Ludvig Holberg
Don Ranudo de Colibrados oder Armuth und Hoffart
Ludvig Holberg

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Erster Akt.

Erste Scene.

Gonzalo de las Minas. Isabella.

Gonzalo. Das ist gewiß, liebe Schwester, viel Vortheil habe ich von dieser Partie nicht, aber Ihr müßt auch beachten, daß meine Liebe ohne Eigennutz ist. Aelter und angesehener ist ihre Familie allerdings, doch ist die unsere deshalb von keinem weniger guten Adel; haben sie in ihrem Geschlechte sich mehr großer Männer zu rühmen, so dürfen wir uns dagegen unseres Reichthums rühmen und ihn der erbärmlichen Armuth entgegensetzen, in der sie leben und die größer ist, als sich beschreiben läßt. Aber wie gesagt, liebe Schwester, mein Vortheil kommt hier überhaupt nicht in Betracht; mein Herz brennt von reiner und inniger Liebe zu ihrer Tochter Donna Maria, die ich ebenso sehr wegen ihrer Armuth beklage, als wegen der Thorheit ihrer Eltern, die durch ihren Hochmuth bereits das Märchen der ganzen Stadt geworden sind, so daß die ganze spanische Nation darunter unschuldig zu leiden hat.

Isabella. Nein, theuerster Bruder, ich habe nichts dagegen einzuwenden; Ihr seid reich genug, die Armuth, in der sie sich befinden, zu verdecken. Allein weshalb sich so demüthigen? weshalb in Verbindung treten mit einer Familie, die Euch verachtet? Ihr hättet wol so viel Ehrgefühl haben sollen, in demselben Augenblick, wo Ihr das geringste Zeichen von Verachtung bemerktet, ihr den Rücken zu wenden und nie mehr an diese Liebe zu denken. 352

Gonzalo. Ach, meine theure Schwester, Ihr wißt nur nicht, was Liebe ist; wüßtet Ihr es, würdet Ihr wol anders sprechen. Mein Ehrgefühl hat in dieser Angelegenheit nur allzu oft mit meiner Liebe in Streit gelegen, allemal hat die letztere den Sieg davon getragen.

Isabella. Aber wenn es nun doch kein Mittel giebt, Euren Zweck zu erreichen, solltet Ihr da nicht als verständiger Mann Euch diese Liebe aus dem Sinne schlagen?

Gonzalo. Statt meine Liebe zu erkälten, dient die Geringschätzung, welche ihre Eltern mir erweisen, nur dazu, dieselbe immer mehr zu entzünden; sie ist ein Oel, das meine Flamme erst recht in Brand setzt.

Isabella. Das wird ja, wie es scheint, mein lieber Bruder, ein vollständiger Roman; mir wenigstens kommt eine derartige Liebe allemal höchst phantastisch vor.

Gonzalo. Meine Hoffnung ist aber doch noch nicht so gänzlich vernichtet, daß nicht wenigstens noch ein Fünkchen geblieben wäre; kommt es mit ihrer Armuth nur erst zum Aeußersten, so werden sie hoffentlich, ehe sie im Elend ganz und gar zu Grunde gehen, den thörichten Ehrgeiz doch endlich fahren lassen und sich dazu entschließen, die Hand ihrer Tochter einem ehrenwerthen Manne zu geben, der vermöge seines Reichthums im Stande ist, die Familie aus dem tiefsten Elend zu erretten.

Isabella. Wenn Ihr so sprecht, Gonzalo, so wißt Ihr noch gar nicht, wie hochmüthig sie sind; ich bin überzeugt, sie würden lieber sterben, als sich dazu entschließen.

Gonzalo. Aber ein Umstand, Isabella, ist Euch doch vielleicht unbekannt?

Isabella. Nämlich welcher?

Gonzalo. So groß die Geringschätzung ist, die ihre Eltern gegen mich hegen, ebenso groß, davon bin ich fest überzeugt, ist die Liebe und die Hingebung, die ihre Tochter, Donna Maria, für mich empfindet; erst kürzlich hat sie sich gegen meine Muhme über die Thorheit ihrer Eltern beklagt und die kümmerliche Lage derselben mit den lebhaftesten Farben geschildert.

Isabella. Aber das wird alles nichts helfen, Gonzalo, die 353 Eltern haben ein viel zu wachsames Auge auf sie, als daß es möglich wäre, sie ohne Erlaubniß derselben auch nur zu sehen, geschweige denn zu sprechen.

Gonzalo. Aber Ihr wißt ja doch wol, Isabella, daß Liebende Mittel finden, an die niemand denkt, und Wege zur Erreichung ihrer Absichten entdecken, die niemand sieht. Geht es mit Güte nicht, so muß es mit List gehen, und will auch List nicht verfangen, so muß Gewalt helfen, und wenn es mir das Leben kosten sollte.

Isabella. Gewiß, mein theurer Gonzalo, Eure traurige Lage erregt mein ganzes Mitleid. Auch will ich Euer Unternehmen nicht länger tadeln, da ich ja weiß, daß, wo die Liebe einmal die Herrschaft an sich gerissen hat, der Mensch mehr zu beklagen als zu verurtheilen ist. Ich werde Euch allen Beistand leisten, den ich irgend vermag; könnte ich Euch nur wenigstens mit gutem Rath an die Hand gehen. – Aber hier kommt Pedro; geht ein wenig bei Seite, ich will versuchen, was mit ihm anzufangen ist.

(Gonzalo ab.)

Zweite Scene.

Isabella. Pedro.

Pedro. Heidi, das geht hübsch! Nun ist vollständig reiner Tisch gemacht; da sind keine Löffel, keine Teller, keine Töpfe mehr im Hause. Nun soll ich jetzt auf meinen Namen (denn auf meiner Herrschaft Namen kriege ich keinen mehr in der ganzen Stadt) einen Topf leihen. Aber wo soll ich ihn herleihen? Und wenn ich auch einen geliehen kriege, so haben wir, das weiß ich zum Voraus, doch nichts darin zu kochen; alles ist leer und öde bei uns und nichts mehr vorhanden, als blos Titel, Durchlauchtigkeiten und Hoheiten, die doch, und wenn man sie allzusammen in einen Topf thäte, nur eine sehr magere Suppe geben würden. Und doch tragen sie den Kopf noch immer hoch, besonders die gnädige Frau; die, glaub' ich, stürbe lieber vor Hunger, als daß sie nur einen einzigen Buchstaben von ihrem 354 großen Namen daran gäbe. Mir sollte das auch einfallen! Im Gegentheil, ich schwärme für das entgegengesetzte Extrem; ehe ich Noth litte, verkaufte ich lieber nicht blos meinen Vatersnamen, sondern meine Ehre dazu, alles für einen einzigen Thaler. Vornehmheit ist ganz schön, aber wenn man sein Mittagsbrod oder sein Abendessen davon machen soll, da wird man doch nicht so recht satt davon. Noch acht Tage will ich es in diesem Hause aushalten; Essen und Trinken finde ich so lange bei guten Freunden in der Stadt, meine Herrschaft aber mag unterdessen zu Hause sitzen und sich die Zähne stochern, wenn sie ihre Erbssuppe gegessen hat, und statt des Desserts mag sie sich eine Güte thun an den Heldenthaten ihrer Ahnen. – Aber sieh, was ist das?! – Unterthänigster Diener, Madame, gehen Sie so allein, ohne Hofmeisterin?Einer von den nicht allzu häufigen Zügen, durch welche Holberg das Kostüm seines Stücks zu localisiren sucht; denn bekanntlich gingen bis vor Kurzem Damen von einigem Range in Spanien niemals ohne Begleitung einer Duenna ober Aja aus.

Isabella. Gewiß, Pedro, ich bin nachgerade alt genug, um meine eigene Gouvernante zu sein. Was macht Deine Herrschaft? ^

Pedro. Bei uns sind heute Gäste zu Tafel, ich sollte eben hingehen und Confect einkaufen.

Isabella. Wer sind die Gäste denn?

Pedro. Das ist der Duc de la Veracruz mit der Fürstin Donna Emilia de las Spadas; Hieronymus Victor, der Abt von San Jago; der Marquis Ferdinando Gonzalo; Filippo de St. Lifuenta mit der Marquisin, seiner Gemahlin, nebst unzähligen anderen, von denen zu reden ich viel zu geringe bin.

Isabella. So darf ich heute wol nicht wagen, meine Aufwartung zu machen?

Pedro. Heute haben wir Befehl, niemand vorzulassen, als diejenigen, die ihr Geschlecht noch von den alten Christen her rechnen können, die schon zur Zeit der Mohren in Spanien waren.

Isabella. Aber wie kommen sie dazu, gerade heute eine solche Fete zu geben? Sie geben doch sonst nicht eben viele Feten.

Pedro. Das geschieht zur Erinnerung an die große Victoria, welche einer ihrer Ahnen, Don Ramiro de Colibrados, einst an diesem Tage über den König von Mesopotamien davontrug, indem 355 er ihn zu Toledo gefangen nahm. Es wäre allerdings schlimm, wenn solcher Tage viele im Jahre wären, der Geldbeutel meiner Herrschaft würde ein verfluchtes Loch davon kriegen; denn das muß ich sagen, unter so ein fünfhundert Mark haben sie solchen Tag nicht.

Isabella. Aber wie kommt es denn, Pedro, daß Du an solchem festlichen Tage in solcher zerlumpten und abgetragenen Livree einhergehst?

Pedro. Das ist zur Erinnerung an das Hauptpanier, das höchstgedachter Ramiro de Colibrados getragen hat. (Dabei nimmt er den Hut ab.)

Isabella. Aber der General trägt doch, so viel ich weiß, die Fahne in der Schlacht nicht selbst?

Pedro. Nein, Madame, allerdings, ich habe ja auch gesagt sein Fähnrich. Selbiges Hauptpanier wurde von Musketenkugeln dermaßen durchlöchert, daß es gerade wie meine Livree aussah.

Isabella. Wann war das denn, daß Don Ramiro diesen Sieg gewann?

Pedro. Gerade heute vor sechshundert Jahren.

Isabella. Alle tausend! und doch sind es noch nicht dreihundert Jahre her, seit Kugeln und Musketen zuerst in Gebrauch gekommen sind?

Pedro. Ja, Madame, um mit Ihnen zu streiten, bin ich viel zu gering, ich lasse das also an seinen Ort gestellt; darauf aber kann ich schwören, daß die Standarte verflucht übel zugerichtet worden ist und daß ich zur Erinnerung daran noch heute diese Livree trage.

Isabella. Aber ich dächte, ich hätte Dich in dieser zerlumpten Livree schon einen ganzen Monat gesehen?

Pedro. Mag doch jeder sich anziehen, wie er Lust hat; ich habe meine guten Gründe dazu.

Isabella. Was für Gründe können wol dazu gehören, im Dienste einer solchen hochgebornen Herrschaft so zerlumpt einherzugehen? Die Menschen müssen ja am Ende denken, als ob die Familie in Armuth gerathen wäre? 356

Pedro. In Armuth? Ja richtig, eine Herrschaft in Armuth gerathen, die mehr als siebzehnhundert dreiunddreißig gute richtige Ahnen zählt! Wenn Ihr blos ein Kopfstück für jeden Ahnen rechnet, so giebt das ja schon eine verfluchte Summe.

Isabella. Ich glaube doch, bis ich bessern Grund höre, daß es Armuth ist.

Pedro. Um Ihnen die Gedanken zu benehmen, will ich Ihnen denn also meine Gründe angeben. Eine prächtige Livree zu halten, ist, wie unsere Herrschaft bemerkt hat, jetzt verflucht ordinär geworden, und deshalb, um als vornehme Leute etwas Apartes zu haben, sind sie auf diese Invention gerathen. Sollte sich indessen zeigen, daß gemeine Diener auch anfangen zerlumpt zu gehen, so ziehe ich auf der Stelle wieder meine Livree mit Tressen an. Madame hat das ja wol in Madrid bei Hofe gesehen: je mehr die Bürgersleute sich putzen, um so einfacher geht man bei Hofe.

Isabella. Einfach, ja, aber doch nicht zerlumpt.

Pedro. Immerhin, Madame, meine Herrschaft weiß einmal was sie thut; die fängt wahrhaftig nichts an, was sie sich nicht vorher wohl überlegt hat.

Isabella (leise). Nun will ich ihm doch so lange zusetzen, bis er bekennt. (Laut) Aber wie Du eben sagtest, Pedro, trägst Du diese zerrissene Livree ja zum Andenken an die Hauptstandarte, die in jener großen Schlacht in Fetzen geschossen ward?

Pedro (leise). Na, so frag' Du und der Teufel! (Laut) Ich erinnere mich nicht mehr so genau an alles, was ich gesagt habe: aber das weiß ich, daß meine Herrschaft das ganze Haus voll Geld und Juwelen hat, na, und wenn das ist, so kann ich doch wol nicht aus Armuth so gehen. Denkt doch nur, Madame, unter andern Kostbarkeiten haben sie einen Stammbaum, der mehr als eine Tonne Goldes werth ist.

Isabella. Aber vermuthlich, wenn es zur Auction käme, würden sie doch nicht mehr dafür kriegen als vier Schillinge, es müßte sich denn gerade ein besonderer Liebhaber dazu finden; vom Juden, das weiß ich gewiß, kriegten sie nicht mehr.

Pedro. Ja, was will das mit dem Juden auch sagen? Ich 357 kenne jemand, der hat viele Tausende für eine Jungferschaft bezahlt, für die der Jude nicht einen Heller gegeben hätte. Aber um auf unser Thema wieder zurückzukommen, so möchte ich Madame doch demüthigst bitten, anders von meiner Herrschaft zu denken; es sind, auf mein Wort, blos schlechte Menschen, die ihr nachsagen, sie wäre arm.

Isabella. Ich möchte von Herzen wünschen, daß es so wäre, wie Du sagst. Doch klagen, wie ich höre, sowol Kaufleute wie Handwerker darüber, daß sie nicht zu ihrem Gelde kommen können.

Pedro. Ei, Madame, das sagten sie doch wol nur zum Scherz, Sie kennen den Lauf der Welt ja doch wol besser und wissen, daß es die feinste Mode ist in allen vornehmen Häusern, die Leute mit der Bezahlung warten zu lassen. Meine Herrschaft läßt sie ebenfalls warten, aber aus Geldmangel sicher nicht; der gnädige Herr und die gnädige Frau wissen zu leben und wollen in diesen wie in allen andern Stücken zeigen, wie vornehm sie sind. Ich kenne in der Stadt einen Kaufmann, der mahnt eine vornehme Familie noch heute um ein Stück Nesseltuch, das sein Urgroßvater creditirt hat, und allem Vermuthen nach wird er noch zehn Jahre darnach laufen müssen, da nämlich die Familie nächst der unsern fast die vornehmste in ganz Spanien ist.

Isabella. Die Mode machen wir nicht mit, mein Bruder Gonzalo läßt sich nie zweimal mahnen.

Pedro. Das glaube ich schon, Madame, aber zwischen unserm und Ihrem Hause ist denn doch auch ein gewaltiger Unterschied; das weiß ja die ganze Welt, daß unsere Familie die älteste und vornehmste ist in ganz Spanien.

Isabella. Mir scheint im Gegentheil, die reichsten Familien sind auch allemal die vornehmsten.

Pedro. Ich verstehe nicht, was Madame damit meint. Meine Herrschaft ist wahrhaftig nicht arm, Madame mag sich nur in Acht nehmen, daß sie nicht wegen Verleumdung belangt wird. Meine Livree hängt in Fetzen, das ist richtig, aber nicht, weil meine Herrschaft arm ist; wie schlecht ich auch gekleidet bin, 358 so kann ich Madame doch zeigen, daß ich ein seidenes Schnupftuch in der Tasche trage. (Zieht zugleich mit einem alten Schnupftuch ein Stück verschimmeltes Brod aus der Tasche.)

Isabella. Ha ha ha, da ist Dir ein Stück von Deinem Reichthum an die Erde gefallen.

Pedro. Das ist ein Stück Chocolade.

Isabella (hebt es auf). Wie, grobes verschimmeltes Brod ist es; sieh her, ist das Chocolade?

Pedro. Nein, allerdings, Madame, es ist keine Chocolade, es ist ein Stück Brod, das ich um einer gewissen Ursache willen bei mir trage. Nämlich jedesmal, wenn ich bei dem Fürsten von Mendez etwas zu bestellen habe, so nehme ich ein Stück Brod mit, das ich dem Hofhund gebe, damit er mich nicht beißt.

Isabella. Daran thust Du wohl, Pedro, reiche Leute sind leicht um ihr Leben besorgt; ha ha ha!

Pedro. Ich muß so frei sein, der gnädigen Frau bemerkbar zu machen, daß es für eine Dame wie sie nicht passend ist, über alles zu lachen.

Isabella. Schön Dank, mein braver Pedro, für gefällige Notiz; ha ha ha!

Pedro. Ei nicht doch, Madame, die gnädige Frau tritt ihrem guten Ruf zu nahe, wenn jemand das sieht oder hört.

Isabella. Warte noch einen Augenblick, ich habe Dir noch etwas zu sagen. Wie kommt es nur, daß Du, bei so großem Verstande und so vielen ausgezeichneten Eigenschaften, doch nur ein bloßer Bedienter bist? Du müßtest doch wahrhaftig noch zu etwas Besserem zu brauchen sein.

Pedro. Ich habe nicht studirt, Madame, bin jedoch im Uebrigen meinen Eltern dankbar für die gute Erziehung, die sie mir haben zu Theil werden lassen; die Natur ist ebenfalls ziemlich freigebig gegen mich gewesen, es wäre Unrecht von mir, wenn ich das leugnen wollte. Aber weiß Madame vielleicht eine bessere Verwendung für mich?

Isabella. Ja gewiß, Du bist gerade der rechte Mann zum 359 KalenderschreibenIm Text ist von »Almanachen« die Rede; der Dichter meint jene halb politischen, halb kabbalistischen Flug- und Gelegenheitsschriften, in denen den Weltbegebenheiten das Horoskop gestellt ward, und die sich beim damaligen Publikum großer Beliebtheit erfreuten., und das ist doch ein Metier, von dem sich anständig leben läßt.

Pedro. Aber ich habe immer gehört, wer dergleichen schreiben will, muß tüchtig lügen können.

Isabella. Ich wüßte auch niemand, der in diesem Punkte mehr Talent hätte als Du; hättest Du der Wahrheit gemäß gesagt, daß Deine Herrschaft zu Hause ist und Erbssuppe ißt, und daß Du, statt Confect zu holen, ausgegangen bist, Dir eine Mahlzeit zu erbetteln, so hätte ich Dir dieses Metier nicht empfohlen.

Pedro. Nun denn, um die reine Wahrheit zu sagen. ich wollte gern, so weit irgend möglich, die Noth und Armuth meiner Herrschaft verheimlichen, nun aber hat das Stück Brod uns verrathen.

Isabella. Nein, Pedro, Deine Livree ist gerade hinreichend, um die Situation errathen zu lassen, in der die Familie sich befindet.

Pedro. Ihre eigenen Kleider, fürchte ich, werden es bald noch mehr thun. Der gnädige Herr geht allerdings noch im Sammtrock, allein das Uebrige will dazu nicht passen. Die gnädige Frau hat das Hintertheil aus ihrem Rock geschnitten, um das Vordertheil damit zu flicken. Darum kann sie, wenn sie in Gesellschaft ist, sich niemals umdrehen; wenn sie weggeht, geht sie immer rückwärts, aber nicht aus Demuth, wie einige thun, wenn sie sich von Personen verabschieden, vor denen sie Respect haben, sondern aus purer Großthuerei, damit niemand die Armuth sehen soll, die ihr auf den Rücken gemalt ist; muß sie sich durchaus mal umdrehen, so müssen ich oder das Kammermädchen ihr den Rücken decken.

Isabella. Dieser ganzen Noth könnte in kürzester Zeit abgeholfen werden, wenn sie nur ihren verrückten Hochmuth einmal bei Seite setzen und ihre Tochter dem Gonzalo geben wollten, der ihr mit der innigsten Liebe zugethan ist.

Pedro. Ich weiß, sie haben öfters mit Hohn davon gesprochen. Vielleicht aber, da ihre Noth jetzt aufs Aeußerste gestiegen ist, entschließen sie sich dennoch dazu, besonders wenn 360 Madame selbst es ihnen vorschlägt. – Aber hier kommt das Kammermädchen, das ist ein schlaues Mädchen, und wird Madame daher gut thun, die Sache mit ihr in Ueberlegung zu ziehen.

Dritte Scene.

Leonora. Isabella. Pedro.

Leonora. Ei, Du verwünschter Schelm, Du Broddieb, Du hast mir ja das Brod gestohlen, das auf dem Herde lag!

Pedro. Was für Brod?

Leonora. Nun sehe nur Einer, was er sich fromm stellen kann! Gleich marsch, gieb mir mein Brod wieder, ich habe sonst heute nichts zu essen!

Pedro. Ei, dummes Zeug, sieh Dich wohl vor, was Du thust, ehe du einen ehrlichen Menschen beschuldigst, Dein Brod gestohlen zu haben.

Leonora. Gleich her, ohne Redensarten!

Pedro. Ich kann aber darauf schwören, daß ich kein Brod genommen habe.

Leonora. Könnte der Dieb sich vom Galgen schwören, würde keiner gehängt.

Pedro. Ich gebe Dir aber mein Ehrenwort darauf –

Leonora. Wie viel Ehrenwörter hast Du wol? Du hast Dich schon oft genug verschworen; gleich gieb mein Brod heraus, Du Dieb!

(Sie zieht ihm das Brod aus der Tasche, dasselbe bricht von einander, so daß jeder ein Stück bekommt. Dann erst wird sie Isabella gewahr, schlägt sich vor die Brust und will fortlaufen.)

Isabella. Höre, Leonora, ich habe etwas mit Dir zu reden, woran mir viel gelegen ist.

Leonora. Ach, Madame, ich sterbe vor Scham!

Isabella. Ist die Herrschaft zu Hause, Leonora?

Leonora. Ja, zu Hause ist sie, ich sollte eben Chocolade kochen und der Spitzbube von Pedro hatte die Chocolade eingesteckt, so daß ich sie ihm erst wieder fortnehmen mußte. 361

Isabella. Wahrlich, das ist eine glückliche Herrschaft, die solche treuen Diener hat, welche so eifrig bemüht sind, ihre Armuth zu verbergen. Indessen da die Lage fast der ganzen Stadt bekannt ist, und da Ihr Euch jetzt selbst verrathen habt, so ist da nichts mehr zu verbergen.

(Leonora weint.)

Weine nicht, mein Kind, den guten Leuten kann noch geholfen werden; Ihr wißt ja wol schon, daß mein Bruder Gonzalo sich in Euer gnädiges Fräulein verliebt hat?

Leonora. Freilich weiß ich es, Madame, nur läßt sich nicht gut davon sprechen; habe ich doch selbst gehört, wie meine gnädige Frau sich über Gonzalo's Dreistigkeit verwunderte und wie er sich nur unterstehen könnte, an eine Verbindung mit ihrem Hause zu denken. Das gnädige Fräulein, das, so viel ich sehe, Gonzalo nicht abgeneigt ist, äußerte sich unlängst in Gegenwart ihrer Eltern dahin, daß die Ungleichheit doch nicht eben so groß wäre; darüber sind ihre Eltern aber sehr böse geworden und haben sie eingesperrt.

Isabella. Das ist mir außerordentlich lieb zu hören.

Leonora. Mir hingegen ist es außerordentlich unlieb, denn es ist das beste Kind von der Welt; hätten ihre Bitten und Thränen mich nicht zurückgehalten, ich wäre schon längst aus dem Hause.

Isabella. Nein, es ist mir lieb, daß sie ebenfalls Neigung für meinen Bruder empfindet, weil ich auf die Art hoffen kann, mein Anschlag wird glücken, besonders wenn Ihr mich dabei unterstützen wollt, was Euer Schade gewiß nicht sein soll.

Leonora. Madame hat ganz über mich zu befehlen; wo es auf Ränke und Intriguen ankommt, da kann man sich an niemand besser wenden als an mich. Inzwischen wird es doch wol das Beste sein, Madame macht den Eltern zuerst ihren Antrag; vielleicht hat der Zwang der Armuth ihren bisherigen Hochmuth doch ein wenig gedämpft. Will Madame in einer halben Stunde die Herrschaft besuchen, so werde ich Sorge tragen, daß Sie vorgelassen wird. (Leonora und Pedro ab.) 362

Vierte Scene.

Isabella. Gonzalo.

Isabella. Sei jetzt ruhig und laß mich machen, in einer halben Stunde besuche ich Don Ranudo und werde meine ganze Beredtsamkeit aufbieten; hilft das nicht, so müssen wir auf andere Mittel denken. Ich habe das sämmtliche Gesinde auf meiner Seite, das versprochen hat mir beizustehen.

Gonzalo. Ach, meine theure Schwester, könnte ich mein Gemüth doch nur so lange zur Ruhe bringen! Aber –

Isabella. Welche Muthlosigkeit! Ihr werdet doch gut thun, Geduld zu haben; laßt uns so lange hineingehen. Aber da kommen das Mädchen und der Bediente zurück.

Fünfte Scene.

Isabella. Gonzalo. Leonora. Pedro.

Isabella. Hier, meine liebe Leonora, ist mein Bruder Gonzalo, der sein ganzes Wohl und Wehe in Eure Hände legt. Laßt nun sehen, ob Ihr etwas ausfindig machen könnt, das seiner Liebe zum Vortheil gereicht.

Gonzalo. Ihr könnt Euch darauf verlassen, Mademoiselle, daß ich mich dankbar bezeigen werde.

Leonora. Monsieur hat über mich und mein geringes Gehirn zu befehlen.

Pedro. Und über meinen ganzen Kopf.

Gonzalo. Aber haltet Ihr wirklich für rathsam, daß ich die Herrschaft darum anspreche?

Leonora. Gestern wäre es noch unmöglich angegangen, heute indeß wird Eure Bewerbung möglicherweise schon besser aufgenommen.

Gonzalo. Warum heute besser als gestern? 363

Leonora. Je nun, gestern war noch so viel zu essen da, daß es allenfalls zu einer Mahlzeit hinreichte, und so lange das der Fall ist, muß man sich darauf gefaßt machen, mit Verachtung abgewiesen zu werden. Heute dagegen hat die Herrschaft auch nicht das Mindeste mehr, ihren Hunger zu stillen, ausgenommen die Heldenthaten ihrer Ahnen, und darum ist sie heute vielleicht etwas weniger hochfahrend.

Pedro. Darum giebt es auch nirgend solche ehrlichen Ratten und Mäuse als bei uns im Hause; ich wette darauf, selbst wenn man ihnen die Speisekammerthüre weit offen machte, sie rührten doch nicht das Mindeste an.

Gonzalo. Ach, ich kann das nicht ohne Mitleid hören!

Leonora. Und doch ist dies das einzige Mittel, sie zur Vernunft zu bringen. Man muß es hier ebenso machen, als wenn man eine starke Festung erobern will; wenn nichts anders mehr hilft, so sucht man sie auszuhungern.

Pedro. Und wie Festungen erobert werden, damit weiß Leonora ganz genau Bescheid; sie hat vor Zeiten den niederländischen Krieg mitgemacht.

Gonzalo. Nur sachte, Pedro, und keine solchen groben Späße gemacht!

Leonora. Was der sagt, das will nicht viel bedeuten; schont er doch selbst die Herrschaft nicht.

Pedro. Allerdings, in einem Hause, wo man aus purer Generosität dient, ohne Kost und Lohn, muß man doch einige Freiheit haben. Auch sage ich ihnen die Wahrheit blos, wenn wir allein sind; sind dagegen Freunde da, so zeige ich allemal die größte Ehrerbietung.

Gonzalo. Aber wird die gnädige Herrschaft nicht doch zuweilen böse darüber?

Pedro. Ach nein, sie legen alles so aus, daß es ihnen obenein noch zu Ehre und Ansehen gereicht. Haben sie nichts zu essen, so sagen sie, sie haben heute Fasttag; das läßt vornehm. Trinken sie Wasser statt Wein, so berufen sie sich auf das Beispiel ihrer Ahnen vor der Sündfluth, die stets nur Wasser tranken; das läßt wieder vornehm. Trägt der Herr zerrissene 364 Schuhe, so heißt es, er thut es absichtlich, weil er Hühneraugen hat; das läßt wieder vornehm. Kann die gnädige Frau nicht in die Kirche gehen, weil sie nichts anzuziehen hat, so heißt es, sie läßt eine stille Messe in ihrer Hauskapelle lesen; das läßt ebenfalls vornehm. Und endlich, wenn ich ihnen nicht für einen Schilling Ehre lasse, so heißt es, ich bin ihr Hofnarr; das läßt wieder vornehm.

Gonzalo. So steht mir denn bei, liebe Kinder, es soll Euer Schade gewiß nicht sein; im Gegentheil, wenn ich meinen Wunsch erreiche, so wird Euch allen geholfen.

Leonora. Der gnädige Herr darf auf meine Bereitwilligkeit zählen; die Hauptsache ist jedenfalls bereits erlangt, nämlich des Fräuleins Herz.

Gonzalo. Aber was hilft mir das, so lange ihre Eltern auf ihrem Hochmuth beharren?

Leonora. Der gnädige Herr muß nur zuerst mit seiner Frau Schwester den bewußten Antrag stellen; schlägt der fehl, so wird sich schon was anders finden. Wir können ihnen immerhin einen Streich spielen, ohne die geringste Gefahr, indem die ganze Stadt die Herrschaft um ihres Hochmuths willen haßt und sich freuen wird, ihre tugendhafte Tochter so wohl versorgt zu sehen. Geht denn also und sucht Euch zu beruhigen, für das Weitere werden wir schon sorgen.

(Isabella und Gonzalo ab.)

Sechste Scene.

Leonora. Pedro.

Leonora. In dieser Angelegenheit verlange ich nichts weiter von Dir als Verschwiegenheit.

Pedro. Ei nun, einen guten Rath kann ich allenfalls auch geben.

Leonora. Was für Rath kannst Du geben?

Pedro. Als ob man den guten Rath so aus dem Aermel 365 schütteln könnte! Ich muß erst Zeit haben nachzudenken; aber mir wird gleich was einfallen.

Leonora. Nun, was hast Du herausgefunden?

Pedro. Nichts habe ich herausgefunden. Aber etwas ist mir doch eingefallen, nämlich, sowie wir durch unsere Schlauigkeit diese Heirath zu Stande gebracht haben, so treten wir sofort bei Gonzalo in Dienst.

Leonora. Nun ja, das sind auch gerade die Einfälle, die für Dich passen. Aber ich will schon allein sehen, wie wir das Ding durchsetzen; Dir empfehle ich blos Verschwiegenheit und daß Du Dir nichts merken läßt, damit Gusman, der Page, nichts davon zu wissen kriegt.

Pedro. Hm, das ist seltsam, daß ein Frauenzimmer einem Manne Verschwiegenheit empfehlen will; weißt Du auch, was ein gewisser Philosoph von den Frauenzimmern sagte? Er sagt – es ist wahrhaftig sehr hübsch, was er sagt, ich kann mich blos nicht darauf besinnen.

Leonora. Er sagt, solch ein Schafskopf wie Du soll keine philosophischen Bücher lesen. Im Uebrigen mag er von der Schwatzhaftigkeit der Frauenzimmer sagen, was er will, so ist doch so viel gewiß, daß die meisten Geheimnisse von den Männern beim Glase Wein ausgebracht werden. Darum sollte auch (nach meinem Dafürhalten) niemand, dem nachgewiesen wird, daß er trinkt, irgend ein wichtiges Amt bekleiden, zu welchem Verschwiegenheit gehört. Heimliche Sachen sollten allein den Frauen anvertraut werden um deswillen, weil sie nicht trinken.

Pedro. Es werden ihnen auch genug heimliche Sachen anvertraut. Aber hier kommt Gusman, laß uns jetzt still davon sein. 366

Siebente Scene.

Leonora. Pedro. Gusman.

Gusman. Na, Euch wird es schön gehen, daß Ihr hier steht und schwatzt, die Herrschaft hat schon dreimal nach Euch gerufen. Wenn ich etwas mit Dir reden will, Leonora, da hast Du niemals Zeit, aber mit solchem ordinären Lakaien kannst Du ganze Stunden stehen und schwatzen.

Pedro. Freilich, Gusman, Du bist verflucht vornehm, das sieht man Deiner Livree an.

Gusman. Marsch fort und den Mund gehalten! 367


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