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Vierter Akt

Polizeiwache

(Zimmer des Polizeiinspektors. Büreaukratisch öder Raum. Weiße Tünche, gelbes Tannenholzgemöbel. Im Hintergrund zwei Fenster, links eine Tür. Zwischen den Fenstern, unter der offiziellen Gipsbüste Kaiser Wilhelms des Zweiten, das Schreibpult des Sekretärs. An der Wand rechts ein vierschrötiger Kleiderschrank und ein Respekt einflößendes Aktenregal mit solide gebundenen Gesetzfolianten, aufgeschichteten Zeitungsstößen, geheimnisvollen Pappkästen und sonstigem Wust. Links, zwischen Tür und Fenster, ein glühender eiserner Füllofen, daneben eine primitive Waschvorrichtung und nach vorn zu eine schnurgerade Reihe Stühle. Im Vordergrund rechts der Tisch des Inspektors. An den Wänden Polizeiverordnungen, von der Mitte der Decke eine sparsame Gasflamme. Hinter den gardinenlosen Fenstern dichtes Schneegestöber, durch das zwei Stadtlaternen flackern. Das Ganze von trostlosester Nüchternheit).

Landrat

(im offenen Pelz) Sind sie Ihres Beamten also ganz sicher? Der Mann hat ihn wirklich mit ihr ins Haus gehn sehn?

Hoppe

(Polizeiuniform) Herr Landrat dürfen sich auf den Bericht vollkommen verlassen.

Landrat

Kanns nicht vielleicht doch n andrer gewesen sein? Solche Weiber wie die Link, lieber Hoppe, sind sehr vielseitig.

Hoppe

Der Schutzmann Patzkowski ist mein zuverlässigster Beamter. Außerdem kennt er den jungen Herrn von Zedlitz ganz genau.

Landrat

Nur um Gottes Willen nichts behaupten, was wir nicht ganz, aber auch ganz bestimmt beweisen können!

Hoppe

Jeder Zweifel ist ausgeschlossen, Herr Landrat. Herr von Zedlitz hat mit Fräulein Link das Schladebachsche Haus (in ein Altenstück sehend) um Ein Uhr fünfundzwanzig betreten und kurz nach Fünf allein wieder verlassen.

Landrat

Is doch wirklich n Skandal! Der alte Zedlitz kann mir leid tun.

Hoppe

Ja, sehr bedauerlich ... Den Backermeister Schladebach habe ich sofort verhaften lassen.

Landrat

Verhaften? Der Mann ist doch nicht fluchtverdächtig.

Hoppe

Das nicht, aber § 180. Der Kunde ist imstande und besticht die Zeugen.

Landrat

Ah so? Jajajajaja! Uebrigens ... mir Wurscht. Das s Kriminalsache. Damit mag sich das Königliche Landgericht rumärgern. Aber wenn der Herr Direktor hier nachher seine Jungens einsammelt, das is mein Ressort. Dann rufen Se mich.

Hoppe

Ich habe Ordre gegeben, sofort nachdem das Nest ausgehoben ist, Herrn Direktor Niemeyer aufs Revier zu bitten.

Landrat

Sehr schön.

Hoppe

Der Transport muß bald eintreffen.

Landrat

Schön. Ich werde also Ihrem Wachtmeister hinterlassen, mir n Boten rüberzuschicken. Ich bin im Kasino. Angenehmer Sonntagabenddienst für uns heute!

Hoppe

Herr Direktor Niemeyer wird überrascht sein.

Landrat

(achselzuckend) Ja, da können wir ihm nu nich mehr helfen!

Hoppe

Verzeihn, Herr Landrat. Diese Festnahme der Schüler ... Ich weiß wirklich nicht ...

Landrat

Darüber lassen sich keine grauen Haare wachsen. Maßregel mag hart erscheinen, Herren Väter werden Spektakel schlagen, aber – Biegen, oder Brechen! ... Uebrigens (schon im Begriff zu gehen) Patzkowski war also auch der findige Beamte, der die Mehlkiste rausgekriegt hat«.

Hoppe

Zu dienen, Herr Landrat. Es ist fast unerklärlich, wie uns dieser Dachsbau so lange hat entgehn können.

Landrat

Schlaue Bengels! Alles was recht is ... Also fuffzehn Mann und sechs davon Niemeyer. Das ganze Internat! Nu ... kann er ja drauf stolz sein. Aber an Patzkowski erinnern Sie mich. Möchte ihn zur Beförderung vorschlagen.

Hoppe

Zu Befehl, Herr Landrat. Fraulein Link ist übrigens draußen, wenn der Herr Landrat vielleicht ...

Landrat

Neenee! Um Gottes willen! Danke für Obst und Südfrüchte. Details Ihre Sache. Mahlzeit! (ab).

Hoppe

(der bem Landrat die Tür aufgemacht hat) Tamaschke! (aus dem Vorzimmer tiefe ehemalige Sergeantenstimme: »Herr Inschpekter!«) Die Zeugin soll reinkommen! (die Stimme: »Nu jehn Se man rin!«).

Lydia (hinter ihr Tamaschke mit Protokollbogen) Ich begreift garnicht, Herr Inspektor, warum ich schon wieder belästigt werde. Diese Art der Behandlung! Ich habe Ihnen meine Aussage doch schon heute Nachmittag gemacht!

Hoppe

Weshalb ich Sie noch mal vernehme, ist meine Sache. Der Grund wird Ihnen bald klar sein. Setzen Sie sich!

Lydia

Sie könnten mir auch in etwas höflicherer Form Ihren abgescheuerten Stuhl anbieten. Ich werde mich natürlich nicht setzen!

Hoppe

Sammtpolster gibts hier nich!

Lydia

Bitte, setzen Sie Ihre Impertinenzen nur fort.

Hoppe

(hinter seinem Tisch aufgestanden; brüllend) Sie befinden sich hier auf dem Polizeibüreau!

Lydia

Das höre ich an Ihrer Grobheit.

Hoppe

Tamaschke! Warum schreiben Sie nich?

Tamaschke

Ich schreibe ja.

Hoppe

Also so schreiben Sie! In der Untersuchungssache gegen Schladebach etc. pp... Haben Se pp.?

Tamaschke

Zu Befehl, Herr Inschpekter!

Hoppe

... wegen unerlaubter Verabreichung geistiger Getränke an Schüler des Königlichen Gymnasiums, Paragraph ... na, Se wissen ja schon.

Tamaschke

Ick weeß schon.

Hoppe

... und wegen – Kuppelei!

Lydia

Schreiben Sie nur hin, Herr Tamaschke. Schreiben Sies ruhig hin! Ich weiß schon, an wen ich mich wende. Nur schieben Sie dann, bitte, nicht mir die Schuld zu, wenn Ihnen das Ihre Stellung kostet!

Hoppe

... erschien, wieder vorgeladen ...

Lydia

Sie wollen also Beide Ihr Amt los werden! Schön. Aber wenn Sie glauben, daß ich mir dann wieder abbitten ließe, dann irren Sie! Dann irren Sie!

Hoppe

... die bereits vorvernommene Zeugin Lydia Link, Schauspielerin, protestantisch, etc. Wie schon ein Mal! Mit dem Uebrigen warten Se. (zu Lydia) Sie bewohnen beim Bäcker Schladebach zwei Zimmer.

Lydia

Drei, bitte, drei! Außerdem ist Herr Schladebach Konditor. Herr Tamaschke! Ich bitte das zu Protokoll zu nehmen! Im übrigen sage ich Ihnen gleich, Herr Hoppe: Sie können mich noch siebzig Mal in diese gräßliche Scheune hier schleppen lassen, Sie werden absolut nichts mehr aus mir herauskriegen. Ich weiß nichts mehr!

Hoppe

(auf den Tisch schlagend) Sie werden zunächst mal Ihre törichten Redensarten lassen! Weder ist das hier eine Scheune, noch lasse ich Sie hierher schleppen! Ich frage Sie anständig und Sie haben mir anständig zu antworten!

Lydia

Das tu ich ja!

Hoppe

Sie bleiben also bei Ihrer ersten Aussage? Herr von Zedlitz hat sich unter Ihrer Haustür von Ihnen verabschiedet?

Lydia

Ich bitte Sie! Wo soll sich Herr von Zedlitz sonst von mir verabschiedet haben? Ich bin doch keine Person?

Hoppe

Ich kann Sie zu einer anderen Aussage allerdings nicht zwingen. Ich mache Sie aber darauf aufmerksam, daß eventuell schon der Herr Untersuchungsrichter den ... Eid von Ihnen verlangen kann. Er wird ihn sogar verlangen! Und der ... Meineid wird mit Zuchthaus bis zu zehn Jahren bestraft! vielleicht überlegen Sie sich die Geschichte noch?

Lydia

Kann ich jetzt gehn?

Schutzmann

(in der Tür, meldend) Der Kollege Patzkowski bringt die Gymnasiasten.

Hoppe

Ist der junge von Zedlitz dabei?

Schutzmann

Zu Befehl, Herr Inspektor.

Hoppe

(zu Lydia) Sie werden jetzt sofort wissen, wozu Sie hier sind! (zum Schutzmann) Lassen Sie ihn eintreten.

Lydia

Ich muß aber dringend ins Theater! Ich habe im letzten Akt eine größere Rolle.

Hoppe

(nach der Uhr sehend) Sie haben noch Zeit.

Lydia

Aber lieber Herr Inspektor! Herr von Zedlitz ist doch so ein junger Mann! Das ist mir im höchsten Grade peinlich.

Hoppe

Das hatten Sie sich früher überlegen sollen!

Lydia

(wieder ihren Kopf aufsetzend) Soso! Sie hoffen, Herr von Zedlitz wird sich mit mir in Widerspruch setzen? Das wollen wir doch mal abwarten!

Zedlitz

(eintretend, beim Anblick Lydias stutzt er, ruckt sich aber sofort wieder zusammen. Grüßt sie stumm und kurz).

Hoppe

Herr von Zedlitz, der Schutzmann Patzkowski hat Sie gestern Nacht in Begleitung von Fräulein Link gegen halb Zwei das Schladebachsche Haus betreten und dasselbe kurz nach Fünf wieder verlassen sehn.

Zedlitz

(mit Gewalt seine Haltung bewahrend).

Hoppe

Fräulein Link behauptet, Sie hätten sich sofort unter der Tür von ihr verabschiedet, welche von den beiden Aussagen können Sie der Wahrheit gemäß bestätigen?

Lydia

(zu Zedlitz, der von der Wucht dieser Frage fast wie betäubt steht)

Und da zögern Sie noch? Nachdem Sie mir vor dem Herrn Direktor bereits alles bezeugt haben? Daß wir nichts mit einander gehabt haben! Gar nichts? Absolut nichts? Daß dieser ... Herr Patzkowski ein Lügner ist?

Hoppe

(zu Lydia) Sind Sie fertig?

Lydia

(noch immer zu Zedlitz) Heute früh untergräbt Herr von Kannewurf öffentlich meine Mädchenehre, Herr Hoppe macht kaum ein Geheimnis, für was er mich hält, und nun ... lassen Sie mich auch noch im Stich? ... Haben Sie alles vergessen!

Zedlitz

(der die unerwartete Eröffnung, die Hoppe ihm gemacht hat, noch immer nicht verwunden hat) Verzeihung, Herr Inspektor ... Darf ich mir ... des Herrn Direktors wegen ... eine Frage gestatten!

Hoppe

Bitte sehr.

Zedlitz

Muß ich etwas aussagen?

Hoppe

Sie haben das Recht, über Tatsachen, deren Kundgabe Ihnen ... zur Unehre gereichen könnte, Ihre Aussage zu verweigern.

Zedlitz

(nach einigem Zögern) Dann ... verweigere ich die Aussage.

Lydia

Pfui!

Hoppe

Herr von Zedlitz, ich muß Sie darauf aufmerksam machen, daß man in Ihrer Verweigerung eine indirekte Bestätigung der Eruierungen des Schutzmanns Patzkowski erblicken könnte. Bleiben Sie bei Ihrer Verweigerung?

Zedlitz

(schwer) Ich ... muß dabei bleiben.

Lydia

(»kocht«).

Hoppe

Tamaschke! Schreiben Sie! Die Zeugin beharrt bei ihrer Protokollerklärung. Der ebenfalls erschienene Zeuge Kurt von Zedlitz, Oberprimaner des hiesigen Königlichen Gymnasiums, verweigert die Aussage. (aus dem Vorzimmer Stimmengewirr) Schaffen Sie Ruhe draußen! (Tamaschke ab; zu Zedlitz) Unterschreiben Sie.

Zedlitz

(der eben unterschrieben hat und jetzt durch die einen Augenblick offene Tür deutlich die Stimme des Direktors hört: »Das ist mir alles gleich! Ueber meine Schüler habe ich allein zu befinden!« – zu Hoppe angstvoll) Der Herr Direktor?

Hoppe

Scheint so.

Lydia

Das ist ja das reine Komplott! Ich unterschreibe nichts!

Patzkowski

(in der Tür).

Hoppe

Patzkowski!

Patzkowski

Der Herr Direktor verlangt durchaus, daß wir die Schüler sofort nach Hause entlassen.

Hoppe

Sind sie alle protokolliert?

Patzkowski

Zu Befehl, Herr Inspektor.

Hoppe

Is zum Herrn Landrat nachm Kasino geschickt?

Patzkowski

Zu Befehl!

Hoppe

(achselzuckend) Ja ... wenn der Herr Direktor durchaus darauf besteht, können wir nischt machen. Gesetzlichen Grund, sie zurück zu halten, giebts nicht. Lassen Sie se laufen.

Patzkowski

Zu Befehl!

Hoppe

Und wenn der Herr Landrat kommt – melden Se ihm das sofort.

Patzkowski

Zu Befehl, Herr Inspektor! (ab).

Zedlitz

Darf ich nun gehn?

Hoppe

Ich habe nichts dagegen.

Zedlitz

(zögernd an der Tür, hinter der er den Direktor weiß).

Lydia

Und ich?

Hoppe

Sie warten, bis alle Schüler weg sind.

Lydia

Soll ich nicht vielleicht gleich über Nacht bleiben?

Hoppe

Ich habe jetzt Geduld genug mit Ihnen gehabt! Wenn Sie nicht den Mund halten, lasse ich Sie einstecken!

Niemeyer

(Pelz, Zylinder; in großer Erregung durch die Tür) Wie können Sie mir so etwas antun, Herr Inspektor! Meine Schüler gehören nicht auf die Polizei! Sie greifen mir in meine Rechte ein!

Hoppe

Bedaure, Befehl des Herrn Landrat.

Niemeyer

(der jetzt erst Zedlitz sieht) Zedlitz! ... Sie? ... Auch Sie? ... (sich an die Stirn fassend) Bin ich ... (auf ihn zu, ihn an die Schultern packend) Mensch!! (ihn schüttelnd) Ist das Ihr Zimmerarrest? So quittieren Sie's mir, daß ich Sie wie einen anständigen Menschen behandelt habe? ... (zu Lydia) Und Sie! Was tun Sie hier?

Lydia

Herr Direktor! Mißhandeln Sie mich nicht auch noch! (zu Hoppe) Warum dulden Sie das, Herr Hoppe? Ich muß fort!

Niemeyer

Sie bleiben! Ich muß Klarheit haben! Ich werde von allen Seiten hintergangen! Was haben Sie mit Zedlitz? (zu Hoppe) Herr Inspektor, warum befindet sich die Dame auf Ihrem Bureau?

Hoppe

Als Zeugin in der Untersuchungssache gegen den Bäcker Schladebach wegen Kuppelei.

Niemeyer

Wegen ... Kuppelei?

Lydia

(zu Hoppe) Dafür werden Sie sich zu verantworten haben! Empörend! Ich werde mich beim Herrn Justizminister beschweren! Der wird Ihnen zeigen, was es heißt, eine Dame beleidigen!

Niemeyer

Und ... mein Schüler?

Hoppe

Der Schutzmann Patzkowski hat auf seinen Diensteid genommen, daß Herr von Zedlitz gestern Nacht ... bei diesem Fräulein war.

Lydia

Das ist nicht wahr! Das ist eine ganz infame Lüge! Glauben Sie ihm nicht, Herr Direktor! Ich weiß nicht, was Herr Hoppe gegen mich hat! Herr Hoppe ist immer so! Ich habe ihm nie etwas getan!

Niemeyer

(um den sich noch alles »dreht«, zu Zedlitz) Sie haben mich also ... belogen. (Pause) Herr Polizeiinspektor ...

Hoppe

Herr Direktor!

Niemeyer

Ist die Anwesenheit dieser ... Dame noch nötig?

Hoppe

Nein.

Niemeyer

Dann befreien Sie mich, bitte, von ihrer Gegenwart.

Hoppe

(zu Lydia) Gehn Sie.

Lydia

(während sie hinausrauscht, zu Zedlitz, halblaut) Gentlemen.

Niemeyer

(zu Hoppe) Darf ich jetzt hier eine Depesche niederschreiben?

Hoppe

(ihm seinen Platz einräumend) Bitte sehr, Herr Direktor. Ich kann sie Ihnen ja gleich besorgen lassen.

Niemeyer

Danke. (wirft das Telegramm aufs Papier; es ihm überreichend) Wenn Sie also die Güte hätten.

Hoppe

(die Adresse lesend) Freiherr von Zedlitz ... verzeihen, Herr Direktor, es fehlt wohl der Bestimmungsort.

Niemeyer

(das Vergessene nachtragend) Mein Gott, ja ... Falkenau.

Hoppe

(das Telegramm in Empfang nehmend) Wird sofort erledigt werden.

Niemeyer

Danke sehr. (Hoppe ab. Pause) Sie werden noch heute mein Haus verlassen! Nicht eine einzige Nacht mehr will ich Sie unter meinem Dache wissen! Wie ich Ihren Herrn Vater kenne, wird er bereits den nächsten Zug benutzen und Punkt Elf hier sein. Halten Sie also Ihre Sachen bereit! ... Sie sind der sittlich verkommenste junge Mensch, der mich je meinen schweren Beruf noch schwerer empfinden ließ. Wenn Sie ahnen könnten, was dieser Augenblick eben in mir zertrümmert hat!

Zedlitz

Lieber Herr Direktor ...

Niemeyer

Sie wollen mich von Neuem belügen! Lügen Sie!

Zedlitz

Ich will jetzt die Wahrheit sprechen.

Niemeyer

Sie und die Wahrheit!

Zedlitz

Ich habe verdient, daß Sie so zu mir sind.

Niemeyer

Sie sollten Schauspieler werden! Die notwendigste erste Verbindung mit der Bühne hätten Sie ja bereits!

Zedlitz

Ich habe gefehlt, Herr Direktor. Ich bereue es!

Niemeyer

(bitter) Bereue es! (heftig) Was Sie angerichtet haben, schaffen Sie damit nicht aus der Welt!

Zedlitz

Ich weiß selbst nicht, wie ich mich so erniedrigen konnte ... Aber als ich mir heute früh darüber klar wurde, was mein Leichtsinn für Sie im Gefolge haben könnte, wenn mein schweres Vergehen bekannt wurde, glaubte ich, ich ... dürfte Ihnen garnicht die Wahrheit sagen.

Niemeyer

Ausgezeichnet! Also nun hätte ich Ihnen noch obendrein dankbar zu sein! (kaum noch an sich haltend) Wissen Sie auch, daß Sie mit Ihrer Frechheit jetzt bald das Maß zum Ueberlaufen bringen!

Zedlitz

... Ich kam dann noch mal und wollte Ihnen die Wahrheit sagen; aber als Sie mich dann mit Ihrer ... Güte so unverdient überschütteten, da habe ich ganz einfach nicht mehr den Mut gehabt ...

Niemeyer

Den Mut! (auflachend) Aber meine bodenlose Vertrauensseligkeit, Ihnen Zimmerarrest bei unverschlossner Tür zu geben, so zu belohnen ... den Mut, mich mit der gleichen, niederträchtigen Hinterhältigkeit a tempo noch einmal zu betrügen ... den Mut, den traurigen Mut, den hatten Sie!!

Zedlitz

(vergeblich nach Worten ringend).

Niemeyer

(maßlos) Unterbrechen Sie mich nicht! Ich habe genug von Ihnen! Ich kenne mich nicht mehr! (kleine Pause)

Zedlitz

Ich ... hatte ja die beste Absicht. Ich wollte meine Mitschüler ...

Niemeyer

Aah! ... Sehr fein ausgedacht! Sie verlieren die Fassung nicht. Soll ich Ihnen das Märchen, das Sie mir jetzt vorgaukeln wollen, nicht doch lieber gleich selbst erzählen? ... Sie sind mit beflügelter Tunika in das unterirdische Symposion enteilt, um Ihrem alten Lehrer den Kummer zu ersparen, in die geheiligten Mysterien der »Mehlkiste« durch die Polizei eingeweiht zu werden! Sie verfolgte Unschuld! ... Sagen Sie mal, warum haben Sie eigentlich nicht zur Zeit der Kreuzzüge gelebt? Was hätten Sie für eine Figur abgegeben! (mit verbissener Wut) Sie hatten um Fatima, die Liebliche, das heilige Grab an Saladdin verramscht, beim nächsten Frühstück hätten Sie sich diesen Unbequemen vom Halse geschafft mit Rattengift, zuletzt wären Sie Kalif von Rom geworden! Sie ... Edelmann, Sie! (Zedlitz zusammengezuckt) So müssen Sie sich nun mit mir altem, abgetakelten Schartekenpauker rumschlagen! Na, Ihr Käfig wird ja bald geöffnet werden. Ihr prosaischer Herr Vater hat auch keinen Sinn für Romantik, in Transvaal ist nichts mehr los, werden Sie eben, wie schon so viele Ihrer Herrn Sportskollegen, werden Se Kellner in Amerika! ... (losbrechend) Warum reden Sie nicht? Warum lassen Sie sich von mir beschimpfen? Haben Sie nicht mal so viel Ehrgefühl mehr, um sich zur Wehre zu setzen, wenn man Sie mit Peitschenhieben traktiert?

Zedlitz

Gegen Sie ... Herr Direktor ... wehre ich mich nicht.

Niemeyer

Na- türlich! Solche Helden wie Sie, haben so viel Feingefühl, sich nur mit Leuten zu befassen, die zurechnungsfähig sind! Im Moment tanzen Ihnen wohl zu viel rote Blutskörperchen in mir! ... Und wenn ich hundert mal ruhiger geworden sein werde – an einen Menschen wie Sie, werfe ich meine Zeit nicht mehr weg! Gehn Sie sofort nach Hause! Ihr Zeugnis werde ich Ihnen auf Ihr Zimmer schicken! Ich wünsche nicht, daß Sie mir nochmal unter die Augen kommen! Ich will Sie nicht mehr sehn! ... Warum zögern Sie noch? Haben Sie mich nicht verstanden!

Zedlitz

Ich bitte Sie, Herr Direktor ... mir zu verzeihen!

Niemeyer

Ich bin mit Ihnen fertig!

Zedlitz

Es ist meine letzte Bitte, Herr Direktor ...

Niemeyer

Sie haben jedes Bitten bei mir verwirkt! Danken Sie Gott, daß ich Ihnen rechts und links nicht noch einen Polizisten mitgebe! Sie sind ein Verbrecher!

Hoppe

(durch die Tür) Verzeihn Herr Direktor, der Herr Landrat wünscht Sie zu sprechen.

Niemeyer

Mich? Der Herr Landrat? Ich wüßte nicht, was ich mit dem Herrn noch zu verhandeln hätte! Am wenigsten auf diesem Boden hier! Wollen Sie ihm das mitteilen.

Hoppe

Offen gestanden, Herr Direktor, Ihr Auftrag ... Würden Sie nicht vielleicht Herrn Landrat gütigst selbst ...

Niemeyer

Wenn der Herr Landrat wünscht, werde ich ihm das auch ins Gesicht sagen! (Hoppe ab, durch die offene Tür der Landrat).

Landrat

(im Pelz; fragender Blick auf Zedlitz).

Niemeyer

(zu Zedlitz) Nun? Warum sind Sie noch hier?

Landrat

Herr Direktor ...?

Niemeyer

(zu Zedlitz) Ich begreife Sie nicht!

Zedlitz

Ich ... bitte Sie noch mal!

Niemeyer

Also dann muß ich raus!

Zedlitz

Verzeihn Sie. (ab).

Niemeyer

Sie haben Schüler meines Gymnasiums wie eine Horde Vagabunden auf die Polizeiwache schleppen lassen! Das setzt allerdings Ihrer ganzen Willkür gegen mich die Krone auf! Ich dachte, wir hätten das Tischtuch zwischen uns schon heute morgen zerschnitten! Was wünschen Sie noch?

Landrat

Ihren Schmerz möglichst kurz zu machen, Herr Direktor! Offen und ehrlich ... kommen Sie um Ihre Pensionierung ein.

Niemeyer

Sind Sie bei Sinnen?

Landrat

Auf Ihre Beleidigung reagiere ich nicht. Sie sitzen zu sehr in der Klemme. Ich wäre vielleicht noch gröber. Also ... machen Sie's.

Niemeyer

Und wenn Sie noch zehn mal so viel Trümpfe in der Hand hielten – den Gefallen tue ich Ihnen nicht!

Landrat

(der die Tür aufgemacht hat) Patzkowski!

Patzkowski

(draußen) Zu Befehl!

Landrat

Stellen Sie, bitte, sofort fest, ob der junge Herr von Zedlitz nach Hause gegangen ist.

Patzkowski

(draußen) Zu Befehl, Herr Landrat!

Niemeyer

Zedlitz steht zur Zeit noch unter meiner Autorität, Herr Landrat!

Landrat

Bestreit ich nicht. Aber der Vater is n alter Freund von mir. Und da möcht ich mich doch grade jetzt n bischen um den jungen Mann kümmern. Sah mir etwas ... sehr merkwürdig aus.

Niemeyer

Ich hätte meine Hand für ihn ins Feuer gelegt! Ich hätte tausend Eide geschworen! Ich habe an ihn mehr als an mich selbst geglaubt! Er hat mich belogen und betrogen! Vertrauen ist Wahnwitz! Güte ist Dummheit! Milde ist Verbrechen!

Landrat

Sie kennen nur Schwarz oder Weiß. Heute früh war er noch ein Lämmchen, jetzt is er n zweibeiniges Krokodil, das alte Oberlehrer frißt.

Niemeyer

Herr Landrat!

Landrat

Wenn ich mich recht entsinne ... ich denke, Sie wollten doch lieber auf Amt und Würden verzichten, als je den Glauben an Ihre Jungens verlieren. Haben Sie den immer noch!

Niemeyer

Ja! Und ich werde ihn verteidigen bis aufs Letzte!

Landrat

Trotz des lieblichen Ergebnisses Ihrer strengen Untersuchung?

Niemeyer

Trotzdem! Ich kann wegen dieses einen traurigen Ausnahmefalls nicht meine ganze Anschauung auf den Kopf stellen.

Landrat

Löblich, löblich. Na, und diese ... Horde Vagabunden, wie Sie vorhin beliebten! Die hat Ihrem rührenden Glauben also auch keinen Knax gegeben?

Niemeyer

Nein! Zu Vagabunden haben erst Sie diese jungen unverständigen Leute gemacht! Wenigstens in den Augen eines belustigten Pöbels, durch den meine Schüler wie Zuchthäusler transportiert wurden!

Landrat

Ach, das s ja reizend! Also nu bin ich der Sünder! Ich!

Niemeyer

Ja! Hätten Sie mir, wie dies unbedingt Ihre Pflicht gewesen wäre, zu rechter Zeit von dem, was Sie wußten, Kenntnis gegeben – Sie hätten den Triumpf Ihrer heutigen Brutalität nicht genossen!

Landrat

Nu reißt mir aber die Geduld! Ich habe Ihnen in früheren Fällen Kenntnis gegeben! Ich habs! Wo's sich um ganz ähnliche Mimiken handelte! Wo Ihnen die Jungens genau so auf der Nase rumgetanzt hatten, wie heute! Was hats genützt? Nicht den kleinsten Fingernagel! Angeschnauzt haben Se mich! Angeschnauzt! Wurden Zwei hinterm Fliederbusch abgefaßt, dann hatte der Jüngling der Maid Geibelsche Gedichte vordeklamiert! Ihnen sohlten die Lümmels vor, sie wollten sich für ihren Körnerbund Scherrs »Blücher und seine Zeit« kaufen und was haben Sie sich erstanden? Mantegazza »Physiologie der Liebe«, Pierre Louys »Aphrodite« und ähnliche Klassiker! Haben Sie mal beim Buchhändler Bodenhammer nachgefragt? Erst ich mußte Ihnen das Verzeichnis dieser hervorragend vaterländischen Bibliothek schicken!

Niemeyer

Diese unsittlichen Bücher sind vernichtet worden!

Landrat

Jawohl! Nachdem sich an ihrer Lektüre auch noch die ganze höhere Töchterschule beteiligt hatte! Und wenn Sie in dem seligen Wahn lebten, Ihre begeisterte Schillerschaar berauschte sich vom hohen Olymp herab an Maria Stuart oder am Herrn von Wallenstein, wo schwelgte sie? Im Edengarten, bei Miß Pollini! Hoch das Bein!

Niemeyer

Das ist nicht wahr! Ich habe die Billets, die immer nur besondere Vergünstigungen waren, stets selbst besorgt.

Landrat

Gewiß. Und die fidele Firma Klausing, Pöhlmann & Cie. verkloppte sie dann mit 50% Unterbilanz an die dadurch hoch beschmeichelten Herren Tertianer!

Niemeyer

Ich hatte dem Wirt vom Edengarten aufs strengste verboten, Schüler von mir in sein Lokal zu lassen.

Landrat

Nun, Sie erfahren ja jetzt, wie dieser Biedermann Ihr Verbot befolgt hat.

Niemeyer

Also abermals ein Disziplinarvergehen, das Sie mir verschwiegen haben.

Landrat

Zum Teufel nochmal, ich hatte es satt, daß Sie Ihre Schwefelbande immer wieder in Schutz nahmen! Ich habe mir darauf notgedrungen mein eignes Privat contobuch angelegt! Und jetzt ist die letzte Seite voll! Mag ja sein, daß ich in der Form manchmal bischen Juchtenleder war. Großer Rhetoriker bin ich nich. Aber kein schlechter Verwaltungsbeamter! Das lassen Sie sich gesagt sein. Bei Ihnen is umgekehrt! Und wenn ich Ihnen jetzt weiß Gott als guter Freund den vernünftigen Rat gebe, nu is de höchste Zeit, nu gehn Se, sonst werden Se gegangen, dann halten Se mich fürn Wehrwolf, der Sie auffressen will. Dann schmeissen Se mir niedrige Denkart an den Kopp und sonstige antike Lorbeerkränze, wie heute früh im Kasino! Henkersdienste leisten, is kein Vergnügen, Auch fürn preußischen Landrat nicht. Gefühle haben wir auch! Aber wo's sein muß, wie jetzt, nach dieser Zedlitz- und Mehlkistengeschichte – los! Da kennen wir keine Rücksichten mehr! Verlassen Se uns also nich freiwillig ...

Niemeyer

Sie scheinen seit heute früh nicht mehr aus dem Kasino gekommen zu sein.

Landrat

Verlangen Sie doch nich, daß ich in solchem Augenblick wie ne Amsel flöte! Im Uebrigen, wenn Sie's erleichtert – packen Sie auf mich, was Sie Lust haben.

Niemeyer

Sie verrechnen sich! Sie verrechnen sich gewaltig! Dieser Tag wird Ihnen das Genick brechen!

Landrat

Ah so! Herr Rechtsanwalt Falk. Er hat also seine Weisheit schon bei Ihnen abgeladen?

Niemeyer

Ich hätte dieser »Weisheit« nach Dem, was Sie mir über Ihre Taktik bereits offenbart hatten, nicht erst bedurft. Trotzdem war Herrn Falks Angebot mir natürlich von Wert und ich habe es daher acceptiert mit Vergnügen!

Landrat

Also Ihre alte Methode. Sie drehn den Spieß um und hoffen nun, er wird ... mir durch den Leib gehn! Darauf hätte ich allerdings gefaßt sein können.

Niemeyer

Ihr System gegen mich war eine Perfidie!

Landrat

Herr!

Niemeyer

Eine Perfidie! Sie hätten mein Verbündeter sein sollen und erniedrigten sich zu meinem Spion! Staatsangestellte haben sich gegenseitig zu unterstützen und sich nicht in den Rücken zu fallen. Es giebt eine allgemeine Kameradschaft, die im Gesetz nicht kodifiziert ist, auch unter Beamten. Ich mag blind gewesen sein: Sie waren unehrlich!

Landrat

Ich habe Sie ausreden lassen. Unsre Hirne sind zu wenig congruent, als daß eine Diskussion über Metaphysik und Verwandtes zwischen uns Sinn hätte. Jedenfalls das Resultat – Sie gehn nicht.

Niemeyer

Nein.

Landrat

Also bon! Kampf bis aufs Messer! Wenn Sie glauben, daß Sie dabei sanfter fahren ... ich werde mich meiner Haut schon zu wehren wissen! Den Begriff Ihrer Kameradschaft, um Sie wenigstens darüber zu beruhigen, kenne ich auch. Aber mit diesem Milchbrei waren Sie nicht zu kurieren. Es mußte Schwefelsäure sein! Und wenn ich jetzt mit Ihnen va banque spiele – in Dreiteufels Namen va banque!

Niemeyer

(der wieder ruhiger geworden ist) Den Rest überlassen wir jetzt wohl dem Ministerium. Sie werden Ihr Spiel verlieren.

Landrat

Abwarten! Tut mir leid, daß ich mich umsonst bemüht habe.

Niemeyer

Bedaure gleichfalls.

Patzkowski

(in Helm und Mantel durch die Tür) Zur Stelle!

Landrat

Nun?

Patzkowski

Herr von Zedlitz hat sich von hier nach Hause begeben. Dann war er ganz kurz auf seinem Zimmer und ist gleich wieder weggegangen.

Landrat

Wissen Sie wohin?

Patzkowski

Nein, Herr Landrat. Als ich hinkam, war er schon fort.

Landrat

(zu Niemeyer) Haben Sie irgend eine Vermutung, Herr Direktor?

Niemeyer

Nicht die geringste. Ich verstehe das garnicht ... Er hatte die strengste Weisung, das Haus nicht mehr zu verlassen.

Patzkowski

Herr Schimke hat sich gewundert, daß der junge Herr ohne Mantel fortging.

Landrat

Als Sie vorhin die Sistierung vornahmen, ist Ihnen da an dem jungen Herrn nichts aufgefallen?

Patzkowski

Nein, Herr Landrat. Er war der ruhigste von allen. Er behauptete sogar, er gehörte nicht mehr zum Verein. Er sei ausgetreten.

Landrat

Ausgetreten?

Niemeyer

(hastig) Hat er Ihnen einen Grund angegeben?

Landrat

Nun?

Patzkowski

Jawohl, Herr Landrat! Er war blos noch mal hingekommen, um seinen Kameraden ins Gewissen zu reden. Aber se haben ihn ausgelacht.

Landrat

Hat er Ihnen das blos selbst erzählt?

Patzkowski

Nein, Herr Landrat. Auch die andern haben das deponiert.

Niemeyer

(zum Landrat, schwer) Ich fürchte ... ich habe dem ... armen Jungen ... das schwerste Unrecht getan.

Landrat

Er wird doch keine Dummheit machen?

Niemeyer

(der erst jetzt voll die Situation erfaßt; verstört) Sie ... glauben doch nicht etwa ...? Um Gottes Willen!

Landrat

Patzkowski, wie viel Leute sind bei Ihnen frei?

Patzkowski

Außer mir noch Zwei. Schmiedel und Krebs.

Landrat

(Tür auf) Schmiedel! Krebs! (die Gerufenen in Helm und Mantel durch die Tür) Patzkowski! Sie nehmen den Hirschgrund, Schmiedel den alten Wall und Krebs die Obermühle.

Patzkowski

Zu Befehl!

Niemeyer

(stammelnd) Bester Herr Landrat ...

Landrat

(achselzuckend) Wir müssen ihn suchen gehn.

 

(Vorhang).


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