Ludvig Holberg
Don Ranudo de Colibrados oder Armuth und Hoffart
Ludvig Holberg

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Zweiter Akt.

Erste Scene.

Don Ranudo. Donna Olympia. Pedro.

Don Ranudo. Nein, Donna Olympia, er war nicht unser Ahnherr, ich kann Euch in unserm Stammbaum einen Colibrados nachweisen, der in Estremadura lebte, fünfzig Jahre früher, als die Mohren nach Spanien kamen. Wir sind in der That weit vornehmer, als Ihr denkt.

Donna Olympia. Ei, ist das möglich, Don Ranudo, laßt mal sehen!

Don Ranudo. Seht hier, dieser Antonio de Colibrados, den Ihr hier seht, war bedeutend älter.

Donna Olympia. Das wollte ich doch wahrhaftig nicht für eine Million missen! Bisher glaubte ich immer, ich hätte mir durch unsere Verheirathung etwas vergeben. Aber freilich, meinen eigenen Stammbaum kann ich an den Fingern hersagen wie mein Ave Maria, von Juliano de Monte Ricco an bis zu meinem Vater Ranudo Melchior de Monte Ricco.

Don Ranudo. Daran thut Ihr auch sehr wohl, Donna Olympia, daß Ihr Euch das jederzeit ins Gedächtniß geprägt habt, denn das ist das kostbarste Kleinod, das wir besitzen.

Pedro. Ich glaube, gnädiger Herr, es ist sogar das einzige; denn was Ihr etwa sonst noch im Hause findet, dafür, wenn es auf die Auction kommt, giebt es nicht acht Groschen.

Don Ranudo. Das hat nichts zu sagen, Pedro, mein Name und mein Stammbaum sind mir Reichthums genug. 368 Wenn ich in dem Buche hier lese und mir die Heldenthaten meiner Ahnen vor die Seele rufe, da fühle ich mich so satt, als wäre ich bei dem prächtigsten Gastmahl gewesen.

Pedro. Ja, nun begreife ich schon, warum der gnädige Herr und die gnädige Frau auch so wenig Werth auf das Essen legen; wer so seine fünf bis sechs Schock Colibradosse im Magen hat, der kann es freilich schon aushalten. Ich habe mir auch schon öfters gedacht, wenn ich das Knurren in des gnädigen Herrn Magen hörte, das rührt wol von diesen alten Colibradossen her, die als ritterliche Helden noch im Tode Krieg mit einander führen. Dagegen wenn es bei mir knurrt, so bedeutet das schlechtweg Hunger. Aber mit mir ist es auch was anders, ich habe blos einen ganz gemeinen leeren Magen, deswegen muß ich aber auch was zu essen kriegen, weshalb ich dem gnädigen Herrn und der gnädigen Frau sonst nicht länger dienen kann.

Donna Olympia. Das ist doch was Schauderhaftes mit diesen gemeinen Leuten; ich glaube wirklich, sie sind aus einem ganz andern gröbern Stoff, und auch ihre Seele muß anders sein als bei uns Vornehmen. Ihr ganzes Dichten und Trachten geht nur immer dahin, sich den Bauch zu füllen; ob diese gemeinen Leute, mein theuerster Don Ranudo, wol auch in den Himmel kommen?

Don Ranudo. Ei nun ja, so gewissermaßen kommen sie, glaube ich, wol ebenfalls in den Himmel, aber doch nicht in denselben Himmel wie wir; denn wie ein Unterschied ist zwischen gewöhnlichen Menschen und Thieren, so ist auch wieder ein Unterschied zwischen hoch- und niedriggeborenen Menschen. Daß die letztern überhaupt nicht in den Himmel kommen, das will ich gerade nicht behaupten, obwol man ihnen nach den ordinären Ansichten, die sie haben, nur wenig Gutes prophezeien kann.

Pedro. Seht einmal, gnädiger Herr, wie meine Livree aussieht.

Don Ranudo. Das ist doch aber eine vornehme Livree.

Pedro. Ei ja, nicht nur vornehm ist sie, sondern sogar durchlauchtig. Uebrigens freut es mich doch, daß der gnädige 369 Herr sich wenigstens mit dem Jenseits trösten kann; denn im Diesseits ist Ihro Hoheit auch nichts anderes zu Theil geworden als Hunger und Armuth.

Donna Olympia. Du mußt nie vergessen, Pedro, wer Du bist und mit was für einer Herrschaft Du sprichst; Du scheinst mir das gar nicht mehr zu beachten.

Pedro. Redefreiheit, gnädige Frau, ist das einzige Gute, das ich hier im Hause genieße; soll ich diese Freiheit auch noch verlieren, so diene ich wirklich aus purer Generosität. Wollt Ihr mir indessen geben, was andere Herrschaften ihren Dienern geben, so will ich auch denselben Respect vor Euch haben wie andere Diener vor ihrer Herrschaft.

Don Ranudo. Ei, so laßt ihn doch reden, Donna Olympia: Kaiser, Könige und Fürsten ertragen ja gerne solche Spottreden von lustigen Köpfen, die sie dazu ausdrücklich anstellen. Auch in diesem Punkt müssen wir zeigen, weß Standes wir sind. Rede nur immerzu, Pedro, so lange wir allein sind, magst Du sagen, was Du willst; wenn Du uns nur in Anwesenheit Anderer den schuldigen Respect nicht versagst.

Pedro. So sage ich denn, der hohe Rang, den die gnädige Herrschaft in dieser Welt einnimmt, ist ein Baum, der nur schlechte Früchte trägt; hier wächst Verachtung, dort Hunger und Durst. Doch wird er vielleicht im Jenseits bessere tragen.

Don Ranudo. Was Du da zusammenredest, Pedro! Wer vornehm ist, ist niemals arm; darum heißt es ja: riccos hombres, reiche Leute.

Pedro. Ja wol, reiche Leute, gerade wie die Mönche Diener Gottes heißen; denn die sind auch gerade so gottesfürchtig wie jene reich sind. Reiche Leute, das ist blos dem Namen nach reich; wer aber blos dem Namen nach reich ist, der ist nicht wirklich reich.

Don Ranudo. Worüber seid Ihr so in Gedanken, Donna Olympia, Ihr steht ja so tief versunken?

Donna Olympia. Ich dachte darüber nach, wie das wol zugeht, daß heute gar keine Poeten kommen, die mir Gedichte zum Namenstage überreichen. 370

Pedro. Ha ha, die gnädige Frau, merk' ich, kennt unsere Poeten schlecht! Hier in dies Haus kommt nie wieder ein Poet, weil hier der Magnet fehlt, der dieses Eisen an sich zieht. Ihro Gnaden sollten mal alle ihre Titel aufschreiben und den Zettel an die Thüre heften, und der Schneider, unser Nachbar, soll dagegen mal einen Braten oder eine Pastete auf seine Hausflur stellen, dann würde sich gleich zeigen, welcher Magnet der stärkere ist. Ich kenne sämmtliche Poeten der Stadt, und welchem von ihnen ich eine Mahlzeit vorsetze, der rechnet mir sofort einen Stammbaum her von König Salomo und reimt sich um Seele und Seligkeit, ja dem Teufel selber verschreibt er sich, daß ich vornehmer bin als die gnädige Herrschaft.

Donna Olympia. Der Pedro ist doch ein lächerlicher Mensch, es wäre ja doch ein schlechter Dienst, den der Poet ihm erwiese, wenn er seinen Stammbaum bis König Salomo heraufführte, indem das ja doch dasselbe wäre, als wenn er Dich zum Juden machte.

Pedro. Ei nein, war König Salomo ein Jude? König Salomo kenn' ich recht gut, das kann die gnädige Frau mir glauben, so ungelehrt ich übrigens auch bin. Aber was ich sagen wollte: wenn ein Poet ein Gedicht macht, so kümmert er sich nicht darum, ob der Mann, dem zu Ehren er es macht, gottesfürchtig, tugendhaft, tapfer &c. ist, sondern blos, ob er sein Gedicht auch hübsch bezahlt kriegt. Sowie sie das Geld sehen, werden sie sofort vom Teufel auf den Gipfel des Apollo oder Helikon versetzt, wie sie das nun nennen, und da werden sie sofort von einem poetischen Geist erfüllt, daß ihnen die Verse zugleich hinten und vorne. abgehen. Bleibt dagegen das Geld aus, so wissen sie auch von keiner Tugend, noch ist in ihrem ganzen Leibe ein Reim zu finden, und wenn man sie aufschneiden und die Kaldaunen durchsuchen wollte; damit muß ich Bescheid wissen, denn ich bin gewissermaßen selbst so ein Stück Poet, insofern ich in meiner Verwandtschaft mehr als sechs Poeten habe, die alle ähnliche Schlingel gewesen sind.

Don Ranudo. Darum bist Du noch nicht selbst Poet, weil Du Poeten in Deiner Verwandtschaft hast. 371

Pedro. So könnte ich also auch sagen: die gnädige Herrschaft ist darum noch keineswegs vornehm, weil sie so viele große Männer in ihrer Verwandtschaft hat; denn wenn nur der ein Poet heißen soll, der selbst Verse macht, so darf auch nur der berühmt und vornehm heißen, der selbst große Thaten vollbringt.

Don Ranudo. Nein, Pedro, das letztere wird Einem angeboren.

Pedro. Die Poesie ebenfalls; sagt man doch, der Poet wird geboren.

Don Ranudo. Ja allerdings, aber das ist doch anders.

Zweite Scene.

Leonora. Die Vorigen.

Leonora. Isabella, Gonzalo's Schwester, ist draußen und wünscht die gnädige Herrschaft zu sprechen.

Donna Olympia. Bitte, daß sie die Güte hat, einen Augenblick in der andern Stube zu warten, bis wir uns ein wenig zurecht gemacht haben.

Don Ranudo. Gieb mir meinen Sammtrock, Pedro.

Pedro. Das wird nett aussehen zu den Löchern in den Strümpfen.

Don Ranudo. Hab' ich Löcher in den Strümpfen?

Pedro. Ja, blos so ein Dutzend.

Don Ranudo. Nimm etwas Tinte und streiche sie über die Löcher, so sieht man es nicht.

Pedro. Ich fürchte nur, gnädiger Herr, das ganze Tintenfaß wird nicht ausreichen, es sind gar zu viele Löcher.

Don Ranudo. Komm und thu', wie ich Dir sage.

(Pedro streicht Tinte über die Löcher.)

Pedro. Soll ich die Schuhe auch mit Tinte bestreichen? Denn die haben ebenfalls große Löcher.

Don Ranudo. Nein, das geht nicht, ich kann ja aber sagen, sie sind vorsätzlich gemacht von wegen der Hühneraugen. 372

Pedro. Aber da ist ja kein Hintertheil am Rock, da kann man doch nicht sagen, daß das vorsätzlich geschehen ist von wegen der Hühneraugen.

Don Ranudo. Zu Zeiten lasse ich mir diese Späße schon gefallen, aber zu Zeiten gehen sie auch zu weit. Doch hat es alles nichts zu sagen, wenn Du mir nur in Gegenwart von Fremden die schuldige Ehrfurcht erweisest. Um den Rock mach' Dir übrigens nur keine Sorge, ich will mich schon so stellen, daß niemand die Hinterseite zu sehen kriegen soll.

Pedro. Aber, gnädiger Herr, wäre es nicht besser, wir verkauften diesen halben Sammtrock und kauften einen ganzen Tuchrock dafür?

Don Ranudo. Nein, Pedro, der Sammt giebt zu erkennen, daß ich, wenn auch keinen Reichthum, doch wenigstens einen hochgemuthen Sinn habe. Hätte ich blos einen schlichten Tuchrock an, so könnte man mich ja für einen Bürgersmann halten oder denken, ich hätte mein Ehrgefühl oder das Bewußtsein meiner Hoheit abgelegt; so aber, trage ich auch kein reiches, so trage ich doch ein vornehmes Kleid. Ist die gnädige Frau fertig?

Donna Olympia (hat sich ebenfalls ausgeputzt). Ja, ich bin vollständig fertig.

Don Ranudo. Ach, Donna Olympia, das ist ja eine Pracht und ein Glanz wie im Escurial.

Pedro. Ja, gnädiger Herr, aber hinten läßt es wie ein Armenhaus.

Donna Olympia. Nun laßt Madame Isabella nur eintreten.

(Leonora geht zur Thüre, um sie einzuführen; Pedro steht hinter seines Herrn Stuhl mit der Brille auf der Nase, wie es in Portugal Mode ist.) 373

Dritte Scene.

Isabella. Die Vorigen.

Donna Olympia sitzt in einem Lehnstuhl in größter spanischer Grandezza und stochert sich die Zähne; ebenso Ranudo. Sie erheben sich ein wenig von ihren Stühlen, bis ein Stuhl für Isabellen herbeigebracht wird, setzen sich jedoch früher wieder nieder als diese. Pedro hat einen Fächer, mit dem er ihnen Luft zuweht.

Isabella. Ich bitte hundertmillionenmal um Verzeihung, daß ich so frei bin und mich unterstehe, der gnädigen Frau heute mit einem Besuche beschwerlich zu fallen.

Donna Olympia. Keineswegs beschwerlich, Madame, wir sind das so gewohnt, Besuch zu haben von früh bis spät. Heute, glaub' ich, haben wir bereits mehr als acht der vornehmsten Besuche gehabt; kann Don Ranudo sich vielleicht erinnern, wer heute schon alles bei uns gewesen?

Don Ranudo. Nein, das bin ich nicht im Stande, es geht ja bei uns ein und aus wie bei Hofe. Pedro, kannst Du Dich vielleicht erinnern?

Pedro (rückt seine Brille zurecht und liest aus seinem Notizbuch ab). Das war Conte Jago de Monte d'Oro; Marquis Ferdinando de Leo Nigro nebst der Marquisin, seiner Frau Gemahlin; Don Sebastian de Brogues d'Oro mit dem Herzog de Eta Casa und der Frau Fürstin; ferner Marquis Ferdinando Gonzaleo Filippo Carlos Jago Sebastiano Manuel de Rifuentez mit Frau Gemahlin. (Leise) Der letzte muß wol mehr als einen Vater gehabt haben, weil er so sehr viel Namen hat.

Donna Olympia. Da hört Madame, was für Visiten wir blos an diesem einen Tage gehabt haben. Uebrigens wird Madame pardonniren, daß ich hier sitze und mir eben die Zähne stochere; aber wir haben gerade einen Kapaun gegessen und Kapaunenfleisch macht mir allemal große Beschwerde an den Zähnen.

Isabella. Die gnädige Frau will sich ganz ihrer Bequemlichkeit bedienen. Auch bin ich hier nur im Auftrag eines vornehmen jungen Herrn, der kein dringenderes Anliegen hat, als 374 dem gnädigen Herrn und der gnädigen Frau bestens empfohlen zu sein.

Donna Olympia. Sowol meinem Gemahl wie mir selbst ist es stets ein besonderes Vergnügen, wackeren Leuten gefällig zu sein; er will vermuthlich nach Madrid reisen und möchte gern Recommandationsbriefe von uns haben. Aber wer ist der junge Mann?

Isabella. Es ist mein Bruder Gonzalo, der eine zärtliche Neigung zu Dero Tochter Donna Maria gefaßt hat.

Donna Olympia. Madame, ich sowol wie mein Gemahl haben beide alle mögliche Hochachtung vor Ihnen und Ihrem Bruder, so weit unser Rang es eben zuläßt; allein –

Isabella. Ich weiß schon, was die gnädige Frau sagen will: Dero Familie ist älter als die unsere, und dieser Unterschied des Standes läßt keine Verbindung zu. Aber sollte das Gleichgewicht nicht hergestellt werden, wenn man unser Vermögen mit dem Ihren vergleicht?

Donna Olympia. Ach, Madame, nach Geld fragen wir ganz und gar nicht; lieber will ich die bitterste Armuth aushalten, als etwas thun, das der Stellung unserer Familie zuwiderläuft. Ich will Ihnen unsern Stammbaum vorlegen, daraus werden Sie sich selbst überzeugen, daß dies ein Ding ist, das unmöglich angeht. Ich erinnere mich noch immer sehr wohl an meines Herrn Vaters letzte Worte: Vermögen, sagte er, lasse ich Dir nicht, meine Tochter, aber Rang; fürchte Gott, ehre die Heiligen und stirb lieber als alte Jungfer, ehe Du etwas thust, was der Stellung der Familie zuwider ist.

Isabella. Recht christlich, in der That, selbst noch auf dem Sterbebette zum Hochmuth zu ermahnen.

Donna Olympia. Das war nicht Hochmuth, Madame, sondern nur das richtige Ehrgefühl. Auch bin ich seiner Ermahnung nachgekommen und bin mit dem vornehmsten Hause von ganz Spanien in Verbindung getreten.

Isabella. Aber bedenkt doch nur, wohledle Frau, was für ein Elend es für die Vornehmen ist, ihren Stand aufrecht erhalten zu sollen und nicht die erforderlichen Mittel dazu zu 375 haben. Denn außerdem, daß man Noth leidet, muß man auch noch Spott und Hohn über sich ergehen lassen.

Donna Olympia. Madame kann sich versichert halten, nicht einen einzigen Buchstaben von meinem angestammten Namen verkaufte ich, und wenn ich das schönste Rittergut in ganz Spanien dafür kriegen könnte.

Don Ranudo. Das war recht heldenmüthig gesprochen, Donna Olympia, mit goldenen Buchstaben verdient das aufgeschrieben zu werden: Nicht einen Buchstaben verkaufe ich, nicht für das beste Rittergut!

(Pedro wiederholt es nochmals und zeichnet es in sein Taschenbuch.)

Isabella. Aber Dero Tochter würde dabei ja auch nichts von ihrem hohen Range verlieren?

Don Ranudo. Ei, Madame, das müssen wir besser verstehen; die ganze Welt kennt ja doch den Unterschied, der zwischen den las Minas und den Colibrados ist.

Isabella. Aber dergleichen Familien haben sich doch schon öfters verbunden.

Don Ranudo. Und wenn die ganze Welt es thäte, Don Ranudo de Colibrados thut es nicht.

(Pedro wiederholt es ebenfalls und schreibt es auf.)

Isabella. Da sehe ich denn allerdings, daß andere Nationen Recht haben, uns Spaniern unseren Hochmuth vorzuwerfen.

Don Ranudo. Sagt das nicht, Madame, es gibt Nationen, wo der Adel noch von einem viel größeren Selbstgefühl erfüllt ist. Da giebt es beispielsweise in Indien Leute, Nairos genannt, die sich allemal die Hände waschen, wenn sie Leute anderen Standes angerührt haben, und die daher, wenn sie ausgehen, vor sich her rufen lassen, damit ihnen ja niemand zu nahe kommt.

Isabella. Das sind freilich sehr gebildete Nationen, deren Beispiel Ihr citirt. Aber ich sehe schon, daß hier mit Worten nichts auszurichten ist. Beleidigt fühle ich mich übrigens von dieser Zurückweisung nicht, vielmehr habe ich aufrichtiges Mitleid mit der armseligen Lage, in der Ihr Euch befindet und aus 376 der Euch in Folge Eures Hochmuths wol schwerlich wird zu helfen sein.

Donna Olympia. Haltet ein, Madame, mit diesen schnöden Redensarten; wer uns dergleichen vorzuwerfen wagt, dem soll es übel bekommen. Es ist die pure Verleumdung, Madame; man braucht darum noch keineswegs arm zu sein, wenn man auch einmal kein Geld hat; man thut ja zuweilen sein ganzes Geld auf Zinsen aus und wenn man dann etwas braucht, so muß man natürlich selber borgen. Das sind nur böse Menschen, die uns nachsagen, wir wären arm.

Isabella. Ich mache niemand seine Armuth zum Vorwurf, ich bin einzig in der Absicht hergekommen, Euch einen honneten Antrag zu thun, besonders bei der Lage, in der Ihr Euch befindet.

Donna Olympia. Wir sind mit der Lage, in der wir uns befinden, gerade zufrieden.

Isabella. Wenn Ihr mit Eurer Lage zufrieden seid, so habe ich nichts weiter zu sagen. Doch möchte ich bitten, selbst einmal zu überlegen, was für eine Zufriedenheit das geben wird, wenn, wie ich für ganz gewiß gehört habe, die Gläubiger kommen und das letzte Stück Möbel in Beschlag nehmen, und ob Euch das nicht zu um so größerer Schande gereichen wird, wenn die Leute in Erfahrung bringen, was für ein vortheilhafter Antrag Euch in dieser Lage gemacht und von Euch zurückgewiesen ist.

Donna Olympia. So viel Scheinbares Ihre Worte auch haben, Madame, und so viel Vortheilhaftes in Ihrem Antrage zu liegen scheint, so lassen doch weder ich, noch mein Gemahl uns dazu bereden.

Don Ranudo (lächelnd). Nein, das wollen Sie nur ernstlich glauben, daß dies eine Sache ist, aus der schlechterdings nichts werden kann.

Isabella. So bedaure ich, mich diesem Auftrag überhaupt unterzogen zu haben.

Donna Olympia. Wir sind ganz gewiß nicht böse darüber; 377 Sie sind in unsern Augen entschuldigt, weil Sie es ja für Ihren Bruder gethan haben, und auch deshalb sind Sie entschuldigt, weil wir ja wissen, wozu einen die Liebe alles treiben kann. Im Uebrigen ist das aber etwas, was schlechthin unthunlich.

Isabella. So will ich mich denn gehorsamst empfehlen.

Donna Olympia. Ihr Diener, Madame, können wir Ihnen sonst worin dienen, so brauchen Sie nur zu befehlen. Was jedoch diesen Punkt angeht, so werden Sie bei reiflichem Nachdenken wol selber finden, daß daraus nichts werden kann.

(Isabella geht, von Leonora begleitet, während die beiden Andern sich ein wenig von ihren Stühlen erheben.)

Vierte Scene.

Leonora. Don Ranudo. Donna Olympia. Pedro.

Leonora. Madame Isabella läßt ihren unterthänigsten Respect vermelden und bittet, der gnädige Herr und die gnädige Frau möchten doch diese Börse mit Geld nicht verschmähen, die sie mir gegeben hat.

Donna Olympia. Ei, die Canaille, die denkt wol gar, wir sind Bettler? Gleich lauf' zurück und wirf sie ihr ins Gesicht! Das soll wahrhaftig nicht ungerochen bleiben, das ist eine Unverschämtheit sonder gleichen: eine lumpige de las Minas will einer Monte Ricco Almosen geben, deren Aeltermutter die Hand eines Mannes verschmäht hat, wie Don Alfonso de Ribera?

(Leonora läuft mit dem Geld hinaus, kommt aber sogleich zurück; sie und Pedro äffen ihrer Herrschaft nach, indem sie sich einer um den andern stellen, als ob sie ebenfalls wüthend wären.)

Pedro (leise). Und die ihrer Enkelin zwei ungeheure Kisten als Erbtheil hinterließ, die eine voll Hochmuth, die andere voll Armuth.

Don Ranudo. Einem Colibrados will sie ein Almosen geben, der dem Staate solche ungemeine Dienste geleistet hat?! 378

Pedro (leise). Und dessen Nachkomme nun Tag aus Tag ein im Lehnstuhl sitzt und sich die Zähne stochert.

Donna Olympia. Deren Ahnen nie andere Geschenke machten, selbst nicht den Bettlern, als in Gold und Edelsteinen?!

Leonora (leise). Und deren Nachkommen jetzt nichts zu verschenken haben, als – salva venia – einen alten Dreck.

Don Ranudo. Deren Ahnen allein durch ihre Tugend und Tapferkeit sich auf diese Höhe geschwungen haben?!

Pedro (leise). Und deren Nachkommen um ihrer Untüchtigkeit und Trägheit willen verdienten, kopfüber von ihrer Höhe wieder heruntergestoßen zu werden.

Don Ranudo. Der in gerader Linie abstammt von dem großen Don Prospero de Colibrados, der in der Schlacht bei Burgos vierhundert Mohren mit eigener Hand erschlug?!

Pedro (leise). Und dessen ruhmreicher Sprößling, der große Don Ranudo, täglich verschiedene Creaturen mit den Nägeln todtschlägt, mehr will ich nicht sagen –

Donna Olympia. Was würde mein Stammvater Don Juliano de Monte Ricco wol sagen, wenn er aufstehen und das sehen könnte?!

Leonora (leise). Er würde sagen: nimm das Geld, Du Närrin, und kaufe Dir ein Hintertheil in Dein Kleid.

Don Ranudo. Was würde nicht Don Antonio de Colibrados sagen, wenn er aus dem Grabe aufstünde?!

Pedro (leise). Er würde sagen: Du Narr, laß Deine Hochmuthsgrillen fahren und gehe hin und arbeite, damit Du Geld zu einem Paar Schuhe kriegst.

Donna Olympia. Was würde meine Ahnfrau Donna Adonida sagen, die sich weigerte, ganze hundert Mark anzunehmen, welche die Regierung ihr anbot, aus Rücksicht auf die Dienste, die ihr Gemahl dem Staate geleistet?!

Leonora (leise). Sie würde sagen: bei mir war es eine Tugend, weil ich ohnedies reich genug war, Du aber verdientest in den Narrenthurm gesperrt zu werden, weil Du im Begriff bist, Hungers zu sterben, und dennoch verschmähst, was gute Menschen Dir bieten. 379

Don Ranudo. Was würde Don Gusman de Colibrados sagen, der allein eine Tonne Goldes auf die Errichtung dreier Pyramiden verwandte?!

Pedro (leise). Er würde sagen: ist es denkbar, daß aus unseren Landen solche Subjecte hervorgegangen sind, die sich durch ihre Faulheit in solche Lage gebracht haben?!

Don Ranudo. Vermuthlich indessen hat sie es nur aus Einfalt gethan; solche Art Leute sind im Vergleich mit uns nicht besser als wie Bauern. Müßte ich mich freilich überzeugen, daß sie es aus Geringschätzung gethan hat, so wollte ich wahrhaftig nicht eher ruhen, als bis ich ihr ganz Geschlecht ausgerottet. Doch hat sie es gewiß nur aus purer Einfalt gethan, und also kann ich darüber lachen. – Das war eine schöne Geschichte, nicht wahr, Pedro?

Pedro. Ja gewiß war das eine schöne Geschichte. Ich kann den gnädigen Herrn versichern, so ein armer Teufel ich auch bin, so habe ich neulich,. da ich zufällig vier Schillinge in der Tasche hatte, mich doch kaum unterstanden, sie der gnädigen Herrschaft aus Mitleid zu geben. Das Seltsamste und Schönste ist aber doch, daß die gnädige Herrschaft vor Zorn so außer sich geräth, weil mildthätige Seelen ihr unter die Arme greifen wollen.

Donna Olympia. Nein, Don Ranudo, länger darf dieser unverschämte Mensch nicht in unserm Hanse geduldet werden, seine Frechheit geht zu weit.

Pedro. Die gnädige Frau kann überzeugt sein, daß sie mir einen großen Dienst damit erweisen würde, wenn sie mich fortjagt; ich diene hier ja doch nur aus bloßer Höflichkeit.

Don Ranudo. Ich habe Euch schon gesagt, Donna Olympia, daß wir einem lustigen Kopfe schon einiges zu Gute halten müssen; so viel Unsinn er auch redet, so ist doch immer ein Körnchen Wahrheit dahinter. Auch hat er insoweit Recht, daß die gnädige Frau allerdings sich einer kleinen Nachlässigkeit schuldig gemacht, insofern sie unterlassen hat zum 380 Kaufmann zu schicken und sich in meinem Namen Zeug zu einem neuen Anzug geben zu lassen. Weil ich gerade daran denke, Pedro: geh' doch nachher einmal zum Kaufmann Juan und laß Dir in meinem Namen einen seidenen Stoff zu einem Anzug für die gnädige Frau geben.

Pedro. Ich will einmal hingehen, vielleicht hat der Kaufmann heute eine andere Ansicht von der Sache als gestern. 381


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