Autorenseite

 << zurück weiter >> 

Anzeige. Gutenberg Edition 16. Alle Werke aus dem Projekt Gutenberg-DE. Mit zusätzlichen E-Books. Eine einmalige Bibliothek. +++ Information und Bestellung in unserem Shop +++

Dritter Akt

Die »Mehlkiste«

(alter Bäckerkeller; duster und grauslich. Oben im Mauerwerk rechts vergitterte Fensterlöcher in Staub und Spinnweben. Aus der Ecke links eine steile Steintreppe. Im Hintergrund ein weiterer Kellerraum, der von dem vorderen durch einen breitoffenen Bruchsteinbogen getrennt ist. In diesem hinteren Keller führt rechts eine zweite Treppe zu einer verräucherten Bohlentür; links aufgestapeltes Scheitholz; in der Mitte die Tür zum Backofen, in dem schon Feuer brennt. Im Vordergrund links, neben der Treppe, eine mächtige, außer Dienst gesetzte Mehlkiste, von der Decke auf Hängebrettern, wie auch sonst, allerhand Backgerät: Säcke, Mulden, Mehlschaufeln, Teigschüsseln u. s. w. Ueber der Mehlkiste ein Büffeltrinkhorn, unter den Kellerfenstern rechts, über zwei gekreuzten Schlägern, ein schwarzrotgoldnes Wappenschild; alles leicht abnehmbar. In der Mitte der Bühne, auf breitem Kreuzgestell, ein massiger Knettisch mit Holzschemeln. Die ganze unterirdische Romantik wird beleuchtet durch die Backofenglut auf dem Hintergrund und zwei dicke Talglichter auf den beiden Schmalseiten des Tisches. Um den Tisch, in roten Mützen mit schwarzrotgoldnen Bändern, die »Aktiven« der »ehrenfesten und freien Blutsverbindung Antityrannia.« Klausing an der rechten Schmalseite, ihm gegenüber Pöhlmann. Beide mit Schlägern. Das Getränk ist »schäumender Met« in Holzkrügen. Sämtliches Gebein dampft aus langen Befreiungspfeifen Revolutionsknaster. Während der Vorhang sich hebt, verklingt grade die schon vorher hörbar gewesene letzte Strophe des Ergo bibamus: »Es glänzen die Wolken, es teilt sich der Flor, da scheint uns ein Bildchen, ein göttliches, vor; wir klingen und singen: »Bibamus!«).

Klausing

Ein Schmollis den Sängern! (alles: »Fiduzit!« Stimmengewirr; allgemeines Zutrinken: »Vercingetorix, Heil!« »Heil Dir, Mucius Scävola!« »Sempronius Grachus! In tyrannos!« »In tyrannos, o Catilina!« »Spartacus! Die Freiheit!« »Die Freiheit, Widukind!« »Harmodios, die – Liebe!« »Die Liabe, Aristogeiton! Die Liabe!«).

Spartacus-Klausing

(mit dem Schläger dreimal auf den Tisch dröhnend) Silentium! ... Catilina, sind die Wachen in Ordnung!

Pöhlmann-Catilina

Erhabener Spartacus, sie sind es!

Spartacus

(abermals drei Schläge) Silentium! (eherne Stille) Brüder! Ein Freudentag ist es für unsre ehrenfeste und freie Blutsverdindung Antityrannia! Fern von dem verhaßten Druck unsres brillenbewaffneten Diktators feiern wir heute in sonniger Freiheit unser erhabenes zweites Stiftungsfest. Leider fehlt unsrer Festesfreude die funkelndste Perle: Brutus, unser großer Brutus, hat schnöden Zimmerarrest! Traumulus, der Tückische, hat ihn verhängt! Weil Brutus was wandelte? Die rosenbekränzten Pfade der Freiheit! Ha, ihr Brüder! (alles, wie ein Mann, mit erhobener Faust: »Ha!!!«) Rache! (alles wieder ebenso: »Rache!!!«) Beim nächsten Extemporale wird gemogelt, wie noch nie! Pereat Traumulus! (alles unisono: »Pereat!!!«) Und noch eine Trauerkunde: Schimke, unser Couleurfax, dem wir den fürstlichen Sold von monatlich fünf Reichs-Emm inklusive Stoff und Stinkadores in den sklavisch aufgesperrten Pedellrachen geschüttet haben, Schimke der Elende, Schimke der Feigling, Schimke der Schurke – streikt! (alles: »Nieder mit Schimke!!!« »Nieder!!!«) Traumulus hat ihm die Leviten gelesen! (»Jetzt hat er de Hosen voll!« »Jammerlappen!« »Angstfahne!« »Zitterrochen!« »Schlotterknochen!!«) Requiescat! ... Aber auch Wonne spenden uns die Götter in diesen heiligen Hallen! Vercingetorix und Mucius Scävola, ich fordre euch auf, nunmehr den nach Freiheit dürstenden Neuling in diesen gefesteten Kreis einzuführen. Die Sassenschaft erhebt sich! (sie tut es; Vercingetorir und Mucius Scävola ergreifen zwei Hellebarden, begeben sich nach der Tür im Hintergrund und geleiten durch diese den Obersekundaner Karl Wilhelm Frommelt, dessen beide Hände von einer klirrenden Kette gefesselt sind, vor die Mitte des Tisches) Karl Wilhelm Frommelt, unschuldiger Sohn Deines fluchbelasteten Vaters, hiesigen Professors und Oberlehrers Doktor Albert Eduard Frommelt, Prorektors und Ordinarius der Unterprima, unsres verhaßten Subtyrannen, Herausgebers der griechischen Syntax für Quarta, eines Mannes baar jeder menschlichen Gefühle: einstimmig haben wir beschlossen, Dich einzureihen in die geheime Phalanx unsrer geliebten Antityrannia. Catilina, eröffne das Schwurbuch! Harmodios und Aristogeiton, waltet Eures Amtes!

Catilina

(einen wuchtigen Schweinslederfolianten aufklappend, während Harmodios und Aristogeiton mit den beiden Talglichtern rechts und links neben ihn treten) Auf Befehl des Meisters! Karl Wilhelm Frommelt, willst Du schwören, zu Wasser und zu Lande, in Feuer und Luft, über und unter der Erde, unserm Bunde, seinen Satzungen und seiner Obrigkeit treu zu sein! Die zu lieben, die ihn lieben, die zu hassen, die ihn hassen, und Dich nicht beirren zu lassen von Traumulus, dem tückischen Dämon unsrer Freiheit? Dann rufe: Ich schwöre!

Frommelt

Ich schwöre! (gleichzeitig haben Vercingetorix und Mucius Scävola dreimal mit ihren Hellebarden aufgestoßen).

Spartacus

(zu Frommelt) Niedrige Knechtschaft hielt Dich bisher gefesselt. Jedes Glied dieser ehernen Kette hatte seinen verruchten Brandnamen. (die Kettenglieder klirren lassend) Dieses hieß Virgil, der Lederne, dieses Thukydides, der Kniffliche, dieses Sallust, der Freche, dieses bedeutete die infernalischen Mächte der Integralgewalten und des binomischen Lehrsatzes ... erlasse mir die Gräul der übrigen. Das alles soll jetzt von Dir fallen. Widukind! Entfessle ihn! (geschieht) Sempronius Grachus, ritze ihm die Ader! (geschieht) Cassius! Sammle sein Blut in die Bundesurne! (geschieht) Karl Wilhelm Frommelt hießest Du, Möros seist Du von nun an genannt. Hier die Zeichen Deiner Würde: Den Dolch im Gewande, die Freiheitspfeife und den Revolutionsknaster! In Ermanglung eines Tyrannenschädels, berausche Dich aus diesem Prunkpokal! Als Erzieher wird Dir Catilina gesetzt. Heil Möros! (alle, ihm zutrinkend: »Heil Möros!«).

Möros

Heil, Ihr Brüder! (berauscht sich aus seinem Prunkpokal. Alle: »Heil!« Nimmt Platz).

Spartacus

Und nun den Päan der Freude! Das Traumuluslied!

(dreimal mit dem Schläger aufrasselnd, was Catilina wiederholt) Vorsänger sei der zu den besten Hoffnungen berechtigende Dichter desselben, unser unsterblicher Catilina! Der erste Vers steigt!

Catilina

(das erste »o Traumulus« allein singend, alles übrige im Chor)

O Traumulus! O Traumulus!
Von Gold gleißt Deine Brille!
Du glupst durch sie in den Homer,
den deutschen Jüngling schmerzt das sehr!
O Traumulus, o Traumulus!
Jadwiga heißt Dein Wille!

Spartacus

Der zweite Vers! Ich bitte, gebührender Traumulus zu betonen!

Catilina

(wie vorhin)

O Traumulus! O Traumulus!
Längst schwanden Dir die Locken!
Die Olga giebt Dir keinen Kuß,
Du schmeckst zu sehr nach Aeschylus!
O Traumulus! O Traumulus!
Du bist ihr viel zu trocken!

Spartacus

Der dritte, letzte und schönste Vers!

Catilina

(wieder ebenso)

O Traumulus! O Traumulus!
Total bist Du verwittert!
Du vorsindflu–tlich altes Haus,
Dein Ahnherr war Herr Menelaus!
O Traumulus! O Traumulus!
Ein Schuft, wer vor Dir zittert!

Spartacus

Ein Schuft, wer vor ihm zittert! Cantus ex! Ein Schmollis den Sängern! (alles: »Fiduzit!«) Kolloquium! (wieder Stimmengewirr und allgemeines Zutrinken: »Heil, Möros!« »In tyrannos!« »Olga soll leben!« »Hoch Jadwiga!« »Nieder mit Sophokles!« »Hoch Sudermann!« Das Fäßchen Bier in der Ecke, von einem der Blutsbrüder fleißig gemolken, kluckert bereits bedenklich, der Qualm aus den Freiheitspfeifen wölkt sich immer dichter).

Wache

(mit hochgeklapptem Kragen und beschneiter Pelzmütze oben auf der Treppe links) Hannibal ante portas! Traumulus!! (Stimmengewirr: »Traumulus!« »Verrat!« »Licht aus!« »Tür zu!« »Zuriegeln!« »Los!« »Durch die Ankergasse!« Ein Teil der Blutsbrüderschaft will sich durch die Hintertür retten, andre werfen ihre Bänder und Mützen in die Mehlkiste, während einer die Embleme abhakt, Catilina und Spartacus blasen die Lichter aus) Is ja gar nischt! Dableiben! Setzen! ... Er is blos drüben in den Goldnen Pfau gegangen!

Spartacus

(wieder Mut in der Männerbrust, Schlägeraufschlagen) Ad loca, Ihr Memmen! (Stimmen: »Ad loca!« »Ad loca!«) Silentium! Licht an! (beide Tagelichter erstrahlen wieder) Trotzdem ist der Staat in Gefahr! wenn der blinde Greis jetzt auch nur nach der Pulle Sekt sucht, die unser Brutus gestern mit seiner Circe Lydia geleert – sein Spionenschritt schleicht fast über unsern Köpfen! (zu der Wache oben) Wo ist Maccabäus?

Wache

Maccabäus lauert an der Treppe! Wenn wir pfeifen – gleich hinten raus! (ab).

Spartacus

Heben wir die Sitzung auf, oder bleiben wir noch? Ich eröffne darüber die Debatte.

Catilina

(Hand hoch) Ich bitte ums Wort.

Spartacus

Unser Fuchsmajor Catilina hat das Wort!

Catilina

Herrschaften, es wäre doch verflucht faul, wenn wir abgefaßt würden. (Stimmen: »Um Gottes willen!« »Mein Alter reißt mir den Kopp ab!« »Dann schieß ich mich dodt!« Zedlitz hat uns nich verraten; das is natürlich klar wie Klosbrühe! (»Bist wohl verrückt!« »Dir piekts wohl!« »Zedlitz und verraten!«) Das sag ich ja! Dösköppe! Aber der goldne Pfau is doch nu mal keine hundert Schritt weit. Laßt den Ollen drüben blos ne Pulle Selterswasser gekübelt haben. Dann dammelt er uns, wenn er wieder vorbeikommt, de Treppe runter. Plumpst er womöglich mitten in die Mehlkiste! (»Schauerlich!« »Hör auf!«) Kinder, ich weeß nich, mir schmeckt nich mehr de Pfeife.

Cassius

(Hand hoch).

Spartacus

Cassius hat das Wort!

Cassius

Catilina is n oller Bammelfritze! (»Bravo!« Händeklatschen).

Catilina

Mondkalb!

Cassius

Pavian! (Stimmen: »Zur Ordnung!« »Is doch hier kein sozialistischer Parteitag?!«).

Spartacus

Ich bitte dringend, parlamentarisch zu bleiben!

Cassius

Ich stelle den Antrag, die Wachen zu verstärken! (»Bravo!« »Sehr gut!« Im Hintergrund schlägt eine Glocke an; nur ein einziger Ton).

Spartacus

Silentium! Schladebach kommt! (lautlose Erwartung).

Schladebach

(mit einem Licht durch die Tür im Hintergrund) Bundesbrüder – das Vaterland is jerettet. Traumulus hat sich dinne jemacht! (alle, donnernd: »Hurraah!!!« »Habemus Papam!!!«).

Spartacus

(dreimal mit dem Schläger dröhnend) Silentium strictissimum! Unser einziges Ehrenmitglied, unser geliebter Freund und Gönner, unser Mäcen und Metlieferant, Cromwell, der Mildtätige! Graalsgenossen! Dieser seltene Mann, der uns tief unter einer von elendem Knechtssinn durchtobten Phäakenstadt diese sichere Freistatt eröffnet, ihm werde eine ganz besondere Ehre! Ihm steige der erhabene Bank, jenes köstliche Symbolon, das uns Cassius aus den sagenhaften Gefilden des göttlichsten aller Bünde, der Schlaraffia, als geheiligtes Gastgeschenk aus den Weihnachtsferien gebracht hat. Der Bank steigt! Eins! Zwei! Drei! (der »Bank« wird genau nach dem Ritual des »Schlaraffenspiegels« einmal ausgeführt) wunderschöner Bankus exest! Mister Cromwell, dürfen wir Sie ersuchen, auf der Sella honoria Platz zu nehmen? Cassius! Die Ehrenpfeife!

Cassius

(das schwarzrotgoldbetroddelte Institut Schladebach überreichend. Schladebach, in der Längsmitte des Tisches, das bereits gestopfte Pfeifoid anrauchend, während Cassius den Fidibus hält)

Was ist die Welt? Nur Rauch und Ruß.
Hoch Cromwell, nieder Traumulus!

Schladebach

Lateinsch und Griechisch macht blos schwach.
Hört auf den Bäcker Schladebach!

(»Sehr richtig!« »Hört, hört!« »Ni. W.!« Gelächter) Ich kann blos n paar Minuten. Meine Meechens sind janz alleen im Laden! (Zwischenruf: »Is ja Sonntagsruhe!«) Bei uns de beste Betriebszeit! Wozu jiebt't Hintertüren?

Cassius

Kommen die beiden Damen wieder runter? (Stimmen: »Ach ja, Herr Schladebach!« »Ach ja!« »Famos!« »Feinfein!« »Wird das wieder gemütlich!« »Au, die Minka und die Mietze!«).

Schladebach

(schmunzelnd) Wat, Jungens, die jefallen Euch wol? (Stimmen: »Och, Herr Schladebach!« »Da is doch nischt bei?« »Wir pussieren doch nich!« »Bitte, bitte!«) Kinder, watt jemacht werden kann, witt jemacht. Ick war ja ooch mal jung! (»Brav«!« »Prost, Cromwell!« »Meine Blume!« »Aufs Spezielle!« »N Halben!«) Auf meinem Wohle! (trinkt. Zuruf: »Prost!«) Herr Spartacus, ich möcht mal ums Wort jebeten haben.

Spartacus

Silentium! Cromwell hat das Wort! Cromwell, der Rundliche!

Schladebach

(aufgestanden) Bundesbrüder! Bismarck hat mal jesaacht, det Eenzje is de Jugend! Und det war jewiß n heller Kopp! Wenn er ooch in de Walhalla sitzt. Jloobt mir: der sieht jetz uf uns runter und freut sich, wat det hier für ne frische, fröhliche Jemietlichkeit is! Der hats ooch immer mit de Tirannen jehabt. Immer feste druff! Warum haben wir so ville Steuern? Det Mehl muß for de Bäcker jratis geliefert werden. De Fünfjroschenbrode sind zu jroß. De Polizei witt abjeschafft. Jeder kann sein Laden schließen und ufmachen, wenn er Lust hat. Jott, ick wer't nich mehr erleben. Abber Ihr! Dets eire sozjale Ufjabe. Darum haben wir uns hier versammelt. Ick erhebe mein Jlas und trinke uf det ewije Vivat Aquademia von unsre Antitirannja! Die Antitirannja – sie lebe hoch! Hoch!! Hoch!!! (alles hat mitgehocht und schüttelt ihm nun die Hände: »Herr Schladebach!« »In tyrannos!« »Prost, Dicker!« »Da lag noch Kraft drin!«) Kinder, drückt mir nich dodt. Ick hab schon so Asthma jenuch. wollt Ihr mir jlooben! Traumulus hat mir noch de Hand jejeben! (»Ach, nee!« »Wirklich?«) Nich de Bohne hat er jemerkt! Er is blos drüben in die olle Bude jewesen, hat son bisken int jrüne Zimmer jerochen und denn isser jleich wieder abjezogen. (»Wenn der wüßte!« »Wir haben keinen kleenen Schreck jekriecht!« »Das wär ne Bescheerung gewesen!« »Au Backe!« »Is doch n juter Kerl!« »Hoch Traumulus!« »Bravo!« »Hoch Traumulus!«) Richtig, Kinder! Lassen wirn leben! Ick schlage n Salachmander vor! (»Bravo!« »n Salachmander!« »Bravo!«).

Spartacus

(dreimal mit dem Schläger aufschlagend) Wir präparieren den »Salachmander!« Mützen ab! (selbst Cromwell entblößt seine Glatze) Blutsbrüder! Es ist ein natürlicher Kampf zwischen Lehrern und Schülern. Dieser Kampf ist gesund! Hie Antityrannia, hie Traumulus! Wenn wir beseelt, von unbezähmbarem Freiheitsdrang auch seine Tafeln zerbrechen wie die apulischen Sklaven die römischen Fasces – wir lieben und verehren ihn doch! (»Bravo!«) Unbewußt ist er die Wölfin, die in uns die jungen Löwen nährt, die mit ihrem Gebrüll einst die Welt in Schrecken setzen werden! Ad exercitium salamandris! Auf Traumulus!! Eins, zwei, drei, bibite! (der Salamander wird donnernd gerieben) Eins, zwei, drei, Salamander ex! Mützen auf! Cromwell hat nachgeklappt. Cromwell steigt in die Kanne! (Cromwell steigt hinein, alles singt: »Zieh, Schimmel, zieh! Zieh, Schimmel, zieh!«) Geschenkt!

Schladebach

Det hat jeschmeckt.

Bäckergeselle

(mit aufgekrämpelten Hemdsärmeln durch die Tür im Hintergrunde) Wie is dn det nu! Der Brodteich is bald fertich!

Schladebach

Jetz schon?

Bäckergeselle

Witt doch heut extra jebacken. Fräulein hat gesaacht is Allens alle.

Schladebach

(die ganze Antityrannia hat ehrfürchtig zugehört) Na! Denn muß ik mal (der Geselle verschwindet wieder) nach meinem Ofen sehn. (»Wir helfen!« »Selbstverständlich!« »Wir auch!« »Präsidium, tempus peto!« »Tempus peto!«).

Spartacus

»Habeas! Kolloquium!

Schladebach

(schiebt unter Mitwirkung der Antityrannia neues Scheitholz in den Ofen) Rin mit de Tyrannen! (Chorus: »Rin!« Stimmen, je mit Hineinbugsieren eines neuen Scheits: »Dets Cäsar!« Chorus: »Rin!« »Dets Dionys!« Chorus: »Rin!« »Napoljon!« Chorus: »Rin!« »Philipp von Spanien!« Chorus: »Rin!« »Iwan der Schreckliche!« Chorus: »Rin!« »Oberlehrer Schlammelschlag!« Chorus: »Rin!« »Bebel!« Chorus: »Rin!«) Dets erst recht eener! Und nich zu knapp! (»Herr von Kannewurf!«) Uf den hab ik't abjesehn! (Chorus: »Rin!« Alles singt, zum Teil unter Balletbewegungen a la Siouxindianer:

»Nieder mit die Hunde!
Nieder mit die Hunde!
Nieder mit die Hunde von die Reaktion!
Blut muß fließen
knüppelknüppeldick!
Es lebe hoch, es lebe hoch
die deutsche Republik!«

Schladebach, den Ofen geräuschvoll schließend) So, Brieder. Die übrijen Karnalljen det nächste Mal! (schon an der Treppe) Na, und det mit die Miete? Wie steht dn det nu? Is heut schon der Fuffzehnte!

Spartacus

Ach Gott, Herr Schladebach, wir wern ja schon berappen! (Stimmen: »Ich versetz meine Uhr!« »Ich verklopp mein griechisches Testament!« »Blutsauger!«).

Schladebach

Jut! Jut! Also det nächste Mal! (mit seinem Licht die Hintertreppe hoch) Is ja janz scheen, det mit de Blutsbriederschaft, man ... (Gebärde des Geldzählens) wovon soll der Schornstein rochen? (»Blutsauger!« Die Antityrannia singt: »So leb denn wohl, du altes Haus, du ziehst betrübt von uns hinaus!«).

Spartacus

(den Gesang unterbrechend) Ad loca! (»Ad loca!« »Ad loca!«) Sind die Humpen gefüllt? (»Sind!«) Brennt der Knaster? (»Brennt!«) Sind die Windharfen absolviert? (»Sind absolviert!« »Bravo!«) Catilina: Dein Epos! (»Aaah!«).

Catilina

(aufgestanden; aus einem riesigen Manuskript den Titel vorlesend)

Romeo und Julie im Goldnen Pfau, oder (unter allgemeinem Beifallsgegrunz) Brutus nach Mitternacht! Traumulus – Trauertremolo in siebzehn Kapiteln! (»Aaaaah!!!«).

Zedlitz

(mit Hut und Mantel, beschneit, durch die Tür oben links. Alles aufgesprungen: »Hurrah, Zedlitz!« »Zedlitz!« »Zedlitz!«).

Spartacus

Großer Brutus, der Du dem Kerker entronnen, der Du die Ketten brachst, wir grüßen Dich! Heil! (»Ave Cäsar!« »Morituri te salutant!« »Heil!«) Begeisterung im Busen, überreiche ich Dir, unserm Stifter, was ich bisher nur für Dich verwaltete, das Präsidenschwert der Antityrannia!

Zedlitz

(der seine Sachen abgelegt hat, am Präsidenplatz; ein andrer setzt ihm die Mütze auf; er legt sie wieder auf den Tisch. Einen Augenblick ist er nachdenklich sitzen geblieben, dann steht er langsam auf) Liebe Freunde! Ich habe die mir auferlegte Strafe nicht durchbrochen, um mit Euch fidel zu sein. Ich bin hierhergekommen, um den Antrag zu stellen, unsre Verbindung aufzulösen. (»Nanu?« »Zedlitz!« »Bist Du verrückt geworden?«) Bitte, laßt mich ausreden! (»Ruhig!« »Ssst!« »Ssst!«).

Catilina

(mit dem Schläger aufschlagend) Silentium für Brutus!

Zedlitz

Ich begreife vollkommen, daß Ihr vielleicht meint, ich habe den Verstand verloren. Hätten wir unser Stiftungsfest gestern um diese Zeit gefeiert, ich glaube, ich hätte dem, der uns auch nur mit Aehnlichem gekommen wäre, nie mehr die Hand gereicht. (»Bravo!«) Ich denke jetzt nicht mehr so. Ich habe heute Vormittag mit Herrn Professor Niemeyer ein ... inneres Erlebnis gehabt, das mich – zu einem andern Menschen gemacht hat. Ich habe die Ueberzeugung gewonnen, daß unser Direktor, den wir Tag für Tag auf das Schamloseste beschwindeln, den wir hintergangen haben, wo wir nur konnten, der beste Mensch ist. Einem bessern werden wir nie mehr im Leben begegnen! Wir sind dumme Jungens oder Schurken, wenn wir seine unglaubliche Gutheit in so schandbarer Weise noch weiter mißbrauchen ... Ich habe diese Nacht etwas getan, vor dem ich jetzt ausspucken möchte. Ich habe diesen Mann, der mir in seiner Herzensgüte voll vertraut, in der niedrigsten Art und Weise hintergangen! Einer ... Kanaille wegen! Und ich will heilfroh sein, wenn die einzige Folge meiner Gemeinheit die bleibt, daß ich ihn obendrein auch noch auf das Widerlichste belügen mußte! Ich würde sonst wissen, was ich zu tun hätte ... Ich bin kein anständiger Mensch mehr! (»Zedlitz!« »Mensch!« »Um Gottes Willen!« »Nu laß doch man!« »Sei doch kein Frosch!«).

Catilina

Ruhe!

Zedlitz

(hart) Ich will mich hier nicht weiß brennen. Ich bin mir vollständig klar darüber, daß ich mir meinen Reinfall in erster Linie selbst zuzuschreiben habe. Aber – und das soll mir Niemand ausreden – der ganze Rummel hier ist mit Schuld daran! (»Oho!« »Beleidigung!« »Andern Präsiden!« Heftig) Habe ich das Wort, oder nicht?

Catilina

(mit dem Schläger aufschlagend) Si–lentium! Zum Donnerwetternochmal! Kann nachher jeder quatschen, was er will!

Zedlitz

Ich wiederhole: der ganze Rummel hier ist mit Schuld daran! ... Glaubt doch ja nicht, daß ich als tränenklötriger Wimmerfritze Euch Moral pauken will. Fällt mir garnicht ein. Ihr wißt genau so gut wie ich, daß unser Direktor wegen einer Geschichte hierher versetzt wurde, die im Vergleich zu manchem, was wir hier schon getrieben haben, einfach harmlos war. Und zu alledem bin ich Euer Anführer gewesen! (»Blech!« »Unreif!« »Was machen wir denn!« »Wir stecken doch keine Häuser an!« »Wir bringen. doch keinen um!«) O, doch bringen wir vielleicht einen um! Es braucht blos der zehnte Teil von dem hier rauszukommen und unser Direktor ist gewesen!

Cassius

Denn kriegen wir eben n andern her. Sehr einfach!

Zedlitz

(durch die Zähne) Cassius! (kleine, lautlose Pause) Du weißt ja garnicht, wie gemein Du jetzt bist.

Cassius

(aufgesprungen) Das lasse ich mir nicht gefallen! Zedlitz wird das sofort zurücknehmen! (andre, ihn auf seinen Stuhl zurückdrücken: »Laß doch!« »Nu nimm doch Vernunft an!« »Das geht doch nicht?« »Du kennst doch Zedlitz!«).

Zedlitz

Ich nehme nichts zurück! (»Aufhören!« »Schluß!« »Schluß!«).

Catilina

Ich muß aber dringend bitten! Nicht blos um Ruhe, sondern auch daß Du Dich mäßigst, lieber Zedlitz! (»Bravo!« »Sehr richtig!« »Wir sind doch keine dummen Jungens!«).

Zedlitz

Kurz und bündig, ich wiederhole den Antrag, die Verbindung aufzulösen.

Cassius

(wie eine Wildkatze auf) Ich bitte ums Wort!

Zedlitz

Cassius hat das Wort.

Cassius

Auch kurz und bündig! Was geht das uns an, wenn Zedlitz dämliche Weiberkisten macht? Wir machen auch welche! Aber natürlich: wenns einer so schlau anstellt, sich mit seiner Dulzinea öffentlich drüben in den Goldenen Pfau aufzupflanzen, dann bringt er die ganze Mimik ins wackeln! Wißt Ihr, was das einfach für mich ist? Die haarsträubendste, aber auch die haarsträubendste Statutenverletzung! (»Bravo!« »Sehr richtig!« »Hoch Cassius!«) wir haben uns doch nich hier zusammengetan, um jedes Mal ne große Flennerei loszulassen, wenns einer mit der Angst kriegt, wir wollen doch mal Männer werden! Wenn Traumulus ne alte Drohmlade is – was können wir dafür? (»Bravo!«) Ich stelle kategorisch den Antrag, erstens auf Schluß der Debatte und zweitens, die unerhörte Unglaublichkeit von Zedlitz einfach abzulehnen! (»Bravo!« »Bravo!« »Bravo!«).

Zedlitz

Wer ist für Schluß der Debatte? (alle die Hand hoch) Die Debatte ist geschlossen, wer ist für den Antrag, die Verbindung aufzulösen! (Niemand rührt sich) Wer ist dagegegen? (Alle stehn auf) Ich lege hiermit mein Präsidium nieder und trete aus der Verbindung aus.

Cassius

(wütend) Das möchtest Du! Um Dich bei Deinem Herrn Direktor wieder lieb Kind zu machen! Du meinst wohl, das geht so! Da haben wir auch noch mitzureden!

Zedlitz

(sich nur noch mit Mühe zurückhaltend) Noch ein Wort, und ich ...

Cassius

Ich verlange, daß Zedlitz cum infamia aus unsrer Verbindung excludiert wird! (draußen ertönt ein Pfiff, der im Tumult überhört wird).

Zedlitz

(von den Andern mit Gewalt zurückgehalten) Laßt mich! (»Excludiert!« »Excludiert!« »Hoch Cassius!« »Nieder mit Zedlitz!« »Cum infamia!« »Cum infamia!« »Cum infamia!«)

Die beiden Wachen

(beschneit durch die Tür oben links) Die Polizei!!!

Zedlitz

(rausbrechend) Da habt Ihrs! Nu is ex! (»Herrgott!« »Wir Esel!« »Riegelt die Tür zu!« »durch die Ankergasse!« »Durch die Ankergasse!« Alles, außer Zedlitz, nach dem hinteren Ausgang rechts zu).

Polizei

(beschneit durch die Tür im Hintergrund) Zurück! (gleichzeitig von außen Schläge gegen die verriegelte Tür oben links) Aufmachen! Aufmachen! (ein Tritt sprengt das Schloß, die Treppe hinab, beschneit, Schutzmann Patzkowski. Am Eingang, wie am Ausgang je ein Posten).

Patzkowski

Alles zur Wache! (auf Zedlitz zu, Handbewegung) Der Herr Direktor wird ne Freude haben!

Zedlitz

(ruhig) Ich gehöre nicht mehr zur Verbindung.

Patzkowski

Sie! Sie sind der Schlimmste! Marsch!

 

(Vorhang).


 << zurück weiter >>