Arno Holz
Sozialaristokraten
Arno Holz

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Gehrke: Meine Herren, wir verlieren uns in Einzelheiten. Es gab eine Zeit, wo wir alle Sozialisten waren. Ich dächte, heute sind wir darüber einig, daß dieser Mann, wenn nichts anderes, so doch zum mindesten die historisch erste, wenn freilich auch noch unvollkommene Inkarnation der modernen Herrenmoral war.

Fiebig: In Börsenkourier hab'k jelesn, det wah schon Napoljong der Erste!

Styczinski: (vor dem Bellermann das silberne Etui liegen gelassen, hat unterdessen ausgeraucht und steckt sich ohne weiteres eine neue Zigarette an. Im Anzünden) Napoleon derr Errste: guttes, abber dummes Ludder. Nurr Gehirnmensch!

Fiebig: Nu, Ha Hahn! Sie sagen ja janischt?

Hahn: Ach, Herr Fiebig . . .

Fiebig: Mit dn Dokter ham mer ooch n kleenet Hiehnkn zu flickn! Det mit unsre Dichtungen hier is noch lange nich int klare. (zu Gehrke) Ick hab Ihn den Mann zujefiehrt, un mein Weltunterjank nehmn Se nich. Jott, sagn Se't doch, wen Se'n nich wolln! Denn jeb'k n Jeseljussn, der verkooft'n mir.

Gehrke: Ja, aber ich bitte Sie, lieber Herr Fiebig!

Bellermann: E . . . entschuldigen Sie, meine Herren. D . . . darf ich mir die Anfrage erlauben, w . . . was das für ein Werk ist, dieser W . . . Weltuntergang?

Fiebig: Jott . . . no . . . wat sollt jroß sind? De Jesuitn bring'k ja ooch rin! Von de letzte Naturforscherversammlung hab'k noch janze Stöße uf mein Bodn. Det vermauer ick noch. Det is't ja ebn: alle Dage passiert wat neiet!

Bellermann: (von jetzt ab gegen Fiebig liebenswürdiger Tonfall) V . . . verzeihen Sie, Herr Fiebig! A . . . aber ich glaube, s . . . selbst die Jesuiten dürften bereits v . . . veraltetes Sujet sein.

Fiebig: So? Na, un der Jotthardtunnl? Mit den fill'k dn achtn Jesang!

Gehrke: (klopft mit seinem Bleistift auf den Tisch) Aber, meine Herren! Wir entfernen uns wieder von unserer Aufgabe. Es handelt sich um den Inhalt der dritten Nummer. Unser Freund von Styczinski wünscht uns einen eingehenden Artikel über »Chopin als das Urbild des Zentrifugalen« zu schreiben. Die Theorie des Herrn von Styczinski kennen Sie. Die Psychologie des Individuums resultiert aus einer Aufeinanderfolge von Sensationen und Vibrationen. Als naturgemäße Konsequenz daraus ergibt sich das Übergewicht des Gangliensystems über das Gehirn.

Fiebig: (Prise) Ja, det looft allns in eenander.

Gehrke: Ich selbst, wie Sie wissen, stehe ja allerdings auf anderem Boden. Indessen unsere Anschauungen, so verschieden sie auch sind, repräsentieren nur die Ausstrahlungen der entgegengesetzten Pole desselben Elements, das mit logischer Notwendigkeit in diesem gegebenen Moment Realität werden mußte. Das Vereinigende, wie in unserm ganzen Kreise, ist das Anarchische. Herr von Styczinski hat das Wort.

Styczinski: (leiernd) Wir sind alle kranke Sumpfblumen am Jahrhundertsende. (Fiebig nickt beifällig, Gehrke spielt mit dem Bleistift, Herr Hahn sieht verlegen vor sich hin, Werner juckt sich am Bein und bläst dann wieder große Wolken, Bellermann fährt sich um die Tonsur, Sprödowski, an die Wand gelehnt, die Augen gegen die Decke mit dem Ausdruck: Wat können die mir noch sagen! Der mit dem Eindruck des ersten Anfangs seiner Rede Zufriedene monoton-schwermütig fortfahrend) In unsrer Seele singt das Lied von der siegenden Bakterie. Unserm Blut fehlen die Leukozyten. Auf der Leierkastenwalze unsres Bewußtseins tönt allein die schauerliche Symphonie des Fleisches. Sie objektiviert sich in Chopin. Er allein, der neue Urmensch, schickt unser Gehirn auf die grüne Wiese, er allein denkt in übereuropäischen Dimensionen, er allein baut uns wieder das zertrümmerte Jerusalem unserer Seele. (kleine Pause) Dies alles, bitte ich Sie, wollen Sie mich niederlegen lassen, verdichtet zu einem Deprofundis. (wieder kleine Pause)

Fiebig: Na . . . icke . . . ick muß sagn, ick bin dafor. Mir könnte sowat janz jut jefalln. Kunst un Wissenschaft in eens. Det zertrümmerte Jerusalem, wissn Se, is wat for mein Weltunterjank. So wat ehnlichet hab'k ooch machn wolln.

Gehrke: Aber, Herr Fiebig, Sie werden Ihr anscheinend mehr humoristisch gedachtes Epos doch wohl unmöglich in Parallele mit diesen kosmogenischen Rhapsodieen des Herrn von Styczinski bringen wollen?

Fiebig: (verletzt) Ja, no, worum dn nich? Sein Hiehnerooge hat jeder. Mein Hiehnerooge ist mein Weltunterjank. Ick will ooch mal wat für de Unsterblichkeit dun! Wat Se wolln, weeß'k nachjrade. Se wolln n iberhaupt nich bringn! Jloobn Se, ick wer mehr Ihn ufdrängn?

Gehrke: Aber, vereherter Herr Fiebig, wer dürfte Ihnen solche Suppositionen machen.

Fiebig: No, ick bin keen Spielverderber. Denn wer'k Ihn wenichtns mein Trinkspruch uf de deutschn Frauen iberlaßn!

Sprödowski: (spuckt verächtlich vor sich hin)

Werner: (halb nach ihm zurückgedreht) Schade um den schönen Happenpappen.

Fiebig: (eifrig) Ick will mir nich rühmen, aber . . . ne Freundin von de Pauline Lucca hat jesaacht, damit is de Poesie erschöpft!

Gehrke: Ja . . . wenn die Dichtung nicht zu lang ist?

Fiebig: Jut, denn soll't mir ooch dadruff nicht ankommn. Denn jeb'k Ihn meine Apperßiehs. Det Mitleid is de Liebe in Negligee. Und de Krankheit, sag ick, is n Duell, watter Arzt de Jesundheit liefert. In den Genre hab ick fünfhundert! Als Titl denk'k mer wat Lateinschet. Wat meen Se: Mors vita!

Gehrke: Nach dem Vorgehen Friedrich Nietzsches läßt sich eine gewisse Modernität dieser Form ja allerdings nicht absprechen. Indessen, ich dächte, wir müßten unseren Lesern doch wohl in der Hauptsache mehr wissenschaftliche Speise bieten. So sind wir doch zum Beispiel auch Gegner des Impfzwanges. So lange Germaniens Eichen rauschen, ist es Sitte gewesen und Brauch, daß der Herd geheiligt, daß vor allem aber die Haut, die den Körper umschließt, eine Grenze setzte dem Recht der Gemeinde. Diese engste Grenze, die sich der Mensch zu setzen vermag, hat man überschritten. Man hat uns die Verwaltung unserer ureigensten, körperlichen Angelegenheiten entrissen durch die autoritäre Vergiftung unseres Zellengewebes durch Kuhlymphe. Ich frage, wie kommt der Staat dazu?

Werner: Der »Staat«! Der »Staat«! Der Staat bin ick! Der Staat is der steuerzahlende Mann!

Fiebig: Janz meine Meinung! Nich wah, Ha Hahn? So denk'k ooch! Wenn ick mir heute verheirate, laß'k mir doch nich mehr in de Kirche trauen? Wat Etnojrafisches ham mer ooch noch nich jebracht! Ick habe jelesn, t jiept janze Velkerschaftn, die könn'n nich mal bis drei zehln. Dets ärzlich festjestellt! Ooch iber de Seelenwandrung und iber de Jraffologie denk ick, müßtn wir uns doch mal verbreitn. Aus meine Handschrift hab'k mir mal wahsagn lassn. (zu Bellermann) Wissn Se, for wat mir die Dame jehaltn hat? Forn Musiker! Na, und det stimmt ja ooch. In meine Jugend hätt'k for mein Lebn jern Fleete jelernt. Mein Tenor hab'k noch heite. Du wahst je mehr Baß, Wilhem.

Bellermann: (unterdessen seine Stirn in beide Hände gestützt, sitzt da, wie vernichtet)

Werner: Apropoh, wissenschaftliche Speise. Da hab ick noch wat Natzjonalökonomischet. Mein Vortrag, verstehn Se. Den Tit'l hab'k ja immer jeändert. Eenmal: Lassalls Wirkn und Ende, un denn: Ewolutzjohn un Rewolutzjohn. Det Volk will immer detselbe hörn. Jedruckt isser noch nich.

Gehrke: Aber, lieber Herr Werner, auch Ihre Proposition kann ich wohl nur als Scherz nehmen. Sie werden uns geistigen Proletariern doch keine unlautere Konkurrenz machen wollen?

Werner: Seh'k janich in! Wenn Fiebig aus seine Blechschmiede Kaptal schlächt, kann'k ooch wat verdien. Schriftsteller sin mer alle.

Bellermann: (aufspringend) I . . . ich möchte b . . . bemerken, daß ich auf eine derartige P . . . Parallele gern verzichte. Die A . . . Aristokratie, deren Herrschaft ich will, ist kein geadeltes Plebejertum!

Werner: (aufgestanden. Hände in den Hosentaschen. Zigarre im Mundwinkel) Aach! Sieh eener an! Un mit sowat, jloobn Se, imponiern Se mir?

Fiebig: (beschwichtigend, vorwurfsvoll. Handbewegung) Wilhem!

Werner: Ih, un det allns wolln Se mit Ihre Jlatze durchsetzn? (vertraulich) Wohl n bißkn runterjeschubbert? Zu kurzet Bette jehappt?

Gehrke: (stößt energisch mit dem Bleistift auf) Herr Werner!

Bellermann: (hohle Stimme) V . . . von Leuten . . . Ihres Schlages, verehrter Herr, ließ sich ein andrer Ton nicht erwarten. (zu den andern) I . . . im übrigen, meine Herren, s . . . so wenig angenehm Ihnen eine solche Polemik sein kann, . . . und so lächerlich es erscheinen möchte . . . auf derartige, große Anspielungen überhaupt zu antworten, so möchte ich Ihnen denn d . . . doch bemerken: mein L . . . Leben ist ein durchaus sittliches! Ich pflege nicht bloß auf reine Wäsche zu halten. S . . . Sie gestatten wohl, d . . . daß ich den Raum verlasse?

Werner: (in Positur) Wejen mir?

Gehrke: (aufgestanden, majestätisch) Herr Werner! Ihnen hat niemand das Wort erteilt!

Styczinski: (über den Tisch mit beiden Händen) Oh, Herr Bellermann.

Gehrke: Herr Bellermann! Unter keinen Umständen dürfen Sie uns eine derartige Beschämung antun. Ich bitte Sie dringend, sich unserer Verhandlung nicht entziehen zu wollen. Daß Sie erregt sind, ist ja begreiflich.

Bellermann: I . . . ich bin nicht erregt! Ich w . . . werde nur erregt, w . . . wenn ich meine Weltanschauung vertrete. (setzt sich wieder)

Gehrke: Herr Werner! Ich muß Ihnen meine tiefste Mißbilligung als Vorsitzender ausdrücken. (setzt sich ebenfalls)

Werner: (längst wieder auf seinem Ballen) Pö!

Junge: (in der Tür) Herr Müller schickt mir nach Manuskript, Meester.

Werner: Da sind ja de Herrn!

Gehrke: Ja nun, ich denke, die zweite Nummer ist bereits im Satz fertig? Was fehlt denn noch, mein Sohn?

Junge: Annerthalb Spaltn Korpus.

Gehrke: (kramt in seinen Papieren, liest) Die Produktivgenossenschaft als Hebel zu . . . zu lang! Ja, von der Kürze hätte ich hier kaum etwas.

Styczinski: Ich habbe etwas hier, Herr Doktor. Das bluttende Lied vom wissenden Gehirrn.

Gehrke: Sie würden mir aus einer außerordentlichen Verlegenheit helfen, Herr von Styczinski.

Styczinski: (greift in die Tasche) Ja, meine Wirtin, ich weiß nicht, ob ich das schon erzählt habbe . . . Herr Hahn wollte mir noch etwas bewilligen . . . einen kleinen Vorschuß.

Hahn: (der sofort sein Portemonnaie gezogen) Was darf ich mir erlauben, Ihnen a Konto zu zahlen?

Styczinski: Geben Sie mir zwei Taller.

Hahn: O, das tut mir leid, Herr von Styczinski. Ich habe hier nur ein kleines Zehnmarkstück. Aber, wenn Sie vielleicht so liebenswürdig sein wollten? (reicht es ihm)

Styczinski: (nimmt es und steckt es in die Westentasche) Danke. (sucht in seinen Taschen) Das Manuskript . . . das Manuskript . . . ich weiß nicht . . . meine Wirtin? . . . Wo ihst das Manuskript?

Gehrke: (achselzuckend. Bedenklich) Ja . . .

Fiebig: Det is jut! Nö wirklich, det is wirklich jut! Vielleicht durcht Futter jefalln? Sehn Se doch mal nach. Mir hat eener mal n silbernen Löffl jeschenkt!

Werner: (klopft ihm auf den Schenkel) Nu, Ha Hahn, det ham Se billich jekooft.

Styczinski: (noch immer suchend) Das Manuskript . . .

Bellermann: (der in die Rocktasche gegriffen) U . . . Unter diesen Umständen g . . . gestatten Sie mir, Herr Doktor, I . . . Ihnen eine Dichtung von mir h . . . honorarfrei anzubieten. Der T . . . Trinker! Obgleich es sonst gegen mein Prinzip ist, für meine Arbeiten kein . . . Äquivalent zu beanspruchen.

Hahn: (unruhig)

Gehrke: Ja, lieber Herr Bellermann, Sie setzen mich dadurch wirklich in die peinlichste Lage.

Bellermann: (ihm das Manuskript überreichend) Ich . . . bestehe darauf! (nimmt seine Zigaretten, die solange vor Styczinski lagen, wieder an sich) S . . . Sie gestatten.

Styczinski: (geduckt) O bitte.

Gehrke: Nun, dann Herr Bellermann, danke ich Ihnen herzlichst im Nahem von uns allen. (steht auf und gibt das Manuskript Fiebig, dieser reicht es dem Jungen, Styczinski ist übergangen und hat sich vergeblich darum bemüht)

Fiebig: Da, mein Sohn.

Junge: (verliert ein Blatt, hebt es wieder auf und geht mit dem Manuskript nach der Tür)

Hahn: (aufgestanden und Bellermann die Hand reichend)

Bellermann: (abwehrend) B . . . Bitte! (Hahn setzt sich wieder)

Fiebig: (zu Bellermann) Neulich hab'k wat iber Ihn in Belliner Tageblatt jelesn. Det wah sehr anerkennend.

Bellermann: (nickt) Njä!

Junge: (der in der Tür auf den Gendarm geplatzt ist) Meester! (bleibt neugierig stehn)

Gendarm: (eingetreten)

Sprödowski: (hat sich sofort derartig gestellt, daß ihn der Gendarm unmöglich bemerken kann)

Gendarm: Tach, die Herren. (Brieftasche) Entschuljen Se, Herr Dokter, ich habe hier ne Verfügung für Sie vom Landrat. Ich war schon drüben in Ihre Wohnung. Ihre Frau hat mir rüberjeschickt.

Gehrke: (aufgestanden und vor ihm stehend. Bricht die Verfügung auf und liest sie)

Fiebig: Hat dn keener von die Herrn n Ziehahn for det Ooge des Gesetzes?

Werner: Meine Ziehjahn roch'k alleene! (der Gendarm unterschreibt unterdessen das Auslieferungsdokument)

Hahn: (reicht Fiebig eine Zigarrentasche) Bitte schön, Herr Fiebig.

Fiebig: (nimmt sie und stellt sich damit ebenfalls vor den Gendarm) Da, steckn sich eene int Jesichte.

Gendarm: (nimmt schwerfällig eine Zigarre) Nu!

Fiebig: No, det jeht wol nich so leichte?

Gendarm: O, Herr Dokter, hat ihm schon!

Fiebig: Wolln Se Feier?

Gendarm: Nee, Herr Dokter, (besieht sie sich) sowat witt Sonntachs jeroocht.

Fiebig: (zum Jungen) No, Junge, willst wol dein Jroschn wieder loswern?

Junge: (grinst und verschwindet)

Gendarm: (steckt die Zigarre in die Brusttasche) Empfehle mich die Herren. (zu Fiebig) Atchee, Herr Dokter! Danke scheen! (ab)

Fiebig: Atchöh, Meester! (Hahn halb aufgestanden und eine Verbeugung nach)

Gehrke: (reicht das Papier Werner hin) Bitte! Das habe ich wieder Ihnen zu verdanken.

Werner: (nimmt das Papier)

Bellermann: H . . . Herr Hahn! I . . . ich achte in Ihnen den E . . . Ehrenmann. A . . . aber, verzeihn Sie, es war unrecht von Ihnen, . . . einem Polizisten ein G . . . Genußmittel zu verabreichen.

Hahn: (ratlos zu Fiebig)

Fiebig: Na watn? (zu Bellermann) Ick finde, det wahn janz vernünftjer Mann?

Sprödowski: (wieder sichtbar. Spiel wie vorhin)

Werner: (platzt los) Dets jut! Dreißich Mark oder drei Dage Haft for die lausijen Dinger!

Gehrke: Ich habe Ihnen gleich erklärt, daß mit der Abfassung des Plakats meine Verantwortung aufhörte. Ich verstehe nicht, wie Sie ohne jegliche Autorisation von mir, meinen Namen darunter setzen konnten.

Werner: No, wozu kriejn Se denn Ihrn Jehalt als Redaktöhr? Wenn wat is, missn Se't ehm absitzn!

Gehrke: Sie vergessen, Herr Werner, daß die Strafe einzig des unbefugten Anbringens der Plakate wegen verfügt worden ist.

Werner: Ick habe keene anjeklebt!

Fiebig: Jott doch, in Jiete, meine Herren! In Jiete! Ick denke, det handelt sich hier doch nicht darum, det man sich jejnseitich de Keppe abreißt. Det Jeld bezahlt der Verlach. Sowat sin Jeschäftsunkostn. Nich wah, Ha Hahn?

Hahn: Ja, entschuldigen Sie, Herr Fiebig, ich wollte das schon gleich sagen, aber ich mochte den Herren nicht ins Wort fallen.

Bellermann: G . . . gestatten die Herren auch m . . . mir eine Bemerkung zu dieser Angelegenheit?

Gehrke: (eifrig) Herr Bellermann hat das Wort.

Bellermann: E . . . es dürfte, w . . . was ich Ihnen in Vorschlag bringe, a . . . auf den ersten Augenblick . . . kleinlich scheinen. Ich m . . . meine, es handelt sich heute bei ernsthaften Leuten . . . um einen prinzipiellen Widerstand! Und es ist nur logisch, diesen jederzeit bis aufs äußerste zu betätigen. Wie Sie wissen, ist uns ein aktiver Widerstand . . . zurzeit unmöglich. D . . . dafür biete sich uns aber stets die Gelegenheit zum p . . . passiven! Wie ich der Meinung bin, d . . . daß der überzeugte Anarchist . . . dem Staat die Steuern nie freiwillig entrichten darf, s . . . sondern sich einfach der Pfändung unterzieht, s . . . so darf er sich auch einen derartigen Tribut nie erpressen lassen. E . . . es ist ihm Ehrenpflicht, seiner . . . Überzeugung treu zu bleiben. Wenn es sein muß, s . . . selbst hinter Schloß und Riegel!

Fiebig: Sehn Se, Ha Hahn, det hab'k jleich jesaacht! For Widerstand bin'k ooch! Ick zahle finverlei Artn von Steier! Unsereens nehm se allns! Man braucht bloß n bißkn wat zu ham! Dn Staat keen Fennich! Se ham janz recht, Herr Bellermann! (zu Gehrke) Det eenzje is heut 's Martirjum!

Gehrke: (steht auf; erwartungsvolle Pause; räuspert sich) Zunächst, Herr Bellermann, danke ich Ihnen dafür, daß Sie die Angelegenheit unter den allerdings einzig richtigen Gesichtspunkt gerückt haben. Herr Fiebig gebrauchte das Wort Martyrium. Vielleicht meinte er dasselbe nur humoristisch. Indessen Sie alle, meine Herren, werden mir nachfühlen, daß es sich in gewissem Sinne bei mir um ein wirkliches Martyrium handelt.

Fiebig: Uf alle Fälle! Sowat steht schon in de Weltjeschichte! An jede Unsterblichkeit hänkt n Schweißtroppn so jroß wie'n Luftballon!

Gehrke: Es sind allerdings nur drei kurze Tage. Aber unser Leben zählt ja nicht nach Tagen und Stunden, sondern nach dem Inhalt, welchen wir diesen geben. Das ist mir ja bewußt, daß diese Zeit eine schmerzliche Schmälerung meines unter schweren Kämpfen errungenen individuellen Denkens und Fühlens bedeuten wird, welches die Luft der Freiheit braucht. Allein, welche Bedeutung für unsre Sache! Die Presse wird nicht zögern, den Vorfall dem großen Publikum bekanntzumachen.

Fiebig: Versteht sich. Beste Reklame! Passn Se uf, denn jehn ooch Ihre Jedichte!

Werner: Bravo!

Gehrke: Es handelt sich hier nicht, meine Herren, wie eben . . . vielleicht etwas zu einseitig, hervorgehoben, respektive behauptet wurde, um meine Gedichte. Das sind Nebenerscheinungen. Die werden sich nicht hindern lassen. Bleiben wir auf dem nüchternen Boden der Tatsachen! Was steht hier für uns in Gefahr? Was sehn wir bedroht? Was will man uns nehmen? Wie unser allverehrter Freund, Gönner und Mitkämpfer Herr Frederick S. Bellermann sich ausdrücken würde: Die Autonomie des Individuums!

Bellermann: (nickt)

Gehrke: (fortfahrend, stark) Die Grundlage unsrer Kultur!

Styczinski: (der sich wieder rehabilitieren will) Hörrt, hörrt!

Werner: Sowat seggt schon Schampelbumsbeen!

Fiebig: Mach dir nich verhaßt, Wilhelm!

Gehrke: (weiter; ohne sich durch die unliebsamen Zwischenbemerkungen stören zu lassen; noch immer wachsend) Dieses große, köstliche Gut unsres deutschen Volkes wollen wir uns erhalten und wollen es vor weiterer Unterwühlung schützen und bewahren!

Werner: (sich recht unzeitgemäß höchst laut schneuzend)

Fiebig: (entrüstet) Hörst du nu uf, Wilhelm, oder nich?

Gehrke: (im Stehn Fiebig zuplinkernd; in Parenthese; wohlwollend) Wir kennen doch unsern Freund. (»unentwegt« weiter) Sei es nun, daß dieser schmachvolle Versuch ausgeht von alten, überlebten, sich volksfreundlich titulierenden Parteibonzen, die ihre usurpierte Machtstellung nur noch dadurch scheinbar zu stützen wissen, daß sie den Pöbelinstinkten einer übel beratenen Menge schmeicheln, sei es, daß, wie hier, ein gleich verwerfliches Unterdrückungssystem von einer cäsaristisch mißgeleiteten Regierung beliebt wird! (zum letzten Stoß seine ganze Kraft sammelnd) Um mich in diesem gewissermaßen nicht unhistorischen Augenblick sozusagen symbolisch und bildlich auszudrücken: Die Birne hat nur einen Moment der Reife von zehn Minuten. Da muß man sie essen. (sich noch höher reckend) Nun. Wohlan! Per aspera ad astra! Ich werde sie essen!

Werner: (noch mit seinem Taschentuch beschäftigt) Det dun Se for uns alle!

Gehrke: Ich bin kein Mann der großen Worte. Nur Taten sind die Marksteine auf dem leidvollen Wege der Menschheitsentwicklung! Die drei Tage Kerker sollen mich nicht schrecken! Ich werde sie antreten! Ich bin bereit!

Bellermann: S . . . sehr gut!

Fiebig: (halb aufgestanden, Gehrke über den Tisch weg die Hand drückend) Ick jrattuliere!

Styczinski: (aufgestanden und Gehrke ebenfalls die Hand drückend) Herr Doktorr . . .

Meischen: (atemlos durch die Glastür) Achkottnee, Achkottnee . . . ich hab mer nur was ibergeworfen . . . was hat'n der Schandarm gewollt, was is n widder los mit mei Benno?

Fiebig: (alle mit Ausnahme von Werner, der sitzen geblieben laut niest, aufgestanden; Fiebig ganz im Vordergrund rechts; Gehrke in Positur; im Hintergrund drängeln sich neugierig der Druckerjunge und einige Setzer) Uf den könn Se stolz sind! Noch acht Dage, Frau Dokter, un uf den Mann sieht Europa!


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