Hans Hopfen
Robert Leichtfuß
Hans Hopfen

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Erster Band.

Ich nenne ihn nicht mit dem Namen, den er vom Vater ererbte, sondern mit demjenigen, welchen er sich durch seine wunderliche Lebensauffassung und seine Art, das Leben zu führen und zu tragen, unter uns erwarb. Ich war versucht, unter den Titel die warnenden Worte zu setzen: »Eine unmoralische Geschichte«. Allein ganz abgesehen von dem Umstande, daß dieser anziehende Titel in letzten Zeiten schon oft mißbraucht worden ist, so könnte mir derselbe, wie bereits andern geschehen ist, Vorwürfe verschiedenster und teilweise recht unverdienter Art eintragen, darunter auch den, daß ich den Leser habe täuschen und auf verbotene Früchte lüstern machen wollen, davon in dieser Erzählung soviel wie nichts gereicht werden wird. Die Leute, die darin auftreten, sind sehr geachtete und meist auch wirklich ehrbare Personen, und es geht darin meist so anständig zu, wie nicht immer in der besten, aber doch in der sogenannten guten Gesellschaft, wenn schon die zu meldenden Begebenheiten teilweise so wunderlich und unerwartet sind, daß ich die Geschichte auch ein Märchen hätte nennen können. Ein modernes Märchen, ein Märlein aus unsrer Zeit.

Allein ein Märchen hat eine Moral, die am Schluß guten Kindern auf den Heimweg mit eingepackt wird. Meine Geschichte hat keine. Auch darf man nicht Märchen nennen, was sich wirklich und vor kurzen Jahren unter uns begeben hat. Geht es doch nirgends wunderlicher zu, als zuweilen auf dieser unsrer lieben bewohnten Erde, wo man sich an andern Tagen zur Abwechselung und Erholung dafür um so grimmiger langweilen kann.

Also weder Märchen noch unmoralische Geschichte. Denn mit dem letzteren Beiworte wollte ich eigentlich nur einen Wink geben, daß ich das Gebaren meines lieben Freundes nicht durchaus lobenswert finde, und obschon alles, was er angefangen 4 oder laufen lassen, schließlich zu einem guten Ende geführt hat, ich doch sein Verfahren durchaus nicht zur Nachahmung empfohlen haben möchte, wenn ich es auch, wie unter Freunden sich gebührt, mit den Augen der Liebe betrachte und ohne jegliche Entrüstung, die sich nach meiner Meinung für einen rechten Erzähler nicht schickt, hier wiedergebe.

Robert war wirklich der leichtfertigste Strick, der mir je vorgekommen ist. Und das will was sagen. Denn ich habe wunderliche Leute dieses Schlages genug kennen gelernt und war selber von dieser Tugend oder diesem Laster, wie man es eben nach jeweiliger Anschauung nennen mag, nicht frei.

Mein Gott, leichtfertiger Leute gibt es viele! Was aber bei jenem das Aufsehen verlohnte, war, daß er sich ein ordentliches Prinzip aus seiner Naturanlage gemacht hatte und mit einer hartnäckigen Verbissenheit an Grundsätzen festhielt, denen man mit dem Namen Fatalismus noch zu viel Ehre angethan hätte.

Er war nun freilich von Mutterleib an nicht zum reichen Manne geboren worden. Das bekannte Rittergut, mit dem der anständige Mensch auf die Welt kommen soll, hatte nicht den entferntesten Schatten über die Anfänge seines Daseins geworfen. Frühe schon hatte er unerquickliche Fährlichkeiten erlebt und war aller Ecken und Enden an Mangel und Bescheidenheit gewöhnt worden.

Aber die Enge der eigenen Habe, sowie der Glanz und die Fülle, daran andre dicht daneben sich labten und aufbläheten, hatte weder sein Herz verbittert, noch seinen Geschmack verdorben. Ein frommer Köhlerglaube, eine in seinem tiefsten Gemüt wurzelnde, sein ganzes Wesen durchdringende heilige Ueberzeugung, daß er trotz allen vergangenen, gegenwärtigen und künftigen Widerwärtigkeiten zu Glück und Glanz berufen und auserwählt sei, vergoldete seine Dachkammer, überzuckerte sein trocken Brot und wiegte ihn in den süßesten Schlaf, wo eine anders geartete Natur in Angst und Sorgen die Nächte durchwacht und sich graue Haare büschelweise hätte wachsen lassen.

Das schöne Trostwort: »Wo die Not am größten, ist die Hilfe am nächsten!« war ihm der oberste Grundsatz aller Moral und Lebensklugheit. Ja, der denkwürdige Spruch galt ihm so sehr als Gesetzbuch und Evangelium, daß er in allen bösen Tagen mit Bewußtsein seine Lage noch mehr verschlechterte, nur um der erlösenden Hilfe, die seiner Ueberzeugung nach auf dem Gipfel der Not niemals ausblieb, um etliche Tagereisen näher zu kommen, als er sie sonst wähnte.

5 Von diesem fatalen Glauben, daß es einem nur erst recht herzlich schlecht gehen müsse, wenn sich das Blättchen zum besseren wenden solle, war er so durchdrungen, daß er, der sonst gar nicht unter die Narren gehörte, einem in solchen Augenblicken um seinen gesunden Menschenverstand ernstlich bange machte.

Robert aber lachte der Bedenken. Er übe nur, was das Leben ihn gelehrt, und glaube nur, was die Erfahrung ihm bewiesen habe, rief er, schlug ein Schnippchen in die Luft und pfiff sich ein Lied, wenn ihm auch das Wasser schon an den Kragen ging.

Was war mit einem solchen Menschenkind anzufangen? Was war aus einer solchen Natur zu machen? . . . Ein Künstler oder ein Tagedieb, vor allen Dingen das, was man einen Zigeuner nennt.

Ueberleg' ich es genau, so war Robert Leichtfuß alles das in einer Person. Aber der tolle Kauz war dabei ein echter Mensch; man konnte ihn nicht sehen, ohne ihn lieb zu gewinnen.

Schon die Augen, die er hatte, thaten es einem an. In diesem Blick war kein Arg und kein Falsch. Ein treues Herz und ein fester Wille, welche die gemeinen Dinge dieser Welt nicht anfochten, leuchteten jedem aus seinen Blicken entgegen. Und die ganze Luftschicht von Sorglosigkeit, Frohsinn und Lebensfreude, die ihn, auch in einem Meer von Widerwärtigkeiten, von oben bis unten umflutete, zog einen wider Willen an. Es übertrug sich auf den Gesellen etwas von seinem frommen Trotz, mit welchem er dem Schicksal ins Gesicht lachte, selbst wenn es schauderhafte Falten zog. Man atmete leichter in seinem Dunstkreis und fand auch die Schwere des Daseins erträglicher, wenn man zusah, wie er sein Teil auf die leichte Achsel warf.

Ich sehe ihn noch vor mir, wie er mir das erste Mal entgegen kam, die bunte Mütze schief überm Ohr, das lange schöne dunkelbraune Haar im Winde, Hals und Brust weit offen, mit einem lächelnden Munde, den damals noch kein Barthaar beschattete, und der immer aussah, als säng' er, und man höre es nur nicht, weil man so ganz Auge war, den schönen Burschen zu betrachten.

Das war auf der Tübinger Brücke. Unten fuhren die »Jockele«, die Flösser, den Neckar dahin und schimpften zu den Studenten hinauf, die droben über der Brüstung lehnten oder ritten und den Lenkenden auf dem Fluß den Spitznamen zuriefen, der sie grimmig erboste, so oft und unausweichlich sie 6 denselben auch an dieser Stelle von Urväter Zeiten her zu hören bekamen. Und dorten an den Studenten vorüber zogen die Handwerksburschen mit bestaubten Schuhen, das bestaubte Ränzel auf dem Rücken, den roten Regenschirm unterm Arm und den uralten Hut in der Hand.

Denn die Studenten waren lustige Leute, und lustige Leute huldigen dem Grundsatz: »Leben und leben lassen!«

Ein solcher »Bruder Straubinger« – er trug eine schmiergelbliche Bluse, und sein Hut war mit schwarzem Wachstuch überzogen, das brüchige Fältchen grau linierten – begegnete Robert, der, über den Zorn der Schiffer lachend, gegen die Stadt heimtrollte.

Er hielt diesem den Hut vor und ließ den Kopf rechts über die Schulter hängen. Es war gar kläglich anzusehen. Und was er dazu sprach, war wohl nicht minder kläglich. Doch konnt' ich es nicht hören, denn der verschämte Bursche redete nicht laut und wandte mir, der ihm folgte, den Rücken zu.

Robert aber, der mir das Gesicht zukehrte, machte eine seltsame Miene, darin sich Mitleid und Uebermut komisch genug bekriegten. Die langen Wimpern zwinkerten, als er in die Tasche griff.

»Da nimm!« rief er dem staunenden Knoten zu und warf ihm einen blanken Thaler in den Hut. . . . »Es ist, weiß Gott, mein allerletzter!«

Und wie von einer Last befreit aufatmend ging er vergnügt des unterbrochenen Weges weiter.

Der Wanderbursch aber brauchte eine Minute, um sich von dem Schreck zu erholen, und lief ihm dann nach, gar demütiglich zu fragen, ob denn das Ernst wär', ob sich der Herr Studiosus nicht vergriffen hätt'. »Laß mich zufrieden und scher' dich zum Kuckuck!« antwortete lachend Robert Leichtfuß.

Dem andern aber ward's naß um die Augen. Und oft im späteren Leben, wenn ich mich über des Unverbesserlichen heillose Wirtschaft erboste, fiel mir der arme fahrende Handwerksbursch auf der Neckarbrücke wieder ein, und sah ich diesen im Geiste wieder vor mir, wie er den Flaus des lockeren Studio an seinen Mund führte und mit einem Blick staunender Dankbarkeit zu ihm aufsah – ein armer Teufel zum andern –, da konnt' ich Robert nimmer gram sein, dem Manne mit dem goldenen, leichten Herzen.

Ich war damals in Tübingen noch schlichter Privatdozent der Chirurgie und hielt meine junge Würde keineswegs vom Verkehr mit der akademischen Jugend in ängstlicher Ferne. 7 Immerhin war ich schon eine Respektsperson, und als sich der Student wider Verhoffen einem solchen Zuschauer gegenüber sah, kam's wie Scham über sein Gesicht, und gleichsam entschuldigend sagte er zu mir, dem er noch nicht vorgestellt war: »Der eine Thaler, Herr Dr. Kerschbaum, hätte mich auch nicht aufgerichtet!«

Mich aber entzückte die leichtfertige Herzensgüte des flotten Jünglings, ich suchte seine Bekanntschaft und wir wurden Freunde.

Der kleine Streich, der ihn mir lieb gemacht, erschien mir bald in noch rosigerem Licht, als ich mich überzeugte, daß Robert für den weggeworfenen Thaler sich gar keinen Nachwuchs erwarten durfte. Die Quellen, aus denen ihm eine Zeitlang Geld zugeflossen, waren versiegt. Das Sümmchen, welches er »sein Vermögen« schimpfte, war, wie man's damals nannte, »verstudiert«, kaum daß er zu studieren angefangen hatte.

Das heißt, mit dem Studieren war das auch so eine eigene Sache. Er selbst begriff schon damals nicht, wie er eigentlich zu dem Entschluß gekommen sei, die Hochschule zu beziehen und einem trockenen Brotstudium sich zu widmen. Er war eben mit der Herde gelaufen und also übers Gymnasium an die Universität gelangt. Was wollt' er hier? Was sollt' er in diesen Sälen, auf diesen Bänken?

Das, was er überall mußte. Er war mit sehenden Augen zur Welt gekommen und hatte seine Hand geübt von klein auf, ohne über seine Begabung nachzudenken, ohne seinen Beruf darin zu erkennen. Er war ein Maler und zeichnete und malte, wo er saß und wo er stand, und doch mußte erst die bittere Not ihm sagen, daß man damit auch seinen Lebensunterhalt verdienen könne.

Anfangs vermochte die Kunst, so wie er sie betrieb, nicht besonders viel zur Verbesserung seiner Lage beizutragen. Er schickte Zeichnungen an illustrierte Zeitungen und Witzblätter; aber die Redaktionen derselben erkannten damals noch nicht, mit welchem Stift sie es hier zu thun hatten, oder auch sie wollten nicht dergleichen thun, um ja die armseligen Honorare nicht erhöhen zu müssen, die sie für diese damals noch unerbetenen Einsendungen gewährten.

War er durch solche Lohnarbeit einigermaßen über Wasser, so kümmerte er sich keinen Deut um Zeitschriften und andern Erwerb, sondern lag, wie er sich auszudrücken pflegte, »der Natur auf dem Halse« und zeichnete, was ihm unterkam, Menschen, Steine, Pflanzen und Tiere, ohne davon andern Vorteil 8 einzuheimsen als ein volles Skizzenbuch und ein am Schönen erquicktes Herz.

Die Beziehungen zu den wenigen Leuten, welche Geld für seine Thätigkeit hergaben, rissen in solchen Zeitläufen gewöhnlich ab und waren nachher, wenn wieder Schmalhans Küchenmeister geworden, keineswegs immer anzuknüpfen.

Robert ließ sich darüber keine Sorgen anfechten, denn in seinem Wesen vereinigten sich die seltsamsten Gegensätze zu einem behaglichen Ganzen. Er war heute just so verschwenderisch, wenn er's dazu hatte, wie er morgen bedürfnislos war, wenn es sein mußte. Er konnte arbeiten wie ein Galeerensklave und faulenzen wie – ein Künstler.

Da, als er eines Tages gar nicht mehr aus noch ein wußte, bekam er, unverhofft wie nur je eine, die Nachricht, daß irgend ein Vetter achten oder neunten Grades, den er nie im Leben mit Augen erblickt, der weiß Gott wo in einem weltvergessenen Erdenwinkel als frommer Pfarrer seine Tage beschlossen, ihn zum Erben seines Nachlasses eingesetzt habe.

Die unerwartete Wohlthat war sicherlich aus dem Glauben geboren worden, der Student in Tübingen würde sich, gleich wie vordem der Erblasser, der Gottesgelahrtheit widmen. Aber Robert war damals längst nicht mehr in Tübingen, und bar Geld lachte ihn an, wenn es auch nach Abzug aller Schulden, Sporteln und Spesen keine Summe war, von der man viel Aufhebens machen konnte.

Doch zu einem Sprung über den Rhein und die Vogesen und zu zwei oder drei armen Jahren fleißigen Kunststudiums langte das Pfarrersgeld wohl aus. Robert fuhr nach Paris und wollte dort malen lernen.

Er hat es auch gelernt. Schon eins seiner ersten Bilder ward, zwar nicht glänzend bezahlt, aber immerhin gut verkauft. Und das Leben ging bei ihm wieder aus dem Vollen los.

Als ich ihn aber einige Jahre später – ich war nun schon ein Weilchen außerordentlicher Professor und nützte meine Ferien aus – in der alten Lutetia heimsuchte, fand ich ihn nicht in seinem Atelier auf dem Montmartre, sondern in einem kahlen Stübchen des lateinischen Viertels, wo er sich ganz und gar anatomischen Studien verschrieben hatte.

Ein eklatanter Mißerfolg, den er mit einem größeren Bilde davongetragen und den ungünstige, falsche Freunde auch in öffentlichen Blättern gegen den deutschen Maler ausgebeutet hatten, war die Veranlassung zu Gewissensbissen eigener Art geworden. Eine auffallende Verzeichnung, die man ihm 9 aufgemuzt hatte, rührte nach seinem Glauben nicht vom falschen Sehen, sondern von mangelhafter Kenntnis des menschlichen Knochenbaues her. Eh' er diesem Mangel nicht mit aller wissenschaftlichen Gründlichkeit abgeholfen haben würde, solle kein Mensch ein neues Bild von ihm zu sehen bekommen.

Er hauste schon eine geraume Weile unter diesen Studenten aller Länder und Zungen, zeichnete ihre Gesichter, ihre Ellbogen, ihre Kniee, wenn er beim Essen, wenn er im Kaffeehause, wenn er auf dem Boulevard saß, und war in allen anderen Stunden des Tages emsig hinter der Aufgabe her, die er sich gesetzt und nahezu schon erreicht hatte.

Nun sollt' ihm einer kommen, rief er mir ordentlich anzüglich zu, was einer vom Körperbau des Menschen verstände, sei er Professor der Medizin oder Bildhauer und Mitglied der Akademie, er wüßte davon ebensoviel oder mehr, und er sehnte sich danach, es zu beweisen. Er lechzte jetzt nach Pinsel und Palette. Bald darauf zog er denn auch wieder auf den Berg der Märtyrer.

Aber wie sollt' es da droben weitergehen! Und wie hatte er dort unten gelebt im Thale der Spötter, auf dem andern Ufer der Seine! Die Erbschaft des Pfarrers, der Erlös seiner ersten glücklichen Bilder waren lang in alle Winde geflogen. Robert sah matt und mager aus. Aber dabei war er sorglos und übermütig wie ein junger Kater, der zum erstenmal über mondbeschienene Dächer schleicht. Er war drei volle Monate nicht auf den großen Boulevards gewesen und freute sich an allem und jedem, was er sah, als wär' er den ersten Tag in Paris, und wäre die Stadt für ihn allein entdeckt worden.

Merkwürdigerweise ging er aber gar nicht sofort daran, ein figurenreiches Bild zu entwerfen, damit er in gewaltiger Komposition voll herkulischer Muskulaturen und Michelangelesken Verrenkungen der Welt zeigen mochte, was er alles auf dem andern Ufer in der Zeit seiner Zurückgezogenheit gelernt habe – das müsse sich erst setzen, sagte er, und er müsse vorerst auslugen, wie die Welt eben liefe und womit Sous zu verdienen wären – sondern er malte ganz und gar nichts. Noch nichts! wie er mich belehrte. Es streckte ihm die Finger nach seinen Pinseln und Farbenschläuchen. Aber es ging noch nicht, daran zu rühren. Warum nicht? Er hatte noch zu viel Geld und hatte Paris so lange nicht gesehen!

Viel Geld? Wieviel denn? Fünfhundert Franken! Mit fünfhundert Franken – der Erlös einiger gelungenen Aquarelle 10 aus früherer Zeit – mit fünfhundert Franken in der Tasche konnt' er nicht malen! Davon verständ' ich nichts!

Nun denn, die fünfhundert schmolzen bald zu zweihundert, zu einhundert. Gestern waren's nur fünfzig, heute zehn, morgen werden's nur zwei sein.

Und nach den Zweien kam die Null. Aber Robert malte noch immer nicht.

»Thörichtes Menschenkind!« rief ich, »warum fängst du denn nicht endlich an?«

»Was denn anfangen?« gab er mir zur Antwort. »So einen Raub der Sabinerinnen oder eine Amazonenschlacht? Wo lauter nackte Körper in schönem Durcheinander meine anatomische Meisterschaft bekunden? Glaubte mir ja niemand! Sie haben die faulen Feuilletonfloskeln noch nicht vergessen. Warten wir's ab!«

»Abwarten! Kannst du's denn? Du weißt nicht, wovon du morgen deinen Hunger stillen willst.«

»Von Brot und Käse, Freund. Ich habe gestern schon also dejeuniert und diniert.«

»Morgen langt's aber kaum zum Käse mehr!«

»Abwarten! sag' ich dir. Das eben ist die rechte Höhe. Jetzt wird sich etwas Besondres ereignen. Ich kenne das, ich weiß das. Du paß nur auf!«

»Entsetzlicher Leichtsinn!«

Er würdigte mich keiner Antwort. Die Hände behaglich in den leeren Taschen vergraben, mit lustig schaukelnden Schritten bewegte er sich frohgemut das italienische Bollwerk entlang, blieb vor allen Schaufenstern stehen und lächelte zuversichtlich jedem hübschen Gesicht entgegen, das ihm vorüberkam, als trüg' er die Schätze eines Nabob hinter seiner Weste und könnte die Herrlichkeiten der ganzen Welt und die Schönheiten derselben mit Gold aufwiegen, sobald ihn das gelüstete.

Also schlendernd, gelangten wir nahe bei der Straße Taitbout zu dem Laden desselben Kunsthändlers, der ihm jüngst einige Bilder in Wasserfarben abgenommen und nicht zum eigenen Schaden bezahlt hatte.

Trotzdem war der Empfang nicht allzu freundlich. Der geriebene Geschäftsmann kannte meinen wunderlichen Freund bereits gut genug, um zu wissen, daß dieser sich nicht bei ihm sehen ließ, wenn er noch einen Franken im Sack hatte, er knüpfte sich, um nur ja seinen Vorteil nicht zu gefährden, von vornherein bis an den Hals zu und spielte den Ueberbeschäftigten und Zerstreuten.

Er hatte dabei durchaus kein Hehl, daß er soeben, ja vor 11 kaum einer halben Stunde ein glänzendes Geschäft gemacht habe. Und mit sich selbst zufrieden und voll dankbarer Bewunderung für den Urheber seiner Freude blieb er ein übers andremal händereibend und zungenschnalzend vor einem kleinen Bilde stehen, das, nun nicht für lange mehr, auf einer mit besonderer Genauigkeit ins Licht gerückten Staffelei thronte.

Es war das Werkchen eines in den letzten Jahren des Kaiserreichs in Mode gekommenen Malers, von dem damals, was man so »ganz Paris« nannte, voll Ruhmes war. Die Mode hatte das allerdings nicht geringe Verdienst hoch auf den glänzenden Schild gehoben, und die kleinen kokett gesehenen, mit peinlicher Sorgfalt und Geduld ausgeführten Seinelandschaften wanderten zu fabelhaften Preisen in die Salons zahlungsfähiger Liebhaber diesseits und jenseits des Ozeans. Nennen wir ihn Tiburtin.

Die Leinwand, die eben jenem Kunsthändler überlassen worden, war keine von den besten des Malers. Das früh ermüdete Genie des früh berühmt und reich gewordenen Mannes schien eine Pause zu machen und der Erholung bedürftig zu sein.

Immerhin trug die Arbeit auch so noch den Stempel des Meisters in der ganzen Anlage der Landschaft, sowie in der Ausführung einzelner Partien. Und der Händler ereiferte sich, seine heilige Ueberzeugung zu verfechten, daß nie ein besseres Werk aus der berühmten Werkstatt hervorgegangen sei, wogegen Robert, noch immer die Hände in den leeren Taschen vergraben und den Hut schief auf dem Kopf, sich nicht irre machen ließ und die Schwächen klar stellte, die nach seiner Meinung von diesem goldenen Rahmen eingefaßt wurden.

Von seinem eigenen Wünschen und Begehren verlautete noch immer keine Silbe. Roberts Denken und Empfinden war ganz bei dem fremden Meister.

Der Händler verlor die Geduld.

»Ach, Monsieur Robert!« rief er aus, »was singen Sie mir da vor! Ich versichre Sie, wären Sie mit all Ihrer gelehrten Kritik im stande, solch eine Landschaft auf die Leinwand zu schreiben, mit Gold würd' ich sie Ihnen bedecken, während jetzt . . .«

Mein Freund ließ den Mann nicht weiterreden. »Ich halte Sie beim Wort, Herr Lefranc. Was geben Sie mir, wenn ich Ihnen so ein Ding male? Man soll es von andern Meisterstücken Ihres Modemalers nicht unterscheiden! Auf Ehrenwort! . . . Also wieviel für einen rechten echten Tiburtin?«

Der Kaufmann wehrte solche Worte, die er bislang nur für 12 schlechte Scherze eines hungrigen Mannes achtete, mit ärgerlichen Händen ab und wollte Ruhe haben vor derlei Zeitvergeudung.

Robert bestand auf seinen Vorschlag. Der andre habe an seine Künstlerehre gerührt und sei ihm dafür Genugthuung schuldig. Robert ward nun auch zornig.

»Das thut mir leid, und ich bitte um Vergebung, wenn ich Sie gekränkt habe,« versetzte einlenkend der Franzose. »Sie wissen, daß ich großes Vertrauen zu Ihrem Talent hege. Hab' ich es doch unlängst mit klingender Münze bewiesen. Aber die Hand aufs Herz, und es braucht niemand zu kränken: wer das – er wies auf die kleinere Landschaft im breiten Goldrahmen – gemacht hat, ist einzig in seiner Art, und auch Sie, mein Herr, machen es ihm nicht nach!«

»Und ich sage Ihnen, mein Herr, Sie sollen ein Bild erhalten genau in der Manier dieses Meisters und nicht geringer an künstlerischem Werte als das hier gegenwärtige!«

»Wenn Sie das könnten!« antwortete sinnend in seine kostbare Leinwand verloren der Händler. Es schien ihm eine Ahnung von möglichem und großem Gewinn aufzudämmern.

»Und Sie bedecken mir die Leinwand mit Gold?«

»Gold, Gold!« jammerte Lefranc. »Das sagt man so hin. Aus der Umgangssprache in die Geschäftssprache übersetzt . . .« Er stockte und rief dann: »Aber wer sollte denn entscheiden, ob Sie den Meister Tiburtin erreicht, ob Sie ihm auch nur nahe gekommen sein werden . . .«

»Wer? Wen immer Sie zum Urteil berufen! Vor allen Sie selbst, der Sie der zuverlässigste Richter in dieser Frage sind!«

»Aber doch Richter in eigener Sache!« sprach abwehrend der Geschmeichelte.

»Wenn ich mich Ihrem Urteil unterwerfe, Herr Lefranc, wer sonst soll Einspruch dagegen erheben? Also rasch! Ich brauche Geld, Sie brauchen einen Tiburtin. Ich werde Ihnen malen, was ebensoviel wert sein wird in den Augen der Kenner und schwerlich von jenem zu unterscheiden . . .«

»Und ich werde doch niemand damit betrügen,« entgegnete der Händler, sich scheinbar erbosend und doch vor Gier verlegen, unschlüssig den Knebelbart krauend.

»Das sollen Sie auch nicht! Ich werde das Bild mit meinem Namen zeichnen, damit die Welt wisse, daß was Ihr Tiburtin kann, auch noch andre Leute zu machen verstehen.«

Nun aber sah ihn der Händler recht betroffen an; er kam mir wie aus allen Himmeln gefallen vor. Bald jedoch faßte 13 er sich und sagte lächelnd: »Alsdann ist es aber auch kein echter Tiburtin, wenn Sie das Ding mit Ihrem eigenen schätzbaren Namen zeichnen, und ich werde es nicht mit Gold bedecken.«

»Was Sie damit machen werden, ist mir einerlei. Wieviel geben Sie mir, wenn mein Werk Ihren kaufmännischen Absichten entspricht? . . . Dreitausend Franken?«

Der Händler schrie auf und schlug die Hände über dem Kopf zusammen. Allein es war trotz dieses entrüsteten Gebarens in seinem Reden und Thun ein gewisses Etwas, das mir andeuten wollte, seine Habsucht wittere da ein gutes Geschäft.

Und auch Robert mußte davon Ahnung haben, denn er blieb dreist auf seiner Forderung bestehen, der Graubart mochte hin und her bieten und dazu fluchen und schwören, wie es ihm einkam.

Endlich nahm mein Freund die Klinke in die Hand und wollte fortgehen unverrichteter Dinge.

Da einigten sie sich zwischen Thür und Angel im letzten Momente auf eintausendsiebenhundert Franken. Der Bilderhändler mußte doch große Stücke auf den Zigeuner neben mir halten, wenn er sich zu einem solchen Angebot verstand gegenüber einem Maler, der vor kurzen Monaten von der tonangebenden Kritik verurteilt worden war.

»Aber es muß ein wahrer Tiburtin sein!« rief er dem Fortgehenden sauersüß schmunzelnd nach.

»Keine Sorge! Und Sie bedecken mir die Leinwand mit – dem Gold von eintausendsiebenhundert Franken! Mein Landsmann hier ist Zeuge unsres Handels!«

»Meinen zweiten Tiburtin soll er teurer bezahlen!« sagte Robert ingrimmig zu mir, als wir wieder auf dem Pflaster gingen.

»Ja, aber –« ich wollte meine Zweifel nicht deutlicher ausdrücken und unterbrach mich selbst. Doch Robert hatte mich schon verstanden.

»Ein rechter Künstler muß alles machen können!« rief er, »und du wirst es schon sehen!«

»Aber deine anatomischen Studien . . .«

»Man lernt nichts umsonst, auch wenn man es nicht jeden Tag braucht!« Damit ging er davon, um, wie er sagte, alles was nötig war, zu ordnen, denn morgen mit dem frühesten wollt' er hinaus aufs Land und an passender Stelle seinen Regenschirm aufstellen, unter welchem der gewisse Tiburtin begonnen und vollendet werden sollte.

14 Der wundersame Mensch mußte sich in der That schon viel mit dem erwählten Muster zu schaffen gemacht und vollkommen in dessen Weise sehen gelernt haben, denn als ich ihn nach etlichen Wochen draußen hinter Ville d'Avray einmal im Freien aufsuchte, fand ich ihn mit einem Bilde beschäftigt, das, soviel ich davon verstand, allerdings in der Manier Tiburtins entworfen war und in dessen Farbenstimmung, die kleinen Eigentümlichkeiten des Gefeierten nicht vergessen, gemalt wurde.

Ich konnte die Vollendung dieser interessanten Arbeit nicht abwarten, da ich in den nächsten Tagen auf meinen klinischen Lehrstuhl zurückkehren mußte. Ich hörte dann lange nichts von Robert, denn Briefe schrieb er nicht. Als ich aber viele Jahre später in New York, wohin ich, um an einem reich gewordenen Landsmann eine ziemlich gefährliche Operation vorzunehmen, berufen worden war, nach vollbrachter That mich auch um die nicht medizinischen Sehenswürdigkeiten der nordamerikanischen Großstadt kümmerte und also auch eine der berühmtesten Privatgalerieen durchstreifte, fesselte mich plötzlich ein Landschaftsgemälde, das mir beim ersten Anblick zuzurufen schien: Ei ei, wir sind doch alte Bekannte!

Ich beguckte es lange von allen Seiten und überzeugte mich, daß ich genau die Leinwand vor mir hatte, welche Robert für den Bilderhändler Lefranc draußen hinter Ville d'Avray begonnen hatte.

Ich blätterte hastig im Katalog die Nummer auf . . .

»Alexandre Tiburtin« stand neben derselben und »Au bord de la Seine. Non signé.«

Nicht gezeichnet? Dazu sollte mein leichtsinniger, aber braver Robert sich hergegeben haben? Niemals!

Ich brachte meine Augen so nahe an die Leinwand, als möglich war, und forschte darauf herum in beflissener Besorgnis. Ich fand nichts, was Buchstaben ähnlich war. Allein ich fand, daß rechts unten in der Ecke, genau an der Stelle, wo mein Freund seine Bilder zu zeichnen pflegte, der Vordergrund mit so dunklen Tinten belegt war, daß man überhaupt gar nichts unterschied, als etliches langes Gras, dessen lichtere Spitzen sich aus morastartigem Schwarz abhoben.

Je länger ich diese finstere Stelle betrachtete, desto klarer ward mir, daß der geriebene Händler auf dem Boulevard oder vielleicht ein noch geriebenerer Zwischenhändler in der neuen Welt den ehrlichen deutschen Namen meines Robert durch einen geschickten Handlanger in diesem Sumpf von Tinten ertränkt habe. Und nun hatte ich einen ganz waschechten Tiburtin vor 15 mir, nur leider »non signé«. Aber wievielmal eintausendsiebenhundert Franken mochte dafür der Nabob gegeben haben, der nunmehr mit großem Stolz und in gutem Glauben seinen Gästen versicherte, einen wirklichen Tiburtin in seiner Galerie zu besitzen.

Eitelkeit der Welt! Eitelkeit der Eitelkeiten!

Wie lange Robert Leichtfuß dazu gebraucht hat, die eintausendsiebenhundert Franken des spitzbärtigen Bilderhändlers zum Fenster hinauszuwerfen, weiß ich nicht. Denn, wie schon gesagt, viele Jahre vergingen, bis ich ihn endlich wiedersah. Dazwischen hatt' ich in der fernen Fremde nichts oder doch sehr wenig von ihm gehört, während sich mit ihm allerhand zugetragen hatte, was nicht spurlos an seinem äußeren, auch nicht spurlos an seinem inneren Menschen vorübergegangen war. Armer Freund!

Anfangs zögerte Robert von seinem Schicksal zu reden. Nachdem ich ihm aber berichtet hatte, wie ich vor einiger Zeit seine Seinelandschaft fern über dem Weltmeer in eines Yankees Privatgalerie und mit welcher Bezeichnung ich sie wiedergefunden, da kam die Erinnerung der vergangenen Tage mit Macht über ihn und aus seinem Munde stürzten herbe Worte, deren Sinn ich nicht gleich verstand.

Ich sagt' ihm das. Da fuhr er sich mit der Hand über die Stirn, ergriff mich mit der andren bei meiner rechten, und indem er sie, innere Bewegung dabei meisternd, recht heftig preßte, sprach er: »Es kommt mir immer seltsam vor, wenn ich höre, daß einer meiner Freunde nichts von meinem Schicksal wisse. Ich meine, die Spatzen pfiffen es auf dem Dach.«

»Bist du so eitel geworden?« fragte ich.

»Mit nichten!« gab er zur Antwort. »Das Leben hat meine Eitelkeit – wenn ich je solche besessen habe – in eine herbe Kur genommen. Ich rede nicht einmal gerne davon. Du aber willst, daß ich dir erzähle, wie mir's ergangen. So komm, setzen wir uns in diesen Winkel. Du sollst dich wundern, was es für Menschen gibt auf dieser Welt!«

Da saßen wir lang und oft bei einander. Er redete, und ich horchte. Wahrlich, ein wunderliches Schicksal! Ich gebe, was er mir erzählt, so ziemlich in seinen eigenen Worten wieder.



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