Hans Hopfen
Robert Leichtfuß
Hans Hopfen

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146 Roberts Erkrankung war schwer. Seine Genesung vollzog sich langsam, sehr langsam.

Sobald er einigermaßen verbracht werden konnte, verließ er das teuere Stockwerk am Kanal Grande und legte sich in ein billiges Stübchen bei ehrlichen Leuten, die hinter dem Fondaco dei Tedeschi an Fremde mit bescheidenen Ansprüchen kleine Zimmer vermieteten. Der Arzt, der den von aller Welt verlassenen Patienten in sein Herz geschlossen, hatte ihn dorthin empfohlen.

Heribert Meyer war viel zu erregt gewesen, um sich in die Privatverhältnisse des verhaßten Schwiegersohnes zu mischen. Emma gab sich nie mit dergleichen Kleinigkeiten ab. Robert Leichtfuß hatte sich in Berlin und überhaupt als Schwiegersohn eines reichen Mannes keine Schätze gesammelt und während seines Aufenthalts in Venedig fast nichts verdient.

Die teuere Miete, dann was an Rechnungen für seine Frau, die dort und da stehen geblieben waren, bezahlt werden mußte, endlich die lange Krankheit hatten Roberts Barschaft vollkommen aufgezehrt. Als er ungefähr nach Monaten so weit war, wieder ohne Schmerzen und Gefahr aufrecht stehen und gehen und auch seine Hände wieder brauchen zu können, war er arm wie ein Bettler.

Die gute Spreewälderin hatte aus Versehen sogar einen Teil der Garderobe Roberts in die Koffer gepackt, die mit nach Berlin genommen wurden. Nachdem er, was etwa Wertvolles in seinem Besitz geblieben war, zu Gelde gemacht hatte, hieß es sich nach Verdienst umsehen.

Für einen Künstler, der sich nach und nach auf allen möglichen Gebieten, mehr um sich zu erproben, als mit glücklichem Erfolg versucht hatte, und dessen Ruf bislang über eine beschränkte lokale Berühmtheit nicht hinausgedrungen, war das eine schwere Krise und hier in Venedig doppelt schwer.

Und selbst wenn die Verhältnisse günstiger gewesen wären, Robert war noch nicht im stande, wieder selbständig frei zu schaffen. Seine Seele, die so hart betroffen worden, erholte sich noch ungleich langsamer als sein Körper.

Venedig hatte keine große Industrie wie die deutsche oder französische Hauptstadt. Hier erschienen keine Witzblätter oder illustrierten Zeitungen, bei denen ein geistvoller Zeichner, wenn auch ein kärgliches, so doch sein Brot verdienen konnte. Mit Etiquetten, Einladungskarten und derlei kleinen, armselig bezahlten Diensten war auch nichts zu machen. Es blieb Robert nichts übrig, als vor irgend einem der populärsten Bilder in 147 der Accademia degli belli arti eine Staffelei aufzuschlagen, und es geduldig zu kopieren und dabei zu hoffen, daß irgend ein vorübergehender Engländer oder Heide ihm über die Schulter sehen und nach dem Preise fragen würde.

Es wäre für den arg geprellten, durch die Schlechtigkeit der Menschen und lange Krankheit niedergedrückten Mann vielleicht ein Glück gewesen, wenn er die Gelegenheit hätte wahrnehmen können, alle seine Gedanken in die großen Schöpfungen der alten Maler zu versenken und sich in Betrachtung, Studium und Nachahmung eines Tizian, eines Palma, eines Giorgione, eines Paolo Veronese oder Gian Bellini wieder aufzurichten.

Das Rezept, welches der zusammengebrochene Künstler sich zu seiner Wiederaufrichtung selbst verschrieben hatte, war gut. Oh, es war sogar ausgezeichnet. Nur schade, daß seine Natur vorderhand noch nicht im stande war, es zu vertragen, und er darum noch lange keinen rechten Nutzen daraus zu ziehen vermochte.

Robert war ja gewohnt, alles, was über ihn kam, leicht zu nehmen.

Er hätt' es auch diesmal gern gethan. Da sollt' er erst merken, wie empfindlich ihm mitgespielt worden war. Er konnt' es nicht ablegen, wie man ein schmutzig Hemd ablegt, kopfüber, um es hinter sich zu werfen; es saß ihm inwendig, und er konnte nicht, wie er wollte, er konnte die Folgen nicht so rasch verwinden. An Leib und Seele war er siech.

Ein gallenbitterer Geschmack ließ sich von seiner Zungenspitze nicht wegwischen. Gallenbitter schmeckte sein Brot, gallenbitter erschien ihm das Weib und die ganze Welt. Bitter, eitel und ekelhaft. Die Lust am Leben war ihm vergällt und die Freude am Schönen ganz erschlafft. Der Farbensinn in seinen Augen war getrübt.

Und das war das schlimmste, darüber er nicht hinwegkam. Er glaubte gelb zu sehn.

Hatte Robert vordem die ganze Welt und selbst die mißlungensten Geschöpfe in allzu rosigen Farben geschaut, jetzt stellte sich ihm alles Geschaffene wie hinter einem schmutzigen, ockerfarbenen, gallegelben Schleier dar: Gebäude, Wasser, Luft, Menschen und Kunstwerke.

Die Lagune, die noch vor kurzem ihm geradewegs aus dem Märchenlande der Poesie über diese Erde ergossen geschienen, war ihm jetzt nichts als eine trübe, stinkende Lache, mehr Unrat als Flüssigkeit, darauf in ihrer Form veraltete, in ihrer Armseligkeit geckenhafte Kähne von ungewaschenen moorfarbigen Spitzbuben mühsam hin und her geschoben 148 wurden; ein Pfuhl voll fauler Gärung, dessen ekelhafter Oberfläche die wunderwirkende Sonne Hesperiens keinen goldenen Schimmer mehr anzulügen vermochte.

Die Wunderwerke jener einzigen Architektur, die Paläste Sansovinos, die Staatsbauten Bramantes, die Gotteshäuser Palladios, davor er in glückseligem Staunen Tage verschlendern, Wochen verträumen gekonnt, sie waren nunmehr in allen Bogen und Winkeln, sie waren in jeglicher Kontur von einer schmutzgelben Linie umzogen, die seine Augen um alles legten, worauf sie sich hefteten.

Er fürchtete zu sehen.

Den Blick auf die Steine des Weges gerichtet, dazwischen vergilbte Grashalme unschön und armselig emporstachen und wie mit spitzen Fingern auf die Faulheit und Armut dieser heruntergekommenen Städter hinwiesen, mit niedergeschlagenen Wimpern drückte er sich scheu an diesen Fassaden vorüber, deren Herrlichkeit zu bewundern, zu preisen und zu erklären er noch jüngst nicht müde werden wollte.

Und erst die Menschen! Wie oft hatte er geschworen, daß der große Künstler, den die Schöpfung anbetend ihren Herrgott nannte, unter all seinen Wundern doch nichts Schöneres geschaffen habe, als das Menschenangesicht! Jetzt aber sah er gar keine menschenwürdigen Angesichter mehr, nur Fratzen, und, ach, von so scheußlicher Farbe.

Die berühmte Morbidezza, die feine blasse durchsichtige Hautfarbe der Venezianerinnen, die er sonst mit mattem Elfenbein, mit Perlmutter und solchen köstlichen und subtilen Dingen verglichen hatte, sie ward ihm ein Greuel. Die armen Leutchen kamen ihm vor, als wären sie eben aus einer Beobachtungsstation für ansteckende Krankheiten entlaufen, und er hütete sich im Vorübergehen, auch nur an ihre Kleider mit den seinigen zu streifen.

Ach, der Arme, er mochte sich selbst nicht mehr sehen!

Es war nur ein kleiner, unauffälliger, schlechter Spiegel, der in seinem armseligen, selbst für italienische Begriffe – und das will was sagen – armseligen Stübchen hing; aber seit er sich selbst einmal darin wieder gesehen und nicht wieder erkannt und dann eine lange greuliche Stunde in dieser gallegelben Karikatur mit braunen Wangen und greulich injizierten Augäpfeln sich selbst gesucht und endlich in seinem Abscheu auch gefunden hatte, seitdem hatt' er das Spiegelchen von der Wand abgenommen und hinter den Schrank in den Winkel gestellt, wo es keiner suchte und dicker Staub sich über dem Lieblingsinstrumente menschlicher Eitelkeit lagerte.

149 Er schämte sich, zu sehen – und er sollte malen!

Er fürchtete sich, zu denken, und er wollte doch nicht wahnsinnig werden.

Einmal, da er elend und müßig, ohne recht zu wissen wie, nach dem giardino pubblico geschlendert und dort auf einer Bank gegenüber dem Meere hocken geblieben war, sah er plötzlich im Geiste ein kleines Kind vor sich. Es schwebte wie eine Fata Morgana zwischen Luft und Lagune vor seinen aufgeregten Sinnen. Er meinte, es greifen zu können, wenn er die Hand danach ausstreckte. Es hatte ein vergilbtes Kleidchen an, das liebe Gesichtchen war von Zitronenfarbe und die Augen, die ihn mit argloser Zärtlichkeit anlachten, sahen aus wie die armen Augen, welche ihn jüngst in seinem Spiegelchen erschreckt hatten.

»Erna, mein armes Kind, Erna!« rief er aus und begrub sein Haupt in seine beiden Hände, während ihm die Thränen über die Backen schossen und Kummer und ohnmächtiger Zorn ihn ganz und gar überwältigten.

So saß er lange schluchzend auf der Bank über dem Meere. Das Bewußtsein seiner ebenso jämmerlichen als hilflosen Lage, die Sehnsucht nach dem Kinde, der Ekel vor seiner eigenen krankhaften Vorstellungskraft, und der Haß gegen diejenigen, deren niederträchtigen Handlungen er all das verdankte, zerrten an seiner Seele wie Folterknechte an einem Preisgegebenen.

Er ging nicht mehr wieder nach dem giardino pubblico, wohin er vordem so oft mit seinem Kinde gegangen war, wo er so oft mit seinem Kinde gespielt, gelacht und geträllert hatte. Er wollte sich der Gedanken an das kleine Wesen entschlagen, das sie dem Vater weggestohlen hatten, noch ehe es gelernt hatte, sich Gedanken zu machen und Erinnerungen festzuhalten.

Was er über alles auf Erden liebte, was er nunmehr allein auf der Welt noch lieben konnte, das mußte aufwachsen ohne Liebe zu ihm! Das war von Anfang an der Möglichkeit beraubt, ihn, seinen leiblichen Vater, lieben zu lernen!

Waren sie nicht Verbrecher, gemeine, nichtswürdige Verbrecher, die ihm das anthaten, die das dem Kind anthaten!

Wie er sie haßte, diese beiden, die ihm das gethan, die beiden und ihre ganze würdige Sippschaft!

Seine Fingernägel krampften sich in die Handflächen, seine Zähne schlugen knirschend aufeinander, und er fühlte, wie eitel Bitternis ihm wieder reichlich auf die Zunge und in die Augen trat, so oft er dieser Menschen gedachte.

Und er mußte ihrer oft gedenken!

150 Hätt' er ihrer vergessen können, es wär' ihm leichter geworden, zu genesen.

Aber daß sie teil hatten an seinem Kinde, berechtigten Anteil vor Gott und Menschen, daß sie, die dem Vater das Kind, dem Kinde den Vater gestohlen hatten, von diesen seinem Kinde niemals loszulösen waren, das verbitterte ihn nur immer mehr und mehr, und er zergrübelte sich das Hirn mit Rachegedanken, und sein Haß heckte Märchen aus, wie er ihnen Gleiches mit Gleichem – nein, das gab es nicht, denn jene hatten kein Herz – aber wie er ihnen empfindlich vergelten möchte.

Dann verlacht' er sich selbst. Er sich an jemand rächen! Er, der sich so widerwillig von Ort zu Ort schleppte, der arm wie ein Bettler und außer stande war, sich trocken Brot zu verdienen! Er war kein gefährlicher Feind, und keine Katze brauchte sich vor ihm und seinen gelbangestrichenen Luftschlössern zu ängstigen!

Heisa, der feiste Vater Heribert und Schön-Emma, seine süßere Hälfte, sie streckten sich so gemächlich auf bequemen Stühlen, sogen Champagner aus geschliffenen Kelchen und sagten dem Kinde: »Dein Vater ist ein Lump, der unterwegs irgendwo verloren gegangen ist; du brauchst dich weiter nicht mehr um ihn zu kümmern!« Und sie lachten gemeinschaftlich über den unbequemen Tölpel, den sie einst in einer Karnevalslaune sich aufgesackt, nun aber glücklicherweise in einer andern Karnevalslaune wieder abgeladen hatten, und das endgiltig und entscheidend! . . .

Wenn ihn diese Gedanken packten, da lief er wie gehetzt die alten Mauern entlang, bis er irgend nicht weiter konnte, weil der Weg zu Fuß aufhörte, oder weil die Müdigkeit seines Leibes ihn nicht länger trug, oder weil eine Kirche gerade gegenüber die weiten Thore offen stehen hatte und ihm aus der Tiefe des Innern zuzurufen schien: Mühseliger, komm herein und beruhige dein beladenes Herz!

Da saß er dann wohl in der falben, kühlen Gotteinsamkeit vor einem Dogengrabmal und lernte nach und nach wieder sehen. Der alte Stein vertrug die gelbliche Beleuchtung, die Roberts krankes Auge darüber ausgoß, eher als all andres Gebilde. Lange bevor Architektur und Malerei wieder anregend auf seine Sinne wirkten, vermochte die Skulptur zu seinem alten Adam verständlich und beschwichtigend zu reden.

Der kühle Stein in seiner glatten Abrundung hatte etwas seltsam Anheimelndes und Beruhigendes für sein krankhaftes Gefühl. Und arm an Gedanken, wie er durch Krankheit und 151 immer dasselbe Leid wiederkäuenden Kummer geworden war, sprach er dann gern die Verse vor sich hin, die Michelangelo, der große Marmorbildner, einmal gedichtet hatte, da die Flut der Bitternis ihm bis an die Lippen gegangen war.

»Süß ist zu schlafen oder Stein zu sein,
Solang das Unglück dauert und die Schande!«

Ja, die Schande! Sie hatten Robert Schande angethan und nach Kräften. . . . Da war es wieder das nagende Leid, das ihm in alle Adern die Galle goß! . . . Wie sollte der Sieche dabei gesunden!

. . . Krank oder gesund, die Not fragt nicht danach. Sie macht vor dem Kranken schon gar keinen Umweg. Und sie lehrt mehr als beten, sie lehrt allerhand Geschick und Kunst, sie ist erfinderisch und von zwingender Kraft.

Sie zwang auch Robert Leichtfuß – nicht zur Freude, nicht zum Vorteil seiner Seele. Er kam sich in der Bitternis, darein er vom Schicksal getaucht war, als Mensch verunglückt, als Künstler entadelt vor.

Und er war es auch. Aber Hunger that weh. Auch das ärmlichste Stübchen will endlich bezahlt sein. Und diese Wahrheit läßt sich auf die Dauer auch einem heruntergekommenen Fremden nicht verhehlen, dessen Hände schlaff in den Schoß hängen, dessen Gedanken abirren und dessen Hoffnung auf Genesung und Glück durch nichts berechtigt erscheint.

Robert mußte endlich malen, gleichviel ob ihm die Welt rot oder gelb vor Augen stand; er mußte, war's auch nur, um die gemeinsten Lebensbedürfnisse notdürftig zu befriedigen.

Er malte auch. . . . Aber was! . . . Er wollt' es selbst nicht sehen, sobald der Firnis trocknete. Er wandte die Augen ab von der kleinen Leinwand, die er mit Widerwillen bepinselt, mit Schmerzen und Ekel vollendet hatte – wenn von Vollendung bei solch flüchtigem lieblosen Treiben überhaupt geredet werden darf –. Er wandte die Augen ab von der kleinen Leinwand oder dem Holztäfelchen, darauf er am Tag etwas wie eine schnurrige Szene aus dem venezianischen Volksleben hingeworfen oder irgend eine auffallende Straßenerscheinung skizziert hatte, und die er nun des Abends, den Schlapphut tief ins Gesicht gedrückt, einen alten Radmantel über die bloßen Hemdärmel geworfen, mit heiserer Stimme, wie ein Kuppler an der Straßenecke anbot, wo ihm ein Fremder begegnete, der dumm genug und zahlungsfähig aussah.

Wenn er für solche Dinger, die er nur zu oft vergebens 152 feilbot, nach viel verschluckter Scham, nach viel Beflissenheit und Worten einmal zehn, einmal gar zwanzig Lire auf die Hand bekam, so war Müh' und Selbstüberwindung eben nicht umsonst gewesen, und ein erlösender Seufzer entrang sich der beengten Brust.

Er hatte bereits den Erstgeborenen eines Schweinemetzgers für eine Mortadella in Wasserfarbe porträtiert und einen großherzigen Schneider, der ihm das Notwendigste, ein neues Beinkleid, überlassen, in Oel verewigt. Etwas gelb sahen sie freilich aus, der Schneider und der Schlächtersknabe; jedoch die Verwandten waren's zufrieden und schworen darauf, so sähen die Leutchen nun einmal aus zwischen den hohen engen Gäßchen der Lagunenstadt.

Er selber meinte nachgerade, daß auch er zwischen diesen hohen engen Gäßchen, auf den Steinen über der dickflüssigen Lagune, zu keiner andern Farbe gedeihen würde. Das einst so geliebte Venedig erinnerte ihn, er mochte sich Gedanken machen, welche er wollte, erinnerte ihn auf Schritt und Tritt an die schlechten Menschen, die ihn hier so heimtückisch verraten, so schwer gekränkt hatten, an das süße kleine Kind, das sie ihm gestohlen, an all das Abscheuliche, das ihn körperlich und seelisch so heruntergebracht hatte, wie er war.

Ach, hätt' er Flügel! . . . Ach, wär' er ein reicher Mann! Nein, nur ein Mann, der sich und sein Kind redlich ernähren konnte! Ach, wär' er nur wieder gesund und im Vollbesitz seiner Kraft!

Wird er je wieder gesund werden . . .?!

Hier in Venedig nicht! Das stand ihm fest, das wiederholte er sich jeden Tag, jede Stunde.

Also fort! Fort, je eher, desto lieber! Fort, sobald ihn die Beine trügen, und er sich für den erbärmlichen Schnickschnack, den er Tags über zusammenpinselte, so viele Lire nächtlicherweile erhandelt hätte, daß er etliche Wochen, ein paar Monate vielleicht, wenn auch noch so kärglich davon leben könnte! Nur so viel, daß er wieder einmal malen durfte, was der Mühe verlohnte und keine Schande wäre.

Es dauerte lange, bis er ein Dutzend Goldstücke also kläglich verdient hatte. Er war darüber geizig und mißtrauisch geworden, und er hütete sein Sümmchen ängstlich, als wär' es der Schlüssel zum irdischen Paradiese.

Es dauerte auch lange, bis Brust und Beine so weit wieder erstarkt waren, daß er eine längere Fußreise wagen durfte. Anders als zu Fuße reisen, etwa wie ein Signore im Eisenbahnwagen – und wär's auch nur dritte Klasse! – daran 153 durfte der Schwiegersohn des reichen Bankiers Heribert Meyer vor der Hand nicht denken!

Und am längsten dauerte es, bis er die Schlaffheit im Gemüt, den Ekel vor jeglichem Entschluß, die Trägheit des Denkens überwand, die als schlimmster Rest seiner langen Krankheit in ihm stecken geblieben war und zu seinem eigenen Verdruß nicht weichen wollte.

Er haßte Venedig und kam doch nicht davon los.

Einmal, als er sich endlich ermannt glaubte und die Abreise ernstlich erwog, warf ihn eine ärgerliche Ueberraschung beinahe wieder zurück.

Der Rechtsanwalt der Familie Meyer in Berlin hatte sich mit einem, wie er sich ausdrückte, sehr beherzigenswerten Vorschlag dieser wackeren Familie an Robert gewandt, und dies Schriftstück den Adressaten nach einigen Umwegen richtig in der Spelunke, wo er seine Schlafstelle hatte, erreicht.

Sein Schwiegervater schlug ihm durch den Advokaten vor, er möge sich eine recht artig bemessene Pension durch ausdrücklichen Verzicht aller Rechte, die er an sein Kind zu haben glaubte, sichern. Der Entschluß wollte ihm durch zweierlei Erwägungen angeschmeichelt werden. Fürs erste wüchse das Kind ja doch fern von ihm auf und wüßte kaum mehr von ihm, und es würde auch nicht in Gedanken an einen solchen Vater erzogen werden; auch wäre seine Lage, wie wohl bekannt, nicht danach angethan, Ansprüche an sein Kind durchzusetzen, noch es zu ernähren und standesgemäß erziehen zu lassen; dagegen Herr Meyer nicht wünschen könnte, daß einer, der, wenn auch nur einige Jahre, die Ehre genossen habe, sein Schwiegersohn zu heißen, dem allgemeinen Mitleiden anheimfiele oder gar – man könne nicht wissen – noch schlimmere Wege wandle. Er möge also die dargebotene Pension sich verdienen durch vernünftigen Verzicht auf eingebildete Rechte.

Andernfalls würde ihm ein »Nein« doch nichts helfen, denn es würde dafür gesorgt werden, daß das geltende Recht selbst ihn dieser Ansprüche für verlustig erklären werde.

Vielleicht las Robert in schäumender Wut allerhand Nichtswürdigkeiten in dies Schriftstück hinein, die gar nicht im Wortlaut des beflissenen Rechtsfreundes der Meyerschen Sippe enthalten waren. In der Hauptsache hatte der halbgenesene Maler aber ganz richtig gelesen.

Er sollte auf sein Kind verzichten! Auf sein Fleisch und Blut! Auf das einzige Wesen, an dem sein Herz noch hing, 154 mit aller Leidenschaft gekränkter Liebe hing! Und das zu ihm gehörte von Gott und Rechts wegen!

Und für Geld! Für eine schnöde hingebotene Bettelsumme! für ein Almosen! Und aus solchen Händen!

Dieser ruchlose Schimpf hatte noch gefehlt!

Er fühlte, wie es ihn wieder mit tausend Krallen packte, und eine gallige Bitternis sein ganzes Wesen von innen heraus überströmen wollte.

Halt da! . . . Diese Freude sollten sie nicht haben, ihn noch tiefer ins Elend zu drücken, ihn noch einmal in die Krankheit zurückzustoßen!

Er stemmte sich mit aller Willenskraft dagegen.

Und daß er solchen Widerstands fähig, war doch schon ein gutes Zeichen.

In derselben Zeit lernte er zufällig hinter einem Glase Cyperwein in einer Schenke an der Riva einen Schiffer aus Murano kennen, den ein Frachtgeschäft südwärts das Adriatische Meer hinabführen sollte.

Der pockennarbige Mensch, dem die Brauen in zwei dicken Büscheln wie Eulenfedern über die dunklen Augen hingen, fand an dem Skizzenbuche, das neben Roberts Weinglas auf dem Tische lag, besondres Gefallen. Er hielt sich für einen schönen Mann, und hätt' er so eine gelungene Zeichnung seines Angesichts hinter Glas und Rahmen kriegen können, er wollte sich's – Corpo della Madonna! – auch was kosten lassen . . . kosten, wie man so sagt, denn er war arm wie eine Kirchenmaus, arm wie ein echter Venezianer.

Sie redeten nicht lange herum. Robert, der bereits, wie wir wissen, für eine Wurst ein Aquarell und ein Oelbild für eine Hose geliefert hatte – andrer ähnlicher Händel zu geschweigen – ward mit dem Tischgenossen bald einig. Dieser sollte ihn bis nach Porto Corsini unter dem Pinienwalde Ravennas mitnehmen in seiner Barke, dafür versprach der Maler dem Schiffer, unterwegs sein stolzes Angesicht schwarz auf weiß zu zeichnen und ihm diesen Abklatsch zur Freude und Auferbauung seiner Kinder und spätesten Enkel zu überlassen.

Es war ein eigentümlich nagendes und bitteres Gefühl, als Robert die von der aufsteigenden Sonne rot angestrahlten Säulen San Marcos und des Löwen, den Dogenpalast und die Kirche Santa Maria della Salute über der wachsenden glitzernden Wasserfläche immer kleiner und kleiner werden und nach und nach die ganze Dogenstadt, in der er so viel erlebt 155 und gelitten hatte, mit ihren Dächern, ihren Türmen in Wasserdunst und Ferne verschwinden sah.

Ein Stück Leben löste sich da von ihm; erst jetzt war er die Vergangenheit los. Alter Wahn, alte Liebe, alte Hoffnungen, sie lösten sich erst jetzt vollends von ihm ab. Er fühlte schier, wie seine Brust sich erleichterte, sich hob, und tief aufatmend sog er die freie befreiende Luft über der Salzflut ein, wie einen balsamischen Trank der Genesung.

Die Fahrt war glimpflich, nur etwas heiß. Er schlief am Tage da, wo das dreieckige, braungelbe, malerisch geflickte Segel der Barke Schatten gab. In den Morgenstunden des zweiten Tages war er mit der versprochenen Zeichnung zu Ende gediehen. Der Muranese war sehr erfreut darob, fand sich wunderbar getroffen, das reine Spiegelbild, und der in seinen Ansprüchen Bescheidene bedankte sich noch recht überschwänglich, als ihm sein Fahrgast das sorgfältig zusammengerollte Blatt mit einigen freundlichen Worten zum ewigen Andenken überreichte.

An den Mündungen des Po vorüber ging die Fahrt bei klarem Wetter bei mäßigem Winde nach Wunsch von statten. Mit dem Gefühl herzlichen Dankes trennte sich Robert am dritten Tage von dem langsamen Segler und betrat im Bewußtsein, nun endlich genesen zu sein und mit altem Gram und altem Schmerz endgiltig abgeschlossen zu haben, die ravennatische Küste.

Die drei Tage auf dem Meere hatten ihn wunderbar erquickt. Er hatte sich wieder auf seine Eigenart besonnen. Er fühlte, daß er genesen, daß er wieder er selber war.

Sein malerisch Handwerkszeug hatte er als schwere Fracht vorausgesandt. Was er mit sich trug, war leichtes Gepäck. Leicht war sein Schritt und leicht war auch wieder sein Sinn, fast wieder so leicht wie in früheren unbetrübten Tagen, da er, den Wanderstab in der Hand, das Haar im Wind und ein Liedel auf den Lippen den Pinienwald entlang, am Grabmal des großen Theodorich vorüber gegen die Porta Serrata pilgerte.

Er trieb sich etliche Tage mit wieder klar genießenden Augen im alten Ravenna herum. Daß die Welt wieder in ihren richtigen Farben zu ihm sprach, und ihre Schönheit wieder unvergällt und unverschleiert ihm zu Herzen redete, gab ihm ein Gefühl des Glückes, wie er es lange nicht mehr genossen hatte.

Von Ravenna bis Bologna vergönnte er sich sogar eine Eisenbahnfahrt von drei Stunden. Nachdem er in letzter Stadt über eine Woche verbracht und sich an ihren Kunstschätzen ergötzt hatte, ging er zu Fuß über die Waldhöhen des wilden 156 Apennins und stieg, drei Wochen, nachdem er Venedig in der Barke des Muranesen verlassen hatte, wegmüde, bestaubt und vergnügt ins fruchtbare von Weilern und Villen übersäete Mugnonethal herab, um am Ziel seiner Reise, im kunststrotzenden Florenz den Wanderstab in die Ecke zu stellen und sein Malergerät wieder auszupacken.

Er kannte die unvergleichliche Mediceerstadt schon von einem früheren Besuch. Nachdem er einige Tage lang Umschau gehalten, hatte er gefunden, was seinem künstlerischen Menschen jetzt vor allem taugte, ein ehrwürdiges geliebtes Vorbild, das er mit Fleiß und Verständnis nachschaffen wollte, um die Erinnerung an die bettelhafte Notkunst der letzten Venezianer Monate sich aus der Seele zu bannen, und zum Erprobten und Echten andächtig emporstaunend, seine Hände, die gesündigt hatten, wieder zur Uebung wahrer Kunst zu weihen.

Die Erlaubnis, die er für sein Vorhaben einholen mußte, ward unschwer erreicht, und bald saß er jeden Tag, sobald der Eintritt gestattet war, im ersten Saale der Galleria Pitti, wo er seine Staffelei vor Raffaels »Vision des Ezechiel« gerückt hatte, und versuchte mit gewissenhafter Emsigkeit dies Wunderwerk, das, wie kein anderes, erhabensten Gegenstand in kleinem Raume darstellt, getreuest nachzuahmen.

Er lebte und webte in diesem Vorhaben, das vor der Hand jeden andern Gedanken ausschließen und mit den strengen Anforderungen, die es an die Ueberlegung und das Können des Genesenen stellte, weder Erinnerungen an die Vergangenheit noch Pläne für die Zukunft aufkommen lassen sollte.

Am Feierabend lebte er, bedürfnislos und sparsam, wie er so rasch wieder geworden war, in mäßigem Verkehr mit deutschen und französischen Künstlern, die sich mehr oder weniger an ihn anschlossen.

Am Morgen ging er über den neuen Markt, frühstückte aus der hohlen Hand auf der Straße, und auch die Abendmahlzeit kostete wenig. Toscana war damals noch das gelobte Land, wo man billig und gut leben mochte, wie nirgend in der Welt.

Wie das so Malerart einmal ist, disputierte er viel herum mit seinen Genossen über große und kleine Kunst, deren Aufgaben und Mittel, schalt sich weidlich aus über diese und jene Richtung, die nicht die seine war, schloß aber keine innigeren Freundschaftsbande mit diesen vom Zufall recht bunt zusammengewürfelten Genossen, die, von einigen seiner näheren Landsleute über sein Schicksal belehrt, ihn mit einer gewissen respektvollen Zurückhaltung behandelten, als fürchteten sie, der 157 schätzbare Mann möchte über kurz oder lang in berechtigte Klagen allzulaut ausbrechen und am Ende gar an ihre Zivillisten Ansprüche machen, die, je näher die Bekanntschaft, desto schwerer abzuschlagen wären.

Diese Sorgen erwiesen sich nach beiden Seiten hin als überflüssige. Robert blieb, wie gesagt, mäßig und bescheiden für sich. Das in so mühseliger und niederdrückender Weise zu Venedig verdiente Sümmchen ward von ihm mit größter Sorgfalt behandelt, er dachte nicht an fremde Hilfe. Er dachte nicht mehr daran, einen Freund auf die Probe zu stellen. Reiche Leute und Frauenzimmer mied er mit einer seltsamen Aengstlichkeit, die ihm im Innersten als letzter Rest seiner überwundenen Schicksale stecken geblieben war. Und wenn kleine Kinder seinen Weg kreuzten, sah er, so gut es ging, beiseite, und er hatte Mühe dabei, seine sonst so ruhigen Züge zu beherrschen.

Er hatte auch einmal so ein winziges, zappliges, in blendend Weiß gewickeltes, glückausstrahlendes Ding besessen. . . . Er sollte nicht daran denken und wollte nicht daran gemahnt werden!

Abgesehen von also vorübergehenden, ziemlich seltenen Anfechtungen durch ganz kleine, ganz unschuldige Leute, verbrachte Robert seine Tage friedlich, still, man dürfte sagen unbekümmert. Er machte sich wenig Gedanken und entschlug sich aller Erinnerungen, so gut er konnte.

Die Kunst, die nachahmende Kunst, die sich streng an ein gegebenes Vorbild hielt und außerhalb des goldenen Rahmens, der jenes alte Meisterwerk umschloß, alles andre zurücktreten und verblassen ließ, sein mit richtiger Ueberlegung gewähltes, streng festgehaltenes Tagewerk half ihm, sich Grübeln und Sorgen und Ueberlegen fern zu bannen. Der Erhaltungstrieb des jüngst noch so gequälten Körpers mochte auch das Seinige dazu beitragen, sich instinktiv vor jeder Berührung mit der Welt so viel als möglich zu wahren. Sie konnte also aus gewisser Entfernung wenig Freude bereiten, aber auch weniger Schmerz.

Er näherte sich auf diese Weise dem Naturgefühl ursprünglicher Menschen. Er war einer unter vielen, wie eine Welle im Strom, Welle neben Wellen. Nichts eigen zu haben und nichts zu entbehren, glatt aneinander vorüberzufließen, ohne empfindliche Reibung, ohne voneinander etwas zu erwarten, ohne jenen Pflichten zu schulden, nur einem festgegebenen Ziele zugewandt, der jeweiligen Aufgabe der bildenden Kunst – dieser Zustand schien ihm nicht nur erträglich, sondern beneidenswert, und er wähnte, daß er von Dauer sein könnte.

Ruhmsucht und Ehrgeiz hatten ihn auch vordem nicht 158 sonderlich geplagt. Wie sollten sie nun ihn aufregen, da er sein ganzes Können in den Dienst eines längst abgeschiedenen Meisters gestellt hatte und allem Wettbewerb weit ausweichend still für sich und mit sich zufrieden war, wenn das Gebilde da auf seiner neuen Leinwand dem drüben auf der alten immer ähnlicher und ähnlicher sich ansah.

Auch auf Geldgewinn war er nicht aus. Solch Streben lag nicht in seiner Natur. Nur eine kurze Zeit in seinem Leben war er emsig und ehrgeizig darauf bedacht gewesen, viel zu verdienen. Damals, als er der Schwiegersohn eines reichen Mannes gewesen, gleichsam durch die Ideen, welche die Luft jenes Hauses füllten, angesteckt und von dem Stolz mißleitet, von den Schächern, die seine Sippe darstellten, nicht über die Achsel angesehen zu werden.

Viel war dabei nicht herausgekommen, und nun atmete er wieder leichter auf, wenn er so in den Tag hinein schuf, ohne sich um kommende Tage zu sorgen, der Lilie auf dem Feld und dem Spatzen auf dem Dache gleich. Was er sich unter üppigen Menschen an Bedürfnissen angewöhnt hatte, war mit der Krankheit von ihm abgefallen. Er war wieder der malende Philosoph, der Gott einen guten Mann sein ließ, und der großen Stunde gewärtig, da Frau Fortuna ihn unversehens aus ihrem Füllhorn überschütten und ganz glücklich machen werde. Ja, er glaubte wieder an das Glück – aber nur um eines zu erreichen . . . eines . . . wann freilich, das wußt' er nicht, und daran denken, schwächte nur die mühsam wiedergewonnene Kraft der armen Seele. Also nicht! . . .

Mittlerweile sah er wohl seine Barschaft schwinden. Allein bei seiner bedürfnislosen Lebensweise mocht' es immerhin noch eine Weile zureichen. Die Leinwand vor ihm sollte für später helfen. Er mocht's abwarten.

Und sein alter Köhlerglaube trog ihn auch diesmal nicht.

Um die Zeit, da er mit der Kopie der »Vision des Ezechiel« wie mit dem Reste des in Venedig erworbenen Sümmchens gleicherweise zu Ende gedieh, machte Robert ungesucht eine wunderliche Bekanntschaft, die auf sein ferneres Thun und Lassen nicht ohne Einfluß bleiben sollte.

Er hatte erst gar nicht und nach und nach nur wenig auf einen Mann geachtet, der des öfteren hinter ihm vor seiner Staffelei stehen blieb und das Fortschreiten seiner Arbeit nachdenklich, nicht selten mit halblauten Zeichen der Anerkennung betrachtete.

Es war endlich nicht mehr zu übersehen, daß der Fremde mit dem Maler ein Gespräch anzuknüpfen suchte. Derselbe war 159 offenbar von schüchterner, vielleicht nur aus Hochmut unbeholfener Natur, denn er fand nicht recht, wann und wie beginnen. Und Robert, den in seiner Gemütsverfassung Gespräch bei der Arbeit eitel Störung däuchte, und der nach Menschenrede keinerlei Verlangen trug, bot auch keine Gelegenheit zu bequemer Unterhaltung.

Doch schon dies wiederholte, dies regelmäßige Wiederkehren eines Bewunderers Tag für Tag ward schließlich als mißliebige Unterbrechung empfunden, und unwillkürlich heftete Robert das Malerauge auf den Lästigen, der das erlösende Wort nicht zu finden verstand, sondern wie ein Versucher, wie ein Gespenst immer öfter, immer enger seine Staffelei umkreiste.

»Wer ist der nervöse Herr mit dem blassen Gesicht, den schwarzen Augen, dem glänzenden Schnurrbart und dem atlasausgeschlagenen Radmäntelchen, der vorhin des längeren mit Ihnen geredet hat?« fragte eines Feierabends ungeduldig Robert Leichtfuß den Galeriediener, der ihm beim Aufräumen seiner Malergerätschaften behilflich war.

»Wunder!« rief der andre, »der Herr kennt diesen berühmten Russen nicht? den ebenso reichen wie kunstverständigen Baron von Sempach nicht? Unmöglich!«

»Ich habe diesen Namen nie gehört!« antwortete der Maler.

Und jener fuhr, die Haut über den Augenbrauen in Falten ziehend, die rechte Hand, wie wenn er eine Größe mühsam aufbaute, immer höher und höher hebend mit lauter Stimme fort: »Oh, ein Mäcenas, ein Medizeer in seinem kalten Lande! ein Mann, der sein Ahnenschloß mit guten Bildern schmücken will, ein Mann, der nur eine einzige Leidenschaft hat: gute Bilder zu besitzen! Ein seltener Vogel, ein Wundertier! . . . Dessen Bekanntschaft sollten Sie zu machen suchen. . . . Die verlohnte sich!«

Robert, der eben den Malkasten schloß, brummte etwas wie: »Da kann der Narr lange warten!« zwischen den Zähnen und ging davon, ohne sich weiter an das Gewäsch des Kustos zu kehren.

Im stillen wirkte das Gehörte dann doch in ihm nach. Er vergegenwärtigte sich das seltsame Gebaren dieses Enthusiasten, der die bisher an den Tag gelegte Bewunderung für sein Schaffen vielleicht in klingende Münzen umzusetzen gewillt war.

Er suchte die Abneigung zu prüfen und zu überwinden, welche dieser schüchterne Störenfried in ihm gezogen hatte. Bis zur Stunde traute er ihm keine guten Absichten zu. Aber reiche Leute sind oft wunderliche Leute, und Verschwender haben oft ein fühlendes Herz. Und Zeit für einen unerwarteten Glücksfall war's wieder bei ihm.

160 Robert schüttelte den Kopf dazu. Ein seltsames Werkzeug, dessen sich die Vorsehung diesmal bedienen wollte. Aber wenn schon! . . .

Eine Erscheinung voller Gegensätze. Ein fahles, langgezogenes, eingetrocknetes Gesicht und darin ein Paar Augen wie glühende Kohlen. Augen, die in ihrem Feuer sich zu verzehren schienen. Die Gestalt stramm aufgerichtet, jeder Zoll ein Feudalbaron, und doch eine rastlose, hastige Beweglichkeit in den wohlgepflegten Fingern, die bald dies, bald das, bald die Stirnlocke, bald den Knebelbart befühlten, bald an einem Knopf des Gewandes, bald an einem Glied der Uhrkette drehten, bald ein mit nervösen Lippen geflüstertes Selbstgespräch mit zuckenden Winken begleiteten.

Die Kleider nach neuestem Schnitt, fast zu stutzerhaft für einen starken Fünfziger, der er war; alle in schlichtem Schwarz bis auf eines, die violette Sammetweste, über der am Halse ein meisterhaft gefaßter, daumennagelgroßer Diamant funkelte und gegen den Leib sich eine goldne Kette von der Dicke eines Kinderfingers in einem malerischen Bogen, an van Dycks Selbstporträt erinnernd, hinabschlang.

Der Bart bis auf Kinn und Oberlippe geschoren und die kohlschwarzen Reste militärisch gestutzt. Aber über der hohen Stirne eine mit Silberfäden durchzogene, mit dem Brenneisen geförderte Locke von idealem Schwung.

Das Radmäntelchen, mit knisternder Seide gefüttert, sollte wohl der ganzen Erscheinung einen diabolischen Schimmer geben, oder es war nur ein Zugeständnis an den Geschmack des italischen Landes.

Robert hatte bei Betrachtung des Betrachtenden nicht recht gewußt, ob er einen Fürsten oder einen Kunstreiter vor sich habe. Der Mann schien sich immer in einer überlegten Pose zu präsentieren, wie einer, der durchaus porträtiert werden will. Und alte Erinnerungen an den würdevollen Thürhüter auf dem Montmartre und die verunglückten Versuche, diese Fratze zur Zufriedenheit zu treffen, durchzuckten schaudernd den nunmehr sorgfältiger strebenden Künstler.

Nein, zu einem Bildnis dieses Mäcenaten sollte keine Macht der Welt ihn bewegen! Leichtfuß war kein Bildnismaler, glaubte keiner zu sein. Er wußte überhaupt nicht mehr, ob er Eigenes schaffen könnte, ohne den Anhalt an ein gegebenes Kunstwerk. Er war kleinmütig geworden in langer Krankheit oder doch zaghaft, so daß er sich noch nicht auf die Probe zu stellen wagte. Und dies Modell nun gar sollte ihn nicht zu 161 andrem Entschluß bekehren. Er lachte für sich über den alten Gecken, der aussah wie ein aus der Byronschen Epoche übergebliebener Idealheld, in den die Motten gekommen waren.

So schlimm war es indessen nicht gemeint. Und da Robert am andern Tag, als sie sich wieder urplötzlich Aug' in Auge sprachlos gegenüberstanden, gutmütig, wie er war, zu lachen anfing, ward das Eis gebrochen. Nachdem ein flüchtiges Erröten über die welken Züge des Freiherrn geglitten, kam dessen annehmbarer Vorschlag zu Gehör: Robert solle für ihn in Toscana und Rom eine Reihe alter Bilder kopieren, die der zahlungsfähige Kenner ihm bezeichnen würde, und dafür die feste Summe von dreitausend Thalern erhalten, die, sobald beide handelseinig geworden, auf der Florentiner Bank für den Maler zu deponieren, jedoch im zweiten und dritten Drittel erst nach Ablieferung sämtlicher Gemälde von Leichtfuß zu erheben sei.

Mit welch andern Augen betrachtete nun der Maler den wie vom Himmel auf ihn gefallenen Gönner.

Er war im Anfang sogar in seiner leichtfertigen Weise sehr dazu geneigt, den Mann und den Dienst, den ihm jener leistete, zu überschätzen. Denn genauer betrachtet, verpflichtete sich Robert zu einer langdauernden, unendlich mühsamen Thätigkeit, die jede andre Arbeit auf zwei Jahre ausschloß, und das Entgelt war, auf fünf oder sechs große Bilder verteilt, nicht beträchtlich.

Allein der Maler sah nur eine Reihe hocherwünschter Arbeiten vor sich und an deren Ende ein kleines, festes, rundes Kapital, mit dem er Wunder wirken und das ferne Ziel seiner mühsam verhaltenen innigen Wünsche sicher erreichen wollte.

Unbedenklich schlug er in der ersten Viertelstunde dieser Unterredung in die lange, bleiche, wohlgepflegte Hand Sempachs, und als er sich nach diesem bedeutungsvollen Tage spät abends noch immer voll freudiger Aufregung zu Bette begab, war ihm nicht anders zu Mut, als hätt' er den fabelhaften Goldfluß Pactolus in sichrem Bett bis vor seine Füße geleitet und brauchte nur mit hohler Hand zu schöpfen, um einer der Reichsten auf dieser Welt zu sein.

Wenige Tage darauf trat die fertige Kopie der Vision des Ezechiel wohlverpackt die weite Reise nach Samogitien an, und Robert ließ sich von dem wunderlichen Brotgeber vor einen Tizian oder Andrea del Sarto in die Galerie der Uffizien führen, um dort für die nächsten Monate seine Staffelei aufzuschlagen und dem einen Werk seiner Hände ein zweites und drittes nachzusenden.

162 Daß Robert Leichtfuß in dem kunstverständigen, kunstverliebten Herrn von Sempach endlich einmal wieder einen Kenner gefunden hatte, der große Stücke von ihm hielt, ihm noch größere zutraute, und dessen durchaus kein Hehl hatte, sondern für seine Wertschätzung die gewählteste, ja nicht selten eine überschwengliche Sprache fand – nun im vertraulichen Verkehr ihm die schüchterne Poetenzunge gelöst war – das trug nicht wenig dazu bei, dem Sonderling das leicht bewegliche Herz des Künstlers zuzuwenden.

Es that dem vielverkannten, vielmißhandelten Menschen seltsam wohl, wieder einmal bewundert, belobt und verhätschelt zu werden, so daß er sich an den fremden, jüngst noch belächelten Mann voll Zutrauen und blinder Ergebenheit anschloß.

Allein es währte nicht lange, und die Enttäuschung blieb nicht aus.

Leo Ferdinand von Sempach war wie in seiner äußeren Erscheinung auch in seinem inneren Wesen aus Widersprüchen zusammengesetzt und unter allen Sterblichen wohl am wenigsten geeignet, der Freund eines einfachen und arglosen Mannes zu sein.

Der Erbe eines bereits angesehenen Namens ward er ganz erfüllt und besessen von nagender Ruhmgier. Dieser zu frönen, griff er nicht selten zu ganz phantastischen Mitteln. Er glänzte bald an Höfen verschiedener Fürsten, zog sich bald in die Einsamkeit seiner Landgüter zurück, oder machte Reisen um die Welt und ließ von seinen Stationen in den Zeitungen reden. Er baute sich mitten im Urwald ein verschnörkeltes Palästchen in einem selbsterfundenen Barockstil. Er schrieb dicke Bücher und schmächtige Verse. Er stellte Kuriositäten seines Familienbesitzes aus. Er kaufte verkannten Genies ihre Bilder und Statuen ab, von denen niemand nichts wissen wollte, vorausgesetzt daß ihr Verkanntsein ihnen noch nicht gestattete, vollwichtige Preise zu beanspruchen. Denn so reich er war, so geizig war er, und da der Ruhm viel Geld kostete, hielt er, was er von seinen Altvordern im legalen Erbgang erworben hatte, mit feindseliger Aengstlichkeit zusammen, die in jedem Mitmenschen mehr oder weniger einen maskierten Beutelschneider vermutete.

Diese Menschenfeindlichkeit im allgemeinen hinderte ihn nicht, sich ab und zu durch vergötternden Enthusiasmus gegen einen einzelnen schadlos zu halten. Aber wehe dem Idol, wenn es nicht nur beräuchert, gelobhudelt, angedichtet sein wollte, wenn es, durch seinen blühenden Wortschwall zum Vertrauen angeregt, Augen und Sprache gewann und wie einem andern Sterblichen gegenüber Meinungen, Wünsche, Stimmungen äußerte!

163 Der alte Feudalherr war gewohnt, zu befehlen, zu diktieren, in allen künstlerischen, wissenschaftlichen und gesellschaftlichen Fragen Ton anzugeben. Er duldete keinen Widerspruch, auch höflich verschleierten, auch nur vermuteten nicht.

Und wie schon überhaupt der Mangel an ersehntem Ruhm und die Ermüdung nach so viel fruchtlosen Bestrebungen eine tiefe, an allem Seelenglück verzweifelnde Melancholie zur Grundstimmung seines Daseins gemacht hatten, so konnte Widerspruch gegen seine Autorität oder auch nur eine von seinen Anschauungen abweichende, wenn auch noch so ehrliche Richtung des Strebens und Denkens ihn in flammende Wut versetzen.

Er, der die schönsten Pamphlete gegen die Bevormundung in Staat und Kirche verfaßt hatte, war der unduldsamste Fanatiker seiner eigenen Ansichten. Er, der nicht müde ward, der Minne Lust und Leid in fein gedrechselten Versen zu besingen, war und blieb der einsamste Junggeselle, ein giftiger Weiberfeind, der alles, was Unterröcke trug, in weitem Bogen umging und vor Angst und Wut in Krämpfe zu fallen drohte, wenn auf irgend einem Bahnhof irgend eine fremde Dame sich seinem Koupee zu nähern Miene machte. Er, der in schwärmerischen Tiraden am liebsten Freiheit, Gleichheit und bürgerliche Tugend verherrlichte, enterbte sonder Gewissensbiß den nächsten seiner Blutsverwandten, weil dieser sich hatte einfallen lassen, aus reiner Neigung die schöne Tochter einer früheren Leibeigenen zu heiraten.

Ein hartherziger Kunstfreund, ein unerquicklicher Kumpan, ein entsetzlicher Reisegefährte.

Robert Leichtfuß erkannte das alles, da es zu spät war, die vertrauensselig aufgenommene Fessel wieder abzuwerfen. Er stand nun einmal in Pflicht. Er hatte diese und jene genau bezeichneten Bilder zu kopieren übernommen; er hing in Ordnung, Größe, Reihenfolge der Nachahmungen ganz von den Befehlen des Barons ab und er sah dabei bald ein, daß dieser mit dem Kennerauge nicht nur sein künstlerisches Vermögen, sondern auch seine Leichtfertigkeit in Geldangelegenheiten richtig gewürdigt und ihn um billigen Preis zu Leistungen gedungen habe, die unter Brüdern das Doppelte und Dreifache wert waren.

Aber wie es schon seine Art war, Robert kniff über der mißlichen Seite dieses wunderlichen Dienstverhältnisses das eine Auge lustig zu und sah mit dem andern nur die erfreuliche Thatsache, daß er in dem kunstverständigen hochfahrenden Sempach doch einen Gönner gefunden hatte, der eine Reihe guter Arbeiten mit klingender Münze bezahlte, derweil er ohne diesen 164 geheimen Lyriker mit der lorbeerlosen Freiherrnkrone vielleicht noch Wochen, Monate oder auch Jahre hätte warten, malen und darben und am Ende verhungern können ohne die geringste Aussicht, sein Kind . . .

Doch er hing an diesem Gedanken mit so abergläubischer Inbrunst, daß er ihn niemals ganz zu Ende zu denken, geschweige gar auszusprechen wagte, um nicht voreilig daran zu rühren, ihn nicht zu einem Luftschloß zu entweihen, ihm nicht seine volle ursprüngliche Triebkraft anzutasten, ehe die Möglichkeit erschien, ihn auch rasch und rücksichtslos zu verwirklichen.

Indessen sorgte das Schicksal dafür, daß Robert, während er im blühenden Florenz und später im ewigen Rom eine Leinwand nach der andern vollpinselte, denn doch mit diesem Gedanken Aug' in Auge sich befassen und auch über ihn laut reden mußte.

Jenen eleganten Privatbrief eines Berliner Advokaten, welchen er noch in Venedig erhalten, hatte er, in hundert Fetzen gerissen, in die Lagune flattern lassen. Er war zeitlebens nie ein Freund vom Schreiben gewesen; solchen Wisch eines dummdreisten Dritten zu beantworten, das sollte einem Menschen, wie Robert Leichtfuß einer war, einfallen! . . . Er lachte nur darüber und fand keinen Grund zu einer Antwort. Er hatte sein Weib geliebt . . . oh, mit einer einzigen Liebe, wie nie vordem und nachher ein Gefühl sein thörichtes Herz beschlichen; er hatte um dieser Liebe willen viel ertragen, ja vielleicht Unwürdiges, was er sich besser nie hätte bieten lassen dürfen; er hatt' ihr Opfer an seinem Sein und Selbst gebracht, solang er sich in dem Glauben hatte wiegen können, wiedergeliebt, ach, nur um der heiligen Pflicht willen ertragen zu sein. Aber nach einem schamlosen Treubruch, wie er an ihm, dem Betrogenen, Hilflosen, Kranken verübt worden, war jeder Gedanke an Emma ausgerissen. Er liebte sie nicht mehr; er haßte sie auch nicht, denn das wäre in solchem Fall nur übergeschnappte Liebe gewesen; es ekelte ihn vor ihr und ihrer Sippe, und er hatte nur einen Wunsch, sie nie wieder zu sehen und nie wieder von ihr zu hören.

Um so peinlicher war er überrascht, eines Tages im Spätherbst durch den deutschen Konsul in Florenz ein Stempelpapier zugestellt zu erhalten, darin er in den üblichen gerichtlichen Redensarten zu einem Sühneversuch geladen wurde.

Die Buchstaben tanzten vor seinen Augen. Ein Sühneversuch! Er sollte versuchen, sich mit dem schlechten Weibe auszusöhnen, das ihrem angetrauten Gatten das gethan hatte? 165 Gab es für das Geschehene denn Sühne, soweit auf Erden Weiber sich an Männer schmiegen und einander goldene Ringlein als sichtbar gewordene Eide an die Finger stecken!

Er hielt das Stempelpapier bald nah, bald auf Armslänge weit vor seine Augen. Wie drollig sich der Name seiner Frau ausnahm in dieser Kanzleischrift! Er stampfte mit dem Fuß und knirschte mit den Zähnen, daß er ihr diesen seinen ehrlichen Namen nicht abreißen konnte, wie vom falschen Gesicht eine Maske . . . ha ha! Das war sie ja, das Mädchen mit der Larve!

Er schüttelte sich vor Unwillen, ballte das Stempelpapier in einen Knäuel zusammen und warf es beim Atelierfenster hinaus aufs Dach. Mocht' es die Katze, mocht' es der Teufel holen . . . das Papier, und die es veranlaßt hatten! Er wollte nichts davon wissen!

Er redete keine Silbe über das Ding, auch mit dem Freiherrn von Sempach nicht, der überhaupt nur von ewigen und ernsten Dingen mit ihm verhandelte und den gemeinen Drangsalen dieser Welt auf Parnasseshöhen entrückt war ein für allemal. Seine Mittel wie seine Neigungen erlaubten ihm das gleicherweise.

Einige Wochen noch sah Robert, wenn er, um Luft zu schnappen, auf Augenblicke den Kopf zum Fenster hinausstreckte, den Papierknäuel in der Dachrinne liegen. Eines Tages war er weg, der Regen mochte ihn verspült haben, und die ganze Sache ging dem einsamen Maler wieder aus dem Gedächtnis.

Allein es dauerte kaum zwei volle Monate – er war mittlerweile schon nach Rom übergesiedelt – daß ihm ein neues Schriftstück, wieder durch den dortigen deutschen Konsul, übermittelt wurde, worin ihm vom Berliner Landgerichte schlicht und klar anbefohlen wurde, seine Frau bei sich aufzunehmen und zwar binnen vier Wochen.

Leichtfuß lachte unbändig über den neckischen Einfall. Er ward den ganzen Tag die Heiterkeit nicht los, die ihn beim Lesen dieses überraschenden Schriftstücks überkommen hatte. Er dachte sich Schön-Emma neben seiner Staffelei sitzen, den Strickstrumpf zwischen den Fingern, schlicht gescheitelt, mit sittsam niedergeschlagenen Augen. Er dachte sie, sein frugales Mahl mit ihm teilend und ihm zunickend den dünnen Rotwein ins Gläschen gießend. Er dachte sich an dem einen Arm die Gattin, am andern den Biedermann Heribert durchs Gewühl der Quiriten steuernd. Und er bog sich vor Lachen in seiner Werkstatt, in der kahlen Osteria und auf dem Monte Pincio.

166 Die Leute sahen dem einsam Lachenden erstaunt nach, und der Baron konnte sich nicht enthalten, ihn zu fragen, warum er durch so ungeschickte Ausbrüche närrischer Heiterkeit in die feierliche Trübsal seines Weltschmerzes Dissonanzen schleudre, die weder künstlerischen Zweck noch gesellschaftliche Berechtigung hätten.

Robert behielt die Veranlassung für sich, biß die Lippen aufeinander und dachte, nun werden die in Berlin wohl nachgerade merken, daß ich mich nie wieder um sie kümmern will, und mich demgemäß in Ruhe lassen.

Als aber wieder viele Wochen später ein Brief von seiner Frau ankam, ein wirklicher Brief, zwar nicht von ihrer Hand geschrieben, aber von ihr mit ihrem vollen doppelten Namen unterzeichnet, worin sie ihn . . . Heribert Meyers leibliche Tochter ihn . . . um Reisegeld bat, auf daß sie sich zu ihm begeben könne, da war kein Ansichhalten, kein Schweigen mehr möglich, da mußt' er reden und seiner Entrüstung, seinem Ekel, seinem Staunen Luft machen, daß es für solche Heuchelei und Niedertracht, für solchen Hohn und Lug gerichtliche Formeln und schamlose Stirnen gab.

Er fing sich seinen Baron vor und übergoß ihn mit seiner ganzen quellenden Empörung und erzählte dazwischendurch die Geschichte seines Lebens und seiner Ehe.

Leo Ferdinand von Sempach fuhr sich in die byronisch frisierten Haare, zerrte an seiner fingerdicken, massiven Uhrkette, als wollt' er sie zerreißen, und streckte wie beschwörend bald die eine, bald die andre seiner wohlgepflegten Hände gegen den unerschöpflichen Redner aus.

Endlich, da so sanfte Zeichen seiner Ungeduld nicht verfingen, hielt er sich beide Ohren zu und trippelte auf seinen spitzigen Lackschuhen wie ein Verzweifelnder im Zimmer hin und wider, das durch so profane Flüche noch nie entweiht worden war.

Nun hielt Robert in plötzlicher Besorgnis, sein Mäcenas wäre verrückt geworden, wirklich inne, und der andre hub an, im Tone des Herrn zu versichern, daß er sich derlei Mitteilungen ernstlich verbitte. Sie regten ihn gemein, regten ihn pathologisch auf. Das gewöhnliche Elend gewöhnlicher Menschen habe nicht das leiseste Interesse für ihn. Derlei habe jedes Geschöpf selber genug und zuviel erfahren, er aber wollte sich alles Gemeine möglichst fern halten, um seine Gedanken nur dem ewig Großen und Schönen zuzuwenden immerdar. Seine Lebensanschauung wäre lang fertig, und das Individuum, auch dasjenige Roberts, habe in seinen Augen nur als 167 künstlerische Potenz Bedeutung. Die Schlacke Schicksal streife er in seiner Wertschätzung der Persönlichkeit ganz ab. Ganz ab!

Wollte Robert seinen Verdruß produktiv idealisieren und seinen Schmerz in ein Bild, in ein Kunstwerk verwandeln, altro . . . Darüber ließe sich reden, dafür ließe sich Aufmerksamkeit und Teilnahme erwecken. . . . Aber das ordinäre, empirische, realistische Faktum, dergleichen der Freiherr in jedem Tageblatt unter den Faits divers weit bildungsfähigere lesen könnte, habe nicht das geringste Interesse für ihn und der Maler möge ihn gütigst mit solchem Polizeibericht verschonen.

Indessen könne er doch nicht umhin, sich baß darüber zu verwundern, daß ein Mensch, der alsosehr am gemeinen Leben hänge, sich nicht mehr Kenntnis des gemeinen Lebens und seiner Formeln angeeignet habe, um sich über die einfachsten Vorkommnisse eines Scheidungsprozesses zu erstaunen. Roberts Frau dächte ja nicht im Ernste daran, zu dem schnöde verlassenen Gatten zurückzukehren, ganz im Gegenteil vielmehr, sich in aller Form Rechtens für immer von ihm zu trennen, damit dies aber um so sicherer und glatter geschehen könne, ihn derb ins Unrecht zu setzen. Mit jenem Briefe sei jedem Richter der Beweis erbracht, daß sie sich dem Eheherrn zur Verfügung gestellt habe. Wenn Robert nun nicht als der schuldige Teil betrachtet oder aber gar nicht von seiner schöneren Hälfte geschieden werden wollte, so brauchte er seiner Emma jetzt nur den Streich zu spielen, sie mit Uebersendung von etwa hundertfünfzig Mark nach Rom zu citieren . . .

Leo Ferdinand von Sempach lachte mephistophelisch und doch so melodisch auf, als sein Hofmaler sich widerwillig von der Vorstellung abwandte, dies ehelich angetraute Gespons sich noch einmal nahe kommen zu lassen. Er ahnte kongenialen Weiberhaß in ihm, und dieser hätte sich heut eine besondre Gunst erbitten können, der Freiherr hätte sie gern gewährt.

Robert Leichtfuß aber schüttelte die Erregung, welche Emmas Brief über ihn verhängt hatte, durchaus nicht mit dem einen Schauder ab; er legte sich vielmehr des öftern die Frage vor, ob es nicht geraten sei, auf die Form einzugehen und Reisegeld nach Berlin zu schicken. Er witterte aus all diesen gerichtlichen Winkelzügen selber die Absicht heraus, ihn ins Unrecht zu setzen und die Möglichkeit, ihm noch mehr Leid anzuthun, als schon geschehen . . . sollt' er dem nicht zuvorkommen, indem er in dem Mummenschanz, zu welchem hohe Gerichtsbarkeit und geltendes Recht ihn einluden, die angebotene Rolle übernahm?

168 Doch solch Blindekuhspiel mit der Wahrheit erschien ihm würdelos und verächtlich. Mochte sich dessen bedienen, wen davor nicht ekelte. Robert wollte klipp und klar niemals und nichts weiter mit der Sippe Heriberts zu thun haben und einem Weibe, das ihn in höchster Not boshaft und untreu verlassen hatte, die Ehre keines Worts und keines Winks mehr gönnen. Sie lebte für ihn nicht mehr, und ihre Spur in seinem Herzen sollte ausgetilgt sein bis auf das letzte Gedächtnis.

Und wozu auch dies erbärmliche Komödienspiel?! Was vermochten jene denn ihm noch anzuhaben nach dem, was bereits geschehen war?! Das Aergste, was ihm widerfahren konnte, war geschehen, sie hatten ihm sein Kind gestohlen. Kam der Tag, da er es zu holen im stande war, wer sollt' es wagen, ihm dasselbe vorzuenthalten! . . . Was konnt' ihm weiter von ihnen geschehen! Mochten sie ihn vor den Schranken des Richters, mochten sie ihn vor aller Welt verleumden und die erbärmlichsten Lügen über ihn ausstreuen; mochten sie seinen guten Namen mit dem Kot ihrer Erfindungen bewerfen: was lag ihm an dieser Leute Reden! Sein Name litt am meisten darunter, daß dieses Weib ihn tragen durfte. Den aber erkannte kein Gericht ihr ab, auch wenn er mit der ganzen Wucht und Wahrheit sich gegen sie verteidigt hätte.

Unvollkommen sind der Menschen Satzungen. Mochte sich der Schlechtere, der weder Scham noch Gewissen spürte, ihrer Schwächen bedienen! Roberts Stolz war vornehmerer Art. Und darum Apage, Satanas! und fort mit euch verächtlichen Einflüsterungen einer erbärmlichen Klugheit! –

Robert malte weiter unentwegt. Der römische Winter ging ereignislos, ohne besondre Freude, ohne besondre Trübsal, rasch vorüber, wie er an emsigen Arbeitern, die Tag für Tag die gleiche Stundenzahl vor derselben Aufgabe stehen, eben vorüberzufliegen pflegt. Der frühe Lenz, der wunderbare römische Frühling kam mit grellem Licht und vorzeitigen Blüten ins Land.

In der wonnigen Stimmung, die in solchen Tagen auch den Stillsten überzieht, dachte Robert schon, alle Mahnung an alte Zeit und altes Leid sei vorüber, da erreichte ihn wieder ein kurzer Brief vom deutschen Konsul, der ihm eine ausführliche Streitschrift seiner Gattin zuzustellen verpflichtet war, darin mit allen zulässigen und unzulässigen Advokatenkniffen und Pfiffen Klage wegen böswilliger Verlassung geführt und der Antrag gestellt wurde, die Ehe zu trennen.

Es ist sehr daran zu zweifeln, daß Robert Leichtfuß jemals dieses sauber ausgearbeitete Libell ganz oder auch nur zur Hälfte 169 gelesen habe. Was sollte er sich noch von solchem Gesindel ärgern lassen! Nein, die Freude machte er ihnen nicht! Mochten sie belfern, was sie wollten, er war weit davon, für ihn belferten sie nicht!

Der kunstvoll aufgebaute Beweis, daß er seine Gattin böswillig verlassen habe . . . wohl damals zu Venedig, als das Lagunenfieber ihn kraftlos in die Kissen geworfen hatte? . . . nicht doch, richtig, als er ihr die Mittel, sich in seine eheliche Gemeinschaft zu begeben, hartnäckig schweigend verweigert hatte . . . oh, der machte ihn heiter, als sähe er einer tollen Posse zu, die ihn persönlich gar nichts anginge.

Nur zu so, nur zu! Wenn's zu dem hier ausgesprochenen Ende führte, das beide Teile sehnlich wünschten, er wahrlich nicht minder als die in Berlin! Wenn er nur für immer von diesem elenden Weibe losgebunden wurde, los für immer und ewig! Dann war alles recht und gebilligt und gut! Alles!

Er meinte, weiter nichts dabei zu thun zu haben, und warf das infame Schriftstück zu unterst in seinen Koffer. Sie hatten's allein betrieben bisher, sie würden's auch ohne ihn zum gewünschten Ende bringen. Dafür waren sie ihm sicher! Nicht eine Silbe sollten sie von ihm zu hören kriegen!

Je nun, darin hatte Robert sein Weib und dessen Rechtsanwalt nicht überschätzt. Diese brachten es wirklich ohne ihn zum Ende, das sie gewünscht hatten.

Nachdem in Berlin Termin angesetzt worden, und der Verklagte auch diesmal weder erschienen noch sich durch irgend wen hatte vertreten lassen, ward bald danach – der Sommer fing eben an in Rom recht heiß zu werden, während in Berlin die ersten Spitzen an den Bäumen ergrünten – das Urteil gefällt und Herrn Leichtfuß das Erkenntnis zugeschickt.

Die Ehe Roberts mit Emma ward geschieden. Der Verklagte ward aus allerhand abschriftlich beigelegten Gründen für den allein schuldigen Teil erachtet. Auf Ehescheidungsstrafen hatte die Klägerin großmütig verzichtet, weshalb das Gericht, auch auf solche zu erkennen, keine Veranlassung nahm . . .

Bis hierher hatte der leichtfertige Maler im heißen Rom mit steigender Heiterkeit gelesen; aber seine Stirne verfinsterte sich, seine Hände bebten, sein Fuß stampfte auf, da er weiterlas . . .

Das Gericht sprach in Erwägung all der von der Klägerin aufgebrachten, vom Verklagten in keiner Weise zu widerlegen versuchten Gründe das Kind der Mutter zu . . .

Gaukelspiel und Erbärmlichkeit! Wie kamen die Narren im Richtertalar dazu, aus solchen lächerlichen, bei den Haaren 170 herbeigezogenen, aus den Fingern gesogenen, aus der Luft gegriffenen Scheingründen dazu, einem liebevollen, von Gott und der Welt mißhandelten Vater auch noch sein Einziges, sein Kind abzusprechen!

Robert spuckte in das Erkenntnis und trat es mit Füßen und übersah dabei, daß darin dem Verklagten schließlich auch noch die nicht unerheblichen Kosten des ganzen Verfahrens zu tragen aufgegeben wurde, eine Last, welche in die von dem Freiherrn von Sempach versprochene Summe eine solche Bresche zu legen drohte, daß sie zur Erfüllung der Hoffnungen Roberts kaum mehr geeignet erschienen wäre.

Uebrigens wurde besagter Verklagte auch später niemals an jenen letzten Paragraph des richterlichen Erkenntnisses gemahnt. Weder Kläger noch Gericht verlangten je einen Thaler von ihm zu sehen. Und so ist anzunehmen, daß Vater Heribert in seiner Großmut und angespornt durch die Freude, den verhaßten Tochtermann endgiltig und auf so billige Weise losgeworden zu sein, in seine eigene Tasche gegriffen und die in seinen Augen geringen Kosten, durch die so Wichtiges erzielt worden war, auf den Altar des Gerichts gelegt hat.

Er hätte diesem Robert Leichtfuß ja mit einem gewissen Vergnügen eine beträchtlich höhere Summe hingestrichen, wofern dieser so viel Grütze gehabt, die Situation zu seinen Gunsten auszunutzen und einen Preis für die Entsagung auf sein rechtmäßig angetrautes Weib, auf ein Weib wie Heriberts Emma, zu verlangen.

Aber erzalbern, wie ihm dieses Menschen Verhalten während des ganzen Prozesses erschienen war, blieb er dem überlegenen Bänker gegenüber bis ans Ende, und es schlich schier wie eine Anwandlung von Mitleid über dessen Herz, als der »Farbenreiber in seinem Bettelstolz« zu keinem Rechtsmittel griff, um dies auf so faulem Grund aufgebaute Erkenntnis über den Haufen zu stoßen.

So beschritt es unangefochten seine Rechtskraft, und jener schwieg sich aus, nach wie vor, und ließ sich alles und alles gefallen. Man hätt' ihm noch ärger kommen können, weiß Gott! Weiß Gott auch, es war so schon arg genug!

Daß er sich das Kind mir nichts dir nichts hatte aberkennen lassen, welches er vordem so affenmäßig zu lieben geschienen, das verwunderte den Menschenkenner Heribert Meyer denn doch. Das hätt' er nicht gedacht. Allein er hätt' auch nie gedacht, daß er so billig den ganzen Handel zum ersehnten Ziele führen könnte. Und nun hatt' es doch »fast nichts« 171 gekostet. . . . Eine schwere Bleffpartie in der »Ressource« konnte leicht zehnmal teurer zu stehen kommen.

Na, es war gut so! Und die Dinge mochten sich nach Belieben weiter entwickeln! . . . Wie sich die Dinge weiter entwickeln würden nach Emmas Wünschen und Sehnen, darüber hegte Vater Heribert so wenig Zweifel, als sein vornehm fühlendes, vornehm ahnendes Ehegespons Hermione.

Auch wer sonst in dem schmucken Hause in der Tiergartenstraße verkehrte und die Augen nicht gerade in der Tasche trug, hielt es billigerweise nur für eine Frage der anstandsgemäßen Zeit, wann des reichen Mannes Tochter den verhaßten Namen des simplen Leichtfuß abstreifen und den volltönenden einer Freifrau von Wolkenfels-Krümelshausen sich wie eine goldene Krone aufsetzen werde.

Die vor Hoffart halb toll gewordene Brigitte sollte nicht lange mehr Namen und Titel vor der älteren Schwester voraus haben! Man traf den klugen, weltgewandten und, wie es schien, bis über Kopf und Ohren verliebten Baron Horst in Emmas Salon so ziemlich zu allen Besuchsstunden.

Mit dem alten Heribert stand er auf bestem Fuß, und dieser hatte längst die Ueberzeugung gewonnen, daß Horst von beiden Vettern der bessere und auch als Schwiegersohn vorzuziehen sei.

Es währte nicht lang, so kam es Heribert nicht mehr anders vor, als wäre seine Tochter Emma eigentlich vordem gar nie an einen andern Mann verheiratet gewesen. . . . Er sagte das auch dem stumm aufhorchenden Horst, und dieser lachte nicht einmal, wenn jener von der ersten Ehe seiner Braut nur mehr als einer »jugendlichen Verirrung« und endlich gar als einer »Mesalliance« sprach.

Das Kind war freilich da, jedoch Horst hatte sich niemals über dies Kind beklagt; er stand im Gegenteil im lustigsten Verhältnis zu dem allerliebsten Baby, spielte mit ihm unermüdlich und brachte ihm so viele Süßigkeiten mit, als es die Tasche seines zweireihigen Rockes und das Gewissen eines zukünftigen Familienvaters nur erlaubte.

Heribert, der Menschenkenner, sah dem zu und dachte sich sein Teil. Möglich, daß Baron Horst auch so ein Narr war. Aber er glaubte es nicht. Nach der Hochzeit, und wenn erst eigene Nachkommenschaft vorhanden wäre, mochte sich in Ton und Haltung wohl manches ändern zwischen dem hochadeligen Pflegevater und dem bürgerlichen Stiefkind . . .

Heribert überdachte das alles. Aber am Ende konnte doch ein leidliches Verhältnis auf gesunder Basis geschaffen werden. 172 Unter »gesunder Basis« verstand Heribert immer Geld und des häufigeren eben mehr Geld, als wozu man ohnehin schon verpflichtet war.

Adelige Schwiegersöhne waren teuer. Diese Thatsache hatte sich dem gewitzigten Herrn schon aus der Verbindung seiner jüngeren Tochter ergeben; allein er konnte sich diesen Luxus ja gestatten, obschon er vor nahezu vierzig Jahren . . . Sie wissen bereits!

Vielleicht ließ sich Horst einmal in einer vertraulichen Stunde bereden, Klein-Erna, die ein so anstelliges zierliches Wesen war, an Kindesstatt anzunehmen. . . . Eine Gefälligkeit war ja freilich der andern wert. . . . Gewiß, und es waren nicht alle solche Dummbärte, wie Robert Leichtfuß »seligen Angedenkens« . . . der würde sich in seinem Rom auch das noch gefallen lassen . . . kein Zweifel! Und dann waren sie alle adelig und brauchten sich nicht voreinander zu schämen, d. h. die Kinder und die Enkel. Die Eltern hatten's nicht notwendig. Die konnten auch so verbraucht werden, und Heribert Meyer war darüber getröstet, nicht unter geschlossenem Helme zu sterben.

Derweilen Papa Meyer also die Zukunft von Tochter und Enkelin mit fürsorglicher Weisheit überdachte, stand Ernas wirklicher Vater einen Tag um den andern an seiner Staffelei zu Rom und mühte sich ab, den Anforderungen Leo Ferdinands von Sempach, sowie seiner eigenen Meinung gerecht zu werden.

Er arbeitete nun schon mit jener fieberhaften Ungeduld, die einen gerade in den letzten Zeiten langschaffender Thätigkeit überkommt, wo jeder Tag, den man abstreicht, wie ein Stückchen Erlösung betrachtet wird, wo man seinem Eifer kaum mehr genugthun kann, und man seine Kräfte überspannt, überreizt und des Schadens, den man sich thut, doch nicht achtet, nicht achten will.

Sempach, der idealistisch frisierte Kunstkenner, ging zwischen all der bemalten Leinwand, die er in seiner römischen Wohnung aufgestapelt hatte, mit gemilderter Melancholie, ja in wachsendem Besitzerstolz herum und ward nicht müde, seinen Besuchern die erstaunlichen Eigenschaften dieser Kopieen vorzudemonstrieren, welche von den Originalen kaum zu unterscheiden waren.

Dieselben machten in dem kleinen Kreise feinfühliger Beurteiler auch wirklich großes Aufsehen. Robert Leichtfuß bekam nicht nur manch lobendes Wort zu hören, auf das er sich im Ernst etwas einbilden durfte; er erhielt auch einige Anträge, die ein längeres Verweilen in Italien weit einträglicher als das bisherige zu lohnen versprachen. Leo Ferdinand selber wäre 173 wohl nicht abgeneigt gewesen, eine neue Verabredung mit dem so glücklich entdeckten Künstler einzugehen; nur scheute er noch vor der Konkurrenz der Käufer, die er selbst durch seine allzulauten Lobeserhebungen heraufbeschworen hatte, und die ihm nun die Preise der späteren Bilder Roberts natürlich verteuerten.

Indes der Maler war Italien müde. Der Sommer war wieder in den Herbst gegangen, und der Herbst verwandelte sich in Winter; er hatte die Heimat an drei Jahre nicht mehr gesehen. Er sehnte sich nach deutschem Schnee. Er hielt es kaum noch aus, das letzte Bild, zu dem er verpflichtet war, zu Ende zu malen, und er hatte auch vor dem ernstüberlegenden Sempach kein Hehl aus der Sorge, daß es nicht das beste der Sechse werden würde.

Nicht daß der Eifer nachließ, während das Heimweh wuchs, aber Robert fühlte seine physischen Kräfte nahezu erschöpft. Seine Hände zitterten zuweilen, wo er sich auf ihre Festigkeit verlassen mußte; und seine sonst so unermüdlichen, so scharfen Augen versagten auf Minuten, ja nun schon auf Viertelstunden den Dienst.

Zeichen von Ueberarbeitung, Mahnungen zum Ausspannen und Schonen!

Er bedurfte der Ruhe. Er bedurfte der Heimat. . . . Und was er vor jenem mit keinem Hauch erwähnte: er bedurfte vor allem und über allem seines Kindes.

Klein-Erna war sein Traum und sein Gedanke. Und immer quälender und quälender hatte sich in dem einsam über seiner Pinselarbeit grübelnden Vater das Bewußtsein ausgebildet, daß er keiner Vorstellung mehr fähig war, wie sein Kind eigentlich aussah, daß er das Wesen, woran sein Herz allein noch hing, sich nicht in Gedanken ausmalen konnte, ja daß er keine Ahnung davon hatte, wie es nunmehr blicken, lächeln, reden mochte. Ach, es konnte reden, seit Jahren schon reden, und er hatte es nicht gelehrt, und bei dem Namen Vater dachte das Kind an nichts – oder doch nicht an ihn, von dem auch es keine Vorstellung mehr besaß!

Als letztes Bild, welches Robert Leichtfuß für den Baron kopieren sollte, war, da der Maler nicht mehr in Rom aushalten zu können erklärt hatte, und der Luftveränderung dringend und sichtlich bedurfte, wieder eines aus den Florentinischen Schätzen erwählt worden. Claude Lorrains berühmtes Meeresufer mit der Aussicht auf die Villa Medici zu Rom in der Galerie der Uffizien.

Leichtfuß hatte sich lange gegen diese Aufgabe gesträubt, 174 denn alles Landschaftern, auch in der Nachbildung, war ihm zuwider. Der herbe Herr von Sempach bestand aber ganz entschieden auf seinem Schein. Es war ihm, wie er sagte, nicht bloß um das an sich bedeutende Bild zu thun, sondern um eigne Erinnerungen, die mit jenem einzigen Fleckchen Erde verknüpft, beim Anschauen des Kunstwerkes anregend in ihm aufgingen. Sein Recht, die Auswahl nach seinem Belieben zu treffen, war klar, die bedungene Zahl nicht voll, und der Gebundene mußte sich fügen.

Robert Leichtfuß war von der ins zweite Jahr währenden unablässigen Arbeit und seiner Sehnsucht halb aufgerieben, er ging mit verbissenem Ingrimm an die Arbeit und malte ohne Vertrauen zu sich, ohne Freude an der Sache, vielleicht aus diesen beiden Gründen mit doppeltem Eifer und Zusammenfassen aller Kraft.

Im Verlauf that's ihm der magnetische Zauber, der aus aller konsequent betriebenen Thätigkeit auf den Schaffenden wirkt, doch an, und schneller als sonst schien er mit dieser Arbeit sich der Vollendung zu nähern.

Leo Ferdinand von Sempach war ihm bald von Rom nach Florenz gefolgt und saß manche Stunde hinter ihm, schweigend, sich am Fortschritt seines Eigentums weidend, manchmal auch mit einer seiner treffenden Bemerkungen den Künstler fördernd.

Diesem aber war es in seiner Reizbarkeit dann immer, als säße der alte Lefranc vom Boulevard des Italiens hinter ihm und höhnte ihn aus, daß er wider Willen doch zu Landschaftereien zurückkehren müsse, wenn auch der viel zu früh von ihm vernachlässigte Tiburtin sich eines andern Stils befleißige, als der hochselige Lothringer Claus, an den er nun verhandelt war.

Robert mußte sich jedesmal umwenden, wenn der andre zu sprechen anhub, und erst, nachdem er sich überzeugt, daß es nicht der Franzose oder sein Gespenst, sondern der byronische Dandy mit der dicken Uhrkette sei, beruhigten sich seine Nerven und er konnte weiterpinseln, ohne Herzklopfen.

Da traf es sich, daß eines Tages, während Sempach wieder in Anschauung des werdenden Bildes verloren in einer Fensternische unfern Roberts Rücken saß, ein andrer Gönner an dessen Staffelei trat. Ein Amerikaner, der des öftern schon in Robert Leichtfuß gedrungen, nach Ablauf des einen Kontraktes mit dem Baron seine Thätigkeit an ihn zu verpfänden. Er sollte dabei bedeutend mehr gewinnen. Aber Robert hatte dieser Fronarbeit genug und war immer den Anerbietungen 175 des überseeischen Nabobs ausgewichen, was diesen aber nicht abhielt, ihn nach wie vor zu bewundern und zu belästigen.

Wie der Yankee nun heute neben dem Maler vor der Staffelei stand, brach er vor Verdruß, sich derlei Meisterkopieen nicht ins eigne Haus schaffen zu können, in echt amerikanische Verwünschungen aus. Er merkte nicht die Anwesenheit des Freiherrn, der sich in seiner Menschenscheu vornehm an die Wand gezogen hatte, als er den breitschulterigen Geldsack heranwackeln gesehen, und dieser schalt nun unverfroren Leichtfuß einen Thoren und Sempach einen Geizhals, der gegen das Lumpengeld seines Kontraktes einen solchen Künstler in schnöde Pflicht genommen habe. Jede einzelne Leinwand sei mehr wert als die Summe für alle zusammen. Ja, einem Sklavenhalter des Südens sei jener zu vergleichen, um kein Haar besser, denn diese hätten doch nur gemeine Arbeit, keine Kunstleistungen gefordert. Und wenn Robert nur wollte, so könnte er dem Knicker einen Streich spielen und diese Kopie an einen andern verkaufen, der sie besser zu würdigen wüßte.

Leo Ferdinand von Sempach hörte das alles, aber er hörte auch, daß der Maler auf diese Zumutung nur ablehnende Worte hatte, und wie er vorerst seiner übernommenen Verpflichtung als deutscher Mann treu nachkommen, nachher des Kopierens fremder Bilder genug haben werde und nur mehr an freies Schaffen aus sich heraus denken wolle.

Der Freiherr näherte sich, nachdem der Amerikaner wieder abgetreten war, geflissentlich der Staffelei, so daß Robert wohl merken mußte, demselben sei keines der fatalen Worte des Neuengländers entgangen. Das war dem Maler peinlich, obschon der andre nur schweigend neben ihm stand und in der unliebsam unterbrochenen Betrachtung der Arbeit mit dem alten Gleichmut fortzufahren schien. Doch das Erlebnis spornte ihn an, trotz seines alten Widerwillens seine ganze Kraft einzusetzen und etwas in seiner Art Vorzügliches zu leisten.

Wer aber beschriebe Roberts Erstaunen, als einen Monat später, da er dem Freiherrn das fertige und gefirnißte Bild zeigen und übergeben wollte, dieser in die feierlichen Worte ausbrach: »Ich habe Sie in der Vollendung der besten Ihrer Arbeiten nicht stören wollen, sonst hätt' ich Ihnen schon an jenem Morgen, da der amerikanische Herr Ihnen seine gutgemeinten, aber etwas unartigen Anerbietungen machte, gesagt, daß ich auf diese Kopie keinen Anspruch erhebe. Sie haben da etwas geleistet, was ich und niemand, der Ihr Schaffen bisher beobachtet hat, trotz aller Hochachtung von Ihnen 176 erwarten konnte. Dies Bild wäre in der That mit dem Bruchteil, das nach unsrer Abmachung darauf entfiele, nicht nach Verdienst bezahlt. Ich bitte daher, es zurückzubehalten, oder vielmehr, ich bitte, da es von Rechts wegen doch das meine wäre, es von mir als Geschenk anzunehmen. Es steht Ihnen nunmehr vollkommen frei, es für die von jenem Nabob angedeutete Summe nach der Neuen Welt zu verkaufen oder es als Andenken an die in meinem Dienste, ich darf wohl sagen, an die in Freundschaft mit mir verbrachte Zeit zu bewahren. Die bedungene Summe liegt, wie Sie wissen, bei der Bank dieser Stadt zu Ihrem Empfang bereit. Die fünf Bilder, welche ich von Ihnen habe, sind so vortrefflich, daß ich mich nicht geschädigt fühle. Jenem Amerikaner aber sagen Sie bei Gelegenheit, daß ich kein Knicker, kein Geizhals, kein Sklavenhalter, sondern ein ehrliebender Edelmann bin, der noch nebenbei das Verdienst hat, Künstler mit dem richtigen Auge zu erkennen, wo Emporkömmlinge, wie er, nur dem fertigen Ruhme nachlaufen, der an der Börse bereits kotiert ist.«

Robert wußte nicht, wie ihm geschah. Was ihm sonst und nicht mit Unrecht an des Freiherrn Art mißfallen hatte, war im Nu vergessen. Er sah sich nur einer unverhofften Freigebigkeit gegenüber, ja einer völlig unerwünschten Großmut, mit der er nichts anzufangen wußte, und es entstand ein Herüber und Hinüber von Bitten und Protesten, in denen keiner weichen wollte.

Am Ende behielt doch der Freiherr in seiner despotischen Freundschaft die Oberhand, und Robert entschloß sich, das Bild zu behalten, aber nur unter der Bedingung, daß er aus irgend einer Galerie des Kontinents über kurz oder lang dem Freiherrn ein andres Bild nach seiner Wahl kopieren und schenken dürfte.

Das waren sie beide zufrieden und trennten sich endlich mit lauten Versicherungen gegenseitiger Anerkennung und mit der stillen Ueberzeugung, daß sie sich schwerlich im Leben je wieder zusammensetzen würden.

Robert dachte aber bei seiner Natur auch nicht daran, den amerikanischen Kunstfreund aufzusuchen und diesem die Kopie des Bildes von Claude Lorrain anzubieten. Er fragte gar nicht danach, wo in Italien der kauflustige Mann gerade sich aufhalten möchte, erhob sein Geld, packte sein Bild und seine andern sieben Sachen so rasch wie möglich zusammen und sagte dem Land Italien lebewohl.

 

Ende des ersten Bandes.

 


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