Autorenseite

 << zurück weiter >> 

Anzeige. Gutenberg Edition 16. Alle Werke aus dem Projekt Gutenberg-DE. Mit zusätzlichen E-Books. Eine einmalige Bibliothek. +++ Information und Bestellung in unserem Shop +++

Flucht aus Breslau

Iffland's Bemerkungen über die Alltäglichkeit des Viktoria-Rufens, wie seine hoffnungsreichen Aussichten auf die wiederkehrende Zeit des entfesselten Scherzes waren einige Monate zu frühzeitig von den Brettern herab verkündet worden. Tag für Tag brachte neue Botschaften, des Inhalts, daß der geschmähte Korse sein Handwerk noch immer nicht ganz verlernt, daß sein Frankreich noch immer nicht die letzten Heldensöhne in den Krieg gesendet habe. Von oben natürlich suchte man den Rückzug unserer Truppen zu beschönigen, und bei den öffentlichen Mitteilungen hielt man verständiger Weise die Absicht fest, so lange, wie nur möglich, vor allgemeiner Entmutigung zu schützen. Fakta jedoch lassen sich nicht lange verleugnen, und was wir sahen, sprach zu deutlich gegen das, was wir lasen. Die Stadt war im Fieber. Der Paroxismus des Mutes, der Hoffnung war gesunken, Furcht und Kleingläubigkeit traten in ihre alten Rechte, und sie schüttelten Breslau in einem tüchtigen Froste, das muß ich bekennen. Breslau als Gegenstück zu Moskau von den Franzosen angezündet und dann in den brennenden Häusern die rachesüchtigen Feinde rauben, morden und uns braten zu sehen, das war ein Bild, mit welchem wir aufstanden und zu Bette gingen. »Napoleon hat geschworen, daß kein Stein auf dem andern bleiben soll.« So lautete der Grundreim unserer Jeremiaden. Fannys Tante, im Herzen Bonapartistin und Französin, jubelte durch die Thränen ihrer Angst: »Habe ich's Euch nicht gesagt, daß es so kommen wird?« Dabei aber war sie die erste, die für Flucht stimmte. Nachdem dieses Wort einmal ausgesprochen, schien kein Halten mehr. Österreich in seiner Neutralität galt für das gelobte Land der Sicherheit, der Rettung, und unsere Damen priesen den Kaiser Franz darum, daß er dem Kriege gegen seinen Schwiegersohn noch nicht beigetreten war, jetzt eben so eifrig, als sie ihn einen Monat vorher eifrig angeklagt hatten. Nach Österreich! Nach Österreich! riefen alle. Und ich rief lauter als alle, hauptsächlich deshalb, weil ich im Innern die lockende Hoffnung hegte, bei einer so entschiedenen Konfusion, wie ich mir von einer Flucht vor dem blutigen Feinde versprach, werde wohl sehr leicht meine Flucht in die Welt, bei der ich mir wohl nichts Bestimmtes dachte, sondern nur dunkle Theaterträume vor Augen sah, zu bewerkstelligen sein. Kanngießer'n, den Schulzwang, die Monatskonferenzen der Lehrer mit ihren unseligen Protokollen, den Konduitenbüchern, den sonntäglichen Kirchenbesuch, die nachzuschreibenden Predigten, die griechische Privatstunde ... alles sollte ich hinter mir lassen und in ein fremdes Land ziehen! Vor Wonne wäre ich gestorben, hätte nicht der Gedanke, daß Mutter mit ihren Wunderlichkeiten dabei sein würde, mich wieder ins Leben gerufen.

Als es nun bei täglich drohender werdenden Nachrichten zur Ausführung des vielbesprochenen Fluchtplanes kam, stellten sich mächtige Hindernisse in den Weg; das mächtigste blieb der Mangel an barem Gelde. Fannys Tante hatte sich samt meiner jungen Freundin, da wir so lange zauderten, mittlerweile einer anderen Karawane angeschlossen und war bereits jenseits der preußischen Grenze, während bei uns noch überlegt wurde: wann, wie und ob? So fiel denn eine Familie nach der anderen ab; eine nach der anderen reiste auf eigene Hand, und wir kamen nicht vom Flecke trotz Furcht und Grauen. Einige schlesische »Pfandbriefe« lagen freilich noch in der »Hypothekenschachtel« verwahrt, aber diese in bares Geld umsetzen, hieß in jenen Tagen die Hälfte des Wertes verlieren. Da gab denn zuletzt ein Besuch meiner Tante »Julie« den Ausschlag, welche, durch neue Botschaft von der Annäherung des Feindes erschreckt, sich fest entschlossen erklärte, mit Anbruch des nächsten Tages sich und ihre Kinder zu retten. Entschiedenheit von der einen Seite pflegt auf der anderen Nachfolge zu erwecken. Mutter und Tante kamen überein, mit einander aufzubrechen, fürs erste jedoch nur bis »Landeck« zu ziehen, dort dicht an der Grenze, an der »Ecke des Landes« die weiteren Verfolge abzuwarten, und ich erhielt den Befehl, augenblicklich die bestäubten Pergamente, »Pfandbriefe« genannt, beim Wechsler gegen Thalerstücke umzutauschen, was denn mit einem Verluste von 40 Prozent Wie dumm ich von jeher in allem, was Geldverhältnisse betrifft, gewesen, und mit wie herrlichen Anlagen ich für diese Dummheit geboren bin, geht wohl daraus hervor, daß ich, als der Geldwechsler auf meine Frage, wie hoch die schlesischen Pfandbriefe stünden, mit »Sechzig Thaler« antwortete, wobei er natürlich meinte, ich brächte einen »Hunderter«, anfänglich fürchtete, er wolle mir für ein Dokument von Tausend Thaler nicht mehr verabreichen, und dann sehr froh erstaunt war, als ich Sechshundert empfing. rasch bewerkstelligt war. Der Lohnfuhrmann »Überschär«, eine zu ihrer Zeit hochgeachtete Breslauische Firma, ward für die Herstellung einer guten Gelegenheit, mit besonderer Sorge für des Kutschers Persönlichkeit, »der kein Süffling sein dürfe!« in Anspruch genommen, und ehe noch die Sonne den neuen Tag beschien, rollten wir, für die schwere Ladung rüstig genug, den ersehnten Bergen zu.

In Landeck suchten wir, – um der Teuerung in der Nähe der Bäder zu entgehen, – eine Unterkunft: in dem eigentlichen Städtchen dieses Namens und fanden sie bei einem Stellmacher am Marktplatz, wo wir uns in kleinen, doch ziemlich behaglichen Räumen noch an demselben Tage so einwohnten, daß unsere Dienstboten dem großen Werke des Kochens zum Abendessen gleich vorstehen konnten, wenn schon nur als Dilettantinnen der edlen Kochkunst.

[...]

In Landeck! Der Adel nahm zu, unser Geld nahm ab, die Sehnsucht nach Breslau stieg mit jedem Tage. Die gefürchteten Franzosen hatten Breslau inne gehabt, ohne zu plündern und zu sengen, ohne nur den geringsten Exceß zu begehen, hatten es in Folge des kurz nach ihrem Einzuge abgeschlossenen Waffenstillstandes, der noch dauerte, wieder geräumt ... und nun war alles still; die hochgetürmten Gewitterwolken lagen drückend aber unbeweglich über Schlesien, niemand wußte, wann und wo sie sich entladen würden. Ohne festen Plan, ohne besonnenen Willen, lediglich von panischem Schrecken (meine Pflegemutter nannte ihn den spanischen) gejagt, waren meine Damen entflohen. Der Furcht war ihr Recht geschehen, Gewohnheitstrieb und Bequemlichkeitssucht forderten jetzt das ihrige und sehnten sich wieder in die alten Mauern zurück.

Aber die Rückkehr war nicht so leicht zu bewerkstelligen. Einige Familien, die vor uns das gleiche versucht hatten, kamen unverrichteter Sache mit der Trauerpost zurück, daß ein militärischer Kordon aus russischen und preußischen Truppen gebildet, und an ein Durchdringen desselben auf keine Weise zu denken sei. Pässe, Certifikate aller Art, Rekommandationsschreiben der bedeutendsten Männer, alles dies hatte seine Wirkung verfehlt, und das Feldgeschrei hieß und blieb: zurück! Von denen, die in Landeck anwesend die Verhältnisse ihrer hohen Stellung wegen kennen mußten, erfuhren wir, daß Rücksichten der wichtigsten Gattung für jetzt diese strenge Maßregel geböten, und daß man sich fürs erste derselben stillschweigend zu fügen habe. Nichts lag näher, als dies in Demut und Ruhe zu thun und abzuwarten, was die nächsten Tage bringen würden. Aber das wäre ja vernünftig gewesen. Und dieses Wort war aus unserem Lebenswörterbuch durch eine diabolische Klaue ein für allemal ausgelöscht. Alle Menschen, selbst diejenigen, welche notwendige Geschäfte daselbst hatten, fanden sich in die Umstände und beschlossen zu warten. Nur wir, die wir in Breslau nichts weiter zu thun hatten, als was wir in Landeck thaten: nichts, wir setzten Himmel und Erde in Bewegung, dahin zu gelangen. Es grenzte wirklich an Wahnsinn. Die alten Freundinnen meiner Pflegemutter boten ihr Darlehn über Darlehn an, wenn es vielleicht Geldbedrängnis wäre, die sie forttrieb; man hatte Mitleid mit ihr bei dem Gedanken, daß sie von Kosaken angehalten, von Vorposten zu Vorposten geschleppt, zurückgebracht werden würde; – vergebens, wir müssen nach Breslau! blieb die undankbare Antwort auf die freundlichsten Anträge.


 << zurück weiter >>