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Wenn der Maler stundenlang neben dem Säugling saß und andachtsvoll zuguckte, wie derselbe gewaschen, genährt und aus- und wieder eingewickelt wurde, wenn er sich seiner jungen Vaterschaft dabei so recht von ganzem Herzen freute, so sagte er sich doch auch, daß seine alte Theorie hier wieder einmal zum besten geholfen habe.
Sein Hausfrieden, sein Eheglück war durch Emmas wachsende Launen immer mehr und mehr in Frage gestellt worden; ein andrer hätte sich wunder wie klug gedünkt, wenn er am Gemüt seiner schöneren Hälfte herumdokterte und sich den Kopf zerbrach, um diesen Uebelständen psychologisch beizukommen und bald dies, bald jenes Mittel zu probieren, ob es nicht die alte Liebe und das alte Behagen wiederherstellen möchte; Robert Leichtfuß hatte Gott einen guten Mann und seine Liebste eine böse Frau sein lassen, hatte derweilen unbeirrt ein Bild ums andre angefangen und fromm auf irgend ein Ereignis gewartet, das, wenn erst die Not am größten und es mit Emma gar nicht mehr zum Aushalten sei, mit einem Schlag alles ins Gleiche bringen und ihn durch die Nacht des Verdrusses blitzschnell ans goldne Licht des Friedens und der Freude führen werde.
Da war das Ereignis! Da war ein kleines, liebes, zullendes Kind und er, der glückliche, leichtsinnige Mensch, war der Vater und Frau Emma war die Mutter, und so mußte dies neue Bindeglied zwischen den beiden Eheleuten alle Gefahr der Entfremdung beseitigen und das alte Band der Liebe und Eintracht fest und immer fester anziehen, bis daß kein Entrinnen mehr möglich und der Friede Zeit ihres Erdewallens gesichert war.
So meinte Robert. Und wenn er sein süßes Ungetüm bestaunte, das nun schon nicht mehr krebsrot war, sondern in 76 seinem Spitzenhäubchen eine sehr menschliche Gesichtsfarbe und darin zwei große blaue Augen aufwies, wenn er es auf den Knieen wiegte, in die spärlichen blonden Härchen küßte und mit hundert süßen Unnamen rief, da erfüllte ihn neben dem seligen Bewußtsein des Vaters auch die tröstende Hoffnung des Gatten, die Hoffnung: Emma werde ihr Kind lieben, wie er es liebte, mit ganzer Seele, abgöttisch, überglücklich, und so hinge es eigentlich nur von ihrer völligen Genesung ab, daß die Flitterwochen aufs neue beginnen und er, wie er der glücklichste Vater war, auch wieder der glücklichste Gatte sein würde, nach wie vor. Und warum auch nicht? –
Zunächst brauchte nun Frau Emma geraume Zeit, um ihre alte Gesundheit und Frische wiederzugewinnen. Sie kränkelte ziemlich lange und stellte dabei die Geduld des braven Hausarztes auf manche Probe. Dabei war sie über die Maßen nervös und reizbar. Sie bedurfte der größten Schonung und jeder Rücksichtnahme. Ihre Mutter, die jetzt an Stelle der kränkelnden Hausfrau die Zügel des Regiments in die Hände genommen hatte, fand dies nur allzu gerechtfertigt und sorgte dafür, daß ihrer Tochter jede Störung und wo irgend möglich jede und die kleinste Aufregung ferngehalten wurde.
Auch das Wickelkind regte sie des öfteren ziemlich auf. Denn dieses nahm in seiner lallenden Unschuld keine Rücksichten auf die Reizbarkeit der armen Frau Mama und äußerte Schmerz und Verlangen in so ungemilderten Lauten, daß es meist nach kurzem Besuch in die dem Schlafzimmer entferntesten Räume verbannt werden mußte.
Das machte sich Robert zu nutze, der mit Freuden seiner kranken Frau die Sorgen um das gesunde Kind abnahm und sein Lager neben der Ammenstube aufschlug. Wehe der saumseligen Wärterin, die sich etwas am Zeuge flicken ließ! Am Tage stand der Korbwagen mit der Neugeborenen meist neben der Staffelei im Atelier. Und Robert war des Nachts der erste aus dem Bette, wenn Lärm geschlagen wurde. Doch das kam selten vor. Klein-Erna war bald ein artiges und vernünftiges Kind, das feste schlief bis an den grauenden Morgen und den Menschen, die sein warteten, weniger Beschwerden machte, als andre seines Alters.
Frau Leichtfuß fürchtete nichtsdestoweniger solche Störungen viel zu sehr, um ihre Nachtruhe der Gefahr auszusetzen. Sie überließ die Pflege des kleinen Wesens, das sie zur Welt gebracht, getrost und ruhig den Mägden, die sie dafür reichlich bezahlte, und dem Gatten, der sich, nach ihrer und der Meinung 77 ihrer Mutter, vor eben diesen Mägden etwas lächerlich machte mit seiner Affenliebe.
Allein auch in den seltenen Tagesstunden, da Emma das Bedürfnis äußerte, ihr Kindchen bei sich zu haben, und da dieses schlafend oder doch schweigend neben ihr lag, sah sie das kleine Ding mit so trockenen, kalten, man möchte sagen feindseligen Augen an, daß Robert, wenn er sie beobachtete, alte italienische Erinnerungen ankamen und ihm war, er sollte wie die Abergläubischen dort über den Bergen den zweiten und vierten Finger gegen den bösen Blick ausstrecken, auf daß dieser dem Kinde keinen Schaden bringe.
Freilich war er trotz jener unbehaglichen Wahrnehmung von dem Liebreiz dieses Wunderkindes so fest überzeugt, daß er es nur für eine Frage der Zeit hielt, wann die Mutter gerade so vernarrt in seinen Liebling sein werde, wie er es seit dessen erstem Atemzuge war. Wie schon gesagt, Emma brauchte nur erst wieder ganz gesund und damit wieder für so sanften Eindruck empfänglich zu werden. Aber Emma beeilte sich ganz und gar nicht mit dem Genesen. Und auch nach Monaten, als der biedere kundige Hausarzt dem besorgten Gatten Wort und Handschlag darauf gab, daß er seine Frau Liebste als vollkommen wiederhergestellt betrachten und behandeln dürfe, trat sie aus ihrem brütenden Mißmut nicht heraus, trotzte auf ihre schrecklich angegriffenen Nerven und blickte ihr Kind nicht mit andren Augen an als vordem.
»Es sieht dir ähnlich!« sagte sie manchmal zu ihrem Gatten, wenn sie es lang' betrachtet und sich ja einmal dazu herbeigelassen hatte, ihm die kurzen weißblonden Ringelchen zu streicheln. Aber in diesem Urteil klang wenig Enthusiasmus, es lautete so verzichtend, ja schier bedauernd, als sollte es heißen: es gehört schon dein! Mir wäre ein schwarzhaariges lieber gewesen!
Robert begriff seine Frau nicht, die solch ein Kind gewöhnlich und nicht anders als andre Kinder fand. Solch ein Kind, das schon jetzt ganz erstaunliche Kunststücke leistete, das bereits den Kopf hochhob aus eigener Kraft, wenn man es auf den Bauch legte, das den Zeigefinger seines Vaters halbestundenlang ganz fest in sein Fäustchen fassen und mit ernster Entschiedenheit in sein Mäulchen stecken konnte! Jeden Tag zeigte dies Kind eine neue erstaunliche Eigenschaft. Und wie es gedieh!
Nein, der Arzt mußte sich doch täuschen: Emma konnte noch nicht ganz genesen sein! Und sie that auch nicht dergleichen.
Auf die Dauer wurde das merkwürdigerweise selbst Frau 78 Hermione zu toll, die doch sonst für Nervosität merkwürdig viel Verständnis und Nachsicht hatte. Und es riß ihr die Geduld.
Das kam daher, weil Brigitte nun endlich Hochzeit machen und die Schwester dabei nicht entbehren wollte. War diese doch die natürliche Zeugin ihres Glückes und mußte bei der Feier Staat machen neben ihr.
Emma zierte sich wohl noch immer ein Weilchen, aber endlich gab sie doch nach und erklärte sich in Gottes Namen für gesund . . . bis auf weiteres. Sie fuhr wieder in den Tiergarten und war für Besuche zu sprechen und ging ein wenig unter Menschen, wenn auch noch immer zurückhaltend und mäßig.
Robert jauchzte auf. Nun werde sich schon alles geben, bei vernünftiger Lebensweise und bei dem herrlichen Frühlingswetter! Wenn er die Augen von der Staffelei abhob, sah er auf das Kind in der Wiege neben ihm oder hinaus in den blauen lichtüberflimmerten lachenden Himmel, und sein altes leichtsinniges Herz war guter Dinge.
Derweilen oben im Atelier sich also Robert ein Märchen seiner Zukunft aus Sonnenstrahlen, Kinderlallen und Pinselstrichen spann und seine Frau drunten im Erdgeschoß in Unzufriedenheit, Neid und Reue stillschweigend zu ganz andern Hoffnungen und Wünschen gedieh, ging man zwischen beiden im ersten Stockwerk laut und geschäftig daran, Brigitten eine Hochzeit auszurüsten, von der man nicht nur im grünen Tiergartenviertel, sondern auch auf den Edelsitzen der Wolkenfels noch lange reden sollte.
Frau Hermione wollte den Leuten einmal zeigen, was vornehm sei und wie man eine Tochter, die Baronin würde, auszusteuern und zu feiern habe. Bei der ältern Emma war dazu freilich keine Gelegenheit gewesen . . . leider nein! aber das gute Kind Gitta, das erfüllte die so lang im stillen gehegten Wünsche ihrer fürsorglichen Mama und mußte dafür belohnt werden.
Daß Vater Meyer bei dieser stolzen Gelegenheit tief in seinen eisernen Schrank hineingreifen mußte, verstand sich von selbst. Und weil er oft genug hören mußte, daß sich das von selbst verstand, so wehrte er sich nicht über seine Kräfte. Daß er sein Opfer mit Freuden auf den Altar des Hauses legte, das konnte niemand behaupten.
Er schloß den eisernen Schrank vorsichtig auf und noch vorsichtiger wieder zu, ließ sich mit seiner überlegenen Hälfte nicht in fruchtloses Gespräch ein, sondern trug seine Verstimmung hinunter ins Erdgeschoß zu seiner Lieblingstochter, die noch verstimmter über die Heirat der Schwester war als der 79 Vater; und da saßen die beiden oft stundenlang beisammen und schütteten ihre schönen Herzen voreinander aus.
Emma war ja immer sein Liebling gewesen, sie verstand ihn, und sie war auch nicht mehr so blind verschossen in ihren Maler, daß sie ihm ein aufrichtiges Wort als Verbrechen gegen die Hausehre angerechnet hätte.
Gegen die Vornehmthuerei seiner Gattin hatte Heribert nichts einzuwenden, so lange sie die ohnehin weit genug gesteckten Grenzen des Hausbudgets nicht überschritt. Er konnte sich ja was erlauben und wollte sein Leben auch breitbehaglich vor den Augen neidischer Mitmenschen genießen. O ja, doch was zu weit ging, war vom Uebel. Für solche Vornehmheit hatte er gar keinen Sinn. Er hatte überhaupt keinen Sinn dafür, wenn er die Wahrheit gerade heraussagen sollte. Sein Sinn war lediglich auf Geld verdienen, viel Geld verdienen gerichtet; alles andre war Firlefanz in seinen Augen. Die Weiber konnten ohne Firlefanz nicht leben; wer wußte das nicht! Und für Geld konnte man sich allerhand Firlefanz anschaffen. Daß er aber nachgerade ganz allein für den Firlefanz verschiedener Familien sorgen sollte, das paßte nicht in seine Rechnung, nicht in seine Ueberzeugung, wenn er es auch dazu hatte.
»Ja, ja, ja, liebes Kind, mir, einem alten Kaufmann, kannst du es nicht übel deuten, wenn ich die Wahrheit bekenne: mit meinen Schwiegersöhnen habe ich kein Glück! Das sind keine produktiven Leute! Der eine, ohne den du nicht leben konntest, schmiert vom Morgen bis Abend kilometerlange Leinwand voll, ohne daß ein Hahn danach kräht, und der andre, daß Gott erbarm! über den deine Schwester und deine Mutter nicht aus dem siebenten Himmel auf die Erde herunterfinden, das ist – sag's ihnen nicht wieder! – ein vollendeter Tagdieb!
»Achtzigtausend Thaler Schulden! Hat man je von einem solchen Esel von Vater gehört, der um solches Geld sich einen solchen Krippenreiter ins Haus kauft! Aber wenn er glaubt, daß er seine adelige Lotterwirtschaft als mein Schwiegersohn fortsetzen könne, da werd' ich ihm zeigen, was 'ne Harke ist.«
Und dabei redete sich Heribert Meyer in furchtbare Hitze, just als widerspräche jemand seiner Meinung, obschon die einzige, die ihm zuhörte, bislang kein Wort verlauten ließ.
»Was bildet sich der Krautjunker denn ein? He? . . . Was kann er? Nichts! Was ist er? Nichts! Was bringt er meiner Tochter mit? Schulden! Himmelteufeldonnerwetter!«
Heribert Meyer war nie so wild und wütend, als wenn 80 ihm niemand widersprach und er diejenige, die ihm zu widersprechen gewohnt war, seine liebe Frau, weit weg wußte.
Emma hatte wenig Lust ihm zu widersprechen, allein diesmal ging des Vaters Mißmut doch zu sehr gegen ihre eigenen Gedanken an. Sie war ihrer Mutter Kind und wußte Vornehmheit gar wohl zu schätzen, auch wenn sie Geld kostete. Das Geld war in ihren Augen nur dazu da, um es andern Menschen auffallend und einleuchtend zuvorzuthun. Wie Geld verdient wurde, das war nicht ihre Sorge und kümmerte sie nicht im mindesten. Geld war immer vorhanden gewesen, in Hülle und Fülle, so daß sie sich des Geldes wegen niemalen auch nur einen kleinen Wunsch hätte versagen brauchen. Und über ihren zukünftigen Schwager dachte sie auch anders.
Darum sagte sie, als Heriberts ausströmende Wut sich in überstürzten Lauten eben verschnappt hatte: »Schütte das Kind nicht mit dem Bade aus, lieber Papa! . . . Jobst ist Baron, ein richtiger, echter! Kein Talmibaron, wie ihrer einige auch auf der Börse herumlaufen! Und er macht meine Schwester zur Baronin, was sie sich nicht an der Wiege hat vorsingen lassen. Das wiegt etliche kleine Lieutenantsschulden schon auf – in meinen Augen wenigstens, Papa.«
»Wie . . . wa . . .?! Kleine Lieutenantsschulden nennst du das?!« rief Heribert aus, und aus dem blutrot angelaufenen Gesichte schienen die weißen Augäpfel herauszuquellen. »Weißt du, wie viel Klugheit und Glück dazu gehören, um solch eine Summe zu verdienen? Nein, davon hat so ein Spatzenköpfchen keine Ahnung! Aber ich alter Mann, der ich vor etlichen und dreißig Jahren mit fünfzehn Thalern in der Tasche, auf zerrissenen Schuhen nach Berlin gekommen bin, ich kann dir ein Lied davon singen . . .«
Nun denn, Heribert sang der Tochter sein Lied vor, und er sang es in keifenden, gellenden Tönen, sang es so lang und so laut, daß er auf einmal selber über seine Stimme erschrak. Und wie er dabei seiner Emma ins Gesicht schaute und diese so ernsthaft entrüstet und so ganz und gar nicht überzeugt sich gegenübersitzen sah, da fiel ihm die Aehnlichkeit ihres Gesichts mit dem der Mutter auf. Das verduzte ihn wider Willen. Er stand auf, sagte nichts weiter, schritt im Zimmer ein paarmal zwischen Thür und Fenster hin und wieder und guckte, verlegen die Hände reibend, nur manchmal seitwärts nach der stummen Tochter hinüber, die, ohne sich zu regen, nach wie vor finster und streitbar vor ihm saß.
»Ich weiß wohl . . .« fing er nach einer Weile bedeutend 81 milderen Tones wieder an . . . »jedes Ding hat zwei Seiten, und unsereiner will ja nichts als das Glück seiner Kinder. Ist das mit Geld zu kaufen. mag es hinfahren in Gottes Namen! Es ist dann nicht verworfen. Brigitte schwört darauf, daß der Junker Jobst sie glücklich machen werde . . . . Na, dann ist's ja gut, und ich will keinen Pfennig zurückwünschen und noch mehr dazulegen. Der alte Meyer hat's ja, Gott sei Dank! . . . Aber hast du nicht auch darauf geschworen, daß der da droben (er deutete mit dem rechten Daumen gegen die Decke des Zimmers, über welcher, freilich in beträchtlicher Höhe, sich Roberts Atelier befand), daß der da droben dich überglücklich machen würde? . . . Ueber alle Maßen glücklich?! . . . Na, und wie steht's jetzt? . . . Die Hand aufs Herz, Emma! Bist du überglücklich?«
Die Stimme schlug dem aufgeregten Mann im Hals um, als sollt' er in Schluchzen ausbrechen. Sprachlos, an seinem Aerger schluckend, blieb er dicht vor seiner Tochter stehen.
Diese hatte das Angesicht tief gegen ihre Kniee geneigt. Sie gab keine Silbe zur Antwort. Sie seufzte nur und sah starr zur Erde.
Der alte Heribert brauchte nicht mehr zur Antwort. Warum sein verhätscheltes Kind sich nicht glücklich fühlte, ob sie nicht unbewußt, wie eine rechte Thörin das Glück, nur weil es eben ihr eigenes war, verbrecherisch mit Füßen von sich stieß, danach fragte er nicht. Ihm war genug, daß die Ehe, die er vordem so gern verhindert hätte, nun wirklich eine unglückliche war, daß sich sohin alle Ahnungen und Voraussagungen verwirklichten, und er nun ein volles Recht zu haben glaubte, den Mann, der ihm von Anfang an nie nach Geschmack gewesen war, zu hassen und zu verlästern.
Mit dem Instinkte, der ihm eigen war, merkte er bald, daß sein Fleisch und Blut sich nicht mehr empörte, wenn er über Robert sich nicht allzu schmeichelhaft ausdrückte. Seine Frau achtete derlei Aeußerungen nicht für vornehm, solange Robert noch zur Familie gehörte und kein offenbarer Skandal Aergernis gab, aber seine Tochter hielt es nicht mehr für geboten, dem Vater solche Erleichterung seines Herzens zu verkümmern.
Und so saßen sie oft in der Dämmerung beisammen und bestärkten sich in der Abneigung gegen den ahnungslosen Mann, der ihnen nichts gethan hatte als Gutes, und der in allen seinen Mußestunden noch immer dem Wahne nachhing, seines Weibes launisches Herz möge an einem dieser nächsten Tage sich liebevoll ihm wieder zuwenden.
82 Emma schwieg freilich, sowie die Rede auf ihren Gatten kam. Aber sie schwieg so beredt. Heribert wußte, was von diesem Schweigen zu halten war, und ließ seine Zunge erst recht rücksichtslos laufen.
So kam es, daß er sich an seinen eigenen Worten berauschte und sich nach und nach in einen solchen Haß gegen seinen Schwiegersohn hineinredete, daß er ihn bald auch schon im Verkehr mit diesem nicht mehr bemänteln konnte und sich von Emma, die solche unliebsame Begegnungen im Hause denn doch noch peinlich empfand, sanfte Vorstellungen gefallen lassen mußte, wenn sie wieder unter vier Augen in der Schlummerstunde beisammen saßen, und der Alte seinen Zorn gegen den einen Schwiegersohn auskramte, weil ihm der andere zuviel Geld kostete.
»Geh mir doch mit deinen Rücksichten, geh mir doch mit deinen Vorwürfen!« sagte er alsdann und preßte wieder die weißen Augäpfel so weit er's vermochte, aus dem roten Kopf. »Du glaubst ja selbst nicht, was du sprichst! Ich laß mir's nicht nehmen, du wärst froh und zufrieden und gesund, wenn du noch einmal zu wählen hättest!«
»Oh, oh! Was fällt dir ein, Vater!« rief Emma gar ehrsam abwehrend, wie es sich schickte. Im stillen jedoch war sie doch erschrocken, daß der Alte so gut in ihrem Herzen zu lesen verstand, was sie selbst sich zu entziffern noch nicht einmal den Mut gehabt hatte.
Heribert aber stand nicht an, ihr zu beweisen, daß er noch viel mehr in ihrem Herzen gelesen hatte, so schwarz es darin auch aussah. Er beliebte sogar manchmal ein wenig zu schwärmen und, um sein Töchterchen aufzuheitern, Schlösser in die leere Luft zu bauen.
»Er kostet mich viel Geld, der Baron Jobst! Weiß Gott! Aber ich sage dir, gleich legt' ich das Doppelte und das Dreifache hier auf den Tisch, wenn ich dich so glücklich wüßte wie Brigitte. Noch glücklicher solltest du sein als Brigitte! Bist du nicht die gescheitere, die schönere, die ältere? Warum sollst du nicht auch die glücklichere sein! Ein sauberes Glück, das deinige! Langeweile und verweinte Augen! Brigitte wird Frau Baronin . . . und du kannst froh sein, wenn sie sich nicht schämt, mit so einer bürgerlichen Frau intim zu verkehren!
»Was sagst du? Ein berühmter Künstler ist dein Mann? . . . Saubere Berühmtheit! Fällt bei allen Preisbewerbungen und Konkurrenzen durch und verkauft von sechs Bildern eins . . . und das schlecht! Was ist Berühmtheit? Wär' er berühmt, 83 müßten seine Bilder abgehen wie die warmen Semmeln. Berühmtheit, die sich nicht in Bargeld übersetzen läßt, ist Firlefanz!«
Wenn sie auch nicht mit Feuereifer zu entgegnen sich bemüßigt fand, das hielt Emma doch für notwendig, den Vater nicht zu weit gehen zu lassen und ihre Stellung in der Familie und darum auch die des nicht mehr geliebten Gatten zu wahren. Der Ruhm maß denn doch nach einer andern Elle als die Börsenskala. Robert hatte nun einmal keinen Erwerbsinn. Er verdiente, was er brauchte, während Ehren-Jobst in großer Verlegenheit wäre, sollt' er sich mit Arbeit von Kopf oder Händen sein tägliches Brot und Brigittens Sommertoiletten beschaffen. Er hatte erst sein Vermögen angebracht, und nun dies geschehen, sah er sich nach einem andren Vermögen um – hoffentlich nicht zu gleichem Zwecke!
In die Enge getrieben, zuckte Heribert die Achseln und warf schüchtern die Worte hin, die sonst so gar nicht in sein Credo paßten. »Dafür ist er doch ein Kavalier! . . .« Und nach einer längeren Pause fügte er dreister hinzu: »Du, Emmichen, hättest auch einen Kavalier haben sollen! Meine Töchter hätten überhaupt nur Kavaliere heiraten sollen! Bei Gott, ich kann mir das Vergnügen vergönnen! Ich kann's, wenn ich auch vor mehr als fünfunddreißig Jahren auf zerrissenen Stiefeln mit nicht ganz fünfzehn Thalern in der Tasche nach Berlin gekommen bin!«
Die Erinnerung an diese historische Thatsache hatte für den nunmehr so gesicherten Heribert immer etwas Rührendes. Und vollends in dieser Stimmung! Ganz Gemütsmensch, blieb er mitten im Zimmer stehen; die Hände tief in die Taschen seines Beinkleids vergraben, die Augen schielend nach der Hängelampe gedreht, ließ er halblaut die schweren Worte fallen: »Weißt Du, Emmerling, wer ein Mann für dich gewesen wäre? . . . Der Horst von Wolkenfels! . . .«
Frau Leichtfuß erschrak ein wenig, wenn sie sich's auch nicht merken ließ. Der Vater hatte zu gut in dem schwarzen Herzen gelesen; das war unbequem; das war schon unheimlich! Sie hielt's für nötig, sich wieder ein wenig zur Wehre zu setzen mit einem lachenden: »Was hast du für närrische Einfälle, Papa! Schäme dich doch ein wenig!«
Aber sie lachte bei diesem Verweise nicht wie jemand, dem unangenehm ist, das Gespräch weiterzuführen.
Der Alte sah sie verständnisinnig an und sagte überlegen schmunzelnd: »Horst ist genau von so altem Adel wie Jobst; er ist trotzdem viel klüger, nach meinem Geschmack auch der hübschere 84 von beiden, wie er zweifelsohne der stattlichere ist, und soll zudem ein guter Landwirt sein.«
Einmal das Steckenpferd bestiegen, galoppierte Heribert gleich weiter damit ins Blaue. »Ich hätt' euch ein Gut gekauft, ein sehr großes Gut, einen Komplex von zwei Rittergütern! Und da säßest du nun schon darauf eine Baronin Soundso. Ach, du meine Güte!«
Immer mehr und mehr verrannte sich der eigenwillige Geldmensch in diesen Gedanken. Sowie er nach des Tages Aerger und Ermüdung ins Plauderstündchen zu Emma kam, hatte er auch schon sein Steckenpferd aus dem Stall gezogen und tummelte es mit frischem Mut. Er war nicht wenig erbost, wenn ein Besuch im Salon oder Theater oder Gesellschaft ihn hinderten, seinem galligen Gemüte die nun schon gewohnte Erholung angedeihen zu lassen. Robert selber störte ihn dabei am wenigsten, denn seit der Schwiegerpapa es an Rücksicht und Höflichkeit im eigenen Hause fehlen ließ, ging der eine alsbald aus dem Zimmer, wenn der andre eintrat.
Bald war der Alte so weit gediehen, Emma laut vorzudenken, wie und auf welche Weise sie von ihrem Gatten los kommen könnte.
Sie muckte da wohl wie empört auf und mahnte zur Vernunft. Heribert aber fuhr ungestört weiter, nicht anders, als wenn Emma geantwortet hätte: Bitte dich deutlicher zu erklären, wie du dir das denkst!
»Vielleicht . . . wenn man ihm Geld gäbe!« sprach er.
Und Emma versetzte darauf, als ob sie über die ersten Zumutungen in dieser Sache gar nicht empört gewesen wäre: »Er macht sich nichts aus dem Gelde!«
»Es gibt keinen Menschen auf der Welt, der sich nicht früher oder später aus dem Geld was macht!« erklärte Heribert sicher auf dem Grunde seiner Erfahrungen.
»Du kennst Robby schlecht!« sagte seine Tochter. »Und wär's auch, wie du dir einbildest, er hängt mit Leib' und Seel' an dem Kinde! Davon läßt er um keinen Preis der Welt!«
»Ach, das Kind!« brummte Heribert und kratzte sich lang hinter den Ohren. Er kam aber über das Kind nicht hinaus, wenn er auch jedesmal versicherte, er müsse und werde trotzdem noch Mittel und Wege finden.
Emma lachte ihn jedesmal aus und schalt ihn zum Schluß einen Phantasten. Sie versicherte, daß man eben tragen müsse, was man sich aufgesackt habe, und daß sie das eheliche Pflichtgefühl keinen Augenblick verlassen werde.
85 Heribert hörte solchen Versicherungen zu, ohne die Redende dabei anzusehen. Die weißen Augäpfel seitwärts nach der Hängelampe hinaufdrehend, sagte er nichts als ein trockenes halblautes: »Dich kenn' ich doch!« und verstockte sich erst recht in seiner fixen Idee.
Wie schon ihre Art einmal war, erreichte der Vater mit solchen Stürmen nichts sicherer, als daß Emma dem verketzerten Gatten bei nächster Gelegenheit wieder etwas freundlicher entgegenkam, als ihre Gewohnheit war. Besonders in Gegenwart des Alten ließ sie es an Vertraulichkeiten gegen Robert nicht fehlen, und sie freute sich sichtlich, wenn solch zuthunliches Wesen den Vater, ob er es auch schon als Heuchelei erkannte, in stille Wut versetzte. Im geheimen aber hatte sein Bohren und Minieren doch die traurige Wirkung, daß Emma den Gedanken an eine Aenderung ihrer Verhältnisse nicht mehr wie eine Unmöglichkeit betrachtete, mit der sich nachdenklich zu beschäftigen der Mühe keinesfalls verlohne.
Gab sie nun derlei bösen Anfechtungen immer mehr und mehr Gehör, so fehlte es doch noch nicht an Augenblicken besonnener Einkehr in sich selbst, nicht an Gewissensbissen, nicht an guten Vorsätzen. Gar so leicht, wie Papa Heribert in seinem Hasse träumte, war der goldene Reif denn doch nicht vom vierten Finger zu streifen. Der alte Mann hatte gut reden und raten und hetzen; er hatte keine gemeinsamen Erinnerungen zu verwinden, er hatte Robby nie geliebt und teilte sich nicht mit ihm in die Liebe eines einzigen eigenen Kindes!
Derlei sentimentale Anwandlungen waren nun zwar bei Emma recht selten; ab und zu aber meldeten sie sich denn doch und verdarben dem gehässigen Meyer das Concept und verschafften Robert einen guten Tag oder eine gute Nacht, manchmal, wenn er sich derartiger angenehmen Ueberraschung am wenigsten versah!
Bei also seltsam wechselnder Stimmung wechselte der Gatte auch sein Verhalten gegen das nervöse kapriziöse Frauchen.
War sie verträglich und zuthunlich, ließ er es an Entgegenkommen nicht fehlen. Er that vielleicht für ein ebenso durch Erziehung verwöhntes wie schon von Natur aus rücksichtsloses Wesen des Guten zu viel. Emma mußte immer etwas entbehren, mußte etwas zu wünschen übrig haben, wenn sie gut thun sollte. Seiner Herzlichkeit war sie immer sicher,. sie gab sich daher selten Mühe, solche zu verdienen.
War sie nun unwirsch, verschlossen oder gar boshaft, so ließ Robert sie gewähren, schloß sich am Tag in sein Atelier ein, malte gemütsruhig wie ein Junggeselle, spielte dazwischen mit seinem 86 Kind und saß des Abends mit lustigen Gesellen auf der Künstlerkneipe.
Ihm sollten Weiberlaunen nicht die Lust am Leben, nicht die Freude am Schaffen verderben! So verschwor er's. Aber der Mensch sollte nichts verschwören. Je nun, Robert war nun einmal gewöhnt, sich von den Dingen und Menschen um ihn herum die Künstlerseele nicht anfechten zu lassen. Einen richtigen Maler brauchte das alles nicht zu kümmern. Ein höherer Wille, den wir nicht beeinflussen können, weder durch Zetern noch durch Fluchen, sorgte nach seiner Meinung ja doch dafür, daß alles Krumme gerad und jedes Hindernis auf seinem Wege beseitigt werden würde. Er nannte diesen Leichtsinn Gottvertrauen und befand sich wohl dabei.
Im Sommer machten Jobst und Brigitte Hochzeit. Es verlief dabei alles nach vorgelegtem Programm. Roberts Maleraugen hatten ihre Freude an all dem Staat und all der Farbe, die bei diesem Feste günstig zum Vorschein kamen. Er selbst hatte, von seiner Schwägerin mehr als je vorher zu Rate gezogen, bei dieser und jener Anordnung sein Gutachten abgegeben, Vorschläge und Zeichnungen gemacht und sah einen guten Teil der zur Geltung gekommenen Einrichtungen, Draperien und Toiletten mit Fug und Recht als sein Werk an. Hermione verschonte ihn nicht mit den zeremoniösen Ausdrücken ihrer Anerkennung und ihres Dankes.
Die Frau wuchs einem jetzt tagtäglich unter den Augen. Und als sie eines ersehnten Morgens wirklich Baroninmutter geworden war, fühlte sie sich noch eins so vornehm, ihre zwinkernden Blicke sahen über die Mehrzahl des Menschengesindels ganz achtlos weg, ihre Mundwinkel senkten sich so tief, daß die Lippen die Form eines kleinen Hufeisens annahmen. Was sie ihr Herz nannte, ging nunmehr im Kreise ihrer adeligen Schwiegerschaft auf.
Die Wolkenfels, und was so stammbäumlich mit ihnen zusammenhing, waren nun zwar durchaus nicht in erdrückender Mehrheit erschienen. Immerhin hatte Horst, der solche Gefälligkeit seinem jüngeren und unklugen Vetter schuldig zu sein glaubte, dafür gesorgt, daß ihrer einige dem glücklichen Bräutigam das Geleite auf dem Kirchgange und den darauffolgenden Festen die rechte Weihe gaben.
War es, daß Horst von Wolkenfels in der Zeit, da er von Berlin fern gewesen, sich wirklich in Gedanken viel mit Emma beschäftigt und, wie das so manchmal geschieht, sich entbehrend in eine Verliebtheit hineingedacht und gesehnt hatte, 87 von der er vordem im persönlichen Verkehr mit der hübschen Frau gar nicht so empfindlich angefochten worden; war es, daß der Glanz des üppigen Festes und die auffallende Bevorzugung, welche der Clan Meyer dem Spiritus rector der adligen Sippe angedeihen ließ, seinem angeborenen Uebermut einen gut Teil zulegten: Horst that nunmehr seinen zärtlichen Gefühlen für Emma wenig Zwang an, gebärdete sich bei jeder Gelegenheit als ihr beflissener Kavalier und fragte den Teufel danach, ob jemand von den Gästen ein schiefes Maul zog oder einer seiner Vettern ihm eine Vermahnung zuflüsterte. Nun Vetter Jobst unfehlbar unter die Haube und zu einem schönen Stück Geld gebracht wurde, was sollte Horst seiner Freude darüber vor diesem spießbürgerlichen Narrenpack Fesseln auflegen!
Was that er denn Böses! Die hübsche Schwägerin seines Vetters fand offenbar Gefallen an ihm, und daß ihr ihr eigener Mann gleichgiltig, wenn nicht gar zuwider war, das ließ sich auch mit freien Augen wahrnehmen. Warum sollte er ihr also nicht den Hof machen, wenn es ihm danach ums Herz war!
Robert sah seinerseits die Berechtigung dieser Auffassung durchaus nicht ein. An Emmas Treue zu zweifeln, war ihm nie in den Sinn gekommen. Aber so wenig er im übrigen die Schritte seiner Frau zu gängeln pflegte, so wenig Gefallen fand er an dem tolldreisten Gebaren dieses vordem so verschleierten Hochzeitsgastes. Allein noch eh' er Gelegenheit wahrnehmen konnte, denselben in seine Schranken zu weisen, ein Auftritt, der in die Freude des Festes doch eine arge Verstimmung gebracht hätte, sorgte Emma schon selbst dafür, den ungeberdigen Anbeter zu ernüchtern.
Das war ihre Meinung nicht, sich zum Scherz an ein Herrchen, das die Laune kitzelte, wegzuwerfen, sich zum Zeitvertreib für eine Festwoche mißbrauchen zu lassen. Gerade weil ihr Horst mehr als gebührlich wohlgefiel, gerade weil seinetwegen ihre geheimsten Gedanken verbotene Wege gingen, gerade deshalb hielt sie darauf, auch ihm als ein begehrenswertes unantastbares Gut zu erscheinen. Im herzlichen Groll darüber, daß sie sich zu spät begegnet waren, um einander glücklich zu machen, wahrte sie erst recht geflissentlich ihre Frauenwürde. Zu einem Spiel der Lust und Eitelkeit dünkte sich Emma zu gut; mochte Herr Horst sich das merken! Vielleicht kam ihm über dieser Wahrnehmung dann das Bewußtsein, wieviel auch er an ihr verloren hatte, was nunmehr uneinbringlich war.
In der That wirkte die schroffe Zurechtweisung auf den unternehmenden Freiherrn recht wunderlich. Im Anfang war 88 es ihm nur zum Lachen. Emmas schwarze Augen redeten ja eine ganz andre und doch nicht minder deutliche Sprache, als Emmas Mund und Geberden; aber nach und nach, da er im Verlauf des Festes sich widerwillig überzeugen mußte, daß es Roberts Frau mit Tugend und Würde bitterer Ernst war, da fand er selber es geziemend, den überkecken Ton abzulegen und wieder jenes trübeblickende, bedeutsam schweigende, weltschmerzliche Gehaben anzunehmen, das ihn bei den Frauen in große Gunst setzte.
Im stillen jedoch überkam ihn allen Ernstes die Ueberzeugung, daß Emma eine Frau ohne Furcht und Tadel sei, und daß es auch für einen so hochwohlgebornen Herrn, wie er sich zu sein dünkte, ein gar annehmbares Geschick gewesen wäre, eine von Heribert Meyers Töchtern sein eigen zu nennen. Das nachdenkliche Wesen, das er in der zweiten Hälfte des Hochzeitsfestes zur Schau trug, war echter als sonst und kam ihm mehr und mehr von Herzen. Auch der Gedanke suchte seine Seele heim: ob sich denn an diesem Schicksal nichts mehr ändern ließe. Ja, wenn die Frau nicht gegen seine Versuchung so fest gepanzert wäre! Daß er sie so fest befunden, ließ den sonst so selbstzufriedenen Herrn befürchten, er habe geringeren Eindruck auf die Frau gemacht, als er geglaubt, und der Verdruß darüber, daß dieser Eindruck kein mächtigerer war, förderte in stiller Ueberlegung zu ernstlich begehrender Liebe, was vordem ihn nur wie ein Traum angeflogen hatte.
Emma war mit sich zufrieden. Nicht so mit Horst: nicht so mit ihrem Schicksal. Sie war es sich schuldig gewesen, den eitlen dreisten Gesellen vornehm und kühl zurückzuweisen. Aber daß sie es sich schuldig war, freute sie keineswegs. Weil sie sich wider Willen das Opfer abgezwungen hatte, dem Manne, der ihr wohlgefiel, streng und schroff zu begegnen, hielt sie sich wieder um so mehr für berechtigt, ihren schwärmerischen bösen Gedanken freien Lauf zu lassen. Für so herben Zwang der Pflicht glaubte sie sich Belohnung schuldig zu sein, wenn auch nur in Hirngespinsten, die nichts bedeuteten für die traurige Wirklichkeit.
Robert Leichtfuß war sehr erfreut, daß die einmalige Mahnung, die er an Emma wegen Horst von Wolkenfels' auffallendem Benehmen gerichtet hatte, von so raschem und entschiedenem Erfolge begleitet war. Mit wohligem Behagen beobachtete er des Hochzeitsgastes wachsende Melancholie. Der schwärmerische Blick, der unterdrückte Seufzer, das entsagende Schweigen, all das und andre Kleinigkeiten im Benehmen des vor kurzem noch so rücksichtslosen, so selbstzufriedenen Eroberers waren dem 89 beobachtenden Gatten triftige Beweise, daß der Sturm kräftig abgeschlagen und der Uebermut ernsthaft zurückgewiesen worden war.
Alle Achtung vor der kleinen Frau! Und Robert versäumte nicht, nach dem Ballabend – Horst hatte sich Emma zu keinem Tanze genähert und überhaupt keinen Schritt getanzt – der glücklich aufatmende Gatte versäumte nicht, nachdem der Schwarm der Gäste sich verlaufen hatte, dem wackeren Weibchen seine Anerkennung und Freude recht herzlich auszudrücken.
Emma hörte die schönen Worte stumm geneigten Hauptes an, ohne den Redefluß Roberts zu unterbrechen. Ein eigentümliches Lächeln umspielte dabei ihre schmalen Lippen. Man hätte sagen mögen: ein bitteres Lächeln. Aber daran war vielleicht die Hängelampe schuld, die das Gesicht eben nicht günstig beleuchtete.
Dann sah sie plötzlich auf. Ihre Wangen waren sehr blaß – was nach dem lustigen anstrengenden Ball nicht zu verwundern war – und ihre schwarzen Augen hefteten sich fest und ernst an des Gatten Züge. Nichts an ihr bewegte sich, bis sie Roberts Hand ergriff und sie drückte, als wollte sie sagen: es war nur meine Schuldigkeit, und es ist schon gut so! Dann kehrte sie sich rasch ab. Er aber meinte, daß das noch nicht genug sei, und behielt ihre Hand in der seinigen. Dann seufzte sie ein klein wenig und bat ihn, sie allein zu lassen, sie sei sehr müde.
Nach all dem Lärm und Trubel und der Unruhe und Aufregung im Hause war das ja begreiflich. Robert widersprach ihr nicht. Er zog sie nur sanft an sich und wollte sie küssen. Sie aber neigte so rasch das Haupt und drückte die Stirn so flink an seine Brust, daß der Kuß, den er eigentlich ihren Lippen zugedacht hatte, auf ihre Haare glitt.
Emma war einen guten Teil kleiner als ihr Mann. Er blieb geneigten Hauptes stehen und vergrub das Gesicht in das weiche wellige Haar, wie er lange nicht mehr gethan hatte. Sie hob das Angesicht nicht aufwärts. Aber er fühlte ihren Atem über seinem Herzen.
Die hochzeitliche Luft, die seit Tagen das Haus durchwehte, war noch nicht verflogen. Der Duft aus Emmas Haar berauschte seine Sinne. Der weiße Scheitelstrich, der durch die Rabenflöckchen sich schnurgerade über den kleinen Schädel dicht vor seinen Augen hinzog, that's ihm an. Er mußte lächeln, er küßte den Scheitel wiederholt, und er rief sie dabei leise beim Namen.
Sie antwortete nicht, sie hob die Stirne nicht und preßte die Wange nur fester an seine Brust; aber ein kurzer fühlbarer Schauer zuckte über die zierliche Gestalt vom Genick bis in die Füße.
90 Er schlug den rechten Arm um ihre Schultern und suchte mit der linken Hand nach ihrem Kinn. Er wollt' ihr ins Gesicht sehen.
Sie wand und wehrte sich und vermocht' es lange zu verhindern, daß ihm sein Wille geschah. Endlich aber ward er der packenden haltenden Finger doch Herr, kriegte die immer noch wild Ausbeugende mit der ganzen Hand am Kinn zu fassen, und indem er sich ihr Antlitz gerade zukehrte, bog er ihr zugleich den Oberkörper von den Hüften nach rückwärts, daß der Widerspenstigen der volle Schein aus der Hängelampe auf das Gesicht fiel.
Schneeweiß lag das Angesicht in seinem Arm; die schwarzen Brauen, das schwarze Haar stachen scharf von der glänzenden Haut ab; die Oberlippe bot nur einen schmalen blaßrötlichen Streifen, die Unterlippe verschwand unter den Zähnen der andern, die sie festhielten; die Augen waren absichtlich geschlossen.
Emma wehrte sich nicht mehr, aber sie sah Robert nicht an.
Er küßte sie auf die Augen und auf den Mund wiederholt und stürmisch. Sie ließ es geschehen; aber sie schlug die Wimpern nicht auf.
»Närrchen, mach' doch die Augen auf!«
Emma schüttelte verneinend das Haupt.
»Du hast so schöne Augen,« sagte Robert und küßte wiederum die faltenlosen Lider, welche blaue Aederchen sanft und zierlich durchzogen
»Willst du mich denn nicht sehen!«
Sie verneinte wieder in stummer heftiger Geberde.
»Woran denkst du?«
Sie hielt ihm die Hand vor den Mund, wie wenn sie ihn nicht nur nicht sehen, sondern auch nicht hören wollte.
Er lachte, sobald er seine Lippen freigemacht, und rief: »Ich soll wohl auch nicht reden?«
Statt der Antwort umschlang sie mit den beiden Armen seinen Hals und riß sein Haupt an ihre Brust, daß ihm selber Hören und Sehen aufs angenehmste verging. Aber der Gedanke durchfuhr sein Hirn: warum ist sie nur heut so wunderlich, und bei all der Wunderlichkeit gerade heut so liebevoll!
Er hatte den Gedanken kaum zu Ende gedacht, als Emma seinen Hals schon wieder losließ, sich blitzschnell von ihm abwandte, in der nächsten Sekunde sich auf einen Stuhl schwang und mit rasch emporgestreckter Hand den Docht unter die Lampe schraubte, eh' er ihr wehren konnte.
Das letzte, was er sah, war das Aufblinken des Widerscheins am Goldrahmen des »Mädchens mit der Maske«, das, 91 wie immer schalkhaft lächelnd, auf die Vorgänge in Emmas Zimmer herabschaute.
Im nächsten Augenblick war's stockfinster in der Stube. Kein Schimmer von draußen drang durch die herabgelassenen Gardinen. Robert stand einen Augenblick betroffen und zornig. Er meinte nicht anders, als Emma habe ihn durch dies plötzliche Verfinstern verblüffen und ihm, eh' sich sein Blick an die Dunkelheit gewöhnt, entrinnen wollen. Aber es war nicht an dem, wie der Suchende bald merkte. Er haschte sie mit beiden Händen, noch eh' sie vom Stuhl gestiegen war. Und sie wehrte ihm nicht, da er sie auf seinen Armen trug.
Sie wollte ihm nicht entfliehen, sie wollte ihn nur nicht sehen.
Auch Robert sah Emma nicht, die jetzt Kuß um Kuß mit entzückendem Eifer vergalt und sich fest und fester an ihn klammerte.
Ist mir doch, als hätte man mir mein Weib vertauscht! dachte Robert ein ums andre Mal. Emma, die mürrische, launisch gewordene, hatte lang ihn aller Zärtlichkeit entwöhnt. Dieses stürmischen bräutlichen Entzückens hätt' er sie kaum mehr fähig gehalten. Was Wunder, daß er sich im Finstern wie verzaubert vorkam und sich lächelnd fragte: Ist dies Emma? ist dies nicht ein andres Weib?
Er ahnte nicht, daß Emma derweilen einem ganz ähnlichen Gedanken nachhing, ja, daß sie sich geflissentlich an einem Wahn berauschte, der ihren schwärmenden Sinnen die Süßigkeit verbotener Frucht vorzaubern sollte, ohne die Gefahr und Schande verbrecherischer That mit sich zu bringen. Sie belog sich selbst, sie spielte ihrem eigenen Bewußtsein eine Komödie vor, sie wollte Robert in dieser Nacht nicht sehen, um glauben zu können, es wär' ein andrer, der sie küßte. –
Der Ball hatte lange gedauert. Robert und Emma waren kaum eine Stunde allein beisammen, als die erste Dämmerung über die Stadt huschte und auch die Finsternis im Zimmer schon ein ganz klein wenig verfärbte.
Ein Hahn krähte fern im Hof eines Nachbars, eine Uhr schlug im anstoßenden Salon. Emma wand sich aus Roberts Armen, schlug die Hände vors Gesicht, als sollte der grauende Tag sie nicht sehen, und dann lachte sie laut und gellend auf und lachte so eine Weile weiter, als schüttelte sie ein Krampf. Sie hielt sich das Herz, sie bog sich in den Hüften und unter den geschlossenen Lidern rannen von den langen nassen Wimpern die Thränen über beide Wangen herab.
Teilnahmsvoll und erschrocken trat Robert zu seiner Frau und wollte sich ihr zärtlich und behilflich erweisen. Sie aber 92 sprang, noch eh' er sie berühren konnte, auf die Füße und hielt sich an einem zierlichen Möbel aufrecht, das zunächst bei der Hand war, einem Schreibtisch, der, mit allerhand Sächelchen beladen, mehr einem Schau- und Spielkasten glich und zum Federführen kaum Platz ließ. Während sie abwehrend ausrief: »Laß mich! Es ging vorüber! Laß mich allein!« tastete sie mit der Rechten in den Tisch, als suchte sie etwas, und hielt den ersten besten Gegenstand fest, der ihr zwischen die Finger geriet. Es war ein Falzmesser, das in zierlicher Verjüngung die martialische Form eines Yatagans hatte, aber für gewöhnlich keinem unfreundlicheren Zweck diente, als die französischen Romane aufzuschneiden, welche Emma auf ihrer Chaiselongue zu lesen pflegte.
Robert lächelte, wie er die kleine Hand also bewehrt sah und sprach: »Was willst du mit dem Papiermesser?«
Emma, welche dem Gatten noch immer den Rücken zukehrte, merkte selber erst jetzt, was sie in ihrer nervösen Zerstreuung in die Hand bekommen hatte, und warf das Ding verächtlich in den Tisch zurück. Dann seufzte sie wieder tief auf mit einer heftigen Bewegung des Kopfes, als wollte sie so ein Fieber oder auch nur einen Gedanken abschütteln.
»Was du nur hast!« sprach Robert.
Sie antwortete mit matter Stimme: »Geh jetzt und laß mich allein! Ich bitte dich! Ich bin todmüde. Brigitte hat ihre Hochzeitsreise bereits begonnen. Die Feste sind vorbei. Ich kann ausschlafen! Und ich will's. Alles verschlafen!«
Sie bewegte sich, seufzte, schwankte und, ehe Robert ihr beispringen konnte in der kaum noch gelichteten Dunkelheit, war sie wie ein Schatten zwischen Schatten hinter den Falten der Portiere verschwunden.
Robert rief, obwohl er schon allein war, ein herzliches »Gute Nacht!« gegen den stummen Vorhang. Dann stieg er langsam in seine Werkstatt hinauf, wo er, schon ehe sein Töchterchen zur Welt gekommen war, in einem Nebengelasse sich ein Notbett aufgeschlagen hatte.
Er ging mit der tröstlichen Versicherung schlafen, daß nunmehr alle Wirrnis in Emmas Gemüt wieder geebnet und geklärt sei und die zweite schönere Reihe seiner Flitterwochen eben sehr glücklich begonnen habe. Wer hätte das noch gestern sich träumen lassen!