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Das Ende der Franzosenzeit

Jahreszahlen entfallen mir gar zu schnell. Ereignisse, was sich an diese knüpft, Lokalitäten, geringfügige Nebenumstände bleiben mir desto fester, und manche mir wichtige Erinnerung an Begebenheiten, die auf mein ganzes Dasein vom größten Einfluß waren, verdanke ich oft nur einer Nebenerinnerung an die Straßen, Häuser, Bäume, wo ich erlebte oder erfuhr, was ich nicht hätte vergessen dürfen. Ich bin sicher, daß ich tausend Jahre alt werden könnte, wofür mich Gott gnädiglich bewahren wird, ohne die Trödlerbude zu vergessen, vor der mir an wundervollem Sommertage ein Mitschüler, die schönste Centifolie in der Hand haltend, entgegen rief: »Weißt Du schon, die Königin ist tot?« Beschwören kann ich, daß ich mein Leben lang nicht von der vielbetrauerten Fürstin habe reden hören, ohne dabei unwillkürlich an eine volle Rose zu denken. Wem das geziert klingt, für den folge das Geständnis, daß mit der Rose auch jedesmal die Trödlerbude samt ihrem alten Kleiderkram vor meiner Einbildung sich darstellt.

Der Abmarsch der französischen Truppen, die Bildung der Bürgerwachen und Nationalgarden, der erste Wiedereinzug preußischer Soldaten, die feierliche Einsetzung der Stadtverordneten: dies Alles sehe ich lebhaft, empfinde die dadurch veranlaßten knabenhaften Erregungen wieder, wenn ich nur der Plätze gedenke, wo ich mich im Gewühle des Volkes mit andern Knaben umhertrieb und begeistert aus vollem Halse mitschrie. Denn ich war bei solchen Gelegenheiten leicht gerührt und nahm, was meinen Genossen willkommenen Stoff zu tollen Streichen bot, gern von der feierlichen Seite.

Obenan unter diesen Aufregungen der Phantasie steht die große Prozession, welche von der katholischen Bevölkerung Breslaus am Fronleichnamstage gehalten zu werden pflegte. Um die ganze Fülle poetisch-banger Ahnung, durch Weihrauch, Priesterkleidung, Fahnen, Gesänge, Blumen und schmetternde Trompeten in dem Knaben hervorgebracht, jetzt noch einmal nachzufühlen, genügt es für mich, eine Päonie (Pfingstrose nannten wir diese Blume) blühen zu sehen. Wenn ich diese purpur- oder blutrote Blüte nur erblicke, so ist es mir, als ob eine Sehnsucht nach fremden Ländern und fernen Zeiten in mir erwachte; ohne zu wissen und zu wollen, gebe ich ihr nach, und sie führt mich auf die schöne Dominsel, wo in einem versteckten Gärtchen Blumenhändlerinnen, mit meinem ehemaligen Hauslehrer verwandt und mir durch ihn bekannt, – im Kreise junger Gehilfinnen sitzen und riesenhafte Guirlanden und Kränze für die Feier des kommenden Tages winden. Ich helfe ihnen, reiche Blumen und Eichenlaub; aber eine Päonie wird mir geschenkt. Ich trage sie heim, lege sie vor mir aufs Bett, wenn ich schlafen gehe, und schon vor Sonnenaufgang fallen meine Blicke auf dies welkende Zeichen einer hohen Feier. Ich durchstreife die Stadt, besuche jene Altäre, die angesehene katholische Bürger vor ihren Häusern errichtet haben, und laufe dann hinaus nach dem Dom, den Scharen der Klosterbrüder begegnend, die von allen Seiten dem großen Sammelplätze zueilen. Ich dränge mich durch das Gewühl in die schönen, herrlichen Kirchen, springe jenem Domherrn nach, verfolge diesen Fahnenträger, um ihm in sein altes Angesicht zu blicken, welches wunderlich mit seiner frischen, bunten Tracht kontrastiert, starre nach den Fenstern des fürstbischöflichen Palastes und folge zuletzt dem langen, unübersehbar langen Zuge von Priestern, Mönchen, Dienern, Musikern, Schülern und Volk durch die ganze schöne, alte Stadt. Und was ich hier in so vielen matten Worten ausdrücken müssen, fliegt wie ein Hauch durch meine Seele beim Anblick einer Päonie.

In unserem Hause, in unserer Familie, in unserer Bekanntschaft war man streng lutherisch; man bat Gott tagtäglich, uns vor dem Papst, wie vor den Türken zu beschützen; man haßte pflichtschuldigst katholische Kirchen und Priester, schalt auf die Klöster samt ihren Bewohnern, und machte höchstens eine Ausnahme in betreff der »barmherzigen Jungfern und Brüder«, ich glaube nur deshalb, weil in ihren Freistätten einige unserer erkrankten Dienstboten Pflege und Heilung gefunden hatten. Mir war die Sache mit dem Katholikenhasse niemals ernst; ich schwieg darüber und dachte mir mein Teil. Dagegen fühlte ich eine neugierige Neigung für diejenigen Kinder, von denen man mir halb warnend sagte, sie wären katholisch. Und als ich gar erfuhr, daß meine erste Liebe, von der wir bald reden werden, eine Katholikin sei, wäre ich am liebsten auch katholisch geworden.

Die Aufhebung der Klöster und Stifte ging mir tief zu Herzen. Ja, ich weinte meine bitteren Thränen um die alten Leute, die da gezwungen wurden, noch einmal in die kalte Welt zu gehen, Dem war eigentlich nicht so, weil die Behörde, so viel ich mich erinnere, menschlich genug dachte, um den alten Mönchen zu gestatten, daß sie in ihren Mauern aussterben durften. Wenigstens einigen Orden. ehe sie sich ins Grab legen durften. Ich trieb die Kühnheit so weit, meine Stimme zu erheben und allerlei verfängliche Reden, – wie denn ein naseweiser Junge sie ausstößt, – über Mein und Dein, über Vergangenheit und Gegenwart, über Geschichte und Zukunft zu erheben; Reden, die geziemend mit der kurzen Erwiderung, daß alles, was der Staat für nötig erachtet, recht sei, zurückgewiesen wurden. Eine Ansicht, die meine Pflegemutter doch minder kräftig verfocht, als der Staat von ihr begehrte, sie möge ihm ihr Silberzeug einhändigen oder dasselbe gegen eine fixierte Geldabgabe stempeln lassen. Ich selbst mußte bei dieser Gelegenheit hilfreiche Hand leisten, um einen kleinen Kasten mit ungestempeltem Silber vor den Augen unberufener Forscher zu verbergen; was mir hoffentlich heute, wo ich es reuig bekenne, keine bitteren Folgen mehr bringen wird, da die Schuld, denke ich, verjährt, und da jenes ungestempelte Silber, obgleich durch Erbrecht an mich gelangt, schon gar lange den Weg alles Fleisches gegangen ist.

Die Klöster wurden leer, – und am nächsten Fronleichnamstage blieb die kleine Prozession jenseit der Oder auf ihrer Dominsel.


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