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Aus: ›Ludwig Holberg und seine Zeitgenossen‹ von Georg Brandes

Die Apologie des Sängers Tigellius, Holbergs zweite Satire, behandelt ein Problem, das den Dichter von frühester Jugend an beschäftigte, aber fort und fort als Rätsel vor ihm steht: die Wandelbarkeit des menschlichen Charakters, dieser Reichtum von Gegensätzen und Selbstwidersprüchen, aus welchem das menschliche Wesen zu bestehen scheint, das Schweben ganzer Völkerschaften zwischen Barbarei und gekünstelter Kultur, Aberglaube und Unglaube, und das Wechseln einzelner Persönlichkeiten zwischen Fleiß und Trägheit, Verschlossenheit und Mitteilsamkeit, Hochmut und Einfachheit. Jeden Augenblick, heißt es in der Satire, begegnet man einem Protheus. Der Sänger Tigellius, bei Horaz ein Muster von Veränderlichkeit, ist so wenig eine Ausnahme, daß, wenn vor den Herzen Fenster wären, man etwas Tigellianisches in jedem Menschen finden würde. Und die Satire schließt mit dieser Charakteristik des menschlichen Wesens:

Wer über Andere lacht, der lästert blos sich selbst.
Das große Medium, das sieht man Niemand halten,
In jedem Menschen wird ein seltsam Chaos walten
Von Furcht, Verwegenheit, von Ruh und wildem Geist,
Der uns im Wirbel fort in seinen Abgrund reißt;
Von Thorheit, Gravität, Bravoure, Coujonerie,
Unglaub' und Aberglaub', von Lust, Misanthropie,
Fahrlässigkeit und auch zu viel Akkuratesse,
Freigebigkeit und Geiz, Gemeinheit und Noblesse,
Von Mitleid, Rachbegier, Haß, Neigung, Trägheit, Fleiß,
Von Frieden und von Krieg, von Feuer und von Eis.

Was ist also die Definition des Menschen? fragt Holberg, und er antwortet, indem er die Idee des Gedichtes in die letzte Zeile zusammenfaßt:

Er ist ein Thier, das sich nicht definiren läßt.

Niemand, der, mit einem lebhaften Eindruck von den bekanntesten Holbergschen Komödienfiguren, auf diese Schilderung und die zitierte Schluß-Charakteristik des Menschenwesens stößt, kann umhin, zu stutzen, wie wenig dieser Satz für diese Gestalten zutrifft. Wie? Der politische Kannegießer, Jacob von Tyboe, Jean de France, der geschäftige Müßiggänger, der geschwätzige Barbier – das sollten Wesen sein, die sich nicht definieren lassen! Sie werden ja unaufhörlich von ihrer Umgebung definiert; sie definieren sich selbst sozusagen in ihrem Namen. Sie sind aus einem Guß und gleichartig durch und durch.

Wünschen wir bei dichterischen Gestalten zu verweilen, die reich an inneren Widersprüchen sind, so lassen wir unsere Gedanken zu Shakespeare und Goethe, zu Hamlet oder Faust schweifen, nicht aber zu Holberg und seinen Hauptpersonen.

Wir sehen sogar, daß, wenn Holberg es ausdrücklich darauf anlegt, einen solchen sich selbst widersprechenden, veränderlichen und aus scheinbar unvereinbaren Eigenschaften bestehenden Charakter darzustellen, ihm dies vollständig mißlingt – wie gleich bei seinem zweiten Stück ›Die Wankelmütige‹. Madame ändert zwar ihren Sinn siebenmal in der Stunde, aber man sieht, besonders in der ersten Fassung des Schauspiels, ganz und gar nicht, was eigentlich den Stimmungswechsel veranlaßt. Es heißt bloß: ›Inzwischen ist sie anderer Laune geworden‹ oder ähnlich. Der Beweggrund fehlt und damit das Band, welches die widerstreitenden Eigenschaften und Handlungen zusammenhalten sollte. Man gewinnt keinen Einblick in die Tiefe einer Persönlichkeit.

Falls ›Die Wankelmütige‹, wie leicht denkbar, obschon der Reihe nach das zweite, das von Holberg zuerst angelegte Stück ist, so möchte es den Anschein haben, als ob er von Anfang an versucht hätte, mit seinem Geist einen weiteren Umkreis zu umspannen als er eigentlich beherrschte, dann den Versuch aufgegeben und später in der Regel sich auf einfachere Aufgaben beschränkt hätte. Wahrscheinlich ist indes, daß er das Ungenügende in dieser Charakterzeichnung nicht selbst gefühlt, sondern die Launenhaftigkeit nur als widersinnige Unruhe – im Stile des geschäftigen Müßiggängers – aufgefaßt hat. Unwillkürlich hat er sich seine Aufgabe erleichtert, indem er sie vereinfachte.

Was bedeutet dies? Was ist die Ursache dieser Erscheinung?

Der Grund hiervon liegt in der Beschaffenheit seines geistigen Auges, in seiner Art, das Leben zu betrachten. Holberg sieht, wie man in Europa zu seiner Zeit sah. Sein Blick für die Menschen und seine Menschendarstellung sind von der herrschenden Geistesform des Zeitalters, dem Klassizismus, bedingt.

Die klassische Geistesrichtung beginnt, als mit dem Aufhören der Renaissance die Zeit der gewaltigen Temperamente vorbei ist, und endet, als gegen Beginn des neunzehnten Jahrhunderts der Glaube an die Macht des Unbewußten im Gegensatz zu der Bedeutung des räsonierenden Denkens zurückkehrt. Der klassische Geist ist ein Verstand, der an die persönliche Vernunft glaubt: dieselbe regiert als Gottheit das Weltall und beherrscht als Tugend die Leidenschaften in der Menschenwelt. In der Wissenschaft bedeutet sie die Herrschaft der literarischen Bildung, in der Kunst und Poesie die Herrschaft des guten Geschmacks, der Politur. Der klassische Geist faßt das, was unmittelbar hinter ihm liegt, als das Zeitalter der Barbarei, der Ungeschliffenheit auf; und während er den Menschen Vernunft predigt, will er zugleich der Sprache Glanz verleihen. Darum sagt Holberg:

Ich schreibe nicht allein um zu moralisiren,
Nicht nur das Volk, nein auch die Sprache zu poliren.

Dieser Geistesform voran geht in den großen Hauptländern die Zeit, welcher die sprudelnden Naturgenies ihr Gepräge aufdrückten, Männer wie Boccaccio, Rabelais, Luther und Shakespeare. Die großen Namen des Klassizismus sind Molière, Boileau und Racine, Pope und Addison; er kulminiert in Frankreich mit Voltaire, in Deutschland mit Lessing. Er ersteht, als bei den herrschenden Nationen vermöge des Aufschwungs der Kultur die dichterische Einbildungskraft ihre Stärke, ihre Stütze, ihre Begrenzung, ihre Ideale in dem innigsten Verein mit einem klaren, universell gebildeten Verstande sucht und findet; er erlischt, als Herder und Goethe in Deutschland, Chateaubriand in Frankreich, Burns und Wordsworth in England, Ewald und Oehlenschläger in Dänemark, eine neue Zeit verkündigen.

Es gilt als allgemeine Regel, daß der Menschengeist, der Natur und den Menschen von Angesicht zu Angesicht gegenübergestellt, eine doppelte Tätigkeit auszuüben hat: Erstlich möglichst reiche und vielseitige Eindrücke aufzunehmen, und zweitens dieselben zu verarbeiten, zu zerlegen und nach Vermögen die dadurch hervorgerufenen Vorstellungen zu ordnen und auszudrücken.

Auf verschiedenen Entwicklungsstufen ist die Menschheit zu der einen Tätigkeit geeigneter als zu der andern, ebenso zeigen die verschiedenen Rassen und Zeitalter sich hierin von ungleicher Stärke. Der klassische Geist besitzt eine größere Fähigkeit, die Vorstellungen zu ordnen und sie in logischem Zusammenhang zu entwickeln, als einen vollen, gesammelten Eindruck zu erhalten, vermag deshalb auch nicht denselben durch künstlerische Mittel wiederzugeben, die aller Logik spotten, aber entweder unfaßlich malerisch oder durch ihren Klang fast magisch wirken.

Der Renaissance-Dichter Shakespeare hat den vollständigen allseitigen Eindruck von dem Charakter Hamlets; Hamlet ist gut und grausam, entschlossen und ohne Tatkraft, genial und bis zur Grenze des Wahnsinns schwermütig, durchgebildet und brutal, pläneschmiedend und planlos; und Shakespeare stellt die Gestalt hin, ohne über sie irgendwie zu räsonieren, ohne jedweden Versuch, sie zu erklären; Hamlet ist rätselhaft wie das Leben selbst.

Holberg ist genug Dichter, um selbst von dem flüchtig Gesehenen und Beobachteten einen tiefen und nachhaltigen Eindruck zu empfangen. In seinem Hirn haben sich Tausende von Bildern aus der Wirklichkeit angehäuft; er weiß aufs Haar, wie ein jütländischer Proprietär denkt und spricht, und der westjütische Dialekt liegt ihm im Ohr; er kann dänische Bauern, Handwerker, Bürger und Schulmeister, Lakaien und Edelfrauen zeichnen, daß die Ähnlichkeit frappant ist und kein wesentlicher Zug vergessen oder weggelassen scheint. Achtet man aber genauer auf die Handlungsweise der Hauptpersonen, so entdeckt man, daß Holberg als klassischer Dichter den Eindruck zerteilt, von dem vollständigen, stereoskopisch gesehenen Bild zumeist nur eine einzelne Haupteigenschaft herausgreift, wie Rastlosigkeit, Geschwätzigkeit oder Prahlerei, den ganzen Charakter um diese Eigenschaft formt und nun die Gestalt in ein Kreuzfeuer stellt von lauter Unterhaltungen über ihre auffallende Eigentümlichkeit, deren Entstehen wir nicht miterlebt haben, und die sich durch die ganze Komödie gleichbleibt.

Der Klassizismus entwickelt sich zu einem Zeitpunkt, wo in den leitenden Ländern Europas das Königtum ganz neuen Glanz und ganz neue Macht gewinnt, indem es entweder wie in Frankreich unter Ludwig XIV. absolut wird, nachdem es den Reichsadel gebrochen und ihn von den Landgütern an den Hof gezogen hat, oder wie in England unter Karl II. nach der Besiegung einer Republik wieder neu eingeführt wird. Diese Geistesform geht von Frankreich aus und wird Europas Muster, zu gleicher Zeit, als die französische Königsmacht das Muster für Europa wird.

Als Kunstform ist der Klassizismus ursprünglich aus dem Verhältnis des Dichters zu dem neuen Publikum hervorgegangen, das sich aus einem Hofadel bildet, der wohlerzogen und müßig ist und der sich in Ermangelung jeder anderen Beschäftigung auf diejenige, die Gesprächskunst zu pflegen, verlegt. Die Männer und Frauen, die – welchem Stand sie auch durch Geburt angehören – Hofbildung erhalten haben, finden ein bisher ungekanntes Vergnügen daran, ein Gespräch zu führen: Es freut sie, daß sie selbst wie auch die anderen die jüngst noch so steife und unpolierte Sprache in ihrer Gewalt haben. Sie unterhalten sich mit Geschmack und Leichtigkeit über alle ernsten oder scherzhaften Gegenstände, welche für Männer und Frauen der guten Gesellschaft, die keine Fachkenntnisse besitzen, ein Interesse haben. Es wird für den Fachmann eine Aufgabe, seine Gedanken und sein Wissen so mitzuteilen, daß er nicht durch technische Einzelheiten, nicht durch eine der feinen Welt unverständliche Terminologie abschreckt. Die Hofbildung sieht auf die Universitätsbildung mit Verachtung herab. Es ist bezeichnend, daß der vielseitigste und vielleicht am meisten typische Denker jener Zeit, Leibniz (1646 bis 1716), der seine Bildung, die literarische sowohl wie die wissenschaftliche, an den Höfen und in Paris vollendet hatte, welche Stadt er lobpreisend ›die Hauptstadt der Galanterie‹ nennt, oft mit unverhohlener Verachtung von den Universitäten spricht; er dachte von sich selbst zu groß, um sich mit der Stellung eines Professors begnügen zu können. Er nennt die Universitäten mönchische Anstalten, die sich mit bloßen Grillen abgeben, und wundert sich darüber, daß angesehene Männer, wenn sie als Schriftsteller auftreten, lieber Proben ihrer Gelehrsamkeit als ihrer Erfahrung und Urteilskraft ablegen wollen. Die Höfe waren seine Zufluchtsstätten; er wünschte öfters, obschon vergebens, von ihnen aus eine Universitätsreform vorzunehmen; er suchte vermittels seiner vornehmen Verbindungen wissenschaftliche Akademien, nach dem Vorbild der französischen, in Berlin wie auch in Wien und Petersburg zu gründen. So ferne stand er, obgleich ein Deutscher, der deutschen Professorenwelt, daß er weder in seinen Schriften sich mit ihr einließ, noch seine Werke an sie richtete, sondern dieselben philosophischen Königinnen und Fürsten widmete.

Von nun an also ist nicht mehr der Hochgelehrte (wie Scaliger z. B.) Schiedsrichter über das, was richtig oder schön oder geschmackvoll, sondern der Geschmack des Hofes ist maßgebend. Alles kommt auf die Meinung an, die der Mann von Lebenserfahrung und weltmännischer Bildung hegt – ›der honette Mann‹, wie man in Frankreich sagt, ›guter Leute Kind‹, wie Holberg sagen würde. Clitandre oder Philinte bei Molière, Leonard bei Holberg ist der vernünftige Richter, welcher die ›Pedanten‹, die Pfleger des gelehrten Spezialstudiums, auf welches der Klassizismus herabsieht, verdrängt.

Auch in Dänemark steht der Triumph der klassischen Geistesrichtung durch Holberg mit der Errichtung der absoluten Monarchie in Verbindung. Holbergs ganze Wirksamkeit kann – wie schon früher von Heiberg, wenn auch in ganz anderm Zusammenhang bemerkt worden ist – ›als eine der durch die Einführung der absoluten Souveränität hervorgerufenen Erscheinungen‹ betrachtet werden. Nur daß der arme große Schriftsteller jede Unterstützung von Seiten der Könige entbehrte. Frederik IV. glich Ludwig XIV. in dessen Beziehung zur Literatur nicht; er hatte nicht viel andere Züge mit ihm gemein als die vielen Mätressen en titre – nur daß er, mehr bürgerlich angelegt, sie zur linken Hand zu ehelichen pflegte. Die Gräfinnen Velo, Viereck, Schindel und Anna Sophia waren seine Montespan, La Vallière, Fontanges und Maintenon. Er hat als Persönlichkeit etwas vom Wesen Frederiks VII., war beliebt und fand Nachsicht wie dieser. Im Zeitalter Christians VI., das folgte, waren die Zustände noch ungünstiger für die Literatur: Strenge Sitten waren die offizielle Parole; der Hof hielt sich vom Volk abgeschlossen; der König arbeitete, sparte, baute und betete. Nach der regellosen, aber lebhaften Physiognomie, die das Land unter Frederik IV. gehabt hatte, war nun die vollständige Verwischung aller lebhaften Züge erfolgt; die geistliche Liederdichtung blühte, die Unterhaltungsliteratur wurde zurückgedrängt, Holberg mußte als Dichter verstummen.

Als endlich mit der Thronbesteigung Frederiks V. der Horizont sich wieder für ihn aufklärte, war er bereits ein alter Mann. Und doch kam er auch nun dem König nicht näher. Während Ludwig XIV., wenigstens der Sage nach, um seine Hofleute zu ärgern und zu strafen, mit Molière allein zu Mittag gespeist hatte, ließ Frederik V., der mit so großen Erwartungen begrüßte, aufgeklärte Monarch, es bekanntlich dem greisen Holberg verbieten, an demselben Tische zu speisen wie er, und noch dazu bei eben dem Fest, das man dem König bei Errichtung jener Akademie zur Soröe gab, welche Holberg aus eigenen Mitteln gestiftet hatte.

Aber trotz alledem: Holberg stützte sich an das Königshaus und den Hof. Nur durch den Beistand hochstehender Männer gelang es, eine dänische Schaubühne zu errichten. Dies ist vielleicht zuerst einem Manne zu verdanken, dessen Liebe zur Sprache und Literatur ihn verhältnismäßig rasch bewog, seinen Haß gegen Holberg aufzugeben – Friedrich Rostgard, Präsident der dänischen Kanzlei, mit einer natürlichen Tochter des Grafen Konrad Reventlow vermählt, dessen andere Tochter Anna Sophia die Geliebte und spätere Gemahlin des Königs war. Demnach verdankt man es dem Großkanzler und Universitätspatron Ulrich von Holstein, welcher mit der Halbschwester derselben Anna Sophia vermählt war. Holberg sagt selbst, daß es einige von ›den vornehmsten Leuten der Stadt hier‹ waren, ›sogar Leute vom ersten Rang, welchen Hartnäckigkeit entgegenzusetzen, keine leichte Sache wäre‹, die ihn aufforderten, Komödien zu schreiben und ihn in seinen Bestrebungen, ein dänisches Theater zu gründen, unterstützten. Ihren Beifall wünschte er sich, nicht den der Gelehrten; sie hatten die moralische und sprachliche ›Politur‹, welche den Kollegen fehlte.

Hier fällt ein neues Licht auf Holbergs Haß zu den Pedanten, diesen Haß, der so auffallend ist, daß der Franzose Legrelle – von allen Ausländern derjenige, welcher Holberg heutzutage am genauesten kennt – denselben nicht für wirklich empfunden hielt, sondern in dem Kriege Holbergs gegen die Pedanterie eine pure Nachahmung von Molière sah. Er hebt hervor, daß immer die Pedanterie es sei, welche bei Holberg unter den verschiedensten Formen den Gipfelpunkt des Lächerlichen bezeichne; er räumt ein, daß sie zu jener Zeit in Kopenhagen epidemisch war, wie sie es ein Jahrhundert vorher in Frankreich gewesen. ›Aber‹, sagt er, ›ich kann nicht glauben, daß es zu Holbergs Zeit nichts anderes Lächerliches in Kopenhagen gab als die eingebildeten Gelehrten und die Eitelkeit, womit ihre Unwissenheit sich aufblähte. Das Lächerliche ist nie etwas, worauf nur eine kleine Anzahl bestimmter Professionen ein Alleinrecht hätte.‹ (Legrelle: Holberg considéré comme imitateur de Molière.)

Holberg denkt, ganz im Geiste des Klassizismus, geringschätzig vom Spezialstudium. Seine stetigen Angriffe auf die damaligen Gelehrten sind befreiend, vortrefflich, aber sie sind unrichtig geformt. Wieder und wieder, sein ganzes Leben hindurch, wirft er ihnen vor, daß die Gegenstände, womit sie sich befassen, zu speziell, zu geringfügig seien: ›Die Sandalen der Alten‹, ›Woher das Summen der Mücken und Fliegen kommt‹ u. s. w. – aber für die Wissenschaft ist nichts zu gering. Die Behandlungsweise ist's, worauf es allein ankommt. Kein Thema ist so groß, daß es nicht durch eine geistlose Behandlung unsäglich armselig und hohl werden könnte – in unseren Tagen umspannen die Dummköpfe mit Vorliebe in jedem Aufsatz die ganze Weltgeschichte – und keines ist so klein, daß es nicht, geistvoll aufgefaßt, einen Einblick in das Große, das Unendliche zu eröffnen vermöchte, in Gesetz und Zusammenhang der Gesetze. Dies hat Holberg als ausgeprägter Klassiker nicht begriffen. Das Allgemeine ist die Domäne des klassischen Geistes, darum auch die seine. Die Beschäftigung mit dem bloß oder ganz Speziellen wird ihm leicht zur Pedanterie. In der zweiten Ausgabe seiner Dänischen Reichsgeschichte läßt er all die wertvollen Spezialforschungen Grams, die seit Erscheinen der ersten herausgekommen waren, unbenutzt.

Der klassische Geist ist auch bei ihm in erster Linie die Gabe der Rede, die Befähigung, sich klar und kernig auszudrücken, die Kunst der Darstellung, des Vortrags.

Das Oratorische vernimmt man deutlich sogar in seinen Schauspielen. Zuerst aus dem regelmäßigen, einfachen Plan der Stücke, welcher als Beweisführung angelegt ist und mit einem quod erat demonstrandum endet, indem die Schlußverse die Moral zusammenfassen, sozusagen das Resultat ziehen. Seine Methode ist häufig die folgende: Er schildert eine Hauptfigur, die durch einen Fehler, einen Irrtum, eine Einbildung komisch ist; in dieser lächerlichen Eigentümlichkeit steht sie der Vereinigung zweier Liebenden als Hindernis im Wege, entweder als Vater (Hermann von Bremen, Vielgeschrei, Ranudo) oder als Rivale (Jean de France, Gert Westphaler). Durch eine auf die schwache Seite des Betreffenden berechnete Intrige werden nun die Liebenden vereinigt und dem Verirrten die Augen geöffnet. Nur selten wird die Intrige durch die Umstände herbeigeführt (in ›Die Wankelmütige‹, ›Hexerei‹, ›Ohne Kopf und Schwanz‹, ›Die Maskerade‹); in der Regel wird ein Plan geschmiedet, und in den eigentlich moralischen Holbergschen Komödien läuft das Ganze auf eine (fruchtende oder nicht fruchtende) Lehre hinaus, welche die törichte Hauptperson erhält. Bisweilen indes ist dies nicht der Fall; wie in ›Der 11. Juni‹, wo keine Absicht da ist, den Betrogenen, das Opfer der Intrige, zu bessern oder zu belehren; ferner nicht in ›Der verpfändete Bauernjunge‹, wo die Komik in dem Werkzeug der Intrige liegt, während die Opfer derselben weder Interesse haben noch verbessert werden, und am allerwenigsten in ›Die Weihnachtsstube‹, wo die Lustigkeit so frei ist. Es ist also nicht der moralische Zweck, der im tiefsten Grunde den Plan der Stücke bestimmt und beherrscht, sondern die klassisch-oratorische Geistesform. Und diese ist bei Holberg so starr, daß sie die Handlung ganz nach der ursprünglichen Absicht des Dichters beugt. Niemals läßt er durch die Beweglichkeit der Menschennatur sich einen Strich durch die Rechnung machen – unvermeidlich führt er die Intrige durch das lustigste Imbroglio zu der von den ersten Szenen von den Zuschauern vorausgesehenen Lösung.

Das Oratorische im Klassizismus tritt ferner in der Eigentümlichkeit hervor, daß die Hauptpersonen immer vortrefflich zu sprechen verstehen. Ein Held und eine Heldin bei Corneille sind nicht größere Meister der Redekunst, als es ein Lakai und ein Kammermädchen, Henrik und Pernille, bei Holberg sind. Sie haben ein so gutes Mundwerk, als wären sie Advokaten, in der Tat sind sie auch Advokaten, nämlich Wortführer der gesunden Vernunft; ihre Monologe sind nicht selten eine ganze Holbergsche Epistel, und der Dialog nähert sich bei den entscheidenden Stellen einem oratorischen Lanzenrennen.

Man nehme z. B. Troels großen Einleitungsmonolog in der ›Wochenstube‹. Der vortreffliche Einfall mit der Liste ›so lang wie das ganze Theatrum‹, worauf all die 93 Namen der Frauen verzeichnet sind, denen die Geburt des Kindes mitgeteilt werden soll, ist nicht ursprünglich von Holberg. Dieses Verzeichnis ist eigentlich die Leporelloliste, welche das alte italienische Stück ›Il Convitato di Pietra‹ eröffnet. Doch abgesehen von diesem Namen-Herschnurren ist der Monolog, welcher der trefflichen Expositionsszene vorangeht, eine echt Holbergsche Abhandlung, eine im Namen der gesunden Vernunft gehaltene Kapuzinerpredigt, mit Einleitung, Steigerung und Kulmination: Die Unarten der Hochzeiten, Begräbnisse, Wochenstuben werden der Ordnung gemäß behandelt, die Widersinnigkeiten werden in ebenso beredter wie ausgelassener Weise durch Erklärungen, Vergleiche u. s. w. aufgeklärt. Die Übergänge von Glied zu Glied sind so willkürlich wie dieser: ›Wende ich mich aber von den Hochzeiten zu den Begräbnissen, so find ich bei den letzteren ebensoviel Narrheit wie bei den erstem ... Die Vernunft sagt ... aber die Mode sagt ...‹ u. s.w.

Man sehe Gusmans großen Monolog in ›Melampe‹ (I, 5), worin er ein Dutzend Beweisgründe nacheinander dafür anführt – mit Vordersatz, Nachsatz und Ergo –, daß er größer ist als Prinz Paris.

Man lese Sparenbergs Monolog in dem ursprünglichen Entwurf zu ›Die Wankelmütige‹; derselbe ist in seinem ganzen Aufbau eine Holbergsche Epistel über Trinkgelder, mit Gründen, erklärenden Anekdoten, konsequent durchgeführter Kritik und Verbesserungsvorschlägen.

Oder man denke an Henriks berühmte Verteidigung der Maskeraden; an den Strom von Argumenten, Einwendungen und Paradoxen, welcher Jeronimus gegenüber ihm zu Gebote steht (›er könnte ein perfekter Lakaien-Prokurator werden‹, heißt es); an das Leben und den Witz, womit er in demselben Stück das Ehegericht spielt, abwechselnd der Anwalt der Jungfrau und der des jungen Mannes ist. Man denke überhaupt an alle die Stellen, wo der Dialog bei Holberg den Charakter eines Prozesses, einer akademischen oder juridischen Disputation annimmt; z. B. im ›Kannegießer‹ an den Streit der Advokaten und die Gesuche der beiden Bürger anläßlich der gegenseitigen Gewerbsbeeinträchtigung; in ›Jeppe‹ an die weitläufigen (Bidermann entnommenen) Erzählungen der beiden Doktoren mit der daran geknüpften Beweisführung sowie an den ganzen Gerichtsakt mit den Reden des Anklägers und Verteidigers; in ›Melampe‹ an den Monolog Sganarells, wo dieser annimmt, als Spion vor ein Tribunal mit Richtern und Folterbank geschleppt zu sein; in ›Erasmus‹ an die Disputation zwischen dem Helden und dem Küster Peter; in ›Der glückliche Schiffbruch‹ an den ganzen fünften Akt mit all den von den früheren Schauspielern bekannten Komödienfiguren vor den Schranken.

Die Replik ist immer beredt, wie komisch sie auch ist.

Das heißt mit anderen Worten: Holberg treibt das Wort niemals bis zu der Grenze, wo es sich in Ton oder Farbe, Musik oder Bild verwandelt. Sehr bezeichnend ist in dieser Hinsicht folgender Vers aus ›Peter Paars‹:

Der Vers besteht allein in Schönheit der Gedanken.

Holbergs eigene Verse sind häufig schlecht, immer steif; es sind Verse, die verstandesmäßig, wie mit der Maschine gemacht sind. Wo er, wie in seiner verfehlten ›Metamorphosis‹, die Absicht hat, eine rührende oder pathetische Wirkung damit zu erzielen, wird das Resultat langweilig oder parodistisch. Man fühlt wohl, daß jede Seite voll Verse ihm, wie er erzählt, ›schier ein tüchtig Kopfweh benebst 12 Schilling für Caffe‹ kostet. Stimmung und Lyrik sind verdunstet, der nackte Alexandriner zurückgeblieben.

Darum finden wir auch niemals bei Holberg einen Monolog, der das stille Flüstern der Seele mit sich selbst ist. Sogar der Monolog ist oratorisch gebaut, eine direkte Mitteilung an den Zuschauer. ›Will Jemand meinen Namen wissen, so heiß ich, mit Verlaub, Oldfuchs, will Jemand mein Gewerbe wissen, so bin ich Schmarotzer, zu Diensten‹ – Ja, zuweilen ist der Monolog als Mittel angewandt, um die übrigen Personen des Stückes, die unbemerkt lauschen, von irgend etwas in Kenntnis zu setzen (in ›Die Wochenstube‹, ›Melampe‹, ›Der glückliche Schiffbruch‹).

Diejenigen, welche von Natur nicht redegewandt sind, werden es durch Erziehung oder Profession, wie die Dienstboten, Barbiere, Putzmacherinnen, Doktoren, Advokaten und Pedanten.

Mit dieser Neigung zum Allgemein-Oratorischen hängt der Umstand zusammen, daß die Personen nicht sämtlich und nicht immer ganz wirklich sind. Holberg hat einen schärferen Blick für Gattungs- und Standeseigenschaften als für die individuellen. Er hat den Griff des klassischen Dichters, das eigentümliche Gepräge eines Alters, eines Standes, einer Profession, eines Lasters oder einer Lächerlichkeit zu erfassen und zu akzentuieren; er vermag mit kühner Künstlerhand die bestimmende Eigenschaft herauszugreifen, zu isolieren und alles von ihr durchdringen zu lassen, aber selten gelingt es ihm, dem Individuum die ganze schillernde Mannigfaltigkeit des Lebens zu verleihen. Dies ist ein Mangel, den die klassische Geistesrichtung in allen Ländern mit sich führte. Wie wir in den französischen Tragödien fortwährend Charaktertypen begegnen, dem Tyrannen, der Vertrauten usw., Persönlichkeiten, deren Wesen sich fast in einer oder der anderen Eigenschaft, wie Ehrgeiz oder Treue erschöpft – so treffen wir auch in der klassischen Komödie, die doch ganz anders und viel bewußter darauf ausgeht, ein Bild von dem Zeitalter und der Wirklichkeit zu geben, Figuren wie den strengen, beschränkten Vater, den moralisierenden Onkel, den Geizigen, den Spieler, die heiratslustige alte Jungfer – Personen, deren Wesen sich auf ganz wenige Anhaltspunkte zurückführen läßt.

Deshalb auch bei Holberg. Nicht selten ist der individuelle Charakter unvollständig durchgeformt; der Typus des Großprahlers oder des Stutzers tritt wie die Hirnschale unter der Haut hervor. Das Wesentliche, Allgemeine ist bei der Hauptfigur bisweilen zu derb betont; dementsprechend ist bei den Nebenfiguren die Individualität nicht selten völlig in die Standesuniform eingehüllt. Holbergs Advokaten, Ärzte, Poeten, Offiziere sind nur Masken. Am schärfsten zeigt sich dieser Mangel in den jüngeren Jahren Holbergs in ›Ohne Kopf und Schwanz‹ (in Deutschland unter dem Namen ›Die Irrtümer‹ bekannt), wo Roland und Leander auf höchst einförmige, ganz symmetrische Art Repräsentanten für Aberglauben und Unglauben sind, um mit einem Male die Rollen zu vertauschen; während Ovidius, ohne irgendwelche persönliche Eigentümlichkeit, immer balancierend, den Mittelweg bezeichnet. Wir fühlen diesen Mangel in der Regel am deutlichsten, wenn eine einzelne Person als Sprachrohr des Dichters auftritt und eine kleine moralische Abhandlung oder Deklamation zum besten gibt (der Baron in ›Jeppe‹, der Leutnant in ›Montanus‹).

Shakespeare liebt es, eine lebhafte Vorstellung von dem Äußern, den körperlichen Eigentümlichkeiten seiner Personen zu geben: Percy, der Heißsporn, stammelt, Falstaff ist eine Fleischmasse und ohne seinen Fettwanst gar nicht denkbar. Holberg als Klassiker überläßt es dem Schauspieler, seine Personen fett oder mager, brünett oder blond darzustellen. Bei ihm kommt kein Dicksack vor, und wenn von den Poeten als dürr und mager die Rede ist, so ist dies das Standesgepräge und keine individuelle Charakteristik.

Hiermit hängt die Benennung der Personen bei Holberg wie bei anderen Klassikern zusammen. Bekanntlich haben seine Personen keine rechten Eigennamen; sie heißen Leander und Leonora, Jeronimus und Magdelone, sogar wenn unter einem und demselben Namen ein bedeutender Charakterunterschied liegt. Jeronimus ist in der ›Weihnachtsstube‹ ein Kleinstadt-Spießbürger, in ›Montanus‹ ein Landmann, der etwas höher steht als ein Bauer, in ›Der glückliche Schiffbruch‹ Chef eines großen Handelshauses, in ›Henrik und Pernille‹ ein Gutsbesitzer, in ›Die honette Ambition‹ ein schwacher, rangsüchtiger Narr, in ›Pernilles kurzer Fräuleinstand‹ ein habgieriger Heuchler; dennoch haben alle diese Rollen ein gewisses, sehr deutliches gemeinsames Gepräge, das Holberg so frappiert hat, daß er sich nicht – wie ein moderner Dichter täte – die Mühe gab, einen Namen auszufinden, der auf irrationelle, malende Weise, schon durch seinen Klang die individuelle Vorstellung, die er beabsichtigte, hervorrief. Nicht selten sind seine Namen im Geiste des Klassizismus definierend, aber malend sind sie nie. Und bezeichnend genug: In allen Stücken, die Holberg überarbeitete, hat er die früheren individuellen Namen gestrichen und sie, gleichsam unter dem Druck der herrschenden Geistesform, durch die stereotypen Gattungs- oder Rollennamen ersetzt. Er beginnt mit Namen wie Antonius, Engelke, Elsbeth; bald aber weichen sie vor den ständigen Namen der Liebhaber und Liebhaberinnen. In ›Gert Westphaler‹ hieß das junge Mädchen ursprünglich Marie, erst später Leonora; in ›Die Wankelmütige‹ hieß Leonora zuerst Terentia und Henrik Torben.

Mit dieser Eigentümlichkeit steht auch der Umstand in Verbindung, daß Holberg, ganz im Geiste des Klassizismus, sich nicht nur durch die Einfachheit und Überschaulichkeit der Handlung – ihre Einheit, wie man es nannte – auszeichnet, sondern sich auch nach Kräften befleißigt, die von den französischen Ästhetikern angeblich nach Aristoteles aufgestellten Regeln betreffs der Einheit der Zeit und des Ortes zu wahren. Ist es schon sonderbar, daß man in Frankreich im Zeitalter des Klassizismus etwas als technische Pflicht betrachten konnte, einzig und allein, weil Aristoteles es für richtig gehalten, so könnte es noch wunderlicher scheinen, daß man sich freiwillig einen dreifachen Zwang auferlegte und denselben mit einer falschen Autorität ausrüstete. Doch man las eben aus Aristoteles heraus, was die eigene Geistesform mit sich brachte. Der allzu starke Glaube an das Allgemein-Menschliche bedingte es, daß man den Ort, wo die Handlung vorging, so wenig wie möglich bezeichnete. Die Umgebung spielte keine Rolle, bildete nicht den Menschen – man faßte sie abstrakt auf. Und die Regel, daß die Handlung vom Anfang bis zum Schluß an demselben Orte spielen sollte, brachte es naturgemäß mit sich, daß der Ort nicht näher bezeichnet, daß die Einheit desselben auf Kosten seiner Bestimmtheit erreicht wurde. Holberg setzt sich hie und da, wo er nicht anders kann, über die Regel hinweg, wie in ›Jeppe‹; aber er huldigt ihr und sträubt sich so lange wie möglich, sich einer Übertretung derselben schuldig zu machen – ja, länger als möglich: wie in ›Henrik und Pernille‹, wo ein Junker und ein Fräulein in einem Anfall von Eifersucht einander Porträts, Tabaksdosen, Schmucksachen, einen Stock mit Goldknopf auf offener Straße zuwerfen. Zuweilen ist die Szene so unbestimmt, daß man in Zweifel gewesen, in welchem Lande die Handlung vorgehe (›Pernilles kurzer Fräuleinstand‹); zuweilen ist die Bezeichnung so humoristisch allgemein wie diese Notiz vor ›Melampe‹: ›Scena ist ein offener Platz bei Pandolfi Grab.‹ Und obwohl Holberg nicht selten, wie in ›Jeppe‹ und in ›Die Brunnenreise‹ die knappe Zeit von 24 Stunden überschreitet, in welche der Vorschrift gemäß die Handlung gepreßt werden soll, so geht aus seinem ›Ulysses von Ithacia‹, ›einer deutschen Komödie‹, deutlich hervor, daß fast nichts von den wirklichen, psychologischen Ungeheuerlichkeiten der deutschen Komödie ihn in dem Grade verletzt und sein künstlerisches Gewissen aufgebracht hat wie der beständige Szenenwechsel und die Ausdehnung der Handlung durch eine ganze Reihe von Jahren. Die Unordnung des Lebens, dessen Formlosigkeit und bunte Mannigfaltigkeit, die Shakespeare erfreut und in welcher er sich so frei bewegt – dies Unübersehbare widerstrebt dem klassischen Dramatiker, geradeso wie das undefinierbare Ganze, der vollständige Organismus von Eigenschaften und Eigentümlichkeiten sich in der Regel seiner Auffassung entzieht.

Der Klassizismus hat, wie bekannt, nur in den romanischen Ländern seinen vollendetsten Ausdruck erreicht. Es ist kein bloßer Zufall, daß Englands Poesie ihre höchste Entwicklung unmittelbar vor seinem Auftreten erhielt und daß in Deutschland erst nach Überwindung desselben die Dichtkunst zu ihrer schönsten Blüte gedieh. Der romanische Geist ist nämlich im tiefsten Innern klassisch angelegt, und darum sehen wir auch im Zeitalter Ludwigs XIV. in Frankreich und den von Frankreich beeinflußten Ländern diejenigen Kunstformen hervortreten, welche eben im alten Rom die herrschenden waren und die genau mit dem römischen Wesen übereinstimmten: die Satire und das burleske Lustspiel (Siehe über die Bedeutung der Satire als romanische Kunstform Hegels Ästhetik, zweiter Teil: ›Die römische Welt als Boden der Satire‹.) Zu Holberg gelangen die Kunstformen, sowohl die Form der Satire wie diejenige der Komödie, von Rom über Frankreich (Juvenal und Horaz – Boileau – Holberg; Plautus und Terenz – Molière – Holberg).

Doch die klassische Geistesform ist in der modernen Zeit hauptsächlich französisch, stimmt eigentlich nur genau zu dem französischen Nationalcharakter, der in seinem innersten Wesen darauf angelegt ist, sich in Verstandeserwägungen zu bewegen und die Redekunst zu ihrer höchsten Vollendung zu bringen. Wenn ein Volkscharakter im Laufe der Zeit einer herrschenden Geistesform begegnet, die derartig beschaffen ist, daß das Volk in ihr seine eigentümlichsten Fähigkeiten zu entfalten vermag – so erreicht es seinen höchsten künstlerischen Ausdruck. Darum sehen wir Frankreich zur Zeit Ludwigs XIV. und Ludwigs XV. sich ganz Europa geistig unterwerfen. Die französische Tragödie ist selbst in England und in Italien mustergültig; Molière und seine weit unbedeutenderen Nachfolger wie Destouches beherrschen die Bühnen Europas, und in Voltaire endlich erhält – nachdem Holberg kulminiert hat – der französische Nationalgeist und der Geist Europas in jenen Tagen seinen größten Vertreter, welcher Roman, Tragödie, satirisches Epos, die wissenschaftliche Abhandlung, die philosophische Epistel, ja die Geschichtsschreibung und das Diktionär ganz zu seinen Organen umbildet.

Dänemark ist das einzige nichtromanische Land, dessen dramatische Poesie in der klassischen Periode ihre höchste Blüte erreicht. Der Norden war in der Renaissancezeit künstlerisch nicht mitgekommen, ja die Dänen existierten damals geistig noch nicht als Volk, nun bringt das dänisch-norwegische Reich sein größtes literarisches Genie während des Klassizismus hervor, obwohl das klassische Wesen zweifellos dem germanischen Rassen- und nordischen Volkscharakter des Landes widerstreitet.

Dies ist so auffallend, daß man sich versucht fühlen könnte, zu glauben, der Rasse- und Volkscharakter sei unrichtig bestimmt; aber auf tausend Wegen und durch mannigfache Untersuchungen und Vergleiche ist es festgestellt worden, wie fremd der Klassizismus dem nordischen Volksgeist in der Tat ist. Wie wenig der Volksgeist jenem Zeitgeist entsprach, verrät sich auch in der niemals vorher genügend aufgeklärten Tatsache, daß Holberg ohne irgendwelche Schule vollständig allein steht. Zwar sagt man oft in ähnlicher Weise von Molière, er habe keine Schule von nahezu ebenbürtigen dramatischen Talenten; im übrigen hat Molière Nachfolger und Schüler genug. Holberg steht vor uns, soweit dies überhaupt von einem geistigen Gebieter sich sagen läßt, als eine ganz isolierte Gestalt.

Die Ursache scheint denn ausschließlich die zu sein, daß in der rein individuellen Beschaffenheit dieses Geistes Anlagen vorhanden waren, die nur in der Atmosphäre des Klassizismus zu ihrem Rechte gelangen konnten. Dieser Geist fühlte sich ausnahmsweise in dieser Atmosphäre heimisch wie in seinem Element.

Holbergs tiefstes Wesen war Verstand; aus diesem sproß seine Einbildungskraft hervor. Seine reproduzierende Phantasie war die des Verständnisses; er sah, weil er verstand. Doch seine Einbildungskraft war wiederum gänzlich auf das Komische gerichtet. Seine freie Phantasie hatte ihren Hauptabfluß in kühnen Übertreibungen. Der wesentlich oder ausschließlich Verständige kann als Dichter nur Komiker werden, und es ist wohl bekannt und oft genug hervorgehoben worden, daß Holberg als Dichter nicht nur seine einzige Stärke im Komischen hatte, sondern daß er nicht einmal imstande war, die Berechtigung der nicht-komischen Dichtungsarten anzuerkennen. Da der Klassizismus Herrschaft des Verstandes und da das Komische im bürgerlichen Schauspiel die Verstandesseite der Poesie ist, so paßte Holbergs Wesen gut zu dem des Zeitgeistes. Hätte der dänische Dichter nur den geringsten Hang zur Lyrik gehabt, so wäre Gefahr vorhanden gewesen, daß ein Glied seines geistigen Organismus in jenen Tagen amputiert worden wäre. Hätte er einen entschiedenen Hang zum Pathos gehabt, so läge die Gefahr nahe, daß er – für uns unlesbare – Tragödien im Stil von ›Melampe‹ geschrieben hätte; Sprache und Kultur standen im Norden zu weit zurück, als daß ein pathetisches oder tragisches Talent eine Form hätte finden können, die nicht unmittelbar danach sich als veraltet erwiesen hätte. Holberg aber brauchte nicht das geringste zu opfern oder einzubüßen. Keine seiner Fähigkeiten versiegte aus Mangel an Nahrung. Der lustige und derbe Humor, die komische Phantasie allein konnten damals künstlerisch gedeihen; sie litten nur wenig unter der Beengung des Zeitalters, wurden von der ungenügenden Entwicklung der Sprache nicht berührt – im Gegenteil: Die unentwickelte Sprache gibt für die folgende Zeit Holbergs Werken größere komische Kraft. Während das Schöne und Große, das in einer alten Sprachform niedergelegt ist, unter der Unvollkommenheit der Form leidet, im Lauf der Zeit Rostflecken bekommt, hat das Komische bei Holberg einen Verbündeten in der Zeit: Es saugt, wie der Wein, Kräfte aus den Jahren. Die Sprachform der Holbergschen Komödien hat im Verlauf von anderthalb Jahrhunderten dieselbe anziehende Eigentümlichkeit gewonnen, welche alte Bilder durch das Nachdunkeln ihrer Farben gewinnen. Wenn Holberg ›Leichdornen‹ und ›Lehnkutscher‹ schreibt, so ist er ergötzlicher für uns, als er geahnt. Ja, er ist nicht nur ergötzlicher, er ist liebenswürdiger. Er erhält Eigenschaften, welche die Natur ihm verweigert hatte, z. B. eine ganz besondere Anmut. Versagt ihm der Ausdruck, wenn er das Naive im Gespräch eines jungen Mädchens wiedergeben will, so verleiht die Zeit dem Ausdruck eine neue Naivität. Schon eine Titulatur wie ›Monsieur‹, eine Form wie ›fürnehm‹ statt ›vornehm‹ genügt für uns, um dem ganzen Stil Charakter zu geben; es ist etwas Zierliches und Graziöses darin, ein altmodischer, aber kleidsamer Rokoko-Anstand, der dem Werk zugute kommt. Auf dem Gebiete der ernsthaften Poesie findet sich nichts Analoges außer dem Reiz, den die nunmehr verlorengegangenen Wortformen der alten Volksweisen, durch die weit zahlreicheren Jahrhunderte, die über sie hingegangen, gewonnen haben. Die ernste Poesie des achtzehnten Jahrhunderts ist noch bei weitem nicht alt genug, um durch ihr Alter schon ehrwürdig zu sein; ihre Sprachform schreckt ab, wie eine kürzlich aus der Mode gekommene Tracht. Eben der mangelhafte Zustand der damaligen Sprache, welcher der ernsten Dichtung Abbruch tat, wurde durch das Glück, das dem Genie zur Seite steht, ein Gewinn für Holberg.

Wäre er ein Jahrhundert später, im Zeitalter der Romantik geboren, mit diesem großen, aber eng begrenzten poetischen Talent, das so reich an Verstandeswitz und dessen großartige Phantasie so ganz auf die Wirklichkeit gerichtet war, dem es aber an Gefühl und Erotik so sehr gebrach – so würde er Lebensbedingungen entbehrt, jedenfalls die volle Entfaltung seiner Fähigkeiten nicht erreicht haben. Nun hatte er das Glück, daß sogar seine Begrenzung seine Stärke wurde.

Für dieses Verhältnis hat man früher kein Verständnis gehabt. Heiberg sagt in seinen übrigens fein und auch sorgfältig abgefaßten Paragraphen über Holberg:

›Holberg, der als Literat und Schriftsteller im allgemeinen zur rechten Zeit kam, erschien dagegen als Komiker zu früh; denn die komische Dichtkunst setzt [in Heibergs System] die anderen Dichtungsarten voraus ... Die eigentümliche Erscheinung, daß Holberg mehr als ein Jahrhundert lang fast keinen merklichen Einfluß auf die Literatur geübt (während Moliere eine ganze Schule von komischen Dichtern bildete), erklärt sich aus der schon oben gemachten Bemerkung, daß Holberg in unserer Literatur zu früh kam, gleichwie die meisten bemerkenswerten Epochen in ihr zur unrechten Zeit[!] gekommen sind. Ein unmittelbares Genie, wie Oehlenschläger, sollte zu Holbergs Zeit erstanden sein, und ein reflektierendes, wie Holberg, zu derjenigen Oehlenschlägers.‹

Jawohl, wenn Heiberg die Geschichte hätte zurechtmachen dürfen! Dann freilich wären alle beide zugrunde gegangen: Oehlenschläger wäre ein abstrakter Deklamator, Holberg niemals ein Dichter geworden. Aber welche Verachtung der Naturwissenschaft, welch ein Mangel an Einblick in die Bedingungen jeder Entwicklung und welche Geringschätzung der Geschichte liegt nicht in diesen spekulativen Worten! Weil Heiberg das Geschehene nicht versteht, wird das Geschehene als tadelnswert behandelt: Die Geschichte muß sich geirrt haben, da die Zeitfolge nicht mit dem Gange des Hegel-Heibergschen Systems zusammenfällt.

Sehen wir nun, wie die klassische Geistesform mit Holbergs individuellem Wesen zusammentrifft und dasselbe in sich aufnimmt!

Von ihr rührt seine Stärke und Schwäche als Geschichtsschreiber her. Da sein Wesen der räsonierende Verstand, ist ihm das Verständnis alles Allgemein-Menschlichen erleichtert; aber als Klassiker fehlt ihm gänzlich die geschmeidige Sympathie, welche den Historiker treibt, sich in die Empfindungsweise ferner Länder und Zeiten einzuleben und sein eigenes Seelenleben in demjenigen fremder Völkerschaften und Persönlichkeiten aufgehen zu lassen.

Er ist als Historiker erstaunlich wenig Psychologe und Dichter.

Nach der geschichtlichen Voraussetzung, welcher er sich anschließt, ist Odin, ›gemeiniglich genannt Odin Vallfaudr‹, der erste nordische Monarch; die Religion, welche er stiftet, bezweckt, das Volk streitbar zu machen. Und bereits im Geiste

293 des klassischen Nationalismus fährt Holberg fort: ›Dahero bildete er ihnen ein, daß keiner nach dem Tode in der Glückseeligen Wohnungen kommen könne, er sey denn in der Feldschlacht wider seine Feinde gestorben.‹

Selbstverständlich hat Holberg nur geringes Interesse an der barbarischen Zeit; der ganze Zeitraum von König Skjold bis zu Christiern dem Ersten nimmt in seiner ›Dänischen Reichsgeschichte‹ nicht so viel Platz ein wie König Frederik III. allein. Und als echtem Klassiker gebricht ihm ganz und gar die Fähigkeit, den Eindruck von einer Gestalt aus dem nordischen Altertum zu geben. Er zeichnet sie immer im Kostüm des 18. Jahrhunderts. Wenn er Saxos Bericht von der Ermordung Harald Blaatands durch Palnatoke mitteilt, sagt er, daß eine solche Tat ›nicht wahrscheinlich konnte vollführt worden seyn von einem Manne, der zu seiner Zeit vor einen nordischen Philosopho passirete.‹ Er bezeichnet Einar Tambeskjälver als Svend Estridsens ›alten Norwegischen Minister‹. Er fühlt sich nicht bewogen, seinen Stil nach dem Zeitalter, das er schildert, oder nach den Persönlichkeiten, die er sprechen läßt, umzubilden. Um zu zeigen, mit welcher Kriegszucht die Goten unter ihrem König Theodorich gegen die Feinde zogen, führt er folgende Rede dieses Königs an sein Volk an: ›Marschiret voran alswie Leute, die sich aufopfern vor das gemeine Beste, und übet keine Gewalt wider selbige, zu deren Schutz ihr entsendet werdet‹ – ein gotischer Heerbefehl im Rokoko-Stil. Die religiöse Bekehrung eines Landes ist seiner Auffassung nach eine Folge der zufälligen Denk- oder Handlungsweise einzelner Personen, nicht Ausdruck eines sozialen Zustandes. Auf den Gedankengang der Könige, welche das Christentum gewaltsam einführten, geht er nicht ein; er bestrebt sich nicht, in seiner Darstellung barbarische Energie wiederzugeben. Das Komische, welches für ihn in dem Widerspruch liegt: mit Feuer und Schwert ein Land zum Christentum zu bekehren, färbt seinen Stil und macht denselben leicht spöttelnd, wo er groß sein sollte. So heißt es von Olaf Trygvesön, daß er ›sehr cavallierement‹ zu Werke ging, geschwind sein ganzes Reich christlich zu machen: ›Wie wohl solcher gestalt gar nicht in die Fußstapfen der Apostel getreten ward, ingleichen nicht die Vorschriften erfüllet, so Christi Lehre gebeut, nehmlich den Glauben zu verpflanzen durch Lehre. Leben und kräftige Persuasionen; denn der König selbst, dieweil er en passant Christ geworden, so hielt er es nicht vor nothwendig, viele Conferencen und große Weitläuftigkeiten anzuwenden, sondern reisete von einer Province zur andern und frug die Leute mit dem Degen in der Hand, ob sie wollten Christen werden, welches fürwahr die meist compendieuse Art ist, ein Volk zu bekehren, wiewohl nicht, es gut und zuverlässig zu bekehren.‹

Deshalb treten die Könige der Sage und des Altertums bei Holberg wie Könige in modernem Sinne des Wortes hervor. Alle seine Könige gleichen einander wie Kartenkönige. Valdemarus IL Victoriosus ist für ihn ein König von derselben Beschaffenheit wie die zeitgenössischen. Und deshalb vermag Holberg auch kein klares Bild vom Mittelalter zu geben. Das Mittelalter war katholisch, und er sieht es in dem Lichte, worin es ihm als rationalistischem Protestanten erscheint, der noch dazu besondern Abscheu vor dem Katholizismus hegt. Er zweifelt nicht daran, daß die Päpste und Prälaten bewußte Betrüger gewesen, und er ist mit seiner rationellen Vorliebe für den Mittelweg, ›das große Medium‹, der Leidenschaft und der Begeisterung des Mittelalters gegenüber kalt.

Holberg hatte die höchsten Vorstellungen von dem Beruf und der Würde eines Geschichtsschreibers – ›eine Historie ist eines von den schwierigsten Werken, so Jemand unternehmen kann‹ –, und bekanntlich bezeichnet er selbst einen epochemachenden Fortschritt in der dänischen Geschichtsschreibung. Zu einer Zeit, wo trockene Chroniken einerseits, weitläufige Aufzählungen aller Einzelheiten von Krönungs- und Begräbniszeremonien andererseits, in Dänemark noch für Geschichte galten, drang er mit seiner hohen klassischen Geistesbildung, seiner durchaus verständigen Anschauungsweise, seiner Übersichtlichkeit und Erzählungskunst durch.

Auch widerlegt er eifrig die Behauptung, daß Studieren allein genüge, einen Historiker zu bilden; dazu erforderlich seien noch ›Einsicht und Reflexionen‹; ferner handele es sich um Objektivität; bewunderungswürdig sei der Historiker, aus dessen Werk man weder erkenne, welchem Volk noch welchem Religionsbekenntnis er angehöre. Der Geschichtsschreiber dürfe nichts hineinbringen, was nicht zu seiner Erzählung gehöre, auch den Stil nicht zu sehr ausschmücken. Die Engländer finden Geschmack ›an unordentlichen und verwirrenden Schauspielen‹; aber, heißt es echt klassisch, ›der größte Zierrath der Historie ist Simplicität.‹ Der Hauptzweck der Geschichtskunde sei nicht, zu ergötzen, sondern zu unterweisen ›und ein Spiegel zu seyn, darinnen man aus vergangenen Dingen die zukünftigen sehen und beurtheilen‹ könne (›Erwägung über Geschichte‹).

In zwei Hauptpunkten zeigt Holberg sich deswegen in seiner Eigenschaft eines Geschichtsschreibers als ausgeprägter Repräsentant des Klassizismus.

Erstens in seinem Verhältnis zu dem Material, das er benützt.

Strenge, fachwissenschaftliche Kritik der Quellen ist seine Sache nicht. Deutliche Widersprüche oder offenbare Einseitigkeit der Autoren, aus denen er schöpft, rufen allerdings seine Kritik hervor, sowie er andere klassische Historiker, Voltaire zum Beispiel, durch seine Gewissenhaftigkeit außerordentlich übertrifft; doch stellt er sich nie mit peinlicher Strenge die Frage: Was ist Wahrheit in dem aus der Vergangenheit Überlieferten, und wo finde ich dieselbe, falls sie in der Überlieferung nicht enthalten ist? – Nicht die unterirdische Detailkritik des Gegebenen, sondern die lichte und klare Darstellung eines interessanten und anregenden Stoffes machte ihm Freude. Er war von Natur nicht Gelehrter, sondern Schriftsteller, seiner Geistesrichtung nach kein Spezialist, sondern ein Mann des Überblicks. Darum sehen wir, daß, wo Holberg und Gram zu denselben Hauptresultaten gelangen, sie dies jeder auf seinem Weg erreichen, Gram auf dem der Kenntnis und der Kritik, Holberg auf dem der Betrachtung und des Urteils; und darum sehen wir auch, daß, nachdem Gram einen entscheidenden Fortschritt gemacht, indem er die eigentlich historische Kritik in Dänemark einführte, Holberg nicht nur, wie schon erwähnt, bei seiner neuen Ausgabe der dänischen Geschichte Grams Forschungen unbenutzt läßt, sondern daß er sich überhaupt von dem Feld abwendet, wo nun neue Bahnen, die er nicht einschlagen konnte, gebrochen waren; daß er seine historischen Forschungen aufgibt und die Geschichte Dänemarks mit anderen Gebieten vertauscht, wo die Forderungen weniger streng waren und er sich mit größerer Freiheit bewegen konnte.

Zweitens ist Holberg in seiner historischen Darstellungsweise entschiedener Klassiker. Es handelt sich, wie er meint, hauptsächlich darum, ›was man schreibet, in einem simpeln und zugleich zierlichen und bündigen Stil auszuführen.‹ Gleich den zeitgenössischen Historikern des Auslandes hat er seine Hauptstärke im Erzählen und Erklären. Er trägt klar und fließend vor (doch nicht ohne Wiederholungen) mit der Absicht, dem Leser eine verständige Unterhaltung zu gewähren; er erklärt sorgfältig, leidenschaftslos, mit einem gesunden, wenn auch etwas zu leicht befriedigten Trieb, sich Rechenschaft und dem Leser Gründe zu geben.

Was fehlt, ist einerseits Sinnlichkeit, andererseits Seele: Holbergs Mitteilungen sind klar, aber niemals anschaulich, sie geben kein Bild. Man sieht nicht das vor sich, was dem Berichte nach geschieht – der Erzähler ist kein Maler. Und andererseits: Da er ja einzig, weil die Begebenheiten ihm die Hauptsache sind, wesentlich Erzähler und pragmatischer Erklärer wird, so treten die Persönlichkeiten in seiner Geschichte nur um der Begebenheiten willen auf; ob auch genügend Leben und Handlung, ist doch im Grunde keine Seele darin. Die Beschaffenheit des Stiles bringt es mit sich, daß derselbe niemals eines von den Worten gebraucht, die plötzlich, wie ein Blitz aufzuckend, uns den Einblick in eine Menschenseele eröffnen. Daß Geschichte wesentlich Psychologie ist – dieser Gedanke ist Holberg und seinem Zeitalter fremd.

Sehr deutlich offenbart sich die Begrenzung in den Werken, die augenscheinlich gerade aufs Psychologische angelegt sind, wie in der ›Geschichte verschiedener Heldinnen‹. Entsprach das Heroische an und für sich nicht sonderlich Holbergs Talent, so war dies mit dem speziell Weiblichen noch weniger der Fall. Deshalb liegt nicht der schwächste Hauch von Weiblichkeit über dieser ganzen Schrift. Selbst wo Holberg dem Weiblichen ganz nahe ist, erfaßt er es nicht, weil er keinen Blick dafür hat. Bei den Widersprüchen im Wesen der großen Frauen bemerkt er nicht, daß sie feminin sind; sie erregen nur seinen komischen Sinn. Nachdem er z.B. die Königin Elisabeth in ihrer Größe geschildert und ein paar Anekdoten zur Erhärtung ihrer eitlen Gefallsüchtigkeit daran geknüpft, schließt er zur Überraschung des Lesers: ›Man siehet hieraus, daß diese Königin etwas an sich hatte, so ›comique‹ war.‹ Man stutzt förmlich bei dem Wort.

In der ›Geschichte verschiedener Helden‹ tritt die klassische Anschauungsweise vielleicht am klarsten und grellsten hervor. Die Helden sind – nicht ohne Zwang – nach Plutarchs Muster, je zwei und zwei, zusammengestellt. Jedoch Plutarch hatte eine Grundlage für seine Vergleiche: Er parallelisierte beständig einen Griechen mit einem Römer des Altertums. Holberg dagegen stellt den Großmogul Akebar mit Zar Peter dem Großen zusammen, Zoroaster mit Muhammed etc., als wären sie gleichartige Größen. Gestalten aus der Vorzeit und Persönlichkeiten aus dem 18. Jahrhundert, Tataren, Perser, Türken, Russen, Mexikaner und Peruaner werden in demselben lebhaften, unterhaltenden, verständigen und klaren Stil geschildert: Sie nehmen sich alle gleichmäßig aus. Holberg hat sie in Szene gesetzt, wie die französische Tragödie zu seiner Zeit ihre Perser und Mexikaner in Szene setzte, mit Helm und Degen, im wesentlichen wie die Zeitgenossen gekleidet und räsonierend wie sie.

Er schildert sie so, weil er sie in dieser Weise sich vorstellt. Im Grunde ist seine eigene Zeit die einzige, welche er versteht, gleichwie sein eigenes Land und dessen Könige – trotz all seines Strebens, historische Objektivität zu erreichen – unwillkürlich in einem weit bessern Lichte vor ihm stehen als alle andern. Dänemark ist, wie er sagt, seit Christiern des Ersten Zeit ›regieret worden von lauter Fredericis und Christianis, und gleichwie selbige Könige alle den Namen überein gehabt, so waren sie auch alle einander gleich in Tugenden, also daß man in beiden Hinsichten kann den Oldenburgschen Königs-Stamm vor den merkwürdigsten und ansehnlichsten in der Historie halten. Der einzige Fleck‹, fügte er hinzu, ›ist Christiani II. Regiment.‹ Christian II. hielt ja keineswegs ›das große Medium.‹ – Es ist, als ob selbst die Gleichheit der Namen Holbergs klassischem Instinkt zugesagt hätte; sie wechseln ab wie Leonard und Jeronimus in der Komödie, alle auf einem gewissen Verstandes-Niveau stehend, einen gewissen Mittelweg einschlagend, ohne durch irgendeine das Land erschütternde Leidenschaft, Größe oder Torheit die Regularität zu unterbrechen – mit alleiniger Ausnahme der Regierung jenes Christians, die einen Fleck bildet.

Ein Jahrhundert später hätte Holberg diesen Platz als Historiker nicht ausgefüllt. Nun konnte er seinem räsonierenden Trieb folgen, sich von seinem großen Erzählungstalent leiten lassen, seiner Neigung, auch auf diesem Felde zu erklären und zu moralisieren, freie Zügel geben, und durch seine Urteilskraft und seinen Takt gelangte er dazu, der dänischen Geschichtsschreibung die Bahn zu brechen.

Die Begrenzung des historischen Gefühls und das Übergewicht des abstrahierenden Verstandes bestimmten bei Holberg, wie fast bei allen hervorragenden Schriftstellern des Zeitalters, den Gesichtspunkt für Religion und Moral.

Gleich ihnen geht er davon aus, daß man auf Vernunft, nicht auf Autorität bauen soll. Aber der Glaube an die Vernunft hat den Sinn, daß man überzeugt ist, sie sei in allem historisch Entstandenen als Kern zu finden; sie ist ursprünglich darin gewesen, nur später durch Zusätze entstellt worden. – Diese Religionsauffassung stammt zum Teil von den Reformatoren; gleich diesen meinten die Deisten, gegenüber dem Christentum gelte es, dasselbe zu einer früheren ursprünglichen Reinheit zurückzuführen, nur daß sie einen anderen Blick für diese ehemalige Reinheit der Lehre hatten. Die wahre Religion ist ihrer Ansicht nach von den Priestern verdorben, so wie die unwahren Religionen durch bewußten Betrug von den Priestern erdichtet sind. Die Polemik des Zeitalters gegen die Geistlichkeit finden wir wiederum bei Holberg, wo er sich getraut, gegen dieselbe vorzugehen; sie kommt, wie wir sahen, zu Worte in ›Peter Paars‹; aber die Vorsicht, welche die Aufnahme des Gedichtes und überdies die Zensur Holberg eingeprägt, hatte zur Folge, daß in den Komödien kein einziger Geistlicher vorkommt. Dagegen nimmt Holberg den Angriff wieder auf in ›Niels Klim‹, wo die Polemik auf Umwegen und lateinisch geführt wird, und in der ›Kirchengeschichte‹, deren Päpste für ihn nur eine Reihe machtliebender Intriganten sind.

Die verschiedenen Schriftsteller jener Zeit, welche sämtlich die Vernunft als obersten Richter erklären – ›glauben ist dasselbe wie wissen‹ (Holberg) –, bleiben nun auf verschiedenen Stufen stehen: Einige, vornehmlich Engländer und Franzosen, brechen offiziell mit dem Christentum; andere, wie die Deutschen und Holberg, sind bestrebt, es in Übereinstimmung mit der Vernunft zu bringen; aber auf einem gewissen Punkt stockt bei ihnen allen ihr Einigungsprozeß des Überlieferten. In der festen Überzeugung, durch Verschmelzung der Orthodoxie das reine Gold der philosophischen Wahrheit gewinnen zu können, wirft der Verstand die altsemitische Religion – wie in Holbergs Schauspiel der Alchimist sein arabisches Pulver – auf die Pfanne und findet nach vollbrachter Operation einen bildlichen Niederschlag, den er Gott nennt, der aber in Wirklichkeit durchaus nichts anderes ist als das undeutliche Spiegelbild dieses nämlichen Verstandes, der die Einschmelzung vornimmt und nun auf dem Boden der Pfanne sich selbst wiederfindet. Ohne diesen Gott kann der Verstand sich den Anfang nicht denken; ist aber einmal angefangen worden, dann greift dieser Gott nicht mehr ein.

Taine hat mit Recht diesen klassischen Gott als Rest der Religion mit dem klassischen Vers, dem Alexandriner, verglichen, welcher als Rest der Poesie zurückblieb, als der klassische Verstand Lyrik und Epos einschmolz: ›Gleich dem Alexandriner nimmt dieser Gott sich gut aus, wird ohne Schwierigkeit verstanden, ist in stetem Gleichgewicht, hat weder Schwung noch Kraft in sich, setzt niemand von denen, die sich mit ihm befassen, in irgendwelche Gemütserregung, und gleich dem Alexandrinerverse ist er nicht das Produkt einer poetischen oder prophetischen Begeisterung, sondern des kalten, räsonierenden Verstandes.‹ (Hist. de la litt. anglaise IV.) Holbergs Gott gleicht Holbergs Vers. Nur ist zu bemerken, daß nach und nach, wie die Jahre dahingingen und die heimischen Verhältnisse ihren täglichen, ununterbrochenen Einfluß auf ihn ausübten, Holberg sich von dem Standpunkt seiner Jugend wenigstens soweit entfernte, daß er die Pflicht, an die Mysterien der Religion zu glauben, betont und sich den englischen Angriffen gegenüber auf die Seite des Offenbarungsglaubens stellt.

Und ganz wie nach der Ansicht der Zeit hinter den falschen Glaubensbekenntnissen sich eine wahre, natürliche Religion findet – Gott, Freiheit, Strafe und Belohnung nach dem Tode –, ebenso findet sich auch hinter den positiven bürgerlichen und politischen Gesetzen ein Naturrecht, das herausgefunden werden kann und das zurückbleibt, wenn man all das Veraltete ausschmelzt, wie es z. B. in Holbergs ›Natur- und Völkerrecht‹ geschieht. Der Kern der Religion ist die Moral. Religion ohne Moral ist keine Religion, aber ›Moral ohne Religion ist immer Moral‹. Und die Moral ist wieder Vernunft. Wie es im ›Natur- und Völkerrecht‹ heißt: ›Vernunft ist die einzige Grundlage des Gewissens.‹

Dieser Gott ist also gleich weit von dem althebräischen Feuergott und Gesetzesgott wie von der Weltgottheit der modernen deutschen Poesie und Philosophie entfernt. Diese Moral steigt nicht zu einem Kantschen kategorischen Imperativ oder zu irgendeinem christlichen Paradoxon empor. Diese Vernunft stürmt nicht den Himmel, läßt sich nicht auf die höchsten, schwierigsten Spekulationen ein. Diese moralisierende Vernunft oder Vernunft-Moral lebt und atmet, atmet gesund und frei, hier auf Erden; sie ist gemütlich und bürgerlich, ernst, ohne rigoristisch zu sein, schalkhaft und oftmals witzig in ihrem Ausdruck, wohlgeeignet, einer Nation von schlichten Bürgers- und Handwerksleuten Lebensweisheit zu lehren. Sie begnügt sich mit Mittelwahrheiten und paßt ganz ausgezeichnet für jenen Mittelstand, dessen Emanzipation der Zeit Holbergs vorangegangen war und dessen Dichter und Lehrer er wurde.

Oft scheint das Sujet, welches den Komödien zugrunde liegt, fast zu untergeordnet, wie z.B. in ›Die Wochenstube‹ oder in ›Der geschäftige Müßiggänger‹ aber die sprudelnde Laune sowie die vielseitige und scharfe Beobachtung machen Darstellung und Lehre unvergeßlich. Bisweilen können die Gegenstände, wie die in ›Moralische Gedanken‹ behandelten, allzu gewöhnlich, allzu naheliegend scheinen: Wir wissen, daß man nicht zu alt heiraten soll; daß man weder ein Stutzer sein noch unnötig gegen die Mode sich auflehnen soll; daß man eher danach trachten soll, sich Verdienste, als einen Rang zu erwerben usw.; aber der Aufsatz über die Ehe in ›Moralische Gedanken‹ ist gleichwohl so gesund gedacht, so meisterlich geschrieben, so witzig begründet und in seinem schönheitshuldigenden Schlußvorschlag – man solle die schönen Mädchen in unvermähltem Stande bewahren zur Zierde für die Stadt – so dichterisch ausgelassen, daß kein noch so tiefer Gedanke größere Anziehungskraft ausüben oder sich stärker einprägen könnte als dieses Bekenntnis eines Weltmannes. Endlich waren die Abhandlungen über die falsche Gottesfurcht, die uns heutzutage so selbstverständlich scheinen, einstmals dreist und sind jetzt noch witzig.

Überhaupt dürfen wir Jetztlebenden Holberg gegenüber nie vergessen, daß, was nun zu wahr ist, um noch ausgesprochen zu werden, einst ein Paradoxon gewesen, und daß Holberg es war, der den Mut gehabt, unsere moralischen und ästhetischen Lebenswahrheiten als Paradoxen aufzustellen und den Kampf für dieselben auszuhalten, bis sie Truismen wurden. Er stand einem Publikum gegenüber, dem er seine Satire mit Löffeln eingießen und seine Moral in den Mund eintrichtern mußte. Und nichts entsprach mehr seinem Talent als diese Propaganda für den Moral- und Vernunftglauben, dem er wie das ganze Zeitalter so naiv und ernsthaft huldigte.

Die klassische Geistesform bedient sich in Frankreich und England jedes Genres, um in geschmackvoller und ansprechender Weise zu moralisieren. Darstellungsarten, die bisher außerhalb der schönen Literatur lagen, verwertet sie literarisch: die moralische Abhandlung, die Epistel, die Fabel. Holberg aber hat (im Gegensatz zu Molière, dessen Jahrhundert hinter ihm liegt, doch ganz wie Voltaire) den Trieb des Publizisten, sich in den verschiedensten Kunstformen zu versuchen. Die Form der Fabel mißlingt ihm, weil es ihm an Naivität gebricht und weil er allzusehr mit didaktischer Absicht beladen ist; aber er beweist seinen Landsleuten, daß moralphilosophische Erwägungen ein lehrreiches Unterhaltungsbuch abgeben können.

Die klassische Geistesform bildet endlich den Roman um, wie sie allen andern Kunstarten ihren Stempel aufdrückt; sie macht ihn philosophisch, allegorisch, wie wir ihn in England besonders bei Swift, in Frankreich vornehmlich bei Voltaire treffen – und zufolge einer förmlichen Tradition, ganz im Sinne des Zeitgeistes, schreibt Holberg ›Niels Klim‹. Um den ererbten Vorurteilen zu Leibe zu gehen, ohne direkt sich mit den sie tragenden und von ihnen getragenen Institutionen zu überwerfen, verglich man diese Vorurteile mit andern, die etwa in Persien, auf dem Sirius oder unter der Erde an der Tagesordnung waren und deren Herrschaft dort ebenso unangefochten war. Indem man den üblichen Sitten und Bräuchen, dem herrschenden Religions- und Rechtssystem die Lebensweise anderer Völker, die Ansichten der Bewohner anderer Weltkörper, die Gesellschaftseinrichtung der Menschenbäume oder der Affenmenschen gegenüberstellte, wurde das, was in der Heimat für das unbedingt Geziemende galt, relativ gemacht und einer ironischen Beleuchtung ausgesetzt. Vortrefflich paßte dieses Kampfverfahren für Holberg, dessen Phantasie stets vom Befreiungstrieb geleitet war und dessen Humor, selbst wenn er sich in Ausgelassenheit ergehen ließ, immer vom Verstand im Zügel gehalten wurde. Überdies war es für den großen Schriftsteller, zumal da die Zeiten drückend wurden, eine Versuchung, auf einem neuen Umweg zu philosophieren. Die Kunstform des philosophischen Romans ist heutzutage veraltet; nichtsdestoweniger ist ›Niels Klim‹ – obschon etwas unfrisch – eine von den am besten gelungenen Arbeiten Holbergs.

Wir sehen also, daß auf allen diesen zahlreichen Gebieten Holberg die klassische Geistesform fertig und ausgebildet vorfindet; sein Geist schlüpft in diese Form wie in sein natürliches Gewand, ein Waffenkleid, das ihn niemals drückt, ihn vielmehr stets schützt, wappnet und stärkt – und durch diese glückliche Übereinstimmung wird dieser Geist dermaßen ausgerüstet, daß er der herrschende in der Kultur seines Landes wird.

Es ist nicht zuviel gesagt, wenn wir behaupten, daß der klassische Panzer ihn niemals drückt. Derselbe kann ihm jedoch zu eng werden, und in diesem Falle legt er ihn ab – ist er doch von Anfang an eigentlich eine Waffentracht für romanische Krieger! Molière trägt diesen Panzer mit unendlicher Grazie, mit gleicher Leichtigkeit zum Kampf wie zum Fest. Der Glückliche! Glücklich in all seinem Unglück! Er saß an der Quelle; er fand um sich den ersten Hof der Welt, die beste und schlechteste Gesellschaft der Zeit; ihm stand Europas am höchsten und feinsten entwickelte Sprache zu Gebote, und er beherrschte sie vollkommen. Außerdem fand er mit seinem reichen Gemüt Ausdruck für das tiefe Gefühl, die edle Entrüstung, für Schwärmerei und Liebe nicht weniger als für Witz und Humor. Er konnte bis zu Alcestes erhabener Menschenverachtung emporsteigen, während Holberg bei Philemons ehrbarer Selbstverteidigung stehen bleiben mußte; er konnte Tartuffe in all seiner unheimlichen Größe schildern, während Holberg sich damit begnügen mußte, den kleinen, verschrumpften Heuchler Jeronimus in ›Pernilles kurzer Fräuleinstand‹ zu zeichnen. Selbst wenn Holberg an Tiefe und Innigkeit des Gefühls, an Glut und Duft der Erotik sich mit Molieire hätte messen können, müßte er doch als Sohn eines unzivilisierten Landes mit einer unentwickelten Sprache in Freiheit und Anmut des Ausdrucks weit hinter ihm zurückstehen. In Humor und Ausgelassenheit dagegen mißt er sich mit ihm (man denke an ›Ulysses von Ithacia‹); in bezug auf Tiefe ist er ihm bisweilen ebenbürtig – aber in einem Punkte übertrifft er ihn sogar.

Wir sahen, wie Holberg in der Apologie des Sängers Tigellius das Problem stellt, auf welche Weise es zugehe, daß gänzlich verschiedenartige Eigenschaften in einem und demselben Individuum vereinigt sein können, und wie er in ›Die Wankelmütige‹ an dem Problem herumtappt, viele Seiten, selbst die einander widersprechenden, in einem menschlichen Charakter zu vereinigen; doch sahen wir auch, daß er geschwind im Geiste des Klassizismus und in der Art Molières sich darauf beschränkt, den Schwerpunkt des Charakters auf eine einzelne vorherrschende Eigenschaft zu legen, in welcher alles aufgeht.

Und doch – mitunter ist es, als ob in ihm die Neigung seines Stammes gegen diese Anschauungsweise und dieses Verfahren reagiere, das einfacher, aber weniger umfassend und befriedigend ist; und alsdann begegnen wir bei ihm der vollständigen Beobachtung und vollständigen Phantasie, wie wir bei Molière sie niemals treffen. In den Entwürfen zu seinen Schauspielen, in der szenischen Anordnung entfernt Holberg sich nie von dem klassischen Muster, wohl aber in der Charakterschilderung. Das geschieht, wo er am allerhöchsten reicht, in ›Erasmus Montanus‹, am deutlichsten vielleicht in ›Jeppe vom Berge‹. Hier ist es, als ob der Nordländer in Holberg, fast möchte man sagen, der Niederländer in ihm, der Mann aus der halbniederländischen Hansestadt droben in Norwegen, das romanische Sehrohr, welches die fremde Kultur ihm in die Hand gedrückt, weggeworfen hätte. Hier ist die Allseitigkeit erreicht.

Man denke an Jeppe! Alles, was wir wissen möchten, wenn wir die Bekanntschaft eines Menschen zu machen wünschen, ja weit mehr noch, als wir sonst von den Menschen zu wissen pflegen, die wir in Wirklichkeit kennen oder auf der Bühne treffen, erfahren wir von Jeppe. Was für eine Art Mensch ist er, und wie wurde er zu dem, der er ist? Wie ist sein Temperament, welche Laster und Tugenden hat er? Wieviel Willenskraft kann er aufbieten? Hat er Verstand, und welcher Art ist derselbe? Was ist seine herrschende Leidenschaft? Für welche Vergnügungen ist er empfänglich, und was ist sein Ideal vom Glück? Was ist sein Stolz oder seine schwache Seite, wo steckt der Narr und wo der Irrsinnige in ihm? Worin ist er borniert, und welche sind seine Vorurteile? Was hat er erlebt, gelernt und gelesen? Was ist der feste Kern in ihm, der sich gleichbleibt unter allen äußerlichen Wandlungen, und welche von seinen Eigenschaften sind einfach Folgen der Umstände, unter denen er lebt, und ändern sich mit diesen? Was ist seine Religion und was seine Philosophie? Welche Vorstellungen hat er von Leben und Tod, von Gott und der Welt, von einem anderen Leben? Welche Eindrücke hat er von dem Treiben der Menschen empfangen, mit denen er in Berührung kam? Wie lebt er, und mit welchen Gefühlen wird er sterben? – Auf jede dieser Fragen gibt das Stück uns Antwort, und jede dieser Antworten steht in so naher Verbindung mit den anderen, daß sie aus ihnen konstruiert werden können. Hier also haben wir einen Jeppe, der unterhaltend für Kinder und Dienstboten ist, aber zugleich einen andern, der Interesse bietet für den Psychologen, den Staatsmann, den Bauernfreund, den Offizier, den Historiker und den Arzt.

Nehmen wir Jeppe, wie er vor uns steht im ersten Akt, unterdrückt bis zum Stumpfsinn, Sklave des Gutsbesitzers, des Reitvogtes und seiner eigenen Frau, von ihr und dem Küster betrogen und verhöhnt, mutlos gegenüber seinem weiblichen Plagegeist, rechtlos gegenüber seinen männlichen Despoten, geschimpft und geprügelt, weil er trinkt, und trinkend, um Scheltworte und Prügel zu vergessen! Wir sehen ihn aus dem Hause gesprengt in früher Morgenstunde, um einen langen Weg in undenkbar kurzer Zeit zurückzulegen, nüchtern, ohne daheim einen Bissen oder einen Tropfen genossen zu haben. Begreift man da nicht, daß er seine Zuflucht zum Schuhmacher Jakob nimmt, und daß er dies tagaus, tagein getan? Der Branntwein ist sein einziges Alibi, ist dasselbe für ihn, was Musik und Poesie für uns sind. Während des Rausches tauchen Jeppes Erinnerungen auf: Seine Soldatenzeit fällt ihm ein, sein bißchen Deutsch, seine Kampagnen; und obschon diese nicht gerade sonderlich ehrenvoll gewesen, sind die Feldzüge, die er mitgemacht, augenscheinlich doch seine stolzeste Erinnerung; er findet keine rühmlicheren Worte, die er an seiner Bahre dem Pfarrer in den Mund legen möchte, als die so unsäglich komischen, daß er als Soldat gelebt habe und als Soldat gestorben sei. Zehn Jahre seines Lebens hat er unter der ›Malicie‹ (Miliz) gestanden und vielleicht dreimal so lange Zeit unter der noch schlimmeren Malice seiner Frau; immer ist er geplagt worden und immer hat er sich plagen müssen, gelernt hat er soviel wie nichts. Es ist leicht zu erraten, welcher Art seine Kenntnisse sind: Seine Bilder sind aus dem Stall und aus der Bibel geholt, und Jeppe ist sicherer in Anwendung der ersteren als der letzteren; von Bücherweisheit hat er so viel inne, daß er ein paar Namen aus der biblischen Geschichte, aus den Volksweisen und aus Holger Danskes Chronik unrichtig anbringen kann (Abraham und Eva, Klein Kirsten und Herr Peter, Abner und Roland). Er hat einen Freund, den braven Moons Christoffersen, der ihm gute Ratschläge gibt, die ihm nichts helfen, und einen andern noch bessern und viel nützlicheren Freund: sein scheckiges Pferd, das eine Hauptrolle in seinem Ideenkreis spielt; dreimal kommt er auf dasselbe zurück; er liebt es, wie seine Vorfahren vor alters her dessen Ahnen liebten. Er war immer arm wie eine Kirchenmaus; darum weiß er, was Geld wert ist; darum wird er so geizig und habsüchtig, als er sich im Besitz von Gelde glaubt; darum krümmt er sich und küßt einem die Hand für vier Reichstaler und wirft den Kopf in den Nacken und läßt sie in der Tasche klappern, sobald er sie hat. Wohl möglich, daß der Scheck, wenn alles zu allem kommt, bessere Tage gehabt als Jeppe!

Es ist natürlich, daß einer, der wie ein Gaul arbeitet, kein besseres Vergnügen kennt als ein Hund. Der rohen Vorstellung von Arbeit entspricht die rohe Vorstellung von Lustbarkeit. Was Wunder also, daß Jeppe als Baron über die Maßen ißt und trinkt, daß er die Süßigkeit der Macht und der Rache einsaugt und dem Reitvogt dasselbe Schicksal bereiten will, welches der Küster ihm bereitet hat. Welche andere Vorstellung von Glück kann er haben, als daß man ein gutes Bett hat, feine Kleider, viel zu essen, süßen Wein im Überfluß, viele Diener und eine Dienerin? Ein Grad höher: ein extra gutes Bett, extra feine Kleider usw. – das ist nicht mehr Glück, das ist Seligkeit! Mit gutem Grund nimmt Jeppe daher an, da man Fuchsprellen mit ihm gespielt, daß er direkt in den Himmel hineingeflogen sei. Er weiß, für welchen Preis man der Seligkeit teilhaftig wird: Rechtschaffenheit, Anständigkeit – dies sind die erforderlichen Tugenden. Worin besteht denn die Anständigkeit? Wer hat von Rechts wegen Anspruch aufs Himmelreich? – Das hat der, welcher ›bei der Herrschaft niemals auch nur mit einem Schilling in Rest blieb‹. Alles steht im Zusammenhang: Dem Begriff von der höchsten Tugend entspricht der Begriff vom höchsten Glück. Die eine Vorstellung ist ebenso positiv, handgreiflich, leibhaftig wie die andere. ›Ein seelenguter Kerl‹ ist Jeppe; doch ist es ganz in der Ordnung, daß seine Glückseligkeit von so kurzer Dauer; denn die ewige Seligkeit hat er nicht verdient; allzurasch vergißt er seine Abgaben und die Verpflichtungen, welche sein Pachtkontrakt ihm auferlegt, und – ein echt dänischer Zug aus dem gemeinen Volk – Jeppe achtet einen Eidschwur nicht höher als den Pachtkontrakt; er will mit Freuden den ›höchsten Eid darauf ablegen, daß alles Lügen sind, worauf er vorhin geschworen hat.‹ Er hat nicht mehr Respekt vor dem Gericht als vor den übrigen Autoritäten. Gleichwie ein Gutsherr für ihn ein von unbekannten Mächten eingesetztes gebieterisches Wesen ist, dessen Geschäft darin besteht, den Bauern ihre sauer erworbenen Pfennige zu nehmen, um selbst wieder von denen bestohlen und betrogen zu werden, die in seinem Auftrag die Plünderung vollziehen; gleichwie ein Priester für ihn ein Mann ist, dessen Haupttugend in einem gewaltigen Rednerorgan besteht, vermöge dessen er den Bauern den Glauben beibringen kann; und gleichwie ein Küster erst dann ein rechter und gelernter Küster ist, wenn er eine durchdringende Singstimme hat, womit er seinen Glauben so hinauskräht, daß er den Glauben von allen andern Küstern überschreit, so sind Richter und Prokuratoren für Jeppe bloß ein Haufen schwarzgekleideter, bestechlicher Schurken. Er zweifelt nicht daran, daß der echte religiöse Stoßseufzer folgender ist: ›Gott erhalte unsere Freunde, und der Teufel hole alle unsere Feinde!‹ Jeppe kennt die Welt und die Menschen; er hat seine eigene, nicht im geringsten bittere, aber düstere Lebensphilosophie. Er ist pfiffig und mißtrauisch. Welche echt dänische Bauerneigenschaft ist nicht wieder dieses Mißtrauen! Das Leben hat ihn dasselbe gelehrt, und Jeppe hat es nötig, um durchs Leben zu kommen; darum ist es so verwachsen mit ihm. Niemals gelingt es, seinen Argwohn zu überlisten, selbst wenn er betreffs seiner innern und äußern Verhältnisse am allermeisten getäuscht und irregeführt ist. Jeppe hat Gemüt – wer zweifelt daran! – ja, soviel, daß jede Behauptung, Holberg selbst habe kein Gemüt gehabt, sich für den, welcher Jeppe vor Augen hat, albern ausnimmt; aber Jeppe ist besonnen, schlau, seeländisch genug, daß das Herz nicht mit ihm durchgeht. Jedesmal, wenn man glaubt: jetzt wird er gerührt, jetzt verliert er den festen Halt und seine sichere Verstandesüberlegenheit all den Philistern gegenüber, die mit ihm ihren Schabernack treiben – so wird man aufs angenehmste überrascht, indem man sieht, daß er augenblicklich wieder er selbst ist. Seine Einfältigkeit wird von der Kenntnis und der Bildung der anderen ausgebeutet, sein Gefühl dient ihrer Erfahrung zum Spielzeug; aber er behält stets den Kopf oben, und sein Verstand weiß das Gefühl immer wieder zu befreien. Gewiß bricht er in Tränen aus, als sein Defensor ihn verteidigt; mit einem ›Gott segne Deinen Mund!‹ bietet er ihm seinen Kautabak an – man meint, er zerschmelze vor Dankbarkeit; als aber der Advokat die Gabe zurückweist, da er nicht um des Gewinstes willen spreche, ist Jeppe weit entfernt, sonderlich bewegt zu werden; er sagt trocken: ›Da bitt ich um Entschuldigung, Herr Procurator; ich hätte nicht gedacht, daß Euresgleichen so ehrlich wäre.‹ Ähnlich ist es auch, als der Richter ihn wieder zum Leben verurteilt; Jeppe ist bewegt, man erwartet Dank und Herzensergüsse. ›Dank' uns‹, sagt der Richter, ›daß wir so gnädig gewesen, dich wieder zum Leben zu verurtheilen.‹ – ›Wenn Ihr mich nicht selbst aufgehängt hättet‹, antwortet Jeppe, ›wollt ich Euch gerne dafür danken, daß Ihr mich losgeschnitten habt.‹ Diese mißtrauische Klugheit ist sein Schild: An ihr prallen in seinem Baronstand Bitten und Schmeicheleien, ›Complimente und Baslemente‹ ab; Jeppe ist weniger empfänglich dafür, als vermutlich der Baron selbst gewesen.

Sein guter Kopf, sein gesunder Witz bleibt sich stets gleich; und hierin gibt sich, wie Carsten Hauch sagte, die Zähigkeit und Lebenskraft des Volksstammes unter allen Erniedrigungen zu erkennen. Im ersten Akt äußern diese Eigenschaften sich als Schelmerei, als Bauernwitz, als ausgelassener Humor des Trunkenboldes; von dem Augenblick aber, da Jeppe im zweiten Akt als Baron erwacht, bekommt sein armer Kopf derartige theoretische und praktische Aufgaben zu lösen, daß all sein angeborener Scharfsinn in Beschlag genommen und daran zuschanden wird. Unter außerordentlichen Verhältnissen entwickeln sich bekanntlich außerordentliche Kräfte, und nichts ist nun mehr unterhaltend, als hier zu sehen, wie dieser arme ungeschliffene Verstand, dem plötzlich Riesenprobleme vorgelegt werden, sich nach besten Kräften damit abarbeitet und mit seiner gesunden, aber unzulänglichen Logik gegen alle diese Schwierigkeiten kämpft wie ein David gegen einen Goliath. Sind es doch keine geringeren als die höchsten metaphysischen Aufgaben, welche an Jeppe herantreten! Es ist das Problem vom Ich oder Nicht-Ich. Ist all dieses, was er ringsum sieht, eine äußere Wirklichkeit oder nur ein Bild seiner Phantasie? ›Träum ich oder wach ich?‹ fragt er. Dieser Knoten, der durch Argumente und Beweise unmöglich zu lösen ist, wenn der unmittelbare Sinn ins Schwanken geriet und denselben nicht zu durchhauen vermag – dieser Knoten ist's, den er zu entwirren sucht. Er weiß nicht, daß sein Gedankengang sich immer im Kreislauf bewegt und nicht von der Stelle kommen kann; er rührt an seinen hohlen Zahn, er kneift sich in den Arm, um Gewißheit zu erlangen, vergißt aber, daß auch die Empfindung erträumt sein kann. – Träum ich oder wach ich? Bin ich lebendig oder gestorben? Bin ich Jeppe vom Berge, oder bin ich nicht Jeppe vom Berge? Das sind die Fragen, welche ihn beschäftigen. Als tüchtiger Denker gelangt er zuletzt so weit, an seiner eigenen Identität zu zweifeln. Dies ist der schreiendste, am höchsten potenzierte und darum am meisten komische Widerspruch von allen. Hier ist der Widerspruch, auf welchem die Komik beruht, so stark gespannt als nur möglich, ohne bis zum Aberwitz ausgedehnt zu werden. Jeppe steht am Rande des Wahnsinns, gleich dem geschäftigen Müßiggänger, wenn dieser ausruft: ›Ich bin Alexander Magnus!‹ Die Situation ist eine unerschöpfliche Quelle des Lachens. Wieviel Schlauheit Jeppe auch aufbietet, wie gesund er auch räsoniert – es gelingt ihm doch nicht, das Problem zu lösen, sondern nur, es allmählich zu entfernen. Aber es läßt ihm keine Ruhe: Am nächsten Tag kehrt es in verschärfter Form zurück. Vom Galgen herabgenommen, muß Jeppe sich die Frage stellen, ob er lebendig oder tot sei, ob ein Mensch oder ein Geist, ein Gespenst? Er kann es nicht in seinen Kopf hineinbringen, daß er noch lebendig sein soll; er ist unempfänglich für die Sophismen des Richters, und er vermag sich endlich nur durch die schlaue Hypothese zu beruhigen: ›Vielleicht, wenn man die Leute lebendig hängt, so sterben sie; hängt man sie aber todt, so werden sie wieder lebendig.‹ Er hat das Bedürfnis, wenigstens formell einigermaßen Ordnung in seine Begriffe zu bringen. Die Ordnung ist nur soso; aber der Drang dazu macht Jeppes Kopf alle Ehre.

Der zweite Akt ist eine apokalyptische Komödie: Wir sehen darin, wie Jeppe sich nach seinem Tode verhalten wird; der vierte Akt ist ein Trauerspiel, aus dem wir lernen, mit welchen Gedanken er aus dem Leben scheiden wird. In der verkehrten Welt dieses Stückes kommt die Auferstehung zuerst und hintennach der Tod. Jeppe hat allen Grund, sich für gestorben, für ungerecht hingerichtet zu halten. Sollte indes etwas imstande sein, uns mit der unverzeihlichen Barbarei des Barons auszusöhnen, so war es dies, daß wir durch dieselbe Kenntnis erhalten, wie Jeppe sich in seiner Sterbestunde benehmen wird. Er ist nicht mutig seinem Weib gegenüber und war in seiner Jugend nicht mutig vor der Schlacht; aber er ist nicht bange vor dem Tode – soviel hat er dem Leben nicht zu verdanken. Im ersten Augenblick sinkt er in die Knie, dann aber erhebt er sich mit einer Bitte an den Richter. Diesmal nimmt er seine Zuflucht nicht zu ›Davids Psaltfaß‹ (Psalter), wie da der Tod ihm als Möglichkeit vor Augen schwebte. Jetzt, da derselbe ihm gewiß ist, fällt die konventionelle Frömmigkeit von selber weg. Die Branntweinflasche tritt an Stelle des Psalters als der einzig erprobte, zuverlässige Tröster; Jeppes Gedanke bleibt an der Erde haften. Und als dann die drei Gläser Branntwein getrunken sind, als er erfährt, daß es kein Pardon gebe, ja das Urteil bereits vollstreckt sei – da wendet er sich mit einer Liebe, die seine Frömmigkeit überdauerte und sich stärker als diese bewährte, ganz still und gemütlich an seinen ganzen irdischen Kreis: Er sagt seinen Kindern, seinem Schecken, seinem treuen Hund und all seinem Vieh Lebewohl und ›Dank für gute Gesellschaft‹.

So stellt denn das Stück unter den tollsten Scherzen einen konkreten, typischen Charakter und ein ganzes Menschenleben von der Wiege bis zum Grabe dar.

Das Resultat ist also folgendes: Der klassische Geist, welchen Holberg als den herrschenden in Europa vorfindet und der seiner Zeit, aber nicht seinem Lande angehört (weshalb Holberg auch keine Schule stiftet), paßt merkwürdig für seine Individualität mit ihrer Verstandesbegabung und ihrem Verstandeswitz, ihrer auf das ausschließliche Gebiet des Satirischen und Komischen beschränkten dichterischen Kraft, ihrem Talent zur Abstraktion ohne Schwung – dafür aber mit dem ständigen Gleichgewicht des gesunden Verstandes – und mit ihrer Neigung zur Vernunftreligion und zur Vernunftmoral. In Verskunst, Satire und komischem Epos, in Schauspieldichtung, Geschichtsschreibung und Philosophie versieht der Klassizismus ihn mit einer ganzen Reihe fertiger Geistesformen, Phantasieformen, Gedankenformen, literarischer Formen, worin sein originelles Wesen zu entfalten ihm leicht und natürlich wird. Wo Holberg aber am höchsten reicht, da hat er mit der Entschiedenheit und Kraft des Genies – ohne es selbst klar zu fühlen oder zu wissen – die klassische Geistesform gesprengt und den Menschencharakter ohne Abstraktion mit voller Phantasie, wie Shakespeare es tut, verstanden und dargestellt – und in solchen Fällen übertrifft er sogar sein großes romanisches Vorbild: Molière.


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