen und Kinn, wie sie nur Schauspieler und Geistliche zu tragen belieben. Er hielt einige der Zeitungsblätter, die mich gestern beschäftigt hatten, in den wohlgepflegten Fingern und war offenbar durch mein Kommen in lautem Vorlesen unterbrochen worden. Der Gute meinte, Robert eine Freude zu machen mit diesen Vorboten seines Ruhmes; aber der, dessen Lob hier in 185 langen Spalten ausposaunt wurde, schien zu schlafen oder taub zu sein. Er hatte nichts dergleichen gethan, als die sonore Stimme des Predigers ihm vorgelesen, er that nichts dergleichen, als diese schwieg und ich mich ihm mit den Grüßen alter Freundschaft und voller Freude des Wiedersehens näherte. Er schien mehr oder minder leblos. Ein peinliches, ein betrübendes Wiederfinden!

Es traf sich, daß ich dem Pastor Martin schon vor Jahren einmal, in Luzern, in guter Gesellschaft begegnet war. Die Bekanntschaft wurde rasch erneuert; er stellte mir seine Schwester als die unglückliche Braut des armen Malers vor, und diese erzählte auf mein Befragen, was sie von Roberts Leiden und seiner Lebensweise vor der Erkrankung wußte, auch welche Aerzte sie befragt, und welchen Bescheid diese gegeben hätten.

Ich untersuchte dann selbst den Kranken, der sich alles gefallen ließ und jede Bewegung annahm, die man ihm gab. Ich fand ihn etwa im Zustande der enthirnten Taube, die mit ausgeschaltetem Sinn noch auf mechanischen äußeren Anstoß hin sich regt, wie ihre Gelenke es auszuführen gewohnt sind. Auch Robert aß und trank, wenn man ihm die Veranlassung dazu gab, aber er sah nicht, was er that, und versank sofort, wenn die äußere Veranlassung aufhörte, in seinen dumpfen, lethargischen Zustand.

Ich hatte bald keinen Zweifel mehr, daß die klägliche Verfassung, in welcher sich der einst so prächtige Mensch befand, durch ein elendes Leben veranlaßt sei, welches ihn nach und nach so tief heruntergebracht haben mußte, und daß auch die Ausschaltung seines Gesichtssinnes nur hochgradige Blutarmut zur Ursache habe.

Ob seine Blindheit eine physische oder nur Seelenblindheit, war bei seiner Verfassung nicht zu unterscheiden.

Der Blutarmut in solchem Stadium abzuhelfen, gab es nur ein Mittel. Ich hatt' es in meiner Praxis mehr als einmal mit Glück angewandt. Ein heller Hoffnungsstrahl durchfuhr mit diesem Gedanken meine tiefe Betrübnis. Ich eilte davon, fuhr in meine Wohnung und kehrte sofort, mit allem Notwendigen ausgerüstet, zurück.

»Wie schade, daß Sie kein Augenarzt sind!« hörte ich da Fräulein Martin sagen, als wollte sie sich und mir die Hoffnungslosigkeit meiner Bemühungen, ja meiner Gedanken, klar machen, obschon sie meine Freundschaft rührte.

Ich aber antwortete: »Was hier von nöten, ist gar kein Augenarzt, sondern ein Chirurg. Und ich bin ein solcher mit leidlichen Erfolgen.«

186 Sie starrte mich halb vor Freude, halb vor Entsetzen bewegt an. Ihre ganze große Liebe zu dem gebrochenen Manne strahlte aus dem schönen Gesichte.

»Wie meinen Sie das? Um Gotteswillen nur jetzt keine Täuschung, nur jetzt keine falsche Hoffnung!«

Ich pflege in ärztlichen Angelegenheiten mich etwas rauh und entschieden auszudrücken, besonders wenn jede verlorene Minute Gefahr im Verzug bedeutet. Und also sagt' ich ihr, während ich das vorsichtshalber mitgebrachte Handwerkszeug auskramte und mit eingestreuter, kurzer Entschuldigung meinen Rock ablegte: »Wenn einer an Blutarmut krankt, muß man ihm Blut zuzuführen trachten. Die freundlicheren, langsam wirkenden Mittel verfangen bei also ausgeleerten Adern nicht mehr. Hier gibt es nur eine Hilfe noch. Ein etwas heroisches Mittel und dieses muß, wenn überhaupt noch Wirkung erzielt werden soll, in Eile durchgeführt werden. Also nichts für ungut, wenn wir sofort ans Werk gehen! Der Herr Pastor, der ja in Dingen menschlicher Hilfe nicht unerfahren ist, wird mir in Ermangelung eines anderen Assistenten seine Dienste leisten. Nicht wahr, Herr Pastor?«

»O gewiß! Selbstverständlich! Verfügen Sie über mich!«

»Sie aber, mein Fräulein, muß ich wohl bitten, uns allein zu lassen.«

Sie zögerte und sah bald mich, bald den Kranken an und fragte dann – die süßbewegte Stimme klingt mir noch heut in den Ohren – »Herr Professor, kann ich nicht auch behilflich sein. Ich bin nicht schreckhaft. Und ich möchte gerne helfen . . .«

»So?« sagt' ich, derweilen mir ein Gedanke zuflog, welcher der Ausführung meines Vorhabens günstig sein konnte. »Aber wo Blut fehlt, muß Blut fließen. Wenn Sie Blut sehen können, mein Fräulein, dann bleiben Sie und helfen Sie.«

»Ich kann alles, was sein muß!« erwiderte die schöne Sophie, und man sah's dem resoluten Wesen an, daß das keine leere Redensart war. Ich erklärte ihr nun das allein hier sich empfehlende Verfahren der Transfusion, welches darin bestand, daß man aus der geöffneten Ader eines gesunden, vollsäftigen Organismus, Tier oder Mensch, in die Adern des Blutleeren den ganz besondern Saft, von dem unser Leben bedingt ist, überleitet. Ich legte dabei Messer, Bandagen und Glasröhren zurecht, und was ich sonst zu dieser Operation noch bedurfte.

»Und Robert wird dann wieder sehen?« rief sie nach meiner Erklärung hoffnungstrahlend aus, die Hände über der Brust faltend.

187 »Ich hoff' es zuversichtlich!« gab ich rasch zur Antwort. Dann aber ward ich doch etwas bedenklich und sah mich im Zimmer rundum.

Roberts Kind war in der Schule. Der Pastor, an dessen Menschenliebe ich allenfalls die Zumutung eines kräftigen Aderlasses schon adressieren konnte, kam mir bei näherer Betrachtung doch nicht gar strotzend vom roten Safte vor. Es war auch eine von den sitzenden Existenzen, die nur so viel Blut in sich haben, als eben zur richtigen Funktionierung ihrer Organe gerade hinreicht. Aber wer weiß, ob er nach solcher Kraftentziehung im stande sein wird, am Sonntag eine stundenlange Predigt zu halten und den übrigen harten Anforderungen der Seelsorge ohne Schaden zu genügen! . . . Ich glaubt' es nicht.

Darum streift' ich mir bedächtig den eigenen Hemdärmel zurück. Es war nicht das erste Mal, daß ich mir die nötigen Unzen zu solcher Aushilfe abzapfte. Im Gegenteil, ich hatte im heiligen Eifer des Berufs mir in den letzten Zeiten das Blut für Transfusionen viel zu oft vom eigenen genommen und war dies auch in dieser Minute zu thun entschlossen.

Nun fiel mir während dieser Zurichtung ins Bewußtsein, daß ich infolge mehrmaliger Anzapfungen gerade selber nicht mit strotzenden Adern ausgerüstet war. Ein jüngeres, vollsaftiges Menschenkind hätte meinem Robert schon mehr nützen können als ich, der eher der Erholung bedurfte und dem trefflichen Pastor Martin wahrscheinlich nicht viel voraus war. Indessen Besinnen half nicht und ich dachte, was schon mehrmals geholfen, das wird, mit Gottes Hilfe, auch diesmal seine Schuldigkeit thun. Also los!

»Herr Doktor Kerschbaum!« hörte ich jetzt die liebe Stimme neben mir sagen.

»Was befehlen Sie, mein Fräulein? Nur keine Störung jetzt!«

»Ich befehle nicht,« sagte sie, »aber ich bitte, ich verlange. Kein andres Blut soll hier fließen, als das meine!« Dabei schnitt sie mit blanker Schere den Aermel ihres Kleides der Länge lang auf und streifte ihn über den vollen blendend weißen Arm zurück, darauf die blauen Aederchen in lieblichem Geflechte sichtbar wurden.

Ich freute mich des schönen Anblicks und freute mich, daß sich wieder einmal zwei vernünftige Menschen ohne Worte, bloß durch energisches Denken verständigt hatten. Ich überzeugte mich nun vor allem an Robert, daß mein Urteil richtig gewesen. Wässerig blaß und dünnflüssig war, was aus der angeschnittenen Ader mir zu Augen rann.

188 Und wie ich mich nun wieder an mein Geschäft machte und das liebe, junge Menschenfleisch so blank und minniglich unter das Messer nahm, da fiel mir »der arme Heinrich« Hartmanns von Aue ein, wo mein seliger Kollege zu Salerno, der seines Zeichens sicherlich Chirurg gewesen ist, dem »miselsüchtigen« Ritter Auskunft gibt, daß er ihm nicht helfen könnte, denn

»Ihr bedürftet einer Magd,
Die unbefleckter Ehre
Und dabei Willens wäre,
Daß sie den Tod für Euch erlitte.
Nun ist es nicht der Leute Sitte,
Daß es jemand gerne thu.
So gehört auch anders nichts dazu
Als des Mägdleins Herzensblut,
Das wär für Euer Uebel gut.«

Je nun, so grausam wie der mittelalterliche Italiener brauchte ich nicht zu sein, ich brauchte die entschlossene Helferin nicht »an Arm und Bein zu binden, ihr nicht zum Herzen zu schneiden und dieses lebend von ihr auszubrechen«, um ihrem Geliebten durch ihr rinnend rotes Blut Gesundheit und Lebenskraft wiederzugeben. Vielleicht ist auch die Schilderung dieser Prozedur im mittelhochdeutschen Gedichte nur eine poetische Uebertreibung, ja nur eine zierlich gereimte Verleumdung eines fremden Gelehrten, der durch seine Praxis bei einigen verfehlten, zum Uebel ausgeschlagenen Versuchen der Menschheit doch viel Gutes gethan und dadurch seinen Ruf durch Stadt und Land weit ausgedehnt hat. Ich habe mir immer gedacht, in der Idee, daß der kranke, arme Heinrich durch das Herzblut eines jungen, frischen Mägdleins wieder hergestellt werde, finde sich die erste Spur regelrechter Blutübertragung, die vielleicht von morgenländischen Aerzten überkommen, im mittelalterlichen Salerno einen berühmten Vertreter hatte. Aber von Mund zu Mund, von Jahrhundert zu Jahrhundert weiter berichtet, auf diesem Wege zur Sage verwandelt und endlich durch die Phantasie des nachschaffenden, auf starke Wirkungen bedachten Dichters umgestaltet, nahm der Vorgang schauerliche, grausame, fabelhafte Wandlung an. Es genügte den nach Spannung und Aufregung lüsternen Hörern, die in Pallas oder Burghof dem Sänger lauschten, nicht nur der Zoll des Blutes, auch das Leben mußte dem Geliebten geopfert sein, nicht nur der lebenspendende Saft, das ganze Pumpwerk mußte daran gegeben werden, damit es ihnen ordentlich über den Rücken gruselte.

189 Nein, ich brauchte das schöne Herz nicht zu brechen, um in meiner Glasröhre den roten Quell zu fassen und ihn in Roberts Adern überzuleiten, und Sophie mußte nicht den Tod leiden, um ihrem Liebsten zu helfen, sondern kam mit einer leichten Ohnmacht davon, die sie befiel, noch ehe die Operation zu Ende war.

Ich habe die wissenschaftliche Rechtfertigung und den Verlauf des angewandten Verfahrens seiner Zeit in der chirurgischen Wochenschrift den Fachgenossen dargelegt. Hier wäre eine ausführlichere Schilderung nicht am Platze.

Mit welcher Spannung wir drei auf den Erfolg unsrer Bemühungen an jenem Morgen warteten, läßt sich leicht ermessen.

Es waren etwa zwanzig Minuten vergangen, ohne daß Robert in der Lage, darin wir ihn vor Beginn der Transfusion gebracht, sich geregt hätte. Da kam Erna aus der Schule nach Hause und machte nach Kinderart sich im Nebenzimmer recht bemerklich. Der Pastor erhob sich sofort und ging auf den Zehen über die Stube, um dem kleinen, allzeit arglosen Wildfang sein Getöse zu verbieten.

Da hob Robert den Kopf und sagte langsam: »Laßt doch . . . das Mädel . . . hereinkommen . . .; ich sehne . . . mich . . . so sehr danach!«

Ein Freudenschrei, erstickt von Schluchzen, klang von Sophiens Lippen. Robert hörte, er hörte, was im Nebenzimmer geschah, während er doch bislang nicht mehr das, was in nächster Nähe zu ihm gesprochen wurde, vernommen hatte!

Ich hielt die tapfere Freundin in ihrer Bewegung zurück, denn sie bedurften jetzt beide der Schonung und der Ruhe. Derweilen öffnete der Prediger sachte die Thüre zum Nebenzimmer, und Erna trat unhörbaren Schrittes ein.

Auf der Schwelle blieb das Kind stehen und staunte über die seltsamen Vorbereitungen, die es noch in der Stube bemerkte, und über Waschbecken und Tücher, die von blutiger Arbeit Zeugnis gaben.

Es meinte schon, wir hätten dem Vater was Schlimmes gethan, und unwillkürlich füllten sich seine Augen mit Thränen.

Wir andern schwiegen noch bangenden Herzens und winkten der Kleinen nur mit den Händen, zu uns herüber zu kommen und den kranken Vater jetzt nicht mit Liebkosungen zu bedrängen.

Erna begriff uns auch und wollte seitab am Bette vorüber.

Da hob Robert noch höher den Kopf. Ich sah, ich sah ganz deutlich, wie er die Augenlieder weit aufmachte und mit einem schwachen Strahl der Freude auf dem Gesichte sanft 190 sagte: »Erna, mein Kind, ich sehe dich! . . . Gott sei gepriesen . . . in Ewigkeit, Amen!«

Da war kein Halten mehr, und ich hatte Mühe, die Liebenden daran zu hindern, daß sie in ihrer überströmenden Glückseligkeit sich nicht die Wundverbände verrückten und auch ihre Adern noch einmal überströmen ließen. Ich bedeutete dem Bruder, daß hier mehr denn jemals Ruhe die erste Pflicht sei, und daß er dementsprechend seine gute Schwester nach Hause und zu Bett bringen möchte, bis sie sich von ihrem Aderlaß vollständig erholt haben würde. Ich versprach ihnen dafür, den ganzen Tag nicht von der Seite meines alten Freundes weichen zu wollen.

Ich war mit dem Befinden meines Patienten recht zufrieden, als sich am andern Mittag – die Geschwister Martin waren eben wieder zu Besuch erschienen – Monsieur Lefranc melden und trotz meines Verbotes nicht abweisen ließ, nachdem ihm die Magd etwas von einer Operation, von Blut und Messer, vorgeschwatzt hatte.

Es blieb mir nichts andres übrig, als den Störenfried in der Küche zu empfangen. Ich fand ihn erst sehr verstimmten Aussehens, denn nach den Berichten des Küchendragoners stellte er sich vor, daß es sich bei der Operation um ganz andre Dinge gehandelt habe, daß man dem Maler womöglich noch den rechten Arm habe abschneiden müssen, und es ihm dementsprechend recht übel ginge.

Wie er aber aus meinem Munde vernahm, daß wir Robert nicht nur nicht noch eine weitere Möglichkeit, je zu malen, benommen, sondern ihn vielmehr wieder sehend gemacht hätten, da geriet er allen Ernstes außer sich vor Angst und Aerger.

Worin bestand denn seine Zuversicht, worauf fußte denn alle Hoffnung mit den Bildern Roberts einen kolossalen Erfolg zu erringen, eine kolossale Kasseneinnahme zu erzielen? Daß es die Bilder eines erblindeten Malers waren, Bilder eines Malers, der nicht wieder wird malen können, also Unica, für die es in gleicher Qualität keinen Ersatz mehr geben wird. Wenn der über den grünen Klee gefeierte, vom Mitleid mit dem späten Lorbeer gekrönte Künstler wieder auf beiden Augen sah, wie jeder andre gemeine Kerl, so verlor er selber das sensationelle Interesse und seine Bilder drei Viertel ihres Wertes. Dann blieb er aller Wahrscheinlichkeit nach ein armer Teufel, der seine mühsam erquälten Batzen in Gesundheit verzehren konnte, und Lefranc, der sich seit fast zwei Wochen alle erdenkliche Mühe gab, kam nicht einmal auf die Unkosten, geschweige gar, daß sein verwünschter Kollege in der Rue de Chateaudun sich über seine Erfolge zu grämen brauchte.

191 Ich gab das alles zu, konnte aber nicht umhin, dem Alten zu versichern, daß ich aus all diesen guten Gründen meinen Rekonvaleszenten doch nicht wieder blenden dürfte. Da mich aber die zerknirschte Händlerseele erbarmte, gab ich ihr den Trost, daß der Erfolg der Operation durchaus noch nicht über alle Sorgen gediehen wäre, und es noch immer fraglich bliebe, ob der Wiederhergestellte auch wieder mit seinen Augen künstlerisch arbeiten, ob er je wieder werde malen können. In jedem, auch dem günstigsten Falle dürfe daran vor Monaten nicht gedacht werden.

Lefranc atmete auf. Doch war ihm dies noch nicht Beruhigung genug. Er nahm mir das heilige Versprechen ab, daß nicht nur über Roberts Operation und Behandlung vor vier Monaten keine Silbe verlauten, sondern daß sich der Genesene sofort in aller Stille einwaggonieren und vor Jahresfrist nicht in Paris blicken lassen, auch vor Jahresfrist keinerlei neue Werke von sich ausstellen oder verkaufen dürfe.

Ich rief die beiden Geschwister Martin heraus, und wir drei verpflichteten uns bindend, daß Lefrancs Wünsche genau erfüllt werden sollten. Dafür versprach er nicht nur, wie es in seinem eigenen Vorteile lag, die Versteigerung zum besten Ende zu führen, sondern auch die Nachricht vom Wiedererlangen des Augenlichts zu rechter Zeit in so wirksamer Weise ins Publikum zu bringen, daß der Maler davon nur Gewinn und Freude haben sollte.

Zuletzt machte er noch Schwierigkeiten wegen des Aufenthaltsortes, wo er Robert Leichtfuß für die nächsten Monate gewissermaßen interniert wissen wollte. In keiner volkreichen Hauptstadt, auch an keinem Ort, wo das Kunstinteresse merklicher Pflege und darum die Künstler unvermeidlicher Aufmerksamkeit von seiten des Publikums genössen, dürfe der kostbare Maler gesehen werden.

Das war ja auch nicht in meiner Absicht, der für den Vielgeprüften ein stilles grünes Fleckchen Erde wünschte, wo er sich langsam kräftigen und wieder den alten Adam anziehen konnte. Wir schlugen dem Ueberbesorgten vor, unsern Robert in der Schweiz zu halten, bis er gänzlich genesen und etliche Monate über den Schluß der Ausstellung verflossen sein würden.

Damit zufrieden, verließ uns der seiner Wirkungen wieder sicher gewordene Lefranc.

Ich beschloß demnach, meine Heimreise über Helvetien zu machen. Nach Ablauf einer weiteren Woche brachte ich meinen geretteten Robert auf den Lyoner Bahnhof und geleitete ihn in den schönsten Teil der südlichen Schweiz. Fräulein 192 Martin hatte Paris mit Erna und ihrem Bruder schon einige Tage vorher verlassen.

Dort in einem stillen Dorfkirchlein am Südrande des Genfer Sees führte Robert Leichtfuß seine Sophie zum Altar. Er mußte den grünen Schirm noch über den Augen tragen. Ihr Bruder gab sie zusammen.

Dort in behaglicher ländlicher Zurückgezogenheit erreichten ihn auch Briefe Lefrancs und die Nachrichten von dem großartigen Absatz, den seine Bilder auf der Versteigerung in Paris erzielten.

Also ward Robert Leichtfuß berühmt und reich, gesund und glücklich, nachdem er nahe daran gewesen war, im allertiefsten Elend für immer zu Grunde zu gehen.

Die alte gute Natur half sich nach und nach wieder zu ihrem Rechte; er sah kräftig und froh in die schöne Welt und durfte noch früher, als er erwartet hatte, wieder an die geliebten Pinsel Hand anlegen. – Nun schuf er weiter im Lichte des Ruhmes, mit der tröstlichen Aussicht auf sicheren Gewinn, im ungestörten Besitze des Kindes, das er über alles liebte, in der Hoffnung auf ein neues Glück an der Seite des liebenden Weibes, von dessen rotem Blut belebende Tropfen in seinen Adern eingeschlossen waren.

Freilich blieb er im Leben und in der Kunstgeschichte der Schüler Tiburtins. Er hatte sich als Künstler gefunden, wenn auch anderswo, als er mit Lust und Absicht gesucht hatte. Er hatte sich nach allerhand und recht hartnäckigen Irrgängen als Landschaftsmaler erkannt. Er zog den Hut vor dem einst widerwillig angenommenen Vorbild und sprach mit aller Ehrerbietung von ihm nicht anders als »Mon maître«.

Tiburtin ließ es sich gern gefallen und vergalt es mit bekannter Höflichkeit.

Von den alten Velleitäten war nicht mehr die Rede. Robert Leichtfuß war gründlich von ihnen geheilt. Er fühlte sich glücklich in der Beschränkung; denn er hatte die Wahrheit des Satzes erkannt: Der Meister ist einseitig. Wir schaffen nicht, was wir wollen, sondern was wir können, also müssen, müssen, weil wir es können.

Sein Schaffen und sein Leben waren gesegnet fortan.

 

Ende.

 


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