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Begegnungen mit Goethe und seiner Welt

Der Frühling erwachte, als ich Paris verlassen, und er begleitete mich erwachend, wo ich hinkam. Ich reiste allein. Der Graf blieb noch in Frankreich zurück. Mich zog es nach Deutschland. Mit den grünen Knospen und Keimen kam die Sehnsucht des Heimwehs über mich. Nachdem ich einmal Emiliens Thränen und die Pariser Theater hinter mir hatte, konnte ich es gar nicht erwarten, mich wieder unter Deutschen zu fühlen. Ich flog durch Brüssel, Lüttich und Aachen; erst in Düsseldorf machte ich Halt, und dies auch nur, weil ich mich glücklicherweise noch zu rechter Zeit besann, daß Schadow und Immermann dort lebten. Schadow war, wie er noch in Berlin weilte, unser lieber Genosse in der litterarischen Gesellschaft gewesen. Zu Immermann, der unterdessen ein berühmter Dichter geworden, zog mich die dankbare Erinnerung an Dresden und seine mir dort bewiesene Teilnahme. Beide nahmen mich liebevoll auf. Immermann las mir sogleich seinen eben vollendeten »Andreas Hofer« vor. Waren es doch die ersten Töne eines deutschen Dichters, die ich wieder vernahm, und sie drangen mir unwiderstehlich zum Herzen. Auch ist mir aus jenen schönen Frühlingstagen eine unvergängliche Vorliebe für das oft angefochtene »Trauerspiel in Tirol« geblieben.

Von Düsseldorf begleitete mich Immermann nach Köln, wo wir am ersten Osterfeiertage ein Episkopal-Hochamt im alten Dom erlebten und uns dann nach einigen in Zuneigung und Heiterkeit vergangenen Tagen wieder trennten, er um nach Düsseldorf wieder zurück-, ich um nach Frankfurt a.M. zu gehen, vielmehr zu schleichen, weil ich mich unwohl fühlte und ernstlich krank zu werden fürchtete. Dank sei es dem Frühling und meiner zähen Natur, die Befürchtung wich nach kurzer Rast und Pflege wiederkehrendem Wohlbefinden, und ich konnte Frankfurt binnen einer Woche verlassen. Der ermüdenden Nachtreisen überdrüssig, suchte ich Platz in einem Hauderer, der sich nach Leipzig begab, und fand ihn mit angenehmer Gesellschaft, die aus noch drei Herren bestand, von denen der eine Maler Oppenheim aus Frankfurt war. Dieser hatte im Sinne, einige von ihm gemalte Bilder, die denn auch in ungeheuren Kisten auf dem Verdeck unseres Wagens schwankten, zur Weimarischen Kunstausstellung zu bringen. Unsere Fahrt war so heiter, daß wir bei gegenseitigen Scherzen die unerlaubt lange Dauer derselben vergaßen oder willig ertrugen. Wir langten in Weimar im »Elefanten« an, eben als es Zeit war, Mittag zu essen. Hier sollte sich die lustige Gesellschaft trennen, denn unsere zwei Begleiter und ich hatten bis Leipzig akkordiert. Herr O. ließ seine Kunstsachen abladen; der seufzende Wagen schien freier zu atmen. Es war uns allen nicht recht, daß Oppenheim uns verlassen sollte. Wir hatten so viel mit einander geschwatzt und gelacht! Während ich nun noch zum Abschiede mit ihm unter der Hausthür plauderte, flog ein junger, toter Hund aus der Luft herab uns vor die Füße. Das hing aber so zusammen: Schon beim Aufbruch von Frankfurt hatte ein zweiter Landkutscher, ein Schweizer, sich uns angeschlossen; er schien mit unserem Hauderer durch lange gemeinsame Hin- und Herfahrten eng verbrüdert. Auch paßte seines Wagens Inhalt vollkommen zu uns, ergänzte gewissermaßen unsere Gemeinschaft, denn wie hier vier junge Männer saßen, so dort vier junge Damen, französische Schweizerinnen, die als Gouvernanten nach Sachsen verschrieben waren und nun von dem soliden Fuhrherrn, dem man sie als leicht zu beschädigende Frachtgüter anvertraut, sorglichst transportiert wurden, als ob auf jede von ihnen ein Glas gemalt wäre. Die Freundschaft unserer Kutscher schien uns ein nachahmenswertes Vorbild. Wir wollten hinter ihnen nicht zurückbleiben und benützten schon die erste Begegnung beim ersten Mittagsmahle zu zierlichster Annäherung. Nun war es freilich ein Elend. Die Damen verstanden kein Deutsch, und von uns radebrechten nur zwei ihr bißchen Französisch. Es ging aber doch; wir waren galant, so gut es gehen wollte; jeder natürlich auf seine Weise.

Der schweizerische Landkutscher besaß einen Hund, wie Kutscher ihn zu haben pflegen, als Busenfreund, Wächter, Bajazzo, von allem etwas, kurz es war ein recht hübscher häßlicher Hund, so häßlich, wie man's nur von einem Kutscherspitz verlangen kann. Wir nannten ihn alle den französischen Hund. Der Hund jedoch muß durchaus eine Hündin gewesen sein, denn am dritten Reisetage vernahm ich auf dem Verdeck des Schweizerwagens ein höchst bedenkliches Winseln und Wehklagen; – der Hund war nicht mehr allein; in dem Korbe, welcher ihm zu seinem Wohnsitz angewiesen, befanden sich fünf jüngere Hunde, höchst wahrscheinlich seine Kinder. Wunderlicher Ballast! Auch wurde viel davon ausgeworfen; die Tiere starben hin wie Fliegen, und Leichenführer wollte der Schweizer nicht sein. Er fürchtete, das könne zum Pasquill auf unser langsames Fahren werden. – Der Letztverblichene war eben der, welcher in Weimar zu unseren Füßen fiel. Ich betrachtete selbigen nachdenklich.

Da sagte der muntere Maler zu mir: »Der verstorbene Hund beschämt Sie; er bleibt hier, und Sie reisen, kaum daß Sie werden gesättigt sein, ruhig davon, als ob wir in Krähwinkel wären, statt in Weimar!« – »Mein Bester«, erwiderte ich, »was soll ich denn in Weimar? Ich kenne ja hier keine lebende Seele. Was könnte mich hier festhal...«, und in diesem Augenblicke versagte mir die Sprache; ein Gedanke durchzuckte mich so mächtig, daß ich mich wie von einem elektrischen Schlage getroffen fühlte. – Weimar! – Er!

Ohne Empfehlung, ohne Anhaltspunkt, ein ihm kaum bekannter Name, darfst Du es wagen? ...ich hütete mich wohl, meine Gedanken laut zu denken; ich brummte sie in mich hinein, ließ mir vom Wirte Papier geben, schrieb, – ich weiß nicht was? – an des Herrn Geheimrats von Goethe Excellenz, bat als Durchreisender um eine Anschauungs-Audienz, gab dieses Brieflein dem Lohnbedienten,... und wir gingen zu Tische. Die Schweizerinnen weinten in ihre Suppe wegen ihrer bald bevorstehenden Trennung; wir scherzten und lachten dazwischen, mir aber war nicht lächerlich ums Herz, denn ich erwartete mit klopfender Brust die Wiederkehr des Lohnbedienten. Je länger dieser ausblieb, desto höher stieg meine Spannung, und die Reisegefährten staunten mich, den ungewöhnlich Schweigsamen, fragend an.

Zapfe kam, ich blickte nach seinen Händen, die, ach! keinen Brief für mich hielten. Er aber legte sich sanftlächelnd an meinen Stuhl und sagte leise, doch den Umsitzenden vernehmbar: »Der Herr Geheimrat erwarten Sie morgen nach 11 Uhr.« Morgen! Und bereits hörten wir im Hausflur den schallenden Hufschlag der Pferde, die zur Weiterreise hinausgeführt wurden. Nun blieb keine Wahl. Ich bezahlte den Kutscher, ließ mein Gepäck abladen, nahm ein Zimmer, und, – es war geschehen! Bis dahin hatte ich nicht daran gedacht, daß ich es wagen dürfe und werde, mich zu Goethe zu drängen. Ein Zufall hatte mich jene meldende Anfrage schreiben lassen. Nun saß ich fest und befand mich in der tödtlichsten Angst. Wie gern wäre ich dem Wagen gefolgt, als sie abfuhren! Ich blickte ihnen mit Sehnsucht nach. Und während Herr Oppenheim seine Angelegenheiten zu besorgen, Empfehlungsbriefe abzutragen anfing, saß ich nachdenklich und niedergeschlagen in der finsteren Wirtsstube des Gasthauses zum »Elefanten«, der alte Besitzer, Herr Schwanitz, mit mir.

Wer kannte ihn nicht? Wer kannte sie nicht, die räucherige, durch einen hölzernen Pfahl in ihrer Mitte zur ländlichen Schenke gestempelte Stube? An mir gingen im wachen Traume die Bilder derjenigen vorüber, die seit einer langen Reihe von Jahren hier eingekehrt, alle in der Absicht, alle in der Hoffnung, ihn zu sehen, den Einzigen, Gewaltigen, diesen Herrscher im Reiche der Geister! Es ist ungeheuer, sich in die Macht zu denken, die er ausgeübt, länger als ein halbes Jahrhundert hindurch, auf jeden deutschen Geist, auf jedes deutsche Gemüt! Und wie? Warum nur Deutsche? Haben in jenem Gastzimmer nicht würdige Repräsentanten der verschiedensten kultivierten Nationen gelauscht und geharrt, bis ihnen die Kunde ward, daß sie sich dem Ersehnten nahen dürften? Der alte Schwanitz müßte ein Maler gewesen sein! Aber ein Seelenmaler! Und dann, die Galerie jener Harrenden... Besorgnis, freudige Erwartung, Übermut, Arroganz, selbstzufriedene Eitelkeit, bescheidenes Verzagen, Heuchelei, Liebe, Entzücken... das gäbe eine Musterkarte von inneren Zuständen! So dachte ich mir nun, was ich morgen sagen wollte, oder was ich erwidern sollte, oder wie ich beginnen müßte, wenn er schwiege, und so wäre ich vor lauter Gedanken ein Narr geworden, hätte sich nicht die Thür geöffnet, um Professor D. L. B. Wolff einzulassen, den ich aus Hamburg kannte, den ich aber nicht in Weimar vermutete. Er wußte mir mancherlei zu erzählen und weihte mich gewissermaßen in den Zauberkreis ein, den ich morgen betreten sollte. Und ich war mit vielem, was er mir erzählte, gar nicht zufrieden; noch weniger mit der Art und Weise seines Vortrages. Er sprach, indem er von jenem Hause »auf dem Plan« redete, wie von einem Hause, in welchem Menschen wohnen; schilderte ihre häuslichen Verhältnisse, den Konflikt ihrer irdischen Naturen mit der Wirklichkeit, ihrer Stellung zu Weimar!... Das war mir nicht recht. Wie ich an jenem Nachmittag gestimmt war, hätte mich nur eine homerische Schilderung großartigen Götterlebens befriedigen können.

Nun gingen wir in den Park. Mir kam es vor, als hätte ich in prophetischem Traume oder in meiner Kinderzeit diese schönen Anlagen schon einmal durchwandert; – so oft hatte ich davon sprechen, so viele Scenen, die auf jenen Plätzen durchgespielt wurden, lebhaft beschreiben hören!

Als wir an den Stein gelangten, dem die bekannte Inschrift:

»Die Ihr die Felsen bewohnt und Bäume,
einsame Nymphen etc.«

eingegraben ist, und die Zeile las:

»Und dem Liebenden gönnt,
daß ihm begegne sein Glück.«

war es mir doch, als ob eine Mythologie Weimarischer Zustände vor mir aufstiege! Die Werke nahmen sich hier ganz anders aus, als auf dem Papiere. Ob man die großen Dichter vielleicht erst dann verstehen lernte, wenn man sie nicht mehr aus Büchern zu lesen brauchte? Wenn man sie, – »tönenden Rhapsoden« gleich, selber hörte? Oder wenn wie hier die Felsen ihre Worte trügen? Oder wenn der Wald sie rauschte?

Professor Wolff führte mich zuletzt in einen geschlossenen Garten; eine Art von Erholungs- oder Harmoniegesellschaft war dort versammelt. Man trank Bier, man rauchte, man schob Kegel, sogar acht um den König und alle neun! Mir wollte gar nicht in den Kopf, daß ich in Weimar sei.

In einer von uns entfernten Gruppe bemerkte ich einen eleganten Mann in feiner Kleidung mit vornehmen Manieren, dessen Gesicht, besonders Augen, Stirn und Nase mir bekannt schien. Es störte mich, fortwährend nachsinnen zu müssen, wo ich ihn schon gesehen haben könnte, und als ich endlich nach seinem Namen fragte, hörte ich ihn Herrn Kammerrat August von Goethe nennen. Ehe ich's noch verhindern konnte, bemächtigten sich mehrere Personen der meinigen, um mich zu ihm hinzuführen. Er empfing mich gemessen und kalt. Ein eigentliches Gespräch war nicht anzuspinnen. Jeder Andeutung auf seinen Namen und auf alles, was daran sich knüpfen könnte, wich er entschieden, fast unhöflich aus. Vielmehr stimmte er einen burschikosen Ton an, erzählte unanständige Berliner Witze, zwang mich gewissermaßen, darin fortzufahren, und affichierte eine Roheit, die mir mißfiel und mich abstieß. Von jenem Abende an suchte ich ihm fern zu bleiben, ließ seine freundlichen Annäherungen unerwidert, und erst bei meinem zweiten, längeren Aufenthalte gab es der Zufall, daß wir uns fanden, daß ich in ihm kennen lernte, was mir ihn teuer machte, daß wir vertraute Freunde wurden. Die Beschreibung der nächstfolgenden Jahre meines Lebens wird mir häufig Veranlassung geben, auf ihn zurückzukommen, und ich werde die Pflicht erfüllen, die ich gegen den Verstorbenen habe, ihm vor den Augen der Welt die Gerechtigkeit widerfahren zu lassen, die ihm, – freilich zum Teil durch seine eigene Schuld, – nicht werden sollte, als er lebte. Gewiß hat er selbst das meiste dazu beigetragen, daß alle Leute mit ihm zerfielen; er forderte in krankhaftem Trotze die üble Meinung heraus. Das erfuhr ich ja an mir selbst, denn durch seine erste Begegnung ward mir mein erster Tag in Weimar total verdorben; ich brachte einen garstigen Abend auf meinem Zimmer zu, und jene Erwartungen für den andern Tag waren genugsam herabgestimmt worden, um mich wenigstens ruhig schlafen zu lassen. – Der Morgen brach an, aber er wollte nicht vergehen. Die Langeweile der Ungeduld machte ihn für mich zu einem Jahre. Während ich nun mit mir selbst kapitulierte, wie ich mich bei Goethe einführen, und wie ich am besten vermeiden könnte, eine gar zu alberne Figur zu machen, erinnerte ich mich plötzlich, daß ich ihm schon früher einige meiner versifizierten Versuche zugesendet, und daß er mir durch unsern Wolff, sein ehemaliges theatralisches Schoßkind, einige majestätisch-huldreiche Floskeln über das kleine Versspiel »die Farben« hatte zustellen lassen. Er hatte, von meinen Arbeiten mit jenem redend, den bezeichnenden Ausdruck gebraucht: dieser Mensch ist so eine Art von Improvisator auf dem Papier; es scheint ihm sehr leicht zu werden, aber er sollte sich's nicht so leicht machen! Vielleicht dachte ich, giebt das den Anknüpfungspunkt für ein Gespräch, denn meine Angst, daß er nicht reden werde, man hatte mir in Weimar zugeflüstert, er gäbe bisweilen, wenn er übler Laune sei, dergleichen stumme Audienzen, war fürchterlich. Und mit dieser Angst machte ich mich fünf Minuten vor 11 Uhr in Gottesnamen auf den Weg, – eigentlich in mir selbst noch nicht ganz sicher, ob ich nicht schleunigst umkehren, mich krank melden lassen und mit Extrapost abreisen solle.

Es schlug 11 Uhr, als ich im Empfangszimmer stand, und ich blieb, nachdem der Diener mich hineingeschoben, einige Minuten mir selbst überlassen, die schlechteste Gesellschaft, in der ich bleiben konnte, denn ich fühlte mich von einem Moment zum andern immer dümmer werden. Jede Spur von Begeisterung erlosch, die feierliche Rührung, die ich vorher empfunden bei dem bloßen Gedanken, daß ich den Dichter des Götz, der Iphigenia, des Wilhelm Meister von Angesicht sehen würde, machte bornierter Verlegenheit Raum; mir war, als hätte ich Geschäfte bei einem wirklichen Geheimen Oberregierungsrate im Departement der außerordentlichen Steuern und Abgaben.

»Nun, so ist es mir denn lieb, daß ich Sie auch einmal zu sehen bekomme!« Mit diesen Worten trat er ein und nahm, nachdem er mich zum Sitzen genötigt, neben mir Platz.

Verbindliche und möglichst schön gestellte Redensarten von meiner Seite schienen keinen Eindruck zu machen; wenigstens lockten sie keine Erwiderung hervor. Er führte den in irgend einem Wohlgeruch gebadeten Zipfel seines weißen Tuches von Zeit zu Zeit an die Nase und ließ mich sprechen. Drei- oder viermal erneute ich den Angriff, immer prallte ich wie von einer steinernen Mauer wieder ab. Je geistreicher ich zu sein mir Mühe gab, desto abgeschmackter mag ich ihm wohl geschienen haben, denn es dämmerte in mir selbst so etwas vom Bewußtsein eigener Gebrechlichkeit auf. Ein guter Geist gab mir die Erinnerung ein, daß ich in Paris den Duval'schen »Tasso« spielen sehen, den machte ich zu meinem Zauberstabe, – und siehe da, der Fels gab Wasser. »Aus Paris kommen Sie? Und was machen unsere Freunde, die Globisten?« (Mitarbeiter an dem Journal »le globe«.) – Auf diese Frage wußte ich freilich verzweifelt wenig zu antworten, aber da sie andere Fragen erzeugte, in deren Beantwortung ich besser bestand, so kam doch bald einiges Leben in die einsame Stunde. Ich fühlte wieder Grund und Boden unter meinen Füßen. Je mehr ich mich gehen ließ, meinem natürlichen Wesen getreu, ohne weitere Ansprüche auf zarten Ausdruck, desto lebendiger wurde der alte Herr. Einigemale that er, als ob er lachen wollte; und als ich ihm erzählte, daß ein französischer Kritiker nach Aufführung des Duval'schen Tasso geschrieben hätte: » Monsieur Alexandre Duval, en estropiant le Tasse de Schiller«, da lachte er wirklich. So wurde denn aus den zehn Minuten, die ich mir als längste Audienzfrist geträumt hatte, eine rasch genug durchplauderte Stunde. Als es zwölf Uhr schlug, erhob er sich und sprach: »Wenn der Prophet nicht zum Berge kommt, so muß der Berg zum Propheten kommen; da ich nicht mehr zu Hofe gehe, so erweisen die höchsten Herrschaften mir die Gnade; – also will es sich ziemen, dieselben zu empfangen!« Dabei gab er mir ein Entlassungszeichen, welches ich, da ich nun erst in Zug gekommen war und gern noch weiter geplaudert hätte, wahrscheinlich mit sehr unzufriedener oder betrübter Miene aufnahm. Als ich schon an der Ausgangsthür stand, rief er, als ob er bemerkt hätte, wie schwer mir das Scheiden wurde, mich noch einmal zurück und sagte: »Wollen Sie mit uns speisen, so werden Sie um 2 Uhr willkommen sein!«

Wie ein Abiturient, dem der Gymnasialdirektor zugeflüstert hat, daß er Nummer I mit Auszeichnung bekommen werde, so vergnügt sprang ich über die Schwelle der Hausthür, den bunten Teppich, welcher bereits den Prinzessinnen zu Ehren dort ausgebreitet lag, kaum berührend, und als ich die mit Isabellen bespannte Hofkarosse um die Ecke biegen sah, grüßte ich so verklärt, triumphierend und Hut schwenkend in den Wagen hinein, daß die darin sitzenden Hoheiten mich zweifelsohne für einen Narren gehalten haben.

Goethe's Schwiegertochter, Ottilie, war unpäßlich; statt ihrer erschien deren Schwester, Fräulein Ulrike von Pogwisch bei Tafel. Außer August von Goethe waren noch ein paar Herren zugegen, meines Bedünkens der Kanzler von Müller und Professor Riemer. Der Alte sprach viel und trank nicht wenig. Die Unterhaltung war lebhaft, ungezwungen und ohne Prätension. Das Dessert stand noch nicht auf dem Tische, als ich mich schon vollkommen eingebürgert sah. Ich redete, was mir in den Sinn kam, ohne Bedenken, ob es in Goethe's Kram tauge oder nicht. Gegen Ende der Tafel traten die »Enkel«, Walther und Wolf, zwei muntere Knaben, ein und gaben, vom Großvater aufgemuntert, allerlei Schwanke zum besten. Unter andern sangen sie auch einige Lieder aus meinen auf der Bühne gegebenen Stücken. Der Alte sagte dann, indem er ihnen Näschereien reichte: »Nun, seht Euch einmal diesen Mann an; das ist der, welcher das dumme Zeug gemacht hat!« – Professor Wolff führte mich zu der allverehrten und dieser Verehrung so würdigen Johanna Schopenhauer; eine Frau, mit welcher mich späterhin ein dauerndes, bis an ihren Tod festhaltendes Band aufrichtiger und anhänglicher Freundschaft vereinte, die jedoch, als ich zuerst bei ihr erschien, nicht verhehlen konnte, daß ich einen fast unangenehmen Eindruck auf sie machte. Es ging ihr mit mir, wie es mir mit August Goethe ging. Sie fühlte sich von mir abgestoßen, wie ich von ihm, und näherer Bekanntschaft erst war es vorbehalten, diese Antipathien in Sympathie zu verwandeln. Mehrmals in meinem Leben habe ich ähnliche Erfahrungen gemacht, und mehrmals hat es sich bestätigt, daß Verbindungen, die aus allmählich steigernder Teilnahme hervorgehend sich langsam befestigten, dauernder blieben und inniger wurden, als jene, die der Augenblick in heftiger Neigung geschlossen. Sie selbst gestand mir, als wir uns genauer kennen gelernt, mit herzlichem Lachen, daß mein »studentenartiges« Wesen sie zurückgeschreckt, ja, daß sie mich für einen »recht anmaßenden Berliner« gehalten habe. Dennoch verschmähte sie nicht, für den nächsten Abend über mich zu verfügen, und machte mich vor einer großen Gesellschaft, in der »ganz Weimar« auf den Beinen war, lesen. Dieser Abend und auch ein anderer ähnlicher beim Geheimrat von Müller hatte günstigen Erfolg. Denn von ihnen ging das Projekt aus, mir für den folgenden Winter ein Abonnement auf eine ganze Reihe ähnlicher Vorträge zu ordnen. Für diesmal wurde die frohe Aussicht, noch öfter in Goethe's Angesicht zu schauen, unerwartet vereitelt. Irgend ein unangenehmer häuslicher Vorfall, eine kleine Familienscene machte ihn verdrießlich, und er sprach diesen Verdruß zum höchsten Erstaunen des Hofes und der ganzen Stadt dadurch aus, daß er urplötzlich vom raschesten Entschlüsse getrieben seine Wohnung mied und das »kleine Gartenhaus am Park« bezog. Mit diesem seinen Verehrern völlig unerklärlichen Wechsel des gewohnten Aufenthaltes war denn auch der Wille, allein und ungestört zu bleiben, entschieden ausgesprochen; und ich würde Weimar verlassen haben, ohne ihn noch einmal zu sehen, wenn nicht Eckermann in seiner unerschöpflichen Gutmütigkeit mir ein Abschiedsstündchen vermittelt hätte. Habe ich mir's nur eingebildet, oder hatte der unerforschliche Greis im ländlichen Häuschen andere Formen angenommen, – mir erschien er, als ich mich dort einfand, zugänglicher, wie in den städtischen Räumen, milder, mitteilender. Als ich ihm das Erstaunen schilderte, in welches diese seine Übersiedelung Weimar versetzt habe, sagte er mit einem fast wehmütigen Ausdrucke: »Wir haben hier in diesem Gartenhäuschen tüchtige Ich habe mir immer, wenn ich bei Goethe war, aufgeschrieben, was er gesprochen, und bin deshalb, wenn ich von ihm rede, sicherer über meine Erinnerungen, als über irgend etwas, wovon auf diesen Blättern berichtet wird. Jahre verlebt, und weil es denn mit uns sich auch dem Abschlusse nähert, so mag sich die Schlange in den Schwanz beißen, damit es ende, wo es begonnen.« Eine solche Andeutung aus seinem Munde erschien den ferneren Umgebungen, als ich davon erzählte, fast unglaublich; denn er stand in dem Rufe, dergleichen immer und sogar ängstlich zu vermeiden. Ich glaube dieser Behauptung, – was ich mit Beispielen belegen will, – widersprechen zu dürfen; ich habe ihn bisweilen ganz absichtlich auf das Unvermeidliche, auf den Tod, bezugnehmen hören, so daß ich fast glaube, jene Meinung, er fürchte davon zu reden, sei mehr aus der Besorgnis derjenigen hervorgegangen, die ihn durch eine mißfällige Silbe zu verletzen Anstand nahmen; wie ja auch ein regierender Fürst manchmal entgelten muß, was nicht seine eigene Engherzigkeit, sondern lediglich rücksichtsvolle Peinlichkeit derer verschuldet, die mit ihm umgehen dürfen.

Ehe ich Abschied nahm, händigte mir Dr. Eckermann ein Exemplar der Jubiläumsmedaille und Goethe's Brustbild ein in seinem Auftrage und war so gütig, mir auf besonderes Ersuchen noch ein schriftliches Zeugnis beizulegen, daß dies Geschenk wirklich aus Goethe's Händen komme und wirklich mir bestimmt sei, denn ich fürchtete, in Berlin könnte man's neidisch bezweifeln wollen. Eckermann's Benehmen vermag ich gar nicht genug zu preisen. Wie nahe er seinem angebeteten Meister immer stand, in wie innig geistigem Verkehr mit ihm er lebte, doch erschien er dem Fremden nie als ein unselbständiger, heuchlerischer Vergötterer, der unbedingten Götzendienst einzuführen beabsichtigt. Er freute sich herzlich, mit kindlicher Gemütlichkeit an der Verehrung, die man Goethe zollte, aber er wurde nie empfindlich, wenn man sich befremdet über mancherlei Wunderlichkeiten äußerte, ertrug jeden Einwurf und zeigte, wo Mißverständnisse eintraten, immer nur das Bestreben, zu schlichten, gut zu machen, zu beruhigen. Seines eigenen poetischen Talentes wohl bewußt, trug er dies Bewußtsein niemals zur Schau, gönnte vielmehr jedem andern, daß dieser sein Licht, sei es auch nur ein Kreuzerkerzchen, in Weimar leuchten lasse, und nur in Stunden intimster Vertraulichkeit, wo er sein Innerstes öffnete, sprach er das heilige »anch' io sono« mit stiller Wonne aus. Goethe ließ ihn lange warten, bis etwas für seiner äußeren Existenz Begründung geschah. Eckermann hat dies geduldig ohne Murren ertragen, durch regen Fleiß und mühselige Thätigkeit, – er unterrichtete namentlich junge Engländer, – seine Freiheit siegreich bewahrt und ist vielleicht der einzige in Goethe's nächster Umgebung geblieben, der in äußersten Fällen dieser selbständigen Freiheit zu Ehren männlich trotzen konnte, Während meines zweimonatlichen Aufenthaltes in Weimar im Winter 1828 sah ich ihn nicht ein einziges Mal im Goethe'schen Hause, weil er, durch irgend etwas verletzt, sich zurückgezogen hatte. – Aber auch in dieser Zeit ging nicht eine Silbe über seine Lippen, die eine Veränderung der unerschütterlichsten Treue und Verehrung für den Meister kundgegeben hätte. wenn er eben seine Ehre gefährdet glaubte. Wie wohlthätig er auf die oft gestörten häuslichen und Familienverhältnisse gewirkt, wie diskret er, der in alles eingeweiht war, auch dann geblieben, wenn er Ursache hatte, sich zu beklagen, wie liebevoll er zwischen Vater und Sohn gewaltet, – dies zu erörtern ziemt mir nicht, wenn schon es anzudeuten ich mir nicht versagen können.

Der Rückblick auf die in Weimar verlebten Tage war im allgemeinen ein für mich freudiger und erhebender. Nur ein dunkler Schatten, für mich um so dunkler, da es das Bild eines Mannes war, den ich im deutschen Herzen und Gemüt aufrichtig verehrt, seit ich zum erstenmal seinen Namen nennen, seinen Wert schildern hörte. Der Großherzog Karl August, dieser hochherzige Fürst, der

»Die Stadt im kleinen Räume
Zur Lehrerin der Welt«

gemacht, und dem ich in einer jener geistvollen, anmutigen Soireen bei Frau von Heigendorf vorgestellt worden war, hatte mir, seiner huldreichen und von jeder Regung des Hochmutes freien, biederen Weise entgegen, eine so schroffe, absichtliche Zurückhaltung und Kälte gezeigt, daß ich davor erstarrt, – und verstummt war. Ich hätte angenommen, daß ihm mein Vortrag einiger Akte eines Shakespeare'schen Schauspiels, wozu ich aufgefordert worden, mißfallen, und mich am Ende dabei beruhigt, wäre nicht während des Lesens seine Aufmerksamkeit gespannt und seine beifällige Teilnahme ersichtlich geblieben. Ich konnte mich nicht darüber täuschen, seine Abneigung war eine nur persönliche, und wie ich mir auch den Kopf zerbrach, unmöglich vermochte ich etwas zu ersinnen und ausfindig zu machen, wodurch ich, der Fremde, ihm Unbekannte, so entschieden sein Mißfallen auf mich gezogen.

Das Rätsel sollte sich erst ein Jahr nachher, wo ich wieder in Weimar war, lösen. Ein Freund, der die Spur der Sache lange mühsam verfolgt, entdeckte mir den Zusammenhang. Das war denn freilich kein tröstlicher. Ich hatte vollkommen richtig gesehen, hatte mit scharfem Ahnungsvermögen herausgefühlt, was alle Anwesenden mir damals abstreiten und wegleugnen wollen: Mir, dem Menschen, nicht dem Künstler, galt die Abneigung des edlen Fürsten. Ich kann und darf, ohne Personen und Verhältnisse zu berühren, an welche meine Geburt, meine Kindheit, mein Geschick sich knüpfen, und welche ich im Laufe dieser Mitteilungen sorglich verhüllt habe, nichts Näheres über diesen Gegenstand sagen, auch möchte der Zusammenhang jedem anderen gleichgültig erscheinen; doch ist es mir stets wundersam vorgekommen, daß ein vielleicht ohne Absicht hingeworfenes Wort, eine zufällige Äußerung manchmal so tiefe Wurzel fassen und nach Jahren noch bittere Früchte tragen könne. [...]

In Weimar war es mir beschieden, die persönliche Bekanntschaft eines Mannes zu machen, dessen Schriften ich heißhungrig verschlungen, und nach dessen Anblick ich mich lange schon gesehnt hatte. Er trat an einem düsteren, schneestöberigen Winternachmittag mit einem Briefe des Frankfurter Malers Oppenheim in mein Zimmer und hieß Börne! Gewiß würde ich mich meiner löblichen Abgeschmacktheit gemäß einem Manne gegenüber, dessen scharfen Geist ich so hoch achtete, unter allen Umständen nüchtern und dürftig erwiesen haben; bei Börne's Taubheit aber war es unvermeidlich, in schlechte Konversation zu fallen, und er war, bei Gott! nicht geeignet, einem heraus zu helfen. Seine Richtung ging nach Berlin; er verlangte Briefe an Berliner Litteraten. Ich gab ihm deren an Ludwig Robert, Buchhändler Joseephy, Willibald Alexis Wenn Börne irgendwo drucken lassen, Willibald Alexis habe sich ihm gewissermaßen angebettelt oder dergleichen, so war dies eine Unwahrheit oder irrtümliche Verwechslung. Den Brief, den ich ihm für W. A. mitgab, hatte B. ausdrücklich begehrt und noch dazu mit sehr lobpreisender Bezeichnung meines Berliner Freundes. und viele andere. Sonst wußte ich nicht, was ich mit dem Bewunderten beginnen sollte, dessen persönlicher Eindruck so erstaunlich vom schriftstellerischen abwich, und der mich, deutsch herausgesprochen, furchtbar langweilte. Ins Theater wollte er nicht gehen; mit ihm allein, der sonst keine Katze in Weimar kannte, wäre ich den langen Abend hindurch schon aus Respekt nicht geblieben. Wohin mit meinem berühmten Manne? Je nun, wohin, als zu ihr, die für alles Rat wußte, die mit allen Menschen umzugehen verstand, die zwar eine Art von Juden- und eigentlich auch Börnehaß hegte, die mir aber doch nicht nein sagen konnte. Und so saßen wir denn bei der guten armen Schopenhauer und ennuyierten diese treue Seele dermaßen, daß sie den Gähnkrampf bekam, und daß ich Gott dankte, als Zeit und Schicklichkeit vergönnten, meinen Ludwig Börne in sein Nachtlager zu geleiten. Gutzkow sagt in Börne's Leben S. 112: »Börne war einmal nahe daran, Goethen in Weimar vorgestellt zu werden; Holtei wollte ihn einführen, doch schlug es Börne aus.« Ich kann mich wirklich nicht mehr darauf besinnen, ob davon zwischen uns die Rede war; daß ich ihn aber hätte bei Goethe einführen wollen, ist schon deshalb unmöglich, weil Börne gleich mit der Erklärung ankam, am nächsten Morgen zeitig aufbrechen zu müssen. Und an jenem Sonntagabend, wo er eingetroffen war, hätte ich's ja für tausend Thaler nicht gewagt, beim alten Herrn einzudringen; so standen wir beide, Goethe und ich, gar nicht mitsammen. Und nun gar ein Fremder! Börne! Ich glaube, Friedrich, der Leibdiener Goethe's, wie sehr er sonst mein Gönner sein mochte, hätte mich bei der bloßen Zumutung einer solchen Anmeldung über die Stiege geworfen! – Als ich einige Tage später Gelegenheit nahm, Börne's Anwesenheit zu erwähnen, äußerte sich Goethe sogar nicht über ihn, daß ich unmöglich zu einer Meinung gelangen konnte, wie er ihn wohl aufgenommen haben würde.

Zierlich geschriebene, von ihm eigenhändig unterzeichnete Einladungskarten riefen im Durchschnitt wöchentlich einmal, auch wohl öfter, zu Goethe's Mittagstisch, wo acht bis zehn Personen versammelt wurden, bisweilen um einen unvermeidlichen Fremden abtöten zu helfen, gewöhnlich aber, um bei einem wohlbereiteten, schlichten Mahle und sehr gutem Weine ein paar Stunden frei und heiter zu verleben. Er war ein sehr angenehmer, aufmerksamer Wirt, behielt sogar gern im Gedächtnis, was dieser und jener vorzüglich zu essen liebte, und trieb dann durch bedeutsame Augenwinke die Diener an, jene Schüssel noch einmal an den passenden Platz zu tragen. Zum Trinken nötigte der hohe Greis selten mit Worten, – wohl aber durch die That und Beispiel, denn er trank wie ein Alter, und mich hat es immer in meinem Herzen mit gelabt, wenn ich ihn seinen Würzburger voll Andacht schlürfen sah. Ein Fläschchen Champagner beim Dessert verschmähte er auch nicht. Der Genuß des Weines belebte sichtlich seine Sprechlust und steigerte die Fülle seines Ausdrucks, bisweilen sogar zu heftigen Gebärden des Zornes, wenn irgend ein ihm widerwärtiger Gegenstand an die Reihe kam. In Ernst wie Scherz, in Glimpf wie Unglimpf hörte sich's ihm prächtig zu. Dagegen redete sich's nicht besonders, denn was man sagte, schien wenig Eindruck zu machen, schien vielmehr an der Glätte seines Stahlpanzers abzugleiten und häufig ganz verloren zu gehen. Von vielen aber, die um den Tisch saßen, war anzunehmen, daß sie der Äußerung eines Fremden nicht eher Anteil oder Beifall zu gönnen wagten, als bis Goethe's zustimmendes Kopfnicken sie dazu ermutigt haben würde. Dieser Zustand erkältete mich allerdings, wenn er mich auch nicht abschreckte; ganz vollkommen frei habe ich mich an Goethe's Tafel, mit Ausnahme des ersten Males im vorigen Jahre, nur dann gefühlt, wenn er selbst sprach, und weiß also wirklich nicht, wie ich das Lob verdient haben kann, welches er mir in einem Schreiben an Professor Zelter, mein geselliges Auftreten anlangend, erteilt. Von dem öffentlichen Auftreten, dem er niemals beiwohnte, eben weil er des Abends sein Haus niemals mehr verließ, wurde ihm durch Ottilie, August, Herrn von Müller und andere berichtet. Das kurze Gespräch, welches er über diesen Gegenstand mit mir gehabt, und welches ich in meinen »Briefen aus und nach Grafenort« citierte, finde ich der Vollständigkeit wegen für passend hier einzuschalten.


Fußnote aus technischen Gründen im Text wiedergegeben. Re

So begab es sich denn, daß er mich einmal nach dem Mittagessen in eine Fensterbrüstung manövrierte und in seiner eigentümlich unbeschreiblichen Manier also sprach: »Nun, Sie haben sich ja bisher recht brav gehalten, wie ich höre. Sie müssen sich nicht wundern, daß ich Sie noch nicht gebeten habe, mir Ihre Sachen vorzumachen, ich habe Gründe dazu. Ihnen wird nicht fremd sein, daß wir zu unserer Zeit uns auch mit dergleichen beschäftigt und viel darüber gedacht haben. Nun hat man sich denn seine Ansichten über Deklamation, Recitation, theatralischen Vortrag und besonders über die scharfen Unterscheidungen, die den Vorleser vom Darsteller trennen, festgestellt. Und da kommen denn die jungen Leute und werfen das alles über den Haufen. Nun! das ist ja recht schön! Aber von uns Alten könnt Ihr nicht verlangen, daß wir sogleich ohne weiteres nachgeben sollen. Also ich sehe nur zwei Auswege: entweder Sie gewinnen mich für Ihre Künste?... Dann zwingen Sie mich, aufs neue darüber zu denken, und das würde mich stören, denn wir haben noch viel zu thun! – Oder es gelingt Ihnen nicht, mich irre zu machen, und Sie befriedigen mich nicht?... Dann hätten wir beide keine Freude davon. Also denke ich, es sei besser, es bleibt wie es ist. – Nun, wie gefällt es Ihnen in Weimar? Nicht wahr, es stickt (sic!) viel Bildung in dem Orte? Wir haben denn auch wohl das Unsere dazu gethan.«

»Ew. Excellenz«, sagte ich fest, denn jetzt wollte ich doch etwas Positives mitnehmen, »ich soll morgen die zu Faust gehörige ›Helena‹ vorlesen. Ich habe mir zwar alle Mühe damit gegeben, aber alles verstehe ich doch nicht. Möchten Sie mir nicht z.B. erklären, was eigentlich damit gemeint sei, wenn Faust an Helena's Seite die Landgebiete an einzelne Heerführer verteilt? Ob eine bestimmte Andeutung...«

Er ließ mich nicht ausreden, sondern unterbrach mich sehr freundlich: »Ja, ja, Ihr guten Kinder, wenn Ihr nur nicht so dumm wäret!« – Hierauf ließ er mich stehen etc.


Man hatte die Schriftstellerin Sophie Mereau, nachherige Brentano, genannt. Goethe lobte sie sehr bedingt und gedachte sogleich ihres Gatten. »Ja«, sagte er spöttisch lächelnd, »der Brentano, das war auch so einer, der gern für einen ganzen Kerl gegolten hätte. Er stieg vor Sophiens Wohnung am Weinspalier bis ans Fenster hinauf bei nächtlicher Weile, um die Leute glauben zu machen, es wäre viel dahinter. Aber es war und wurde nichts! Zuletzt warf er sich in die Frömmigkeit. Wie denn überhaupt alle die von Natur Verschnittenen nachher gern überfromm werden, wenn sie endlich eingesehen haben, daß sie anderswo zu kurz kamen, und daß es mit dem Leben nicht geht. Da lobe ich mir meine alten, ehemaligen Kapuziner; die fraßen Stockfisch und – – – in einer Nacht. So war auch der Werner; ein schönes Talent. Ich habe mich seiner von Herzen angenommen und ihn redlich zu fördern gesucht auf alle Weise! Aber wie er nachher aus Italien zurückkam, da las er uns gleich am ersten Abend ein Sonett vor, worin er den aufgehenden Mond mit einer Hostie verglich. Da hatte ich genug und ließ ihn laufen.«


Fußnote aus technischen Gründen im Text wiedergegeben. Re

Die Schopenhauer, die einen wahren Schatz von lustigen Schwänken aus der Weimarischen Blütezeit bewahrte, mit dem sie aber sehr sparsam blieb und nur ihre Vertrautesten hineinblicken ließ, erzählte mir, als ich bei ihr dieses Tischgespräches erwähnte, folgende köstliche Historie. Goethe ließ ein Werner'sches Stück, ich dächte » Wanda« wäre es gewesen, aufführen. Am Tage der Darstellung waren der Dichter und einige nähere Freunde, unter diesen die Schopenhauer, bei Goethe zum Essen. Auf die Frage wo man sich nach dem Theater versammeln würde, suchte der Vorsichtige, der allzugroßen Andrang fürchtete, die Last von sich ab- und sie, wie er es oft in ähnlichen Fällen that, der armen Schopenhauer zuzuwenden, die gastfrei und gefällig dergleichen Schicksale über sich ergehen lassen mußte. Diesmal kam es ihr, da sie gar nichts vorbereitet hatte, denn doch ein wenig zu schnell und wurde um so bedenklicher, weil sie die Aufführung des Werner'schen Stückes doch um keinen Preis versäumen wollte und folglich keine Zeit mehr hatte, sich um den Haushalt zu bekümmern. Sie eilte in größter Angst heim und rief eben nur ihrer Wirtschafterin zu: »Wir bekommen auf die Nacht Scharen von Gästen, richte Dich ein, und hilf Dir, so gut Du kannst!«

Als nun nach höchst zweifelhaftem, aber doch scheinbarem Erfolge die Gäste eintrafen, nahmen die Frauen an der improvisierten Tafel Platz, die Herren standen mit ihren Tellern umher. Für Goethe und Werner waren zwei Stühle in der Mitte bestimmt; zwischen ihnen auf dem Tische stand ein wilder Schweinskopf, von welchem die Wirtin schon des Tages zuvor gegessen. In ihrer Angst hatte die Haushälterin durch einen großen Kranz von Lorbeerblättern die Anschnittswunde zu verdecken gesucht. Goethe erhob, diesen Schmuck erblickend, mächtig seine Stimme und rief dem bekanntlich sehr cynischen und nicht immer sauber gewaschenen Werner zu: »Zwei gekrönte Häupter an einer Tafel? Das gehr nicht!« Und er nahm dem wilden Schweinskopf seinen Kranz und setzte ihn dem Dichter der »Wanda« auf den Kopf. – Vielleicht dachte Werner an die oben erwähnte Hostiengeschichte, wenn er in Zeiten seiner Wiener Heiligkeit, von Goethe redend, letzteren nur »dieser große Heide« zu bezeichnen pflegte; ein Ausdruck, den der liebenswürdige Grillparzer, – wenn er Werner's ostpreußischen Dialekt nachahmt, unwiderstehlich! – gar nicht vergessen kann.


Es war von Fouqué die Rede. Goethe wurde warm in Lobpreisungen der »Undine«: »Das ist ein anmutiges Büchlein und trifft so recht den Ton, der einem wohl thut. Später wollte es dem armen Fouque mit nichts mehr so gut gelingen. Und das merkte er nicht. Aber es ist nicht anders. Der liebe Gott giebt dem Dichter einen Metallstab mit zu seinem Bedarf. Von außen sieht solches Ding aus wie eine Goldbarre. Bei manchen ist es auch Gold, mindestens ein tüchtiges Stück lang. Bei vielen ist es das liebe, reine Kupfer, nur an den Polen des Stabes etwas Gold. Da bröckelt nun der Anfänger los, giebt aus, wird stolz, weil sein Geld im Kurse gilt, und wähnt, das müsse so fortgehen. So bröckelt er immer lustig weiter. Hernach, wenn er schon längst beim Kupfer ist, wundert er sich, daß die dummen Leute es nicht mehr für Gold annehmen wollen.«

Von Jean Paul: »Wie ihm die Phantasie ausging und ihm nichts Großes mehr einfallen wollte, da quälte er sich um Kleinigkeiten ab und trieb Wortklauberei. So hatte er seine ewige Angst und seinen Ärger wegen der ›s'‹ des Genitivs. Mir, der ich selten selbst geschrieben, was ich zum Druck beförderte, und, weil ich diktierte, mich dazu verschiedener Hände bedienen mußte, war die konsequente Rechtschreibung immer ziemlich gleichgültig. Wie dieses oder jenes Wort geschrieben wird, darauf kommt es doch eigentlich nicht an; sondern darauf, daß die Leser verstehen, was man damit sagen wollte! Und das haben die lieben Deutschen bei mir doch manchmal gethan.«

Von Tieck: »Als er sie vollendet hatte, las er mir im alten Schlosse in Jena seine ›Genovefa‹ vor. Nachdem er geendet, meinte ich, wir hätten zehn Uhr; es war aber schon tief in der Nacht, ohne daß ich's gewahr geworden. Das will aber schon etwas sagen, mir so drei Stunden aus meinem Leben weggelesen zu haben.«

Von der Bibliothek in Jena: » Es war eine Lebensaufgabe unseres Großherzogs, die Universitätsbibliothek mit – (ich bin nicht mehr im stände zu sagen mit welcher – H.) – zu verbinden. Dazu fehlte im bisherigen Lokale der Raum, und wir wollten den daran grenzenden anatomischen Saal dafür haben. Dagegen erhob sich großer Protest und veranlaßte langes Hin- und Herschreiben, wobei mir die Zeit lang wurde. Ich bestellte mir also Maurer und Handlanger und ließ ohne weiteres durchbrechen. Nun hatten gerade die Herren vom Senate eine Sitzung, um sich über diese Angelegenheit zu beraten, und als sie den Spektakel in der Mauer vernahmen, hielten sie erschreckt inne und erhoben lauschend ihre Köpfe. Da stürzte der Pedell in die Sitzung und schrie: ›Hochweise Herren, er kommt schon von der anderen Seite herein!‹ Die Stadtmauer, welche sich vor den Fenstern des Gemaches hinzog, wo die Manuskripte aufbewahrt werden, habe ich, weil sie weder Licht noch Luft zuließ, und die Pergamente modrig wurden und beschlugen, gleichfalls ex propiis niederreißen lassen. Nachher, als es geschehen, war es gut.«

Wir waren eines Tages vorzugsweise vergnügt bei Tische, und auch die ernsteren Genossen wurden gesprächig. Da rollte ein Wagen dumpf und langsam über den Platz vor G.'s Hause. Ein Wagen auf dem »Plan« ist an und für sich nichts Gewöhnliches, und dieser rollte gar ungewöhnlich. Goethe sah, daß ich aufmerksam hinhorchte, und zum Präsidenten von Schwendler, welcher an seiner Rechten saß, gewendet, sprach er: »Es war einmal ein Römer, – zwar weiß ich in diesem Augenblicke nicht, wie der verdammte Kerl hieß, und es ist auch nichts daran gelegen, – der pflegte, wenn er seine Gäste gut traktiert hatte, plötzlich und unerwartet ein künstlich zusammengefügtes Totengerippe quer über der Tafel vor ihnen aufzurollen, um sie daran zu mahnen, daß auch sie samt allen Delikatessen, die sie bei ihm gefressen, zu Staub und Moder werden müßten. Da ich nun auf dergleichen Moralpredigten nicht verfallen bin, so sorgt hier unser Polizeidirektor dafür und läßt den Leichenwagen, der sonst einen anderen Weg verfolgte, jetzt bei uns vorbeifahren. Und weil die guten Leute es lieben, sich um die Stunde begraben zu lassen, wo ich speise, so ist das in seiner Art immer ein sehr hübsches memento mori

»Es war einmal in dem kleinen Landstädtchen Weisseritz ein braver Prediger, der wohl andere Geschäfte haben mochte, als für jeden Sonntag eine neue Predigt zu machen. Er fand es angemessen, jahraus jahrein dieselbe zu halten, die er denn auch sehr brav vortrug, und an der sich seine Kirchkinder stets erbauten. Nun wollte der Himmel, daß ein Teil des Städtchens und mit diesem das Haus des Herrn in Flammen aufgehen sollte, so daß am nächsten Sonntage die Gemeinde genötigt war, sich in einer großen Scheune zu versammeln. Das Außerordentliche dieser Versammlung regte unseren Pastor auf, und er hielt sich verpflichtet, diesmal aus dem alten Geleise zu biegen und eine neue, auf diesen feierlich traurigen Tag eigens geschriebene Predigt zu halten. Er fing mit tiefer Rührung an: ›So lasset uns heute, meine andächtigen Zuhörer, mit einander betrachten das durch Gottes unerforschlichen Ratschluß in die Asche gelegte Weisseritz!‹ Greise, Männer, Weiber und Kinder sahen sich fragend an und harrten hoch erstaunt der Dinge, die da kommen sollten. Aber unser Pastor fühlte sich unfähig, seinen alten Grundsätzen treulos zu werden, und mit frommer Zuversicht fuhr er fort: ›Im ersten Teile werden wir hören, wie die Sadducäer ihn verführen wollten, und im zweiten, wie er ihnen das Maul stopfte.‹ Worauf sich denn die Gemeinde sogleich wieder beruhigte.«

»Als seine Majestät Friedrich Wilhelm III. vor Jahren bei unserer ›Herrschaft‹ in Weimar zum Besuche anwesend waren, hatte sich eine Menge Volk aus der Umgegend eingefunden, welches, ihn wo möglich zu sehen, das Schloß umstand. Ich, der ich in jener Zeit bei ›extravaganten‹ Gelegenheiten noch zu Hofe ging, begegnete auf dem Heimwege einem alten thüringischen Leineweber, welcher früher, wo ich eine kleine ländliche Besitzung gehabt, dort mein Nachbar gewesen war. ›Nun, mein Alter‹, sprach ich ihn an, ›Ihr seid denn auch herein gekommen, den König zu sehen?‹ ›Ja, Herr Geheemerat‹, antwortete der Weber, ›aber das iss ja nischt! Ich dachte, 's sollte der alte Fritze sein.‹« –

Excellenz Gräfin Henckel hatte einen Ball gegeben, bei welchem Jung-Alt-England natürlich wieder obenauf gewesen war und sich zum Teil recht unnütz gemacht hatte. Sämtliche Herren waren indigniert, sämtliche Damen entschuldigten vermittelnd. Mich liebten die Antianglomanen als Tirailleur vorauszuschicken, wenn es galt, irgend ein Mittags- oder Theetischgefecht gegen die englische Kolonie zu unternehmen. Ich war denn auch beim Diner nach jenem Balle redlich vorangegangen und hatte durch mein kühnes Beispiel zur Nachfolge ermutigt. Hofrat Vogel, des alten Großherzogs und Goethe's Hausarzt, wie Freund, mein biederer, trefflicher Landsmann, stürzte sich nach mir ins Treffen, er citierte als Beleg für meine allgemein gehaltene Anklage das besondere Beispiel, wie einige Söhne Albions sich in den Tanzpausen der Länge nach auf den Sofas herumgerekelt, während ihre Tänzerinnen vor ihnen gestanden. Das schien freilich sehr schlagend. Aber Frau Ottilie ließ sich nicht irre machen. »Schon längst«, erwiderte sie, »habe ich's der Großmama gesagt, daß die Kanapees in den Ecken des Saales völlig unbrauchbar sind, sie stecken so tief in der Mauer und sind so breit, daß, um einigermaßen bequem zu sitzen, man unwillkürlich in eine liegende Stellung kommt.« »Nun, ich weiß doch nicht«, entgegnete Vogel sehr bescheiden, »ich habe mit Frau von X.«, – nebenbei erwähnt: eine recht häßliche Dame! – »dort gesessen, und ...« »Und«, unterbrach ihn Goethe, »Ihr bekamt keine Lust, Euch zu legen? O Ihr guten Kinder?«

[...]

Nur einmal während meines langen Aufenthaltes in W. ward mir das Glück zu teil, Goethe ein Viertelstündchen gegenüber zu sitzen, ohne andere Gesellschaft, als den ihm sehr vertrauten und keine Eröffnung hindernden sogenannten: Kunscht-Meyer. Ich war an einem freundlichen Februarmorgen spazieren gelaufen und lief ihm, der mit Meyer eine Spazierfahrt machte, quer über den Weg. Er ließ halten und lud mich ein, mitzufahren. Da war er sehr zutraulich und liebevoll, anders als im Speisesaal, so zwar, daß ich mich getraut, ihn mehrfach mit »Sie« anzureden, ohne mich der verzweifelten »Excellenz« zu bedienen. Diese Excellenz, die ich ja herzlich gern jenem vornehmen Staatsbeamten im reichsten, vollsten Klange meines nicht undeutlichen Sprachorgans zukommen lasse, störte mich, – kindisch genug, – doch jedesmal, wenn ich im Gespräch mit ihm daran dachte, daß er zufällig der Dichter des »Werther«, »Meister«, »Faust«, der »Iphigenia« und anderer ähnlicher, nicht gänzlich zu verwerfender Kleinigkeiten sei. Es konnte mich manchmal sogar im Essen stören, wenn die anderen so unermüdlich mit dieser Excellenz umherwarfen, und einmal blieb mir der Bissen im Munde stecken, als ein Tischgast, von einem hübschen Bürgermädchen redend, den Ausdruck gebrauchte: »sie hat sich an den Dichtungen Euer Excellenz heranzubilden gesucht!« I, daß Du, – – –! Ist in solchen Momenten nicht die Frage erlaubt: – vorausgesetzt von einem, der bei Goethe schwört und ihn auswendig weiß! – was wäre Goethe dem deutschen Volke, und was vielleicht das Volk durch ihn geworden, wenn er genötigt gewesen wäre, in einer großen Stadt ohne Rang, ohne Titel, ohne Orden, ganz wie ein anderer Mensch sich durchzuschlagen und so – – Um Gotteswillen, Ihr Herren, thut mir nichts, ich bin ja schon still! Nur eines muß ich noch sagen, und wenn ich Duelle bekäme, »des Epimenides Erwachen« hätte er dann nicht verfaßt!

– – Bei jener Spazierfahrt ging's übers Theater her, hauptsächlich war von unserem Königstädter Personal die Rede, und ich erzählte ihm mancherlei Schwanke, die er fröhlich hinnahm. Dabei kamen wir auch auf »Auguste Sutorius«, die einige Zeit in Weimar gewesen. Diese hatte, als sie ihm vorgestellt wurde, in eine garstige Fußangel getreten. Der Berliner Hofschauspieler Krüger, zum Besuch in W. anwesend, hatte sich die Erlaubnis erbeten, die junge, talentvolle Schauspielerin bei Goethe einzuführen, und dieser empfing sie denn nun in seiner feierlichen Visitenmanier, in welche sich die Schülerin des Wiener Theatertons schwer zu finden wußte. Die Konversation mag gerade nicht von Geist und Leben gesprudelt haben, ich kann mir's denken. Krüger, nach Belebungsmitteln haschend, kam auf den unseligen Gedanken, einzuwerfen, Demoiselle Sutorius hat auch schon die Sophie in den »Mitschuldigen«, das einzige Goethe'sche Stück auf dem Königstädter Repertoir, gespielt, worauf die in der Litteratur völlig Unbewanderte mit lebhaftestem Widerwillen erwidert: »Ach ich bitt', Herr Krüger, reden Sie mir nicht von dem grauslichen Stück, das ist mir meine zuwiderste Rolle!« Und Goethe, während Krüger auf eine Öffnung in der Diele rechnet, durch die er zu Kellertiefen versinken möchte, spricht mit antiker Ruhe: »Nun, nun, das ist ja schön.« Man muß dabei an die Catalani denken, der ähnliches bei ihm widerfuhr. Sie wollte, um zu zeigen, daß sie auch etwas von Goethe wisse, ihr Licht in der deutschen Poesie leuchten lassen und adressierte ihm die in angewohnter königlicher Würde huldreich herablassenden Worte: »J'ai vu votre ›Werther‹ à Paris, Pôtier y est très comique!« – Bekanntlich existiert eine tolle Farce unter dem Titel: »Les souffrances du jeune Werther« als boshafteste Parodie auf »Werther's Leiden«.

Ich habe im vorigen Bande nicht verschwiegen, daß ich mich bei meinem ersten Aufenthalt in Weimar von Goethe's Sohne, August, mehr zurückgestoßen als angezogen fühlte, und daß sein, ich möchte sagen, brutales Wesen mir mißfiel. Diesmal entging mir wohl nicht, wie er sich mir zu nähern suchte, aber ich suchte ihm zu entgehen und wich ihm aus.

Er bemerkte das, und nun war er vollkommen kalt, fremd, ja stolz gegen mich. Da kam in meinen Vorträgen »Faust« an die Reihe. Ich las dies Gedicht in Weimar, wie ich mir's für Berlin eingerichtet. Ich darf sagen, daß nach dieser auf mehrjährige Prüfung und Erfahrung gegründeten Einrichtung trotz allen notwendigen Ausscheidungen nichts Wesentliches fehlt, und daß ich dem allumfassenden Gedichte eine Konzentration zu geben gelernt habe, die von den Versen: »Habe nun ach, Philosophie!« bis zu Gretchens letztem Auftritt im Kerker reicht und dennoch beim Vortrage den Zeitraum von zwei Stunden um weniges überschreitet. Die Wirkung war eine entschiedene. Bei keinem Anwesenden aber that sie sich stürmischer kund, als bei August. Dieser, sonst ein sehr kühler Lober meines Talentes, wartete kaum ab, daß ich von den Stufen, auf denen ich mein Wesen trieb, herabgestiegen war, um mich mit beiden Händen zu fassen und mir mit thränenfeuchten Augen zu verkünden, welche Freude ich ihm gemacht. Seine Worte waren: »Ich werd's dem Vater sagen, daß ich vieles im Faust erst heute verstanden habe.« Ich war besonnen und klarsehend genug, um zu fühlen, daß Augusts Begeisterung, wie sie da im Saale vor mich hin trat und mir vor vielen erstaunten Zeugen huldigte, mehr dem Gedicht seines Vaters, als meinen Anstrengungen galt; eben das aber machte mich ihm geneigter, denn warum soll ich's leugnen, ich hatte, die Meinung vieler teilend, ihn bisher für einen halben Barbaren gehalten und war jetzt aufs freudigste überrascht, ihn so empfänglich zu finden. Von diesem Abende fing unsere Freundschaft an. Wir sahen uns täglich und wurden Vertraute; als wir es waren, verhehlte er mir nicht, daß er oft absichtlich, vorzüglich vor Fremden, darauf ausgehe, als roher Gegner jedes poetischen Treibens zu erscheinen, weil ihm der Gedanke zu fürchterlich sei, für einen Erben zu gelten, der sich bestrebe, Firma und Geschäft des Vaters fortzuführen. »Lieber«, sprach er, »sollen sie sagen, Goethe's Sohn ist ein dummer Kerl oder was sie sonst sagen mögen, als daß es von mir heiße, er will den jungen Goethe spielen.« Der Name Goethe war Augusts Fluch. Und wie der Vater im einzigen Sohne seinen Namen und sich selbst liebte, so hat er um dieser Liebe willen den Grund zu des Sohnes düsterer Zukunft gelegt. Äußerte er doch aufrichtig genug einst zu einem erprobten Freunde, als von August und dessen wunderlichem Zustande die Rede war: »Es ist meines Sohnes Unglück, daß er niemals den kategorischen Imperativ vernommen!« Mit tiefer Betrübnis muß ich eingestehen, daß die nachfolgenden Mitteilungen über den seligen August von Goethe seine nächsten Angehörigen verletzt, mir erzürnt und sogar eine vieljährige Freundschaft entschieden getrennt haben. Wie wehe mir auch dies gethan, wie sehr ich auch gewünscht hätte, in einer neuen Auflage demjenigen, was in der ersten Anstoß gegeben, eine andere Form zu finden, – es gelang mir nicht, und ich muß mich bei dem Bewußtsein beruhigen, daß ich vor Gott und vor dem Verstorbenen die Redlichkeit meiner Gesinnung und die gute Meinung, in der ich sie ausgesprochen, verantworten will.

August Goethe war kein gewöhnlicher Mensch, auch in seinen Ausschweifungen lag etwas Energisches; wenn er sich ihnen hingab, schien es weniger aus Schwäche, als vielmehr aus Trotz gegen die ihn umgebenden Formen zu geschehen. Stirn, Auge, Nase waren schön und bedeutend, machten seinen Kopf dem des Vaters ähnlich. Der Mund mit seinen sinnlich aufgeworfenen Lippen hatte dagegen etwas Gemeines und soll an die Abstammung von weiblicher Seite erinnert haben. Er hielt sich, ging, stand, saß, gebärdete sich wie ein feiner Hofmann; seine graziöse Haltung blieb stets unverändert, und auch wenn er berauscht war, wenn er tobte, fiel er nie aus dem Maße äußerer Schicklichkeit. Er wußte viel und mancherlei, nicht nur, daß er, wenn er einmal ins Arbeiten kam, ein ganz tüchtiger Rat an fürstlicher Kammer sein konnte, trieb er auch Naturwissenschaften in vielfacher Richtung und hielt namentlich die vom Vater angelegten Sammlungen jeder Gattung in bester scientivischer Ordnung. Das Münzkabinett hatte er gleichfalls in seinem Verschluß und wußte genügende historische Auskunft zu geben. Die Poesie, der abhold zu scheinen bisweilen seine Laune war, liebte mein armer Freund ebenso innig, wie er ihr aufs innigste vertraut war. Neben Goethe stand ihm Schiller, – ja, vielleicht über jenem! Wehe demjenigen, der sich in Goethe's Hause Dasselbe gilt auch vom alten Goethe. Seine Pietät für Schiller war eine so innerlich tiefe, daß man davon wahrhaft ergriffen werden mußte. Ich hatte, als über »Egmont« gesprochen wurde, einst die Bearbeitung, die Schiller fürs Theater unternommen, zu tadeln gewagt und mein Erstaunen geäußert, daß sie noch immer auf der Weimarischen Bühne gelte. Den Blick des Alten werde ich nie vergessen, mit dem er mich anblitzte und fast grimmig sagte: »Was wißt Ihr, Kinder! Das hat unser großer Freund besser verstanden, als wir!« beikommen lassen wollte, den Lebenden auf Kosten des Toten zu erheben.

Dabei war August in ihm selbst und für sich ein Dichter. Ja, er würde es auch für andere geworden sein, wenn er die Fähigkeit besessen hätte, das Mechanische des Metrums zu beherrschen. Er wußte seinen Gedanken und Gefühlen selten eine entsprechende Form zu geben, und wenn er Verse irgend eines ihm teuren Dichters citierte, mahnte er mich an Jean Paul, der auch niemals im stände ist, einen Vers anzuführen, ohne gegen den Rhythmus zu sündigen. Nichtsdestoweniger sind einige seiner kleinen Gedichte sehr lieblich, wenn schon immer wunderlich.

Nie habe ich einen Freund gehabt, der so sichtlich und so zur Freude des Beschauers Ordnung und Sauberkeit in allem, was ihn umgab, in Papieren, Briefsammlungen, Kunstschätzen zu halten wußte. Während Vettern und Basen ihn für einen unordentlichen, liederlichen Menschen ausschrien, war in seinen Gemächern eine wahrhaft strahlende Reinlichkeit, über jeden Schrank und Kasten der wohlthuende Friede heimatlichen und behaglichen Sinnes verbreitet. Mit seiner Familie bewohnte August das zweite Stockwerk des väterlichen Hauses, auf deutsch gesagt: Dachstuben. Der Alte hatte mit Beziehung auf die kajütenartige Benützung aller, auch der kleinsten Räume und den Glanz gutgepflegter Ausschmückung einmal nach einer oben besuchten Abendgesellschaft geäußert: »Nun, in Eurem Schiffchen war es ja gestern ganz brav.« Seitdem hieß Augusts Appartement kurzweg: das Schiff. Ach, welche schöne Nachtstunden haben wir in diesem Schiffe durchlebt! Wie viel gelacht! Wie ernst und erschöpfend über manches geredet! August war voll Humor und ging auf alles ein, was dahin schlug, besaß ein seltenes Geschick, das Ergötzliche und Possierliche aufzufinden, wenn erst die Rinde um sein krankes Herz geschmolzen war. Er hat es mir gesagt, er hat es mir geschrieben, seine Nächsten haben es mir berichtet, und der gebeugte Vater hat es mir dann nach des Sohnes Tode bestätigt, daß im Umgang mit mir die finstern Dämonen, denen er unterlag, gewichen sind, und daß er am frühesten war, wenn ich mich in Weimar befand, daß er in den Briefen an mich sein Innerstes aufschließen mochte. Leider kann ich von diesen Briefen wenig oder nichts mitteilen. Der Alte drückte sich gegen mich über jene Briefe, die er trotz ihrer fast unglaublichen Tollheit und cynischen Raserei sämtlich gelesen, mit den Worten aus: »Nun, Ihr evakuiert Euch denn recht gehörig!« Aber mitten durch die lustigsten Briefe, durch die jubelndsten Gespräche zuckten fortdauernd Blitze des Unmuts, des Verzweifelns an sich selbst, des Lebensüberdrusses, die den traurigen Zustand des Unseligen beleuchteten. Nach meinen Beobachtungen, – begreiflicherweise nicht bloß auf den diesmaligen, in diesen Zeilen geschilderten Umgang, sondern auch auf späteres, wiederholtes Zusammentreffen sich gründend, – haben drei feindliche Mächte sich vereinigt, diese sonst so hoch begabte Persönlichkeit zu zerstören.

Zuerst der Hang zum übertriebenen Genuß des Weines. Unleugbar ist dieser gesteigert worden durch das traurige Bedürfnis, sich in erkünstelter Anspannung über den Druck der Gegenwart und eines lästigen Daseins zu erheben. Aber auch körperliche Anlage trieb ihn zum Trinken. In Volkes Mund lebt das bezeichnende Wort: »Er hat eine zu große Leber!« Bei Augusts Leichensektion haben die Ärzte erklärt, seine Leber sei um fünfmal größer, als die eines gesunden Menschen. Es war nicht anders möglich, dieses unwiderstehliche Bedürfnis, oft am frühen Morgen schon massenweise Wein zu trinken, konnte nur krankhaft sein.

Worin bestand denn nun aber der Jammer, der Gram, den er vertrinken wollte? Ich habe es schon gesagt, ihn drückte es nieder, Goethe's Sohn zu sein. Doch nicht nur im Vergleich mit dem Ruhme des einzigen fühlte er, der Ruhmlose, sich gedrückt; auch die Liebe des Vaters, die zur Tyrannei wurde, hatte ihn gebeugt. Ein Bürgermädchen, von ihm mit der Feuerglut des Jünglings geliebt, mußte ihm entsagen, und er ihr, weil dies Bündnis dem Geheimrat, der seinem Sohne eine Stellung in der Gesellschaft hinterlassen und diese durch die Verbindung mit einem alten Geschlechte befestigen wollte, zu gering schien. Als Minister, als Mann im Staate, ja als Vater, nach den herkömmlichen Begriffen von Leben und Welt, hatte Goethe gewiß vollkommen recht, handelte er gewiß aus voller anerkannter Überzeugung. Nur verstand das arme, geliebte Mädchen die Sache nicht von diesem richtigen Gesichtspunkte aufzufassen und machte, so sagt man in Weimar, ihrem Leben ein Ende. Welchen Einfluß mag dies Ereignis, dessen tragische Einzelheiten, wie sie mir vielfach erzählt wurden, ich nicht aufzuführen wage, aus Furcht, leere Klatschereien nachzusagen, welchen Einfluß mag dies auf den Zurückgebliebenen und auf sein später geschlossenes Eheband gehabt haben? Den Hauptschlag aber, das weiß ich aus seinem eigenen Munde, der es mir nie mit klaren Worten und dennoch verständlich kund gethan, hat ihm ein anderes Machtwort des Vaters gegeben. Als im Frühling 1813 das deutsche Vaterland sich erhob, als Karl August, stets edel und deutsch gesinnt, auch seine Weimaraner zu den Waffen rief, da wollte sich auch August in die Reihen der Freiwilligen stellen, – doch die väterliche Gewalt hielt ihn zurück. Damals hatte Goethe noch keine Enkel. Der Gedanke, den einen, der seinen Namen führen und fortpflanzen solle, durch eine feindliche Kugel verlieren zu können, sagt man, wäre ihm unerträglich gewesen, und er habe Himmel und Erde in Bewegung gesetzt, um den höheren Befehl zu erlangen, der den Kampflustigen zurück zwang. Als nun nach glorreichen Thaten die Sieger von ihrem Fürsten geführt heimkehrten, als Eltern, Schwestern und Kinder sie jubelnd empfingen, da zog auch unser August ihnen entgegen, – und er mußte, wo er begrüßen wollte, Äußerungen des Hohnes, des Spottes hören. Nun, wem da nicht das Herz bricht, wer da nicht verzweifeln will! – Und so bereitete sich denn in ihm nach allen Kämpfen und Krämpfen eine verbissene Wut, ein bohrender Groll, ein unmächtiger Trotz gegen die Verhältnisse, gegen sein Geschick, ja gegen sein Glück vor, und um dieser, – contenance der Verzweiflung, daß ich es so nenne, – eine Farbe zu geben, warf er sich mit kindischer Vorliebe auf – – – die Vergötterung Napoleons! Hinter diese bemühte er sich die Schmach zu verbergen, die des Vaters verletzende Fürsorge ihm bereitet. Deshalb hingen seine Wände voll von allen Abbildungen des Kaisers zu Fuß und zu Pferde, von Abbildungen seiner Hüte und Waffen; deshalb war jedes Petschaft, jedes Flacon, jede Bronze ein Napoleon; deshalb spielte er mit dem glühendsten Napoleonismus und wähnte in diesen Spielereien Trost zu finden. Als nun aber der Vater, wohl einsehend, wie sein Sohn dazu gekommen, und zufrieden über diese beschwichtigende Richtung ihm gar jene Dekoration der Ehrenlegion, die er selbst aus Napoleons Händen einst empfangen, zum Geschenk machte, da sprang die letzte Schraube, und nun war kein Halten mehr. Wie weit Augusts Manie ging, mag man aus folgendem ermessen. Es wurde in Weimar, ich glaube 1829, ein Liederspiel von mir »Erinnerung« aufgeführt, worin ein Soldat von der alten Garde als blinder Bettler erscheint. Sobald dieser (Genast) die Bühne betrat und August die zerrissene Uniform erblickte, soll er, wie man mir erzählt, wütend aufgesprungen sein und die Loge verlassen haben. Er zürnte ernsthaft mit mir, ja er trat seine Reise nach Italien an, ohne mir auf meinen letzten Brief zu antworten; und erst kurz vor seinem Tode gab er von Rom ein Zeichen der Versöhnung. Es wird dem Leser nicht unwichtig sein, hier die Strophen eingeschaltet zu finden, mit welchen August dies für ihn so wichtige Geschenk besang.

Traum.

Des Tages Last entließ die müden Glieder,
Und sanfter Schlummer fand sich freundlich ein;
Ein Traumesmeer es wogte auf und nieder,
In mir erschien ein alt' und neues Sein.
Harmonisch hört' ich Kriegs- und Siegeslieder,
Es schien, als war' die ganze Erde mein.
Doch anders war's: es kam die mächtigste Gestalt
Und fesselte auch mich mit ihrer Allgewalt.

Und mit Verehrung heben sich zu ihm die Augen
Der Glorie zu, die mächtig ihn umstrahlt.
Ach könnt' ich aus dem Blick Gedanken saugen,
Auf ewig war' ich dann so kühn verstahlt!
Ich lausche auf und fühl' ein sanftes Hauchen,
Wie Rosenduft am Horizont sich malt.
Vernehmend nun des großen Kaisers Worte,
Bleib' ich erstaunt, verehrend still am Orte.

»Du hast an mich geglaubt, an mir gehangen,
Als mich die Welt gehaßt, verwünscht, verflucht.
Und als man mich zuletzt sogar gefangen,
Hat Dein Gedanke stets mich aufgesucht.
Und jede Schandthat, die man frech an mir begangen,
Schien Dir so ungerecht, als auch verrucht.
Des Zweifels Pforten hast Du nie betreten,
Ich hörte Dich sogar für mich oft beten.«

»So nimm von mir der Anerkennung Zeichen,
Das manchem schon die treue Brust geziert.
Du hast's verdient durch Nimmer-Weichen
Vom Großen, wenn es auch den Schein verliert.
Nichts konnte Deine Liebe zu mir beugen,
Das hat mich innig, hat mich oft gerührt.
So trage dies von mir zum Angedenken.
Es ist das Größte, was ich Dir kann schenken.«

Als er mir dies wundersame Gedicht vorlas, war mir's, als wollte er in Andacht verschwimmen. Mir wurde ganz Angst dabei. – Neben dieser Schwärmerei für Napoleon zog der Wunsch, Weimar, seine amtliche Stellung, sein Haus verlassen und eine große Reise antreten zu dürfen. Hundertmal war dazu gerüstet worden; immer ging es wieder, wahrscheinlich doch durch des Alten Gegenrede, zurück. In diesem lag von je die bange Ahnung, daß er den Sohn, wenn er einmal in der weiten Welt sei, nicht wiedersehen werde. Ich gebe hier das nach meinem Gefühl interessanteste Gedicht Augusts, welches offenbar von ihm niedergeschrieben ist in der Hoffnung, recht bald abreisen zu dürfen:

Ich will nicht mehr am Gängelbande
Wie sonst geleitet sein,
Und lieber an des Abgrunds Rande
Von jeder Fessel mich befrei'n.

Und ist auch sich'rer Sturz bereitet,
Ich weiche nicht vom schmälsten Pfad,
Um Rechtthun mancher wird beneidet,
Und wohl ist dies die schönste That.

Zerriss'nes Herz ist nimmer herzustellen,
Sein Untergang ist sich'res Los,
Es gleicht von Sturm gepeitschten Wellen
Und sinkt zuletzt in Thetis Schoß.

Drum stürme fort in Deinem Schlagen,
Bis auch der letzte Schlag verschwand,
Ich geh' entgegen bessern Tagen,
Gelöst ist hier nun jedes Band.

Man glaube aber ja nicht, daß deshalb das Verhältnis zwischen Vater und Sohn ein gespanntes gewesen sei. Dazu kam es nie. Ich habe zu deutliche Beweise, daß August kein Geheimnis vor dem Vater hatte. Der Alte selbst deutete mir nach Augusts Tode durch vielfache Anspielungen an, wie er von all' und jedem unterrichtet gewesen sei, wovon ich gemeint, es wäre zwischen uns zweien, dem Verstorbenen und mir, geblieben. Diese kindliche Anhänglichkeit betreffend, bleibt mir die Nacht vor meiner Abreise von W. unvergeßlich. Hofrat Soret, Erzieher des jetzigen Erbprinzen, hatte in seiner freundlichen Gesinnung für mich alle meine Gönner zu einem letzten Abendessen, was man die Henkersmahlzeit nennt, zusammen gebeten. Als wir spät, eigentlich früh, auseinander gingen, begleiteten mich die Herren bis an das Elefantenthor, und es wurde unter freiem Himmel bei Sternenlicht Abschied genommen. Einer nach dem andern drückte mir die Hand, und nachdem ich die Reihe durchgemacht, und der Haushälter die Thüre hinter mir geschlossen hatte, fiel mir erst auf, daß August spurlos verschwunden war. Früh um 4 Uhr waren meine Pferde bestellt. Ich hatte noch zwei Stunden Zeit zum Einpacken. Es mochte drei sein, als mit gewaltigen Schlägen an das Hausthor gepocht wurde. Mein Diener meinte, es kämen Reisende an. Eine Minute nachher stand August glühend von Wein und Aufregung vor mir und gab dem Diener ein Zeichen, uns zu verlassen. »Sie haben«, sprach er zu mir, »gewünscht, ich solle Ihre Aufträge an Ihre Freundin übernehmen, während Sie von W. abwesend sind, und haben es mir dabei zur Bedingung gemacht, gegen jedermann das tiefste Geheimnis zu bewahren; ich bin auf diese Bedingung stillschweigend eingegangen. Aber doch kann ich Sie nicht reisen lassen, ohne vorher zu fragen, ob unter ›jedermann‹ auch mein Vater mit einbegriffen ist?«

»Natürlich«, erwiderte ich, »der vor allen!« »Dann«, sagte August mit großer Entschiedenheit, »muß ich mein Versprechen zurücknehmen und darf Ihr Vertrauen nicht empfangen. Vor meinem Vater kann und darf ich kein Geheimnis haben. Seitdem ich reden kann, ist kein Tag vergangen, wo ich nicht, wenn wir an einem Orte lebten, jeden Morgen zu meinem Vater getreten bin und ihm alles erzählt habe, was mir am vorigen Tage begegnet, was ich gethan, was ich gedacht! Mein Vater ist mein Beichtiger. Sie wissen, wie lieb ich Sie habe. Über meinen Vater geht mir nichts.« Er umarmte mich, sagte Lebewohl und schied. An der Zimmerthür kehrte er noch einmal um, sah mich mit starren Augen lange durchdringend an und sprach: »Sie glaubten, ich wäre betrunken? Ich bin's nie, wenn ich's nicht scheinen will! Überhaupt, Ihr kennt mich alle nicht! Sie auch nicht! Ihr haltet mich für einen wilden, oberflächlichen Gesellen! Aber hier«, – und dabei schlug er sich mit der geballten Faust auf seine hochgewölbte Brust, daß diese dumpf und hohl wiederklang! – »hier ist es so tief! Wenn Sie einen Stein hinabwürfen, Sie könnten lange lauschen, bis Sie ihn fallen hörten.« Dann verließ er mich.

So schied ich denn im Anfang des April aus dem lieben Weimar, um einige Herzen reicher! Als wir die letzten Häuser der Stadt hinter uns hatten, sagte mein im Wagen neben mir sitzender Diener als echter Berliner Galgenstrick: »Das Weimar ist ein verflucht langweiliges Nest, hier möcht' ich nich jemalt hängen!« Gemalt hänge ich nun eben nicht dort, wohl aber liege ich gezeichnet in Weimar. Einmal in Goethe's großer Sammlung, für die er mich durch Herrn Professor Schmeller abkonterfeien ließ; das andere Mal in dem merkwürdigen Stammbuch der geist- und talentreichen Gräfin Julie Egloffstein, welche mit Meisterhand die Physiognomieen aller Durchreisenden, die ihr dessen wert erschienen, aufs Papier zauberte. Es schmeichelte mir nicht wenig, daß auch mir dieses Glück zuteil wurde. [...]

Der 27. August, als Vorabend von Goethe's achtzigster Jahresfeier, fand mich in Weimar, wo ich gegen Abend mit meinem Freunde Hermann Franck einfuhr, und wo der Postillon, der die mutigen Pferde den Abhang vor der Stadt herunter kaum zu zügeln vermochte, uns fast unfähig für das Fest abgeliefert hätte. Franck war während dieser Gefahr sehr komisch. Bereits Wochen vorher, als wir den Zug nach dem Rom der Poeten und Litteraten verabredeten, behauptete er konsequent, sein Unstern werde ihm irgend ein Hindernis entgegenstellen und die Erfüllung des längstgehegten Wunsches, daß er Goethe's Angesicht schaue, in nichts auflösen. Und wenn wir wirklich nach Weimar kommen sollten, sagte Hermann, so wird Goethe krank sein oder stirbt gar bis dahin, und ich werde in Rom gewesen sein, ohne den Papst gesehen zu haben. Als wir uns der Stadt näherten, vorher aber in Leipzig schon erfahren hatten, daß der alte Herr munter und frisch sei, rief ich meinem Gefährten zu: »Na, jetzt wirst Du doch endlich daran glauben, daß Du ihn zu sehen bekommst?« In diesem Augenblicke rissen die Pferde aus, der Wagen drohte in den nicht niedrigen Graben zu stürzen, und Franck entgegnete mir sehr ruhig: »Durchaus nicht, denn wir werden den Hals brechen, ehe wir nach Weimar gelangen.« – Wer hätte damals den fürchterlichen Ernst vorher ahnen können, der einst des Scherzenden Dasein enden sollte!

Mit ganzen Gliedern trafen wir im alten, lieben Elefanten ein und wurden, während wir Toilette machten, von August Goethe begrüßt, der in voller Pracht, zierlichst uniformiert nach Hofe ging und im Vorübergehen bei mir einsprach, um mich im Namen des Papas zu letzterem zu laden, bei dem sich schon heute alle die Fremden und Gäste aus fernen Ländern und Zonen zur Vorfeier des morgenden Festes versammelten. Ein buntes Gewirr rauschte uns entgegen; der Alte empfing mich mit seinem urewigen: »Nun, das ist ja schön!« und mein teurer Hermann sah ihn nicht nur, nein, er pflog ein langes Gespräch mit ihm in Sachen »zur Morphologie« gehörig, von dem ich mich also gleich in bester Ordnung zurückzog, mich unter die schöne Damenwelt mischend, die durch ein wundersames Walten höherer Fügung, diesmal von englischen Heerscharen ziemlich frei, einen polnischen Kultus eingeführt hatte, welchem letzteren ich, der alte Polenfreund, mich lebhaft anschloß. Zwei polnische Dichter waren eingetroffen. Der eine » Odieniecz«, von dem ich weiter nichts mehr vernommen, der andere » Mieckiewicz«, ein Mann, der später als Mystiker in Paris eine wunderliche Celebrität erlangt hat, der damals aber nur wie ein bleicher, interessanter, liebenswürdiger Schwärmer auftrat und bei Weimars schöner Welt so viel Beifall fand, als ob er aus England oder Schottland käme. Er gab an jenem 28. August schon ein Pröbchen seiner mystischen Richtung, dessen Gelingen ich freilich auf Rechnung eines heimlich durchgeführten geselligen Scherzes schieben wollte, mir aber doch dabei gestehen mußte, daß es mich in Erstaunen setzte. Er ließ nämlich unter den Frauen und Mädchen einen Teller umher kreisen, auf welchen jede und jedes nach Belieben einen Ring legen durfte, – doch mit der Bedingung, daß sie denselben schon seit mehreren Jahren trage, ohne ihn abzulegen. Nachdem nun eine Menge von Ringen durch- und übereinander gehäuft waren, ging Mieckiewicz in einen Winkel, beobachtete sie emsig und verteilte sie der Reihe nach an ihre ihm völlig unbekannten Besitzerinnen, wobei er noch den Taufnamen und ich glaube gar auch das Alter einer jeden erriet. Dabei war er bleich geworden wie der Tod und kalte Schweißtropfen standen auf seiner Stirn. Ich hielt, wie gesagt, erst das ganze für einen verabredeten Scherz, überzeugte mich aber dann, daß er es ernstlich gemeint hatte. Und jedesmal, wenn ich in französischen Blättern seinen Namen in Verbindung mit den unglaublichsten Märchen las, stand der bleiche Ringsucher aus Weimar vor mir.

Während das achtzigjährige Geburtstagskind sich zwölf hübsche Frauen und Mädchen zu seinem Festdiner eingeladen, versammelten wir Männer, Einheimische wie Fremde, uns im Hotel »zum Erbprinzen«, um dort zu seinen Ehren das unsere zu thun. Daß es an Liedern nicht fehlte, versteht sich von selbst. Auch ich trat in die Reihen der Festsänger (siehe in meinen Gedichten) und zog eben nicht den Kürzeren. Scherz und Rührung lösten sich an jener Tafel wechselnd ab; bei mir herrschte die letztere vor, jeder Klang aus der Sänger Munde bewegte mich zu Thränen, und um dieser lumpigen Stimmung zu entgehen, zwang ich mich zum Weintrinken, brachte es auch wirklich, – das erste und letzte Mal in meinem Leben! – auf zwei und eine halbe Flasche roten französischen Weines. Es ist mir unerklärlich, wie ich nach dieser unerhörten That noch im stände gewesen bin, nicht nur bei einem großen Balle zu erscheinen, sondern auch daselbst auf Verlangen der Damen mein Festlied zu wiederholen! Auch steht jener Abend nur teilweise vor meinem Angedenken. Ich sehe mich nach Beendigung des Liedes unsicheren Schrittes ein Nebenzimmer suchen, dort ein Ruhebett erreichen, – und dann fehlen mehrere Stunden aus meinem Leben. Um Mitternacht wurde ich unsanft erweckt und durch Hermann bedeutet, daß die Gesellschaft auseinandergehe, und daß es an der Zeit sei aufzubrechen. Auch besinne ich mich noch ganz deutlich, wie ich mich zu Bett legte, mit unsäglicher Angst, daß ich die nächtliche Ruhe meines Reisegefährten stören, oder im Zustande jammernder Katzen erwachen würde! Nichts davon! Der Teufel, der mich wahrscheinlich verlocken wollte, ein Säufer zu werden, ließ mich von jedem Unbehagen frei erwachen. Aber er hat seinen Zweck nicht erreicht. Von dieser Seite hat er keine Gewalt über mich gewonnen.

Hermann war genötigt, Weimar zeitig zu verlassen, ich blieb zurück, ein späteres Zusammentreffen mit ihm in Leipzig verabredend. Die zum Fest gehörige Aufführung des Goethe'schen Faust hatte manche Fremde zurückgehalten. Unter den Anwesenden ragte der berühmte Pariser Bildhauer David hervor, der bekanntlich gekommen war, Goethe's kolossale Büste zu formen. Ich war viel mit ihm zusammen. Wir fanden mancherlei Berührungs- und Anziehungspunkte. Am innigsten vereinigten wir uns in der Begeisterung für Béranger, und weil David einsah, daß die meinige für diesen großen Dichter auf wirklicher, nicht oberflächlicher Kenntnis seiner Chansons beruhe, so erfreute sich sein Künstlerherz an meinem Entzücken, und er versprach mir zum Lohne dafür ein von eigener Meisterhand vollendetes Bildnis jenes Sängers der Liebe, des Ruhmes und der Menschlichkeit zu schenken. Daß er dies Versprechen in Goethe's Hause beim frohen Mahle gab, das will nun eben nicht viel sagen: daß ich aber nach Verlauf eines Jahres, als ich's längst vergessen wähnte, seine Erfüllung erlebte, und daß ich durch einen Reisenden die schöne, wertvolle Gabe wirklich empfing, –nun, das mag für David's gutes Gedächtnis zeugen! Mir bezeugt es, daß er mich wirklich lieb gewonnen, und diese Überzeugung gewährte mir viel Vergnügen.

Die Aufführung des Faust anlangend, fand dieselbe in acht Akten und in einer seltsam gestellten Anordnung statt. Manches von dem, was ich in meiner (verschmähten) Bearbeitung weggelassen und weglassen zu dürfen, ja zu müssen gemeint, war stehen geblieben und machte, wie ich's vorausgesehen, auf den Brettern keine oder eine verfehlte Wirkung. Manches aber, was mir wichtig, ja unentbehrlich scheint, war gestrichen. So z.B. Faust's erstes Gespräch mit Wagner, welches seine Stellung zur gelehrten Welt bezeichnet; dann jene Worte des alten Bauers und was darauf folgt, wodurch sein Verhältnis als praktischer Arzt und die daraus entspringenden skeptischen Zweifel angedeutet werden sollen. Und dergleichen mehr! In den Liebesscenen war denn auch richtig das ewige Hin- und Hergelaufe, was jede Einheit theatralischer Sammlung zerreißt, unverändert verblieben. Kurz, es war halt eben nichts gethan, sondern nur gestrichen, und ich hatte den Mut, meine Kritik der Excellenz deutsch und ehrlich in den Bart zu werfen, auch nicht zu verschweigen, daß ich meine Umarbeitung für ungleich dramatischer, concentrierter, besser und wirksamer hielte, worauf denn ein: »Ihr junges Volk versteht es freilich viel besser!« doch sonder Groll und am Schlüsse das obligate: »Nun, nun, das ist ja schön!« lächelnd erfolgte.

Die Abwesenheit der Schopenhauer, welche den Sommer am Rhein zubrachte und, wie sie mir vertraulich mitgeteilt, schon längst entschlossen war, Weimar mit einem anderen, für sie minder kostspieligen Aufenthaltsorte zu vertauschen, ward nun zur Veranlassung, daß ich die Abende, die sonst ihr gehört haben würden, mit August verlebte, welcher sich immer fester an mich hing und mich mit einem Zutrauen, mit einer oft stürmischen Freundschaft beschenkte, die mir bisweilen Angst einjagten. Der Tod tobte ihm schon in den Adern; seine Heiterkeit war wild und erzwungen, sein Ernst düster und schwer, seine Wehmut herzzerreißend. Dabei suchte er aber immer eine gewisse Feierlichkeit der Formen zu bewahren, die oft wie eine unbewußte Nachahmung des Vaters erschien und sich deshalb im Gegensatz zu sonstigem Thun und Treiben gespenstig ausnahm. Unvergeßlich bleibt mir der Abend, wo er mir die Brüderschaft antrug; ein Akt, den ich überhaupt nicht liebe, wenn er sich nicht, wie durch innere Notwendigkeit herbeigeführt, gleichsam von selbst ergiebt. Dies war bei uns nicht der Fall, wenigstens von meiner Seite nicht, denn ich konnte im Umgange mit ihm niemals vergessen lernen, daß er Goethe's Sohn sei, und unsere Vertraulichkeit behielt, was mich betraf, stets eine ergebene Zurückhaltung, die nur in brieflichen Eröffnungen rücksichtsloser Hingebung Raum gönnte. Deshalb drückte mich die Brüderschaft, das »Du« ging mir gewaltsam von den Lippen. [...] Ehe wir vom Jahre 1830 gänzlich Abschied nehmen, habe ich noch die traurige Verpflichtung, eines Briefes zu gedenken, der aus Weimar unterm 12. November von der Hand eines dem Goethe'schen Hause nahe befreundeten Mannes mir zukam.

»Mit Wehmut und kaum fähig, einen Gedanken zu fassen, ergreife ich die Feder, Ihnen unseres August Tod zu melden. Er starb am 28. Oktober früh 2 Uhr in Rom infolge eines im Kopfe gesprungenen Blutgefäßes, was sein Ende schnell, ja augenblicklich herbeiführte. Wir erhielten die Nachricht vorgestern durch den hannoverschen Gesandten, der ihn am 27. erst spät abends verlassen hatte, wo er schon das Zimmer hüten mußte, weil nach dem Urteil des Arztes ein Scharlachfieber im Ausbruch war. Sie können denken, welchen Eindruck diese Nachricht auf den zweiundachtzigjährigen Vater, auf die schwächliche Frau gemacht hat. Letztere läßt Sie, Ihrer innigsten Teilnahme versichert, freundlich grüßen. Der Vater hält sich äußerem Anscheine nach aufrecht. Es darf ihm niemand das Wort Tod aussprechen. Allein was in seinem Innern vorgeht, welche Folgen dieser Schlag auf seine Gesundheit im Laufe des Winters üben wird, darüber wagt niemand zur Zeit ein Urteil. August hatte sich nach allen brieflichen Mitteilungen, insbesondere seinem gediegenen Tagebuch, so außerordentlich wohl befunden, so herrliche Genüsse in sich aufgefaßt, daß wir uns alle, vor allem sein Vater, der Rückkehr freuten und die schöne Hoffnung hegten, Kunst und Altertum würden ihn mit dem gewöhnlichen Leben, welches ihm mannigfachen Ekel erregte, versöhnt haben, namentlich aber noch ein neues Band zwischen ihm und seinem großen Vater knüpfen. Dies alles ist nun dahin! Wir hatten brieflich verabredet, daß er über Frankfurt heimkehren und ich ihn dort abholen wollte, daß wir Sie in Darmstadt überraschen und einige Tage mit Ihnen verleben würden! Es hat nicht sein sollen.«

Ruhe sanft, mein armer, kranker Freund, unter Deiner Pyramide! [...] In Weimar wurde natürlich wieder Halt gemacht. Ich konnte mir's nicht versagen, Goethe nach dem Tode seines Sohnes zu sehen. Er hatte unterdessen eine Todeskrankheit durchgemacht und von dieser erstanden, an eine Freundin, die mir dies mitteilte, geschrieben: »Nach großem Verlust und drohender Lebensgefahr habe ich mich wieder auf die Füße gestellt.« In diesem Briefe sprach er sich ferner darüber aus, »wie die Natur des Menschen nach jeder großen Erschütterung im Innern auf irgend eine Weise das Gleichgewicht wieder herzustellen suche. Seine glücklich überstandene Krankheit sei die Folge davon gewesen. Jetzt wolle er also alles thun, um nach gewohnter Art auf dem Wege des Wissens und der Kunst fortzuschreiten. Dabei habe er auch von neuem die schwere Rolle des deutschen Hausvaters wieder aufzunehmen, wenngleich, wie er dankbar erkenne, unter den günstigsten äußeren Umständen«.

Alle diese bedeutenden, männlich festen Äußerungen paßten mir durchaus nicht zu den Warnungsstimmen, die mir in Weimar zuflüsterten, ich möchte, wenn ich zu ihm käme, nur um Gotteswillen nicht von August reden, das sei streng verpönt, er wolle den Tod und die Toten nicht erwähnen hören. Eine so feige Nachgiebigkeit wäre mir unmöglich gewesen, und um es kurz zu machen, fing ich gleich nach meinem Eintritt gerade mit dem verbotenen Gespräche an. Er aber ging nicht darauf ein. Er versuchte von anderen Dingen zu reden, und auch das gelang uns nicht. Ich empfand, daß ich jetzt, neben dem Vater sitzend, nur des Sohnes gedenken könne, und er zeigte deutlich genug, daß meine Gedanken ihm klar wären. Es kam keine Konversation zu stande. Nach zehn Minuten empfahl ich mich, und er entließ mich: »Auf Wiedersehen!« Aber ich sah ihn nicht wieder. Wir wurden zur Tafel geladen, stellten uns ein, und – Goethe speiste auf seinem Zimmer. Er wollte den Menschen vermeiden, der es nicht über sich gewinnen konnte, ihn zu schonen.


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