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Breslauer Maturität

Der Tag, wo ich mit manchen Leidensgefährten vor der akademischen Prüfungskommission erscheinen, und wo erwogen werden sollte, ob der ehemalige freiwillige Jäger würdig sei, das Maturitätszeugnis zur Aufnahme unter die jugendlichen Bürger der Breslauer Hochschule zu empfangen, kam heran. Kanngießer sprach mir Mut ein. Und dieser war nötig, denn im ganzen stand es schwach mit mir. Die Kommission war aus Gelehrten zusammengesetzt, deren größerer Teil bei der Universität als Professoren dozierte. Diese gerade gehörten zu der Partei der Ultraliberalen, der Turnfreunde, und von diesen durfte ich mir, meine vorherrschende Theaterrichtung erwägend, nicht die geringste Schonung versprechen. Im Gegenteil, ich mußte befürchten, sie würden es mit einem jungen Manne, der Korrespondenzartikel lieferte, Festspiele schrieb und aufführen ließ, Schauspielerinnen die Cour machte, sich hinter den Coulissen herumtrieb und zum Überfluß Schall's Schatten war, – Schall blieb aufs innigste mit der Gegenpartei verbunden, – so streng als möglich nehmen. Dem mündlichen Examen ging ein schriftliches voran. Das unvermeidliche curriculum vitae in lateinischer Sprache, einer unserer Mitexaminanden trieb seine frevelnde Vermessenheit so hoch, es griechisch abzufassen! – und nächst einigen geometrischen oder mathematischen Martern eine historische, die zugleich eine deutsche Stilaufgabe hieß, waren etwa die Hauptgerichte bei dieser Henkersmahlzeit. Die vom Professor Kayssler erteilte historische Aufgabe lautete: »Aus welchem Gesichtspunkte soll man Geschichte studieren?«

Wir wurden unserer zehn oder zwölf in ein Zimmer gesteckt, mit Schreibmaterialien versehen, die Thüren hinter uns verschlossen, und die Arbeit begann. Mein Lebenslauf nahm nicht viele Bogen ein. Bedenke ich, daß er genau so weit reichte, als ich hier bei Schilderung desselben Lebenslaufes in diesem ersten Bande meiner »Vierzig Jahre« stehe, so muß ich wohl bekennen, daß die lateinische Sprache geeigneter ist, sich kurz zu fassen, als die deutsche. Ich spendete unserem philologischen Prüfer nicht viel mehr Worte, als ich den Lesern dieses Buches Bogen gebe. Bei der Konzeption des deutschen Aufsatzes durchdrang mich urplötzlich eine erleuchtende Eingebung, von der ich heute noch nicht weiß, woher sie mir gekommen, wenn ich nicht annehmen will, daß der liebe Gott dem »Gott sei bei uns« erlaubt habe, sie mir einzublasen. Ganz meiner leichtsinnigen, unüberlegten Handlungsweise entgegen, fing ich an, mit diplomatischer Schlauigkeit zu berechnen, daß ich ein weites, unbegrenztes Feld vor mir hätte, mich bei der Mehrzahl der Examinatoren in ein günstiges Licht zu stellen, wenn ich mich jetzt in ihre Farben kleidete. Und ich setzte die rote Mütze auf und schrieb eine Anweisung nieder: »Aus welchem Gesichtspunkte man Geschichte studieren solle,« daß mir heute noch die Haut schaudert, wenn ich daran denke. Ja, ich ging in meiner Hinterlist so weit, mich Karl Holtei zu unterzeichnen und das arme Wörtlein » von« zu unterschlagen. Und bis zu diesem Grade können in Tagen aufgeregter Parteisucht tüchtige, gelehrte, anerkannt edle Männer sich selbst verblenden und verblenden lassen, daß sie auf solche Albernheiten einen Wert legen. Ich sah, – die Angst eines jungen Menschen, der nicht durchs Examen zu fallen wünscht, beobachtet scharf! – wie vor Beginn der mündlichen Prüfung mehrere der Herren, die schriftlichen Aufsätze durchgehend und leise mit einander plaudernd, ihren Finger auf die Stelle legten, wo das »von« fehlte, und eine billigende Äußerung pantomimisch folgen ließen.

Das Resultat des mündlichen Examens, bei welchem glücklicher Weise der mit Kanngießer streng durchgearbeitete Horaz an die Reihe kam und im Griechischen Vater Homer sich gnädig erwies, war erträglich, mit Ausnahme der Geschichte, in der ich als überschwenglicher Schafskopf umherirrte. Da, wo ich etwa zu Hause gewesen wäre, besonders in der alten Historie, klopften sie nicht an, und da, wo sie mich finden wollten, in den Verhältnissen der kleinen italienischen Staaten, war ich so vollkommen unwissend, daß dem guten Kayssler aus Teilnahme für mich förmlich dicke Schweißtropfen auf die Stirn traten. Summa Summarum, ich wurde für reif erklärt und bekam das ersehnte Maturitätszeugnis mit einer Nummer II.

Unter dem Rektorate des Professors Madihn, eines alten, durch seine cynischen Witze berühmten Juristen, empfing ich die Matrikel, und der brave Professor Jungnitz, der Direktor der Sternwarte, p. t. Dekan der philosophischen Fakultät, händigte mir die Schutz- und Sicherheitskarte des akademischen Bürgertums ein.

Frese, der Pedell, dieser ehrwürdige, bis in die Wolken ragende Ruinenturm aus der Vorzeit Berliner Garden, legte mir die Hand auf die Schulter und sprach: »Nu iss Aliens jut und in Ordnung!« So wäre ich also »Breslauer Bursche!« Und eine neue Welt thut sich vor mir auf.


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