Karl von Holtei
Ein Mord in Riga / 1. Kapitel
Karl von Holtei

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Dreizehntes Kapitel

Wir lassen die aus der Stadt nach den Waldhügeln entsendeten Arbeiter unter Aufsicht des ihnen mitgegebenen Unterbeamten den Boden viele Werst in die Runde vergeblich durchwühlen und bleiben im Gefängnis, um den ersten Verhören des Mörders beizuwohnen.

Dieser war aus seinem Schreckenstaumel nach und nach zum Bewußtsein und zur Besinnung gelangt, daß in den Antworten, die er gebe, sein Heil oder sein Unheil liege; daß trotziges Verstummen sein Schicksal nur verschlimmern könne. Er wurde gesprächig und gab umständliche Auskunft, die wir durch seine eigenen Worte mitzuteilen versuchen, indem wir ihn redend einführen wollen, wenn wir zuvor noch erwähnt haben, was sich zutrug, als er an den Platz der Tat geführt und dem schmählich entstellten Leichnam seines Brotherrn gegenübergestellt wurde. Der entsetzliche Anblick hatte zuerst sein Schweigen gebrochen, denn er hatte einen Ausruf des Erbarmens getan und sich weinend auf die Knie geworfen. Als er aber die Hände des Ermordeten küssen wollte, war ihm der Kater, der die Leiche noch immer bewachte, wütend auf den Nacken gesprungen. Der Pristaff, ganz vergessend, daß ihm selbst etwas Ähnliches widerfahren, legte auf diese Kundgebung des Tieres großes Gewicht.

Übrigens erkannten die Hausgenossen die aus dem Walde mitgebrachte Schubkarre – die Geldkasse hatte niemand früher zu sehen Gelegenheit erhalten – als jene an, welche Iwan zu allerlei Verrichtungen im Gebrauche gehabt. Ebenso die Pferdedecke. Das blutbefleckte Beil erklärte er selbst ohne Widerspruch für sein eigenes.

Seine Aussage lautete so: »Ich bin oft des Abends, wenn mein Herr sich in sein Schlafgemach begeben und mir Erlaubnis erteilt hatte, zu den Singwaldschen Dienstleuten in Besuch gegangen, teils um mit Väterchen Isaak von Pferden zu plaudern, teils um mit Herrn Simeon zu schwatzen, der mir ebenfalls wohlwollte und bei dem ich deshalb so gern mich aufhielt, weil er unter die wenigen hiesigen Herrendiener gehört, die geläufig russisch reden. Auch der Punsch, womit er uns bisweilen bewirtete, schmeckte mir sehr. Vorgestern Abend war ich auch da. Ich wollte, wie gewöhnlich, um zehn Uhr heimgehen. Isaak und Simeon hielten mich zurück; der letztere schenkte mir immer wieder ein. Sein Punsch war nie so stark gewesen und hatte mir nie so wohlgetan. Es wurde wieder viel von meines Herrn Reichtum gesprochen und daß sein eisernes Kästchen voll von Goldstücken liege. Simeon neckte mich wieder, daß ich gewiß manchmal einen Griff täte und daß der Schlüssel unter dem Kopfkissen liege. Auch Väterchen Isaak lachte dabei, und sie behaupteten: der Iwan kauft sich doch noch einmal frei und wird ein großer Herr, der mit drei Pferden fährt; dann wollen wir in seine Dienste treten. Mein Kopf wurde mir immer schwerer, vom Punsch und von den Gedanken an Gold und Freiheit. Was ich gesprochen habe, weiß ich nicht mehr; aber sie lachten über mich, beide, das weiß ich noch. Als es elf geschlagen, rief Simeon: ›Jetzt darfst du gehen, Iwan, jetzt ist's genug.‹ Isaak weckte den Hausknecht, und sie öffneten mir die große Türe und ließen mich hinaus. Draußen kam ich wieder etwas zu mir und eilte heim. Zu unserem Haustor führte ich den Schlüssel. Es war ziemlich finster im Hofe. Wie ich an meine Stalltüre trat, fand ich sie nur angelehnt, nicht geschlossen. Das erschreckte mich, weil ich auch zu dieser den Schlüssel bei mir trug und ihn, da ich ausging, zweimal im Schlosse umgedreht. Ich fühlte auf einmal eine heftige Angst, und diese bewegte mich, nach des Herrn Stubenfenster zu schleichen. Da lag das Gitter unten am Erdboden; ich stieß mit den Füßen daran. Durch die gebrochenen Scheiben, vor denen sonst immer ein wollener Vorhang hing, durch den man nicht sehen konnte, der aber jetzt zurückgeschoben war, erblickte ich unseres Katers Augen, und die leuchteten so hell auf meines Herrn Kopfkissen, daß ich rote Flecken wahrnahm. Es war, wie wenn der Kater spräche: er ist umgebracht. Die Knie knickten mir ein und ich dachte: heilige Mutter Gottes, das wird auf dich kommen! Das war mein letzter Gedanke. Nachher verwirrte sich alles in meinem Kopfe, und ich weiß nicht mehr, was ich begonnen habe. Ich ging wie im Schlafe herum, aber in meinem Herzen bohrte es, und ich hörte den Kater Miauen: Iwan ist der Mörder! Dazwischen war es mir wieder, als müßt ich hineinkriechen zum Toten, den Schlüssel unter dem Kopfkissen wegnehmen und die Geldkiste öffnen, alle Taschen voll Gold stecken. Damit ich das nicht täte, hob ich das ausgebrochene Gitter vom Boden auf und lehnte es wieder vor das zerschlagene Fenster. Ich bin dann in meinen Stall gekrochen und habe gebetet, bis ich völlig nüchtern war. Je mehr mein Rausch verflog, desto größer wurde meine Angst und ich immer verwirrter. Wenn mein Pferd an seiner Stallkette rüttelte, so dacht ich gleich, das wären meine Ketten, die ich klirren hörte. Wer soll's denn gewesen sein, der ihn umgebracht, dachte ich mir; auf wen soll denn die Schuld kommen? Auf dir wird sie sitzenbleiben, sie werden dich mit der Knute zu Tode schlagen; sie werden dir das Fleisch von den Knochen hauen. Ich besinne mich, daß ich habe eins vom Glockenturme gehört, dann zwei, dann drei. Um vier Uhr hab ich mein Pferd gefüttert. Dann habe ich wieder gebetet. Um fünf Uhr hab ich mich um des Pferdes Hals gehängt und habe Abschied von ihm genommen. Dann hab ich mir ein Bündel zusammengemacht und bin weggelaufen. Gegenüber vom Tore hab ich mich in einem Gassenwinkel zusammengeduckt und gelauert, bis aufgemacht wurde und die ersten Milchleute aus der Vorstadt hereinkamen. Zwischen denen hab ich mich hinausgedrängt und bin gerannt – gerannt –, davon weiß ich weiter gar nichts mehr, als daß der Herr Pristaff mich eingeholt hat und in den Schnee geritten! Das ist die Wahrheit!«

Der Inquirent – denn in Rußland gebührt die gerichtliche Voruntersuchung lediglich der Polizei – war keineswegs geneigt, was Iwan als solche gab, dafür zu nehmen, sondern verordnete zur Entwirrung dieses aus pfiffiger Dummheit und heuchlerischer Einfalt zusammengestrickten Lügengewebes fürs erste eine angemessene Tracht Prügel.

Doch Iwan biß die Zähne zusammen und blieb dabei. Das kleine, mit einer Londoner Etikette beklebte Fläschchen, dessen Inhalt Sachverständige bereits für »diluierte Schwefelsäure« erklärt und geeignet gefunden hatten, die am eisernen Fenstergitter erfolgten Zerstörungen verursacht zu haben, wurde ihm vorgehalten mit der Frage, wie es in seine Lade und wie er in den Besitz dieses ihm zu seinen Berufsarbeiten durchaus nutzlosen Dinges gelangt sei.

Er leugnete, dasselbe jemals gesehen oder gar Gebrauch von etwas dem Ähnlichen gemacht zu haben; für welche freche Lüge eine wiederholte Züchtigung nicht ausbleiben konnte.

Pristaff Schloß verhörte sich immer fester in die Überzeugung hinein, daß er es mit einem durchtriebenen, im eigentlichen Sinne des Wortes, ganz verdorbenen Verbrecher zu tun habe, dem die Natur in einer ihrer unbegreiflichen Launen die täuschende Larve unschuldiger Sanftmut gönnte, während sie sein Herz gänzlich verhärtete. Dazu kam noch der Ärger, daß jegliche Nachforschung wegen der geraubten Summen unbefriedigt blieb und daß Iwan durchaus nicht Miene machte, den Versteck, den er dafür ausgefunden, irgend zu bezeichnen.

Natürlich wurde der sich abquälende Beamte vom bittersten Groll gegen den Missetäter übermannt, und er würde vielleicht die ohnehin schon weit ausgedehnten Grenzen seiner Vollmacht überschritten und schwere Mißhandlungen verhängt haben, hätte sich jener nur jemals auf dem kleinsten Widerspruche ertappen lassen. Doch dergleichen kam niemals vor. Wie wenn er sich in der Nacht vor dem eigentlichen ersten Verhör seine Lektion fest eingeprägt und den Entschluß gefaßt hätte, lieber alles zu dulden, als nur eine Silbe weit von dem einmal Gesagten abzuweichen, blieb Iwan unerschütterlich bei seiner ersten Aussage. Weder Querfragen noch Überraschung durch plötzliche Drohungen noch gütliches Zureden unter Verheißung möglichstes Nachsicht brachte ihn aus seinem Gleise.

Bald war die ganze Stadt voll von Erbitterung gegen diesen bei so früher Jugend schon so zähen Bösewicht. Muschkins Begräbnis, von dessen am Orte lebenden Glaubensgenossen mit allem Pompe begleitet, den die griechische Kirche einem Märtyrer widmen konnte, hatte nicht wenig beigetragen, diese Erbitterung zu steigern. Und als sich gar die Kunde verbreitete, der große Kater habe das Grab nicht mehr verlassen und sich auf demselben zu Tode gehungert, da erhob sich eine förmliche Sturmflut von Flüchen gegen den treulosen, undankbaren, mörderischen Diener, der so tief unter jenem getreuen Tiere stand.

Vielleicht nur ein Mensch in der ganzen Stadt zweifelte an Iwans Schuld und sprach diesen Zweifel überall offen aus; das war Singwalds Diener, Simeon. Wenn ihm dagegen von denjenigen, mit welchen er stritt, alle zusammentreffenden Anzeichen und Belastungsgründe vorgehalten wurden, pflegte er zu erwidern: »Das ist alles richtig, und ich kann es niemand verdenken, der ihn für den Täter halten will; aber ich bin's nun einmal nicht imstande, ich kann's nicht glauben, daß Iwan einen Mord begangen hat; so sieht kein Mörder aus.«

Madame Singwald belobte Simeon für diese milden Gesinnungen, und er stieg dadurch wieder mehr in ihrer Gunst.


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