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Der dritte Brief

Mein Herr.

Sie haben bisher jederzeit meine Arbeiten gebilliget und mich zu neuen Unternehmungen aufgemuntert. Ihr Beistand hat mich unterstützt, und Ihnen allein habe ich es zu danken, daß ich so vieles zustande bringen können. Was werden Sie aber itzt von mir urteilen, da ich, ohne Ihren Rat vorher einzuholen, das beschwerliche Rentmeisteramt bei der hiesigen hohen Schule übernommen habe. Wird Ihnen diese Veränderung, da ich als ein Philosoph in einen Rentmeister verwandelt worden, nicht ebenso lächerlich scheinen als die erste, da ich die Stelle eines Korporals mit einem öffentlichen Lehramte verwechselt? Werden Sie nicht urteilen, daß ich der Minerva untreu geworden, da ich angefangen, mich dem Merkur zu ergeben?

Quis locus ingenio, nisi quis se carmine solo Vexet? Quis locus ingenio ...: Wie kann ein Dichtertalent sich betätigen, wenn man sich noch mit anderen Dingen plagen muß als mit dem Dichten? (Juvenal, Satiren VII, 63 f.)

Gewiß, ich habe es selbst geglaubt, daß ich die Studien nunmehr verlassen würde, weil ich wußte, daß nur sehr wenige Menschen vermögend sind, diese beiden so ungleichen Beschäftigungen miteinander zu vereinigen. Und da ich auch wirklich wahrnahm, daß ich durch meine neuen Amtsverrichtungen von meinem gewöhnlichen Studieren abgehalten ward, so suchte ich indessen andre aufzumuntern, einige kleine und wohlausgearbeitete Schriften herauszugeben, und versprach demjenigen, der den Preis erhalten würde, eine kleine Belohnung. Hiedurch hoffte ich, von denen ein gelinderes Urteil zu erhalten, welche mich gleich bei dem Antritte meines neuen Amts als einen Überläufer ansahen. Diese aber verfuhren ohnstreitig zu scharf mit mir. Konnte ich denn nach einer vierzigjährigen fast beständigen Arbeit nicht ohne Schande meine Erlassung fordern? So, wie man diejenigen, welche so viele Jahre Dienste geleistet haben, mit Recht und ohne sie des Müßiggangs zu beschuldigen, zu erlassen pflegt. Wenigstens entschuldigte ich mich hiedurch, wenn man mir wegen meines neuen Amts Vorwürfe machte. Ich legte hierauf alle andre Arbeiten an die Seite und las in einigen Monaten nichts als Rechnungsbücher. Aber die natürliche Neigung läßt sich nicht gut dämpfen. Meine alte Lust, zu studieren, wachte wieder auf, und ob ich sie gleich eine Zeitlang unterdrückt hatte, so konnte ich sie doch nicht völlig auslöschen. Es glimmten noch einige Funken in der Asche, welche das Feuer von neuem erregten. Und, daß ich alles kurz zusammenfasse, ich widmete mich meinen vorigen Bemühungen wieder. Ich erfuhr selbst, was der Poet von andern sagt:

... tenet insatiabile multos
Scribendi cacoëthes, et aegre in corde senescit.
tenet insatiabile...: Viele hält das unersättliche böse Geschwür der Schreibwut in seiner Gewalt, und bis ins Alter sitzt es fest in dem kranken Herzen. (Juvenal, Satiren VII, 61 f.)

Denn diejenigen, welche sich einmal den Studien recht ergeben haben, können die Lust, zu studieren, ebensowenig dämpfen, als diejenigen ihre Begierde, zu trinken, zwingen können, welche seit langer Zeit sich dazu gewöhnt haben. Ich teile demnach meine Stunden und widme einen Teil derselben dem Merkur und den andern der Minerva; jenen ehre ich wegen meines Amts; diese aber liebe ich aus Neigung. Und da meine Schriften Beifall finden und zugleich, wie einige urteilen, nicht ohne Nutzen sind, so hoffe ich, daß mir sowohl Merkur als Minerva sollen gewogen werden, da ich mich bemühe, den Nutzen und die Ehre von beiden zu befördern. Und gewiß, ich bin dem Studieren niemals eifriger ergeben als im Brach- und Christmonat, da ich zwar durch allerhand ökonomische Dinge, durch Wechsel, Rechnungen, Briefe und Gerichtshändel vom Studieren abgehalten, aber auch zugleich von neuen dazu aufgemuntert werde. Denn wie das Wasser, wenn es eine Zeitlang durch Dämme aufgehalten worden, nach aufgezogenen Schleusen einen desto stärkern Lauf hat, so wird man auch durch solche ungleiche und miteinander streitende Verrichtungen zwar vom Studieren abgehalten, aber auch zugleich wieder dazu angereizt. Ich kann solches durch die Bücher und Schriften bezeugen, die ich in der Zeit, da ich Quästor gewesen, herausgegeben habe.

In meinem vorigen Briefe versprach ich, eine Kirchenhistorie in dänischer Sprache herauszugeben. Diese Arbeit, welche ich wegen der bereits obenangeführten Ursachen eine Zeitlang ruhen lassen, nahm ich wieder zur Hand, und wie ich mit derselben zustande gekommen war, so gab ich dieses Buch unter folgenden Titel heraus: Allgemeine Kirchenhistorie vom Anfang des Christentums bis auf die Reformation Lutheri mit einigen Anmerkungen über die in der Historie benannten Cyclos und Jahrrechnungen. Alle Exemplare wurden in einem Jahre verkauft, und es erschien gleich darauf eine neue Auflage auf Kosten des Buchhändlers Jacob Preussens. Sie werden sich gewiß über den großen Abgang dieses Werks wundern, da doch in demselben nur eine längst bekannte und so oft bereits abgehandelte Materie vorgetragen wird. Die Welt ist längst mit Universalhistorien überhäuft, und die Leser werden schon durch den bloßen Titel abgeschreckt. Aber dieses Buch hat verschiedene Vorzüge, wodurch es einen besondern Wert erhält. Die Redlichkeit und Unparteilichkeit, welche man überhaupt von einem jeden Geschichtschreiber fordert, habe ich auch in diesem Werke, soviel mir möglich gewesen, aufs sorgfältigste beobachtet. Die Fehler der Kirchenväter werden nicht verschwiegen, bisweilen werden die Ketzer, wenn sie es verdienen, gelobt; ja selbst den römischen Päpsten wird der Ruhm, der ihnen gebühret, nicht entzogen. Ferner habe ich die weltliche Historie allenthalben mit zu Hülfe genommen, soweit dieselbe zur Erläuterung der Kirchengeschichte dienen kann. Es wird eine Begebenheit aus der andern hergeleitet, und eine Geschichte bahnt der andern den Weg. Überall werden die Ursachen entdeckt, woher die Ketzereien, die Empörungen und die Verfolgungen entstanden. Hiedurch unterscheidet sich dieses Werk von einigen magern Chroniken, welche alles ohne Ordnung und Zusammenhang erzählen und, anstatt gründlicher und angenehmer Geschichte, trockne und leere Verzeichnisse von Kirchenlehren und Ketzern enthalten. Endlich habe ich mir angelegen sein lassen, den Ursprung aller Stiftungen und Ordnungen in der Kirche aufzusuchen. Am Ende eines jeden Jahrhunderts wird der Zustand der Kirche in Absicht auf Lehre und Leben aufrichtig beschrieben. Diese Eigenschaften, welche man nebst einigen andern Vorzügen bei meinem Werke wahrnimmt, haben dasselbe, ob es gleich nur eine bekannte Materie abhandelt, dennoch beliebt und gleichsam neu gemacht. Ich urteile aber nicht selbst, sondern ich führe nur an, was andre geurteilet haben. Und der Abgang, den dieses Werk gefunden, zeigt zur Gnüge, daß diejenigen ihre Mühe nicht vergebens anwenden würden, welche sich entschließen wollten, diese Kirchenhistorie in fremde Sprachen zu übersetzen. Ein Geschichtschreiber kann dennoch angenehm und nützlich sein, wenn er gleich eine bereits sehr oft vorgetragene Materie von neuem abhandelt. Es kommt alles auf die Art der Ausführung an, und man weiß, mit welchem Beifalle die historischen Werke des Puffendorfs, Posvets und anderer gelehrten Männer aufgenommen worden. Ich habe allezeit den Mittelweg zwischen Gottfried Arnold und einigen gar zu eifrigen Lutheranern gehalten. Aber diese Aufführung hat nicht allenthalben Beifall gefunden. Ein solches Schicksal haben die Schriftsteller zu erwarten, die keiner Partei blindlings trauen, sondern allein der historischen Wahrheit folgen.

Wie ich diese Arbeit zustande gebracht hatte und wegen meiner beständig anhaltenden Schwachheit nicht unbillig besorgte, daß ich nicht vermögend sein würde, mehrere Schriften auszuarbeiten, so machte ich den Anfang durch verschiedene Belohnungen, die Kräfte der studierenden Jugend zu prüfen. Ich suchte deswegen einige moralische Materie aus und versprach demjenigen, der dieselben in einem dänischen Gedichte am besten ausführen und also den Preis erhalten würde, eine gewisse Belohnung. Bei den meisten fand dieses Vorhaben einen sehr großen Beifall, ob es gleich auch an solchen Leuten nicht fehlte, welche, weil es etwas Ungewöhnliches war, diese Erfindung für töricht hielten. Es war aber doch diese Aufmunterung nicht ohne die gehoffte Wirkung. Denn es traten mit der Zeit fünf Sammlungen von Preisschriften ans Licht, welche nun in jedermanns Händen sind. Andre Freunde der Wissenschaften wurden durch mein Beispiel angetrieben und machten unter ebendenselben Bedingungen andre Materien bekannt, worauf sie gleichfalls gewisse Preise setzten. Durch diese Belohnungen wurden viele neue und bisher unbekannte Dichter, welche ihre eigne Stärke nicht gekannt hatten, aufgemuntert, daß sie sich bemüheten, den Preis zu erhalten. Nunmehr aber wird diese Übung nicht weiter fortgesetzt. So groß auch die Hitze im Anfange war, so sehr ließ dieselbe mit der Zeit nach. Wenn also diese Übungen wieder sollten erneuert werden, so müßte man nicht nur auf eine neue Erfindung, sondern auch auf neue Bedingungen bedacht sein, damit nicht nur junge Leute, sondern auch Männer von Alter und Stande sich darum bemühen möchten.

Ich war aber doch, da ich andre zum Schreiben aufmunterte, selbst nicht müßig, sondern schrieb eine Vergleichung der Geschichte und Taten verschiedener, insonderheit orientalischer und indianischer großer Helden und berühmter Männer, nach dem Beispiel des Plutarchs. Ich habe in diesem Werke folgende Ordnungen erwählt: Zuerst wird eine Abhandlung von einigen Tugenden und Lastern vorangesetzt, wozu die eignen Taten der Helden Gelegenheit geben. Hierauf folgen die Geschichte der Helden und berühmten Männer selbst, und den Schluß macht die nach dem Beispiel des Plutarchs angestellte Vergleichung. Ich habe meistenteils asiatische und indianische Helden erwählt, deren Taten insgemein unbekannt sind. Ich will dieses Werk nicht weitläuftig beschreiben, da es bereits ins Deutsche übersetzt und also auch auswärts nicht unbekannt ist. Ob ich den Schriftsteller einigermaßen erreicht, welchen ich mir in dieser Schrift zum Muster vorgesetzt, solches überlasse ich andern zu entscheiden. Wenn man die Scharfsinnigkeit, den Reichtum der Materie, die Anmut der griechischen Sprache, die freie Schreibart und andre schöne Eigenschaften bedenkt, welche die Schriften des Plutarchs so schätzbar machen, so würde man mich für sehr töricht halten, wenn ich mich mit einem so großen Mann vergleichen wollte. Die Freiheit, welche die alten Schriftsteller hatten, daß sie schreiben konnten, was sie wollten, gibt ihnen auch noch einen großen Vorzug vor den neuern Skribenten, welche entweder ihres Nutzens halber oder auch aus Heuchelei schlechte Schriften abfassen und durch Schmeicheleien das Urteil des Lesers so sehr verderben, daß man die Historien, welche nach der alten und aufrichtigen Art abgefaßt sind, für Satiren und Schandschriften hält. Es ist dieses Buch in Deutschland nach dem Zeugnis der daselbst herauskommenden gelehrten Berichte sehr wohl aufgenommen worden, und es gereicht mir gewiß zu einem besondern Vergnügen, daß meine Arbeit bei unparteiischen und in dieser Sache erfahrnen Richtern Beifall gefunden.

Wie ich noch mit dieser Schrift beschäftiget war, so gab ich eine Beschreibung von meiner Vaterstadt Bergen in Norwegen heraus. Die merkwürdigen Zufälle, welche diese Stadt erfahren, und die vielen Parteien, wodurch dieselbe ehedem zerrüttet und ein Schauplatz bürgerlicher Kriege geworden, geben nicht nur einen reichen Stoff zur Beschreibung dieser Stadt, sondern machen auch das Werkgen selbst den Lesern angenehm und nützlich.

Aus diesen letztern Arbeiten erhellet zur Gnüge, daß ich die Dichtkunst und andre scherzhafte Schriften gänzlich fahrenlassen und mich bloß mit solchen Dingen beschäftiget, welche einem Manne von meinem Alter anständig sind, weil ich selbst überzeugt war, daß dieses meinen Jahren und der ernsthaften Zeit, worin wir leben, am meisten gemäß sei. Aus dieser Ursache unterdrückte ich auch beständig das bekannte Werk, ›Die unterirdische Reise‹, welches nunmehr in verschiedenen Sprachen gelesen wird. Ich hatte solches bereits vor einigen Jahren ausgearbeitet, und ob ich gleich von meinen Freunden unaufhörlich aufgemuntert ward, dasselbe herauszugeben, so blieb ich doch unbeweglich bei meinem einmal gefaßten Vorsatze und ließ mich durch keine Vorstellungen überwinden. Endlich aber erfuhr ein Buchhändler, daß ich eine Schrift ausgearbeitet hätte, wovon sich der Verleger einen gewissen Nutzen versprechen könnte. Es erbot sich also derselbe, nicht nur diese Schrift zu kaufen, sondern er ließ auch nicht ehe nach, mich durch Bitten zu ermüden, bis er dieselbe endlich von mir erhielt. Ich überließ ihm aber doch dieses Werk nicht anders als mit der ausdrücklichen Bedingung, daß er dasselbe, ehe es gedruckt würde, der Zensur übergeben und meinen Namen dabei verschweigen sollte. Es ist zwar in diesem Werke nichts anders als eine Sammlung moralischer Wahrheiten enthalten, welche, wie es die Natur einer solchen Schrift mit sich bringt, in einen unschuldigen Scherz eingekleidet worden. Ich wollte mir aber doch nicht gerne, da ich einmal angefangen hatte, mich mit ernsthaften und wichtigen Dingen zu beschäftigen, von neuem allerhand widrige Urteile von solchen Personen zuziehen, welche alles, was aufgeweckt und scherzhaft ist, für sündlich und der christlichen Ehrbarkeit unanständig ansehen. Ich besorgte, daß man sich bei einer so ernsthaften Zeit darüber wundern möchte, wie ich noch itzt an solchen Kleinigkeiten ein Vergnügen finden können; ja man dürfte wohl gar denken, ich sei bei zunehmenden Jahren wieder zu einem Kinde geworden. Überdem befürchtete ich, daß man von dieser Arbeit, wie von andern moralischen Fabeln, ein verkehrtes und widriges Urteil fällen möchte, welches zwar einem jeden zum Mißvergnügen gereicht, keinem aber beschwerlicher ist als einem Manne, der bereits ein ziemliches Alter erreicht hat und sich beständig mit allerhand Krankheiten plagen muß. Es traf alles vollkommen ein, was ich vermutet hatte. Das erste und einzige Exemplar, welches aus Deutschland hergebracht ward, setzte die ganze Stadt in Bewegung. Allenthalben hörte man verschiedene Reden und Auslegungen, insonderheit von solchen Leuten, welche das Buch nicht gelesen hatten. Es wurden so viele Zusätze und Erklärungen hinzugefügt, und die ganze Einrichtung ward so verkehrt vorgetragen, daß ich endlich selbst glaubte, es sei ein neues Werk, welches von einem andern ausgearbeitet worden. Diese Bewegung dauerte so lange, bis das Buch unparteiischen und vernünftigen Richtern in die Hände geriet. Denn da legte sich der Sturm, und die meisten faßten bessere Gedanken. Ich sage mit Bedacht, die meisten. Denn man findet solche Leute, welche auch in dem deutlichsten Vortrag Heimlichkeiten suchen und sich nach den Schlüssel zu demselben forschen. Man kann solche Leute am besten mit den schädlichen Insekten in der gelehrten Welt vergleichen. Sie machen sich unnötige Sorgen und dichten den Schriftstellern Dinge an, welche ihnen nie in den Sinn gekommen sind. Damit ich aber doch diese tiefsinnigen Leute einigermaßen befriedigen möge, so will ich ihnen hier den Schlüssel zu dem ganzen Werke aufrichtig mitteilen.

Man trifft in meinem Vaterlande verschiedene Personen beiderlei Geschlechts an, welche offenbar von ihrer Gemeinschaft mit den Zauberern und unterirdischen Einwohnern reden und darauf schwören, daß sie in tiefe Höhlen von unterirdischen Leuten abgeholt und hineingezogen worden. Die Torheit dieser Menschen hat zu der gegenwärtigen Erdichtung Gelegenheit gegeben und wird durch das Beispiel des Helden in dieser Fabel, des Nicolaus Klims, lächerlich gemacht. Die Abbildungen, welche hin und wieder in dem Werke angetroffen werden, sind so verschieden und mancherlei und erstrecken sich auf den ganzen Umfang der Sittenlehre, daß also zu einer jeden Seite ein Schlüssel erfordert wird. Ich gestehe, daß diese Schrift in gewisser Absicht eine Satire kann genannt werden, und zwar wegen der scharfen und bittern Schreibart, womit die Laster abgemalt werden. Da aber das menschliche Geschlecht überhaupt angegriffen wird, so ist es eine Satire, die einem Philosophen nicht unanständig ist. Und vielleicht scheint einigen die Schreibart noch gar zu eingeschränkt, furchtsam und kraftlos, weil es die Eigenschaft solcher Schriften notwendig mit sich bringt, daß sie scharf eingerichtet sein und sowohl angreifen als vergnügen müssen. Hierbei aber erfordert die Klugheit, daß die Verfasser solcher Schriften sich sehr wohl hüten, daß sie nicht die Grenzen überschreiten und jemand besonders angreifen. Sie müssen vielmehr ihre Pfeile auf das ganze menschliche Geschlecht überhaupt losdrücken. Wenn sie dieses beobachten, so schreiben sie keine Stachelschriften, sondern sie unterweisen die Menschen, sie verwunden nicht, sondern sie heilen. Je allgemeiner eine Satire ist, desto weniger verdienet sie diesen Namen. Es ist viel leichter zu entschuldigen, wenn man das ganze menschliche Geschlecht angreift, als wenn man eine Nation allein tadelt. Man handelt billiger, wenn man die Laster eines ganzen Volks, als die eines einzelnen Geschlechts bestreitet. Und endlich ist die Satire weit erträglicher, die ein ganzes Geschlecht lächerlich macht, als welche die Fehler und Gebrechen einer Person insonderheit aufdeckt und vorstellt. Diese unterirdische Reise kann mit Recht ein philosophischer Scherz genannt werden, welcher jederzeit erlaubt gewesen, insonderheit, da die Abbildungen so eingerichtet sind, daß sie auf ein jedes Volk gezogen werden können. Es ist also kein Schlüssel nötig, wo die Pforte offenstehet, und man braucht keine Erklärung, wenn die Sache an sich selbst helle und deutlich ist. Ich will aber doch allen denjenigen zum Besten, welche stets einen Schlüssel suchen, das ganze Rätsel auflösen und zeigen, was in diesem Gedichte vergnügt, angreift und unterweiset.

Die ganze Geschichte ist von keiner Erheblichkeit und dienet bloß dazu, die moralischen Lehren und Betrachtungen desto angenehmer vorzutragen. Der Inhalt dieser Fabeln ist, wie ich bereits erwähnt habe, von dem Aberglauben einiger Leute in meinem Vaterlande entlehnt, welche von ihrem Umgange, den sie mit unterirdischen Personen haben, sehr viel zu erzählen pflegen. Es wird vorgegeben, daß der Held dieser Fabeln, Nicolaus Klim, in die Unterwelt geraten sei, welche Erfindung, weil sie neu ist, desto mehr gefällt. Die seltsamen Schicksale dieses Mannes bewegen und vergnügen den Leser durch ihre beständige Veränderungen. Es werden Tiere von einer wunderbaren Gestalt aufgeführt, worauf noch niemand gefallen ist. Es kommen redende Bäume und musikalische Instrumente vor, die Vernunft haben. Der Ausgang dieser Geschichte setzt den Leser in Bewegung, da der Stifter der fünften Monarchie in einer halben Stunde in einen armen Studenten verwandelt wird. Desfalls lesen auch viele dieses Buch bloß in der Absicht, die Zeit dadurch zu verkürzen. Es bestehet also die ganze Geschichte in einer bloßen Erdichtung, aber deswegen darf man dieselbe doch nicht als ein bloßes Geschwätz ansehen. Denn diejenigen, welche nicht gerne ernsthafte Vermahnungen hören, werden durch dergleichen Erfindungen aufgemuntert, ein solches Buch zu lesen. Trimalchio hatte unmittelbar bei seinem Grabmal eine Uhr gesetzt, damit alle diejenigen, welche nach der Uhr sehen wollten, zugleich seinen Namen lesen müßten. Und denen zu Gefallen, welche gern etwas Munteres lesen mögen, hat man den Ernst mit Scherz vermengt. Wenn ein Fischer sich nicht solcher Dinge bedient, wodurch die Fische gelockt werden, auf die Angel zu beißen, so wird seine Fischerei nur sehr schlecht vonstatten gehen. Und aus ebendieser Ursache haben auch die größten Weltweisen öfters lustige und reizende Fabeln ersonnen, damit sie ihre Zuhörer auf eine angenehme Art unterweisen könnten. Ich habe mir Mühe gegeben, in Absicht auf die Moral, welche das Augenmerk des ganzen Buchs ist, solche Charaktere vorzustellen, welche bisher noch nicht hinlänglich aufgeführt worden. Wie oft werden wir nicht durch den Schein der Tugenden und Laster betrogen, wie oft hält man nicht den Schatten für das Wesen selbst. Der Charakter derjenigen Personen ist vor allen andern merkwürdig, die durch ihr Feuer alles ausrichten wollen, welche zwar eine Sache gleich einsehn, aber dennoch dieselbe nicht gründlich fassen. Solche Leute pflegt man insgemein mit den größten Lobsprüchen zu belegen. Aber in der Landschaft Potu werden sie als Müßiggänger angesehen, weil sie durch ihre beständige Arbeiten nichts ausrichten. Hingegen pflegt man diejenigen nachlässig und einfältig zu nennen, welche sich nicht übereilen, sondern alles vorher wohl überlegen und daher auch nicht mehr auf sich nehmen, als sie leisten können. Von beiden geben die Einwohner in Potu und Martinia ein Beispiel. An dem einen Orte hielt man den Klim für ein unnützes Geschöpf, weil er so schnell eine Sache begreifen und fassen konnte, und an dem anderen Orte tadelte man an ihm, daß er so viele Zeit dazu brauchte. So sind die übrigen Charaktere auch eingerichtet. Alles, was Klim, welcher eine jede Sache nach der gemeinen Vorstellung beurteilet, in den Ländern, wohin er gerät, siehet und antrifft, das ist ungereimt, und was er dem ersten Ansehen nach tadelt und verwirft, das bewundert und erhebt er, wenn er alles reiflicher überlegt hat. Das ganze Werk zielt also beinahe allein dahin, den Menschen ihre allgemeinen und irrigen Meinungen zu benehmen und die Dinge, welche nur den Schein der Tugenden und Laster haben, von den rechten Tugenden und Lastern zu unterscheiden. Die meisten Moralisten predigen mit solchen Eifer gegen den Geiz, gegen die Wollust und Verschwendung, daß sie ganz müde werden. Aber sie wärmen das Alte nur wieder auf und sagen nichts mehr, als was andre bereits davon gesagt haben und was allen Leuten längstens bekannt ist. Hiedurch werden zwar die Ohren betäubt, aber das Herz wird nicht gebessert. Diejenigen aber richten weit mehr aus, welche die falschen Meinungen aus dem Wege räumen und die wahren Begriffe mit aller Schärfe den Herzen einprägen, welche allgemeine und fast durchgehends angenommene Irrtümer angreifen und den geschminkten Tugenden die Maske abziehen. Sollte jemand glauben, daß ich dieses alles bloß zu dem Ende angeführt, mich selbst zu rühmen, der muß wissen, daß ich nicht von mir, sondern von dem Zwecke rede, den ich bei der Abfassung dieses Werks vor Augen gehabt habe. Ich behaupte, daß es der Pflicht eines Philosophen gemäßer sei, die Menschen zu unterrichten, als gegen die Fehler zu eifern, welche die Lasterhaften selbst erkennen und einsehen. Dahin zielen die in diesem Gedichte gegebenen Lehren. Wieweit ich aber meinen Zweck erreicht, solches mögen andre beurteilen. Dieses will ich nur noch zu meiner Verteidigung hinzutun: Wenn etwa jemand meine Schrift mit andern prächtigen und schönen moralischen Fabeln vergleichen und in Absicht auf dieselben meine Arbeit matt und unvollkommen nennen wollte, der wird zugleich bedenken, daß das Schicksal und die Umstände der Skribenten nicht allenthalben gleich sind. In Deutschland, Frankreich und insonderheit in England, wo man alles frei sagen darf, was man denkt, und wo dem Geiste kein Zügel angelegt wird, ist es viel leichter, seine Stärke zu zeigen, als in unserm Norden, wo wir mit scharfen Zensuren geplagt werden, wodurch Munterkeit und Feuer bei einem Skribenten gedämpft wird. Wenn desfalls auch in hiesigen Ländern solche Dichter und Philosophen gefunden werden, die den Engländern nichts nachgeben, so erreichen sie doch die Vollkommenheit derselben nicht. Wer auf einen unbekannten und mit Dornen besetzten Wege nach dem Ziel läuft, gelangt weit später dahin, als der auf einem ebnen und gebahnten Wege dahineilet. Aber die Schuld ist nicht den Füßen, sondern dem Wege zuzuschreiben. Wenn ein Lehrer seinem Schüler beständig drohet, so macht er denselben verzagt. Man muß ohne Furcht und Sorgen sein, wenn man zeigen soll, was man ausrichten kann. Wie Horaz anfing, Satiren zu schreiben, so hatte er bereits ein gutes Auskommen.

Satur est, cum dicit Horatius, eheu! Satur est...: Satt ist Horaz, wenn er Evoe ruft! (Juvenal, Satiren VII, 62)

Die größte Plage, welche unsre Dichter kennen und empfinden, bestehet darin, daß sie ihren Geist und ihr Feuer unterdrücken, damit ihnen die scharfen und mißtrauischen Censores keinen Verdruß erregen. Ich habe aus ebendieser Ursache, welches ich gewiß versichern kann, manchen artigen Einfall weggelassen, damit man nicht denken sollte, ich hätte auf gewisse Personen gezielet. Und dennoch ist es mir unmöglich gewesen, dieser Beschuldigung zu entgehen. Ich habe bereits bei der Ausgabe meiner vorigen scherzhaften Schriften das Naturell meiner Landsleute kennenlernen, und aus ebenderselben Ursache hatte ich mir auch fest vorgenommen, diese Schrift nicht ans Licht kommen zu lassen. Und gewiß, kein Ruhm, keine Aufmunterung soll mich ferner bewegen, jemals wieder diesen Weg zu betreten oder mich nochmals auf dieses Meer zu wagen. Diese Arbeit will ich solchen Leuten überlassen, welche stärker als ich sind. Ich will aber vielmehr durch einen anständigen Müßiggang und durch eine edle Nachlässigkeit alle Fehler wieder ersetzen und aussöhnen, die ich durch meinen Fleiß begangen habe. Insonderheit bin ich sehr sorgfältig gewesen, daß ich der Geistlichkeit keine Gelegenheit geben möchte, gegen mich die Waffen zu ergreifen, da ich aus der Erfahrung weiß,

Animis quantae coelestibus irae. Animis quantae...: ...wie gewaltig der Zorn der Himmlischen ist. (Virgil, Aeneis I, 11)

Und gewiß, niemand hört mit größerm Widerwillen, daß man seine Laster angreift, als derjenige, der selbst öffentlich dagegen eifert, und niemand verfolgt heftiger als derjenige, der allezeit gegen die Verfolgung prediget. Einige, welche mir nicht gewogen waren, fingen gleich an, sich gegen mich zu rüsten. Sie liefen allenthalben in der Stadt herum und streueten allerhand törichte und unbillige Dinge aus, welche in meiner Schrift sollten enthalten sein. Wie sie aber merkten, daß sie nur bei wenigen Glauben funden, und daß man mit leichter Mühe ebenso viele Satiren aus ihren Predigten ziehen könnte, wenn man unbillige Erklärungen darüber machen wollte, so wurden sie endlich müde, herumzulaufen, und weil sie sich für diesen Erinnerungen fürchteten, so schwiegen sie stille. Man meint, daß dieselben die unbillige Zensur geschmiedet haben, welche zu Göttingen herauskam. Ich kann dieses aber doch nicht gewiß behaupten, weil ich es nicht der Mühe wert achtete, mich nach dem Urheber derselben zu erkundigen. Einige trieben mich an, diese ungegründeten Beschuldigungen zu widerlegen. Aber ich halte dafür, daß man mit solchen Leuten sich in keinen Streit einlassen, noch ihre Fehler nachahmen muß, weil man ihnen sonst ähnlich wird. Ich freue mich vielmehr, daß ich dieses unbillige Urteil mit Verachtung angesehen habe. Und gewiß, es scheinet gegenwärtig mit der gelehrten Welt sehr schlecht bestellt zu sein, da solche Leute nicht nur Bücher schreiben, sondern auch dieselben beurteilen. Die Urteile, welche andre Völker von meiner Arbeit gefället haben, bezeugen zur Gnüge, mit welchem Beifalle man diese Schrift aufgenommen, und das Glück, welches dieses Buch erfahren, da man es gleich in fünf Sprachen übersetzt, gibt deutlich gnug zu erkennen, daß es auch auswärts mit ebendemselben Vergnügen wie in meinem Vaterlande gelesen worden. Die Urteile, welche man in einigen andern gelehrten Tagebüchern von dieser Arbeit antrifft, sind mir gleichfalls nicht unangenehm gewesen. Man gibt mir das Lob, daß die Erfindung sehr sinnreich und artig sei, nur meinen einige, ich hätte die Wahrscheinlichkeit nicht beachtet. Und da endlich diese Richter den Ausspruch tun, man müsse dem Verfasser diese Fehler verzeihen, so ist es billig, daß ich ihnen dieses Urteil wieder verzeihe und zugute halte. Dies aber werden mir diese gelehrten Männer erlauben hinzuzusetzen, daß diese Fehler, welche sie tadeln, von andern für ebenso viele Zierraten angesehen werden. Der Endzweck dieser Erfindung zielet dahin, gewisse Schriftstellen lächerlich zu machen, welche in der Beschreibung weit entlegner Lande uns so viele Fabeln für Wahrheiten verkaufen. Daß ich diese Absicht gehabt habe, solches erhellet aus den beiden Vorreden, welche diesem Werke vorgesetzt sind. Und wenn wir uns eine neue Welt vorstellen, so muß uns weiter nichts unglaublich vorkommen. Sollte auch wohl einer, der, wie Cicero sagt, auf der Insel Seripho geboren worden und niemals weiter gekommen, sich überreden lassen, daß Löwen und Panthertiere vorhanden wären, da er auf seiner Insel keine andre Tiere als Hasen und Füchse gesehen; und würde er nicht glauben, daß man über ihn spottete, wenn man anfangen wollte, mit ihm von Elefanten zu reden. Wenn jemand in den Saturn, Jupiter, den Mond oder einen andern Planeten hingerückt würde und daselbst unsre Erde beschriebe: Würden diejenigen, welche in den Planeten die Bücher beurteilen, nicht ebendasselbe Urteil fällen, daß der Verfasser die Wahrscheinlichkeit nicht beobachtet und daß er ungereimte Dinge ersonnen, welche mit der Natur und Erfahrung stritten? Würden sie nicht bei Erblickung einer menschlichen Gestalt erstaunen und ausrufen:

Eni qualis facies, et quali digna tabella. Eni qualis facies...: Ei! welch ein Anblick und welches Gemäldes würdig! (Juvenal, Satiren X, 157)

Einige gestehen, daß diese Schrift mit sehr vielem Witz geschrieben und mit vielen gründlichen Gedanken und Lebensregeln angefüllt sei. Sie glauben aber, daß diese Schrift vollkommen sein würde, wenn ich einige scherzhafte Stellen, die einem Manne von meinem Alter und einem Philosophen nicht anständig wären, weggelassen hätte. Jedoch, diese Gedanken werden nur bei solchen Platz finden, welche nicht wissen, daß auch die gelehrtesten, frömmsten und ernsthaftesten Männer solche scherzhafte Schriften abgefaßt haben. Diejenigen aber, welchen bekannt ist, was für große Männer ich zu meinen Vorgängern erwählt, werden mir leicht verzeihen, wenn ich mit denen irre, deren Scherz und Munterkeit nachzuahmen einem jeden Schriftsteller notwendig Ehre bringen muß. Vielleicht urteilt man auch gelinder, wenn man erwägt, daß man auf eine doppelte Art scherzen könne. Einige finden an einem unanständigen, unverschämten, schändlichen und unzüchtigen Scherz einen Geschmack. Andern aber gefällt nur ein muntrer, unerwarteter, kluger und angenehmer Scherz. Mit dieser letztern Gattung des Scherzes sind die Bücher der sokratischen Weltweisen angefüllt. Viele haben sich eines solchen artigen Scherzes mit Vorteil bedienet; und hieher gehört die Sammlung des Cato, worin lauter kluge und witzige Einfälle vorkommen. Cicero hat gewiß nicht ohne Grund geurteilet, daß man auch aus dem Scherz ein edles Gemüt erkennen könne.

Indessen urteilen diese Richter noch ziemlich gelinde, und da man überhaupt vom Geschmack nicht viel zanken kann, so lasse ich einem jeden gerne seine Einsicht. Ich gestehe auch, daß die Erinnerungen derjenigen eine Aufmerksamkeit verdienen, welche wissen, daß man nicht durch Dornen gehen könne, ohne sich zu verletzen, und daher diese Schreibart einem alten und schwachen Manne widerraten haben. Aber so ist es mit der Neigung der Menschen beschaffen: Man unterwirft sich mit Freuden dem größten Verdrusse, damit man einen unsterblichen Namen erhalte. Man eilt der größten Gefahr mit dem innigsten Vergnügen entgegen, damit die spätesten Nachkommen unsre Standhaftigkeit rühmen mögen. Gewiß, ein Gemüt, welches nach Ehre und Ruhm ringet, wird durch nichts so sehr als durch die Betrachtung angefeuert, daß man sowohl durch wichtige als geringere Bemühungen nicht allein noch im Leben berühmt werden, sondern auch noch nach dem Tode leben könne. Ich habe es dennoch öfters recht reiflich bei mir überlegt, ob es ratsam sei, sich wieder auf das Meer zu wagen, woselbst ich dem Schiffbruche öfters so nahe gewesen. Weil aber meine Freunde, denen meine Schrift gefiel, mir die Versicherung gaben, daß keine Gefahr zu besorgen sei und keine Bewegung daher entstehen könne, so ließ ich mich endlich überreden. Ich besorgte, daß die Erfindung und der hin und wieder eingemischte Scherz die meisten wider mich in den Harnisch bringen würde. Einige sagen die Wahrheit mit Bitterkeit, andre mit Lachen; beide haben einerlei Absicht, ob sie sich gleich verschiedener Wege bedienen, dieselben zu erreichen. Was man aber bei den ersten Eifer nennet, das wird bei den andern Mutwillen genannt. Denn da diese die Laster durch Erdichtungen und Scherz angreifen, so geraten die Leser, welche kein gutes Gewissen haben, gleich auf den Argwohn, daß man sie dadurch lächerlich machen wolle.

Denen verzeihe ich am liebsten, welche mich mit meinen eignen Waffen zu bestreiten und also zu urteilen pflegen. Der Verfasser tadelt es bei einer jeden Gelegenheit, wenn man sich über andre aufhält, und dennoch urteilet er selbst über andre Leute. Er streitet gegen die Fehler, welche er selbst begeht. Er muß entweder aufhören zu schreiben, oder er muß seine eigne Fehler verbessern. Er muß entweder nicht weiter über die bittern Urteile spotten, welche von andern gefället werden, oder er muß selbst sein Richteramt niederlegen, damit es nicht scheine, als wenn man ihm allein das Recht eingeräumt hätte, sich über andre aufzuhalten. Diesen Vorwurf aber kann ich nicht besser von mir ablehnen, als wenn ich diesen Richtern zu Gemüte führe, daß nichts edler sei, als wenn man seine Fehler nicht verhehlet, sondern solche frei bekennet. Dadurch gibt man zu erkennen, daß man den Anfang gemacht habe, auf die Besserung seines Lebens zu gedenken. Und diese Aufführung ist einem jeden Philosophen rühmlich. Hiermit stimmt auch das Urteil überein, welches die Verfasser der gelehrten Zeitungen bei der Gelegenheit, da sie meine Schriften angeführt, von mir gefället haben. In den Hamburgischen Gelehrten Zeitungen auf das Jahr 1732 heißt es von mir: Die Laster, Mißbräuche und üble Gewohnheiten läßt er so wenig an sich selbst als an andern ungestraft. Und an einem anderen Orte sagen die Verfasser: Wenn er seinen eignen Charakter entwirft, so macht er sich kein Bedenken, sich selbst bisweilen durchzunehmen. Wer also seine eignen Fehler aufrichtig bekennt und nicht einmal seinen Namen verschweigt, der kann die Fehler des menschlichen Geschlechts frei und ohne Bedenken tadeln. Der andre Einwurf wird durch die Absicht hinlänglich widerlegt, welche ich in diesen Briefen deutlich genug zu erkennen gegeben. Ich habe niemals in meinen Schriften die Absicht gehabt, jemand lächerlich zu machen, sondern ich habe mich lediglich bemühet, einige Proben in den sogenannten schönen Wissenschaften zu geben, damit mein Vaterland auch solche Schriften aufweisen und dadurch den Vorwurfe derjenigen von sich ablehnen können, die uns den Mangel solcher Schriften vorrücken. Aus dieser Ursache habe ich in solchen Abhandlungen, welche ihrer Natur und Absicht nach eine scharfe Schreibart erfordern, solche auch gebraucht und die Fehler ohne Scheu scharf und bitter angegriffen. Man könnte daher eher fragen, warum der Verfasser Komödien, Satiren und moralische Fabeln geschrieben, als aus welcher Ursache er sich einer beißenden Schreibart bedienet habe. Verwirft man dieses, so tadelt man sogleich die witzigsten Völker, die berühmtesten Weltweisen, den Plato und Sokrates selbst. Wenn man aber durch diese Beispiele zurückgehalten wird, diese Schreibart zu verwerfen, so ist man gezwungen einzuräumen, daß Scherz und Schärfe in solchen Schriften notwendig erfordert werden. Ein Lustspiel ohne Scherz, eine Satire ohne Stacheln ist einem Wagen ohne Räder ähnlich. Deswegen muß man entweder jenes gänzlich verwerfen oder auch dieses zugeben. Dennoch aber müssen sich auch die Verfasser selbst wohl hüten, daß sie nicht unter dem angenommenen Schutz der Sittenlehre rasen und sich dadurch an ihren Feinden zu rächen suchen. Von diesem Fehler sprachen mich alle diejenigen frei, welche meine scherzhaften Schriften mit unparteiischen Augen ansehen. Ich habe mich auch selbst bemühet, durch unaufhörliche Erinnerungen die Schriftsteller davon abzuraten, daß sie nicht über eine Person besonders spotten sollten. Ich habe mich oft selbst in meinen Vorreden desfalls getadelt, daß ich in der Antwort auf einige Beschuldigungen etwas hitzig gewesen, ob man gleich glaubt, daß es nach dem Kriegsrecht zugelassen und als eine erlaubte Notwehr anzusehen sei. Und sollte es darauf ankommen, solche Schriften zu schreiben, wodurch jemand besonders beleidiget würde, so würde ich gewiß unter meinen Landsleuten der allerletzte sein, welcher sich dazu durch Belohnungen oder Aufmunterungen würde anreizen lassen. Denn dieses ist nicht nur einem Philosophen, sondern auch einem jeden redlichen Menschen höchst unanständig. Wie sehr wollte ich mich freuen, wenn dieses mein einziger Fehler wäre und wenn meine Feinde mir sonst nichts vorzuwerfen wüßten, als daß ich unter erdichteten Namen über die Fehler des menschlichen Geschlechts gespottet oder daß ich unter lustigen Fabeln nützliche Lebensregeln gegeben. Aber ich habe andre Fehler an mir, welche ich bisweilen mit einer fast gar zu großen Aufrichtigkeit selbst bekannt habe.

Jedoch, ich will von dieser unterirdischen Reise nicht weitläuftiger handeln, welches meine letzte Schrift von dieser Art sein soll. Dieses kleine Werk ward gleich darauf in verschiedene fremde Sprachen übersetzt. Daß man es aber so späte erstlich in der dänischen Sprache gelesen, dazu habe ich selbst Anlaß gegeben. Die meisten Dänen verstehen die deutsche Sprache, und ich hielt es nicht für ratsam, diese aus der Sittenlehre entlehnten Regeln und Vorschriften dem verkehrten Urteil des gemeinen Mannes zu unterwerfen, welcher nicht vermögend ist, dieselben einzusehen. Was andre mit Nutzen lesen und verstehen, das kann der gemeine Mann kaum durch die Brille sehen. Folgende Fabel drückt dieses sehr schön aus: Der Maulwurf hörte, daß die Menschen Brillen brauchten, und bat desfalls seine Mutter, daß dieselbe ihm auch eine solche Brille kaufen möchte. Die Mutter aber gab ihm diese Antwort: Begehre solche Dinge nicht, die deiner Natur nicht gemäß sind. Denn die Brillen, welche den Menschen dienlich sind, leisten den Maulwürfen nicht den geringsten Nutzen.

Wie ich also dieses Werk zustande gebracht hatte, so nahm ich mir wieder etwas Ernsthaftes vor. Ich hatte den Entschluß gefaßt, eine Geschichte zu schreiben, aber ich wußte nicht eigentlich, welchen Teil der Geschichte ich wählen sollte. Nach einer reifen Überlegung beschloß ich endlich, die Geschichte des jüdischen Volks zu schreiben. Folgende Ursachen bewegten mich insonderheit, diesen Entschluß zu fassen. Unter so vielen berühmten Männern, welche die Schicksale und Sitten dieses Volks beschrieben haben, hat keiner eine zusammenhängende Geschichte von dem Ursprung dieses Volks bis auf unsere Zeiten geliefert. Josephus fängt von der Schöpfung der Welt an und geht bis auf die Zerstörung des Tempels unter dem Titus. Unter den neuern Skribenten sind außer Zweifel Prideaux und Basnage die vornehmsten. Der erste hat einen Teil der jüdischen Geschichte abgefaßt, nämlich von dem babylonischen Gefängnis bis auf die Zeiten Christi. Der letzte fängt da wieder an, wo der erste aufgehöret. Aus dieser Ursache sind diese drei Skribenten demjenigen unentbehrlich, welcher die jüdische Geschichte vom Anfange bis zu Ende wissen will. Damit man aber alles, was die jüdische Nation betrifft, desto leichter fassen und einsehen möge, so habe ich alles, was bei den erwähnten Skribenten von den vornehmsten Schicksalen, Sitten und Gesetzen dieses Volks enthalten ist, in einem Buche zusammengetragen. Wie ich noch hiemit beschäftiget war, so kam ein Werk in französischer Sprache unter dem Titel heraus: › Historie du peuple de Dieu‹, welches aus zehn Teilen in 4. bestand. Ich urteilte, daß meine Arbeit nunmehr überflüssig sein würde. Aber diese Furcht verschwand, sobald mir das Buch zu Gesichte kam. Es ist in demselben nur die Geschichte des Alten Testaments enthalten. Doch verdient diese Arbeit nicht einmal den Namen einer Geschichte, wegen der vielen Zusätze und erdichteten Reden, womit diese Bände angefüllt und zu einer großen Weitläuftigkeit gediehen sind. Die kleinsten Begebenheiten sind hier mit der größten Beredsamkeit vorgetragen. Und weil Adam, Noah und die übrigen Patriarchen in diesem Werke überaus gekünstelt sprechen und sehr weitläuftige und nach den Regeln der Beredsamkeit ausgearbeitete Reden halten, so sollte man fast auf den Gedanken geraten, daß sie sich zu unsern Zeiten zu Paris oder Versailles aufgehalten hätten. Ich übergehe hier die andern Fehler, welche in diesem Buche enthalten sind und den Lesern einen Ekel erregen.

Ich setzte also meine Arbeit mit allem Fleiße fort und entlehnte das meiste aus den bereits oben angeführten Skribenten. In dem Leben der Patriarchen habe ich sehr viel aus der prächtigen Historie genommen, welche von einer gewissen Gesellschaft in England herausgegeben wird. Da ich aber nur die ersten beiden Teile besaß und der andre Teil nicht weitergehet als bis auf die Zeiten Sauls, so habe ich nachher keine andre Wegweiser gehabt als die Bücher des Alten Testaments und den Josephus bis auf das Ende des israelitischen Reichs, wo Prideaux anfängt. Dennoch aber ist dieser Teil der Geschichte desfalls nicht trockner oder von geringerm Nutzen als die übrigen.

Außer den angeführten Skribenten habe ich mich der schönen und wohlausgearbeiteten Schriften der berühmtesten und in den Altertümern höchst erfahrnen Männer bedienet. Philo, Cunäus, Lightfoot, Vitringa, Richard Simon, Spencer, Reland, Seldenus, Salomon Ben Virga, Ganz, Bartolaccius und andre berühmte christliche und jüdische Schriftsteller sind meine Vorgänger und Gehülfen gewesen. Dieses bezeugen die vielen Zeugnisse, die ich aus ihnen entlehnet und auf allen Blättern angezeigt habe. Schutt ist ausführlicher als Basnage und hat auch viele Fehler entdeckt, welche derselbe begangen. Er hat die jüdische Geschichte in dem letzten Jahrhundert in ein großes Licht gesetzt. Wie ich endlich mit diesem Werke zustande gekommen war, so gab ich dasselbe in zween Bänden in Quart heraus. Die großen Kosten, welche zum Drucke desselben erfordert wurden, verursachten, daß ich sehr lange bei mir überlegte, ob ich nicht den itzt so bekannten und üblichen Weg der Pränumeration bei dem Verlag dieses sehr weitläuftigen Werks erwählen wollte. Ich ward aber durch den großen Mißbrauch, welcher bei dem Vorschuß eingeschlichen, davon abgehalten. Es gewinnt mit der Pränumeration gegenwärtig fast ebendasselbe Ansehen, als wenn man Almosen bittet, und deswegen ließ ich das Werk auf meine eigene Kosten drucken. Diejenigen kann man mit Recht entschuldigen, welche sich dieses Mittels bei großen Werken bedienen, die viele Kosten erfordern. Nun aber werden alle und jede eingeladen, auf Schriften von wenigen Blättern zu pränumerieren, welches wirklich ebensoviel heißt, als wenn die Skribenten sagten: Gebt mir doch ein Almosen, um Gottes willen. Da die Pränumerationes so weit getrieben werden, so befürchte ich, daß sich solches bis auf die Kaufleute und Tagelöhner, ja gar bis auf die unzüchtigsten Personen erstrecken wird, von denen man inskünftige nichts wird erhalten können, wo man nicht ihnen das Geld vorausbezahlet.

Alles dieses habe ich während der Zeit zustande gebracht, da ich das Rentemeisteramt verwaltet; und ob ich gleich durch allerhand Verhinderungen abgehalten worden, so sollte man doch hieraus vielmehr schließen, daß ich mich dem Studieren ganz aufgeopfert hätte. Einige haben auch daher den Schluß gemacht, daß ich wegen meines großen Triebes zu den Wissenschaften mein Amt nachlässig verwalten würde. Es ist aber, soviel mir bewußt ist, nicht das geringste von mir in diesem Stücke versäumen sollte, da man vielmehr aus den Wissenschaften selbst sorgfältigste beobachtet habe. Der Trieb zu den Wissenschaften muß uns niemals so sehr hinreißen, daß man darüber sein Amt versäumen solle, da man vielmehr aus den Wissenschaften selbst lernet, daß solches aufs genaueste erfüllet werden muß. Ich ehre die Minerva, sooft Merkur es mir erlaubet. Ich sehe es als eine Pflicht eines Philosophen an, daß man sein Studieren beiseite setze, wenn das Amt andre Verrichtungen erfordert. Die meisten Wissenschaften, denen ich bereits in meiner Jugend ergeben gewesen, gefallen mir auch noch im Alter, außer daß ich lieber alte als neue Bücher lese und lieber die Quellen selbst aufsuche, als aus den Strömen schöpfe, die man daraus hergeleitet. Es sind aber doch nicht viele Bücher nach meinem Geschmacke: Denn die mittelmäßigen Schriften sind mir ebensosehr zuwider als die abgeschmackten. Und gewiß, wenn ich gar keine gute Bücher haben könnte, so würde ich lieber solche Schriften lesen, worin nichts als Märlein und Fabeln befindlich sind, als diejenigen, welche mittelmäßig oder schlecht geschrieben worden. Wie ich desfalls vor einigen Jahren gezwungen ward, in einem Wirtshause außerhalb der Stadt eine Nacht zuzubringen und selbst keine Bücher bei mir hatte, so durchsuchte ich des Wirts Bibliothek mit großem Fleiße, und nach gehaltener Musterung wählte ich mir endlich die Historie vom Eulenspiegel als ein geringeres Übel unter so vielen schlechten und gemeinen Büchern. Da ich demnach nur an guten Büchern ein Vergnügen finde, so fehlet es mir bisweilen an Büchern, und meine Lust zu studieren wird dadurch sehr unterbrochen, weil ich genötiget bin, die guten Bücher so oft wieder durchzulesen. An einigen Büchern aber finde ich ein so großes Vergnügen, daß ich niemals müde werden kann, dieselben von neuem durchzulesen. Das Buch des Grotius von dem Recht des Krieges und des Friedens scheint mir allemal neu zu sein, ob es gleich bereits unter die alten Bücher gehört. Dieser große Mann hat das Eis in der Sittenlehre gebrochen, unzählige andere sind ihm hierin gefolgt, keiner aber hat seine Vollkommenheit erreicht. Ein jedes Wort ist eine Regel, eine jede Regel ist ein Orakel, und die Schreibart ist so schön und reizend, daß man glaubt, einen der besten alten Schriftsteller zu lesen. Gewiß, der Name dieses großen Mannes und die von ihm vorgetragenen Lehren werden niemals, auch bei denen spätesten Nachkommen der Vergessenheit übergeben werden.

Unter den lateinischen Skribenten halte ich den Petronius Arbiter für den größten Meister. Denn es scheint, daß er in allen Stücken vollkommen gewesen. Das Historische, was sich in des Petronius Schriften findet, ist so deutlich, rein und reizend abgefaßt, daß er in diesem Stücke auch dem Livius den Vorzug streitig machen kann. Die Gedichte, welche allenthalben angeführt werden, sind mit einem virgilianischen Geiste geschrieben. Die Satiren sind beißend und munter, und man bemerkt allenthalben einen so reichen Witz, wodurch alle komische Skribenten übertroffen werden. Petronius ist auch der einzige, welcher die gemeinen Redensarten anführt und die törichte Schwatzhaftigkeit mit lebendigen Farben abmalet. Man sollte denken, daß er seine ganze Lebenszeit unter dem gemeinsten und niederträchtigsten Pöbel zugebracht hätte, wenn er die Reden und das Geschwätze anführt, welche die Gäste des Trimalchio vorgebracht haben. Weil er aber zugleich unzüchtig schreibt, so muß man ihn der Jugend nicht in die Hände geben.

Noch niemals haben wir uns, mein Herr, wie Ihnen längst bekannt ist, wegen der lateinischen Dichter vereinigen können. Ihnen gefällt der Virgil am besten, ich aber halte den Ovidius für den größten. Sie folgen dem Urteile andrer gelehrter Männer, ich aber folge in diesem Stücke meinem eignen Geschmack. Ich glaube, daß ich hierin irre, aber ich habe diesen Fehler noch niemals überwinden können, denn mich dünkt, daß man bisher noch keinen gefunden, den man diesen Dichter auch nur mit einigem Schein an die Seite setzen könnte. Er mag hoch oder niedrig, kurz oder weitläuftig, ernsthaft oder munter schreiben, so ist er jederzeit vollkommen. Seine Metamorphosis ist in prächtigen Ausdrücken abgefaßt, aber doch auch zugleich so fließend, angenehm und leicht geschrieben, daß man dieselbe auch Anfängern in der lateinischen Sprache erkläret. Wenn man den Ovidius mit andern Dichtern vergleicht, so wird man mit leichter Mühe wahrnehmen, wie gekünstelt alles bei den andern ist und wie natürlich alles bei dem Ovidius fließet. Auch wenn man seine Gedichte in eine ungebundene Schreibart zergliedert, so herrscht doch allenthalben der erhabene Geist des Ovidius, und dieser allein ist es, welcher seine Gedichte von einer ungebundenen Rede unterscheidet. Die Prosodie, die Geißel der Dichter, quält den Ovidius nicht. Seine Gedichte fließen in einer so natürlichen Ordnung der Wörter, als wenn er an keine gewisse Art der Gedichte gebunden wäre, und er unterscheidet sich hiedurch von denjenigen, welche die Wörter so sehr verwerfen und das zuerst setzen, was billig zuletzt am Ende erstlich folgen sollte. Und diese natürliche Ordnung der Wörter beobachtet er nicht nur in seinen verliebten Schriften, in seinen Klaggedichten und in seinen Briefen, sondern auch in den prächtigsten Beschreibungen der Verwandlungen; ja, auch in den feurigsten und lebhaftesten Stellen schweift er doch niemals aus. Die Prosodie, ein abgemessenes Silbenmaß und was sonst andre Poeten so sehr zu martern pflegt, hält meinen Dichter niemals auf. Daher kann man auch keinen andern Poeten aufweisen, der dem Ovidius an erhabenen Ausdrücken und zugleich an Deutlichkeit gleichgekommen. Wenn andre sich, auch nur in kleinen Gedichten, die größte Mühe geben, deutlich zu schreiben, so trifft man bei dem Ovidius die größte Deutlichkeit ohne den geringsten Zwang in ganzen Büchern an. Und daß ich alles kurz zusammenfasse: Ovidius gehört unter diejenigen Dichter, welche von der Natur allein gebildet werden, und man kann von ihm mit Wahrheit sagen, daß er von den Musen ernährt und erzogen worden. Ich will mich aber doch deswegen mit denen in keinen Streit einlassen, welche den Virgil allen andern vorziehen. Dieses ist mir nur unerträglich, daß einige neue Kunstrichter so schlecht von dem Ovidius urteilen und ihn geringer schätzen als den Horaz, Lucan und andre.

Man kann verschiedene Ursachen anführen, warum einige den Ovidius so kaltsinnig und mit so wenigem Vergnügen lesen: Ich habe solche bereits vor einigen Jahren in einer öffentlichen Rede berührt, aber dieselbe will ich hier nicht wiederholen. Dieses einzige will ich nur bemerken, daß die geringe Achtung, welche man gegen den Ovidius heget, auch daher entstehen kann, weil man die Schriften desselben beständig in Händen hat und gar zu oft lieset. Seine Verwandlungen werden von Dichtern, Malern, Kupferstechern, Gelehrten und Ungelehrten ohne Unterlaß gelesen und auf mancherlei Art angewandt. Dieselben haben eben das Schicksal, was die Tonkunst erfährt. Weil die sanften Töne und die angenehme Übereinstimmung derselben so oft gebraucht und unzähligemal angewandt worden, so sind die neuern Tonkünstler derselben überdrüssig und finden nun an rauschenden und lärmenden Tönen einen Gefallen. Im Anfange finden wir bisweilen an dieser oder jener Speise ein ganz besonderes Vergnügen, wenn man sich aber dieselbe täglich zubereiten läßt, so wird sie uns zuletzt so sehr zuwider, daß wir auch kaum den Anblick und den Geruch derselben ertragen können. Die meisten Verse des Ovidius scheinen wegen der netten Erfindung und des darin herrschenden Witzes lauter Sinngedichte zu sein, und dennoch sind sie zugleich auch deutlich, als wenn sie in ungebundener Rede abgefaßt wären.

Den Juvenal habe ich so fleißig gelesen, daß ich seine Satiren fast aus dem Gedächtnisse hersagen kann. Die Strafgedichte desselben gefallen mir besser als die Satiren des Horaz. Dieser übertrifft zwar den Juvenal an Munterkeit, er wird aber wieder von dem Juvenal an Gründlichkeit übertroffen. Horaz vergnügt und ergötzt. Juvenal aber ist bitter und straft scharf. Jener beurteilt nur das Äußerliche und was in die Augen fällt, dieser aber dringt tiefer ein. Er deckt auch die verborgnen Laster auf und erweckt bei seinen Lesern ein tiefes Nachdenken. Juvenal ist auch in seinen Lehren und Vorstellungen reicher und fruchtbarer. Horaz greift nur gewisse Laster an und bringt öfters einerlei Betrachtungen wieder vor. Juvenal führt seinen Satz sehr wohl und gründlich aus und weicht nicht von demselben ab, aber das Gegenteil nimmt man bei dem Horaz wahr. In der ersten Satire spottet Horaz über die Unbeständigkeit der Menschen, und gleich darauf sucht er den Geiz lächerlich zu machen. In der dritten Satire tadelt er diejenigen, welche bei andern so leicht Fehler entdecken, bei sich selbst aber keine wahrnehmen können. Und gleich darauf kommt er auf die Stoiker, welche sagen, daß alle Sünden und Fehler gleich groß sind. Und so verfährt er auch in den übrigen Satiren. Doch bekenne ich auch, daß hin und wieder in den Schriften des Horaz solche Stellen angetroffen werden, welche von einer sehr reifen und gründlichen Beurteilungskraft zeugen. Aber er ist sich selbst nicht immer ähnlich, denn man mag auf die Materie oder auf die Schreibart sehen, so ist er unbeständiger als der Tigellius, über den er spottet. Und da seine Verse überdem sehr gezwungen sind, so dünkt mich, daß er kein Poet von Natur sei, sondern daß ihn die Kunst nur zu einem Dichter gemacht habe. Er pflichtet auch überdem den Sätzen des Epikurs bei, daher leugnet er eine Vorsehung und preiset die Tugenden bloß ihres Nutzens wegen an. Die Moral des Juvenals ist weit besser. Er redet ehrerbietig und vernünftig von Gott und dem Endzwecke der guten Handlungen und trägt viele Gedanken vor, die selbst einem Christen nicht unanständig sind.

Ferner ziehe ich den Plautus dem Terenz vor. Ich andre mein Urteil nicht, und wenn ich auch den Horaz und seine Anhänger dadurch erzürnen sollte. Terenz ist zwar ohne Fehler, von denen Plautus nicht frei geblieben. Mir aber gefällt ein schönes Gesicht, welches einige Flecken hat, weit besser als ein gemeines Gesicht, welches ohne alle Flecken ist. Die sorgfältige und reine Schreibart macht den Terenz einzig und allein beliebt, im übrigen aber kann man ihn nicht mit dem Plautus vergleichen. Man mag die Erfindung oder die Ausführung, die Munterkeit und den witzigen Scherz ansehen, welcher die Seele eines Lustspiels ist, so wird Terenz von dem Plautus sehr weit übertroffen und kann mit diesem in gar keine Vergleichung gesetzt werden. Einige Lustspiele des Plautus, als ›Amphitruo‹, ›Menechmi‹, ›Aulularia‹, ›Mostellaria‹, sind ins Französische übersetzt worden. Man hält dieselben für die besten unter den neuen Schauspielen und für eine rechte Zierde des Schauplatzes. Ich könnte weitläuftiger von diesen beiden komischen Skribenten handeln, und man würde mir auch ohne Zweifel zutrauen, daß ich ein gegründetes Urteil davon fällen könnte, da ich selbst fünfundzwanzig Lustspiele geschrieben, aber die engen Grenzen, welche ich mir in diesem Briefe gesetzt habe, verstatten solches nicht. Dieses einzige will ich nur noch hinzufügen, daß man bei dem Plautus die Munterkeit antrifft, welche alle Lustspiele so angenehm macht und die niemand nachher so glücklich wieder nachahmen können als Moliere. Die Komödien, die nach dem Moliere geschrieben worden, sind matt und meistenteils unangenehm. Sie gefallen daher auch sonst niemanden als den Franzosen, deren Geschmack gegenwärtig ganz verdorben ist. Die neuen Komödienschreiber lassen es allein dabei bewenden, daß sie einige magere Unterredungen vorstellen, welche sie in drei oder fünf Aufzüge abteilen. Dies ist nach ihrem Urteile die einzige Pflicht, welche ein komischer Skribent zu beobachten hat.

Diejenigen, von welchen meine Schriften beurteilet worden, haben bemerkt, daß ich in meinen Sinngedichten den Martial und in meinen Briefen den Jüngern Plinius zu meinen Vorgängern erwählt. Ich leugne dieses auch nicht. Wenn man die unzüchtigen Stellen bei dem Martial wegtut, so ist seine Schrift ein rechtes Muster, nach welchem die Sinngedichte müssen eingerichtet werden. Der Plinius gefällt mir so wohl, daß ich niemals müde werde, ihn zu lesen. Ja, ich würde ihn selbst dem Cicero in den Briefen vorziehen, wenn ich mich nicht für die eifrigen Anhänger des Cicero fürchtete. Ich ersuche Sie aber zugleich, mein Herr, dieses nicht weiter auszubreiten. Denn ich weiß, daß es eine große Ketzerei ist, einen Jüngern lateinischen Skribenten einem altern vorzuziehen. Vielleicht scheint Ihnen selbst dies Urteil unbillig zu sein, und ich gestehe gerne, daß ich oft von der gemeinen Bahn abweiche. Aber ich folge in diesem Stücke meiner Einsicht, welche mich oft wider den Strom treibt. Und da der Geschmack der Menschen so sehr unterschieden ist, so habe ich doch vielleicht noch einige auf meiner Seite. Die Schriften des Seneca scheinen mir mit mehrem Fleiße ausgearbeitet zu sein als die Schriften des Cicero. Es ist wahr, Cicero hat sich einer fließenden Schreibart bedienet, und deswegen wird er auch am meisten gerühmt. Einige aber halten etwas für eine natürliche Schönheit, was andre als eine Unachtsamkeit ansehen. Einigen gefällt nichts, was mit Fleiß und großem Nachdenken abgefaßt worden, und daher sagen sie, daß man in den Schriften der Jüngern Skribenten die Beredsamkeit und die Zierlichkeit nicht wahrnehme, welche man bei den Skribenten des goldnen Alters, wie man zu reden pflegt, billig bewundert. So urteilt Quintilian, welcher wie Cicero den Demetrius Phaleräus bei den Griechen desfalls tadelt, auch bei den Lateinern den Seneca und verborgnerweise auch den Plinius als solche angibt, welche die Schönheit und Reinigkeit der lateinischen Sprache gekränkt hätten, recht, als ob er dadurch die Schreibart verdorben oder der Nachdruck einer Sprache entkräftet würde, wenn man seine Feder schärft. Wir folgen oft ohne alles Bedenken dem Urteile unsrer Vorfahren. Und wenn einer jähnet, so jähnen die andern auch. Stellen Sie sich vor, mein Herr, daß der jüngre Plinius und Seneca in dem goldnen Zeitalter und daß Cicero in dem silbernen Alter gelebt; was gilts, Sie werden ganz anders urteilen. Ich hatte mir vor einiger Zeit vorgenommen, diesen Satz in einer besondern Schrift auszuführen, ich bin aber durch andre Verrichtungen davon abgehalten worden.

Die meisten glauben, daß ich in der griechischen Sprache ganz unerfahren sei. Aber diese irren sich in ihrem Urteile. Ich lese die griechischen Geschichtschreiber mit ziemlicher Fertigkeit und habe auch wirklich zwölf griechische Skribenten, unter denen auch der Diodorus Siculus ist, ganz durchgelesen. Weil mir aber die Grammatik unbekannt ist, so scheint es, als ob ich auch nicht einmal die ersten Grundsätze gefaßt hätte. Von den griechischen Dichtern habe ich allein die beiden ersten Komödien des Aristophanes gelesen. Die Ilias des Homers aber bin ich oft durchgegangen. Weil ich wegen meiner schwachen Beurteilungskraft von der Meinung andrer gelehrten Männer oft abweiche, so muß ich auch hier frei gestehen, daß ich an dem Homer nicht finde, was andre an ihm gefunden haben. Doch trete ich denen nicht bei, welche den Homer auf alle Art tadeln und ihm gar keinen Platz unter den guten Skribenten einräumen wollen. Ich halte es aber auch nicht mit seinen blinden Verehrern. Die Schreibart und der Geist des Homers erweckt bei mir wie bei andern Criticis eine Bewunderung, und man kann seine Arbeit als eine rechte Quelle der griechischen Sprache anpreisen. Aber ich kann den Schatz und die großen Vorteile nicht finden, welche sich nach dem Ausspruche der Verehrer des Homers die Redner, die Staatsleute und die Kriegshelden zunutze machen können. Man wird es wohl keinen General raten, daß er mitten in der Schlacht sein Kriegsheer verlasse und sich nach Hause begebe, um sein Hauswesen zu besorgen, wie Homer von dem Hektor berichtet. Ebensowenig kann man den Rednern die Reden des Nestors zur Nachahmung anpreisen, welche mir öfters einen Schweiß ausgetrieben haben. Einige Freunde dieses alten griechischen Schriftstellers legen ihm auch eine vollkommene Erkenntnis aller Künste und Wissenschaften bei, welche ich aber wegen meiner schwachen Einsicht niemals bei ihm wahrnehmen können. Ich urteile aber bloß nach meinem Begriffe und lasse einem jeden sein Urteil frei. Es würde unbillig und töricht sein, wenn man sich desfalls mit andern in einen Streit einlassen wollte.

... Hanc veniam petimusque damusque. Hanc veniam...: Diese Freiheit erbitte ich mir und gestehe sie anderen zu. (Horaz, Ars poetica, 11)

Unter den griechischen Skribenten schätze ich den Plutarch am höchsten und werde niemals müde, ihn zu lesen. Denn in diesem einzigen Schriftsteller ist ein rechter Schatz der Weisheit der Alten anzutreffen.

Bücher, die in den neuern Zeiten geschrieben worden, lese ich selten öfterer als einmal, doch sind einige Geschichtschreiber, als Humpredus Prideaux, Burnet, P. Daniel und Toiras Rapin, hievon ausgenommen. Dieses sind aber auch die einzigen, die ich öfters durchlese. Die beiden letzten sind zu unsern Zeiten die merkwürdigsten. Deswegen lese ich sie mit dem größten Fleiße und beurteile alles, was ich lese. Wenn man diese beiden vortrefflichen Geschichtschreiber miteinander vergleicht, so räumen die meisten dem Rapin den Vorzug ein. Ich kann aber diesem Ausspruche nicht beifallen, weil ich zweifelhaft bin, wer von ihnen beiden den Vorzug verdiene. Denn nach meinem Urteile fällt diese Entscheidung überaus schwer:

Inter utrumque volat dubiis victoria pennis. Inter utrumque volat ...: Zwischen beiden schwebt die Siegesgöttin mit unentschiedenen Schwingen hin und her.(Ovid, Metamorphosen VIII, 13)

Dieser scheint zwar die Wahrheit mehr auf seiner Seite zu haben, jener aber scheint mehr mit wichtigen Schriften und Dokumenten versehen zu sein. Soweit die Acta Publica des Rymers gehen, von denen die englische Geschichte ein so großes Licht erhält und wodurch so viele andere Geschichtschreiber verbessert und ergänzt werden, solange ist Rapin der vornehmste, weil er die meisten Dinge aus den Quellen selbst herleitet. Sobald aber diese Acta aufhören, so ergreift er wie einer, der Schiffbruch gelitten hat, alles, was ihm zuerst in die Hände kömmt. Ja, er folgt bisweilen den schlechtesten Geschichtschreibern, welche er öfters bloß nennet, ohne dabei anzuzeigen, in welchen Sammlungen sie anzutreffen sind oder auf welcher Seite das angeführte Zeugnis zu finden ist, sondern es heißt schlechthin: Camden, Backer, Du Chesne etc. Überdem fehlt sehr viel, sowohl in dem Leben der Königin Elisabeth, als auch in der Regierung des Königs Jakob des Ersten, welches alles man aus andern Geschichtschreibern ersetzen muß. Der größte Teil der Geschichte Carls des Ersten ist aus den Sammlungen des Rushwords genommen und erhält eine große Menge von königlichen Verordnungen, Patenten und offenen Briefen, welche zwar sehr nützlich sind, aber von den besten Geschichtschreibern zuletzt in einem Werke pflegen angeführt zu werden. Der P. Daniel scheint keine Mühe gespart zu haben, aus allen Winkeln des Königreichs Nachrichten zu seinem Werke aufzutreiben und sich damit zu versehen, ehe er seine Arbeit angefangen. Allenthalben führt er gleichzeitige Skribenten und die Tagebücher und Nachrichten solcher Männer an, welche alles, was von ihnen verrichtet worden, selbst aufgezeichnet haben. Rapin hat sich allein den Teil der Geschichte angelegen sein lassen, welcher die Gesetze und den politischen Staat in sich begreift. Denn die Kriegshändel hat er ganz weggelassen, oder wenn er bisweilen davon redet, sehr kurz berührt. P. Daniel aber ist in solchen Dingen, die den Krieg betreffen, am allerweitläuftigsten, er führt auch die kleinsten Begebenheiten, ja die geringsten Scharmützel an. Daher scheint es, daß der erste gar zu wenig, der andre aber gar zu viel von dergleichen Dingen gemacht habe. Man sollte fast auf die Gedanken geraten, daß der erste ein Mönch und der andre ein Soldat gewesen, da doch Rapin in Kriegsdiensten stand, P. Daniel aber ein Jesuit war. Man kann sie auch daher beide mit gleichem Rechte tadeln, und zwar den ersten, weil er die Kriegshändel übergeht, von denen er am besten hätte urteilen können, und den andern, weil er am weitläuftigsten in solchen Dingen ist, die er nicht verstehet. Stellt man sich aber vor, daß der erste ein Mönch und der andre ein Kriegsmann gewesen, so kann man sie beide weit leichter entschuldigen. Ich will aber hiedurch dem billigen Ruhme nichts abbrechen, den Rapin wegen seiner großen Beurteilungskraft und wegen seiner Liebe zur Wahrheit erhalten hat. Dieses will ich nur behaupten, daß P. Daniel sich bei seiner Historie weit mehr Mühe gegeben und mit einem weit größerm Vorrat von öffentlichen und wichtigen Schriften versehen gewesen, als er sein Werk angefangen. Es ist gewiß, wenn er anstatt der französischen Geschichte die englische Historie geschrieben hätte, welche die fruchtbarste von allen ist und bei keinem Geschichtschreiber trocken werden kann, er würde einen weit größern Ruhm erworben und einen noch größern Beifall erhalten haben. Denn die Materie selbst gereicht einem Verfasser öfters zum Vorteil. Diejenigen, welche die Schriften beurteilen, irren oft, wenn sie nicht auf die Materie achtgeben, welche ein Geschichtschreiber ausführt, ob es eine solche Materie sei, welche wegen ihres Reichtums bei keinen Schriftsteller matt und trocken werden kann. Man muß auch Zeit und Umstände erwägen, worin sich ein Geschichtschreiber befunden. In den meisten Ländern ist die Freiheit der Geschichtschreiber gar zu sehr eingeschränkt. In England aber hat ein Geschichtschreiber völlige Freiheit, und die Furcht, wodurch so viele abgehalten werden, verursacht ihm keine Hindernis.

Wie weit meine Kräfte in der Moral gehen, solches kann man aus den von mir herausgegebenen moralischen Schriften abnehmen. Einige Wissenschaften machen uns zu Menschen, andre zu wohlgesitteten Menschen und zeigen uns den Weg zu einem ruhigen, stillen und glückseligen Leben. Keine Wissenschaft verdienet nach dem Ausspruche des Cicero diesen Namen, als diejenige, durch welche wir die Glückseligkeit erwerben können. Man nennt zwar diejenigen recht gelehrt, welche ihre ganze Lebenszeit damit zubringen, daß sie Poeten lesen und sich in der Meßkunst, Rechenkunst und Sternkunde üben. Aber diejenigen verdienen diesen Namen mit weit größerm Rechte, welche alle Bemühungen einzig und allein darauf anwenden, glückselig zu werden. Durch die Moral lernen wir, wie wir unsre Handlungen in unserm ganzen Leben klug und vernünftig einrichten müssen. Wir lernen dadurch die Tugend kennen und hochachten, und die Laster werden uns durch ihre Lehren zum Abscheu. Durch dieselbe wird das gemeine Wesen erhalten. Die Moral vereiniget hin und wieder zerstreuete Menschen in eine Gesellschaft und macht, daß dieselben erstlich beieinander wohnen und nachher in Eheverbündnisse treten. Durch sie sind die Gesetze erfunden, und sie zeigt uns, wie wir uns aufführen und was wir vornehmen sollen. Desfalls habe ich mich auch derselben ganz gewidmet. Doch erweitere ich meine Erkenntnis nicht so sehr dadurch, daß ich lese, was andre davon geschrieben haben, als vielmehr dadurch, daß ich selbst nachdenke. Ich rede also mehr mit mir selbst als mit andern in ihren Schriften. Und es ist auch nicht notwendig, daß man stets bei allen Fällen nachschlage, was andre davon geurteilet haben. Die moralischen Schriften der alten Philosophen sind mir sehr wohl bekannt. Cicero, Seneca und Plutarch sind meine besten Freunde, und ich lese ihre Schriften öfters. Aber unter den neuen Moralisten sind mir nur sehr wenige bekannt. Was ich nützlich und notwendig zu erinnern finde, das trage ich lieber in muntern Unterredungen und Lustspielen als in scharfen und bittern Schriften vor. Ich spotte nicht über die Sitten der gegenwärtigen Zeiten, ich bestreite die Laster nicht durch weitläuftige Ermahnungen, sondern ich suche bloß die gemeinen Irrtümer zu entdecken und vor Augen zu legen. Das erste erfordert die Pflicht eines Redners und Predigers, das andre aber kommt einem Weltweisen zu. Wenn ich die Irrenden überzeugen will, so bediene ich mich der Lehrart des Sokrates. Ich greife die Festung nicht mit offenbarer Gewalt an, sondern ich suche, sie zu untergraben. Ich suche sie durch Erdichtungen, durch Fabeln und Gleichnisse dahin zu bringen, daß sie die Wahrheit erkennen. Ich hatte einen Freund, dessen Ungeduld und Unzufriedenheit ich durch keine Gründe besänftigen konnte, den ich aber durch eine Fabel aus meiner unterirdischen Reise völlig zufriedenstellte.

Dennoch hält man mich für keinen Philosophen, weil ich mich der philosophischen Sprache nicht bediene. Denn alles, was ich vortrage, suche ich so deutlich und verständlich zu machen, als es nur immer möglich ist. Je undeutlicher und dunkler aber zu diesen Zeiten jemand redet, desto größer ist sein Ansehen, und desto eher hält man ihn für einen großen Weltweisen. Man findet einige Leute, welche nichts lieber lesen, als was sie nicht verstehen. Man nehme die Decke weg, worin die meisten Gelehrten unsrer Zeiten sich einhüllen. Man sondere die unverständlichen Worte und die ausgekünstelten Redensarten ab, so wird man befinden, daß vieles von dem, was man als das Vornehmste und Beste angesehen, trocken, gemein und elend ist. Wenn einige Schriften, die nun so sehr bewundert werden, in einer ordentlichen und faßlichen Schreibart entworfen wären, so würde man sie lange nicht so hoch schätzen, als sie itzt von denen angesehen werden, welche sich durch bloße Worte betrügen lassen. Der hochtrabenden Schreibart, den ausgekünstelten und unverständlichen Redensarten und den philosophischen Kunstwörtern haben es die mittelmäßigen Schriften einzig und allein zu danken, daß sie als Orakel angesehen werden.

Den Montagne liebe ich sehr wegen der Aufrichtigkeit, die in seinen Schriften herrschet, und ich würde ihn noch höher schätzen, wenn er nicht so viel von sich selbst gehalten hätte. Seine paradoxen Sätze gefallen mir wohl. Wenn ich jemanden solche Meinungen beilege, so verstehe ich dieses dadurch, daß derselbe durch kräftige oder zum wenigsten wahrscheinliche Gründe die gemeinen Urteile zu bestreiten und auszurotten sucht, welche gleichsam das Bürgerrecht bei den Menschen gewonnen haben. Wenn aber solche paradoxe Meinungen nicht wahrscheinlich sind, so hasse ich dieselben aufs äußerste. Aus dieser Ursache ist mir der Verfasser des Buchs von der Falschheit der menschlichen Tugenden: De la fausseté des vertûs humaines, sehr zuwider, denn er verwandelt alle Tugenden in Laster und leitet die Demut aus der Hoffart und die Mäßigkeit aus der Eigenliebe her. Die menschliche Klugheit und Vorsichtigkeit verspottet er, weil die allerverwegensten Handlungen bisweilen den glücklichsten Ausgang gehabt haben. Aber alle Beispiele, welche er anführet, beweisen doch nichts anders, als daß der Ausfall nicht allemal mit dem Anfange übereinstimmet. Es ist ebenso unglücklich, wenn er seine andern paradoxen Meinungen beweisen will. Wer solche ungewöhnliche Sätze vorträgt und auch so schlechte Gründe braucht, dieselben zu bestärken, der verdient mit Recht, daß man ihn einen verwegenen Neuling nenne, und er ist fast gar nicht von einen solchen Menschen unterschieden, der seinen Verstand verloren hat.

Übrigens bin ich ein Liebhaber solcher Meinungen und Sätze, wenn sie mit Verstand vorgetragen werden, wie Montagne, Charon und der Philosoph zu Rotterdam, Herr Peter Bayle, getan haben. Dieser letztere führt zwar viele Dinge an, welche ein Christ billig verabscheuet, indessen ist auch sehr viel Gutes in seinen Schriften anzutreffen, und auch die falschen Sätze weiß er mit einer so großen Geschicklichkeit vorzutragen, daß man sie wenigstens für wahrscheinlich hält. Es ist bekannt, was für einen Streit die Meinung des Bayle vom Ursprung des Bösen unter den Gelehrten erregt hat, und wie solche von vielen, insonderheit von dem gelehrten Clericus, angefochten worden, welcher seine ganze Gelehrsamkeit und alle Kräfte anwandte, diesen Satz des Bayle zu bestreiten und zu widerlegen. Es würde töricht sein, wenn jemand das Richteramt übernehmen und über diese beiden großen Männer urteilen wollte. Wenn man diesen Streit von neuem rege zu machen und auszuführen willens wäre, so müßte man notwendig dasjenige wiederholen, was Clericus davon beigebracht hat, welches so vollständig ist, daß nichts hinzugesetzt werden kann. Denn es ward auf beiden Seiten so scharf gestritten, daß Clericus endlich genötiget ward, sich mit der Lehre des Origenes zu verteidigen:

Anchora namque suam iam tenet illa ratem. Anchora namque ...: Denn dieser Anker hält nunmehr das Schiff, zu dem er gehört.(Nach Ovid, Tristien V, 2, 42)

Dieses einzige will ich nur anführen, daß es mir sehr töricht zu sein scheinet, wenn man von den menschlichen Schwachheiten und angebornen Fehlern Anlaß nimmt, die Güte Gottes zu bestreiten. Gott hat verschiedene Dinge erschaffen. Ein Geschöpfe ist vollkommener als das andere, und doch ist ein jedes in seiner Art vollkommen. Ein Mensch ist vollkommen, soweit er ein Mensch ist. Eine Fliege ist vollkommen, soweit sie eine Fliege ist. Will der Mensch sich mit den Engeln vergleichen, so muß er über seine Unvollkommenheit seufzen und sein Schicksal beklagen. Vergleicht er sich mit gewissen Tieren, so muß er die kurze Dauer seines Lebens beweinen. Man erzählt von dem Theophrastus, daß er auf seinem Totbette die Natur angeklagt, daß sie den Hirschen und gewissen Vögeln ein so langes Leben gönnte, hingegen die Tage der Menschen so sehr verkürzte, da doch dieselben verdienten, am längsten zu leben. Wenn ein Mensch aber die Würmer und Insekten ansieht, so kann er sich erheben und sich als das vollkommenste Geschöpf ansehen. Die Fliegen haben insonderheit ein elendes Schicksal. Es scheint, daß sie im Sommer bloß zu dem Ende geboren werden, daß sie von dem Menschen mögen getötet werden, aber doch nachher für Kälte sterben. Nichtsdestoweniger, wenn sie sich mit gewissen Arten der Würmer oder mit den kleinen Tiergen vergleichen könnten, welche, nach dem Bericht des Aristoteles, nur allein einen Tag leben, so würden sie sich einbilden, daß sie lange lebten, ja ihr Übermut dürfte soweit gehen, daß sie sich vorstellten, die Welt sei um ihrer Vorzüge willen erschaffen. Ebendann bestehet die Schönheit, daß die Kreaturen so sehr voneinander unterschieden sind, und dadurch wird das Werk der Schöpfung nicht nur größer, sondern diejenigen, welche darauf achthaben, werden dadurch in ein noch größeres Erstaunen gesetzt. Wie es aber auch mit dem Schicksal der Menschen beschaffen sein mag, welches Bayle so betrübt und elend vorstellt, so ist doch dieses gewiß, daß man fast niemals jemand antrifft, der gerne sterben wollte. Mir sind einige alte Personen bekannt, die zwar durch die hohen Jahre und mancherlei Krankheiten ganz ausgemergelt worden, aber dennoch eine solche Furcht vor dem Tode haben, daß sie schon zittern, wenn sie nur den Tod nennen hören. Wenn ich dieses bei mir überlege, so muß ich mich wundern, daß die Lehre des Bayle von den beiden Principiis einen so großen Streit erregen können. Aus dem ungleichen Schicksal der Kreaturen läßt sich nichts beweisen, man müsse denn behaupten, daß die Fliegen, weil sie geringer sind als die Löwen, oder das Blei, weil es geringer ist als Gold, aus dem bösen Principio den Ursprung erhalten. Hier läßt sich einigermaßen die Antwort anwenden, welche ein Prediger einem bucklichten Menschen erteilt, der unter seinen Zuhörern befindlich war. Da der Prediger in seinem Vortrage erwähnt, daß alles, was Gott erschaffen, sehr gut sei, so trat dieser bucklichte Mensch gleich zu ihm, wie er vom Predigtstuhl kam, und sagte zu ihm: Sehen Sie, ich bin bucklicht, und nun müssen Sie selbst bekennen, daß nicht alles, was Gott erschaffen hat, gut sei. Der Prediger aber antwortete ihm überaus artig: Als ein bucklichter Mensch seid Ihr sehr wohlgebildet. Obgleich diese Antwort nur in einem Scherz bestand, so war sie doch nicht ungereimt. Denn wenn gleich alle Menschen bucklicht wären, so würde doch die Güte Gottes dadurch nicht leiden. Einige Tiere hat Gott zum Schwimmen erschaffen, weil er wollte, daß dieselben sich im Wasser aufhalten sollten. Einige sind zum Fliegen erschaffen, weil Gott wollte, daß sich dieselben der freien Luft bedienen sollten. Einige Tiere sind erschaffen, daß sie kriechen, und andre, daß sie gehen sollen, und von diesen leben einige für sich selbst, einige aber in Gesellschaft mit andern. Einige sind zahm, andre aber wild und grausam. Ein jedes Tier ist in seiner Art vollkommen. Ich gestehe zwar, daß die Menschen hätten vollkommener erschaffen werden können, ich gestehe auch, daß sie so hätten können erschaffen werden, daß sie niemals hätten sündigen können. Ja, ich räume endlich auch ein, daß Gott es durch seine unumschränkte Allmacht hätte verhüten können, daß seine Gebote niemals von den Menschen wären übertreten worden. Wenn sie aber auf eine solche Art hätten sollen erschaffen werden, daß es ihnen unmöglich gewesen wäre zu sündigen, so wären sie entweder Engel oder bloße Maschinen gewesen, und wenn Gott sie durch seine unumschränkte Macht von Sünden abgehalten hätte, so hätte er auch nicht länger ein Gesetzgeber oder ein Richter sein können. Denn es streitet miteinander, ein Gesetz geben und zugleich durch eine ungebundene Macht verhüten, daß dasselbe nicht übertreten werde. Was die Strafen der Gottlosen betrifft, so darf man nur lediglich mit dem Clericus antworten: Gott tut nichts, was entweder mit seiner Gerechtigkeit oder auch mit seiner Güte streitet. Es stehet einem jeden Richter frei, ohne dadurch seiner Gerechtigkeit und Wahrheit zu nahe zu treten, die Drohungen einzuschränken und die Strafen zu mildern. Mit den Belohnungen verhält es sich ganz anders: Denn was einmal versprochen worden, solches muß aufs genaueste erfüllet werden.

Es ist bekannt, mit welchem Eifer die gelehrtesten Männer wegen dieses Satzes gestritten haben, daß auch zuletzt die gehörigen Schranken von ihnen nicht mehr beobachtet worden. Man muß sich billig wundern, daß Männer, welche sonst sich so sehr zwingen können und wegen ihrer Mäßigung einen so großen Ruhm erlangt, die Regeln, welche sie andern gegeben, so gar vergessen und sich einander mit Scheltworten angreifen können. Aber diese gelehrten Männer waren wie ehedem Cäsar und Pompejus gesinnet, von denen der erste keinen Obern leiden, der andre aber keinen ertragen konnte, der ihm an Macht und Stande gleich war. Bayle und Clericus sind fast die letzten, mit denen die gelehrte Welt, die nunmehr schon ein hohes Alter erreicht hat, recht prangen kann. Der erste war der Scharfsinnigste, der andre aber der Gelehrteste. Beide haben sehr viele Bücher geschrieben. In den Schriften des Clericus trifft man eine gründliche Gelehrsamkeit an, da er sowohl in den Grundsprachen als auch in andern Sprachen überaus wohl erfahren war. In den Schriften des Bayle aber ist mehr Witz und Scharfsinnigkeit. Er schreibt so reizend und blühend, daß man von ihm glauben sollte, er habe beständig am Hofe gelebt. Man findet nicht die geringste Spur von dem scholastischen Wesen, worin er doch erzogen worden. Ich nenne diese Männer nicht ohne Ursache die beiden letzten Helden in der gelehrten Welt, welche nun alt und unkräftig geworden. Die Natur ist zwar auch zu unsern Zeiten noch nicht so entkräftet, daß sie auch nicht noch itzt ebenso fähige Köpfe als ehemals erzeugen sollte. Wenn man aber die großen Männer betrachtet, welche die vorigen Zeiten aufzuweisen haben, so kann man nicht leugnen, daß der Flor der Wissenschaften ungemein vermindert worden:

... Iam languent exhausto robore vires. Iam languent exhausto ...: Schon ist die Stärke erschöpft, sind die Kräfte erschlafft. (Ovid, Ex Ponto I, 4, 3)

Ich habe die Ursachen, denen man diesen Verfall zuzuschreiben hat, bereits in meinem vorigen Brief angeführt, und desfalls will ich dieselben hier nicht wiederholen. Dieses einzige will ich nur hinzusetzen, daß die heutigen Gelehrten, anstatt daß sie in den vorigen Zeiten durch Belohnungen und Ehre aufgemuntert wurden, nunmehr das Schicksal des Poeten Eumolpus befürchten und mit ihm seufzen müssen:

Novimus plausum ingenii nostri.
Sint Moecenates, et erunt quoque in orbe Marones,
Nasonemque Tibi vel tua rura dabunt
. Novimus plausum...: Wir wissen schon, was für einen Beifall man den Erzeugnissen unseres Talentes zu spenden pflegt. (Petronius, Saturae c.90) Sobald es Leute wie Mäcenas gibt, gibt es auch Virgile in der Welt, und einen Ovid wird dir selbst deine ländliche Abgeschiedenheit hervorbringen. (Martial, Epigramme VIII, 56,5f.)

Dieses ist ohnstreitig die vornehmste Ursache des Verfalls, den die Wissenschaften erlitten haben. Einige setzen noch andre Ursachen hinzu. Ich glaube, daß man hieher auch die scharfe Zensur rechnen könnte, welcher itzt alle Schriften müssen unterworfen werden. Denn dadurch wird nichts anders ausgerichtet, als daß lauter geringe, matte und elende Schriften ans Licht kommen. Durch die Furcht und Unwissenheit wie auch durch den verdorbenen Geschmack der Censorum werden öfters die besten Bücher unterdrückt und die schönsten Stellen ausgelöscht. Aus dieser Ursache halten es auch viele Verfasser für ratsamer, ihre Arbeiten gleich in der Geburt zu ersticken oder sie lieber dem Staube und der Vergessenheit zu überliefern, als dieselben solchen Richtern zur Beschimpfung in die Hände zu geben. Sollte jemand an dieser Wirkung der Zensuren zweifeln, so darf man nur die Bücher, welche einer so scharfen Untersuchung unterworfen gewesen, mit andern vergleichen, die ohne Zensur gedruckt worden, so wird man gleich den großen Unterscheid bemerken. Das Imprimatur, welches man den Büchern vorzusetzen pflegt und wodurch man dem Verfasser die Freiheit erteilt, sein Werk drucken zu lassen, bedeutet soviel, als wenn der Zensor sagte: Hier ist ein Buch, welches lauter gemeine und von andern bereits tausendmal vorgetragne Dinge enthält, daß man dieselben nicht ohne Ekel und Widerwillen lesen kann. Oder auch: Dieses Werk kann gedruckt werden, denn es sind nur solche Wahrheiten darin enthalten, welche allen und jeden bereits längstens bekannt sind, und der Verfasser hat nur solche Meinungen vorgetragen, die in unsrer Republik seit undenklichen Jahren angenommen worden. Man wendet zwar ein, daß einige Schriftsteller sich einer gar zu großen Freiheit anmaßen würden, wenn man solche nicht auf diese Art einschränkte. Aber aus zweien Übeln muß man doch allemal das kleinste erwählen, und das Gute, welches durch diese Behutsamkeit ausgerichtet wird, ist gar nicht gegen den Schaden zu rechnen, welcher dadurch entstehet. Unser Norden bringt vortreffliche Köpfe hervor. Aber sie werden niemals nach meinem Urteile zur Reife kommen, wo man nicht diese Hindernisse völlig aus dem Wege räumet und diese Überbleibsel des alten gotischen Wesens abschaffet. Je gesitteter ein Volk ist, desto größer ist die Freiheit, welche man den Skribenten verstattet. Die Wirkung davon kann man in Frankreich sehen, woselbst zu den Zeiten Ludwig des Vierzehenten so viele große Geschichtschreiber, Redner, Philosophen und Dichter aufstunden, deren Arbeiten unsre heutige Skribenten bewundern, aber vergebens nachzuahmen suchen. Wie aber die Freiheit zu schreiben durch scharfe Gesetze eingeschränkt ward und die Redner und Dichter, ja sogar die Komödienschreiber, ihre Schriften und Arbeiten einer strengen Zensur unterwerfen mußten, so fiel alles auf einmal, und seit der Zeit hat man nicht gehört, daß etwas Außerordentliches von ihnen geleistet worden. In Schweden fingen die Gelehrten an, sich zu erholen, wie der Krieg geendiget war und der Friede wiederhergestellet ward. So viele Gaben auch jemand aber von Natur haben mag und so vollkommen er solche auch durch den Fleiß immer zu machen sucht, so wird er doch niemals etwas Großes ausrichten können, solange die alten Zensuren währen, welche fähigen Köpfen recht einen Zaum anlegen. Die Regeln halte ich für sehr nützlich und notwendig, daß man nichts schreiben müsse, wodurch die Religion und die guten Sitten können beleidiget werden. Aber die gar zu behutsamen Censores dehnen dieselbe gar zu weit aus. Sie machen sich auch bei solchen Dingen ein Bedenken, wo gar kein Zweifel statthat, und erheben ein Geschrei, wenn sie etwas lesen, das sie vorher noch nicht gewußt haben. Ich wünschte, daß die Zensuren auf diese Art möchten eingerichtet sein, daß die Censores genau achtgäben, daß keine gemeine, längst bekannte oder aus andern Schriften gestohlene Sachen und Bücher gedruckt würden, welche der gelehrten Welt zur Schande gereichen. Die Wirkung dieses Gesetzes würde sich dadurch hinlänglich äußern, daß wir anstatt so vieler elenden und gemeinen Schriften, womit itzt alles angefüllet ist, schöne und gründliche Bücher haben würden, von denen unsre Zeiten Ehre hätten.

Einige glauben, daß ich ein großer Feind der Metaphysik sei, und sie mutmaßen solches aus der Rede, die ich vor einigen Jahren zum Lobe der Metaphysik gehalten habe, welche mehr einer Leichenrede auf das Absterben derselben als einer Lobrede ähnlich gewesen. Ich habe aber durch die Metaphysik die vielen Kunstwörter und die unendlichen Einteilungen verstanden, welche man bei öffentlichen Disputationen bloß zu dem Ende mißbraucht, daß man seinen Gegner dadurch berücken und fangen möge. Wenn man aber das Wort Metaphysik in einem andern Verstande nimmt, so halte ich dieselbe für eine Wissenschaft, die einem Philosophen anständig ist. Ich lese selbst öfters metaphysische Bücher, ob ich gleich gestehen muß, daß ich in dieser Wissenschaft nicht weit gekommen bin. Denn man trifft solche verborgene Dinge darin an, welche, aller angewandten Untersuchung ohngeachtet, uns stets verborgen bleiben werden. Zwar einigen Gottesgelehrten und Philosophen scheinen solche Dinge gar nicht dunkel zu sein, denn sie beschreiben uns die Natur Gottes, der Engel und der Geister mit der größten Zuversicht. Hieher gehört der Ausspruch des Tertulians: Ein jeder christlicher Handwerksmann kann Gott finden und zeigen. Mich dünkt aber, daß Simonides in diesem Stücke weit vernünftiger geurteilet habe, denn da derselbe von dem Hiero, einem Könige in Sizilien, Befehl erhielt, eine Beschreibung von Gott zu machen, so bat er sich zuerst einen Tag aus, sich darauf zu besinnen. Hierauf forderte er zwei Tage, und wie er endlich, ohne sich zu entschließen, die Tage immer verdoppelte, so wunderte sich Hiero darüber und wollte die Ursache wissen. Worauf Simonides antwortete: Je länger ich dieser Sache nachdenke, desto dunkler und unerforschlicher scheint mir dieselbe zu sein. Es wäre zu wünschen, daß alle diejenigen, welche sich auf diese Wissenschaft legen, ebendieselbe Bescheidenheit von sich blicken ließen, welche man an dem Newton billig rühmet. Es wäre zu wünschen, daß sie sich aller Beweise, welche man a priori zu nennen pflegt, enthielten und die Beschreibung fahrenließen, welche sie von dem Wesen und der Natur der Seelen und Geister erteilen. Ich wünschte, daß man anstatt dieser Fragen, wie es mit dem Wesen der Geister beschaffen sei, was es mit unsrer Seele eigentlich für eine Bewandtnis habe, wie sich ihre Wirkungen äußern, wie sie bestehe, wie sie fortgepflanzt werde, was sie für Schlüsse mache, wenn sie von dem Körper abgesondert ist, was sie für eine Gestalt habe, ob solche so beschaffen sei, wie sie in der gemalten Welt den Kindern vorgestellet wird, oder ob sie wie ein kleines unteilbares Sonnenstäubgen beschaffen sei, ob man ihr eine Höhe, Breite und Länge zuschreiben könne. Ich wünschte, daß man anstatt aller dieser Fragen, welche man dennoch wegen der schwachen Einsicht, womit der Mensch hier begabt ist, niemals entscheiden wird, einzig und allein auf die Wirkungen sehen möchte, welche einem jeden vor Augen liegen. Ich wünschte, daß man, anstatt sich mit Auflösung dieser verborgnen Dinge aufzuhalten, welche den Menschen weder notwendig noch möglich ist, lieber sein Unvermögen bekennte und mit jenem Poeten ausriefe:

O! utinam nobis non sordida veslis adesset,
Vidissem propius mea numina
... O! utinam nobis ...: O trüge ich nicht dies unreine Gewand, aus größerer Nähe hätte ich meine Gottheiten sehen dürfen.

Wenn man so behutsam und bescheiden verführe, so würde man, anstatt unzähliger ungewisser Dinge, doch wenigstens einige gewiß wissen.

... Incerta haec si tu postules
Ratione certa facere, nihilo plus agas,
Quam si des operam, ut cum ratione insanias
. Incerta haec ...: Wolltest du diese unbestimmten Dinge nach bestimmter Methode betreiben, so wäre das genau dasselbe, als wenn du dir Mühe gäbest, mit Methode wahnsinnig zu sein. (Terenz, Eunuchus 61-63)

Auf die systematische Theologie und auf die Polemik habe ich so wenigen Fleiß gewandt, daß ich sehr schlecht bestehen dürfte, wenn ich mich der Prüfung der Gottesgelehrten unterwerfen wollte. Aber die Geschichte der Juden und Christen sind mir sehr wohl bekannt, und um die Grundsätze der christlichen Religion habe ich mich mit der größten Sorgfalt bekümmert. Und da ich es für eine Pflicht eines vernünftigen Menschen halte, alles zu untersuchen, so lese ich bald ketzerische Schriften, bald aber solche Bücher, welche von Rechtgläubigen abgefaßt worden. Alles, was man zu unsern Zeiten in England gegen die Religion ausgestoßen und geschrieben, das habe ich mit dem größten Fleiße durchgelesen. Jedoch die Unruhen und Zweifel, welche Toland, Collin, Tindal, Whoolston und das Buch, welches unter dem Titel › The moral philosopher‹ herausgekommen ist, in meinem Gemüte erregt haben, sind mir durch andre herzhafte und rechtschaffene Verteidiger der christlichen Religion glücklich wieder benommen worden. Was man nur Gottseliges und Schönes, aber auch zugleich Ärgerliches und Gottloses erdenken kann, das kommt über das Meer und wird von dieser Insel nach unsern Ufern gebracht. Wenn man den Hobbes und Spinoza mit dem Whoolston vergleicht, so scheinen jene noch vernünftig und bescheiden zu sein. Die Raserei und Bosheit, womit dieser die Religion angreift, hat keine Grenzen. Einige mißbilligen es zwar, daß man solche Bücher lieset, weil man ihrem Urteil nach ein Gemüt verrät, das an solchen Neuerungen ein Vergnügen findet. Nach meiner Einsicht aber gibt man dadurch zu erkennen, daß man für seine Seele Sorge trage und um seine Wohlfahrt bekümmert sei. Man pflegt diejenigen mit vielen Lobsprüchen zu belegen, welche keine Arbeit und Gefahr scheuen, neue Länder zu entdecken. Wie kann man denn diejenigen tadeln, die wegen des Zustandes nach dem Tode besorgt sind, die alles versuchen und sich auf alle Meere wagen, um den Hafen in dem verheißenen Lande zu erreichen? Einige werden, wie Cicero sagt, recht als durch einen Sturm zu diesem oder jenem Satze hingerissen, ohne denselben zu untersuchen, und von demselben lassen sie sich auch nicht wieder abwendig machen. Diese lobt man insgemein und versetzt sie bisweilen wohl gar unter die Heiligen. Aber ebendadurch lobt man die Faulheit, die Nachlässigkeit und die Unachtsamkeit. Denn wer es nicht der Mühe wert achtet, den Weg, welcher zu der verheißenen Glückseligkeit führet, mit der allergrößten Sorgfalt aufzusuchen, der ist wenig von einem Tier unterschieden. Und wie können diejenigen doch dieser Pflicht eine Gnüge leisten, die sich weiter um nichts bekümmern, als was sie einmal gefaßt haben. Wie kann man doch solchen Leuten einen Glauben zuschreiben, welche niemals untersucht haben, was sie glauben. Gewiß, ein Ketzer, der eine genaue Prüfung angestellt hat, ist eher zu entschuldigen als ein Rechtgläubiger, der niemals an eine Untersuchung gedacht hat. Wenn jemand ohne vorhergegangene Prüfung und ohne daß sich jemals ein Zweifel bei ihm geregt den rechten Glauben hat, der glaubt nur zufälligerweise und kann sich auch keinen andern Lohn versprechen. Wenn aber jemand alles versucht, alle Kräfte braucht und keine Mühe scheuet, die Wahrheit zu finden, so sind seine Bemühungen, auch wenn er seinen Zweck nicht erreicht, dennoch lobenswürdig, und er kann sich von dem himmlischen Richter, welcher ganz anders als die Menschen urteilet, ein gelindes und gnädiges Urteil versprechen. Hieraus erhellet, wie unbillig diejenigen verdammt werden, welche sich aufs sorgfältigste bemühen, die Wahrheit zu erforschen und gute und böse Bücher gegeneinanderhalten, um die Wahrheit herauszubringen. Denn diese Bemühung gehet auf die Erkenntnis, und der Grund dieser Bemühung beruhet in der Gewißheit und Überzeugung. Da uns nach dem Ausspruch des Cicero eine mit Vernunft angestellte Untersuchung zu solchen Dingen führet, die wir vorher nicht eingesehen haben, so kann man nicht begreifen, warum die meisten lieber irren und den einmal angenommenen Satz auf das hartnäckigste verteidigen, als dasjenige recht untersuchen wollen, was man mit solchen Eifer zu behaupten pflegt. In dieser Absicht trage ich kein Bedenken, die Bücher zu lesen, worin die Religion angefochten wird, und ich weiß die Arbeit der verdienten Männer nicht hoch genug zu schätzen, welche die von den Feinden der Religion erregten Zweifel so glücklich gehoben haben. Gegen die Irrenden hege ich das zärtlichste Mitleiden, diejenigen aber hasse ich, welche andre so schlechthin und ohne alles Erbarmen verdammen.

Folgenden dreien Sätzen hänge ich in Absicht auf die Religion aufs festeste an und verteidige sie aufs eifrigste: 1. Ich glaube nichts und nehme nichts an, was gegen die Sinnen und die allgemeinen Begriffe streitet. 2. Ich unterschreibe keinen Lehrsatz, der mit den Grundsätzen der Religion streitet, die ich bekenne. 3. Ich verwerfe, was den göttlichen Eigenschaften zu nahe tritt und dieselben beleidiget und angreift. Daher wird mich die Lehre von der Transsubstantiation jederzeit von der römischen Kirche abhalten, weil ich meinen Augen und Sinnen den Glauben nicht versagen kann noch darf. Denn wer etwas behauptet, das mit den allgemeinen Begriffen streitet, der macht alles wankend und ungewiß. Daher fliehe ich die Lehre, de indolerantia, welche die ersten Reformatores der päpstlichen Kirche vorgeworfen haben, da sie den Grund der verbesserten Religion umstößt. Und endlich habe ich auch für die Lehre von dem absoluto decreto oder dem unbedingten Ratschluß Gottes einen Abscheu, weil es scheint, daß Gott dadurch zum Urheber der Sünde gemacht wird. Ich falle denen nicht bei, welche alle Heiden ohne Unterscheid verdammen und einen Sokrates, einen Epictet, einen Aristides und andre tugendhafte Männer, die außerhalb der Kirchen geboren sind, zu einer ewigen Qual verurteilen. Welche sich einen solchen Gott vorstellen, mit denen verlange ich keine Gemeinschaft zu haben. Ich glaube an einen höchst gütigen und gnädigen Gott, der ein Freund des menschlichen Geschlechts ist. Einen strengen und grausamen Richter überlasse ich andern zu verehren. Daher habe ich auch beständig mit denen zu streiten, welche ein jedes unschuldiges Vergnügen verwerfen, hingegen ein trauriges Wesen anpreisen und die knechtische Furcht als eine christliche Tugend ansehen. Was ist doch dieses anders, als einen gnädigen und gütigen Vater in einen strengen und neidischen Herrn verwandeln?

In dem Begriffe, den ich mit der Frömmigkeit verbinde, stimme ich mit einigen nicht überein. Andre nennen die Gottseligkeit eine Furcht Gottes, ich aber nenne sie eine Liebe zu Gott, die mit der Ehrerbietung verbunden ist. Aus diesem irrigen Begriffe, welchen man von der Frömmigkeit hat, entstehet es, daß die Traurigkeit öfters mit der Frömmigkeit vermischt wird. Ich halte dafür, daß man Gott mit einer kindlichen Liebe, nicht aber mit einer knechtischen Furcht verehren müsse. Und die Ernsthaftigkeit derer, welche die Laster vermehren, scheint mir insonderheit zu diesen Zeiten sehr übel angebracht zu sein, da sich so viele Feinde gegen die Religion auflehnen und, unter dem Vorwand, da sie auf die Macht der Geistlichkeit schmähen, die Religion zu untergraben und den Himmel selbst zu stürmen suchen. Dieser unruhige Zustand erfordert mehr ein gemäßigtes als ein übertriebenes Wesen. Einer solchen Mäßigung, welche auch die Klugheit erfordert, bedient sich die englische Geistlichkeit, und dadurch macht sie die Pfeile der Gegner unschädlich.

Bacchae bacchanti si velis adversarier
Ex insana insaniorem facies
. Bacchae bacchanti ...: Wenn du dich einer rasenden Bacchantin in den Weg stellen wolltest, so würdest du die Wahnsinnige nur noch wahnsinniger machen. (Plautus, Amphitruo 703f.)

Mein Gebet ist nicht weitläuftig, weil ich glaube, daß der Gottesdienst nicht so sehr im Beten, als vielmehr in der Tat, im Gehorsam und in der Verbesserung der Sitten bestehet. Ich bemerke, daß man täglich das Beten und Sündigen miteinander verknüpft, und es scheint, daß einige nur desfalls desto eifriger beten, damit sie desto freier sündigen mögen, oder daß sie desto öfterer einen Fehltritt begehen, damit sie desto eifriger beten mögen. Ich rede hier nicht von den Heuchlern, deren Andacht einem jeden leicht selbst in die Augen fällt, sondern allein von der mechanischen Andacht dererjenigen, welche zu gewissen Stunden beten und zu gewissen Stunden sündigen. Ich habe es niemals zusammenreimen können, wenn ich gesehen, daß man das Beten und Singen mit dem Verbrechen verdoppelt und mit gleichen Schritten zu beiden eilet. Endlich aber habe ich dieses Geheimnis entdeckt, da ich bemerkt, daß einige diesen mündlichen Gottesdienst als eine Abrechnung oder Ersetzung wegen der von ihnen begangenen Bosheiten ansehen. Da es nicht schwer ist, die Lippen zu bewegen, hingegen sehr viele Standhaftigkeit und ein großer Ernst erfordert wird, den Lüsten zu widerstehen und die bösen Leidenschaften zu überwinden, so erwählet man das Leichteste und meinet, daß dadurch die Pflicht eines Christen einigermaßen erfüllet werden könne. Aber solche Leute stehen in großer Gefahr, daß ihr Bezeigen einen sehr schlechten Lohn erhalten werde. Und gewiß, es ist sicherer, gänzlich zu schweigen, als die Vergebung solcher Übertretungen zu bitten, die man willens ist, mit dem ehesten wieder zu erneuren. Daher sagte Bion zu einigen Bootsleuten, welche eifrig beteten, da ein heftiges Ungewitter alle Augenblick das Schiff zu zertrümmern drohete: Schweiget doch, damit Gott nicht höre, daß ihr euch hier aufhaltet.

Dieses sind diejenigen Stücke, welche ich an andern aussetze, und welche andre an mir tadeln werden. Ob die von mir vorgetragenen Sätze ketzerisch sind, solches mögen Sie, mein Herr, und nebst Ihnen alle unparteiisch Gesinnte urteilen. Wenn man mich desfalls einer Ketzerei beschuldigen will, so wird sie auch allein darin bestehen. Denn in den Grundsätzen weiche ich nicht im allergeringsten von der wahren Lehre unsrer Kirche ab, und wenn ich ja davon abwiche, so würde ich es aufrichtig anzeigen, da ich für einem Menschen und einem Christen nichts schändlicher und unwürdiger halte als die Verstellung. Die Zweifel, welche mir die verbotenen Bücher erregen, eröffne ich meinen Freunden, und durch deren Hülfe löse ich sie größtenteils glücklich auf.

Da das Leben so kurz ist, ...
Et iam venit aegra senectus, Et iam venit ...: ...Und schon naht das beschwerliche Alter. (Ovid, Metamorphosen XIV, 143)

so scheint es mir der Mühe wert zu sein, alles aufs genaueste zu prüfen und selbst die Grundsätze der Offenbarung zu untersuchen. Es ist mir nicht unbekannt, daß man diejenigen, welche dieses tun, zu tadeln pflegt. Da aber Gott gütiger und gnädiger urteilt als die Menschen, so hege ich auch das Vertrauen, daß eine solche Untersuchung, welche allein durch eine Sorgfalt wegen des Künftigen rege gemacht wird, dem himmlischen Richter nicht mißfallen werde. Ich beklage England und verdamme die ausschweifende Frechheit, womit man die Religion angreift, insonderheit, da das Übel immer weiter einzureißen scheint. Aber ich bedaure das Schicksal Spaniens, Italiens und einiger andern Länder noch mehr, wo man in geistlichen Dingen alle Freiheit einschränkt und dem Verstande Fessel anlegt. Denn dadurch werden die öffentlichen Lehrsätze verdächtig, und eine verbogene, aber auch desto scheußlichere Gottesverleugnung nimmt die Gemüter ein. In Spanien, wo man fast ebenso viele Heilige dem äußerlichen Ansehen nach als Menschen antrifft, scheinen mehrere Christen zu sein, in England aber sind vielleicht wirklich mehrere vorhanden. Denn die Engländer verschweigen nichts von dem, was ihnen auf dem Herzen liegt, weil sie es für schändlich halten, anders zu reden und anders zu denken. Andre aber, die entweder durch die Furcht für die Strafe abgeschreckt werden oder auch ihren Vorteil dadurch zu befördern suchen, entblöden sich nicht, Gott selbst ein Blendwerk zu machen, und pflanzen die Religion, welche sie in ihrem Herzen verabscheuen, öfters durch Feuer und Schwert fort. Nun stelle man sich beide Völker vor und erwäge, was Gott, der in dem verborgensten Winkel des Herzens dringet, von ihnen urteilen werde. Man stelle in Gedanken dem letzten Gerichte solche Menschen dar, welche aus einer frommen Absicht in der Schrift geforscht, aber aus Schwachheit ihrer Urteilskraft in verschiedene Irrtümer gefallen sind. Man lasse aber auch solche Menschen vortreten, welche entweder aus Nachlässigkeit eine so wichtige Sache nicht untersuchen wollen oder welche über eine Religion, die sie öffentlich mit dem Munde bekennen, in ihrem Herzen spotten, und die, wie der Poet sagt:

... ficto simulant pia pectora vultu. ficto simulant ...: ... mit scheinheiliger Miene ein frommes Herz vortäuschen.

Man stelle beide Teile fürs Gerichte, und es wird nicht schwerfallen, das Urteil zu erraten, was über sie wird gesprochen werden:

Cum summus Iudex terras inviset ab aula
Sydere a, ul vitas actas ac crimina discat
. Cum summus Iudex ...: ... wenn der höchste Richter vom Sternenzelt herab die Lande überschauen wird, auf daß er Lebensläufe und Sünden erkenne.

In Spanien trifft man sehr viele und recht merkwürdige Beispiele einer verstellten Frömmigkeit an, wo diese schändliche Verstellung von den Eltern auf die Kinder fortgepflanzt wird und wo man Priester, Bischöfe, ja Mitglieder des Inquisitionsgerichts entdecket hat, welche heimlich dem Judentum ergeben gewesen.

Ich verdamme niemanden, welcher wünscht, selig zu werden. Ich verdamme vielmehr diejenigen, welche an andern öffentlich tadeln, was sie heimlich selbst billigen, und welche öffentlich etwas bekennen, worüber sie spotten, wenn sie allein sind und keine Zeugen haben. Es ist menschlich, daß man irret, wenn man aber offenbar über das höchste Wesen spottet, wie die letztern tun, so macht man sich der strengsten Rache würdig. Damit man aber nicht glauben möge, daß ich die Ketzer öffentlich verteidige, so mache ich einen Unterscheid unter diejenigen, welche aus Schwachheit und Unwissenheit fehlen, und unter diejenigen, welche aus Bosheit und Vorsatz irren. Diese verdamme ich. Mit jenen trage ich Mitleiden, wo sie nicht etwa ihre Irrtümer allenthalben auszubreiten suchen, denn in diesem Fall werden sie mit allem Rechte als Störer der gemeinen Ruhe gestraft. Bloß in dieser Absicht kann es entschuldiget werden, daß man die Irrenden nicht dulden muß. Denn alles, wodurch eine Gesellschaft gestöret wird, muß durch die Gesetze der Gesellschaft unterdrückt werden. Deswegen werden die Räuber, Totschläger, Diebe und andre Missetäter von dieser Art als Feinde der gemeinen Ruhe von denen, welche einen Staat regieren, billig gestraft. Hingegen andre Laster, als Geiz, Undankbarkeit, Völlerei, Verschwendung, irrige Meinungen, werden von ihnen nicht geahndet, sondern dem göttlichen Richterstuhl anheimgestellt. Es erhellet zwar aus der Heiligen Schrift, daß der Götzendienst mit dem Leben gestraft worden, aber die göttliche unmittelbare Regierung, unter welcher die Israeliten damals lebten, erforderte diese Schärfe notwendig. Denn der Dienst, welchen man fremden Göttern erwies, war als ein Aufruhr gegen Gott, den König des israelitischen Volks anzusehen. Wenn man demnach fremde Götter verehrte, so war dieses bei den Israeliten ebensoviel, als wenn man die ordentliche Regierung verachtete, wodurch die aufgerichtete Gesellschaft zugrunde gerichtet ward. Daher wurden öfters geringere Verbrechen scharf gestraft, größere aber, weil sie mehr in der bloßen Erkenntnis als in der Ausübung bestunden, nicht geahndet. Man duldete die Sadduzäer, welche die Auferstehung der Toten leugneten und weder Engel noch Teufel zugaben. Hingegen ward die Todesstrafe festgesetzt, wenn auch nur die geringste Zeremonie nicht auf das vollkommenste und genaueste beobachtet ward. Hieraus erhellet, daß ich bloß diejenigen von der Toleranz ausschließe, welche solche Sätze behaupten, die der weltlichen Regierung und dem Staat entgegen sind. Diese sind nach meinem Urteil in keiner Republik zu dulden. Ich schließe also die Papisten aus, welche selbst keine andere dulden, und mit Gewalt und List ihre Sätze auszubreiten suchen. Ich schließe auch die Schwärmer aus, welche sich nicht durch einen Eid zum Gehorsam gegen die Obrigkeit verbindlich machen wollen und ihre Hartnäckigkeit durch ein zartes Gewissen zu bedecken trachten.

Auf die Mathematik habe ich mich niemals gelegt. Doch hat die Naturlehre, welche sich mit himmlischen Körpern beschäftiget, mir allemal ein sehr großes Vergnügen verursacht, und ich lese auch noch alles, was in dieser Materie geschrieben worden, mit sehr vieler Begierde. Ich habe mich noch niemals entschließen können, ob ich den Sätzen des Cartesius oder des Newtons mehr Beifall geben soll, und deswegen habe ich noch keine von beiden vollkommen angenommen. Dennoch haben sich die Cartesianischen Wirbel meinem Gemüte sehr stark eingeprägt. Denn dieser Satz von den Wirbeln ist so leicht und augenscheinlich, daß auch Kinder dieselbe als eine notwendige Wirkung von der Umdrehung der Sonne erkennen können. Hingegen muß die Meinung des Newtons von der anziehenden und magnetischen Kraft der Sonne den Ungelehrten als eine Zauberei vorkommen, und sie können unmöglich begreifen, wie die Sonne, welche so viele Feuerstrahlen von sich wirft, dennoch zu gleicher Zeit die Planeten an sich ziehen könne, da es gegen die Natur streitet und einen offenbaren Widerspruch mit sich führt, zu einer Zeit von sich zu stoßen und an sich zu ziehen. Da aber die Meinung des Cartesius leichter zu begreifen und auch glaublicher ist und man überdem den Umlauf der Planeten keinen wahrscheinlichem Ursachen zuschreiben kann, so halte ich diese Meinung für die beste und für diejenige, welche den meisten Beifall verdient. Sollten einige Phänomena vorkommen, welche dagegen zu streiten scheinen, als der elliptische Lauf der Kometen und andre dergleichen Dinge, so kann dieses von solchen Ursachen herrühren, die wir nicht wissen, oder in der Natur der Kometen selbst seinen Grund haben, die uns unbekannt ist. Ich übergehe, was man sonst noch hievon sagen könnte, weil ich nicht zum Richter in dieser Sache gesetzt bin. Nur dieses will ich annoch hinzufügen, daß der ausschweifende Lauf der Kometen ebenso stark gegen die Sätze des Newtons als gegen die Sätze des Cartesius streitet. Denn wenn man fragt, woher es komme, daß der Komet eine andre Laufbahn hat als die andern Planeten, die in runden Kreisen um die Sonne laufen, so wird einem Anhänger des Newtons diese Frage ebensoschwer aufzulösen sein, warum ein Komet, wenn er sich der Sonne genähert, wieder auf seiner Bahn von ihr weglaufe. Denn wenn die Sonne die Planeten vermittelst ihrer magnetischen Kraft an sich zieht, so müßte sie den Kometen, wenn er sich ihr so sehr genähert, vermöge dieser Kraft ganz an sich ziehen und verschlingen. Newton sähe diese Einwürfe wohl vorher, welche man ihm wegen der Sätze in Absicht auf die Schwere machen könnte, und ließ es daher einen jeden frei, ob er lieber das Wort attractio oder impulsio brauchen wollte. Es ist aber beides einerlei. Man muß indessen die Bescheidenheit dieses großen Mannes billig rühmen. Ob er gleich eine so tiefe Einsicht in diese Dinge vor unzähligen andern hatte, so bekannte er doch, daß es Geheimnisse wären, welche der menschliche Verstand nicht erreichen könnte. Die Mathematici, welche nach ihm gekommen sind, haben auf den von ihm gelegten Grund gebauet, und nachher sind viele Sätze des Cartesius verworfen worden.

Das Rentmeisteramt, welches ich gegenwärtig verwalte, unterbricht öfters mein Studieren, wozu mich ein natürlicher Trieb anreizet, und ich muß manchen Tag bloß damit zubringen, daß ich Quittungen schreibe, verschiedene ungelehrte Briefe abfasse und über Einnahme und Ausgabe Rechnung führe. Überdem hält mich auch die Sorge für mein Landgut, Brorup, öfters ab, welches in Seeland liegt und, wie Sie wissen, vor einigen Jahren von mir gekauft worden. Denn bald muß ich die Klagen der Bauern anhören und bald mit meinen Nachbaren streiten. Vor allen Dingen aber hüte ich mich, daß ich nicht in solche Prozesse möge eingeflochten werden, welche insgemein mit dem Besitz der Landgüter pflegen verknüpft zu sein. Sooft sich demnach ein Streit erhebt, so suche ich denselben auf eine freundschaftliche und glimpfliche Art beizulegen. Aber man richtet dadurch auf dem Lande wenig aus. Wenn man sich auf dem Lande befindet, so muß man eine ganz andere Lebensart als in der Stadt annehmen. In der Stadt lebe ich philosophisch, frei und unbesorgt, sobald ich aber aufs Land reise, so ziehe ich den Harnisch an und lege meine Philosophie und alle meine moralischen Regeln so lange in der Accisbude vor dem Westertore nieder, bis ich wieder zurückkomme. Seitdem ich also dieses Gut gekauft, so stelle (ich) zwo Personen vor: In der Stadt bin ich ein Philosoph und auf dem Lande ein Soldat. Hier verteidige ich mich allein mit Worten, wo aber die Worte allein nicht helfen wollen, da muß ich andre Mittel gebrauchen. Ich habe mich zwar im Anfange bemühet, mit Höflichkeit und guten Worten die entstandnen Unruhen zu stillen und durch Sanftmut die Bösen zu überwinden, die Erfahrung aber hat mich nachher gelehrt, daß man auf eine andre Art mit den Landleuten verfahren müsse und daß auf dem Lande Justinian mehr als Seneca ausrichten könne. Meine Nachbaren bildeten sich ein, ich sei dem Studieren so sehr ergeben, daß sie mir ohne Bedenken allerlei Verdruß erregen und mich so sehr, als sie nur wollten, beleidigen könnten. Sie taten auch wirklich einen Versuch, mich durch Schmeicheleien, Drohungen und andre Künste, worin die Landleute sehr erfahren sind, zu reizen, um zu sehen, wie weit meine Geduld sich erstrecken würde. Wie sie aber merkten, daß ich nicht ganz unbewaffnet war, sondern vielmehr auf meine Sachen genau achtgab, so errichteten sie zuerst einen Stillstand und hiernächst einen vollkommenen Frieden mit mir.

Es finden sich bei dieser Lebensart allerhand verdrießliche Umstände, und bisweilen erhalte ich die unangenehme Zeitung:

... Morbo periere capellae,
Spem mentita seges, bos est enectus aratro
. Morbo periere ...: An Krankheit sind die Ziegen eingegangen, die Saat hat die Hoffnung betrogen, der Ochs hat sich zu Tode gepflügt. (Horaz, Episteln I, 7, 86 f.)

Aber das Gemüt wird doch auch zugleich durch verschiedene angenehme Begebenheiten wieder aufgerichtet und vergnügt. Nichts ist meiner Einsicht nach angenehmer, anständiger und einem Philosophen gemäßer als der Ackerbau. Meine Neigung stimmt damit vollkommen überein, und die schwatzhafte Aufrichtigkeit eines Bauren vergnügt mich mehr als die geschmückte Rede eines Gelehrten. Wie ich Besitzer von diesem Gute ward, so lag alles verheeret und darnieder. Mit der Zeit aber gerät alles wieder in einen bessern Stand, und ich spare nichts, den Wachstum und die Aufnahme dieses Guts zu befördern. Ich baue die verfallenen Häuser wieder auf und bringe das Verwirrte wieder in Ordnung. Sooft ich dieses betrachte und den itzigen Zustand des Gutes mit dem vorhergehenden vergleiche, so freue ich mich ungemein. Es gereicht mir zugleich zu einem ganz besondern Vergnügen, daß ich die Pflichten eines rechtschaffenen Bürgers einigermaßen erfüllt und nicht nur einem verheerten Lande eine bessere Gestalt gegeben, sondern auch das elende Schicksal der Landleute, welche ehedem unter einem harten Joche seufzten, erträglicher gemacht habe.

Nun empfinde ich erstlich die Schwachheiten, welche das Alter mit sich bringt. Vorher nahm die Furcht mich niemals ein, nun bin ich sehr furchtsam. Was ich in meinen jungem Jahren eifrig geliebt, das fliehe ich nunmehro, und so gerne ich ehedem in Gesellschaften war, so sehr gefällt mir itzt die Einsamkeit. Vorher war ich aufgeräumt, nun bin ich verdrießlich, und dieses nimmt mit den Jahren zu. Was mir vormals ein großes Vergnügen erweckt, dafür habe ich itzt einen Ekel. Ehedem hatte mich die Musik ganz eingenommen, nun kann ich das allerangenehmste Konzert mit der größten Kaltsinnigkeit anhören. Am meisten aber kann ich selbst daraus abnehmen, daß mein Alter mit starken Schritten herannahet, weil ich ein größeres Vergnügen an geringen Erzählungen als an gelehrten Unterredungen finde. Wenn man von den wichtigsten Begebenheiten, als von dem Kriege der Türken mit den Persern, von der Tripelallianz, von der pragmatischen Sanktion, von der Kaiserund Papstwahl und von andern dergleichen Dingen redet, wobei ich ehedem sehr aufmerksam war, so höre ich doch nun weit lieber zu, wenn jemand allerhand Kleinigkeiten, von dem Streite der Nachbarn untereinander, von Hochzeiten, Kindtaufen und Verlöbnissen erzählt. Insonderheit sehen meine Freunde dieses als ein gewisses Zeichen meines herannahenden Alters an, daß widrige Nachrichten und Drohungen mich gar zu leicht schrekken und niederschlagen, und daß ich gleich wie bei dem Anblick eines Kometen zittere, sooft mir etwas Ungewohntes begegnet. Diesen Fehler haben auch einige bereits in meinen Jüngern Jahren und bei meinem männlichen Alter bemerkt und daher den Schluß gemacht, daß ich nur bloß in Worten, nicht aber in der Tat ein Philosoph sei. Ich gestehe, daß ich niemals ein praktischer Philosoph gewesen. Ich habe auch bereits aufrichtig bekannt, daß ich dem Zorn, der Unruhe des Gemüts und andern Schwachheiten unterworfen bin, und die Gewohnheit, welche doch sonst das Gemüt gesetzt zu machen pflegt, hat mich gegen alle Zufälle noch nicht genug gewaffnet. Ich weiß wohl, daß man durch Hülfe der Weltweisheit alle Schmerzen und widrige Schicksale überwinden und verachten kann, und aus dieser Ursache lese ich auch beständig philosophische Schriften. Ich habe es aber, aller Bemühung ohngeachtet, wohl nicht dahin bringen können, daß ich aller Übereilung zu widerstehen vermögend wäre.

Die Philosophen pflegen zwar zu behaupten, daß man alles, was man abzulegen imstande ist, auch verhüten könne, daß man es nicht annehme. Aber da die Fälle, welche uns begegnen, nicht von uns abhängen, so ist es auch nicht möglich, zu verhindern, daß unerwartete Zufälle nicht unser Gemüt in Bewegung setzen sollten:

Unde timere hominis sapientis et insipientis
Primos cum motus fistere nemo queat.
Hoc tantum distant, pavor oppugnat sapietitem,
Expugnat stolidum, perpetuaque premit
. Unde timere ...: Darum befällt Furcht den Toren wie den Weisen, denn niemand kann der Regung seines Gemüts im ersten Augenblick Herr werden. Darin aber unterscheiden sie sich: die Furcht bekriegt den Weisen, den Toren besiegt sie und plagt ihn dauernd.

Man kann es deswegen mit Recht für einen eitlen Stolz halten, der nicht die geringste Wahrscheinlichkeit zum Grunde hat, wenn einige darin einen Ruhm suchen, daß sie vorgeben, sie wüßten von gar keinen Leidenschaften. Wir sind nicht aus Holz und Stein gehauen. Der erste Anfall, insonderheit wenn er unerwartet kommt, kann auch die Allerklügsten verwirren und die Standhaftesten in Bewegung setzen. Wenn man aber das Unglück vorher siehet, so wird dasselbe dadurch sehr gemindert. Deswegen sagt der Poet:

Ne me imparatum cura laceraret repens. Ne me imparatum ...: ... auf daß mich nicht unvorbereitet plötzliche Sorge zerfleische. (Cicero, Tusculanen III, 29; Übersetzung aus dem Theseus des Euripides)

Weil es also unmöglich ist, die erste Bewegung zu unterdrücken, so sind diejenigen billig zu entschuldigen, bei denen die schnell bewegten Säfte eine Hitze in dem Körper verursachen. Ich bin selbst mit solchen Säften geplagt und empfinde auch die Wirkung davon. Es ist mir daher auch nicht möglich, das Gemüt eher wieder zu beruhigen, bis das Blut nach dem ersten Anfall wieder seinen vorigen Lauf angenommen und die zerstreueten Gedanken wieder gesammlet und in Ordnung gebracht worden. Gewiß, der Anstoß vom Fieber wird dadurch nicht gelindert, daß man den Cicero, Seneca und Sokrates lieset. Wenn aber der größte Sturm überstanden ist und der Schmerz seine empfindlichste Wirkung verloren hat, so sind diese Mittel überaus heilsam, damit die Wunde nicht wieder aufbreche.

Wenn die Hitze sich legt und Vernunft und Nachdenken ihre alte Herrschaft behaupten, so lache ich über meine Torheit und suche den durch Zorn oder Furcht bestürmten Sinn fest und unbeweglich zu machen, daß er nicht dadurch möge überwunden werden. In diesem Falle ist die Philosophie von einem sehr großen Nutzen, und Cicero sagt gar schön: Wie man viele Arzneien gegen das Gift der Schlangen hat, wie Fleiß und Unverdrossenheit sichere Mittel sind, die Armut und den Mangel abzuhalten, und wie man durch die Schamhaftigkeit einem leichtfertigen Wesen am besten widerstehen kann: So ist uns auch die Philosophie von dem Höchsten als ein Geschenk verliehen worden, um dadurch den Schmerz zu überwinden. Es ist genug, wenn ein Mann dem Übel entgegengeht, wenn es abgenommen hat, damit es sich nicht verstärke und von neuen anfange zu quälen. Das weibliche Geschlecht allein läßt sich durch den Gram überwinden. Und hieher gehört, was der Poet sagt:

Conqueri fortunam adversam, non lamentari decet,
Id viri est officium, fletus muliebri ingenio additus
. Conqueri fortunam adversam...: Unglück soll man beklagen, nicht laut darüber jammern; das ziemt sich für den Mann, Tränen sind weibisch. (Pacuvius, Niptra, Fragm. v. 268 f.)

In meinen vorigen Briefen habe ich die Schwachheiten meines Gemüts aufrichtig bekannt. Einige haben zwar mit der Zeit aufgehöret, aber es haben sich an deren Stelle mit dem alten neue eingefunden. Die Zeiten ändern sich, und wir werden mit ihnen verändert, und öfters wird ein neues Laster erzeugt, wenn wir ein altes ablegen. Ich aber bin dennoch in Absicht auf die meisten Tugenden und Fehler unverändert.

So furchtsam ich auch bei meinem herannahenden Alter geworden, so sind dennoch einige Überbleibsel von meiner vorigen Standhaftigkeit übriggeblieben, welche sich noch bisweilen äußern. Denn wenn ich von meinen Gegnern angefallen werde, so verteidige ich mich aus allen Kräften. Nur allein vor denjenigen fürchte ich mich, welche mich unter der Bedeckung der Religion angreifen. Sobald ich diese anrücken sehe, so werfe ich ohne Verzug meine Waffen nieder und ergreife die Flucht. Ich habe aus der Erfahrung bemerkt, wie heftig der Eifer solcher heiligen Gemüter zu sein pflegt, wie unversöhnlich sie sind und mit was vor einem großen Glücke sie ihre Kriege führen.

Fausti hirsuta cohors minor est mihi Castoris ira,
Iniuste patiens me puto iure pati
. Fausti hirsuta cohors...: Des Faustus struppige Schar gilt mir weniger als der Groll Castors; obwohl ich ungerecht leide, bilde ich mir doch ein, gerecht zu leiden.

Die Heuchelei und Verstellung ist mir jederzeit aufs äußerste verhaßt gewesen, und ich bin fast gar zu offenherzig. Einige glauben, daß ich in meinen Schriften dem weiblichen Geschlecht gar zu sehr geheuchelt habe. Wenn man aber alles, was ich zu ihrem Vorteil geschrieben, recht untersucht, so wird man finden, daß ich ihnen nicht geschmeichelt, sondern mit Recht ihre Partei genommen habe. Es ist deutlich von mir erwiesen worden, daß die meisten Fehler, welche man diesem Geschlechte beilegt, nicht von der Natur, sondern von der Auferziehung herrühren, und daß man die Natur öfters mit der Erziehung vermengt. Ich habe gezeigt, daß man auch bei dem Frauenzimmer männliche Tugenden wahrnehmen würde, wenn man sie auf ebendieselbe Art wie die Mannspersonen von Jugend auf erzöge, und daß die meisten Vorzüge, deren sich das männliche Geschlecht anmaßt, demselben mehr durch eine äußerliche Ordnung als durch das natürliche Recht verliehen worden. Und endlich habe ich dargetan, daß man mehr auf die Tugenden als auf die Namen sehen müsse, und daß man allein der Geburt wegen das Frauenzimmer nicht von allen Verrichtungen ausschließen sollte, wozu Verstand und Nachdenken erfordert wird. Zumal, da sehr viele Beispiele vorhanden sind, daß man sehr fähige Köpfe unter ihnen antrifft, denen es nicht an Geschicklichkeit mangelt, in öffentlichen und besondern Sachen sich mit Ruhm zu zeigen. Aus dieser Ursache schmeichele ich dem Frauenzimmer nicht, sondern ich halte vielmehr das männliche und weibliche Geschlecht gleich hoch, ohne dem einen vor dem anderen einen besondern Vorzug einzuräumen. Wenn ich merke, daß die Schwester besser schweigen kann als der Bruder, so vertraue ich ihr und nicht ihm mein Geheimnis. Wenn ich wahrnehme, daß ein Frauenzimmer geschickter ist, dieses oder jenes auszurichten als eine Mannsperson, so ziehe ich dieselbe billig vor. Und auf diese Art kann man demjenigen keine Heuchelei schuld geben, der einen jeden beilegt, was ihm zukommt. Die verdienen weit eher den Namen der Heuchler, welche stets sich selbst und ihr Geschlecht erheben, und das weibliche Geschlecht, welches sich nicht verteidigen kann, angreifen und schwächen. Die meisten fallen zwar derjenigen Partei zu, welche den Sieg erhalten und überwunden hat. Ich aber trete viel lieber zu denen, welche überwunden und unterdrückt werden. Das erste ist zwar das sicherste, das andre aber das anständigste. Bloß in dieser Absicht verteidige ich die Gerechtsame des Frauenzimmers, dem ich mich übrigens niemals verbindlich gemacht habe, weil ich niemals verheiratet gewesen. Meine Freunde treiben mich zwar öfters an und suchen mich durch allerhand Gründe zu bewegen, den Ehestand dem einsamen Leben vorzuziehen. Diese Aufmunterungen aber lehne ich jederzeit mit Lachen ab und berufe mich bald auf meine Unwissenheit in der Experimentalphysik, bald auf meine Jahre, welche sich dem Alter bereits so stark nähern. Ehe ich vierzig Jahre erreichte, konnte ich keine Frau ernähren, und nachher bin ich durch allerhand Ursachen davon abgehalten worden. Vorher erweckte mir die Armut Sorgen und Bekümmernisse, nun aber fürchte ich mich für das Horn des Überflusses, wenn ich mich verheiraten sollte. Ich habe dieses Schicksal mit den meisten von meinen Landsleuten gemein, welche sich aus Armut nicht ehe in den Ehestand begeben können, bis sie alt und kümmerlich und durch die hohen Jahre bereits dazu untüchtig geworden. Wenn ich mich derohalben bei meinem jetzigen Alter nach einer Gehülfin umsehen wollte, so würde meine Frau den Mann und ich die Frau vorstellen. Mit dieser Entschuldigung pflege ich jederzeit meinen einsamen Stand zu rechtfertigen. Die eigentliche Ursache aber bestehet darinnen, daß ich alle Umstände gar zu genau erwäge und auf die geringsten Kleinigkeiten sehe. Mich schrecken die Sorgen ab, die mit einem Hausstande verbunden sind. Mich schrecken noch andre geringere Dinge ab, welche andern zwar leichtfallen, mir aber unerträglich sind. Und wenn ich überdem einen Freier abgeben sollte, so würde ich alle meine Schwachheiten offenherzig bekennen. Sie sind zwar von geringer Erheblichkeit, indessen ist ihre Anzahl doch so groß, daß sie gar leicht eine Jungfrau oder Witwe abschrecken können, mir das Jawort zu geben.

Wie ich vor kurzer Zeit von einer Matrone gefragt ward, ob ich mich etwa durch ein Gelübde verpflichtet hätte, nicht zu heiraten, so antwortete ich, daß ich zwar kein Gelübde geleistet, es wären aber viele andre Ursachen vorhanden, welche mir das einsame Leben angenehm machten und mich abhielten, in den Ehestand zu treten. Sie versetzte hierauf: Die Unbequemlichkeiten, welche mit dem Ehestande verbunden sind, würden durch unzählige angenehme Umstände wieder ersetzt. Eine verständige und fromme Frau könne sehr viele Beschwerlichkeiten erleichtern und die Sorgen des Hauses entweder teilen oder dieselben auch, wenn es der Mann verlangte, allein auf sich nehmen. Sie fing hierauf an, das Vergnügen, welches die Ehe begleitet, herzurechnen und mit den schönsten Farben abzumalen, woraus sie den Schluß machte, die Beschwerlichkeiten, die sich etwa dabei einfinden möchten, durch die Zufriedenheit in der Ehe auf einmal gehoben würden. Ich antwortete, daß ein sechzigjähriger Mann niemals das Vergnügen, sondern allein die Beschwerlichkeiten des Ehestandes empfinde. Wie ich nun auf ihren Befehl die Beschwerlichkeiten erzählen sollte, die ich besorgte, so sagte ich, ob sie etwa des Nachts schnarchte. Und wie sie antwortete, daß sie sehr stark schnarchte, so erwiderte ich, bloß um dieser geringen Ursache willen würden wir uns trennen.

Desfalls habe ich jederzeit ein einsames Leben geführet, und es ist sehr wahrscheinlich, daß ich niemals in den Stand der Ehe treten werde, wenn ich auch noch viele Jahre erreichen sollte. Ich pflanze allein Bäume, damit ich doch etwas zur Fruchtbarkeit der Erde beitragen möge. Weil ich keine Kinder zeuge, so schreibe ich Bücher, und auf solche Art erfülle ich doch einen Teil meiner Pflicht, da ich derselben nicht völlig ein Genügen leisten kann. Es stehet nicht in eines jeden Macht, alles zugleich zu tun. Ich rühme den Bürger, welcher beides zugleich vollkommen leisten kann. Man muß das eine tun und das andre nicht versäumen. Ich habe nun die Ursachen öffentlich kundgemacht, wesfalls ich ein einsames Leben erwählet, und hoffe also, daß mich niemand wegen der Veränderung meines Standes weiter plagen werde.

Es sind noch andre Dinge, welche meine Freunde an mir tadeln, wenn ihnen aber nur die eigentlichen Ursachen bekannt wären, so würden sie erkennen, daß ich mit Recht also verführe und nicht ohne Bedacht handelte. Wenn ich niedergeschlagen und betrübt bin, so schreibe ich lustige und aufgeräumte Schriften, weil dieses meinem Gemüte zu einer Arznei dienet. Ich entziehe meinem Leibe allen Überfluß, weil mir eine solche Lebensart am zuträglichsten ist. Ich lebe einsam und gleichsam in einer Einöde, weil das einzige Vergnügen meines Sinnes in der Einsamkeit und Ruhe bestehet. Ich bin niemals weniger allein, als wenn ich ohne Gesellschaft bin. Einen Lakai brauche ich nicht, denn ich sehe denselben als ein Hauskreuz und als ein unnützes Hausgerät an. Ich gehe zu Fuße, um gesund zu sein. Ich lebe in unverheirateten Stande, weil ich befürchte, daß ich die Verdrießlichkeiten, welche der Ehestand mit sich bringt, nicht dürfte ertragen können. Wer eine Frau nimmt, der muß außer andern allgemeinen Beschwerden auch noch diese insonderheit übernehmen, daß er sich des Verdrusses, welcher seinem ganzen Hause, seiner Frau und seinen Hausgenossen widerfährt, annehmen muß. Denn er kann sich nicht entziehen, für diejenigen alle nur mögliche Sorgfalt zu tragen, mit welcher er durch das Band der Ehe so genau verbunden ist.

Sie wundern sich, mein Herr, warum ich mich lieber in der Stadt als auf dem Lande aufhalte, da ich doch die Einsamkeit und Ruhe so sehr liebe. Aber eben aus Liebe zur Ruhe halte ich mich in der Stadt auf, wo ich wie in einer Einöde lebe. Auf dem Lande bin ich mit Unruhe und andern Beschwerlichkeiten geplagt, von denen man in großen Städten befreiet ist. Denn daselbst hat ein jeder mit seinen Geschäften genug zu tun und wird dadurch gehindert, sich in fremde Händel zu mengen. Auf dem Lande aber ist man müßig, und daher sucht man immer Gelegenheit, Unruhe und Streit anzufangen.

Nam capiunt Vitium, ni moveantur, aquae. Nam capiunt vitium...: Denn das Wasser wird faul, wenn es nicht bewegt wird. (Ovid, Ex Ponto I, 5, 6)

Ich habe dieses selbst in der Gegend erfahren, wo mein Landgut liegt. Denn daselbst muß ich weit vorsichtiger als in der Stadt leben.

Weil ich beständig von der Sanftmut und Geduld rede und lehre, daß man die Irrenden dulden müsse, so tadeln mich deswegen einige gar zu scharfe Gottesgelehrte, welche das Gegenteil mit der größten Heftigkeit behaupten, da doch die vernünftigsten Papisten zu unsern Zeiten Bedenken tragen, solches öffentlich zu verteidigen. Man hält mich im Verdacht, daß ich einige Leute in Schutz nehme, die zu unsern Zeiten die Kirchengebräuche verachten und verwerfen. Ich habe aber gleich von der Zeit an, da ich Gutes und Böses voneinander unterscheiden können, dafürgehalten, daß es nicht nur der Tugend eines Christen gemäß sei, sondern auch mit der Lehre Christi und des Evangelii übereinstimme, die Irrenden zu dulden. Man kann dieses aus den Erinnerungen abnehmen, die ich in meinen bereits vor zwanzig Jahren herausgegebenen Schriften erteilt habe. Wenn man von diesem Satze abweicht, so untergräbt man selbst unsre Religion und macht sich dessen schuldig, was wir selbst an den Papisten aussetzen und als gottlos erkennen. Außerdem wird die Sittenlehre Christi, deren Vortrefflichkeit auch die ärgsten Feinde der Religion erkennen müssen und gegen welche sie auch nicht das geringste einzuwenden sich getrauet haben, unbillig und schlechter als die Lehren der Weltweisen, wenn man die Worte ›nötige sie, hereinzukommen‹ nach dem Buchstaben erkläret.

Einige haben gleichfalls aus meinen Schriften verschiedene Sätze herleiten wollen, welche dem geistlichen Stande empfindlich sein könnten. Und daher macht man den Schluß, ich sei demselben nicht gewogen. Aber man irrt, wenn man also von mir urteilet. Denn ich ehre die Prediger, weil sie das göttliche Wort vortragen. Wenn sie rechtschaffene Lehrer sind, so schätze ich sie aller Ehrerbietung und Liebe würdig. Wenn sie aber nicht so beschaffen sind, so verehre ich sie doch äußerlich wegen des Amts, das sie bekleiden. Ich folge in diesem Stücke dem Beispiel einer vernünftigen Matrone, welche den Prediger, wie er von der Kanzel kam, mit diesen Worten anredete: Ich danke Ihnen für die schönen und herrlichen Ermahnungen, welche Sie uns erteilet haben; Gott gebe Ihnen die Gnade, daß Sie selbst darnach leben mögen.

Ich billige es gar nicht, wenn einige die Prediger auf eine höchst unanständige und unter gesitteten Menschen zum Abscheu gewordene Art angreifen und schreien, daß man ihre Einkünfte vermindern müsse. Nach meinem Urteile muß den Predigern so viel gereicht werden, daß sie davon anständig und reichlich leben können. Man muß aufs sorgfältigste verhüten, daß sie nicht wegen eines gar zu geringen Einkommens von andern verachtet oder genötiget werden, sich auf eine solche Art zu ernähren, die mit ihrem Stande nicht übereinkommt. Denn es ist unmöglich, daß diejenigen ihr Amt recht verwalten können, welche wegen ihres notdürftigen Unterhalts stets besorgt sein und von der Gnade andrer Menschen leben müssen. Man irret demnach sehr, wenn man sich einbildet, daß ich dem geistlichen Stande nicht gewogen sei. Bloß diejenigen fliehe ich, welche fälschlich den Namen der Heiligen zu dem Ende annehmen, daß sie das Ansehen verdienter Männer kränken mögen.

Ferner tadeln auch einige an mir, daß ich nicht ehrerbietig genug von hohen Schulen und überhaupt gelehrten Sachen rede. Und es scheint, daß man mir dieses mit einem soviel größerm Rechte vorwerfen könne, da ich selbst ein Mitglied der Akademie bin. Aber ich greife nicht die Wissenschaften selbst, sondern allein die Art und Weise an, dieselben zu erlernen. Die akademischen Disputationen habe ich in meiner unterirdischen Reise unter die Schauspiele gerechnet. Einige akademische Gebräuche, welche bei den Zuschauern ein Gelächter erwecken, mißbillige ich und spotte über das unnütze Gewäsche und über die leeren Dinge, womit man auf so manchen hohen und niedern Schulen so viele Zeit zubringt. Dieses Urteil greift nicht die Wissenschaften, sondern nur diejenigen an, welche mit denselben umgehen. Es erhellet vielmehr daraus, daß ich die Studien sehr hoch schätze und wünsche, daß die edlen Wissenschaften nicht durch eine verkehrte Art zu studieren und durch einige lächerliche Gebräuche in Verachtung geraten mögen. Es gereicht einigen akademischen Verordnungen zum großen Nachteil, daß sie zu einer solchen Zeit abgefaßt worden, da die Barbarei und Unwissenheit so sehr überhandgenommen, daß man sich nicht genug darüber wundern und die Sitten, Gebräuche und Studien der damaligen finstern Zeiten nicht ohne Lachen ansehen und lesen kann. Aber wieviel Törichtes haben wir nicht beibehalten. Alles ist bei gewissen Vorfällen in großer Bewegung, und man bemerkt in den Hörsälen und auf den Kathedern ein starkes Geräusche, wenn aber alles geschehen ist, so hat man doch nichts ausgerichtet. Ich habe deswegen öfters gewünscht, daß man eine Reformation vornehmen möchte, die unsern Zeiten anständig wäre. Ich wünschte, daß alles Geschrei in Stillschweigen und die Schwatzhaftigkeit in ein Nachdenken verwandelt würde. Ich wollte, daß man anstatt so vieler Doktoren und Magister, welche öffentliche Vorlesungen anstellen, nur einige wenige erwählte, denen nicht freistünde, alles vorzutragen, was sie wollten, sondern die nur allein die Fragen und Zweifel beantworten und auflösen sollten, welche ihnen von ihren Schülern und Zuhörern würden vorgelegt werden. Eine solche Einrichtung würde einen doppelten Nutzen nach sich ziehen. Zuvörderst würden die Zuhörer dasjenige lernen, was sie zu wissen verlangten, und hiernächst würde auch niemand das Lehramt eher übernehmen, bis seine Studien in der Wissenschaft zur Reife gekommen, in welcher er sich für einen Meister ausgibt.

Wie herrlich würden die Wissenschaften blühen, wenn zu der Zeit, da dieselben wieder emporkommen, nebst dem Luther, der die Religion von den Schlacken reinigte, auch ein andrer Luther aufgestanden wäre, der die gelehrten Sachen reformiert, den Sauerteig der alten Zeiten völlig weggenommen und die Fehler abgeschafft hätte, welche noch von der Barbarei der mittlem Zeiten herkommen. Es sind noch viele Dinge übrig, welche einer Änderung bedürfen, und die hohen Schulen, die in den finstern Zeiten gestiftet worden, erfordern solche Einrichtungen, daß die Wissenschaften daselbst mit wenigerm Geräusche, aber mit größerm Nutzen können getrieben werden. Die Akademien, welche zu den neuern Zeiten in Frankreich und England gestiftet worden, zeigen zur Gnüge, wie notwendig eine solche Reformation sei. Die Stiftungen und Gesetze derselben sind gerade den Stiftungen und Gesetzen andrer hohen Schulen entgegen, wo die Studierenden gehalten sind, alles zu glauben, was ihnen von ihren Lehrern vorgesagt wird, wo man den Kopf des Untergebenen nicht aufräumt, sondern verwirrt, wo der Geschmack desselben verderbt wird und wo man vieles lernet, was man nachhero mit Mühe wieder vergessen muß. Daher rührt es, daß die meisten von hohen Schulen, als den Örtern, wo man sich die Wissenschaften zu eigen machen soll, zwar bisweilen gelehrter, aber nicht frömmer und mit geübten und in Ordnung gebrachten Begriffen zurückkommen. Denn anstatt daß die alten Vorurteile sollten abgeschafft worden sein, wodurch sich die Gelehrten allein von dem gemeinen Manne unterscheiden müssen, so sind dieselben vielmehr mit neuen vermehrt worden. Wenn man aber einen jungen Menschen die Wissenschaften mit Nutzen beibringen will, so muß das Gemüt desselben vorher von allen Vorurteilen gänzlich befreiet sein. Sonst nimmt er nichts an und hält nichts für gewiß, als was mit dem ihm einmal beigebrachten Satze übereinstimmet.

Hieraus erhellet deutlich, daß diejenigen mir Unrecht tun, welche aus einigen scherzhaften Stellen, die hin und wieder in meinen Schriften vorkommen, den Schluß ziehen, daß ich ein Feind der Studien sei. Meine unausgesetzte Arbeit, die vielen Schriften, welche ich herausgegeben, und die Belohnungen, wodurch ich andre zum Schreiben aufgemuntert habe, zeigen vielmehr einen Eifer als eine Kaltsinnigkeit und weit mehr eine Ehrerbietung gegen die Wissenschaften als eine Verachtung derselben an. Auch diejenigen irren sehr, welche glauben, daß ich um meines Nutzens halber die Feder ergriffen. Ich habe andre Mittel in Händen gehabt, wodurch ich mir mit geringerer Mühe einen größern Gewinnst hätte erwerben können. Der Fleiß, womit ich meine Schriften ausgearbeitet, gibt deutlich genug zu erkennen, daß ich nicht durch die Geldbegierde zum Schreiben aufgemuntert worden. Ich habe die allerbequemsten und einträglichsten Gelegenheiten fahrenlassen, weil ich sie als Hindernisse in meinem Studieren angesehen und allemal die Zeit für verloren gehalten habe, die man nicht auf das Studieren wendet.

Dennoch scheint es nicht, daß ich bei diesem großen Triebe zu den Wissenschaften etwas besonders ausgerichtet. Und ob mir gleich einige den Ruhm geben, daß ich sehr fleißig gewesen, so dünkt mich doch, daß von mir gar nichts zustande gebracht worden. Wenn ich mich mit andern vergleiche, tadle ich selbst meine Trägheit, daß ich meine Zeit fast wie im Schlafe zugebracht habe. Die Krankheiten, mit welchen ich beständig geplagt werde, hindern mich sehr in meinem Studieren, insonderheit aber werde ich durch die Kopfschmerzen abgehalten, welche zwar einem jeden beschwerlich sind, niemanden aber empfindlicher fallen als einem Studierenden. Wenn ich deswegen die Macht hätte, die Krankheiten auszuteilen, die doch dem menschlichen Geschlecht unvermeidlich sind, so würde ich die Kopfschmerzen entweder dem Frauenzimmer allein zuteilen, oder ich würde ihnen bei solchen Leuten einen Platz anweisen, deren Geschäfte nicht erfordern, daß man mit dem Kopf arbeite, oder ich würde auch befehlen, daß sie sich allein bei abgeschmackten und elenden Skribenten aufhalten sollten, von denen wir eine so große Menge haben.

Wo ich mich ja auf einige Art um die Wissenschaften verdient gemacht, so bestehet es bloß darin, daß ich gesucht habe, den pedantischen und allgemeinen Geschmack zu dämpfen, welchen man noch bei den meisten wahrnimmt. Weil die englischen und französischen Akademien von mir sehr früh besucht worden, so habe ich daselbst nicht sowohl gelernet, wie man gelehrt schreiben, sondern wie man seine Gedanken auf eine angenehme und reizende Art ausdrücken müsse. Und ich kann auch ohne die geringste Prahlerei behaupten, daß ich fast der erste unter meinen Landsleuten gewesen, der anstatt magrer und verwirrter, kranken, ordentliche pragmatische Geschichte geliefert und die Moral wiederhergestellet, die vorher in Norden gleichsam begraben war. Einige erkennen meine Verdienste auch und rühmen meinen Fleiß. Nur dieses scheint ihnen so seltsam, daß ein Mann, der stets krank ist und ein bereits ziemlich hochgestiegenes Alter erreicht hat, an solchen Kleinigkeiten einen Gefallen finden und allerhand Scherzgedichte und lustige Fabeln schreiben könne. Aber eben die Schwachheit meines Leibes und das betrübte Wesen, welches bisweilen mein Gemüt einnimmt, treiben mich dazu an, und ich habe diese Arbeiten auch wirklich als eine Arzenei befunden. Desfalls rate ich auch andern, sich dieses Mittels bei solchen Zufällen zu bedienen. Ich ward einmal von einem gewissen Manne wegen meiner aufgeweckten Schreibart mit diesen Worten getadelt: Wie können Sie doch so lustige Sachen schreiben, da Sie doch selbst so ernsthaft sind und ein so eingezognes Leben führen? Ich aber gab demselben diese Antwort: Wie können Sie doch solche ernsthafte Schriften abfassen, da Sie doch selbst einem Komödianten so ähnlich sind?

Obgleich meine Bemühungen und Arbeiten durch die Schwachheiten meines Leibes öfters unterbrochen werden, so werden sie doch auch zugleich dadurch befördert. Denn eben diese Krankheiten, womit ich beständig geplagt bin, haben mich gezwungen, fast allen Gesellschaften zu entsagen, und ich lebe dennoch in dieser großen Stadt wie in einer Einöde, ob es hier gleich nicht an solchen Dingen fehlet, die das Studieren unterbrechen können. Die Paläste großer Herren besuche ich niemals, weil ich mit meinem Zustande vergnügt bin und dem Schatten leerer Ehrentitel längstens entsagt habe, nach welchem andre mit großen Eifer trachten. Wenn große Herren zugleich mit Rang, Titeln und Vorzügen auch die Gesundheit verleihen könnten, so würde ich nicht ablassen, sie durch Bittschriften so lange zu beunruhigen, bis ich meinen Endzweck erhalten hätte. Da dieselben mir aber in diesem Stücke nicht helfen können, so bleibe ich zu Hause und warte meine Geschäfte ab. Man meint, daß ich in dieser Aufführung etwas von der englischen Nation angenommen. Die Engländer pflegten ehedem von meinem Gesichte zu urteilen: He looks as an english Man. Jedoch in meinen Neigungen komme ich noch mehr mit diesem Volke überein. Mir hat die Nation jederzeit sehr Wohlgefallen, und ich bin derselben auch nicht unangenehm gewesen. Man hat gleichfalls an mir bemerkt, daß ich in meinen Studien und Sitten die Gemütsart und den Geschmack dieses Volks vollkommen ausgedruckt. Alles, was ich auf den Herzen habe, das entdecke ich mit der größten Aufrichtigkeit, und aus allen erwähle ich dasjenige, was der Wahrheit am nächsten zuzukommen scheint.

Ich beobachte auch noch in meinem Alter überaus sorgfältig diejenige Enthaltsamkeit, wozu ich mich bereits in meiner Jugend gewöhnt habe, und höre alle Vermahnungen sehr kaltsinnig an, wodurch mich meine Freunde zu einer andern Lebensart zu bewegen suchen. Man glaubt, die Wollüste zu dämpfen sei nichts anders, als die Begierde zu zwingen, die man zu dieser oder jener Sache trägt, und daher betäuben sie meine Ohren durch die philosophischen Regeln, die hier in Norden eingeführt worden und worin insonderheit befohlen wird, daß man seinem Leibe nichts entziehen müsse. Dies nennen sie den Leib pflegen, ich aber nenne es, den Leib bestürmen. Da ich aus der Erfahrung weiß, daß der Leib weit mehr durch eine solche Pflege als durch die Mäßigkeit geschwächt werde, kann ich dieses auch mit meinem eignen Beispiele bestärken. Vor vierzig Jahren war ich so schwach und ausgemergelt, daß meine Freunde urteilten, ich würde nicht lange leben, wo ich meinen Leib nicht besser pflegen würde. Aber die meisten von diesen, welche ihrem Leibe nichts entzogen, sind längstens gestorben und begraben worden. Ich aber lebe noch, da ich meine alte Gewohnheit sorgfältig beibehalten und immer enthaltsam gelebt. Diejenigen tun am besten, die den Mittelweg treffen. Man muß essen, damit man das Leben erhalte, man muß aber auch nicht glauben, daß man bloß zu dem Ende in der Welt sei, damit man essen möge. Derjenige verdienet ebensowohl getadelt zu werden, der seinem Leibe alles versagt, als der ihm alles erlaubt. Man kann beide als Feinde ihres eignen Leibes ansehen. Man muß soviel essen und trinken, daß die Kräfte dadurch gestärkt, nicht aber unterdrückt werden, und diejenigen handeln am klügsten, welche zwischen den Übungen des Leibes und des Gemüts den Mittelweg halten. Das menschliche Leben ist nach dem Ausspruche des Cato den Eisen ähnlich, wenn man es beständig braucht, so wird es abgerieben, wenn man es aber nicht braucht, so wird es durch den Rost verzehret. Auf ebendieselbe Art bemerkt man auch, daß die Menschen durch die beständige Arbeit aufgerieben werden. Wenn sie sich aber gar nicht üben, so werden sie durch Faulheit und Nachlässigkeit zu allen Dingen völlig untüchtig gemacht.

Einigen scheint es lächerlich zu sein, daß ich Geld sammle, insonderheit, da ich unverheiratet bin und daher auch glaublich ist, daß ich ohne Erben sterben werde. Ich werde durch dieses Urteil nicht zum Unwillen bewegt. Denn bisweilen lache ich selbst über mich. Ich habe beides versucht und kann daher am besten davon urteilen. Wie ich von allen Mitteln entblößt war, so wußte ich auch von keinen Sorgen.

Cantabam vacuus coram latrone viator. Cantabam vacuus...: Munter sang ich angesichts des Räubers, ein Wanderer, bei dem nichts zu holen ist. (Juvenal, Satiren X, 22)

Mit meinen Vermögen aber haben sich auch Furcht und Bekümmernis zugleich eingefunden. Und da ich meinen Leib weder pflegen kann noch darf, so empfinde ich bloß die Beschwerlichkeiten, welche mit dem Reichtum verbunden sind, niemals aber schmecke ich das damit verknüpfte Vergnügen. Es scheint also, daß man mit Recht über mich spotten könne. Wenn ich aber nichtsdestoweniger einen von meinen Spöttern zum Erben einsetzen wollte, so dürfte derselbe sich doch nicht weigern, die Sorge, Furcht und Bekümmernisse zu übernehmen, welche mit dem Reichtum verbunden sind. Anstatt so vieler Spötter würde ich so viele ergebne und verbundenste Diener haben, welche sich nicht entziehen würden, mir auch die geringsten Dienste zu leisten. Und daher würde man aufs deutlichste abnehmen können, daß alle solche Vermahnungen und Spöttereien aus einer bloßen Mißgunst herrühren. Wir stellen uns bisweilen, als wenn wir die Dinge verachteten, die uns nicht zuteil werden können, und hierauf zielt die Fabel von dem Fuchs, welcher die Birnen für sauer hielte, weil ihn der Weg zu denselben verschlossen war. Wer also in diesem Stücke über mich spottet, der spottet über die meisten Menschen, die mit ebenderselben Schwachheit behaftet sind, ja, der spottet auch über sich selbst. Bloß allein diejenigen scheinen ein besseres Recht zu haben, darüber zu spotten, welche ein müßiges Leben führen und in einem Tage mehr verzehren, als sie in vielen andern Tagen wieder zu erwerben imstande sind. Jedoch, da die Sparsamen von ihnen verlacht werden, so geben sie zugleich dadurch Anlaß, daß man mit weit größerm Rechte über sie spotten kann. Nennt man die Sparsamkeit eine Torheit, so muß die Verschwendung gewiß den Namen einer Tollheit erhalten. Wir können nicht begreifen, aus welcher Ursache alte Leute, die ihrem Grabe so nahe sind, dennoch Mittel sammlen, von denen sie niemals einigen Nutzen erwarten können. Denn was kann ungereimter sein, als daß man zu einer kurzen Reise sich mit so vielen Reisegeld versiehet. Aber das ist noch viel schwerer zu begreifen, daß die Armen soviel Geld verschwenden, da sie doch, wenn sie vernünftig damit haushielten, Armut und Hunger dadurch abhalten könnten. Die ersten pflanzen Bäume, die, wenn sie ihnen gleich selbst keine Früchte bringen, doch den Nachkommen nützlich sein können, aber die letzten hauen die Bäume ab, damit weder sie, noch ihre Nachkommen Nutzen davon haben mögen. Sie leben einen Tag sehr herrlich und im Überflusse, in den folgenden Tagen aber herrscht der größte Mangel bei ihnen. Die Sparsamkeit der Reichen erweckt ein Gelächter, aber die Verschwendung der Armen verdient billig Mitleiden. Man kann beide Schwachheiten eine Krankheit nennen, aber die erste besteht nur in einem Fieber, hingegen die andre in einer offenbaren Raserei.

Die Beschaffenheit meines Körpers verbindet mich zu einer sparsamen und mäßigen Lebensart, und der Überfluß würde mir gewiß allerhand Krankheiten zuziehen. Deswegen ist meine Mittagsmahlzeit also eingerichtet, daß ich auch noch eine Abendmahlzeit halten kann. Und um meine Gesundheit zu erhalten, gehe ich zu Fuße. Es ist ein Kennzeichen eines vernünftigen Menschen und der Pflicht eines guten Bürgers gemäß, daß man Mittel auf eine anständige Art zu sammlen sucht und das Erworbene zu erhalten sich bemühet. Ich gestehe, daß diese Vorsichtigkeit bei einem solchen Manne einen größern Ruhm verdienet, der mit Kindern gesegnet ist, als bei dem, der in einem unverheirateten Stande lebt. Aber was würde man denn sagen, wenn ich noch einmal auf die Gedanken fiele, in den Stand der Ehe zu treten? Denn ich habe bemerkt, daß diese Hitze meine Landesleute bisweilen ganz unvermutet überfällt. Es können sich aber auch noch außerdem verschiedene Fälle zutragen, denen das menschliche Leben unterworfen ist, und welche uns antreiben können, auf das Künftige bedacht zu sein. Hienächst habe ich mir angelegen sein lassen, sowohl durch mein Leben, als auch durch meine Schriften, meine Landsleute zu erbauen, und also muß ich sie auch sowohl durch Beispiele als durch Vermahnungen aufmuntern.

Wenn ich in Spanien geboren wäre, wo die Einwohner ihrem Leibe alles entziehen und bloß von der Luft zu leben scheinen, so würde ich meine Mitbürger sowohl durch mein Leben als auch durch meine Schriften zu einem größern Aufwand angereizt und von einer so gar genauen und eingeschränkten Lebensart auf alle Art abgeraten haben. Aber in unserm Norden, wo man die Ceres und den Bacchus aufs eifrigste verehret, werden andre Regeln und andre Beispiele erfordert. Und ist es denn endlich töricht, vorsichtig zu handeln und die Ameisen in diesem Stücke zum Vorbilde zu nehmen, so trifft diese Beschuldigung sowohl denjenigen, der Kinder hat, als den, der nicht verehelichet ist. In den Augen eines Philosophen ist der Grund, welchen ein Vater zur Beschönigung seines Geizes braucht, daß die Kinder nach seinem Tode anständig leben mögen, gar nicht hinlänglich, denn der Tod hebt alle Verbindungen auf, und in jenem Leben wird an irdische Dinge nicht mehr gedacht, wo wir uns nicht mit dem gemeinen Manne einen solchen Himmel vorstellen wollen, worin man essen und trinken wird. Und endlich kann man auch nicht sagen, daß derjenige ohne Kinder stirbt, der das gemeine Wesen zu seinem Erben einsetzt.

Weil ich soviel von meinem Vermögen rede, so sollten Sie bald auf die Gedanken geraten, daß ich sehr reich sein müsse. Aber ich bin weder arm noch reich. Soviel habe ich mir erworben, daß ich reichlicher als vorher leben kann, und dieses habe ich mir auch nur einzig und allein gewünscht. Derjenige handelt klug und vorsichtig, der einen anständigen und erlaubten Vorteil nicht aus den Händen gehen läßt, sondern sich die Gelegenheit zunutze macht und soviel zu erwerben sucht, daß er auf alle Fälle, die man nicht vorher weiß, so viel besitze, wovon er leben und sich ernähren kann. Wer hiemit nicht zufrieden ist, sondern beständig scharret und Mittel auf Mittel häuft, damit er einen außerordentlichen Schatz zusammenbringen möge, der verdient nicht den Namen eines klugen und vorsichtigen Haushalters, sondern ist vielmehr auf eine recht schändliche Art geizig. Für diesen Laster behüte mich Gott! Die Mittel, die ich besitze, sind durch Fleiß und Arbeit erworben und durch Mäßigkeit erhalten worden. Dieser auf eine rechtmäßige Art erworbenen Güter bediene ich mich zu meiner Notdurft. Einen Teil derselben wende ich auf die Verbesserung meines Landguts an, und das übrige will ich, nach dem desfalls gemachten Entwürfe, zum Besten des gemeinen Wesens anwenden, so daß die Nachkommen mich nicht sowohl für einen Besitzer, als vielmehr für einen Verwalter meines Vermögens halten sollen.

Mein Leib empfindet auch noch im Alter ebendieselben Schwachheiten, denen er bereits in der Jugend unterworfen war. Ich bin noch mit ebendenselben Krankheiten geplagt, die ich in meiner Jugend durch Enthaltsamkeit, Arbeit und beständige Bewegung gelindert habe. Da sie aber nun mit dem Alter zunehmen, so ist ein aufgeräumtes Gemüt das einzige Mittel, welches ich ihnen entgegensetzen kann. Es ist bei beständig anhaltenden Schwachheiten des Leibes nichts nützlicher und nötiger, als daß man Sorge trage, daß das Gemüt ruhig und munter bleibe, da der Leib der Regelung der Seele und die Seele des Dienstes von dem Körper bedarf.

Ich merke, daß ich beständig krank bin, dennoch habe ich bisher nicht entdecken können, worin meine Krankheit eigentlich bestehet. Meinem Urteile nach ist mir nichts zuträglicher als die China-Rinde, weil aber die Ärzte solches nicht für gut ansehen, so darf ich es nicht wagen, mich täglich dieses Mittels zu bedienen, weil ich die Eigenschaft und Natur desselben nicht kenne. Wenn diese Arznei die Kraft hätte, die scharfen Säfte wegzunehmen, so würde ich kein Bedenken tragen, dieselbe täglich zu gebrauchen. Wenn man aber sonst keine Wirkung davon empfindet, als daß die Wallung nur auf eine Zeitlang gestillet und beruhiget wird, so halte ich diese Arznei nicht allein für unnütz, sondern auch für schädlich. Das Heilungsmittel, wodurch die Krankheit noch gebrochen, nicht aber völlig gehoben wird, verursachet nur, daß das Übel nachher mit desto größerer Gewalt wieder überhandnimmt. Meine Krankheit dauret also beständig, und meine Jahre nehmen dabei zu, ohne daß ich es selbst einmal merke. Und vielleicht lebe ich lange, weil ich beständig krank bin. Meine stets anhaltende Schwachheit treibt mich an, enthaltsam zu leben, und dadurch wird mein Leben, obgleich auf eine beschwerliche Art, verlängert. Die Beschaffenheit meines Leibes kömmt mit meinem Geschmack überein. In beiden Teilen bin ich von andern unterschieden. Was andern wohlschmeckt, das erweckt bei mir einen Ekel, und mir ist dasjenige zuträglich, was andern Schaden bringt. Niemals bin ich gesunder, als wenn ich verstopft bin und des Nachts nicht geschlafen habe.

Die Bücher sind noch, wie jederzeit, mein angenehmster Zeitvertreib, aber das Lesen derselben schafft mir keinen sonderlichen Nutzen. Was ich auch dem Gedächtnis gerne einverleiben will, das vergesse ich doch gleich wieder, und bisweilen wollen mir auch die Namen der allerbekanntesten Sachen nicht beifallen. Wenn Sie deswegen verlangen sollten zu wissen, warum ich denn bei so bewandten Umständen noch mein Studieren fortsetzte, so würde ich mit jenem Professor antworten, der seine Vorlesungen hielte, da kein einziger Zuhörer vorhanden war: Ich lese um Gottes und meines Amts willen. Die Ursachen, welche mich sonst noch zum Studieren anreizen, habe ich folgendermaßen zu erkennen gegeben:

... Causa studendi
Ipsis in studiis, ut studeam, studeo
. Causa studendi...: Der Grund meines Studierens liegt im Studium selbst; um zu studieren, studiere ich.

Mein Gedächtnis nimmt nichts mehr an, und am allerwenigsten kann ich historische Sachen behalten. Auch die Wörter und Ausdrücke fehlen mir oft, ja, bisweilen muß ich mich selbst auf meinen eignen Namen besinnen. Desfalls nehme ich in meinem Studieren durch das Lesen nicht weiter zu, doch vergesse ich niemals wieder, was ich in meiner Jugend gelernet habe. In den Wissenschaften, wobei das Gedächtnis keinen so großen Einfluß hat, komme ich doch etwas fort, aber mehr durch eignes Andenken als durch Lesen. Ich studiere, daß ich mich selbst und andre, sowohl in Absicht auf einzelne Personen, als auch auf ganze Völker, kennenlerne. Und da ich auf meinen ausländischen Reisen mit größerm Fleiße die Menschen als die Büchersäle durchforscht, so habe ich das Naturell der meisten europäischen Völker ziemlich genau kennenlernen. Sie haben mich öfters aufgemuntert, mein Herr, daß ich die Beschreibung meiner Reisen mit solchen Abbildungen ausschmücken möchte. Weil aber dieses mit gar zu vielen Beschwerlichkeiten verbunden ist, so habe ich es allemal von mir abgelehnet und verbitte es auch noch. Ich habe immer gehofft, Sie würden mir erlauben, daß ich Ihnen dieses mit ebenderselben Ergebenheit abschlagen dürfte, mit welcher ich sonst Dero Befehle zu vollziehen gewohnt bin. Jedoch, Ihr letzter Brief bezeugt das Gegenteil: Und da Sie nicht nur Dero Befehl wiederholen, sondern mir auch die Vollziehung desselben bei dem Verlust Ihrer Freundschaft auflegen, so will ich eine kurze Abbildung von gewissen Nationen mitteilen, damit es nicht scheine, daß ich einem Manne ungehorsam gewesen, dem ich soviel schuldig bin.

 

Bedenken über gewisse europäische Nationen

Unter den auswärtigen Völkern bin ich mit den Franzosen, Engländern, Italienern, Deutschen und Holländern umgegangen.

Die Franzosen rühme ich, weil sie zur Gesellschaft und zum Umgange so sehr aufgelegt sind, ich würde sie aber noch weit mehr lieben, wenn sie nicht so gar geschickt dazu wären. Denn so leicht ein mürrisches Wesen einen zum Zorn reizen kann, ebensoleicht erweckt ein gar zu höfliches und freundliches Wesen einen Verdruß und Widerwillen. Da die Franzosen ein sanguinisches Temperament haben, so können sie im Augenblicke zornig werden, aber dieser Sturm legt sich gleich darauf wieder. Sie richten sehr geschwinde Freundschaft auf, aber sie brechen dieselbe auch sehr bald wieder. Und da weder die Liebe noch der Haß bei ihnen von einer langen Dauer ist, so verdient diese Nation, weder geliebt noch gehaßt zu werden. Die angeborne Aufrichtigkeit macht insonderheit die Franzosen beliebt. Denn sie sind insgemein so offenherzig, daß man sie auch deswegen tadeln kann. Sie sind freigebig und barmherzig und üben bisweilen solche erhabne Tugenden aus, die den Namen heroischer Tugenden verdienen, aber sie werden mehr durch einen plötzlichen Einfall als durch ein reifes Nachdenken dazu angetrieben, und alles geschiehet bei ihnen so schnell, als wenn sie durch einen unerwarteten und heftigen Zufall hingerissen würden. Ebendieses kann man auch von ihren Lastern sagen. Hierin aber irren doch die meisten Skribenten, daß sie der ganzen Nation die Fehler beilegen, welche allein den Einwohnern in Paris eigen sind. Der Fehler rührt daher, weil die meisten allein mit den Parisern umgegangen sind. Der gemeine Mann in meinem Vaterlande glaubt, daß alle Franzosen schwarz sind, weil diejenigen, die zu Schiffe aus den südlichen Provinzen dieses Königsreichs zu uns kommen, größtenteils Bootsleute sind, deren Haut durch Sonne und Luft braun geworden. Diese aber sind in der Farbe, in den Sitten und Gebräuchen von den Parisern gar sehr unterschieden und pflegen wie die andern Franzosen, die in den Provinzen wohnen, ebensosehr über die Torheiten der Pariser als andre Nationen zu lachen. Dennoch verwerfe ich den Anstand der Pariser nicht gänzlich. Nur diejenigen tadele ich, welche über die Pariser spotten und doch Affen derselben sind, welche über Meer und Land reisen, um solche Sitten anzunehmen, die mit ihrer Natur streiten. Denn die Gebärden und Sitten, welche den Parisern wohl anstehen, weil sie ihnen angeboren sind, verstellen andre und machen sie lächerlich. Man stelle sich einen einfältigen und echten Holländer vor, der mit einer starken Ladung von parisischen Galanterien die Rückreise in sein Vaterland antritt. Wird derselbe nicht allen Menschen zum Gelächter und Gespötte dienen, weil er seine eigne Natur abgelegt und eine fremde angenommen? Ich habe in meinen vorigen Briefen gesagt, daß die Franzosen sehr eigennützig sind und die Reisenden und Fremden insgemein um ihr Geld zu bringen pflegen. Aber hiedurch verstehe ich weder die ganze französische Nation, noch alle Einwohner der Stadt Paris, sondern allein die Wirte in der Vorstadt St. Germain, wo die Fremden sich insgemein aufzuhalten pflegen. Man findet an diesem Orte, daß die Wirte, Krämer, Sprachmeister und andre eine große Erfahrung besitzen, die jungen Leute zur Verschwendung und zum unnötigen Aufwand zu reizen. Dieses aber ist kein Fehler der ganzen Nation. Denn die Franzosen sind so edelmütig, freigebig, aufrichtig und unbesorgt, daß sie öfterer von andern betrogen werden, als daß sie andere betriegen sollten. Ja, die Wirte selbst in der Vorstadt St. Germain leiden durch ihre Leichtgläubigkeit Schaden. Sie betriegen die Fremden und werden von denselben wieder betrogen. Denn viele Ausländer, wenn sie alles verzehrt und große Schulden gemacht haben, werden unsichtbar, wenn sie nicht bezahlen können, oder werden auch mit der Versicherung erlassen, daß sie das Geld bald schicken wollen, woran sie aber nachher niemals gedenken.

Die Tugenden, mit welchen sich die Franzosen am meisten brüsten und wodurch sie einen Vorzug vor allen andern Nationen zu haben glauben, bestehen in ihren angenehmen Sitten, in ihrer zierlichen Sprache und in ihrem freien Umgange. Aber es stimmen nicht alle in der Beschreibung der Tugenden und Laster überein. Was bei dieser Nation eine Tugend ist, das wird bei einer andern als ein Laster angesehen, und was man hier mit dem Namen der Artigkeit belegt, solches heißt an einem andern Orte Gaukelei. Was die Franzosen unter der Anmut und Freiheit der Sitten begreifen, solches nennen die Spanier eine Frechheit. Was man in Spanien für eine anständige Ernsthaftigkeit hält, das scheint den Franzosen ein mürrisches Wesen zu sein. Wenn die nordischen Völker jemand geizig nennen, so erhält derselbe in Italien den Ruhm, daß er ein guter Haushalter sei. Wer den Deutschen freigebig zu sein scheint, der ist nach dem Urteil der Holländer sehr verschwenderisch. Was die Engländer als eine Beständigkeit rühmen, das verwerfen andre Völker als eine Hartnäckigkeit. Auf solche Art verändern sich die Tugenden und Laster und erhalten nach dem Naturell der Völker auch andre Namen. Und daher können auch die Tugenden, mit welchen sich die Franzosen brüsten, mit größerem Rechte französische Zierlichkeiten als wirkliche Tugenden genannt werden. Denn wenn es wirkliche Tugenden sein sollten, so müßten sie auch von andern Völkern dafür angesehen werden. Zwar die Franzosen können sich in diesem Stücke auf die Übereinstimmung andrer Nationen berufen, indem die Jugend beinahe aus ganz Europa in großer Anzahl nach Paris kommt, um die französischen Sitten anzunehmen. Weil aber die jungen Leute ein weit größeres Vergnügen an Kleinigkeiten als an ernsthaften und wichtigen Dingen finden, so können die Franzosen sich auf diesen Beweis nicht gar zuviel verlassen, welcher ihnen weit mehr ihre Fehler vorrückt, als daß er von ihrer Tugend zeugen sollte. Ob ich gleich an einer anständigen Freiheit und an einem aufgeweckten Wesen ein großes Vergnügen finde, so sind mir doch die ihrer Nation so eigentümlichen Tugenden, womit sie sich so großmachen, und deren Mangel sie bei anderen Völkern beklagen, jederzeit beschwerlich gewesen. Man trifft aber doch auch unter den Franzosen selbst einige an, welche an diesen so berühmten Galanterien einen Ekel haben und sich nach den Sitten anderer Völker richten. Die Officiers und andere Kriegsbediente, welche in fremden Diensten gestanden haben, unterscheiden sich von ihren Landsleuten, die niemals einen Fuß aus ihrem Vaterlande gesetzt haben, durch die Verschwiegenheit, Ehrbarkeit, Ernsthaftigkeit und durch anständige Sitten auf eine überaus merkliche Art. Aber diejenigen, welche mit denen sogenannten groben und unpolierten Nachbarn keinen Umgang gehabt haben, insonderheit die jungen Leute, die man Petits Maitres nennt, sind ganz unerträglich, und ich habe schon gezittert, sobald ich sie nur von ferne wahrgenommen. Nach meiner Einsicht handeln die Franzosen vernünftiger, wenn sie ihre jungen Leute in fremde Länder reisen ließen. Und andre Nationen verführen klüger, wenn sie ihre Jugend zu Hause behielten. Wenn unsre jungen Leute aus Frankreich zurückekommen, so scheint es, als wenn sie in lauter Mißgeburten verwandelt worden, weil sie die französischen Gebärden wider ihre Natur nachäffen wollen. Es ist nichts schöner und anständiger, als wenn einer in seinem Leben sich jederzeit selbst ähnlich ist. Dieses aber kann niemals geschehen, wenn man die Natur eines andern nachzuäffen sucht und darüber seine eigne vergißt. Das ziert uns am meisten, was unsrer Natur am gemäßesten ist. Ich rede hier bloß von den französischen Sitten und Zierlichkeiten: Manieres françoises. Denn in Absicht auf die Studien ist Paris der rechte Sitz der schönen Wissenschaften, und es ist kein Ort, wo man in einer kurzen Zeit mehr zunehmen und wo der Geschmack mehr geläutert werden kann. Ich gestehe, daß ich alles, was ich weiß, den französischen Büchern zu danken habe. Denn durch das Lesen derselben habe ich meinen Geschmack auf eine vernünftige Art eingerichtet und dadurch auch nachher meine Schriften wieder beliebt gemacht. So frei die französischen Sitten sind, so ordentlich und vernünftig sind ihre Schriften abgefaßt, und es scheint fast, daß die Franzosen, wenn sie schreiben, solange ihre Natur verändern und ablegen.

Die Wissenschaften, welche am stärksten in Paris getrieben werden, sind die Beredsamkeit, die Dichtkunst und die Geschichte. In ihren Briefen und Reden sehen sie nicht so sehr auf die Ausschmückung und Zierlichkeit der Worte als auf die Wichtigkeit der Sachen. Denn die französische Sprache ist zu zweideutigen geschmückten Redensarten gar nicht geschickt. Weil aber die Sprache so sauber und rein ist, so können die Franzosen in Heldengedichten, die eine pathetische Schreibart erfordern, den Engländern und Italienern nicht gleichkommen. Aber in der Historie übertreffen sie alle andre Völker. Die Schriften der Franzosen sind überaus schön, und wenn sie so frei schreiben dürften als die Engländer, so würden ihre Arbeiten die allervollkommensten sein. Frankreich hat auch die allergrößten Philosophen hervorgebracht. Weil es ihnen aber unmöglich ist, sich lange bei einer Sache aufzuhalten, so dringen sie selten in das innere Wesen eines Dinges. Und daher ist auch das Sprichwort entstanden: Wenn ein Franzose einer Sache etwas mehr und ein Engländer etwas weniger nachdächte, so wären sie beide in allen Stücken vollkommen.

Ein hurtiger Begriff und die Gegenwart des Geistes bei allen Zufällen, presence d'esprit, ist diejenige Tugend, welche bei dieser Nation am meisten hervorleuchtet. Ein Franzose begreift eine Sache schnell und verrichtet seine Geschäfte mit einer großen Hurtigkeit. Desfalls sind sie auch in solchen Dingen, die keinen Aufschub leiden, ganz unvergleichlich zu gebrauchen. Die Gegenwart des Geistes ist bei unvermuteten Zufällen und Begebenheiten, da man nicht viel Zeit übrig hat, sich zu bedenken, was man tun soll, von einem ungemeinen Nutzen; nirgends aber ist sie unentbehrlicher als in einer Feldschlacht, wo man öfters im Augenblicke nach den sich ereignenden verschiedenen Umständen einen Entschluß fassen muß. Und weil die Franzosen hierin sehr vieles vor andern Völkern voraushaben, so sieht man leicht die Ursache ein, warum Frankreich mehr große Generals aufweisen könne als beinahe das ganze übrige Europa. Obgleich auch die Vorsichtigkeit und eine scharfe Einsicht von einem General erfordert werden, so wird er sich doch gewiß eine noch größere Hochachtung und Bewunderung erwerben, wenn man die Gegenwart des Geistes bei ihm wahrnimmt, die insonderheit in dem hitzigsten Gefechte nötig ist. Ein kluger Mann siehet ein Unglück vorher; aber einem unvermuteten Unglücke geschwinde und kühn entgegengehen und in einem Augenblicke die Sachen, welche sehr schlecht stunden, wieder auf einen guten Fuß setzen, das übersteigt fast die Kräfte eines Menschen.

In solchen Sachen aber, wo es lediglich auf die Urteilskraft ankommt, reichen die Franzosen, wie einige glauben, nicht an die Vollkommenheit verschiedener benachbarten Völker. Denn durch ebendieselbe Fertigkeit, mit welcher sie allerhand Unruhen zu stillen vermögend sind, verwirren sie auch öfters solche Sachen, welche bereits in Ordnung gebracht waren, und sie haben die Verdrießlichkeiten, woraus sie sich mit vieler Geschicklichkeit befreien, öfters ihrer eignen Unvorsichtigkeit zuzuschreiben. Ich bewundere diejenigen, welche von einem sehr steilen Berge ohne Schaden heruntersteigen; aber diejenigen lobe ich noch weit mehr, die ohne Not nicht hinaufsteigen. Wenn die französische Hurtigkeit mit der spanischen Langsamkeit verbunden wäre, so würde alles besser vonstatten gehn, aber man findet beides sehr selten in einer Person vereiniget. Denn die Franzosen können keinen Verzug oder Aufschub leiden, und was sie wollen, das soll in einem Augenblick geschehen. Daher ist auch das artige Sprichwort entstanden: Wenn man will, daß ein Franzose die Wahrheit sagen soll, so darf man ihn nicht durch allerhand Marter dazu bringen. Man darf ihm nur ein Pferd geben, welches sehr langsam geht und nicht aus der Stelle kommen kann.

Die Franzosen sind so sehr zum Umgang mit andern geneigt, daß sie diejenigen, welche die Einsamkeit lieben, nur für halbe Menschen ansehen, und sie zum Spott Philosophen oder Nachteulen nennen. Daher lieben sie auch das Hofleben, obgleich solches mit der größten Gefahr und mit sehr vielen Beschwerlichkeiten verbunden ist. Wenn sie demnach vom Hofe entfernt und in der Einsamkeit zu leben gezwungen werden, so halten sie dieses für einen großen Schimpf und glauben, daß diese Lebensart von einer stetswährenden Gefangenschaft nicht unterschieden sei.

Mehr will ich von den Franzosen nicht beibringen. Ich will mich nun über das Meer zu den Engländern wenden, deren Gemütsart mir vollkommen bekannt ist.

Die Engländer sind weder Engel noch Teufel. Denn diese Nation hält in keinem Dinge die Mittelstraße. Die Tugendhaften sind bei ihnen im höchsten Grad tugendhaft, und mit den Lasterhaften ist es ebenso beschaffen. Es leiden die Laster und Tugenden bei diesem Volke gar keine Zusätze. Es ist kein Reich, welches so viele Exempel, sowohl von heroischen und vollkommenen Tugenden, als auch von so schändlichen Verrätereien aufweisen kann. Bisweilen wagen die Stände des Reichs alles für die Wohlfahrt des Vaterlandes, und bisweilen verraten sie alles.

Religion, Unglaube, Eifer, Nachlässigkeit, Gelehrsamkeit, Unwissenheit, Arbeitsamkeit, Trägheit, Tugenden, Laster, alles kommt in diesem Reiche aufs höchste und zur völligen Reife. Und wenn man hier einige edle Neigungen nicht genug loben kann, so kann man an der andern Seite einige lasterhafte Eigenschaften nicht genug tadeln. Man wird dieses aufs deutlichste erkennen, wenn ich alles ordentlich auseinandersetzen und erzählen werde. Man findet keine Nation, welche müßiger und nachlässiger, aber doch auch zugleich arbeitsamer wäre. Die Engländer, welche der Faulheit und Trägheit ergeben sind, können weder durch Hunger, noch durch andre Strafen dahin gebracht werden, daß sie arbeiten und zu dem Ende einen Fuß aus dem Hause setzen sollten. Man siehet deswegen auch Künstler und Handwerksleute in großer Armut in öffentlichen Gefängnissen sitzen, welche doch nicht nur ihre Schulden bezahlen, sondern auch ihr reichliches Auskommen haben könnten, wenn sie nur Hände und Füße rühren wollten. Die arbeitsamen Engländer aber wagen alles und lassen sich durch keine Beschwerlichkeit und Mühe abhalten. Sie durchstreichen fremde Reiche und Staaten, sie begeben sich mit der größten Lebensgefahr aufs Meer und dringen bis in die entferntesten Länder, sie greifen alles an, es mag möglich oder unmöglich sein, sie suchen solche Dinge durchzutreiben, welche andre nicht einmal versuchen wollen, und dieses alles zu dem Ende, daß sie entweder ihre Neugierde befriedigen oder auch etwas gewinnen mögen. Daher sagt man auch von den Engländern, daß sie entweder durch ihre eigne Nachlässigkeit umkommen oder wegen der gar zu sehr übertriebenen Arbeit sterben.

In Absicht auf die Wissenschaften halten sie ebensowenig die Mittelstraße. Sie verwerfen entweder durchgehends alles, Bücher und Wissenschaften, oder sind dem Studieren so eifrig ergeben, daß sie Tag und Nacht damit zubringen, und suchen ihren Verstand so sehr zu schärfen, daß sie denselben öfters darüber gar verlieren. Daher findet man fast keinen Ort, wo so viele gelehrte und ungelehrte Geistliche angetroffen werden als in England.

Der Religion sind sie entweder mit dem aufrichtigsten Herzen ergeben oder sie fechten dieselbe auch mit der größten Bosheit an. Der Aberglaube, der Unglaube, ein fanatisches Wesen und die Gottesverleugnung haben wechselsweise die Herrschaft: denn man glaubt entweder gar nichts, oder man glaubt auch zuviel. Ihre Religion verwandelt sich bisweilen in den Aberglauben, und die Ungläubigen werden nicht selten Naturalisten. Die Römisch-Katholischen unter ihnen sind in ihrer Religion weit eifriger als die Spanier und Italiener und tragen kein Bedenken, für den römischen Papst Leben, Güter und Ehre aufzusetzen, ja ihr Vaterland selbst zu verraten. Welche aber einer andern Religion beipflichten, die setzen den Papst und den Teufel in eine Klasse. Sowohl die Liebe als der Haß haben bei ihnen keine Grenzen. Der gar zu heftige Eifer und die gar zu große Nachlässigkeit in Absicht auf die Religion verursachen gleichfalls, daß dieselbe nirgends heftiger angefochten, aber auch nirgends eifriger verteidiget wird.

Es ist daher offenbar, wie sehr die Skribenten in der Abbildung dieser Nation irren, indem sie dem ganzen Volke solche Tugenden und Laster beilegen, welche nur von einem Teile desselben können gesagt werden. Denn die englische Nation verdient, die beste und auch zugleich die schlimmste unter allen andern genannt zu werden. Andre Völker haben gleichfalls ihre Tugenden und Laster, aber sie halten in beiden mehr Maße, und sie gelangen auch bei ihnen zu keiner so großen Reife. Denn die meisten beobachten die Mittelstraße so wohl, daß man selbst nicht weiß, zu welcher Klasse man sie rechnen soll.

Es sind dennoch einige Eigenschaften, welche der ganzen englischen Nation können beigelegt werden. Sie sind fast alle von der Eigenliebe so sehr eingenommen, daß sie alles, was ausländisch ist, verachten. Man kann ihnen aber diese Eigenliebe um soviel leichter verzeihen, wenn man die Glückseligkeit, den Reichtum, die Fruchtbarkeit und andre herrliche Vorzüge bedenkt, womit die Natur dieses Land begabt hat. Die Männer sind insgemein unerschrocken, und das Frauenzimmer ist schön. Jene regieren außerhalb des Hauses, diese aber im Hause. Die Engländer, welche sonst die Herrschaft über andre Völker zu behaupten suchen, unterwerfen sich geduldig dem Joche ihrer Weiber und sind hierin den Löwen ähnlich, welche einem jeden unerschrocken entgegengehen, aber sich für einer Maus fürchten. Man hat vor einiger Zeit einen Herzog gesehen, dessen bloßer Name den größten Teil Europens zittern machte, welcher sich aber von seiner Gemahlin in allen Stücken regieren ließ. Und man hat dieses nicht nur an diesem großen Helden bemerkt, sondern auch fast bei allen andern Engländern wahrgenommen.

Die Engländer begreifen eine Sache nicht so schnell als die Franzosen, aber ihr Urteil ist gründlicher. Sie reden wenig, aber was sie reden, das ist vorher von ihnen wohlüberlegt worden. In der Beredsamkeit haben sie es am höchsten gebracht, und sie sind die einzigen zu unsern Zeiten unter allen Völkern in Europa, welche den alten Griechen und Römern in der Beredsamkeit nachahmen und sie erreichen. Die Reden, welche in andern Ländern gehalten werden, sind zwar geschmückt und wohlausgearbeitet, aber doch ohne Kraft und Nachdruck. Denn weil die Redner nicht die Freiheit haben, zu reden, was sie wollen, so können sie ihre Reden bloß durch die Zierlichkeit angenehm machen. Aber die englischen Reden, welche in den Parlamentshäusern gehalten werden, sind vollkommen nach den Mustern der alten Reden eingerichtet. Es werden die wichtigsten Dinge darin vorgetragen, und sie zielen eben, wie die alten griechischen und römischen Reden, auf die Republik und auf den Staat. Die Redner füllen dieselben nicht mit unnützen Worten, noch mit vielen scharfsinnigen und weitgesuchten Stellen und Aussprüchen an; und sie dürfen auch dazu um soviel weniger ihre Zuflucht nehmen, je reicher die Materie ist, von welcher sie reden. Daher trifft man auch in England solche Redner an, die diesen Namen mit Recht verdienen. Ebendieselbe Freiheit, welche sie im Reden und Schreiben haben, verursachet auch, daß sie in solchen Schriften, welche die Moral und Religion angehen, andre Völker übertreffen. In der Historie aber hält man die Franzosen für stärker. Denn obgleich die Engländer aus Furcht die Wahrheit nicht verhehlen dürfen, so beobachten sie doch öfters die Ordnung nicht, und ihre Historien kann man eher Chroniken nennen, die bloß dasjenige erzählen, was vorgefallen ist, als daß man sie mit dem Namen wohlabgefaßter und zusammenhangender Geschichte belegen sollte. Und weil in England fast beständig allerhand Parteien sind, so wird die Wahrheit öfters dadurch unterdrückt.

Den Ursprung der englischen Sprache erzählet man folgendermaßen: Der Teufel habe alle alte und neue Sprachen in einen Topf geworfen, und wie der Topf zu kochen angefangen, so habe er aus dem Schaum die englische Sprache zusammengesetzt. Man sieht leicht, daß diese Fabel von den Verächtern dieser Sprache erdichtet worden, welche die englische Sprache für keine eigentliche und besondre Sprache, sondern für eine Vermischung aller andrer Sprachen halten. Da aber dieser Schaum eine Sammlung von allen andern Sprachen ist, so fehlt es den Engländern auch nicht an Wörtern, sondern sie können alles nett, hinlänglich und vollständig ausdrücken. Diesen Reichtum der Sprache, welcher mit dem erhabnen Geiste der Engländer verbunden ist, haben wir den allervortrefflichsten Heldengedichten zu danken. Denn nach dem Homer und Virgil hat es noch niemand so hoch gebracht als Milton und Pope. In Schauspielen aber kommen sie den Franzosen nicht gleich, weil sie hierin einen besondern Geschmack haben, der andern Nationen unangenehm ist. Wie der dänische Schauplatz noch hier im Flor war, so machte ich einen Versuch und übersetzte einige englische Komödien in die dänische Sprache, aber es fand niemand einen Gefallen daran. Es mangelt ihnen zwar nicht an Scherz und lustigen Einfällen, aber es fehlt die rechte Munterkeit, welche die Seele eines Schauspiels ist.

Da die Engländer sehr tief und gründlich eine Sache zu überlegen gewohnt sind und lieber ihren Verstand verlieren, als daß sie den Satz, worauf sie einmal gekommen sind, sollten fahrenlassen, so kann man England eine rechte Schule der Weltweisheit nennen. Ihre Philosophen sind nicht nur wegen ihrer Lehre, sondern auch wegen ihres Lebens ansehnlich und verehrungswürdig, denn sie suchen die Menschen ebensowohl durch ihre Sätze als durch ihren Wandel zu bessern und zu unterrichten. Sie sind also von den alten Philosophen, welche sie in Lehre und Leben zu Mustern nehmen, allein dadurch unterschieden, daß sie sich ihnen in der Kleidung, im Hochmut und in lächerlichen Gebärden nicht gleichstellen. Man kann also von den Engländern sagen, daß man daselbst Weltweise, aber ohne Mantel und Bart, antrifft. Es ist einem jeden bekannt, wieviel die Engländer in der Mathematik und in der Moral geleistet haben, und die großen Beispiele eines recht philosophischen Lebens werden auch noch von den Nachkommen bewundert werden. Man muß demnach England mit dem größten Rechte den Ruhm beilegen, daß es wahre Helden und Philosophen hervorgebracht.

Ihr Geschmack in gelehrten Sachen hat sich mit den Zeiten öfters geändert, und Blackmore berichtet uns folgendes davon: In alten Zeiten lasen meine Landsleute mit großer Begierde die abgeschmacktesten Fabeln von Riesen, Mißgeburten und irrenden Rittern. Hiernächst funden sie an zweideutigen Wörtern und ferner an solchen Redensarten einen Gefallen, die auf Schrauben gesetzt waren. Hierauf liebten sie eine fließende Schreibart und wohlausgesonnene Gleichnisse, und endlich haben sie eine gründliche Gelehrsamkeit ohne Schminke angenommen. Und gewiß, die hochtrabenden Redensarten, woran die englischen Geistlichen vorher einen so großen Gefallen funden, sind ihnen nunmehr aufs höchste verhaßt, und sie lassen sich nur bloß angelegen sein, die rechte und wahre Meinung des Textes zu erforschen. Daß die Gelehrten in England es in den Wissenschaften so weit bringen können, solches ist den großen Belohnungen und Ehrenbezeugungen zuzuschreiben, womit dorten ihr Fleiß aufgemuntert und ihre Mühe belohnt wird. Staatsräte, Minister, Generals, ja die Könige selbst halten es nicht für unanständig, Bücher herauszugeben und die Zahl der Skribenten zu vermehren. Vor kurzer Zeit ward der berühmte Newton mit königlicher Pracht zur Erden bestattet, da die Vornehmsten des Reichs selbst ihn zu Grabe trugen. Und wie ehedem Burnet seine Reformationshistorie zustande gebracht hatte, so erhielte er von dem ganzen Parlament desfalls eine feierliche Danksagung. Da man also die Wissenschaften hier so hoch schätzt, so darf man sich nicht wundern, daß die Engländer sich den Vorzug in den Künsten und Studien zueignen, welche recht ihren Wohnplatz auf der Insel aufgeschlagen haben. Außerdem läßt sich auch keine Nation weniger durch Vorurteile einnehmen als die englische. Der Verstand der Engländer ist einer glatten und reinen Tafel ähnlich und nimmt mit leichter Mühe an, was mit der gesunden Vernunft übereinkommt, da im Gegenteil die Gewohnheit und das Herkommen so stark bei andern Völkern herrschen, daß dieselben bei ihnen bereits zur andern Natur geworden. Wenn man einen Spanier von der Wahrheit eines Satzes überzeugen will, so muß man ihm erstlich die alten Vorurteile benehmen. Man muß also eine doppelte Arbeit anwenden und die alten Irrtümer ausrotten, ehe man neue Wahrheiten an deren Stelle setzen kann. Sobald aber die Engländer etwas hören, was ihnen ungewohnt vorkommt, so ergreifen sie dasselbe alsobald. Sie untersuchen es, und wenn sie es für gut befunden haben, so nehmen sie es an und lehren es öffentlich. Daher rührt der große Unterscheid der Meinungen, den man bei ihnen in geistlichen, moralischen und politischen Sachen wahrnimmt. Die Engländer glauben nichts, als was sie begreifen können, und was sie begriffen haben, das bekennen sie frei. Und da die Freiheit zu denken durch kein Gesetz eingeschränkt ist, so trifft man hier so viele Atheisten als andern Orten Heuchler an. Vielleicht ist die Anzahl der Atheisten in Italien größer; aber sie scheint doch kleiner zu sein, weil die meisten unter der Decke der Gottesfurcht verborgen liegen. In England ist es sehr leicht, die Frommen von den Gottlosen zu unterscheiden. Wer in England gottselig zu sein scheinet, der ist es auch in der Tat, welches in den meisten andern Ländern sehr schwer zu behaupten ist, wo man aus Furcht vor der Strafe seine wahre Meinung verhehlet. Hier kann man die rechtschaffenen Bürger von den übelgesinnten Untertanen mit leichter Mühe unterscheiden: Ein Bürger, welcher redlich zu sein scheint, der ist es auch wirklich, und auf denselben kann sich die Obrigkeit sicher verlassen. Dies sind die Früchte der englischen Freiheit, welche zwar einige Beschwerlichkeiten, aber doch noch einen viel größern Nutzen mit sich bringt.

Gegen die Irrenden bezeugen sie eine große Sanftmut; nur für diejenigen haben sie einen Abscheu, welche in geringen Dingen fehlen. Denn ob sie gleich Juden, Türken und Heiden dulden, so verfolgen sie doch diejenigen aufs heftigste, welche einer andern Meinung in gewissen Gebräuchen oder andern gleichgültigen Dingen beigetan sind. Wenn man deswegen im Friede leben und unter die rechtschaffnen Bürger gerechnet sein will, so muß man entweder vollkommen orthodox oder ein vollkommener Ketzer sein. Ein mittelmäßiger oder geringer Irrtum kann einem sehr leicht Haß und Verfolgung zuziehen. Hingegen kann man eines ungestörten Friedens genießen, wenn man entweder nichts oder alles glaubt. Jedoch, dieses Laster ist der englischen Nation nicht allein eigen, ob man es gleich am meisten bei derselben wahrnimmt. Man sieht, daß dasselbe auch bei andern Völkern herrschet. Ein Türke haßt einen Persianer weit heftiger als einen Christen oder als einen Juden. Ein Katholik verfolgt einen Jansenisten weit eifriger als einen Anhänger des Calvins. Ja, man bemerkt, daß unter verschiednen Orden der Mönche ein geistlicher Haß aufs heftigste regieret.

Die Geistlichen leben hier weit freier als an andern Orten: denn sie halten es nicht für unanständig, sich täglich auf dem Schauplatz und in den Kaffeehäusern einzufinden. So frei aber auch ihre Lebensart ist, so ernsthaft, erbaulich und anständig ist ihr Bezeigen bei ihren Predigten. Sie stehen auf dem Predigtstuhl ganz unbeweglich und mit niedergesenkten Angesicht und erklären den Text überaus gründlich und erwecklich. Sie sind in diesem Stücke ganz von den Predigern jenseits des Meers unterschieden, welche heftige Bewegungen auf der Kanzel machen, sich hin- und herwenden, die Glieder verdrehen und durch ihre theatralische Gebärden die Zuhörer weit eher zum Lachen als zum Seufzen bewegen. Man tadelt es zwar an den Engländern, daß sie ihre Predigten vom Papier herlesen, aber damit ist dieser Nutzen verbunden, daß ihre Predigten zusammenhangen und man nicht einerlei sechzehnmal höret. Es wurden meine Ohren nicht wenig durch die erste Predigt beleidiget, welche ich nach meiner Zurückkunft aus England hörte. Ich war eines gründlichen und wohlzusammenhangenden Vortrags gewohnt. Hier aber hörte ich unzählige Wiederholungen und bemerkte, daß der Prediger alles in einer Viertelstunde hätte sagen können, womit er eine ganze Stunde zubrachte.

Zwischen den Engländern und Franzosen kann man folgende Vergleichung anstellen: Die Franzosen reden, und die Engländer denken am meisten. Jene haben mehr Witz, diese eine reifere Beurteilungskraft. Die Franzosen kleiden sich prächtiger, die Engländer aber saubrer. Jene essen nichts als Brot, diese nichts als Fleisch. Beide sind hitzig, aber das Feuer der ersten rührt von dem Blute, und die Hitze der andern von der Galle her. Deswegen ist der Zorn der Franzosen stärker, aber der Haß der Engländer ist von einer längern Dauer. Jene verzehren ihr Vermögen durch die kostbaren Kleidungen, diese aber durch Verschwendung im Essen und Trinken. Die Franzosen lassen sich durch die Mode, die Engländer durch ihre Phantasie regieren. Jene lassen sich ohne Überlegung mit dem Strome hinreißen, diese aber schiffen immer gegen den Strom. Die Franzosen stiften am geschwindesten, die Engländer aber am langsamsten Freundschaft. Jene brechen dieselbe am ehesten, diese aber am spätesten. Denn das Freundschaftsband, welches die Engländer nach und nach auflösen, reißen die Franzosen auf einmal ab. Ferner ehren die Franzosen ihre Oberherren, die Engländer aber sich selbst am meisten. Jene sind die besten Bürger, diese die besten Menschen. Jene haben eine größere Übung, diese aber sind ihnen an Gemütsgaben überlegen. Beide üben öfters heroische Tugenden aus. Jene aus der Ursache, sich ein Ansehen zu erwerben, diese aber aus Liebe zur Tugend. Jene suchen die Belohnungen in dem Beifall des Volks, diese aber in der Tat selbst. Ebenso ist es mit den Lastern beider Nationen beschaffen. Sie begehen beide Fehler. Jene aus Hoffnung eines Gewinnstes oder aus Begierde, sich zu rächen, oder aus andern Ursachen. Diese aber sündigen bloß darum, daß sie sündigen mögen. Die Franzosen haben dieses mit andern Nationen gemein, daß sie sündigen in der Hoffnung, daß es ungestraft vorbeigehen werde. Aber die Engländer sündigen öfters, weil sie wissen, daß es nicht ungestraft bleiben wird. Die Schärfe des Gesetzes, welche jene von Ausschweifungen abhält, treibt diese vielmehr dazu an. Und wenn ein Franzose sagt: Ich wollte dieses oder jenes gerne tun, wenn es nicht im Gesetz verboten wäre, so sagt ein Engländer: Ich würde nicht sündigen, wenn es nicht im Gesetze verboten wäre. Die Franzosen entziehen ihrem Leibe nichts, und die Engländer noch viel weniger. Jene aber essen, damit sie leben mögen, diese aber leben, damit sie essen mögen. Die Franzosen finden an künstlich zubereiteten Speisen einen Gefallen, die Engländer essen viel lieber solche Gerichte, die ohne Kunst zubereitet, aber dabei zugleich kräftig sind. Jene folgen in Zurichtung der Speisen allein ihren Einfällen, diese allein ihrem Magen. Die Franzosen trinken, um den Durst zu löschen oder ihren Geist aufzumuntern. Die Engländer trinken öfters bloß in der Absicht zu trinken. Die Franzosen glauben alles, ehe sie es untersucht haben, die Engländer untersuchen alles, ehe sie etwas annehmen. Das französische Frauenzimmer lebt frei, obgleich ihre Männer gar nicht eifersüchtig sind, das englische Frauenzimmer lebt noch viel freier, obgleich die Männer aus Eifersucht rasen. Die Einbildungskraft ist bei beiden Nationen fruchtbar, doch dieselbe ist bei den Franzosen mehr in Ordnung gebracht als bei den Engländern, welche öfters aus den Schranken weichen. Daher herrscht in den Schriften der Franzosen mehr Anmut und Scherz, die Engländer schweifen in ihren Schriften öfters aus. Die Franzosen leben größtenteils kümmerlich und im Elende, und dennoch haben sie das Leben lieb, die Engländer haben alles im Überflusse und hassen dennoch das Leben. Denn man darf sie nicht nach dem Gerichtsplatz schleppen, sondern sie laufen aus freien Stücken dahin und gehen dem Tode mit Lachen, Singen und Scherzen entgegen. Ja, wenn der Scharfrichter fehlt, so hängen sie sich öfters selbst auf. Es ist also sehr leicht zu begreifen, warum zwischen diesen beiden Völkern ein beständiger Haß herrscht, weil ihre Gemüter und Sitten so sehr voneinander unterschieden sind. Man siehet gleichfalls hieraus, daß die englische Nation sehr viel Besonderes an sich hat. Man bemerkt an derselben sehr viele Umstände, welche man bei andern Völkern nicht antrifft und über welche man sich billig wundern muß. Sollte jemand mir den Einwurf machen, daß ich die Tugenden und Laster dieses Volks gar zu großgemacht, der wird bedenken, daß man bei einem solchen Volke, welches niemals die Mittelstraße gehet, auch den Mittelweg nicht treffen kann.

Nun will ich mich wieder auf das feste Land zurückbegeben und eine Abbildung von einigen Völkern mitteilen, die der Natur gemäßer leben. Außer den Franzosen und Engländern habe ich auch mit den Holländern, Deutschen und Italienern Umgang gehabt. Den Holländern ist die Natur nicht günstig gewesen. Sie wohnen an sumpfigen Örtern, und in einem kleinen Lande hält sich eine unzählbare Menge von Menschen auf. Ja, man kann nicht einmal sagen, daß die Natur ihnen das Land verliehen, welches sie bewohnen, sondern sie haben es selbst zubereitet. Daher sagt auch jener Dichter scherzhaft:

Tellenim fecere dii sua littora Belgae. Tellerum fecere...: Das Land schufen die Götter, ihre Gestade die Niederländer. (Neulateinisch)

Und überdem bringt dieses kleine Stück Landes, welches nicht hinlänglich ist, den hundertsten Teil der Einwohner zu ernähren, nichts als Stroh und Gras hervor. Auch in Austeilung der Gemütsgaben hat sich die Natur nicht gar zu freigebig gegen sie erwiesen. Denn sie können weder im Witze noch in der Beurteilungskraft mit den Franzosen und Engländern verglichen werden. Jedoch bei dieser allgemeinen Unfruchtbarkeit und Armut verdient doch Holland, die allerreichste und allerweiseste Republik genannt zu werden. Denn was ihnen die Natur versagt hat, das kann ihr Fleiß überflüssig ersetzen. Ein jedes Land pflegt seine Vorzüge zu rühmen. Holland hat nichts aufzuweisen und besitzt doch alles. Andre Völker erheben sich wegen ihrer Tugenden und großen Gemütsgaben. Die Holländer sind ihnen freilich in diesem Stücke nicht zu vergleichen. Indessen richten sie doch mehr aus und bringen viel größere und nützlichere Werke zustande, als andre mit ihrer großen Scharfsinnigkeit zu bewerkstelligen vermögend sind. Andre vollführen solche Werke, die einen größern Schein haben und mehr ins Auge fallen. Die Holländer aber richten solche Dinge aus, die wirklich groß sind. Jene bringen bewundernswürdige Dinge zustande, welche aber oft von keinen Nutzen sind. Die Holländer aber bewirken solche Anstalten, die jederzeit nützlich sind, aber ohne großes Geschrei und ohne viele Bewunderung. Jene laufen schnell, diese aber kriechen nur und erreichen das Ziel dennoch eher als die andern. Jene haben einen Überfluß an außerordentlichen Gemütsgaben und irren öfters, diese sind nicht so reichlich damit versehen und fehlen nicht so ofte. Man sagt, daß die Holländer nichts Neues erfinden können, sie sind aber in der Nachahmung solcher Dinge überaus glücklich, die von andern bereits erfunden worden, und wenn sie bisweilen das Original nicht recht treffen, so gerät ihnen öfters die Kopie besser als das Original selbst. Denn sie sind nicht nur überaus geschickt, allerhand Künste und Wissenschaften anzunehmen, sondern sie verbessern solche auch und suchen sie vollkommener zu machen, daß man also mit Recht von ihnen sagen kann:

Omnia conando docilis solertia vincit. Omnia conando...: Alles versucht und alles überwindet gelehrige Geschicklichkeit. (Manilius, Astronomica I, 95)

Sie haben die Moräste, worin sie wohnen, und die sumpfichten Örter in ein rechtes Paradies verwandelt, welches mit den schönsten Städten und Gebäuden pranget. Und hiedurch haben sie zur G[e]nüge bewiesen, was ein unverdrossener Fleiß auszurichten vermögend ist. Wohin man nur die Augen wendet, da erblickt man Dinge, welche man nicht sehen kann, ohne sie zugleich zu bewundern. Wie desfalls vor einigen Jahren ihre Dämme von den Würmern zerfressen wurden, so war ich sehr bekümmert, daß dieses Land, welches als eine Zierde und Schmuck der ganzen Welt anzusehen ist, Schaden leiden und endlich ganz abnehmen möchte. Durch Fleiß und Mühe ist diese Republik entstanden und auch bisher dadurch im Flor und Wachstum erhalten worden. Sollten die Holländer einmal anfangen, faul und nachlässig zu werden, so kann ihre Republik nicht lange bestehen. Einige legen den Holländern viel Witz bei und schließen solches aus den vielen Satiren und scharfsinnigsten Sinngedichten, welche jährlich bei ihnen in großer Anzahl zum Vorschein kommen. Aber in ihren Reden und Schriften herrscht mehr die Freiheit als der Witz, welches man leicht einsehen kann, wenn man die stachlichten Verse der Franzosen und Engländer mit den holländischen Stachelgedichten vergleicht. Und man kann hier sagen:

Quos natura negat, facit ecce! licentia versus. Quos natura negat...: Die Natur versagt ihnen die Gabe des Versemachens, aber siehe, die Freiheit lehrt sie's. (Nach Juvenal, Satiren I, 79)

Diese freie Schreibart, deren sich die Holländer bedienen, wird öfters mit der Scharfsinnigkeit verwechselt, und die Holländer verdienen den Charakter nicht, den man ihnen beilegt. Die holländische Sprache aber macht dennoch ihren Scherz angenehm, denn dieselbe ist natürlich, ungeschminkt und artig und weit geschickter zu scherzhaften Ausdrücken und Lustspielen als zu ernsthaften Dingen und Trauerspielen. Ich machte vor einigen Jahren einen Versuch, was meine Komödien für einen Beifall finden würden, wenn sie in die holländische Sprache übersetzt wären. Ich ließ deswegen den ›politischen Kanngießer‹ in die deutsche und holländische Sprache übersetzen. Die deutsche Übersetzung schien mir matt und ohne Nachdruck zu sein; die holländische Übersetzung aber übertraf das Original selbst. Aber in ernsthaften und erhabenen Dingen klingt diese Sprache gar nicht und kann den Zuhörer eher zum Lachen bringen als die Affekten bei ihnen rege machen, welches man mit sehr vielen Beispielen aus den holländischen Trauerspielen beweisen kann.

Die Sprachlehrer dieses Landes haben sich sehr viele Mühe gegeben, die holländische Sprache auszubessern und zu schmücken; aber sie geben sich ohne Zweifel gar zu viele Mühe in diesem Stücke. Denn, indem sie die Sprache zu reinigen suchen, so machen sie dieselbe zugleich unverständlich. Alles, was aus fremden Sprachen entlehnet ist, das sondern sie aus, und wenn es ihnen an holländischen Wörtern fehlet, die sie an deren Stelle setzen können, so erfinden sie täglich neue. Die philosophischen und grammatikalischen Wörter sind nebst den Kunstwörtern allen und jeden bekannt, weil sie von allen Nationen angenommen worden. Aber diese werden auf das sorgfältigste ausgesucht und vermieden, damit die Reinigkeit der holländischen Sprache dadurch nicht möge befleckt werden. Jedoch, dadurch füllen sie, anstatt der alten und bekannten Wörter, die Sprache mit unbekannten Ausdrücken und Redensarten an. Wenn sie zum Exempel Praesens, Praeteritum, Futurum, Nominativus, Genitivus, Subiectum, Obiectum auf holländisch geben wollen, so müssen sie erstlich neue Wörter erfinden, wodurch diese Sprache, auch den Holländern selbst, unverständlich wird. Man siehet hieraus, daß die Sprachlehrer dieses Landes sich allein damit beschäftigen, daß sie nichts tun oder vielmehr, daß sie neue Mißgeburten hervorbringen mögen. Man muß sich billig wundern, daß man in der grammatikalischen Republik keine fremden Wörter dulden will, da man doch in dem geistlichen und weltlichen Staat so mitleidig und gütig ist, daß man kein Bedenken trägt, allen Sekten, ja fast allen Tieren das Bürgerrecht zu erteilen und den Aufenthalt zu verstatten. Ja, es ist seltsam, daß Holland, welches ein gemeinschaftliches Vaterland aller Nationen ist, einige Wörter und Redensarten aus seinen Grenzen verbannet, welche doch von allen Völkern angenommen worden.

Von den Holländern kann man mit Recht sagen:

Parcum genus est, patiensque laborum
Quaesitique tenax, et quod quaesita reseruat
. ... parcum genus est...: Ein sparsames Geschlecht ist's, ausdauernd in Arbeit, eifrig bedacht auf Erwerb und wohl das Erworbene bewahrend. (Ovid, Metamorphosen VII, 656 f.)

Da die Republik zuerst ihren Anfang nahm, so wurden sie gezwungen, arbeitsam zu sein, und dieses ist bei ihnen nunmehro schon zur Natur geworden. Denn die Holländer sind unter allen andern Völkern am fleißigsten und entziehen sich keiner Arbeit. Einige tadeln die Sparsamkeit der Holländer, einige aber loben dieselbe. Die ersten sagen, die Holländer wären dem Tantalus ähnlich und litten bei einem so großen Überfluß dennoch Hunger und Durst. Die andern aber führen zu Behauptung ihres Satzes an, daß die Republik durch Fleiß und Sparsamkeit zugenommen und durch dieses einzige Mittel auch nur könne erhalten werden. Denn, da andre Völker sich mit dem bereichern, was ihr Land hervorbringt, so können sich die Holländer allein von der Frucht ihrer Arbeit bereichern. Indessen findet man doch einige unter ihnen, welche gar keine Maße halten, sondern sich gar zu viel um das Zukünftige bekümmern und daher ihrem eignen Leibe die nötige Pflege entziehen.

Was von dem Fleiße und der Unverdrossenheit der Holländer beigebracht worden, solches kann man auch von ihrer so sehr gerühmten Reinlichkeit sagen. Die Beschaffenheit des Landes und der Luft erfordert, daß sie sich der Reinlichkeit befleißigen müssen. Aber hierin halten sie keine Maße. Da sie nicht auf die Erde speien wollen, so besetzen sie ihre Tische mit Speitöpfen, welches bei den Fremden einen großen Ekel verursacht. In dem Gebrauch des Rauchtobaks, wozu die Holländer gezwungen sind, gehen sie auch zu weit. Weil sie in Morästen wohnen und die Luft bei ihnen immer sehr dick und neblicht ist, so glauben sie, daß der Rauchtobak ihnen sehr dienlich sei. Aber sie überschreiten in diesem Stück alle Grenzen. Wenn man in ein Haus kommt, so kann man wegen des starken Tobaksdampfs nicht einen Schritt weit sehen. Wenn es deswegen auch in Holland, wie in Amerika, gebräuchlich wäre, Menschenfleisch feilzubieten, so könnte man das Fleisch der Holländer als geräuchertes Fleisch verkaufen.

Die Holländer lassen sich so wenig von ihren Affekten regieren, daß die holländische Kaltsinnigkeit bereits zu einem Sprüchwort geworden. Einige tadeln diese Gleichgültigkeit an ihnen, weil die menschlichen Leidenschaften, als Zorn und Liebe, gleichsam die Tugend anspornen und unterhalten. Aber daher rührt es auch, daß weder Tugenden noch Laster bei dieser Nation zur Reife kommen. Die Holländer üben keine heroische Tugenden aus, aber dagegen wissen sie auch nichts von Eifersucht, Rachbegierde und andern bösen Neigungen, womit andre Völker geplagt werden. Das Frauenzimmer ist daselbst sehr keusch, und man bemerkt an ihnen noch viel Spuren von der alten Schamhaftigkeit und Einfalt. Niemals sieht man daselbst, daß die Jugend die Liebe zu hoch treiben und entweder den Verstand darüber verlieren oder sich das Leben nehmen sollte. Und aus ebenderselben Ursache werden die Streitigkeiten mehr durch das Gesetz als durch einen Zweikampf entschieden. Denn die Holländer halten es für ungereimt, ein erlittenes Unrecht mit Gefahr des Lebens zu rächen.

Jedoch, in der Verwaltung der Republik und auf ihren Rathäusern zeigt sich die vortrefflichste Wirkung von dieser Kaltsinnigkeit. Es wird alles mit Bedacht und sehr reiflich überlegt. Wenn aber erstlich ein Schluß gefaßt worden, so wird derselbe ohne den geringsten Verzug in Erfüllung gebracht. Und man weiß nicht, ob man die Langsamkeit, womit sie eine Sache überlegen, oder die Hurtigkeit mehr bewundern soll, mit welcher sie alles zustande bringen. Die Ordnung, welche sie auch in den geringsten Dingen beobachten, setzt die Fremden in Verwunderung, ja fast in Erstaunen, und zwingt sie, daß sie die Verfassung dieser so wohleingerichteten Republik mit den billigsten Lobsprüchen erheben müssen.

Indessen bemerkt man doch auch hin und wieder einige Fehler, aber dieselben sind zugleich mit der Republik entstanden und haben nachher nicht wieder abgeschafft werden können. Denn es ist bekannt, wie schleunig und bei welchen unruhigen Zeiten dieser Staat der vereinigten Provinzen gestiftet worden. Hier muß man auch zugleich bemerken, wie sehr der gemeine Mann in Holland irret, wenn er glaubt, daß die ganze Macht der Republik in seinen Händen sei, da doch derselbe von aller Verwaltung der Regierung völlig ausgeschlossen ist und das Regimentsruder sich allein in den Händen einiger wenigen Geschlechter befindet.

Man kann die Holländer einigermaßen mit den Fröschen vergleichen und zu den Tieren zählen, die im Wasser und auf dem Lande leben können, denn sie halten sich ebensoviel auf dem Wasser als auf dem festen Lande auf. Mit den Verrichtungen, die sie auf der See haben, nehmen sie auch zugleich die Sitten der Seeleute an und sind größtenteils grob und unhöflich. Man findet zwar einige unter ihnen, welche die französischen Zierlichkeiten nachäffen wollen, aber da sie eine fremde Natur annehmen wollen, so büßen sie ihre eigne darüber ein und dienen nicht nur den Franzosen, sondern auch ihren eignen Landsleuten zum Gelächter, denn sie machen alles entweder verkehrt oder treiben es auch zu hoch. Insonderheit hat man diese angenommene, gezwungne Lebensart bei den Ambassadeurs und Abgesandten bemerkt, welches öfters Gelegenheit zu allerhand Spöttereien gegeben hat. Wie 1653 zweene Gesandten von Witt und von Wawern zu Lübeck ankamen, um einen daselbst angestellten Kongreß beizuwohnen, so ließen sie nach der bei andern Nationen eingeführten Gewohnheit den übrigen Gesandten ihre Ankunft melden. Zugleich aber entschuldigten sie sich, daß sie nicht gleich den Besuch von ihnen würden annehmen können, weil sie einige Tage brauchten, ihre Zimmer aufzuputzen und alles in Ordnung zu setzen, ehe sie die fremden Gesandten bei sich in ihrem Hause sehen könnten. Und wie ehedem Carl der II. den Herren Staaten vorrückte, daß sie ihm vieles nicht einräumen wollten, was sie doch dem Cromwell verstattet hätten, so antworteten sie: Es wären nun andre Zeiten, damals hätte ein großer Mann am Ruder gesessen, welcher allen schrecklich gewesen wäre.

Aus dieser kurzen Abbildung, welche ich von dieser Nation gegeben habe, kann man zur Gnüge abnehmen, daß die Holländer ihrem Fleiße mehr als ihren Naturgaben zu danken haben, und daß sie durch ihre unermüdete Arbeit dasjenige ersetzen, was ihnen die Natur versagt hat. Wenn man auf die Gemütskräfte allein siehet, so trifft man bei diesem Volke gar nichts Besonderes oder Ausnehmendes an. Die Holländer haben zwar viele herrliche und so große Dinge zustande gebracht, daß man ihnen hierin sehr wenige andre Nationen an die Seite setzen kann. Aber es ist alles eine Frucht ihres Fleißes und ihrer Unverdrossenheit, wozu sie durch die Not getrieben worden.

Ebendasselbe Urteil kann man auch von den Deutschen fällen. Auch diese kann man unter die Völker rechnen, welche auf eine vernünftige Art die Mittelstraße halten, denn sie gehen in keinem Dinge zu weit, wo es nicht im Essen und Trinken ist. Sie weichen sehr selten von der ordentlichen Bahn ab, sie gehen langsam zum Ziel und erreichen dasselbe glücklich. Ihre Tugenden sind selten heroisch. Sie sind tapfer, aber sie eilen dem Tode nicht wie die Engländer mit offenen Armen und auf eine vermessene Art entgegen. Sie lieben die Wissenschaften, aber sie sind denselben nicht so eifrig ergeben, daß sie darüber ihren Verstand verlieren. Sie sind arbeitsam, aber sie halten in ihrer Arbeit mehr Maße als die Holländer. Die Holländer arbeiten, damit sie sich einen großen Reichtum erwerben mögen. Aber die Deutschen haben bei ihrer Arbeit diesen Endzweck, so viel dadurch zu verdienen, daß sie anständig leben können. Jene ruhen niemals, diese aber setzen ihre Arbeit bisweilen auf einige Zeit aus. Desfalls sind die Tugenden und Laster, welche man an den Deutschen bemerkt, dem ganzen menschlichen Geschlechte gemein. Wenn man aber auf die Regierungsform, auf die Gesetze und auf einige Gewohnheiten sieht, so ist Deutschland unter allen Reichen am seltsamsten eingerichtet. Die Regierung wird auf eine solche Art geführet, daß man bei keiner Nation eine solche Verfassung antrifft. Es ist keine Monarchie und auch keine Aristokratie. Die Gewalt ist weder in den Händen der Vornehmsten noch der Bürger, und ebensowenig ist die Macht unter beiden geteilt. Wenn sich demnach jemand nach der Regierungsform in Deutschland erkundigen sollte, so muß man ihm antworten: Deutschland wird auf deutsch regiert. Ebendieses gilt auch von ihren Gesetzen, Rechten und Freiheiten. Viele sind mit Vorrechten und Freiheiten begabt, aber sie dürfen sich derselben nicht bedienen. Sie lieben Titel und leere Schatten. Sie machen sich mit Sachen und Gütern groß, welche unsichtbar sind: Sie machen Ansprüche auf andre europäische Reiche und Länder, die ihnen niemand einräumet. Sie nennen sich römisch und haben doch nichts mit den Römern gemein. Sie reden von der vierten Monarchie, welche noch in Deutschland blühen soll, andre aber glauben, daß man diese Monarchie allein in dem Gehirne der Deutschen suchen müsse. Denn die römischen Gesetze, deren sie sich bedienen, die Titel, die Redensarten, die Namen, welche sie führen und andre Dinge, die sie mit den Römern gemein haben, können ihnen kein Recht geben, dieses zu behaupten. Aber ich will diesen Streit nicht entscheiden und eine Benennung angreifen, welche schon seit undenklichen Jahren eingeführt worden. Die Deutschen scheinen wenigstens hieran gar nicht zu zweifeln, weil sie sich einige mit der vierten Monarchie verbundene Gerechtsame zueignen. Weil sie aber gar zu eifrig sind, die Sitten, Gebräuche und Schreibart der Römer nachzuahmen, so treiben sie die Sache gar zu weit. Jene pflegten nur ihre Bürger ins Elend zu jagen, diese aber erklären auch Fremde in die Acht. Jene verfuhren nur also gegen die Lebendigen, diese aber greifen auch die Verstorbenen an: Denn die Reichsacht erstreckt sich bisweilen auch auf die Toten. Die Römer pflegten insgemein drei Namen zu gebrauchen. Die Deutschen haben diese Gewohnheit auch angenommen, allein sie sind zu weit gegangen und lassen sich kaum an acht oder zehn Namen begnügen. Die Ordnung ist in der römischen Sprache verkehrt. Die Deutschen sind den Römern auch in diesem Stücke gefolgt und haben dadurch ihre Sprache noch verkehrter gemacht. Die Römer setzen insgemein das Verbum zuletzt, die Deutschen aber endigen gerne mit zwei oder drei Verbis. Jene trennen das Substantivum und Adjektivum nur durch ein Wort, diese aber schieben sechs bis sieben Wörter ein. So sorgfältig sind die Deutschen gewesen, die Schönheit der römischen Sprache auszudrücken, daß sie auch die Fehler selbst verdoppelt haben. Diese Dinge aber verdienen eher Schwachheiten als wirkliche Fehler genannt zu werden. Von den Tugenden und Lastern der Deutschen will ich nicht weitläuftig handeln. Einige haben bemerkt, daß sie die Ceres und den Bacchus sehr verehren. Sie streben sehr nach Ehrentiteln und führen große Namen, ohne das geringste von der Sache selbst zu besitzen. Es ist fast kein Volk, wo man so viele Namen ohne Eigentum und so viele Titel ohne wirkliche Herrschaft findet. Sie nennen sich bisweilen nicht schlechthin Herren, sondern auch ganze Herren, und zwar von einer Sache, die niemals in der Welt gewesen. Übrigens sind die Deutschen edelmütig, tapfer und aufrichtig. Um die Wissenschaften haben sie sich sehr verdient gemacht. Einige reden zwar mit Verachtung von den Schriften der Deutschen, weil solche nur Sammlungen, nicht aber wohleingerichtete Werke zu sein scheinen, aber diesen Streit will ich nicht entscheiden. Dies müssen doch die strengen Richter selbst gestehen, daß sie vieles aus den Schriften der Deutschen entlehnt haben. Wenn andre Nationen zierlicher schreiben, so schreiben die Deutschen gelehrter und gründlicher. Die Sammlungen der Deutschen zeugen von einer ganz ungemeinen Belesenheit, welche andre öfters in Ordnung bringen und für ihre eigne Schriften ausgeben. Und auf solche Art tadeln sie diejenigen, welche sie berauben und abschreiben, welches undankbar und unbillig ist, wo sie sich nicht mit dem Kriegsrecht entschuldigen, vermöge dessen sich ein jeder alles zuzueignen berechtiget ist, was er vom Feinde erbeuten kann. Wenn jemand behaupten wollte, daß die Deutschen keine gute Köpfe hätten, dem muß die Geschichte der Künste und Wissenschaften ganz unbekannt sein. Denn daselbst findet man die vortrefflichsten und nützlichsten Erfindungen, welche von den Deutschen ersonnen und zuerst ans Licht gebracht worden.

Die deutsche Sprache ist an sich rauh und schwer und wird durch die Nachahmung der lateinischen Sprache noch viel schwerer gemacht, weil die Wörter aus ihrer natürlichen Ordnung gesetzt werden. Denn da man die durch die Natur verbundenen Wörter trennet und das letzte zuerst setzt, so kann man eher nichts davon verstehen, bis man den Satz zu Ende gelesen. Und da ihre Perioden insgemein lang sind, so vergißt man das erste, wenn man das letzte lieset. Zuletzt schließen die Deutschen sehr gern mit zwei oder drei Verbis, welche sich auf das vorhergehende beziehen. Und daher ist man gezwungen, dasjenige, was man schon gelesen hat, wenn man es recht verstehen will, noch einmal wieder durchzulesen. Diese Qual der Leser nennen die Deutschen die Majestät ihrer Sprache. Jedoch, ein jeder hat seinen besondern Geschmack; dieser findet an süßen und jener an bittern Speisen einen Gefallen. Und der Wein, welchen dieser mit Vergnügen trinkt, erweckt jenen einen Ekel. Und da man wegen des Geschmacks nicht viel zanken muß, so würde es unbillig sein, wenn man mit den Polen streiten wollte, weil sie so gerne stinkende und verfaulte Heringe essen, oder wenn man den Engländern vorwerfen wollte, daß sie das Fleisch halb roh essen, oder wenn man endlich die Italiener tadeln wollte, weil sie an rauschenden und harten Tönen einen Gefallen finden. Ein jeder hat seine besondre Einsichten, und was dieser für schön und angenehm hält, das wird von dem andern verworfen. Man erzählt von einem Bauren, der alle Bäume um seinen Hof weggehauen, weil ihm die Nachtigall mit ihrem Gesang beschwerlich war. Und die Geschichte berichten uns, daß ein gewisser skythischer König viel lieber das Wiehern der Pferde als die schönste Musik gehöret habe. Ich tadle den Geschmack der Deutschen in gelehrten Sachen nicht. Ich sage dieses einzige nur, daß derselbe den meisten andern Völkern mißfällt.

Weil die Italiener verschiedene Nationen ausmachen, so können sie nicht füglich überhaupt betrachtet und abgebildet werden. Denn sie sind in Absicht auf ihre Sitten und Gemüter sehr unterschieden. Hierin aber kommen sie alle überein, daß sie durchgehends, wenn man einige wenige ausnimmt, aus der Art geschlagen sind und die Tugend ihrer Väter nicht mehr an sich haben. Die Alten waren tapfer und unerschrocken, die Söhne sind furchtsam und gar nicht streitbar. Jene führten Krieg mit Spieß und Degen, diese aber fechten mit List und Gift. Jene regierten über alle Nationen, diese sind Knechte von allen Völkern. Jene stritten allein mit Bewaffneten, diese zittern, sobald sie einen Bewaffneten sehen, und herrschen allein über ihre Weiber. So viele tapfere Helden das alte Italien gezeuget, so viele Weichlinge bringt das neue Italien hervor. Sie kommen in keinem Stücke als allein in dem Aberglauben miteinander überein. Wenn man die Wunder des Titus Livius mit den Legenden und Fabeln der Italiener vergleicht, so kann man billig zweifeln, welche von beiden die ungereimtesten sind. Sooft es in alten Zeiten Steine geregnet, sooft redet man jetzt von blutigen Hostien, und sooft ehedem die Ochsen in Hetrurien redeten, ebensooft tun nun die italienischen Ochsen, nämlich die Mönche, Wunder. Dennoch kann man den heutigen Italienern den Geist und die Scharfsinnigkeit keineswegs absprechen. Die Maler, Bildhauer und Künstler haben ihren rechten Wohnplatz in Italien aufgeschlagen. Aber in theologischen, philosophischen, moralischen und historischen Sachen tritt hier nichts Wichtiges ans Licht. Und es ist auch nicht möglich, daß man in solchem Lande etwas Großes erwarten kann, wo die Inquisition den Verfassern alle Freiheit zu schreiben einschränket. Wie die Barbarei der vorigen Zeiten ausgerottet ward, so fing auch Italien an, das Haupt emporzuheben, und es begaben sich alle und jede dahin, um in Künsten, Wissenschaften und Kriegssachen unterrichtet zu werden. Aber es war nur ein Luftzeichen, welches bald wieder verschwand. Und daher kann man sagen, daß die Fehler, welche man jetzt bei dieser Nation bemerkt, mehr von den Umständen der Zeit als von dem Naturell des Volks herrühren. Wenn die alten Zeiten wiederhergestellet würden, so würden auch die alten edlen Eigenschaften, welche nun entkräftet sind, wieder erwachen und hergestellt werden.

Mit den Spaniern habe ich niemals Umgang gehabt, und daher unterstehe ich mich auch nicht, von ihnen eine Abbildung zu machen. Es haben auch bereits andere von den Eigenschaften der Spanier weitläuftig gehandelt, und desfalls will ich das, was von andern schon gesagt worden, hier nicht wiederholen. Die Sitten der Spanier, die ich auf meiner Reise angetroffen, haben mir nicht mißfallen. Sie schienen sehr ehrlich zu sein und redeten sehr wenig, und da ich selbst sehr wenig esse und trinke, so konnte mir eine Nation nicht unangenehm sein, die allein von der Luft lebet. Da ich aber kein Liebhaber von langem Zaudern bin, so urteilte ich schon damals, daß mir der beständige Umgang mit den Spaniern sehr verdrießlich sein würde, und zwar wegen der Langsamkeit, die diesem Volke eigen ist. Ich tadele diejenigen nicht, welche behutsam verfahren, denn ihre Arbeiten und Schriften werden desto vollkommner, je mehr Zeit sie anwenden. Aber einige gehen in diesem Stücke zu weit und verderben alles durch ihre ewigen Beratschlagungen. Wie der Vaugelas dreißig Jahr auf die Übersetzung des Curtius anwandte, so ward er mit Recht deswegen von einem seiner Freunde getadelt, welcher glaubte, daß sich die französische Sprache ganz verändern dürfte, ehe jener mit seiner Übersetzung zustande käme. Und hieher gehört das Sinngedicht des Martials:

Eutrapelus Tonsor, dum circuit ora Luperci
Expinguitque genas, altera barba subit
. Eutrapelus Tonsor...: Derweil der Barbier Eutrapelus um den Mund des Lupercus herumfährt und ihm die Wangen putzt, sproßt schon ein neuer Bart. (Martial, Epigramme VII, 83)

Von ebenderselben Art ist auch die spanische Saumseligkeit, welche auch bereits bei andern zum Gespötte geworden.

Ich darf es nicht wagen, von den nordischen Völkern zu reden, ob mir gleich ihr Naturell sehr wohl bekannt ist. Denn dieselben sind gar zu argwöhnisch und können auch wegen der geringsten Dinge mit einem Skribenten einen Streit anfangen. Und da es bei der Abbildung eines Volks unumgänglich nötig ist, sowohl ihre Laster als ihre Tugenden zu erzählen, so will ich dieses andern überlassen, welche mehr Lust zu streiten haben.

Aber ich merke, daß diese Materie weitläuftiger geworden, als es die Eigenschaft eines Briefes zuläßt. Ich will desfalls wieder von mir selbst reden und von meinen übrigen Bemühungen noch etwas hinzusetzen. Auf die künstliche Vernunftlehre habe ich mich sehr wenig gelegt, weil ich allemal mit der Vernunftlehre zufrieden gewesen, welche mir die Natur verliehen. Ich widerrate niemanden, dieselbe sich bekannt zu machen, da alle und jede ihren großen Nutzen erkennen. Ich behaupte allein dieses, daß dasjenige, was von Natur unordentlich ist, durch die künstliche Logik nicht in Ordnung gebracht werden könne. Und man bemerkt, daß einige, denen die künstliche Vernunftlehre ganz und gar unbekannt ist, dennoch überaus gründlich urteilen. Mich dünkt, man könne hievon ebendasselbe Urteil fällen, was man von der Gedächtniskunst zu urteilen pflegt. Man findet einige, welche öffentlich in dieser Kunst andre unterweisen und Proben davon ablegen. Weil aber die Erfahrung zeigt, daß man den Kopf sehr dabei anstrengen muß und dennoch der Nutzen sehr geringe ist, so gerät die Kunst von selbst in Abnahme.

Auf die Rechtsgelahrtheit habe ich so viele Zeit gewandt, daß ich den Namen eines Juristen einigermaßen führen kann. Die Theorie habe ich sehr wohl gefaßt, aber die Übung fehlet mir. Deswegen bin ich auch, wenn es auf gewisse Nebenumstände und Formalien ankommt, die man bloß aus der Praxis lernen muß, so unerfahren, daß ich andere um Rat fragen muß. Da in unsern Gerichten die Urteile meistenteils gleich abgefaßt werden, so verwalten diejenigen die Stelle eines Richters am besten, welche sich durch die Übung einen guten Vorrat von Formalien gesammlet haben. Und weil die Urteile gleich ohne langes Bedenken müssen gesprochen werden, so sind die Jüngern, weil sie die Sache geschwinder einsehen, besser dazu geschickt als die Alten. Denn jene, ob sie gleich nicht eine so scharfe Beurteilungskraft haben, können doch etwas vorbringen, da jene mit ihrer ganzen Einsicht nichts entscheiden können, weil sie die Beschaffenheit der Sache nicht so geschwinde begriffen haben. Deswegen sind die jungen Leute die besten Richter, wenn das Urteil ohne Verzug muß abgefaßt werden. Die Alten urteilen aber weit gründlicher, wenn man ihnen Zeit gönnet, die Sache zu überlegen.

Ich habe einen großen Teil meiner jungen Jahre auf die Erlernung der Sprachen angewandt. Aber das Hebräische ist mir so unbekannt, daß ich auch nicht einmal die Buchstaben kenne. Sie wundern sich vielleicht, mein Herr, über diese Nachlässigkeit, da diese Sprache in kurzer Zeit bei uns so sehr beliebt geworden, daß fast ein jeder Student einen Rabbi vorstellen kann. Und da eben einige zu der Zeit mit dem größten Eifer die hebräische Sprache zu lernen anfingen, wie die Meinung von dem tausendjährigen Reiche einige Gemüter an diesem Orte eingenommen hatte, so bildete ich mir ein, es geschähe zu dem Ende, damit sie dichtige Bürger und Bediente in dem neuen Reiche werden möchten, welches sie im Traume gesehen hatten. Die hebräische Sprache ist nicht zu versäumen, sondern sie muß vielmehr von denen getrieben werden, welche sich der Gottesgelahrtheit gewidmet haben. Nur dieses gefällt mir nicht, daß alle und jede sich mit solchen Eifer darauf legen, weil ich glaube, daß solches nur allein diejenigen tun müßten, welche dermaleins ein öffentliches Lehramt zu bekleiden gedenken. Denn die übrigen vergessen doch alles gleich wieder, was sie in einigen Jahren gelernet haben.

Ebendieses Urteil fälle ich von einigen andern akademischen Studien, welche man mit Mühe lernet, damit man dieselben desto geschwinder wieder vergessen möge. Worauf sich, nach meiner Einsicht, unsre Studenten am meisten legen sollten, das wird am meisten von ihnen versäumet. Die größte Anzahl derselben sucht mit der Zeit ein solches Amt zu erhalten, wobei die Beredsamkeit erfordert wird. Diese leistet auch gewiß einem Prediger den größten Nutzen. Aber die geistliche Beredsamkeit, deren sie sich in ihrem Amte am meisten bedienen sollen, machen sie sich zu späte, und nicht eher als zu der Zeit bekannt, wenn sie derselben bedürfen. Daher rührt es, daß sie bei einem erhaltenen Predigtamte annoch in der Sache ganz unerfahren sind, die sie doch allein treiben sollen. Und alsdenn sehen sie erstlich ein, daß sie ihre Zeit und Mühe auf solche Wissenschaften gewandt haben, welche ihnen zu ihrem Endzweck nicht dienlich sind. Sie haben sich mit allen Arten der Waffen versehen, aber es fehlen ihnen diejenigen, deren sie sich bedienen sollen.

In welcher Absicht und zu welchem Ende ich die Geschichte lese, solches bezeugen meine historische Schriften. Denn dieselben sind keine magere Chroniken, sondern auf eine solche Art eingerichtet, daß sie nebst den Kriegshändeln auch einen Abriß von den geistlichen und weltlichen Rechten und Verfassungen geben, daß sie das Naturell der Regenten und der Untertanen abbilden und endlich Tugenden und Laster lebhaft vorstellen. Die meisten Historien enthalten nichts anders als eine Sammlung von solchen Sachen, die den Krieg betreffen. Deswegen glaubt auch ein jeder, daß er mit leichter Mühe ein Geschichtschreiber sein könne, weil man nur dasjenige erzählen dürfe, was sich zugetragen hat. Es ist aber gewiß eine so schwere Sache, eine rechte Historie abzufassen, welche diesen Namen verdient, daß unter so vielen Geschichtschreibern nur sehr wenige ihrer Pflicht ein vollkommenes Genügen geleistet. Ich selbst schmeichele mir nicht, daß ich es vollkommen getroffen habe. Es ist nur allein von mir gezeigt worden, wie eine Historie müsse geschrieben werden, und daß nicht ein jeder so glücklich sei, seinen Endzweck vollkommen zu erreichen. Ich habe insonderheit die Fehler angezeigt, welche sich bei unsern Geschichtschreibern finden. Es pflegen die Liebhaber der alten Papiere und Handschriften alles, was von den Würmern zerfressen oder von einer alten Hand geschrieben ist, als einen großen Schatz anzusehen und ohne vorhergegangene Untersuchung ihren Schriften einzuverleiben. Dieses hat Clericus an unsern Torfäus getadelt, und ebendieses kann man auch von dem Hvitfeld und von anderen Geschichtschreibern sagen. Man schreibt große Bücher, wenn man aber alles herausnehmen wollte, was darin überflüssig ist, so würden sie sehr klein werden.

Man muß nichts in die Geschichte mengen, als was merkwürdig ist, so wie man in den menschlichen Handlungen alles Überflüssige scheuen und unterlassen muß. Der Überfluß schadet sowohl der Kirche als der Republik, und es ist damit öfters wie mit dem menschlichen Leibe beschaffen, dem gar zu viele Säfte schädlich sind. Hierauf habe ich insonderheit allemal sehr genau achtgegeben, da ich ein großer Feind von aller unnötigen Weitläufigkeit bin, und glaube, daß man alles noch einmal so geschwinde würde verrichten können, wenn man alles, was nicht zur Sache gehöret, wegließe. Dies drückt auch das Sinngedicht an den Fabulus aus:

Res solidas tantum cura, sepone minutas,
Et longe proprior meta laboris erit,
Nam recto gressu si pergeret ire viator,
Dimidio brevior terra, Fabulle foret
. Res solidas...: Nur um wichtige Dinge kümmere dich, Kleinigkeiten laß beiseite, und das Ziel deiner Tätigkeit rückt erheblich näher. Denn wenn der Wanderer unentwegt geradeaus ginge, dann, mein Fabull, wäre die Welt halb so klein.

Ich habe bereits öfters eine Abhandlung von dem Überflusse entwerfen wollen. Weil ich aber jederzeit durch andre Verrichtungen davon abgehalten worden, so habe ich diesen Fürsatz fallenlassen oder vielmehr nur auf eine bequemere Zeit verschoben.

In der Moral bin ich, wie schon vorher von mir erwähnt worden, durch eigenes Nachdenken weiter als durch das Lesen anderer moralischer Schriften gekommen. Meine Lehrsätze habe ich in einigen von mir herausgegebenen Schriften, insonderheit in meinen Sinngedichten, in meiner unterirdischen Reise und in meinen moralischen Gedanken öffentlich an den Tag gelegt.

Die Arzneikunst ist mir so unbekannt, daß ich auch nicht einmal die ersten Gründe derselben innehabe. Dennoch aber versäume ich nicht, für meinen Leib zu sorgen, weil die Seele an den Schwachheiten des Körpers teilnimmt. Doch folge ich mehr meiner eignen Einsicht als dem Rate der Ärzte, weil die Beschaffenheit meines Leibes mir besser bekannt ist als andern, wenn solche gleich Meister in ihrer Kunst sind. Ich gestehe, daß die Kräuter ihre Wirkung haben, und ich rühme den Fleiß der Ärzte, die Kräfte der Arzneien immer mehr zu erforschen. Aber die Beschaffenheit des menschlichen Körpers ist nach dem Ausspruche jenes großen Medici ein unbekanntes Land, dessen Küsten wir noch nicht einmal kennen. Und daher rührt es auch, daß die Arzneiwissenschaft noch nicht auf gewisse und unumstößliche Gründe hat können gebauet werden. Ich teile deswegen keinem Kranken einen Rat mit, wenn es aber meinen eigenen Leib betrifft, so übertreffe ich meiner Meinung nach selbst den Hippokrates. Durch eine Krankheit, welche nun bald vierzig Jahre beständig angehalten, habe ich mir eine Erkenntnis erworben, die andern fehlet. Ich weiß aus langer Erfahrung, was mir dienlich oder schädlich ist. Aber ich glaube, daß dasjenige, was mir Nutzen schafft, andern schädlich sein dürfte, wenn sie auch mit ebenderselben Krankheit geplagt wären. Denn es ist nicht genug, daß man die Krankheit kennet, man muß auch einen jeden Ort inwendig im Leibe kennen, wo sich die Krankheit aufhält. Wenn ich einen Arzt abgeben sollte, so würde ich meine Kranken auf folgende Art gesundzumachen suchen: Ich würde mich bei ihnen erkundigen, welche Speise und welchen Trank sie aus der Erfahrung ihnen am zuträglichsten befunden hätten. Und wenn sie mir antworteten, sie wären gewohnt, Kalk und Sand zu essen und Tinte zu trinken und hätten sich wohl dabei befunden, so würde ich ihnen den Rat geben, hierin fortzufahren.

Die Musik habe ich von Jugend auf geliebt. In meiner Jugend bin ich derselben mit großem Eifer ergeben gewesen. Nun aber läßt dieser Trieb mit den Jahren nach. Ich fälle ebendasselbe Urteil von der Musik, was ich von andern Künsten und Wissenschaften urteile, welche durch die Ausbesserungen mehr Schaden als Nutzen empfinden. Die Tonkünstler scheinen zu unsern Zeiten einzig und allein darauf bedacht zu sein, daß sie die natürliche Anmut der Musik ganz aufheben mögen, welche ihnen seit einigen Jahren zuwider geworden. Sie wenden vielmehr alle Mühe an, die Musik rauh, widrig und rauschend zu machen. Je schwerer also die Komposition ist, desto größer ist der Ruhm desjenigen, der dieselbe verfertiget hat. Es ist kein Zweifel, daß die Kunst ganz untergehen wird, wenn man also fortfährt.

Quanto praestantius esset,
Numen aquae viridi si margine clauderet undas,
Herba, nec ingenuum violarent marmora tophum
. Quanto praestantius...: Wieviel besser wäre es doch bestellt um die Gottheit des Quells, wenn Gras mit grünem Rund das Gewässer umschlösse und nicht Marmorquadern den anstehenden Tuffstein zerrissen. (Juvenal, Satiren III, 18-20)

Ich weiß wohl, daß man einem jeden Meister in seiner Kunst glauben muß und daß man auch von der Musik wie von den Gemälden sagen kann, daß die verborgene Schönheit derselben allein von Kennern recht eingesehen und nach Würden geschätzt werden könne. Da der gemeine Mann öfters die Arbeit des größten Meisters tadelt und derselben ein weit schlechteres Stück vorzieht, aber es ist ein verderbter Geschmack, welcher wie eine Seuche zu unsern Zeiten in der Musik herrscht. Die rechten Künstler sehen dieses auch ein, aber sie müssen sich nach dem herrschenden Vorurteil richten, weil sie wahrnehmen, daß die meisten zu Jahnen anfangen, wenn man das allersüßeste und angenehmste Konzert aufführet. Diejenige Musik halte ich für die vollkommenste, welche den Kunstverständigen gefällt und doch auch zugleich den Ohren des gemeinen Mannes nicht verdrießlich ist. Die Musik und Harmonie sind gleichgültige Worte, wenn man diese aufhebt, so kann jene nicht bestehen.

Nun glaube ich, daß Ihr Befehl erfüllet worden, da ich mein Leben, meine Sitten, meine Beschäftigungen, meine Fehler und guten Eigenschaften, wo sich ja einige bei mir finden, mit der vollkommensten Aufrichtigkeit beschrieben habe. Bin ich etwa gar zu weitläuftig gewesen, so werden Sie mir solches als einem alten Mann desto eher verzeihen, da die Alten insgemein die Weitläuftigkeit zu lieben und gerne zu reden pflegen. Sie finden hier, mein Herr, sowohl was gelobt, als auch was getadelt zu werden verdienet. Es ist nunmehro Zeit, daß ich mich auf meinen Abschied gefaßt mache und die wenigen Tage meines Lebens, die ich noch übrig habe, auf die Fürsorge für meinen Leib und auf die Besserung meines Lebens anwende. Dieses letzte halte ich für das Notwendigste, weil ich bereits im Begriffe stehe, meine Reise anzutreten, jenes aber darf ich auch nicht gänzlich unterlassen. Denn die Kräfte des Körpers werden durch das Alter leicht verzehret, wo man sie nicht, wie die Flamme durch das Öl, beständig stärket und unterhält.


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