Arno Holz
Sozialaristokraten
Arno Holz

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Gehrke: (lacht. Ist unterdessen zu Frau Fiebig getreten) Meine herzlichsten Glückwünsche, Frau Fiebig. Sie entschuldigen, daß ich sie erst so verspätet bringe.

Meischen: Da soll eins auch noch wissen, wo eim der Ghopf schdeht. Bei sowas is reine gharnischt los mit mei Benno! Na, bis ibersch Jahr, meine ghute Frau Fiebchen, denn simmer widder hier! (hat sich neben sie gesetzt, nimmt das Strickzeug aus dem Pompadour und beginnt zu stricken)

Fiebig: No, un mir jebn Se woll nich de Hand, Frau Dokter!

Meischen: Ach, lassen Se mich in Ruhe, ich bin dick'sch.

Fiebig: Ja, von mein Thron bemieh'k mer nich! Ick eß un drink hier vor mein Schreibtisch.

Frau Fiebig: Der steht bloß noch zun Schlafen uf.

Dr. Gehrke: Ja, Frau Fiebig, ich beabsichtigte ja eigentlich, Ihnen ein kleines Blümchen mitzubringen. Aber Sie sehen ja: höhere Gewalten.

Frau Fiebig: Jott, Herr Dokter, ick habe ja ooch uf nischt jerechent. (glättet ihre Schürze. Es klingelt)

Fiebig: Elephantenwilhelm!

Frau Fiebig: Ja, den kennt man schon immer ant Klingeln. (zu Meischen)n Scheene Wolle. Zehfer?

Meischen: Ach ja, in een weg muß mersche' n anschtricken: ä frißt sei Zeig reene uf. Die Strimpe hat'r nu erscht vor ä Verteljahr gekricht! (von draußen hört man ein weibliches Quietschen)

Fiebig: Wilhelm kenn'k doch?

Gehrke: (der sich unterdessen an einem Bücherregal zu schaffen gemacht, hat eine Broschüre herausgelangt in knallrotem Umschlag und liest jetzt, auf Fiebig sehend, den Titel) »Der Einbrecher.« Das ist ja in London gedruckt. Das ist wohl eine anarchistische Broschüre? Wo haben Sie denn das her?

Fiebig: Nu, von Spredowskn. Verbotn!

Gehrke: Das Schriftchen scheint nicht uninteressant zu sein. (es klopft)

Fiebig: Immer rin, Wilhelm!

Werner: (eintretend. Sich zuerst noch halb umsehend. Bewegung mit den Achseln. Hände auswärts. In der einen ein eingewickeltes kleines Buch) Ick weeß nich, nach mir sind de Meechns immer janz verrickt. Jratulier ooch! (auf Fiebig zu) Moin ollt Federvieh. (schüttelt ihm derb die Hand) Orntliche Eisbeene hab ick. Scheen wahm hier. (zu Frau Fiebig) Na, ick will man nich so sind. Da nehm Se schon. Det is ja wat for sone Dichtersjattin. (gibt Meischen die Hand und sieht auf den Strumpf) Von die Sorte könnt'k ooch mal n halbet Dutzend brauchn.

Meischen: I, heiraten Se doch!

Werner: (grinsend) Ick wer ma hietn. (unterdessen zu Gehrke, dem er die Hand wuchtig und vertraut drückt. Gehrke lächelt freundlich-verlegen)

Fiebig: (zu seiner Frau) Dets doch wieder wat von Wertheim?

Frau Fiebig: (die unterdessen das Paket aufgewickelt hat. Enttäuscht) Jott, wat soll'k dn damit? Immer die olln Biecher. Liedes eines Ibermenschen! Det is doch nischt vor mir? Dets doch man bloß wieder, det sich der Dreck druf sammelt.

Fiebig: Nanu? Du wirst Dir doch hier nich blamiern woln? Det is doch von unsern Dokter?

Frau Fiebig: (hat das Buch verächtlich in die Sofaecke geworfen) Och, Jott!

Gehrke: O, ich lege jetzt keinen Wert mehr auf die kleinen Sachen. Stammen noch aus meiner früheren Periode. Haben eigentlich nur noch literarhistorische Bedeutung.

Werner: (hat sich unterdessen großpratschig auf einen Stuhl gesetzt, die Hosenbeine in die Höhe gezogen und dreht die Daumen)

Meischen: Das is je mei Jammer! Mei Benno is ähm zu bescheiden! Daß 'r der Eerschte is, ham se damals alle geschriem. Im »Klein Schournal« hats auch geschdanden.

Werner: Jo, de Dichter habn dn Ruhm un den Drucker habn de Kostn.

Gehrke: (zieht ein saures Gesicht, bringt aber nur kurz ein gequetschtes »Nja« hervor)

Fiebig: Davon verstehste nischt, Wilhelm. Dets bei uns Unsterblichkeit auf Vorschuß. (zu seiner Frau) Laß det doch da nich so in de Ecke rumtrödeln? Jib doch her. Een Exemplar hab'k schon. Tausch'k mer mal jelejntlich bei Kampmeiern mit um.

Anna: (halb durch die Tür) Mama?

Werner: (von seinem Stuhl er) Kiehks!

Frau Fiebig: Was is dn schon wieder?

Anna: Soll ich bloß von den Zuntzkaffe nehmn, oder auch noch von den andern?

Frau Fiebig: (aufstehend) Hinter alles muß man ooch her sein.

Meischen: Nu warten Se doch! Nähm Se mich doch mit! Was soll ich'n daher under die Mannsleite? (beide ab)

Fiebig: (sich die Hände reibend) Na, da ham mer ja wieder unser Konfiefjum.

Gehrke: (hat sich, die Broschüre in der Hand, aufs Sofa gesetzt) Eine merkwürdige Anschauung.

Werner: (seinen Stuhl ranrückend) Du saa mal, Oska, wie is dn det? Mir roochert. Hastn jakeen Ziehjahn?

Fiebig: laß doch man. Ha Hahn kommt ja jleich! Weeßte, watter machn will? Ne Wochenschrift! Du sollst se druckn.

Werner: Nanu? Is dn die Olle schon dot?

Gehrke: (der sofort die Broschüre zur Seite gelegt hat. Interessiert) Ah, der junge Mann mit der reichen Tante?

Fiebig: Nöh! Soweit isser noch nich. Dets man erst son Vorkosthäppkn. Vierdausend Emm! (hat die Papiere genommen und schlägt drauf)

Werner: (faßt sie mit Daumen und Zeigefinger) Wie sich det anfäßt!

Gehrke: (nachdenklich) Damit ließe sich schon etwas beginnen.

Fiebig: Sie solln der Redaktöhr sind, Dokter!

Gehrke: Ja, wenn ich ungehemmt meiner Individualität leben kann?

Werner: Det jloob'k! Ick schlage denn ooch uf mit die Prozente: Dhun dhun wir je alle beede nich jern wat.

Gehrke: (nachdem er seinen alten Feindfreund, über dessen Unverschämtheit paff, einen kurzen Augenblick gemessen) Meine mir momentan allerdings aufgezwungne Untätigkeit, Herr Werner, ist doch schließlich wesentlich Ihr Werk. Hätten Sie uns in unserm gerechten Kampf der Jungen gegen die fossil gewordnen Alten vor drei Monaten durch Ihre unqualifizierbaren äußeren Formen nicht beide so kompromittiert, wir säßen heute noch in der Partei!

Werner: Ach wat! Acht Zoll Schnauze! Dets die Hauptsache. Die könn'n mir diddeln mit die Fischblase!

Gehrke: Jedenfalls sind Sie jetzt Ihre Druckaufträge los und ich kann zusehn, wo ich meine Artikel unterbringe.

Werner: (zu Fiebig rüber) Jott nu, ick denke, dazu is jetz Hahn da.

Gehrke: Sie fassen die Situation hier wieder in einer Weise auf . . .

Fiebig: (dem dieses ganze Intermezzo höchst unangenehm gewesen) Ick weeß nich, Wilhem, watte immer jejn Hahn hat? Steckt wat in ihn. Den jeht 't wie mir. Er kannt bloß nich immer so von sich jebn.

Werner: Nu ja, e frißt keene Stieblwickse! Talent zum Schwiejersohn.

Fiebig: (drüber weg hörend) E redt bloß nich ville. Ma muß allns ausn rausziehn, wie mitn Proppnzieher. Dets det eenzje. Mir sieht ooch keener an, wat'k bin. (es klingelt) Nu ja nischt sagn!

Anna: (hinter der Szene) Ach, Ha Hahn, son schöner Strauß!

Fiebig: (absichtlich andrer Tonfall) Ja, det mitte Ferdebahn! Det hab'k schon immer jesaacht! Det mißte man bloß zehn Fennje kostn von Jesundbrunn bis nachn Kreizberch! Passn Se uf, Dokter! Kommt ooch noch so.

Werner: Ooch schlecht.

Fiebig: Zuletzt wird alles elektrisch!

Anna: (macht Herrn Hahn die Tür auf) Bitte, gehn Sie nur rein, Herr Hahn, ich rufe gleich Mama.

Hahn: (ohne Hut und Paletot, mit einem großen prächtigen Rosenstrauß) Ache . . . danke sehr, danke! (Anna schließt hinter ihm die Tür)

Fiebig: Ach, Ha Hahn! . . . Verehrer von Ihn, Dokter.

Gehrke: (steht auf und gibt Hahn die Hand) Es freut mich, Herr Hahn, Ihre Bekanntschaft zu machen. Ich glaube Ihren Namen kürzlich in einer Zeitschrift gefunden zu haben.

Hahn: (entzückt) Oh, Herr Doktor! . . . Gun Tag, Herr Fiebig.

Fiebig: (zu Gehrke) Ach, Se meen, wat ick Ihn da in de »Freie Biehne« anjestrichn habe? Ne, det wahn andrer Hahn. (zu Hahn) Wissn Se, der Mann hat dn Dokter mit Sokratesn, Confutzjusn und Tolstoin verjlichn. Da: Sehn sich mal an!

Hahn: (beschämt, gibt Werner die Hand) Gun Tag, Herr Werner.

Werner: (wie Fiebig sitzen geblieben) Tach, Ha Hahn.

Gehrke: Eine gewisse Übereinstimmung in unsern Hauptideen ist allerdings merkwürdig. Ich leugne das nicht. Indessen berücksichtigt der Verfasser wohl kaum genügend die Verschiedenheit unsrer Methoden.

Fiebig: Ja, wissn Se, det hab'k mer ooch jesaacht. Dets immer verschiedn. Dets nie jleich bei de Künstler. Rossini leechte sich ins Bett und besoff sich. Jluck stand uf freiem Felde. Ick kann hier ohne mein Schlafrock nischt machn.

Frau Fiebig: (tritt ein, hinter ihr Meischen, eine Küchenschürze im, in der offnen Tür. Dahinter Anna mit langem Hals. Frau Fiebig, sich die Hände an den Hüften abwischend) Jun Tach, Ha Hahn.

Hahn: (schüchtern auf sie zu) Entschuldigen Sie, Frau Fiebig. Ich gratuliere schön. (reicht ihr das Bouquet)

Werner: (zu Gehrke, der neben ihm steht, stichelnd) Scheenet Sträuskn, Dokter.

Frau Fiebig: Is der abber dheier. Det sin ja Rosen. Dafor hättet ja schon wat Nützlichet jejebn?

Fiebig: No, Ha Hahn kann dir doch keene Nachtjacke schenkn?

Frau Fiebig: Nu, worum dn nich?

Fiebig: Nischt verstehste! Det ick mir bei jede Jelejenheit uf den jeborn Humoristn rausspiele, könnste doch nachjrade schon jemerkt ham. Sowat schenkt doch nicht das Portmaneh, sowat schenkt det Herz!

Frau Fiebig: Der jat jut seine vier, fünf Mark gekost!

Fiebig: Ja, so eener wa Unsinn.

Hahn: Ach, Herr Fiebig.

Fiebig: (kramt ärgerlich zwischen seinen Papieren)

Frau Fiebig: Wat macht man dn nu mit ihn?

Anna: Steck n doch in meine Schusterkugel, Mama!

Frau Fiebig: Ja, dets eijentlich wah.

Werner: (hat sich unterdessen an den Ofen gestellt. Wärmt sich)

Meischen: (während Frau Fiebig vorübergeht, an dem Strauß riechend) Awer die sehn scheene! Ei, das rich 'ch gerne!

Frau Fiebig: (schon im andern Zimmer) Ich koch Ihn ooch n scheen Kaffe für, Ha Hahn. (ab mit Anna)

Hahn: (Verlegenheitsdiener)

Gehrke: Gestatten Sie, Herr Hahn, daß ich Ihnen meine Frau vorstelle. Meine Frau, Herr Hahn. (hat, bevor er zu ihnen getreten ist, die rote Broschüre auf den großen Sofatisch geworfen, wo sie auffällig liegen geblieben)

Hahn: (stumme Verbeugung)

Meischen: (noch immer in der offnen Tür, reicht ihm die Hand. Leutselig) Besuchen Se uns doch emal. Se fahrn mit der Stadtbahn. Mir wohn in Friedrichshachen.

Hahn: Oh, wenn Sie gestatten . . .

Meischen: Mei Benno freit sich immer, wenn einer uns besucht. Bei mei Benno gomm se alle. Mei Bild auf der Ghunstausschdellung ham Se doch auch schon gesehn? Midden under die Ferschtlichkeiten ham se mer gehängt. Härre, wie ich bloß aussehe? Mer muß sich je schämen! Mer muß sich je schämen! Auf Wiedersehen, Herr Hahn! (ab)

Hahn: (dienert ihr nach)

Fiebig: Komm Se, Ha Hahn. Setzn sich.

Hahn: (setzt sich auf den Stuhl, auf dem Werner gesessen) Ach, sehr freundlich Herr Fiebig. (schnellt auf; verwirrt) Entschuldigen Sie, Herr Werner, das war wohl Ihr Platz?

Werner: Ach, bleib'n Se ruh'ch sitzn. Hier is ooch scheen wahm.

Hahn: (reicht Fiebig stumm die Zigarrentüte)

Fiebig: (präsentierend) Wolln Se eene, Dokter?

Gehrke: Danke sehr, Herr Fiebig. Sie wissen, daß ich die Narkotika nicht als reine Mittel werte.

Fiebig: Sehn Se, Ha Hahn? Heern Se jleich wat. Ick mach ooch nich vorn Kaffee.

Werner: (näher gekommen) Mir scheniert det nich. (nimmt eine Zigarre, beißt die Spitze ab und spuckt sie vor sich auf den Teppich. Hahn greift schnell in die Tasche, streicht ein Zündholz an und reicht es ihm) Merßi.

Hahn: O, bitte schön.

Werner: (große Züge paffend, nach dem Ofen zurück)

Gehrke: (ausholend. Kleiner Husten) Wie ich höre, lieber Herr Hahn, beabsichtigen Sie eine Wochenschrift zu gründen. Haben Sie sich bereits auch ein Programm gesetzt?

Hahn: Nein . . . ja . . . e . . . ich dachte, wir bringen denn auch ab und zu son kleines Gedicht.

Fiebig: Sonst . . . e . . . det is der richtje Oogenblick jetz f'ene Zeitung. Dets doch jrade so scheen mulmrich in de Welt? Nu jeht doch de jroße Deilung von Afrika los? Wißmann hat schon n Aluminjumboot.

Gehrke: Ja, nun, das wäre wohl mehr auswärtige Politik. Indessen ich dächte doch, das Hauptgewicht legen wir besser auf die philosophische Seite der Ereignisse.

Werner: (vom Ofen her. Ironisch) Dets ibrijens n janz juter Fünffennichziehjahn forn Seckser. Marke: Lerne leiden ohne zu klagen!

Fiebig: Nu laß doch, Wilhelm. Stör doch hier nich det Kleeblatt.

Gehrke: Ja, Herr Hahn, Sie spielten vorhin, wenn ich Sie recht verstanden habe, auf meine Gedichte an. Wie ich indessen schon bemerkte, sind dieselben aber durch meine spätere Entwicklung für mich . . . ich weiß ja allerdings nicht, ob auch für andre . . . längst überholt. Ich stand damals noch mit einem Fuße innerhalb der falschen, humanitären Bestrebungen der Sozialdemokratie. Die Sozialdemokratie proklamiert das Faustrecht. Ich proklamiere das Kopfrecht. Unser Freund Werner ist ja inzwischen gleichfalls geistig über sie hinausgewachsen.

Werner: (geschmeichelt. Biedere Handbewegung) Dets allns eene reaktsjonäre Masse.

Gehrke: Für die sozialdemokratische Bewegung ist das Bestimmende der Herdeninstinkt der Menge, welche kritiklos den Führern folgt.

Werner: Ja. Die wohn in de Bellwühstraße. Ufjank nur für Herrschaftn. Un unsereens muß froh sind, wenn se'n nich aus Rixdorf schmeißn!

Fiebig: No . . . ick weeß nich? Die Leute wolln doch ooch lebn?

Werner: Ja, von unsre Arbeeterjroschns!

Gehrke: Nun, das ist bei den betreffenden Herren aus ihrem sozialen Milieu zu erklären. Es zeigt sich eben auch hier einmal wieder der korrumpierende Einfluß des Parlamentarismus. Mein Ziel ist der freie Vernunftmensch.

Werner: Nee, ohne Spaß, Oska, der Ziajahn is wirklich janz jut.

Fiebig: Nu sehste. (setzt befriedigt die Dose auf den Tisch)

Gehrke: Sie haben durchaus Recht, Herr Fiebig. Grade jetzt ist der Zeitpunkt, wo sich die Masse von dem suggerierenden Einfluß der Politiker zu befreien beginnt. Wo der Weg für Männer wie uns, deren Blick aus umwölkter Gegenwart sieges- und sonnensicher in eine vielleicht schon ganz nahe Zukunft gerichtet ist, wieder in die Höhe führt! Wo nicht bloß der Publizist, der einem faulen, gradezu volksverräterisch gewordenen Kompromißlertum selbstlos die Stirn zu bieten gewagt, sein Brot wieder in Frieden genießen und die wohlverdiente allgemeine Anerkennung erringen wird, sondern auch (halb nach Werner rüber) ja, ich scheue mich nicht, das Wort hier auszusprechen, sein berufenster Helfer, der Drucker!

Werner: Nu schwitzt mir abber bald hier wie son Bratappl.

Gehrke: Das letzte Ziel für uns bliebe also gewissermaßen, nicht wie bisher eine politische Politik, sondern um mich so auszudrücken, eine unpolitische Politik. Aus sich selbst kann das Volk nichts. Wer erzieht es? Wir Individualitäten.

Werner: Dets n Wort!

Fiebig: Nich wah, Ha Hahn? Dets ooch unser Standpunkt! Bei die olle Sozialdemokratie is det man bloß immer son Jeschimpfe uf die paa Kreetn, die eener noch hat! Sie ham je ooch wat, Ha Hahn! Un denn weeß'k nich, wat se heit immer von de Judn habn wolln? De Hälfte von meine Kundschaft sin Judn. Anständjer wie de Kristn!

Werner: (ist unterdessen faul am Tisch vorbeigegangen und hat in die Broschüre gesehn. Steht jetzt mitten auf der Bühne. Liest) Der wahre Sozialaristokrat ist der Einbrecher!

Fiebig: Nu, Wilhelm, det paßt uf dir. Det schreib dir man uf! (plötzlich. Wie aus einer Eingebung) Kinder! da ham mer ja ooch jleich unsern Titl: Der Sozialaristokrat!! (die Tür geht auf, Meischen kommt mit Tischtuch und Kaffeeservietten herein. Anna mit dem Strauß in der Schusterkugel hinter ihr)

Meischen: Da sin Se wohl widder scheene iber uns Frauen hergezoochen? Mir missen fer alles herhaltn! Blatz fern Sechser! (schiebt Werner mit seiner Broschüre weg und legt das Tischtuch über) Nu woll mer emal vergniecht sein!

Hahn: (ist aufgesprungen und zupft das Tischtuch mit zurecht. Meischen legt die Servietten auf)

Werner: Ach, Frau Doktor, wenn der Mensch nischt ze dun brauch, isser immer verjniecht!

Anna: (stellt die Kugel auf den Tisch. Zu Herrn Hahn) Nicht wah? Den stelln wir wohl am bestn in de Mitte.

Hahn: Das Glas wird doch nicht umfallen? (beide bemühen sich, Anna kichert)

Fiebig: Na, wie is't, Ha Hahn? Jehn Se mal mit Annan in Winterjartn. Zu de Barrisons!

Anna: (klatscht in die Hände) Ach ja, Papa!

Fiebig: (der unterdessen vor sich Platz für die Tasse gemacht hat) Biljetts kann'k kriejn. Det is ja wat fer sone jungn Leute. Mir deckn Sie man jleich hier. (sieht Meischen, die ihm eine besonders große, goldgeränderte Tasse vorsetzt, verliebt an, indem er dabei die Hand aufs Herz legt) Nä?

Meischen: (haut ihn leicht mit der Serviette) Sie alder Bärlatsch! Se sin woll ä bischen hä?

Fiebig: (die Hand schützend über die Tasse) Ja keen Polterahmd! Die hab'k mal von Annan zu ihre Konfirmatzjohn jekricht!

Werner: Ach, for mir ham Se da ooch son Lappn hingeleecht? Dets janich nötich. Wat soll'k den mit det olle Jeplempers? Nö, mir stelln Se man ne Flasche Bier hin.

Anna: Helles oder dunkles, Herr Werner?

Werner: Och, mit die Zuckerkulöhr! Ick drink bloß hellet. (unterdessen hat man Geräusch an der Tür gehört. Anna springt zu und macht auf)

Frau Fiebig: (pustend, mit einem großen Tablett voll Kaffee und Kuchen. Noch von der Tür eingerahmt) Jott sei Dank!

Werner: (in die Hände schlagend) No, nu kannt losjehn!


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