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Der erste Brief

Mein Herr,

niemals übernehme ich etwas mit größerem Vergnügen, als was Sie mir auftragen. Itzt aber fordern Sie fast zuviel, da Sie mir befehlen, Ihnen eine Nachricht von meinem Leben zu erteilen, da ich doch niemals imstande gewesen, etwas auszurichten, welches aufgezeichnet zu werden verdiente. Sie verlangen Kleinigkeiten zu erfahren, auf deren Durchlesung auch die Müßigsten kaum einige flüchtige Augenblicke wenden dürften. Sie fordern von mir, daß ich eine Geschichte entwerfen soll, welche, aller angewandten Mühe ohngeachtet, dennoch ihrem Schicksale nicht wird entfliehen können, daß sie nicht zuletzt den Krämern in die Hände geraten sollte. Es fällt mir gewiß ebenso schwer, etwas zu tun, welches wert wäre, aufgeschrieben zu werden, als etwas abzufassen, welches sich den Beifall der Leser versprechen könnte. Daher habe ich es allemal von mir abgelehnet, sooft man mich angetrieben, diese Kleinigkeiten aufzuzeichnen. Ihr Befehl, mein Herr, ist allein vermögend gewesen, meinen Vorsatz zu ändern. Ich weiß, wie geneigt Sie von mir und meinen Schriften zu urteilen gewohnt sind, und man würde mich mit Recht sehr undankbar nennen, wenn ich mich Dero Verlangen noch ferner widersetzen wollte. Hier ist demnach die von Ihnen längst gewünschte Nachricht von meinem Leben. Wie bald aber wird Ihnen nicht die geringe Wichtigkeit der Dinge, die ich berichte, in die Augen fallen? Wie bald werden Sie nicht die schlechte Schreibart, worin ich alles vorgetragen, bemerken? Wie bald werden Sie nicht einsehen, daß es ratsamer gewesen wäre, wenn Sie mich vom Schreiben abgehalten als dazu aufgemuntert hätten? Werden die meisten müde und abgeschreckt, wenn sie eine an sich überaus nützliche Materie in einem rauhen und widrigen Vortrage lesen sollen: Was werden denn solche strenge Richter von dieser Schrift urteilen, worin sie weder eine reiche Materie noch eine reizende Schreibart antreffen? Ich richte deswegen diesen Brief allein an Sie, mein Herr, und nicht an andere. Wollen Sie sich aber durch die bereits angeführten Ursachen nicht bewegen lassen, diese Nachrichten geheimzuhalten, so füge ich noch dies hinzu, daß Sie dabei weit mehr als ich zu besorgen haben. Sie sind es, von denen ich den Befehl zu schreiben erhalten. Sie haben die erste Gelegenheit dazu gegeben. Mir aber ist nichts als die Ehre des Gehorsams übriggeblieben. Wie leicht könnte Sie Ihr gegebener Befehl reuen, da ich meinen Gehorsam niemals bereuen werde. Ich habe vor einiger Zeit die Geschichte des Peter Paarses beschrieben, worin die Torheit solcher Schriftsteller lebhaft abgemalet wird, die nichtswürdige Dinge mit dem größten Fleiße aufzeichnen und solche Nachrichten auf alle mögliche Art bekanntzumachen suchen, die man aufs äußerste verbergen sollte. Wie leicht könnte mich nicht jemand mit meinen eignen Waffen bestreiten und mir eben dasselbe vorwerfen, was ich an andern getadelt habe. Wie leicht könnte man sagen, ich hätte die Geschichte des Don Juans, eines spanischen Edelmanns, abgefaßt, von dem man erzählt, daß er nach Rom gereiset sei und, nachdem er daselbst einige Tage in einem gemieteten Zimmer ausgeruhet, die Rückreise nach seinem Vaterlande mit dem größten Ruhm gleich wieder angetreten habe. Sollten Sie sich also noch entschließen, mein Herr, diese unnütze Schrift bekanntzumachen, so wird alle Schuld allein auf Sie fallen, weil Sie diese Nachrichten verlangt haben. Mich aber wird man leicht dadurch entschuldigen, daß ich dem Befehl eines so geneigten Gönners nicht gerne ungehorsam sein wollen.

Jedoch, es ist Zeit, daß ich mich zur Sache selbst wende, damit die Vorrede nicht größer werde als meine Geschichte, worin ohnedem nur sehr wenige merkwürdige Umstände enthalten sind. Ich werde Ihnen aber nicht, mein Herr, wie andre zu tun pflegen, mit einer langen Reihe von meinen Ahnen beschwerlich fallen. Ich würde dieses auch, wenn ich gleich wollte, nicht tun können, weil meine Vaterstadt Bergen in Norwegen der Arche Noah ähnlich ist, worin sich alle Arten der Kreaturen aufhalten. Es kommen daselbst, wie in einem gemeinschaftlichen Vaterlande, nicht nur aus den angrenzenden und nahgelegenen, sondern auch aus entfernten Ländern allerlei Menschen zusammen, welche sich in dieser Stadt wohnhaft niederlassen und, da sie sich mit den Einwohnern durch Heiraten verbunden, hienächst ein Volk mit ihnen ausmachen. Doch habe ich diesen Vorzug vor meinen meisten Mitbürgern, daß mein Ältervater von der mütterlichen Seite in Bergen geboren worden. Er hieß Ludwig Munthe und war Bischof in Bergen. Er konnte sich einer adelichen Herkunft rühmen, und der Himmel hatte ihn mit so vielen Kindern gesegnet, daß er mit dem größten Rechte einen Platz unter den Patriarchen in Norwegen behaupten konnte. Von meinen Voreltern von der väterlichen Seite habe ich, welches ich aufrichtig gestehe, gar keine Nachricht. Mein seliger Vater ist von der untersten Stufe zu der Würde eines Obristen gelangt und hatte sich also nicht durch die Geburt, sondern durch seine Verdienste dieser Ehre würdig gemacht. Mir ist es Ehre genung, daß er ein aufrichtiger, tapferer und frommer Mann gewesen und von allen wegen seiner klugen und redlichen Aufführung geliebt worden. Insonderheit hat er sich der Gnade seiner hohen Exzellenz, des Herrn Ulrich Friederich Güldenlöwe, rühmen können, unter dessen Anführung er ehedem in Norwegen mit Ruhm Dienste getan.

Man kann von den meisten Einwohnern der Kauf- und Handelsstädte sagen:

Maiorum primus quisquis fuit ille tuorum &c. Maiorum primus ...: Der erste deiner Vorfahren, wer er auch gewesen ist, (war entweder ein Hirt oder gar etwas, was ich nicht sagen mag). (Juvenal, Satiren VIII, 274 f.)

Denn die Bauren allein machen die ältesten Geschlechter aus, und man sagt von vielen unter ihnen, daß sie sehr berühmten Stämmen ihren Ursprung schuldig sind. Man kann sie billig glücklich schätzen, daß sie ihre Abkunft nicht wissen. Denn wenn sie sich bemüheten, ihre Geschlechtsregister in Ordnung zu bringen und wüßten, von wem sie herstammeten, so würde es ihnen wie jenen armen Edelmann ergehen, der sich mit seinen Ahnen brüstete und, nachdem er sein ganzes Vermögen verzehret und beinahe Hungers sterben mußte, ausrief: Ach! wollte Gott, daß ich arm wäre, so wollte ich mein Brot wie ein andrer geringer Mensch verdienen!

Ich büßte meinen Vater ein, wie ich noch an meiner Mutter Brüsten lag. Er hinterließ uns ein ansehnliches Vermögen. Wir verloren aber fast alles durch eine unglückliche Feuersbrunst, welche mitten in der Nacht in dem Hause unsers Nachbars aufging und uns zugleich in die armseligsten Umstände versetzte. Es waren nur noch einige Bauernhöfe übrig, welche mein Vater kurz vor seinem Tode gekauft hatte, deren Einkünfte aber zu Unterhaltung einer so zahlreichen Familie kaum hinreichten. Bloß die Sparsamkeit und eine vernünftige Wirtschaft ersetzten diesen Mangel, und unsre Mutter hinterließ nach zehn Jahren, da noch sechs Kinder lebten, diese kleinen Landgüter frei und ohne Schulden.

Wie meine Mutter auch gestorben war und ich das zehnte Jahr meines Alters zurückgelegt hatte, so erwählte ich die Kriegsdienste und ward unter das upländische geworbene Regiment aufgenommen. Es war damals in Norwegen eingeführt, daß man den Kindern der höhern Kriegsbedienten die ordentliche Verpflegung der Soldaten reichte und dieselben also schon in der Wiege dem Kriegsstande widmete. Man nennt diejenigen insgemein Korporale, welche einen kleinen Vorzug vor den gemeinen Soldaten haben und einer geringen Mannschaft, die aus zehn Soldaten bestehet, vorgesetzet sind. Unter dieselben ward ich mit der Bedingung aufgenommen, daß ich mich in Kriegssachen sollte unterrichten lassen. Dieses aber eröffne ich Ihnen im Vertrauen. Denn es dürfte einigen ganz unerhört, ja als eine ovidianische Verwandlung vorkommen, daß aus einem Korporal ein öffentlicher Lehrer der Weltweisheit geworden. Man könnte mir, wenn sich diese Sache weiter ausbreiten sollte, allerhand Strittigkeiten wegen meines eigentlichen Standes erregen, und vielleicht müßte ich sodann mein öffentliches Lehramt niederlegen und wieder ein Korporal werden. Ich ward von meinem Vormund nach Upland geschickt, um daselbst in der Kriegswissenschaft unterrichtet zu werden. Wie ich aber von meiner Jugend an die Wissenschaften sehr liebte, und dieser Trieb auch denen nicht unbekannt war, unter deren Aufsicht ich stand, so nahm sich Otto Munthe, mit dem ich von der mütterlichen Seite verwandt war und dessen Aufsicht man mich insonderheit übergeben hatte, meiner auf eine ausnehmende und liebreiche Art an. Er munterte mich auf, den schönen Wissenschaften ferner treu zu sein; und damit dieser natürliche Trieb immer mehr möchte angeflammet werden, so übergab er mich der Unterweisung ebendesselben Hofmeisters, den er seinen Kindern vorgesetzet hatte. Dieser aber verdiente mit weit größerm Rechte den Namen eines Zuchtmeisters. Denn sein größtes Vergnügen bestand darin, wenn er seine Untergebenen auf das härteste züchtigen konnte. Übrigens war er zu diesem Amte, welches man ihm aufgetragen hatte, ganz und gar nicht geschickt. Ich habe nachher erfahren, daß er eine andre Lebensart erwählet, worüber ich mich besonders in Absicht auf die lateinische Sprache freue, deren Untergang er mit äußersten Kräften zu befördern suchte. Mir fällt noch eine von den Zierlichkeiten bei, womit er die lateinische Sprache verschönern wollte und welche darin bestand, daß man die Partikel Non allemal zuletzt am Ende eines Satzes anbringen und anstatt: non possum tibi satisfacere, non possum ...: Ich kann dir nicht genugtun. setzen müßte: possum tibi satisfacere non, woraus sein Aberwitz deutlich genug hervorleuchtet. Wäre ich nicht in seine Hände gefallen, so könnte ich mich rühmen, daß ich in der ganzen Zeit, da ich die niedern Schulen besucht, niemals gezüchtiget worden. Denn meinen andern Lehrern bin ich sowohl bei öffentlichen als besondern Unterweisungen jederzeit angenehm gewesen. Ich weiß noch, wie entrüstet ich ward, da der Konrektor in Bergen mich einmal auf die Finger klopfte, daß ich auch kein Bedenken trug, aufzustehen und ihn einen Bock zu nennen, durch welchen Spottnamen man ihn von seinen übrigen Kollegen wegen des Barts, den er trug, zu unterscheiden pflegte. Dieser ehrliche Mann ertrug diesen Schimpf mit einer spanischen Großmut; damit er sich aber doch einigermaßen rächen möchte, so nannte er mich bloß ein Böcklein. Hiebei hatte es sein Bewenden, da er doch sonst im Strafen nicht zu säumen pflegte. Ich aber durfte meine Kühnheit nicht härter büßen, und der Friede ward nach dieser kleinen Rache wieder unter uns hergestellet. In der Zeit, da ich Korporal gewesen, ist mir nichts Merkwürdiges begegnet, wo man dieses nicht dahin rechnen will, daß ich nicht einen Heller von meiner Besoldung erhalten. Ich weiß auch nicht, wer dieselbe an meiner Stelle eingehoben. Mein Wirt hatte sich meine Besoldung ausbedungen, um dadurch die Unkosten zu bestreiten, die er auf meine Unterweisung wenden mußte. Wie er aber sahe, daß solche nicht erfolgte und andern zuteil ward, so schickte er mich wieder nach Hause. Wie ich auf dem Rückwege bei meinem Verwandten, den Obristen von Krog, eingekehrt war, so widerfuhr mir eine Begebenheit, die ebenso lächerlich als merkwürdig war. Der Obriste hatte drei Söhne, von denen der jüngste bei dem Hofmeister schlief, welcher Erasmus hieß und im Saufen von niemanden in der ganzen Gegend übertroffen ward. Derselbe kam einmal zur Nachtzeit sehr berauscht nach Hause und warf sich mit seinen Kleidern ins Bette. Sein Schlafgesell aber sprang geschwinde aus dem Bette, und da er sich, ohne daß wir es gemerkt hatten, in unsre Schlafkammer geschlichen hatte, so legte er sich zu unsern Füßen, um daselbst völlig auszuruhen. Wir schliefen insgesamt ohngefähr eine Stunde, da er im Traum an meine Füße stieß. Ich ward dadurch aufgeweckt und machte auch diejenigen munter, die bei mir schliefen, denen ich zugleich sagte, daß ein Gespenst in unserer Kammer sei. Wir wurden alle von Furcht dergestalt eingenommen, daß wir nicht anders glaubten, als daß wir eine ganze Legion Teufel um uns hätten. Unser vermeinte Teufel war auch durch das Zischeln und Gemurmel aufgeweckt worden und fürchtete sich ebensosehr als wir. Er glaubte, daß er der Gefahr am meisten unterworfen sei, weil er allein läge, und daß er der erste sein dürfte, den das Gespenst wegschleppen würde.

Er lag eine lange Zeit unbeweglich und fast halb tot und erwartete die Ankunft des Feindes. Endlich nahm ihn die Furcht so sehr ein, daß er seine Stelle zu verlassen suchte, um sich neben uns zu legen. Je mehr er sich aber rührte, desto größer ward unsere Angst, daß wir nicht anders glaubten, als alle Gespenster der Höllen vor unsern Augen zu sehen. Unser böser Geist konnte also mit Recht von sich sagen:

Flammas moveoque, feroque. Flammas moveoque ...: Ich rufe den Affekt hervor und fühle ihn selbst. (Ovid, Metamorphosen III, 464)

Furcht und Angst hatten uns so sehr eingenommen, daß uns der kalte Schweiß ausbrach, und wir waren sonst auf nichts bedacht, als uns auf Gnade oder Ungnade zu ergeben. Es kam kein Schlaf in unsre Augen, wir besorgten alles, wir bildeten uns alles ein und stellten uns, wie die Furchtsamen zu tun gewohnt sind, die schrecklichsten Dinge vor. Ich bin versichert, wenn man die Gebetsformeln aufgezeichnet hätte, die uns damals die Angst auspreßte, daß man eine ziemlich starke Sammlung davon würde haben machen können. Meine Schlafgesellen, die in ihrer Theologie nicht weit gekommen waren und außer dem Vaterunser nicht viel wußten, wiederholten beständig die Gebetsformeln, welche sie bei Tische herzusagen pflegten. Sie waren soviel eifriger im Beten, weil sie bisher die Gottesfurcht ziemlich versäumt hatten und glaubten, daß sie nun deswegen sollten gestraft werden. Keiner von uns unterstand sich zu seufzen, viel weniger zu schreien, sowohl aus Furcht vor dem Gespenste, als auch aus Furcht vor dem Herrn Erasmus, da wir leicht vorhersahen, daß der letztere ein Taggespenst vorstellen und uns noch viel härter ängstigen würde. Wir brachten die Nacht so elend hin, bis die Morgenröte anbrach, da endlich unser Gespenst ungedultig ward und mit diesem heftigen Geschrei vom Bette aufsprang: Herr Hofmeister, helfen sie uns doch, es sind Gespenster bei uns in der Kammer. Wir andern hatten dieses kaum gehört, als wir mit ihm einstimmten und dieses eben mit einem so heftigen Geschrei wiederholten. Hierdurch ward unser Hofmeister aufgeweckt, und ob er gleich den gestrigen Rausch noch nicht völlig ausgeschlafen hatte, so wußte er doch nicht, was er von dieser Sache denken sollte, da er uns so fürchterlich schreien hörte. Er machte ein Kreuz vor sich und erwartete mit der größten Angst und mit der äußersten Sehnsucht den Anbruch des Tages. Wie endlich derselbe anbrach, so entdeckte sich das ganze Rätsel zu unserer gemeinschaftlichen Beschämung. Nachher habe ich eine lange Zeit die Möglichkeit der Gespenster geleugnet und alles, was man insgemein davon erzählt, für Fabeln und bloße Vorstellungen gehalten. Und ich glaube auch, daß viele durch dergleichen Begebenheiten von dem Aberglauben zum Unglauben verleitet worden. Man weicht allemal von der Mittelstraße, die man doch sorgfältig beobachten sollte. Man tut entweder der Sache zuviel oder zuwenig, man glaubt entweder nichts oder gar zuviel. Wenn wir einmal betrogen worden, so glauben wir alles und sehen den Schatten für das Wesen an. Wenn die Furcht einmal unser Gemüt eingenommen, so erhalten alle Dinge, auch diejenigen, die nicht vorhanden sind, gleich die Gestalt, welche ihnen unsre Vorstellung beilegt. Wenn aber der Betrug entdeckt und die Dunkelheit, welche bisher unsern Blick aufgehalten, weggeräumet worden, so fallen wir leicht auf die andere Seite und leugnen ohne Bedenken auch, was wir selbst sehen, ja es finden sodann auch die glaubwürdigsten und mit unwidersprechlichen Beweisgründen bestätigten Geschichte nicht den geringsten Eingang bei uns. Daher rührt es ohne Zweifel, daß die Römisch-Katholischen am allerleichtesten Atheisten werden können, weil keine Sekte so leichtgläubig ist als diese. Denn sobald sie den Aberglauben erkennen, wodurch man sie bisher gefesselt, und die Betriegereien einsehen, wodurch sie bisher durch die römische Geistlichkeit hintergangen worden, so fallen sie meistenteils auf die andere Seite, und ihr Aberglaube verwandelt sich in den Unglauben. Wie glücklich sind demnach diejenigen, welche den Mittelweg treffen können. Es trifft hier ein, was Cicero von dem Wahrsagen urteilet, wenn man alles schlechthin verwirft, so kann man leicht in den Unglauben fallen und sich einer Gottlosigkeit schuldig machen. Wenn man aber auch alles ohne Untersuchung annimmt, so ist man auf eine törichte Art abergläubisch. Becker mag noch mehrere Betriegereien offenbaren, er mag seine Gründe verdoppeln, um seine Meinung zu bestärken, er wird uns dennoch nicht überreden können, alles für falsch und erdichtet zu halten, wo wir nicht alle Glaubwürdigkeit der Geschichte verwerfen wollen. Jedoch ich muß in der Hauptsache fortfahren.

Wie ich wieder zu Hause angekommen war, so nahm mich meiner Mutter Bruder und rechtmäßiger Vormund, Peter Lemm, zu sich. Bei demselben blieb ich bis auf die letzte unglückliche Feuersbrunst, welche Bergen im Jahr 1702 erfahren mußte; damals verließ ich die Schule und begab mich nach Kopenhagen. Dieser Peter Lemm, von dem ich eben gesagt habe, war ein sehr aufgeweckter Kopf und überaus angenehm im Umgange. Sie werden solches aus der Begebenheit schließen können, die ich erzählen will. Ich hatte, wie ich noch bei ihm war, in einigen stachlichten Versen einen von den Anverwandten seiner Frauen durchgezogen, um mich an denselben wegen eines mir widerfahrnen Unrechts zu rächen. Hierdurch ward die Frau meines Vormunds gegen mich aufgebracht und bat ihren Mann, daß er mich deswegen strafen möchte. Er mußte sich auch der Sache annehmen und ließ mich zu sich rufen. Im Anfange stellte er sich, als ob er sehr empfindlich wegen meiner Aufführung wäre. Wie er aber die Verse selbst untersuchen sollte, so bestand der ganze Verweis darinnen, daß ich nicht Mühe genug bei meinem Gedichte angewandt, daß der Reim an verschiedenen Stellen nicht richtig sei und daß ich die Regeln nicht sorgfältig genug in acht genommen. Hier entstand also ein grammatikalischer Krieg, welcher aber, nachdem wir eine Stunde miteinander gestritten hatten, glücklich wieder beigelegt ward. Der Friedensschluß enthielt einen einzigen Artikel und bestand darin, daß ich mehrern Fleiß anwenden sollte, wenn ich zu einer andern Zeit mir wieder vornähme, Verse zu machen.

Im Jahre 1702 sandte mich mein Rektor, Severin Lintrup, nach der kopenhagenschen hohen Schule, ob ich gleich das Alter noch nicht erreicht hatte, welches die Schulgesetze erforderten. Man sähe aber damals nicht so genau darauf, weil die Kirchen und Schulen in der Asche lagen, und mein Rektor urteilte, daß ich ebenso würdig und geschickt sei als die andern, welche damals auch die öffentliche Schule in Bergen verließen. Mein geringes Vermögen verstattete mir nicht, mich lange in Kopenhagen aufzuhalten, und deswegen reisete ich wieder nach Hause, sobald ich mein Examen überstanden hatte. Nicht lange darnach ward mir von dem Probst zu Vos die Unterweisung seiner Kinder aufgetragen, ob ich gleich selbst noch sehr jung war. Ich mußte mich zugleich verpflichten, seine Stelle im Predigen zu vertreten, sooft er entweder durch Krankheit oder durch andere Verhinderungen sollte abgehalten werden, sein Amt selbst zu verrichten. Ich war also ein ganzes Jahr beschäftiget, die Kinder zu züchtigen und die Bauren zu bekehren. Doch das Predigen gelung mir besser als mein Schulmeisteramt, denn wie ich dem jüngsten Sohne, den die Mutter zärtlich liebte, mit einiger Schärfe bessere Sitten und die Lust, etwas zu lernen, beibringen wollte, so erhielt ich meinen Abschied und mußte wieder nach Bergen reisen. Ich nahm nichts mit als eine Menge von Lobsprüchen, womit mich die Bauren wegen meiner Beredsamkeit auf der Kanzel belegten. Sie verglichen mich mit dem sel. Magister Peter, welcher ehedem an diesem Orte Prediger gewesen war, und den sie als einen andern Chrysostomus ansahen. Ich war mit meinem Abschiede sehr wohl zufrieden, da einem cholerischen Temperament nichts mehr zuwider ist, als Kinder zu unterrichten, wodurch das Gemüt, wenn es bereits durch allerhand widrige Zufälle niedergeschlagen ist, noch immer verdrießlicher wird. Überdem war ich mit einer Krankheit behaftet, welche man insgemein den Alp zu nennen pflegt, wodurch man des Nachts im Schlafe geplagt wird, daß es scheint, als wenn man eine schwere Last auf sich liegen hätte. In alten Zeiten bildete man sich ein, daß es Waldgötter und Gespenster wären, nachdem aber die Leute in neuern Zeiten klüger worden, so glauben sie, daß es der Geist einer Matrone oder Jungfer sei, welcher den Schlafenden beschwerlich falle. Ich gedachte, daß ich niemals von dieser Krankheit würde befreiet werden, wo ich nicht den Ort verließe, wo diese bösen Geister regiereten. Ich brauchte die in dergleichen Fällen gewöhnlichen Mittel, die ich nur erdenken konnte, ich setzte alle Abend meine Pantoffeln umgekehrt vors Bette, ich legte Stahl unter mein Kopfküssen, ich sang die Lieder, die man zu den Zeiten Peter Paarsens zu singen pflegte, um solche unangenehme Reuter dadurch zu vertreiben. Aber es war alles vergebens; desfalls geriet ich fast auf die Gedanken, daß es ein Hausgeist sein müsse, welcher ein Vergnügen daran fünde, die Hofmeister an diesem Ort zu reiten. Ich ärgerte mich nicht wenig darüber, daß ich mich in einer solchen Sklaverei befinden sollte, da ich doch von ehrlichen Eltern geboren worden und nicht verdient hatte, ein Reitpferd des weiblichen Geschlechts abzugeben, da ich allemal ein züchtiges und keusches Leben geführet hatte. Ich verließ aus dieser Ursache diesen Ort mit Freuden, weil ich hoffte, daß diese Plage aufhören würde, sobald ich an einen andern Ort käme; denn ich glaubte gewiß, daß die Schuld nicht mir, sondern dem Orte beizumessen sei.

Ich begab mich hierauf abermals nach Kopenhagen, um mich zu dem hohen Examine vorzubereiten. Ich suchte mir die Gottesgelahrtheit nebst der französischen und italienischen Sprache noch mehr bekannt zu machen, und ich brachte es auch so weit, daß ich kein Bedenken trug, nachdem ich einen Winter daselbst zugebracht, mich der öffentlichen Prüfung der Gottesgelehrten zu unterwerfen. Man billigte meinen Fleiß vollkommen, und ich erhielt den besten Charakter, welchen man Laudabilem nennet. Mit diesem, aber auch mit einem leeren Beutel reisete ich wieder nach meinem Vaterlande; und der letzte Umstand zwang mich, das Joch wieder zu übernehmen, dem ich mich vor kurzer Zeit erstlich entzogen hatte. Es verlangte eben damals Magister Nicolaus Schmidt, Lektor der Theologie und Vizebischof in Bergen, einen Hofmeister bei seinen Kindern, und ich war so glücklich, daß ich diese Stelle erhielte. Ich hatte dieses Amt aber kaum einige Monate verwaltet, da es mir schon so hart und beschwerlich schien, als wenn ich in die ärgste Sklaverei geraten wäre. Der Vizebischof hatte sich in seinen jüngern Jahren sehr lange in fremden Ländern aufgehalten und die meisten Reiche Europens gesehen. Ich nahm mir deswegen vor, wenn ich von meiner Arbeit Ruhe hatte, sein Tagebuch durchzulesen, welches er auf seinen Reisen gehalten und worin er alle Merkwürdigkeiten, die er gesehen, aufgezeichnet hatte. Hierdurch ward eine große Lust, außerhalb Landes zu reisen, in mir erwecket. Und obgleich meine kümmerlichen Umstände, da ich von allen Mitteln entblößt war, leicht diese edle Begierde hätten dämpfen sollen, so ward ich doch durch die vielen Beschwerlichkeiten, die ich allenthalben bemerkte, nur noch mehr aufgebracht und hielt um meine Erlassung an. Ich ließ mich auch von dem einmal gefaßten Vorsatze weder durch den Zorn meiner Anverwandten, noch durch die Vorstellung des Vizebischofs abwendig machen, welcher mich sehr ungerne von sich ließ, da er merkte, daß seine Kinder bereits durch meine Unterweisung sehr viel gefaßt hatten.

Wie ich demnach abermals mein eigener Herr geworden, so scharrte ich alles zusammen, woraus ich nur irgends Geld zusammenbringen konnte. Ich verkaufte meine beweglichen und unbeweglichen Güter, meine Ansprüche, Freiheiten, Rechte und alles, was nur konnte veräußert werden, und suchte als ein Alchimist aus allen Dingen Gold zu machen. Wie ich aber alles zusammenrechnete, so konnte ich doch nicht mehr als sechzig Taler herausbringen. Ich blieb aber doch bei meinem Vorhaben und ging nach Holland. Ich verließ mich nicht so sehr auf mein Geld als auf das, was ich gelernet hatte. Denn weil ich die französische und italienische Sprache einigermaßen gefaßt hatte, so hoffte ich, wenn meine Schatzkammer würde ausgeleeret sein, durch diese Sprachen soviel zu erwerben, daß ich davon leben könnte. Und überhaupt ändere ich nicht leicht, was ich mir einmal fest vorgenommen habe.

Da wir unsere Reise so weit abgelegt hatten, daß wir die Insul Vlie sehen konnten, so begegnete uns ein Seeräuber, welcher uns aber nicht angriff, sondern vielmehr zu einer lächerlichen Begebenheit Anlaß gab. Unser Koch auf dem Schiffe besorgte, daß sein weniges Geld dem Seeräuber zuteil werden möchte, und warf deswegen seinen ganzen Schatz, den er in ein altes unreines Tuch eingewickelt hatte, in einen Topf mit Erbsen, welchen er eben an das Feuer gesetzt hatte, da denn die Unreinigkeit des Tuchs zugleich ausgekocht ward und sich mit den Erbsen vermischte. Sobald der Seeräuber uns vorbeigesegelt war, so erhielte der Koch Befehl, die Mahlzeit anzurichten, welcher denn seinen Schatz nebst dem von seiner Unreinigkeit gesäuberten Tuch geschwinde herausnahm und uns dieses herrliche Gerichte vorsetzte. Kaum aber hatten wir solches zu uns genommen, so offenbarte er selbst seine Erfindung und meinte, sehr vorsichtig gehandelt zu haben. Einige wurden zornig, einige lachten, einige schämten sich und einige konnten dieses Gericht nicht bei sich behalten. Endlich ward Rat gehalten, wie man diesen Streich bestrafen sollte; jedoch der Schluß fiel dahin aus, daß man ihn freisprach und wegen seines Einfalls lobte.

Der Weg, welchen wir noch zu reisen hatten, ward unter beständigem Lachen über diese Begebenheit zurückgelegt. Vierzehen Tage lebte ich gleichfalls sehr vergnügt zu Amsterdam. Nachdem ich aber meine Augen an den dort befindlichen Seltenheiten gesättiget, machte ich Rechnung wegen des Geldes, das ich noch hatte, und befand, daß meine Schatzkammer bald würde ausgeleeret sein. Ich wußte nicht, wodurch ich dieselbe wiederum anfüllen sollte, und ward daher nicht nur bestürzt, sondern ich fing auch an, mein Unternehmen zu bereuen. Ich hatte die Gemütsneigung der Holländer kennenlernen und sähe nunmehro sehr wohl ein, daß ich auf die Art, wie ich mir eingebildet hatte, nicht so viel verdienen konnte, davon ich insonderheit in Amsterdam leben konnte, wo man einen Schiffer weit höher achtet als einen Grotius oder Salmasius. Sie dürfen nicht denken, mein Herr, daß man mir in den Häusern, wohin mich bisweilen meine Landsleute führten, den vornehmsten Platz werde eingeräumt haben, welchen ich als ein Kandidat des Predigtamts, der bei dem Examine den besten Charakter erhalten, mir doch mit Recht hätte zueignen können: Nein, ich mußte vielmehr öfters stehen, wenn die Bootsleute und mit Pech allenthalben beschmierten Schiffer saßen, und die Vermahnungen und Erinnerungen der Kaufleute in Amsterdam anhören, womit sie mich beständig quälten und glaubten, ihrer Pflicht, wozu sie gegen mich als einen jungen Menschen sich verbunden zu sein achteten, eine Genüge zu leisten. Ich aber hörte sie und ihre Vermahnungen mit dem äußersten Verdrusse an. Denn ob ich gleich selbst noch sehr jung war, so bildete ich mir doch fest ein, daß ich bereits so viel gefaßt, daß ich diesen törichten Sittenlehrern selbst hätte Regeln vorschreiben können. Kurz, ich befand mich wie Herkules an einem Scheidewege und wußte nicht, wohin ich mich wenden sollte. An der einen Seite stellte ich mir die Schande lebhaft vor, die ich gewiß zu erwarten hatte, wenn ich so bald wieder zu Hause anlangte. An der andern Seite aber sahe ich die Unmöglichkeit ein, mich länger in Holland aufzuhalten; denn ich merkte, daß ich von dem Gelde, welches ich noch hatte, nicht noch sechs Monate würde leben können, wenn ich meine Haushaltung auch noch so sparsam einrichtete. Zugleich war ich wegen meiner schwächlichen Gesundheit besorgt. Ich war mit einem stetswährenden Fieber befallen, wodurch ich nicht nur sehr abnahm, sondern auch sehr abgemattet ward. Alles dieses ging mir so sehr zu Herzen, daß ich im Ernst auf die Rückreise nach meinem Vaterlande bedacht war. Ich stand auch bereits im Begriff, meine Reise anzutreten, da mir mein Arzt, Ivan Brederock, dem ich mich anvertrauet hatte, den Rat gab, nach Aken zu reisen, weil die warmen Bäder bei langwierigen Krankheiten sehr zuträglich gehalten werden. Er brauchte nicht viele Mühe, mich zu überreden, weil ich selbst eine große Lust dazu bezeugte, und ich folgte demnach nicht so sehr dem Rate meines Arztes als meiner eigenen natürlichen Neigung, fremde Länder zu sehen. Ich trat also die Reise nach Deutschland in der gewissen Hoffnung an, daß meine Verwegenheit gut ablaufen würde; aber die Reise kostete wider mein Vermuten soviel, daß ich nicht absehen konnte, wie ich wieder zurückkommen wollte. Insonderheit, da ich zu Ruremond einige Gulden für einen Paß ausgeben mußte. Ich besaß also, da ich in Aken anlangte, nicht einen Heller mehr als sechs Reichstaler und einen unnützen Reisepaß, den ich nicht ohne Verdruß lesen konnte. Mir schien derselbe einer Satire ähnlicher als einen Passe zu sein, da er also eingerichtet war: Laissez passer et repasser le Garçon, Louis d' Holberg d'Amsterdam.

Ich bin öfters verachtet worden, weil ich sehr jung aussahe, und meine Reisegefährten nahmen einmal heimlich unter sich die Abrede, daß man mich zur Rede setzen müßte, warum ich bei so frühen Jahren mein Vaterland verlassen, da man doch nicht außerhalb Landes zu reisen pflegte, bis man zu etwas reiferen Jahren gekommen. Sobald wir demnach in dem Gasthofe angekommen waren, so trug man diese Untersuchung einen Prediger auf, welcher eben daselbst befindlich war. Dieser setzte sich sogleich nieder und befahl mit einer ernsthaften Stimme, daß ich näher zu ihm treten sollte. Hierauf redete er mich mit diesen Worten an: Hoer gy well, manche! quando deseruisti studia tua?

Hierüber ärgerte ich mich heftig und ließ denselben nicht weiterreden, sondern ich griff ihn mit einem so starken Heere von lateinischen Wörtern und Redensarten an, daß der arme Priester nicht länger aushalten konnte. Er legte den Augenblick sein Richteramt nieder und sprang vom Richterstuhl auf, wobei er diese Worte ausrief: Die Heer ist en theologant, ick gratuleere myn Heer.

Wie ich nach zwei Jahren mich in England aufhielt und zum Zeitvertreibe in dem Wirtshause eine Pfeife Tobak rauchte, so schien dieses einem Bürger in London, der neben mir saß und mich für einen sehr jungen Menschen hielt, so seltsam, daß er sich nicht enthalten konnte, zu lachen und auszurufen: The boy will smoock Tobaco.

Ein gleiches widerfuhr mir in Frankreich, da ich schon Professor Extraordinarius war. Denn wie mein Wirt mit einem parisischen Bürger sprach und sich bei ihm wegen meines Alters erkundigte, so antwortete derselbe: C'est un Garçon de dix-huit ans.

Ich lebte drei Wochen in Aken so sparsam, daß mich niemand der geringsten Verschwendung beschuldigen konnte. Aber damals trieb mich die Not, eine Tat zu begehen, die ich weder vorher noch nachher jemals wieder begangen habe. Ich gedachte nämlich, weil ich nicht imstande war zu bezahlen, mich heimlich aus dem Staube zu machen. Ich packte deswegen mein Geräte zusammen und ging des Morgens sehr frühe zu einem Hintertor hinaus. Weil ich aber annoch in diesem Stücke gar zu unerfahren oder mein Wirt zu wachsam war, so ward ich von meinem mißtrauischen Wirte auf der Flucht ergriffen und mußte ihm alles bis auf den letzten Heller bezahlen. Diese Begebenheit schwebte mir hernach eine lange Zeit sowohl des Tages als des Nachts vor Augen. Sehr öfters kam es mir im Traum vor, als wenn der Wirt mich abermals einholte und mit Gewalt wieder ins Haus zurückzog.

Hierdurch ward meine Kasse in so elende Umstände gebracht, daß ich die Rückreise nach Holland zu Fuße antreten mußte. Ich vollendete aber dennoch diese Reise mit einem aufgeräumtem Gemüte, als ich sonst gewohnt war. Meine Gesundheit hatte gleichfalls zugenommen. Ob ich aber solche der beständigen Bewegung oder dem warmen Bade zuzuschreiben habe, solches kann ich nicht sagen. Ich erfuhr damals, daß der Leib sich wohl befindet, wenn das Gemüt aufgeräumt ist. Meine Schatzkammer war ausgeleeret, und es war keine Hoffnung übrig, solche wieder anzufüllen. Dennoch war mein Gemüte bei dieser Not beständig ruhig und zufrieden. Ich durchsuchte alle Gassen und Winkel der Stadt Amsterdam und wandte alle meine Beredsamkeit an, etwas Geld von den Wechslern zu erpressen. Ich war bereit, ihnen so viele Zinsen zu versprechen, als sie nur verlangten. Endlich traf ich einen an, welcher mir so viel vorstreckte, daß ich damit wieder nach Hause kommen konnte. Hierdurch ward ich aller meiner Bekümmernis auf einmal entlediget und faßte den Entschluß, mich nach Norwegen zurückzubegeben. Nur in diesem Stücke war ich zweifelhaft, ob ich wieder nach Bergen gehen oder an einem andern Orte in Norwegen anländen sollte. In Bergen hatte ich zwar Anverwandte, von denen ich einige Beihilfe erwarten konnte, aber ich sahe auch vorher, daß sie über meine törichte Reise spotten würden. Denn in dem Vaterlande trifft es insonderheit ein, was der Poet sagt:

Nil habet paupertas durius in se,
quam quod ridiculos homines facit.
Nil habet paupertas ...: Das ist das Härteste an der Armut, daß sie die Menschen zum Gespött macht. (Juvenal, Satiren III, 152 f.)

An andern Orten hatte ich dieses nicht zu befürchten. Wie ich alles reiflich überlegt hatte, so entschloß ich mich endlich, nach Christiansand zu reisen. Hieselbst richtete ich bald nach meiner Ankunft eine vertrauliche Freundschaft mit einem Studenten von Drontheim auf, welcher Christian Brixen hieß. Durch dessen Hülfe ward ich bei den vornehmsten Bürgern und Einwohnern bekannt, welche mir ihre Kinder in großer Zahl anvertraueten, solche in fremden Sprachen, insonderheit aber in der französischen Sprache zu unterweisen. Zu ebenderselben Zeit lase ich eine kleine Schrift, worin der Verfasser durch sechzig Gründe erweisen wollen, daß man das weibliche Geschlecht nicht unter die Menschen rechnen könne. Diese Einfälle gefielen mir ganz ungemein, weil solche neue und seltene Dinge mir überaus angenehm waren. Und weil ich diese Schrift erstlich vor kurzer Zeit gelesen und also noch alles im Gedächtnis hatte, ja fast auswendig hersagen konnte, so fing ich an, bei einer jeden Gelegenheit diese Materie auf die Bahn zu bringen und meine Ketzerei in der ganzen Stadt auszustreuen. Im Anfange geschähe es nur zum Scherz und Zeitvertreib: Wie sich aber einige mit Ernst dagegensetzten und diese schmähliche Ketzerei auf alle Art zu dämpfen suchten, so verteidigte ich auch meine Meinung mit einem desto größerem Eifer. Meine vornehmsten und stärksten Gegner waren die Söhne des vorigen Bischofs in Christiansand. Ihre Schwester war ein sehr wohlgebildetes Frauenzimmer, und weil sie glaubten, daß derselben das größte Unrecht widerführe, wenn man sie nicht unter die Menschen rechnen wollte, so nahmen sie sich dieser Sache mit einem unglaublichen Eifer an. Wie ich aber nachher erfuhr, daß man allenthalben in der Stadt übel von mir redete, welches auch so weit ging, daß eine Magd auf der Gasse mit Fingern auf mich wies und sagte: ›Sehet, dorten gehet der Kerl, welcher uns die Türe des Paradieses zuschließen will‹, so ließ ich nicht nur meine ehemalige Ketzerei fahren, sondern, damit ich auch zeigen möchte, wie sehr mir mein voriger Irrtum zu Herzen ginge, so bemühete ich mich, bei aller Gelegenheit den Ruhm des Frauenzimmers auszubreiten. Hierdurch trennte ich nicht nur diejenigen glücklich, welche sich gegen mich verschworen hatten, sondern ich fand auch Gelegenheit, weil ich die Musik verstand, mich bei dem vornehmsten Frauenzimmer an diesem Orte in ein gutes Ansehen zu setzen, welche ich wegen ihrer Höflichkeit, Sittsamkeit und wegen ihres artigen Wesens allen Jungfern in ganz Norwegen vorzog.

Wie ich mich einige Wochen in Christiansand aufgehalten hatte, so nahm mich ein Prediger, mit dem ich verwandt war, in sein Haus, woselbst ich auch den ganzen Winter blieb. Damit ich mich aber einigermaßen dankbar erzeigen möchte, so lehrte ich meinen Wirt die Grundsätze der englischen Sprache. Meine geringe Erkenntnis, die ich in drei oder vier fremden Sprachen hatte, erwarb mir einen großen Namen in Christiansand. Wie ich einmal durch die Stadt spazierenging, so hörte ich, daß zweene Knaben, welche nicht weit von mir waren, zueinander sagten, dieses ist der gelehrte Mann, welcher so viele Sprachen verstehet und französisch, italienisch, polnisch, moskowitisch und türkisch reden kann. Ich war also hier ebenso berühmt wie Mithridates, König von Pontus, von dem die Geschichte melden, daß er zweiundzwanzig Sprachen hat fertig reden können.

Die Anzahl derjenigen nahm täglich zu, welche sich von mir in fremden Sprachen unterweisen ließen. Ich hatte zugleich die Ehre, Personen vom ersten Rang darin zu unterrichten. Unter diesen befand sich auch der Kommendant der Stadt, Herr von Nostitz, welcher nachher in russische Dienste gegangen und einer der größten Generale zu unsern Zeiten geworden ist. Hierdurch rettete ich mich nicht nur aus allen meinen Schulden, sondern ich hatte auch im Anfang des Frühjahrs noch zwölf Reichstaler übrig. Mein Verdienst ward aber nicht wenig durch die Ankunft eines holländischen Kaufmanns verringert, welcher in seinem Vaterlande so große Schulden gemacht hatte, daß er seine Güter verlassen und nach Norwegen flüchten mußte. Dieser kam auch nach Christiansand und erbot sich, für einen sehr geringen Preis die französische Sprache zu lehren, da ich doch glaubte, diese Freiheit allein zu haben. Wie ich hörte, daß seine Wissenschaft in diesem Stücke nicht die stärkste sei, so hatte ich Lust, mit meinem Gegner anzubinden. Es war die Zeit und der Ort festgesetzt. Wir erschienen beide und stritten in Gegenwart unserer beiderseitigen Schüler; aber wir schieden mit gleichem Glücke voneinander. Ich brachte ihm norwegisch-französische Stöße bei, welche er mit französisch-holländischen ausparierte, und ich glaube nicht, daß die französische Sprache jemals so sehr als in diesem Streite mißgehandelt worden. Denn wir redeten beide bereits ohnedem sehr schlecht und unverständlich, und nun verstellte die Hitze in diesem Zweikampf unsere Sprache noch weit mehr. Wie wir aber in diesem Streite unsere Unwissenheit an beiden Teilen wahrnahmen, so hielten wir es am ratsamsten zu sein, unsern Zorn, der uns beiden gleich schädlich war, fallenzulassen und eine genaue Freundschaft aufzurichten. Es ward also die Herrschaft unter uns beiden wie unter dem Cäsar und Pompejus geteilt, und anstatt der vorigen Monarchie ward nunmehro ein Duumvirat aufgerichtet. Ich nahm an meinem Teil die Friedenspunkte sehr genau in acht, insonderheit, da ich den Entschluß gefaßt hatte, bei herannahenden Frühling eine Reise nach England vorzunehmen. Zu meinem Reisegefährten erwählte ich den Studenten Christian Brix, von dem ich bereits vorher gesagt habe. Er war zwar eben nicht reicher als ich; es lebte aber seine Mutter in Drontheim noch, welche ihm im Notfall Hülfe leisten konnte.

Wir traten die Reise auf einem Schiffe an, welches eben damals bei Arendahl segelfertig lag, und gelangten nach einer viertägigen Schiffahrt bei Gravesand an, welches ein Seehafen ist am Ausfluß der Themse. Weil wir keine Lust hatten, länger zu segeln, so ließen wir unser Zeug auf dem Schiffe und gingen zu Fuß nach London. Ich erinnere mich, daß ich damals von einem Engländer gefragt worden, der entfernt in dem Lande wohnte und nun nach Gravesand gekommen war, was es doch für eine Beschaffenheit mit Norwegen hätte, welches er für eine Stadt in Schweden hielte. Ich glaubte, daß er dieses nur so hersagte, ohne sich recht zu besinnen; allein, es sind mir hiernächst öfters solche lächerliche Fragen in England vorgelegt worden. Ja, ich habe auch bei den meisten klügsten Völkern, als den Franzosen, Italienern und Engländern eine solche Unwissenheit in Absicht auf die nordischen Sachen wahrgenommen. In Paris war ein Priester, welcher durchaus nicht zugeben wollte, daß die nordischen Völker getauft würden. Ein Sachwalter bei dem höchsten Gericht in Paris verlangte von mir zu wissen, ob nicht der nächste und bequemste Weg nach Dänemark durch die Türkei gehe. Ein andrer wollte wissen, ob diejenigen, welche nach Norwegen segeln wollten, nicht zu Marseille, einem Hafen am mittelländischen Meere, zu Schiffe gehen müßten. In Rom traf ich einen jungen Menschen aus Piemont an, welcher nicht glauben wollte, daß ich aus Norwegen gebürtig sei. Der Grund dieses Unglaubens war, weil er in einer Reisebeschreibung, die er zu Hause hätte, gelesen, daß die Normänner ganz ungestalt wären und nicht nur Schweinsaugen, sondern auch Mäuler hätten, die ihnen bis an beide Ohren reichten. Man sieht daraus, daß diese Völker sich nur um solche Dinge bekümmern, die bei ihnen vorgehen, und fremde Dinge nicht achten. Wir hingegen verachten alles, was einheimisch ist, und das Fremde scheint uns allein schön und nachahmungswürdig zu sein. Sie legen sich nur auf ihre Muttersprache und geben sich um andre Sprachen keine Mühe. Bei uns zeigt sich gerade das Gegenteil. Wir bemühen uns, fremde Sprachen zu lernen und verachten unsre eigne Muttersprache. Wenn ein Engländer den Entschluß gefaßt hat, außerhalb Landes zu reisen, so reiset er zuvörderst sein eigen Vaterland durch und macht sich dasselbe bekannt, ehe er fremde Länder siehet. Wir aber bekümmern uns nicht um unser Vaterland, sondern reisen in unsern jungen Jahren gleich außerhalb Landes. Wir verließen Gravesand und gingen zu Fuß nach London. Auf dem Wege war ich meines Gefährten Dolmetscher. Derselbe konnte mit den Engländern nicht anders als durch Gebärden reden und stellte sich dabei ärger an als ein Gaukler. In London hielten wir uns nicht lange auf, sondern begaben uns gleich nach Oxford, wo wir, ob wir gleich nicht viel Geld übrig hatten, uns dennoch durch Erlegung einiger Kronen, einen freien Zutritt zu der Bibliothek verschafften. Denn es wird niemanden der Gebrauch dieses vortrefflichen Büchervorrats verstattet, wo er nicht vorher eingeschrieben worden und einen Eid abgelegt hat. Wir wurden also unter die Mitglieder der Akademie zu Oxford aufgenommen. Unsre wenigste Sorge aber war dahin gerichtet, die Codices nachzusehen oder aus den alten Handschriften etwas auszuzeichnen, sondern unsre einzige Bemühung war, wie wir der uns drohenden Armut vorbauen wollten. Mein Gefährte gab sich desfalls für einen Musicum aus, und ich nahm den Namen eines Grammatici an; aber er war leider ebensowenig ein Meister in seiner Kunst als ich in der meinigen, und desfalls konnten wir nicht hoffen, daß wir durch unsre Künste viel bei einem Volke verdienen würden, welches sich nicht bei der Schale allein aufzuhalten pflegt. Wir lebten deswegen auch so sparsam zu Oxford, daß wir nur um den vierten Tag Fleisch aßen, an den andern Tagen aber uns mit trocknen Speisen genügen ließen. Ich befand mich bei diesen Umständen immer gleich munter und aufgeräumt, denn meine Kräfte, welche durch den Überfluß geschwächt werden, nehmen durch die Mäßigkeit zu. Allein, mein Gefährte, welcher nicht gewohnt war, ein so strenges Leben zu führen, nahm so sehr ab, daß er einem, der das Fieber sehr lange gehabt, nicht unähnlich sähe. Er ärgerte sich, sooft er hungrig war, über seine Torheit, daß er sich außerhalb Landes begeben hatte, insonderheit bedauerte er, daß er das Geld, um sich der Bibliothek zu bedienen, so unnütz und unbedachtsam ausgegeben, welches doch nun weit besser könnte angelegt werden. Er nahm sich unsre bedrängten Umstände so sehr zu Herzen, daß er den Umgang mit andern Menschen scheuete. Ich wendete allen möglichen Fleiß an, ihn zufriedenzustellen, und suchte ihn insonderheit durch den Scherz des Bions aufzurichten: Es ist töricht, sich aus Gram die Haare auszureißen, als wenn durch eine kahle Platte der Schmerz gelindert würde. Aber es war alles vergebens. Wie wir endlich nicht einen Heller mehr hatten, so ließen wir unser Zeug zu Oxford und gingen zu Fuß wieder nach London. Hieselbst erhielte mein Gefährte, nachdem ein Kaufmann aus Drontheim für ihm Bürge geworden war, bei einem Wechsler Geld, und war nunmehro einzig und allein darauf bedacht, wie er seinen Leib pflegen und dasjenige wieder ersetzen möchte, was er vorher versäumt hatte. Er nahm auch in kurzer Zeit ungemein zu, und derjenige, welcher vor einem Monate mit eingesunkenen Augen, einem magern und eingefallenen Körper Oxford verlassen hatte, kam nun mit einem dicken Bauche und ganz munter wieder zurücke. Wie wir wieder in Oxford angekommen waren, so wollte uns unsre vorige eingezogene Lebensart nicht länger gefallen. Wir zogen deswegen in ein Wirtshaus, wohin viele Studenten, die sich in Oxford aufhielten, zu kommen pflegten. Hier wurden wir in einer kurzen Zeit mit ihnen allen bekannt, und mit einigen richteten wir eine vertraute Freundschaft auf. Ein Schottländer, welcher bisher unser aufrichtiger Freund gewesen war, fing von der Zeit an, kaltsinnig gegen uns zu werden. Wir wußten eine lange Zeit nicht, woher diese Veränderung rühren möchte. Wie wir uns endlich darnach erkundigten, so sagte er uns auf eine überaus redliche Art: Wir würden wohltun, wenn wir ein andres Haus zu unserem Aufenthalt erwählten. Es sei wohlgesitteten Studenten unanständig, in einem Wirtshause sich aufzuhalten. Zum wenigsten sei es zu Oxford nicht gebräuchlich. Es ist wohl nicht leicht eine Akademie, wo die Studierenden eine solche Ehrerbietung gegen die Obrigkeit und gegen die Gesetze bezeugen und wo sie so ehrbar, anständig und christlich leben als zu Oxford. Auch die geringsten Fehler werden daselbst aufs schärfste bemerkt, verbessert und bestraft. Deswegen ist es der studierenden Jugend ebenso nützlich, wenn solche nach Oxford geschickt wird, als es derselben schädlich ist, wenn man sie nach andern hohen Schulen sendet, wo die jungen Leute zwar in den Wissenschaften unterrichtet werden, aber auch zugleich in ein höchst unordentliches Leben verfallen. Wenn man nach zehn Uhr das Abends auf der Gasse gehet, so sollte man fast nicht denken, daß man in einer Stadt sei, sondern man sollte vielmehr glauben, man befinde sich in einer Einöde, so ruhig und stille ist alles. Denn um diese Zeit geht die Polizei in alle Gassen und Winkel und bricht auch in die Wirtshäuser ein. Wird ein Student daselbst angetroffen, so wird er scharf gestraft. Hieran aber sind, welches in der Tat lächerlich ist, die Doktores und Magistri nicht gebunden. Diese haben die Freiheit, in den öffentlichen Weinhäusern zu sitzen, und wenn sie wollen, bis an den hellen Morgen zu trinken, recht, als wenn sie durch die akademischen Ehrenstellen zugleich die Freiheit erlangten, öffentlich zu disputieren und zu trinken. Daher rühret es, daß alle diejenigen, welche Liebhaber vom Zechen sind, sich aus allen Kräften bestreben, eine von den angeführten Ehrenstellen zu erhalten, weil damit solche ansehnliche Freiheiten verknüpft sind. Wenn dieses auf andern hohen Schulen auch eingeführt wäre, so dürften sich vielleicht noch weit mehrere nach den höchsten akademischen Würden bestreben, und man würde endlich auf der Gasse vor der Menge graduierter Personen nicht fortkommen können. Zu einer Ursache, warum man eine so sonderbare Einrichtung gemacht, gibt man in Oxford an, weil es zu vermuten sei, daß diejenigen, welche wegen ihrer Gelehrsamkeit zu akademischen Würden erhoben worden, von selbst geneigt sein würden, solche Laster zu fliehen, von denen andre durch Strafen müßten abgehalten werden. Deswegen trinken auch die meisten, welche noch nach zehn Uhr zu zechen Lust haben, unter der Anführung eines Magisters. Es ist öfters geschehen, daß die Polizei Studenten in unserm Hause angetroffen. Sooft sie aber unter der Anführung eines Magisters trunken, so antworteten sie unerschrocken: We are in Company with Master of arts. Und dadurch ließ sich die Polizei abweisen. Übrigens ist es in Oxford in diesem Stücke wie ehedem in Lacedämon beschaffen, daß man den alten Personen mit großer Ehrerbietung begegnet. Es ist kein Ort, wo man diejenigen, welche ein hohes Alter erreicht haben, so ehrwürdig hält als hier, und man siehet sie fast als Orakel an. Deswegen gibt man auch mehr auf dasjenige acht, was ein alter Student, als was ein Doktor oder Professor sagt. Wenn meine Absicht wäre, in dieser kleinen Schrift alles ausführlich und vollständig zu beschreiben, so könnte ich von einigen Anordnungen und Einrichtungen verschiedene Nachrichten beibringen, die dieser hohen Schule vor allen andern eigen sind, und welche Sie, mein Herr, nicht ohne Vergnügen lesen würden. Weil ich mir aber nur vorgenommen habe, mein Leben aufs kürzeste zu beschreiben, so will ich mich in keine Nebenumstände einlassen, sondern bloß bei meinem Hauptzwecke bleiben.

Wir hatten nach unsrer Rückkunft von London ohngefähr einen Monat mit dem größten Vergnügen in Oxford zugebracht, da mein Gefährte einen Brief von seiner Mutter nebst dem Befehl erhielt, daß er sich nach London begeben und daselbst unter Aufsicht des Magisters Georg Ursius, Predigers an der dänischen Kirche, leben sollte. Er durfte aus Furcht dem Befehl seiner Mutter nicht ungehorsam sein, deswegen verließ er mich und reisete gleich nach London. Hierdurch ward ich in neue Bekümmernis gesetzet, und die Wunde, welche kaum geheilet war, ward wieder aufgerissen. Das einzige, womit ich mich tröstete, bestand darin, daß ich mit einigen Studenten in Oxford bekannt geworden, welche allenthalben meine große Wissenschaft in den ausländischen Sprachen und in der Musik ausbreiteten, und durch das große Lob, welches sie mir beilegten, so viel ausrichteten, daß viele ihre Informatores abschafften und mich wieder annahmen, den sie für den allerbesten Sprachmeister und Musikanten in der ganzen Stadt hielten. Aber ich kann es selbst nicht sagen, ob meine Wissenschaft in den Sprachen oder in der Musik größer war. Einige wenige von meinen Schülern, welche die klügsten waren, sahen meine Schwäche ein, aber sie waren dabei so edelmütig, daß sie mich nicht verrieten. Am meisten kam mir die Unbeständigkeit meiner Schüler zustatten, welche meistenteils gleich nach Verlauf des ersten Monats und wenn sie kaum die Grundsätze gefaßt hatten, wieder aufhörten. Dadurch ward meine Schwäche verborgen, und man hielt mich immer für einen gelehrten Mann. Ich hatte aber auch noch außerdem einen Vorteil dabei, weil ich nach der alten und preiswürdigen Gewohnheit für den ersten Monat doppelt bezahlt ward, welches sie die Introduktion Entrance nennen. In der Musik aber nahm ich dadurch, daß ich solche andern wieder beibrachte, sosehr zu, daß man mich für den größten Meister auf der Flöte in der ganzen Stadt hielt. Ich ward auch in ein Konzert aufgenommen, welches alle Mittwochen in Oxford gehalten und the musical clubb genannt wird. Man räumt niemanden die Ehre eines Mitgliedes in dieser Gesellschaft ein, wo er nicht vorher eine Probe abgelegt hat. Ich tat dieses auch, und wie meine Probe bei allen Anwesenden Beifall fand, so ward ich zuletzt unter die würdigsten Mitglieder dieser Gesellschaft gerechnet.

Ich blieb nach meines Gefährten Abreise noch fünfzehn Wochen in Oxford, in welcher Zeit ich recht prächtig lebte, da ich sowohl mittags als abends bei denen, die auf den Collegiis wohnten, zu Tische geladen ward, welches die Studenten in Oxford nennen: take common. Eine ganze Zeit hieß ich in Oxford nicht anders als myn Heer, und hiezu hatte mein Barbier Gelegenheit gegeben. Dieser hielte mich und meinen Gefährten für Deutsche, und damit er zeigen möchte, daß er deutsch reden könnte, ob er gleich nichts mehr als dieses wußte, so nannte er uns allezeit myn Heer, weil er unsere rechte Namen nicht wußte. Dieses hatten andere gehört und glaubten, daß es unser rechter Name sei, desfalls nennte man mich eine lange Zeit nicht anders als myn Heer. Und weil diese Benennung nichts Schimpfliches in sich enthielt, so wollte ich ihnen auch diesen Irrtum nicht benehmen. Vielleicht wäre auch mein rechter Name niemals bekannt worden, wenn ich nicht ohngefähr einen Studenten, welcher Holber hieß, angetroffen hätte. Zu diesem sagte ich zuerst, daß wir einen Namen führten. Und weil unsere Gemüter auch miteinander übereinstimmten, so richteten wir eine vertrauliche Freundschaft auf. Ich sagte öfters im Scherz zu ihm, daß wir beide vielleicht noch aus einem Geschlechte entsprossen sein könnten und daß er vielleicht von einem meiner Vorfahren abstammte, der mit dem König Canut dem Großen nach England hinübergekommen wäre.

Ich muß gestehen, daß ich den Einwohnern in Oxford aufs höchste verbunden bin. Von den vielen Proben der Güte und Freigebigkeit, welche sie gegen mich spüren lassen, will ich allein eine einzige anführen. Ich hatte mich bereits zwei Jahre in Oxford aufgehalten und mußte nun auch einmal wieder auf die Rückreise nach meinem Vaterlande bedacht sein. Kurz vor meiner Abreise besuchte mich einer von dem Collegio der Maria Magdalena. Nachdem er sich nebst mir von der andern Gesellschaft entfernet hatte, so sagte er, ich möchte mich nicht schämen, sondern ihm frei entdecken, in was für einem Zustande sich meine Kasse befände. Er versprach mir zugleich im Namen des ganzen Collegii ein ansehnliches Reisegeld, wenn ich es nur annehmen wollte. Ich ward über diesen Antrag und über eine so unerwartete Freigebigkeit so bestürzt, daß ich ihm nicht gleich antworten konnte; weil ich aber noch soviel Geld übrig hatte, als ich zu meiner Rückreise brauchte, so schlug ich seinen Antrag mit dem verpflichtesten Danke ab. Sie werden hierbei zweifelhaft sein, mein Herr, ob sie mehr die Edelmütigkeit dieses Freundes oder meine Großmut bewundern sollen, mit welcher ich das Anerbieten abschlug. Diese kleine Schrift erlaubt mir nicht, die großen Gefälligkeiten stückweise zu erzählen, welche ich von den Einwohnern in Oxford empfangen habe. Ich gestehe es, die Engländer bilden sich zu viel auf ihre Tugenden ein, und ich habe es bei den meisten, mit denen ich umgegangen bin, bemerkt, daß der Stolz ein Hauptfehler dieser Nation ist. Aber diesen Fehler muß man billig bei ihnen entschuldigen, wenn man die andern herrlichen Eigenschaften betrachtet, die man bei ihnen wahrnimmt. Ich habe ihnen niemals geheuchelt, ob ich gleich merkte, nachdem ich die Nation habe kennengelernet, daß man durch Schmeicheln alles von ihnen erhalten konnte. Dieses Laster aber habe ich jederzeit verabscheuet. Ich war bei den Einwohnern in Oxford bloß wegen meines ehrbaren und stillen Lebens, wegen meiner guten Sitten und insonderheit wegen meines aufgeweckten Wesens beliebt, woran die Engländer, weil sie selbst munter sind, einen großen Gefallen finden, hauptsächlich, wenn sie sehen, daß der Scherz mit Witz verbunden ist. Sie glaubten auch, ich sei ein Prediger oder wenigstens ein Diakonus, weil sie in dem Zeugnisse, das mir die theologische Fakultät erteilet, gelesen hatten: modo nihil sacro ordine indignum designaverit. Deswegen fingen diejenigen, welche meine guten Eigenschaften allenthalben ausbreiteten, ihre Lobrede insgemein mit diesen Worten an: This gentleman is in order. Einige bildeten sich auch ein, ich sei ein rechter Held in der Gottesgelahrtheit, weil ich die Gründe der Gegner und die Einwendungen derselben so hurtig und geschickt beantworten konnte. Die Engländer lassen sich nicht gern in Streitschriften ein, aber in der Philologie, in der Auslegungskunst, in der Kirchengeschichte und in den Kirchenvätern besitzen sie eine große Stärke. Man muß billig einen Unterschied unter den Wissenschaften und deren Anhänger machen. Einige sind gründlich, andre fallen mehr in die Augen. Einige scheinen nur gelehrt zu sein, andre sind es in der Tat. Andre Völker wenden alle ihre Zeit auf Streitschriften und auf die Historie der Gelahrtheit und bringen so viele Lehrbegriffe, Auszüge und Nachrichten ans Licht, daß sie dadurch in einer kurzen Zeit und auf eine sehr bequeme Art Polyhistores werden. Ein Engländer aber sieht eine Sache tiefer ein und übereilt sich nicht. Er ist also schon vorher gelehrt, ehe er es zu sein scheinet. Ich glaubte selbst, daß ich nur schlecht und gezwungen Latein redete, aber die Engländer legten mir das Lob bei, daß ich zierlich und fertig redete. Sie üben sich so wenig darin, daß ich zu der Zeit nicht mehr als einen einzigen, nämlich den Doktor Smalrich, fand, welcher einigermaßen gut Latein redete. Auch nicht einmal der Bibliothecarius Hudson konnte mit dem Lateinreden fertigwerden, welchen man doch für einen der größten Philologen zu den damaligen Zeiten hielte. Die Studenten in Oxford üben sich wohl bisweilen im Disputieren, aber sie stammlen sehr, und wenn sie einen Fremden wahrnehmen, so setzt sie dieser Anblick nicht nur in eine große Verwirrung, sondern sie hören bisweilen gleich auf, weil sie denselben nicht als einen Zuhörer, sondern vielmehr als einen strengen Richter ansehen.

Endlich verließ ich Oxford und reisete nach London, woselbst ich alles in Augenschein nahm, was merkwürdig war und was man ohne Geld sehen konnte. Ich besahe auch nebst einem Freunde, welcher Peter Holm hieß, den Ort, wo sich die Anabaptisten zu versammlen pflegten. Wir kamen eben zu einer solchen Zeit dahin, da sie im Begriff waren, ein altes Weib umzutaufen. Mein Freund hatte allemal einen Hund bei sich, und weil derselbe mehr zur Jagd als zu den Kirchengebräuchen der Anabaptisten gewohnt war, so ward er hitzig, wie man das Weib ins Wasser tauchte, und wäre gewiß auch ins Wasser gesprungen, wenn ihn sein Herr nicht an dem Halsband zurückgehalten hätte. Hiedurch wendete er zwar ein großes Unglück von uns ab, dennoch aber ließen die Anabaptisten dieses nicht ganz ungestraft hingehen, sondern sie belegten uns mit vielen Schmähworten und trieben uns aus ihrer Versammlung.

Endlich begab ich mich auf ein schwedisches Schiff und langte, nachdem wir fünf Tage auf dieser Reise zugebracht hatten, glücklich zu Helsingör an, von welchem Orte ich zu Lande nach Kopenhagen ging. Ich befand mich damals sehr wohl, außer daß ich keinen Wein trinken konnte, welcher mein Geblüt in eine gar zu große Wallung brachte. Dieses war mir auch in dieser Absicht zuträglich, weil ich nicht sonderlich mit Gelde versehen war: Aber von andern, die mich kannten, ward mir dieses übel ausgelegt. Einige hielten mich für töricht und glaubten, ich hätte es verschworen; andre suchten mich durch weitläuftige und ungereimte Vermahnungen zu überwinden und stellten mir vor, wie zuträglich dieses meinem schwachen Körper sein würde, wenn ich täglich Wein trünke. Ich antwortete ihnen aber, daß die Beschaffenheit meines Körpers mir am besten bekannt sei und daß ich, wenn ich anders gesund sein wollte, nicht nur die Unmäßigkeit fliehen, sondern auch noch von dem abkürzen müßte, was die Notwendigkeit erfordert. Diese Strittigkeiten, wodurch sie mich täglich ermüdeten, machten mich in dieser Materie so erfahren, daß ich, wenn ich einmal öffentlich disputieren sollte, die Materie von der Kraft und Würkung des Weins und Biers erwählen würde: Ich ward in diesem Stücke denen ähnlich, die von einer Religion zu der andern übertreten, denn da diese Leute am meisten von den Gliedern der Kirche angefochten werden, von welcher sie abgefallen sind, so setzen sie sich am meisten in den Glaubensartikeln feste, die sie abgeschworen haben. Sie können leicht erachten, mein Herr, wie sehr ich durch solche abgeschmackte Reden geplagt worden, da sie wissen, wie sehr mir solche so oft aufgewärmte Sachen verhaßt sind, und daß mir auch die allerartigste Erzählung zuwider ist, wenn man mir solche mehr als einmal erzählet.

Damit ich aber in meiner Lebensbeschreibung weiter fortfahre, so befand ich mich zwar wohl und gesund, aber meine Kasse war ausgeleeret. Es schien mir, mit meiner Ehre zu streiten, einen Schulmeister abzugeben, da ich vor kurzer Zeit prächtig gelebt hatte. Kurz, ich war arm und hochmütig. Wie ich aber endlich gar kein Mittel wußte, wie ich mich forthelfen sollte, so fiel ich auf eine edle Erfindung, ohne Kränkung meiner Würde mein Brot zu erwerben. Ich verwandelte mein Zimmer in einen Hörsaal und meinen Stuhl in eine Katheder und lud die Konviktoristen durch gelehrte lateinische Zettel zu meinen Vorlesungen ein. Ich versprach ihnen, keine Sprachen vorzutragen, sondern ihnen einen rechten Schatz von ausländischen Seltenheiten mitzuteilen. Sie ließen sich durch die prächtigen Zusagen einnehmen und kamen in großer Anzahl in meinen Hörsaal. Sie hörten auch alles mit großer Aufmerksamkeit an, was ich ihnen sagte, und schrieben alles sorgfältig auf. Wie ich aber meine Bezahlung haben sollte, so hatten sie die Kunst gefaßt, sich unsichtbar zu machen, daß ich mit dem Poeten ausrufen mußte:

Nee frugem segetes praebent, nec pabula terrae. Nee frugem ...: Die Saaten geben kein Korn und die Fluren kein Futter. (Panegyricus in Messallam, Pseudo-Tibull III, 7, 162)

Die einzige Frucht, welche ich von meiner Arbeit einerntete, bestand darin, daß diejenigen, welche meine Vorlesungen verlassen hatten, mich sehr tief grüßten, wenn ich ihnen auf der Gasse begegnete, welches zwar ein Zeichen der Dankbarkeit war, aber meiner Armut ward dadurch nicht abgeholfen.

Wie ich endlich merkte, daß der Hochmut meinen Umständen gar nicht zuträglich war, so fing ich wieder an zu philosophieren, wie die meisten von meinen Landsleuten zu tun pflegen, wenn keine Hoffnung weiter vor ihnen übrig ist, fortzukommen, und wenn ihnen alle Wege zur Beförderung verschlossen sind. Auf solche Art ward ich wenigstens nach meinen Gedanken ein Philosophe und nahm die Gestalt eines Schulmeisters wieder an, wodurch ich mich, ob es gleich mit keiner sonderlichen Ehre verknüpft war, wieder einigermaßen forthalf. Doch war mein Schulmeisteramt von keiner langen Dauer. Der vor kurzer Zeit verstorbene Staatsrat Paul Winding wollte seinen jüngsten Sohn Andreas Winding nach Deutschland reisen lassen, und weil derselbe eines Reisegefährten bedürftig war, so fiel die Wahl auf mich, ob er mich gleich vorher nicht kannte.

Wir reiseten geradesweges nach Dresden; woselbst Herr Winding bei dem Baron von Löwendahl, dem er empfohlen war, bleiben sollte; desfalls erhielt ich auf das höflichste meinen Abschied. Auf der Reise begegnete uns nichts Merkwürdiges, als daß wir zu Braunschweig, wie wir des Morgens sehr frühe wegreisen mußten, unsern Kuffer mit allen unsern Kleidern vergaßen, welcher aber nach einigen Wochen unbeschädigt bei Winding in Dresden anlangte. Wir mußten auf dieser Reise ganze Nächte wachen, und wenn man uns einige Stunden zur Ruhe gönnte, so verfielen wir in einen so tiefen Schlaf, daß man uns kaum ermuntern konnte. Und deswegen wundere ich mich, daß wir unser ander Zeug, welches wir bei uns hatten, ja unsre Beinkleider nicht auch vergessen haben. Wer mit der Post in Deutschland fahren will, der muß fleißig Kaffee trinken, dadurch können auch die, welche am meisten zum Schlaf geneigt sind, munter erhalten werden, wo sie nicht die Kunst, zu schlafen, so wohl gelernet haben, daß sie auf dem Wagen schlafen können, ohne durch die beständige Bewegung aufgeweckt zu werden, welches die Postknechte sehr wohl verstehen, die zu gleicher Zeit fahren und schlafen. Man kann sich auf der ganzen Reise keinen ruhigen Schlaf versprechen, weil man unter der Nacht und dem Tage nicht den geringsten Unterscheid macht.

Wie ich den Herrn Winding in Dresden verlassen hatte, so ging ich nach Leipzig. Hier traf ich einen von meinen Landsleuten an, welcher Fleischer hieß und nunmehro Probst zu Altona ist. Er war ein sehr aufgeweckter Kopf, und weil ich jederzeit an muntern Einfällen einen großen Gefallen gehabt, so durfte er mich nicht lange bitten, daß ich mich einige Zeit bei ihm aufhalten möchte. Wir besuchten die Collegia fleißig, wiewohl nicht in der Absicht, etwas daraus zu lernen, sondern bloß, uns über die Lehrer und deren Vortrag aufzuhalten. Wenn wir nach Hause kamen, so beurteilten wir mit einem Mutwillen, welcher der Jugend eigen ist, dasjenige, was wir gehört und aus dem Vortrage der Lehrer aufgezeichnet hatten. Aus dieser Ursache besuchten wir am fleißigsten die Vorlesungen des Magister Stivels, welcher jederzeit allerhand lächerliche und ungereimte Dinge vorzubringen pflegte. Es gab sich einmal Mühe zu erweisen, daß die Seligen mittags und abends Mahlzeiten im Paradiese halten würden. Zu einer andern Zeit hielte er in dem zierlichsten Latein eine Leichenrede über seine Handschuh, die ihm den Tag vorher von seinen Zuhörern gestohlen worden. Wir besahen übrigens alles aufs genaueste, was auf dieser berühmten Akademie merkwürdig war; wir besuchten auch die meisten Gelehrten und unter andern insonderheit Cyprian, Rechenberg, Börner und Menke, bei denen uns allemal der Zutritt offenstand. Die Gelehrten in Deutschland sind gegen die Fremden so höflich, daß man sie nicht genung deswegen rühmen kann. Von Leipzig ging ich nach Halle. Die Kürze der Zeit erlaubte mir nicht, jemanden von den öffentlichen Lehrern zu besuchen. Doch sprach ich den berühmten Thomasius. Ich ward aber durch seinen Umgang nicht sonderlich erbauet. Denn er sprach nur von der rauhen Jahrszeit, von der kalten Luft und andern allgemeinen Dingen und hielte es nicht für nötig, mit einem Jünglinge von wichtigern Dingen zu reden.

Wie ich wieder nach Braunschweig kam, so hörte ich, daß der Kuffer, welcher ehedem von mir vergessen worden, weggesandt sei; was aber nicht soviel wert war, das fand ich alles in meinem Quartier unbeschädigt wieder. Unter andern Sachen traf ich auch meine mit Bärenfellen gefütterten Stiefeln an, welche mir bei dem gleich darauffolgenden harten Winter sehr gute Dienste leisteten. Denn ich war kaum von Hamburg nebst andern weggereiset, so fing die Kälte an so stark zuzunehmen, daß wir dieselbe kaum ertragen konnten, ob wir uns gleich mit allem, was zu dieser Jahreszeit, um der Kälte zu widerstehen, erfordert ward, aufs beste versehen hatten. Ich war krank, und dazu waren mir die vielen Kleider, worin ich mich eingehüllet hatte, sehr beschwerlich, die mich überdem so ungestalt machten, daß man mich eher für eine Mißgeburt als für einen Menschen hätte halten sollen. Niemand aber unter allen meinen Reisegefährten empfand die Kälte so stark als ein schwedischer Kapitän, welcher vor kurzer Zeit von Paris zurückgekommen war und sich auf französisch gekleidet hatte. Er fluchte heftig auf seine seidenen und leichten Kleider, welche er herzlichgerne mit einem grönländischen Pelz oder einen andern warmen Mantel vertauscht hätte. Es war einem jeden verdrießlich, mit ihm umzugehen, und ob er sich gleich für allen andern Reisegefährten allein zu mir hielt, so scheuete ich ihn doch am meisten. Und weil er noch überdem sehr ruhmrätig und von seinen großen Eigenschaften sehr eingenommen war, so wurde er mir ganz unerträglich. Übrigens war er doch nicht ganz ungeschickt, und zu gewissen Zeiten nahm man etwas von ihm wahr, welches zu erkennen gab, daß er von keiner geringen Herkunft sein müßte. Er redete einige Sprachen fertig und hatte auch in der Musik eine ziemliche Wissenschaft. In den Geschichten war er auch nicht ganz unerfahren, ob man gleich aus seinen Erzählungen abnehmen konnte, daß er in denselben nicht gründlich war, weil er die Zeiten und Umstände sehr öfters miteinander verwechselte. Wie die Post einmal des Abends stillag, so gerieten wir in ein Gespräch von den großen Taten der alten römischen Helden. Hierauf fing er an, um seine Weisheit auch hören zu lassen, die Tugend und Tapferkeit des Marcus Curtius folgendermaßen zu rühmen: Wie die Erde mitten auf dem Markte zu Rom voneinander geborsten war und man eine Weissagung hatte, daß dieselbe sich nicht eher wieder schließen würde, bis sich jemand lebendig hineinstürzte, so trug Quintus Curtius Rufus, welcher die Geschichte des Alexanders beschrieben hat, kein Bedenken, sein Leben, welches er von dem Vaterlande empfangen hatte, demselben wieder aufzuopfern. Er stieg desfalls auf sein Pferd und stürzte sich hinein, wodurch er sich ebenso berühmt machte als Alexander, dessen Historie von ihm beschrieben worden.

Der kleine Belt war so stark zugefroren, daß wir ganz sicher über das Eis bis nach Middelfahrt in Fünen gehen konnten. Aber über den großen Belt war das Eis nicht sicher. Wir hielten uns deswegen acht Tage in Nieburg auf, weil wir hofften, daß das Eis inzwischen halten oder brechen sollte. Weil es aber gar zu lange dauerte, so mußten wir uns endlich entschließen, auf dem Eisboot überzugehen, mit welchem wir den ersten Tag bis an die Insel Sprö kamen und den andern Tag zu Corsör anlangten. Ob es gleich wider meine Absicht ist, durch Beschreibung verschiedener Städte und Örter diese magere Schrift etwas angenehmer zu machen; so kann ich mich doch nicht entbrechen, die Beschreibung dieser Insel hier beizufügen, insonderheit, da derselben in keiner Geographie Meldung geschiehet. Ich will zugleich untersuchen, ob diese Insel mit Recht einen so schlechten Namen und ein so böses Gerüchte habe. Denn wenn die Dänen einem etwas Böses wünschen, so sagen sie, wollte Gott, du wärest auf der Insel Sprö.

Die Insel Sprö liegt mitten zwischen Nieburg und Corsör. Von der Fruchtbarkeit der Insel kann ich nichts Gewisses sagen, weil damals alles mit Schnee bedeckt war. Mitten auf der Insel liegt die Hauptstadt, welche nur von einer Familie bewohnt wird. Ich kann mich nicht erinnern, daß ich außer einer alten Frauen und zwo Töchter sonst einen Menschen gesehen hätte. Der Statthalter, oder daß ich mich noch genauer erkläre, der Patriarch, von dem ich die Regierungsform und andere Merkwürdigkeiten hätte lernen können, war leider nicht vorhanden. Damit ich aber die Pflicht eines Geographi erfüllen möge, so muß ich auch etwas von den Gemütseigenschaften dieses Volks sagen, welches, weil es von allen andern Menschen abgesondert ist, noch immer die alte Ehrlichkeit beibehält. Denn die eine Tochter, welche man doch noch für wohlgesitteter hielt als ihre Schwester, bewillkommte mich mit diesen Worten: Sehet doch den Hund an, der an die Wand pisset.

Kann man auch die alte Redlichkeit durch nachdrücklichere Worte an den Tag legen? Ich glaube, daß hier der Ort sei, wo man die alte Aufrichtigkeit, welche in den nordischen Historien so sehr gerühmt wird, noch in dem vorigen Glanze antreffen kann, weil diese Leute immer von andern abgesondert gewesen und also von den Sitten der neuen Zeiten befreiet geblieben. Aber ich fand hiernächst, daß sie die Lebensart der itzigen Welt besser als die Franzosen und Italiener selbst gefaßt hatten, da sie für ein Nachtlager zwei Reichstaler forderten. Diese Forderung schien dem schwedischen Kapitän gar zu unbillig, desfalls verteidigte er die gemeinschaftliche Sache und wandte alle seine Beredsamkeit an, unsre Wirtin wegen ihrer Unbilligkeit auszuschänden. Aber dieselbe ward dadurch nur desto mehr aufgebracht und empfing den Kapitän dergestalt, daß er seinen Zorn fallenlassen und sich ihren Gesetzen unterwerfen mußte. Die Jungfern auf dieser Insel legten nicht weniger bei diesem Streite Ehre ein, denn sie standen ihrer Mutter redlich bei und verteidigten solche sehr mutig gegen den Kapitän. Ich glaube, daß sie annoch Jungfern gewesen sind. Ich urteile dieses teils aus ihrer Frechheit, welche, wie man sagt, ein Zeichen der Keuschheit ist, teils aber schien es mir auch daher glaublich, weil sie an einem so einsamen Orte lebten, wo sie ihre Jungfrauschaft nicht einmal einbüßen konnten, wenn sie gleich gerne gewollt hätten. Man setzte uns nichts anders zu essen vor als gebratene und gekochte Enten. In dem ganzen Hause war nur ein Bette, welches eine Jungfer, die mit uns auf der Reise begriffen war, für sich allein gemietet hatte. Wir andern lagen auf der Erde auf Stroh, außer einen lustigen Holländer, welcher glaubte, daß er bequemer auf der Bank schlafen würde. Wie er aber um Mitternacht aufwachte, und sowohl am Kopfe als in den Gliedern wegen seines harten Lagers Schmerzen empfand, so kroch er ganz still zu der Jungfer ins Bett und lag bei derselben mit einer recht holländischen Kaltsinnigkeit bis an den hellen Morgen. Die Jungfer merkte dieses nicht eher, als bis sie erwachte und ihn noch schnarchend neben sich liegen sahe; sie erschrak recht heftig über diesen groben Streich und sprang alsobald mit einer jungfräulichen Schamhaftigkeit aus dem Bette. Der Holländer gab sich nicht die geringste Mühe, sie zurückzuhalten, sondern freuete sich vielmehr, daß er hiedurch einen größern Raum erhalten hatte, sich auszustrecken. Wir verließen endlich diese Insel Sprö und reiseten des Morgens sehr frühe nach Corsör. Auf dieser Reise geriet der schwedische Kapitän in die größte Lebensgefahr. Es pflegt insgemein zu geschehen, daß diejenigen verlieren, welche bei dem Spiele gar zu hitzig sind und leicht aufgebracht werden; daß diejenigen am zeitigsten sterben, die den Tod am meisten scheuen, und daß diejenigen am leichtesten Verdruß erfahren, welche am wenigsten vertragen oder einziehen können. Der Kapitän wollte eine Probe seiner Tapferkeit ablegen und trat aus dem Eisboote aufs Eis, er fiel aber plötzlich ins Wasser, da das Eis unter ihm brach, und ward mit genauer Not von den Bootsleuten durch ihre Bootshaken gerettet und wieder herausgezogen. Er mußte aber dennoch, ob er gleich vor Kälte halb erstarret war, trockne Kleider anziehen und überdem seinen Fürwitz zu Kopenhagen mit einem bösartigen Fieber büßen, wovon er doch endlich wieder hergestellt ward und nach Schweden reisete.

Diese beständigen ausländischen Reisen machten mich so beliebt, daß mir, wie ich von dieser dritten Reise zurückgekommen war, der vor kurzer Zeit verstorbene Geheime Rat und Admiral Friedrich Gedde die Hofmeisterstelle bei seinen Söhnen antragen ließ. Ich war lange zweifelhalt, ob ich diese beschwerliche Arbeit wieder übernehmen wollte, aber die Not zwang mich dazu, insonderheit da diese Stelle mit vieler Ehre verbunden war und meinen Hochmut nicht wenig schmeichelte. In den ersten sechs Monaten stand ich meinem neuen Amte vollkommen gut vor. Da aber meine Kräfte durch diese beschwerliche Arbeit immer mehr und mehr abnahmen, so ward ich endlich so ohnmächtig, daß ich nicht imstande war, meine Discipel mehr zu strafen; sondern ich mußte entweder einen Zuschauer abgeben oder auch, anstatt der vorigen Schärfe, nunmehro mit guten Worten einen Vergleich unter ihnen stiften, wenn sie sich in meiner Gegenwart einander in die Haare fielen. Sie bezeugten alle eine große Lust zum Lernen, aber sie schlugen sich beständig. Der Älteste von ihnen nahm unter meiner Anweisung sehr gut zu, welches er aber seinem eignen Fleiße mehr als meiner Arbeit zu danken hatte. Es würde auch gewiß, wie ich es vorher gesagt hatte, eine Zierde und Ehre des Vaterlandes geworden sein, wenn seine Tugenden zur Reife gekommen wären. Aber dieser junge Herr, von dem man sich soviel versprechen konnte und welcher nach allendem strebte, wodurch man eine wahre Ehre erlangen kann, starb zu frühe. Er ward nicht lange darnach in Brabant von einem norwegischen Kapitän erstochen, den er zum Zweikampf ausgefordert hatte. Der mittlere Sohn kam im Wasser ums Leben, wie er über einen Fluß setzen wollte, so daß jetzt keiner mehr lebt als der jüngste, Herr Baron Carl Gedde, Major bei der Garde zu Pferde.

Nach einem Jahre ward ich in das medizinische Collegium aufgenommen und begehrte deswegen meine Erlassung. Wie ich mich hier aufhielte, so arbeitete ich zwo Schriften aus. Die erste war meine Einleitung in die europäische Historie nach der Lehrart des Puffendorfs. Wenn man dieses Werkchen obenhin ansiehet, so scheinet es, als wenn es bloß aus dem Puffendorf übersetzt wäre. Daher hat auch ein gewisser Mann, welcher eine dänische Historie geschrieben, kein Bedenken getragen zu behaupten, daß ich alles aus dem Puffendorf ausgeschrieben. Wenn man aber die Sache etwas genauer überlegt, so findet man, daß alles außer dem Abschnitt von Deutschland, aus andern Geschichtschreibern zusammengetragen worden.

Ich fing dieses Werk schon an, als ich noch in England war und auf der bodlejanischen Bibliothek eine erwünschte Gelegenheit hatte, mich der daselbst befindlichen Bücher zu bedienen, die mir zu meinem Vorhaben nützlich sein konnten. Hauptsächlich aber ward ich durch die Betrachtung zu diesem Werke aufgemuntert, daß es etwas sehr Rühmliches sei, bei so jungen Jahren einen Platz unter den Schriftstellern zu erhalten. Durch diese Vorstellungen ward ich immer mehr und mehr in meinem Vorhaben bestärkt und schrieb eine Universalgeographie. Am Ende fügte ich die Historie eines jeden Landes bei. Wie ich aber dieses Werk eben der Zensur übergeben hatte, so trat des Pflugs Geographie in 4° ans Licht. Ich änderte desfalls meinen Vorsatz und löschte alles aus, was darin von der Erdbeschreibung angebracht war und gab dasjenige, was historisch war unter dem Titul einer Einleitung zur europäischen Historie heraus. Ich habe mich öfters entschlossen, das ganze Werk von neuen auszuarbeiten und es verbessert und vermehret ans Licht zu stellen; denn da ich zuerst anfing, daran zu arbeiten, so war ich ohngefähr von eben demselben Alter wie der Poet, wie er zuerst anfing, Verse zu machen:

Barba resecta mihi bisue semelue fuit. Barba reseeta ...: Den Bart hatte ich mir erst ein- oder zweimal schneiden lassen. (Ovid, Tristien IV, 10, 58)

Aber ich bin allemal durch andre Verhinderungen davon abgehalten worden. Kurz darauf gab ich ein andres kleines Werk unter dem Titul: ›Anhang zur Historie der europäischen Reiche‹ heraus, welches den gegenwärtigen Zustand der vornehmsten Reiche und Republiken in sich faßt und aus fünf Teilen bestehet, von denen aber nur der erste gedruckt worden, die andern liegen noch bei mir geschrieben. Da aber kurz nachher S[e].Majest. unser großmächtigster König mir die Stelle eines außerordentlichen Lehrers bei der kopenhagenschen hohen Schule allergnädigst verliehe, so mußte ich meine vorigen Bemühungen ein wenig an die Seite setzen und mich auf solche Dinge legen, welche von demjenigen erfordert werden, der auf hohen Schulen lehren soll. Ich erwählte also andre Arbeiten und bekümmerte mich nicht weiter um diejenigen Dinge, die in neuern Zeiten vorgegangen waren, sondern ich begrub mich ganz in den alten Geschichten. Ich liebte nunmehro die alten Bücher, die ich vorher so gering geschätzt hatte, und verwarf die neuen, die mir vorher so angenehm gewesen waren.

Den Weg zu dieser Ehre bahnte mir ein in Folio geschriebenes Buch, welches Ihro Königlichen Majestät alleruntertänigst von mir zugeeignet ward. Ich hatte nur bei sehr wenigen Großen am Hofe einen Zutritt, und desfalls setzte ich meine Hoffnung allein auf den König und erwartete, was ich für Früchte von meinen Bemühungen einernten würde. Meine Hoffnung traf auch sehr gücklich ein, denn ich empfand gleich einige Strahlen, welche diese Sonne auf mich warf. Das geschriebene Werk enthält die großen Taten Christian des Vierten und Friedrichs des Dritten; durchgehends wird alles durch die Zeugnisse der glaubwürdigsten Geschichtschreiber bestätiget. Was aus den allgemeinen Geschichtschreibern, als dem Aitzema, Victorio Siri und dem ersten Teil des theatri Europaei, welchen man für den besten unter allen hält, entlehnt worden, macht kaum einige Blätter aus. Ich gestehe sehr gerne, daß dieses Werk sehr mangelhaft ist, und aus dieser Ursache habe ich es auch noch nicht gewagt, demselben den Titul einer Historie beizulegen, sondern ich habe es nur eine Einleitung in die dänische Geschichte des vorigen Jahrhunderts genannt. Ich habe dieses Werk in zwei Teile abgesondert. Der andre Teil aber, welcher die großen Taten Christian des Fünften in sich faßt, ist von mir noch nicht völlig ausgearbeitet worden.

Alles dieses brachte ich zustande, wie ich noch ein Mitglied des medizinischen Collegii war, und nichtsdestoweniger ward ich von einigen für einen Müßiggänger gehalten, weil ich nach den Gesetzen dieses Collegii weder disputierte noch öffentliche Reden hielte. Einige glaubten auch aus ebendieser Ursache, daß ich mich in der lateinischen Sprache nicht wohl umgesehen hätte. Da ich doch, wenn ich den Aufseher des Collegii, den Magister Nicol. Agard ausnehme, unter allen denen, welche sich nebst mir fünf Jahre in dem Collegio aufhielten, der einzige war, der sich recht auf diese edle Sprache der alten Römer legte. Insonderheit schien es den meisten lächerlich, daß ich unter die öffentlichen Lehrer aufgenommen ward, da ich doch niemals die Katheder betreten und folglich unter diejenigen, welche einen besondern Namen, nämlich Academici, zu führen pflegen, auf keine Art konnte gerechnet werden. Wenn ein alter Schulfuchs in dieser Sache Richter sein sollte, und wenn man es wegen des Begriffs von der wahren Gelehrsamkeit auf dessen Urteil allein wollte ankommen lassen, so gestehe ich, daß ich sehr ungelehrt bin. Ich bin auch versichert, daß ich sehr schlecht würde bestanden sein, wenn ich mich der Prüfung der Philosophen unterworfen hätte. Ich konnte zwar auch damals schon einen Syllogismus zustande bringen, allein dies geschähe nur zufälligerweise, ohne daß ich es wußte, wie man eigentlich dabei verfahren müßte, denn es war mir unbekannt, ob er in Barbara oder Elisabetha war. Ich habe gleichfalls gehöret, daß etwas in der Welt vorhanden sei, welches man die Instrumentalphilosophie nennet, worin dem Berichte nach die Logik und Metaphysik regieren sollen; aber mit derselben habe ich niemals etwas zu schaffen gehabt. Ich bekenne aufrichtig, daß ich noch nicht weiß, wieviele Praedicamenta und Praedicabilia die Vernunftlehre zu Kriegszeiten ins Feld stellen kann, durch was für Künste und Maschinen man eine Katheder stürmen und durch was für Kanonen man den Präses von derselben herunterwerfen kann. Ich habe es mir öfters vorgenommen, einige Zeit hierauf zu wenden, aber ich bin niemals so glücklich gewesen, daß mir einige Zeit dazu übriggeblieben wäre. Sie werden aber so gütig sein, mein Herr, und dieses nicht weiter ausbreiten. Wenn meine so große Unwissenheit kund werden sollte, so würde ich von allen alten Scholasticis verachtet werden. Denn ich bin in der Instrumentalphilosophie ganz und gar unerfahren, wenn man die Instrumentalmusik ausnimmt, welche doch auch einigermaßen ein Teil der Philosophie kann genannt werden. Ich will aber von dieser Sache nicht weitläuftiger reden, da so viele Köpfe schwerlich unter einem Hute zu vereinigen sind und ich einem jeden sehr gerne seine Meinung lasse, was er glauben will, ob derjenige, der in diesen Sachen unerfahren ist, zum öffentlichen Lehramte geschickt sei oder nicht. Dieses aber ist außer allem Streit, daß ich wirklich die Stelle eines öffentlichen Lehrers bekleide und daß diejenigen mich dazu würdig und tüchtig geachtet haben, welche von der Gelehrsamkeit auf eine andere Art wie jene Scholastici zu urteilen gewohnt sind und sich nicht durch den bloßen Schall der Worte irremachen lassen. Bei meinem neuen Amte erfuhr ich auch neue Beschwerlichkeiten. Ich mußte mich nunmehro demselben gemäß aufführen, wodurch die Würde zwar keinen Zuwachs, aber doch eine Zierde erhält. Ich mußte aus eben dieser Ursache auch meine ganze Lebensart verändern, weil ich es für unanständig hielte, mich, da ich ein öffentlicher Lehrer geworden, auf eben dieselbe Art als vorher zu ernähren, da ich noch besonders andre unterrichtete. Kurz vorher, ehe ich diese Beförderung erhielte, ward mir ein Stipendium jährlich von hundert Reichstalern auf vier Jahre verliehen, wozu S[e]. Exzellenz der Herr Geheime Rat von Rosencranz als Patron der von den Rosencranzen gestifteten Stipendien mir behülflich war. Dieses kam mir, der ich sonst allein von der Hoffnung zu leben gewohnt war, sehr zustatten. Wie aber, kraft der Stiftung, diejenigen, denen dieses Stipendium verliehen wird, gehalten sind, lutherische hohe Schulen zu besuchen, und mir dieses auch von dem Ephoro befohlen ward, so war ich hiemit sehr wohl zufrieden. Denn da ich sehr sparsam haushalten mußte, um mit meinen Einkünften auszukommen, so glaubte ich nicht unbillig, daß solches viel leichter in der Fremde als in dem Vaterlande geschehen könnte.

Ich reisete also geradesweges nach Amsterdam, wo ich mich einige Tage aufhielte. Hierauf setzte ich meinen Weg weiter nach Gouda und von diesem Orte nach Rotterdam zu Lande fort, woselbst ich einen ganzen Tag ausruhete. Es war mir dieses um soviel nötiger, weil man in den Treckschoyten weder Tag noch Nacht Ruhe hat. Es finden sich unter so vielen Reisenden allemal einige aufgeweckte Köpfe, welche durch ihren Scherz und durch ihre Gaukeleien ihre Gefährten beständig munter und wachsam erhalten. Auf der Reise nach Gouda ward uns alle Ruhe durch einen jungen Schweden benommen, welcher ein sehr künstlicher Gaukler war und alles nachäffen konnte. Bald stellte er sich an, als wenn er schliefe, und schnarchte stark, ehe man es sich aber versähe, so sprang er gleichsam aus Furcht auf und schrie bald diesem, bald jenem in die Ohren.

Zu Rotterdam sahe ich des Abends, daß die Kinder, wie sie aus der Schule kamen, ihr gewöhnliches Spiel wieder anfingen und zum Zeitvertreib mit Steinen nach der Bildsäule des Erasmus von Rotterdam warfen. Ich wunderte mich nicht so sehr über den Mutwillen der Knaben als über diejenigen, welche die Aufsicht über sie hatten und dieser Bosheit steuren sollten. Es war gewiß schändlich, daß man ein solches Ehrenmal entehrte, welches nicht nur den Einwohnern von Rotterdam, sondern auch der ganzen gelehrten Welt heilig sein sollte wegen der großen Verdienste eines solchen Mannes, dessen Staub auch noch würdig ist, daß er von die Nachkommen geküsset werde.

Von Rotterdam reisete ich nach Antwerpen, wo ich mich bei einem Hamburger aufhielte, den ich in Amsterdam gekannt und der ehedem einige Jahre in Drontheim gewohnt hatte. Von Antwerpen ging ich zu Schiffe nach Brüssel. Meine Reise von Amsterdam nach Brüssel kostete mir nicht viel, aber ich besorgte, daß der Weg, welchen ich noch zurücklegen mußte, mir weit mehr kosten würde, weil ich zu Schiffe nicht fortkommen konnte. Ich hielt mich deswegen einige Tage zu Brüssel auf, um desfalls einen Schluß zu fassen. Inzwischen sahe ich, daß viele angesehene Leute den Weg, welchen ich vor mir hatte, zu Fuß antraten; und daher machte ich mir selbst diese Gedanken. Wir ahmen den Franzosen in ihrer Torheit nach, warum wollten wir ihnen denn auch nicht in ihren löblichen Gewohnheiten nachahmen, nämlich, sparsam zu leben, wenn wir nichts haben, wovon wir reichlich leben können. Warum wollten wir denn auch nicht zu Fuße gehen, wenn wir nicht soviel Geld haben, daß wir einen Wagen mieten können; desfalls schickte ich mich auch dazu an, zu Fuße zu gehen, mein Zeug aber sandte ich mit einem Wagen fort.

Ich besorgte zu den damaligen Kriegszeiten nichts so sehr, als daß ich, weil ich mit keinem Passe versehen war, von den Schildwachen und Postierungen möchte angehalten werden. Es ist mir aber dieses nur ein einzig Mal widerfahren, wie ich zu Mons ankam, da ich gefragt ward, wohin ich wollte, ob ich einen Paß hätte und worum man sonst im Tor die Ankommenden zu fragen pflegt. Wie ich aber demselben antwortete, daß ich nach Paris wollte und einen königlichen Paß hätte, so zweifelte er nicht weiter an meiner Ehrlichkeit und ließ mich frei durchgehen. Den größten Verdruß verursachten mir die Zollbedienten, welche alle meine Kleider und auch sogar meine Beinkleider durchsuchten, um zu erfahren, ob ich auch Tobak oder andre verbotene Waren bei mir führte. Übrigens war ich von allen Beschwerlichkeiten befreiet, welchen die Reisenden in Deutschland und in den nordischen Landen unterworfen sind, da man außen vor dem Tore stehen und warten muß, bis der Commendant oder die Obrigkeit des Orts von der Ankunft der Fremden Nachricht erhält und Befehl erteilt, daß man eingelassen wird, wo man überdem in dem Hause, wo man einkehret, seinen Namen, Stand, seine Verrichtung und was man sonst vorzunehmen willens ist, anzeigen muß, welches alles den Reisenden höchst beschwerlich fällt und von dem Mißtrauen zeuget, welches den nordischen Völkern eigen ist. Denn ohne Paß wäre es mir unmöglich gewesen, eine solche Reise, wie ich nun vornahm, durch Deutschland anzustellen, wo man wohl zehnmal des Tages von einem rauhen Soldaten diese Worte: wer da? zurück! wohin? hören muß. Mir ist ein solcher Zufall hier in Dänemark begegnet, da ich noch auf dem borrichischen Collegio war und einmal zu Fuß nach Helsingör ging. Ich traf nicht weit von der Stadt einen Lieutenant an, dem ich erzählte, daß ich diese fünf Meile von Kopenhagen nach Helsingör zu Fuß abgelegt hätte. Dieser ward darüber im Anfange so bestürzt, als wenn er dergleichen vorher niemals gehört, und bildete sich ein, ich wäre ein schwedischer Spion. Er freuete sich nicht wenig darüber, daß ich ihm so unvermutet in die Hände gefallen war und befahl, daß ich ihm unverzüglich folgen sollte. Ich wandte zwar alles dagegen ein, was ich nur konnte, ich versicherte auf Treu und Glauben, daß ich sein Landsmann sei; ich entdeckte ihm meinen Namen, mein Vaterland, meinen Stand und die Ursache meiner Reise. Aber es war alles vergebens, und ich mußte mich mit Gewalt in Verhaft nehmen lassen. Ich ward also als ein andrer Jugurtha von einem neuen Marius im Triumph durch einen Reuter aufgeführt, welcher den Feldherrn begleitete, und mußte mich ganz unschuldigerweise nach einem Wirtshause zurückbringen lassen, welches auf der Hälfte des Weges nach Helsingör lag. Hier ward ich aufs schärfste befragt, mein Degen ward mir abgenommen, man verurteilte mich, endlich aber ward ich losgesprochen und mit einer höflichen Entschuldigung wieder in die Freiheit gesetzt. Mein Feldherr aber hat weder einen großen noch kleinen Triumph wegen dieses Sieges gehalten.

Jedoch ich muß meine Reisebeschreibung weiter fortsetzen. Die Franzosen sind sehr auf ihren Nutzen bedacht und suchen die Reisenden auf alle Art um ihr Geld zu bringen. Deswegen pflegen auch die Fremden, denen diese Gemütsart der Franzosen bekannt ist, allemal vorher mit den Wirten zu bedingen, was sie ihnen bezahlen sollen, ehe sie zu ihnen ins Haus ziehen; denn wo sie dies unterlassen, so müssen sie alles doppelt bezahlen. Jedoch, so unbillig sie in diesem Stücke sind, so angenehm und liebenswürdig sind sie in ihren Sitten und in ihrem Umgang. Deswegen legte ich auch diese Reise mit Vergnügen ab, obgleich meine Füße durch das beständige Gehen wund wurden. Je näher man nach Paris kommt, desto begieriger sind die Leute daselbst nach dem Gelde, aber desto besser ist auch ihre Art zu leben; und je teurer alles wird, desto artiger sind auch die Einwohner. Ich ging also durch Festungen ohne Paß und durch die dicksten Wälder und ödesten Wüsten ohne Reisegefährten und auch ohne alle Furcht. Denn weil ich kein Geld bei mir führte, so war ich vor allen Räubern und Nachstellungen sicher.

Endlich kam ich ganz ermüdet nach Paris, wo ich eine ganze Stunde in der Stadt herumging und mich nach einem Quartier umsahe, aber vergebens. Dann da ich das französische Wort logis nicht recht aussprach, so verstand mich niemand, was ich dadurch anzeigen wollte. Ich mußte vielmehr mit Ärgernis anhören, daß eine Magd in Paris über meine Aussprache dieses Urteil fällete: Er redet französisch wie ein deutsches Pferd. Dieser Schimpf fiel mir sehr schwer, da ich in den Gedanken stund, daß ich ein Meister in der französischen Sprache wäre. Vor einiger Zeit unterrichtete ich selbst andre im Französischen, und nun lachte sogar eine Dienstmagd über meine schlechte Aussprache. Die Silbe gi, welche wir nicht recht aussprechen, war schuld daran, daß ich fast wie ein Landflüchtiger durch alle Gassen in der Vorstadt laufen mußte. Überdem nennt man in Paris eine Stube, welche die Fremden zu mieten pflegen, nicht logis, sondern chambre garnie. Und also schien es, daß ich kein Quartier, sondern vielmehr eine Maitresse, nicht ein logis, sondern eine Lucie suchte. Deswegen lächelten auch einige, bei denen ich mich desfalls erkundigte, und gaben mir zur Antwort: Je ne la connois point Monsieur. Es fällt den Fremden überaus schwer, den Buchstaben g oder ch, wenn derselbe für die Lautbuchstaben i und e stehet, auszusprechen. Wie ich nach einigen Monaten verschiedene historische Schriften und nebst andern auch den du Chene kaufte, so wurden die Buchführer durch meine Aussprache verleitet und gaben mir anstatt des du Chene den Lucian, welcher auf französisch Lucien genannt wird.

Endlich erhielt ich eine Stube in der Vorstadt St. Germain. Ich lebte einige Monate überaus philosophisch. Bei einer so großen Menge von Menschen ging ich doch mit keinem einzigen um und lebte wie in einer Einöde. Ich redete mit niemanden als mit mir selbst und mit meinen Büchern, und außer meinem Wirte kannte ich sonst keinen Menschen, und niemand kannte mich. Ich besuchte zwar täglich die öffentlichen Gärten, wo ich eine unzählige Menge von Menschen antraf. Aber die Gärten waren in Absicht auf mich wie Wälder und die Menschen wie Bäume, und ich hatte eben das Schicksal, welches der Tantalus hatte, welcher Durst litte, da er doch ganz im Wasser stand. Die öffentlichen Bibliotheken des Mazarins und St. Victors besuchte ich unausgesetzt, obgleich die letztere von meinem Quartier ziemlich weit entlegen war. Ich wunderte mich sehr, daß an diesem Orte, welcher doch so sehr mit Gelehrten angefüllet ist, sich so wenige auf den Bibliotheken einfanden. In dem ganzen darauffolgenden Winter habe ich sonst keinen Menschen daselbst wahrgenommen als einen deutschen Studenten, welcher sich bisweilen einstellte, aber seine Zeit allein darauf anwandte, daß er die Landkarten besahe, wesfalls ich ihn aus Scherz Cartesius nannte.

Jedoch auf der Mazarinischen Bibliothek fanden sich mehrere ein. Denn das sogenannte Collegium der vier Nationen liegt mitten in der Vorstadt oder in dem Quartier St. Germain. Man trifft daselbst auch eine ziemliche Anzahl von neuen Büchern an. Vor der Tür der Bibliothek versammleten sich die Studenten sehr frühe und warteten auf den Bibliothecarius. Wenn die Türe geöffnet ward, so stritten sie, wer zuerst hineinkommen könnte, recht, als wenn ein großer Preis darauf gesetzt wäre. Denn das Lexikon des Bayle, worin sie alle gerne lesen wollten, ward demjenigen zuteil, der zuerst sich dessen bemächtigen konnte. Deswegen stritten sie stets miteinander, und derjenige erhielte allemal das Buch, welcher zuerst in die Türe drang oder stärker als die andern laufen konnte. Auf solche Art lebte ich zwei Monate in Paris und ging mit niemanden um. Ich habe allemal einen Abscheu gehabt, mich mit gemeinen Leuten in eine Gesellschaft einzulassen, hingegen besorgte ich nicht unbillig, daß die Bekanntschaft der Vornehmern mir zu kostbar fallen möchte. Mein Wirt war also mein einziger Freund, und da derselbe ein großer Liebhaber der Historie war, so erzählte ich ihm bisweilen zu seinem Vergnügen einige Taten der Alten, wogegen er mir allerhand neue Historien mitteilte. Ich erzählte ihm wahre Geschichte, aber stammelnd und in einem gebrochenen Vortrage, er aber brachte nur Märchen vor, jedoch überaus fertig und munter. Einmal erkundigte er sich, welchen Namen der Kaiser geführt, von dem Jerusalem zerstört worden. Ich antwortete: Titus. Er wollte ferner wissen, ob er ein Römer oder Grieche gewesen. Ein Parlamentsadvokat aber antwortete an meiner Statt und sagte: Er war ein Römer und hieß Titus Livius. Welche Antwort mit Recht eine Stelle unter den responsis prudentum responsis prudentum ...: Den Bescheiden der Rechtsgelehrten. verdienet. Ich ging öfters, die Zeit zu verkürzen, nach dem Orte, wo Gericht geheget wird, um zu sehen, wie dorten in Rechtssachen verfahren werde. Ich wunderte mich nicht wenig über die Beredsamkeit der Advokaten, sie reden überaus zierlich und mit großem Nachdrucke und können die Affekten so geschickt erregen, daß man denken sollte, es wären lauter Demosthenes oder Cicerones, welche französisch redeten, so genau stimmt ihr Vortrag mit der Beredsamkeit der Alten überein. Aber wenn das Urteil soll abgefaßt werden, so nimmt man allenthalben eine große Verwirrung wahr. Man läßt den Advokaten weiter keine Zeit zu reden, die Versammlung höret nicht auf zu plaudern, und die Beisitzer des Gerichts haben keine Geduld zu sitzen. Die Stimmen werden ohne Ordnung gesammlet. Bisweilen stehen die Herren des Gerichts auf, ehe noch der Prozeß zu Ende gebracht worden, und stellen sich in einen Kreis, wo sie dem Präsidenten etwas in die Ohren zischeln, der gleich darauf das Urteil spricht. Während der Zeit, daß der Rat wegen des Urteils einen Schluß faßt, höret man allenthalben ein verwirrtes Geräusch, die Advokaten zanken inzwischen heftig miteinander, und es trifft hier ein, was der Poet sagt:

Tunc immensa cavi spirant mendacia folles
Conspuiturque sinus.
Tunc immensa cavi ...: Da quellen unermeßliche Schwindeleien aus den hohlen Schläuchen, und der Speichel netzt den Bausch des Gewandes. (Juvenal, Satiren VII, in f.)

Überdem bemerkt man ein so großes Geräusche und Geschwätze unter den Umstehenden, wenn die Sachen verhandelt werden, daß man denken sollte, man wäre auf einem Markte und nicht in einer Gerichtsstube; deswegen müssen auch die Bedienten fast hundertmal in einer Stunde den Anwesenden ein Stillschweigen auflegen. Es ist aber diese Bemühung vergeblich, denn wenn sie sich auch müde schrien und schlügen, so würden sie doch diese so sehr zum Schwatzen geneigte Leute nicht zum Schweigen bringen.

Ich war aber nicht damit allein vergnügt, daß ich alles, was in Paris merkwürdig ist, in Augenschein genommen, sondern ich besahe auch die in der Nähe gelegene Städte und Schlösser, insonderheit betrachtete ich das königliche Lustschloß Versailles und befand solches weit größer und herrlicher, als ich es mir jemals vorgestellet hatte. Wie mir aber zuletzt die einsame Lebensart gar zu beschwerlich fiel, so machte ich mich mit einem schwedischen Prediger bekannt, welcher in eben demselben Teile der Stadt und nicht weit von meinem Quartier wohnte.

Von demselben erfuhr ich, daß sich drei Dänen in Paris aufhielten, nämlich ein Medicus, ein Priester und ein Schneider, von denen aber die beiden ersten, ob sie gleich ein Vaterland hätten, dennoch von so verschiednen Sitten wären, daß sie von dem Schneider, daß ich mich dieses Ausdrucks bediene, niemals könnten zusammengenähet werden. Ich besuchte sie kurz darauf alle beide und fand, daß sie einander sehr ungleich waren. Der Medicus hatte eine solche Ehrfurcht gegen die Gebräuche der römischen Kirche, daß er lieber krank sein als zur Fastenzeit Fleisch essen wollte. Der andre hingegen, welcher die katholische Religion bloß seines Vorteils wegen angenommen hatte, beobachtete nur diejenigen Dinge, die zu der Glückseligkeit der Geistlichen in diesem Leben erfordert werden, um das übrige aber bekümmerte er sich gar nicht. Jener war nicht wankelhaft und ging nicht von demjenigen wieder ab, was er einmal für wahr angenommen hatte, man mochte ihm auch vorstellen, was man wollte, dieser aber war ein rechtes Bild von dem Sänger Tigellius. Er traf bei keiner Handlung, die er unternahm, den Mittelweg, sondern er trieb alles aufs äußerste. Zu einer Zeit war er sparsamer und genauer als Diogenes; zu einer andern Zeit war er wollüstiger und verschwendete mehr als Apicius. Bald war er sehr sauber und reinlich, bald wieder sehr unrein gekleidet. Itzt sagte er, man könne außerhalb der katholischen Kirche nicht selig werden, und gleich darauf, die lutherische Religion sei die wahre und rechte Religion. Heute sagte er, daß er ein ansehnliches Einkommen habe; morgen aber schwur er, daß er in einem ganzen Monate nicht einen Heller eingenommen. Ich bemerkte hienächst noch einige andre Dinge, in denen der Medicus und dieser Geistliche voneinander unterschieden waren. Jener war gar zu sparsam, dieser ließ gar zu viel aufgehen. Jener redete zuwenig und dieser zuviel. Jener redete allemal die Wahrheit, dieser aber redete nicht zwei Worte, von denen nicht allemal das eine falsch und erdichtet war. Jener liebte und schätzte die Studien sehr hoch, dieser aber verachtete sie. Er war zwar einer Bibliothek vorgesetzt, welche, wenn man auf die Anzahl der Werke und Bücher sieht, der wienerischen oder florentinischen nichts nachgibt. Aber der Bibliothecarius derselben war kein Lambec oder Magliabechi und hütete sich sehr, daß er nicht durch übertriebenes Studieren hypochondrisch werden möchte. Wie ich einmal die Antiquitates des Josephi von ihm forderte, so antwortete er: Der Name sei ihm nicht bekannt, und ich würde ohne Zweifel den Joseph mit dem Philo verwechseln. Wie ich mich zu einer andern Zeit bei ihm erkundigte, wie groß wohl eigentlich die Anzahl der hier vorhandenen Bücher sein möchte, so gab er mir eine zwar ungelehrte, aber doch recht artige Antwort:

Pauperis est, numerare gregem. Pauperis est ...: Nur ein armer Schlucker zählt seine Herde. (Ovid, Metamorphosen XIII, 824)

Er war in Fünen geboren, und, nachdem er eine Zeitlang in der Schule zu Odense den Studien obgelegen hatte, in Kopenhagen unter die akademischen Bürger aufgenommen worden. Wie er sich aber hieselbst einige Jahre aufgehalten hatte, so reisete er, ich weiß nicht aus was für einer Ursache, nach Frankreich, wo er die Religion veränderte und sich bei dem Abbé de Bignon so sehr einzuschmeicheln wußte, daß derselbe ihm die Aufsicht über seinen Büchervorrat anvertraute. Ich habe aber nachher erfahren, daß ihm wegen seiner schlechten Aufführung diese Stelle wieder genommen worden und daß er sich gegenwärtig in sehr elenden Umständen befinde.

Ich habe öfters mit Vergnügen seine ungereimten Reden angehört, die insgemein sein eigen Lob zum Endzweck hatten. Sooft von unsern Vaterlande oder von unsern Landsleuten geredet ward, so rühmte er sich, daß er alsbald das ganze Reich bekehren wollte, wenn man ihm nur die Freiheit geben würde, öffentlich in Dänemark zu predigen und zu disputieren. Nur einmal ward ich gegen ihn aufgebracht, da er so unverschämt war und sagte, daß die Lutheraner kaum verdienten, Christen genannt zu werden, weil bei ihnen nicht der geringste Schein des Christentums anzutreffen sei, wenn man das Sakrament der Taufe ausnähme. Hierüber fingen wir an, miteinander zu streiten, und es war mir überaus leicht, die Gründe eines so ungelehrten Gegners zu widerlegen und über einen so unbewaffneten Feind zu siegen. Wie er aber nicht weiterkommen konnte und nichts mehr anzuführen wußte, so kam eben ein Doktor von der Sorbonne in die Bibliothek, welchen er als einen Engel ansahe, der ihm zu Hülfe vom Himmel gesandt worden. Wir beide gerieten demnach, auf des Bibliothecarii Anstiften, in einen heftigen Streit, welcher aber ohne Frucht war; wie gemeiniglich zu geschehen pflegt. Ich bemühete mich, weil ich in der Kirchenhistorie nicht ganz unerfahren war, meinen Gegner durch seine eigenen Gründe zu widerlegen. Wie wir aber eine Stunde miteinander gestritten hatten, so schieden wir mit einem gleichen Vorteile voneinander, und ein jeder eignete sich den Sieg zu. Wie wir noch miteinander stritten, so gab Bormann einen bloßen Zuhörer ab. Wie aber der Streit geendiget war, so sagte er mir heimlich ins Ohr, ich hätte mich wohl gehalten, und nachdem der Doktor uns verlassen hatte, so gestand er, daß die Lehre Lutheri sich auf Gottes Wort gründe. Gleich darauf aber zeigte sich nach seiner alten Gewohnheit sein Wankelmut und er verteidigte seine papistischen Sätze wieder. Sein Patron, der Abt von Bignon, verdienet mit dem größten Rechte eine der vornehmsten Stellen unter den berühmtesten Prälaten der damaligen Zeiten. Er war ebenso erfahren in Staatshändeln als in gelehrten und geistlichen Dingen. Er unterhielt auf seine Kosten einen Bibliothecarium, vier Secretärs, vier Musicos und eine Sängerin. Ich habe ihn zweimal auf der sogenannten Akademie der Wissenschaften Reden halten hören. Man hätte bei der außerordentlichen Anmut, womit er alles vorzutragen und worin er alles einzukleiden wußte, denken sollen, daß die Musen selbst gegenwärtig wären und französisch redeten. Wenn er in der Kirche des heiligen Germani Antissiodorensis predigte, so war die Kirche dergestalt mit Zuhörern angefüllt, daß man weder hinein- noch herauskommen konnte, ohne die Kleider zu zerreißen.

Der andre Landsmann, den ich dorten antraf und der ein Medicus war, dessen ich bereits vorher Erwähnung getan, hieß Winslow. Er war auch in Fünen geboren und hatte zwar die Religion seines Vaterlandes abgeschworen, aber nicht die Liebe zu seinem Vaterlande abgeleget. Denn es war ihm nichts angenehmer, als wenn er seinen Landsleuten gefällige Dienste erweisen konnte. Er empfing mich freundlich und führte mich allenthalben in der Stadt herum, so daß durch seine Anführung meine Neugierde hinlänglich gestillet ward. Er war allem Hochmute feind, er war aufrichtig, ehrlich, offenherzig und dienstfertig; doch war sein Umgang den Fremden etwas beschwerlich wegen der großen Neigung, die er zum Disputieren hatte. Er fing allezeit theologische Strittigkeiten an, er führte seine Freunde auch zu andern ebenso streitbaren Männern, daß man also die meiste Zeit mit Disputieren und Streiten zubringen mußte. Dieses war mir sehr beschwerlich, denn ich hatte zu den damaligen Zeiten noch nicht gelernet, durch welche Waffen man dergleichen zanksüchtige Streiter am leichtesten überwinden könnte. Es war mir auch damals die Logik des vortrefflichen Nicolaus Griese noch nicht bekannt, denn wie dieser von einem vornehmen Abt zum gelehrten Zweikampf aufgefordert ward, so antwortete er, daß ein solcher Streit von keinem Nutzen sei, weil Personen, die von einer Religion wären, nicht miteinander wegen Religionssachen streiten könnten. Wie aber der Abt wissen wollte, worin denn das Glaubensbekenntnis der Dänen bestünde, so antwortete Herr Nicolaus Gries: Die Dänen glauben, daß der Papst seiner Schatzkammer und seinem Nutzen gemäß handelt, wenn er das Ansehen und die Heiligkeit des päbstlichen Stuhls mit so großem Eifer verteidiget, und eben dieses glaubt das römische Konsistorium auch. Hierauf schwieg der Abt stille, und die Anwesenden lachten über diese Begebenheit.

Herr Winslow ist übrigens bei den Franzosen sowohl wegen seiner aufrichtigen Lebensart als auch wegen seiner großen Erfahrung in der Arzneiwissenschaft und insonderheit in der Zergliederungskunst in großem Ansehen. Es ist nicht glaublich, daß er die Religion seines Vaterlandes verlassen, um sich zu bereichern oder befördert zu werden; denn er würde einen weit größern Vorteil in seinem Vaterlande gehabt haben, wo nur wenige Ärzte anzutreffen sind und wo folglich die Praxis weitläuftiger und einträglicher ist. Er hatte auch in Paris eine Person geheiratet, welche weder reich noch von vornehmen Stande war. Ich habe aber allemal bei ihm, seiner großen Gelehrsamkeit ungeachtet, eine große Einfalt wahrgenommen. Er hatte ein Gemüt, welches sehr leicht durch äußerliche und geringe Dinge konnte eingenommen werden, und desfalls war es den dortigen Lockvögeln um soviel leichter, ihn in ihr Netz zu ziehen. Er gestand es selbst, daß er durch die Kontroversien bekehrt worden, welche alle Sonntage und Festtage in der Kapelle der Kirche des heiligen Sulpicius pflegen öffentlich abgehandelt zu werden, da ein Prediger von dem Könige zu dem Ende eine Besoldung erhält, daß er die Lehrsätze der katholischen Kirche gegen einem jeden, der solche angreift, verteidige. Ich habe diesem Streite öfters beigewohnet und gestehe, daß diejenigen, welche nicht wohl gesetzt sind, leicht dadurch können gefangen und irregemacht werden. Denn da dieser Priester durch die beständige Übung sich im Disputieren eine große Fertigkeit erworben hatte, so fiel es ihm nicht schwer, diejenigen zu besiegen, welche ihm widersprachen. Er wußte die Gründe, welche sie gegen ihn vorbrachten, so künstlich herumzudrehen und so lächerlich vorzustellen, daß alle Zuhörer so laut lachten, daß man es in der ganzen Kapelle und Kirche hören konnte, so daß man hier eher ein Schauspiel als eine heilige Übung hätte vermuten sollen. Überdem waren diejenigen, welche ihm Einwürfe machten, entweder ungelehrte Leute, mit denen er bald fertig werden konnte, oder selbst katholisch, welche ihm gerne recht gaben. Und welcher Sieg ist doch leichter, als wenn sich niemand widersetzt?

Wenn sonst niemand zugegen war, der mit dem Geistlichen anbinden wollte, so trat ein Schuhflicker gegen ihn auf. Diesen wußte der Priester, welcher in dergleichen Dingen sehr geübt war, auf eine seltsame Art abzufertigen und ihn zu den abgeschmacktesten Schlüssen zu bringen. Unter unsern Schuhflickern dürfte man wohl wenige antreffen, welche mehr als ihr Handwerk verstehen. Aber dieser war so ungelehrt nicht. Bisweilen verteidigte er sich mit Sprüchen der Schrift, bisweilen berief er sich auf die Kirchenväter und bisweilen entlehnte er seine Einwürfe aus der Kirchenhistorie. Ich leugnete im Anfange, daß dieser Opponent ein Schuhflicker sei, und man konnte mich auch nicht eher überzeugen, bis man mich zu seiner Bude führte, worin unser Philosoph saß und Schuhe flickte. Sollte man wohl von einem Polyhistor eine weitläuftigere Wissenschaft fordern können? Vielleicht trifft man bei uns ebensogute Schuhflicker an, die ihr Handwerk ebensogut verstehen, aber eine solche Gelehrsamkeit dürfte man auch bei dem größten Schuster in unsern Gegenden vergebens suchen. Die andern, welche sich mit dem Geistlichen einließen und ihm widersprachen, waren Leute von ebenderselben Beschaffenheit, desfalls betrat er allemal mit Freuden die Katheder, weil er des Sieges immer vorher gewiß versichert war.

Zu ebenderselben Zeit gegen den Herbst langte ein dänischer Student in Paris an. Dieser faßte den Entschluß, mit dem katholischen Geistlichen anzubinden, weil er in theologischen Strittigkeiten ziemlich geübt war. Weil man aber nur französisch zu disputieren pflegte und der Student sich in dieser Sprache nicht fertig ausdrucken konnte, so ward ich als ein Herold ausgesandt, den Krieg ordentlich anzukündigen und zugleich Nachricht einzuziehen, mit was für Waffen man streiten wolle und ob es nicht erlaubt sei, lateinisch zu disputieren. Der Priester ließ sich dieses gefallen und setzte einen gewissen Tag feste, da sie zusammenkommen wollten. Sie fingen demnach beide den Streit an und erneuerten denselben nachher wieder an verschiedenen Orten mit abwechselnden Glücke. In dem ersten Treffen, welches an dem gewöhnlichen Orte in der Kapelle gehalten ward, siegte der Däne. Der Priester verließ mit großem Eifer sein Katheder und forderte den Studenten an einem andern Orte der Stadt zu einem neuen Zweikampf aus. Aber mit dem Orte veränderte sich auch das Glücke. Denn da der Geistliche, welcher bisher nur mit solchen Personen gestritten hatte, die er leicht übersehen konnte, wahrnahm, daß er mit einem stärkern Gegner zu tun habe, so nahm er sich sehr in acht und disputierte nicht nur ordentlicher und gelehrter, sondern er redete auch besser Latein. Der Fehler des Studenten bestand hauptsächlich darin, daß er in der Kirchenhistorie nicht so sehr als in der Polemik erfahren war. Denn sobald sich der Priester in die Enge getrieben sähe, so führte er seinen Gegner in die Kirchenhistorie als in einen Labyrinth, woraus dieser sich nicht wieder zurechtefinden konnte. Der Krieg aber ward doch durch diese beide Feldschlachten nicht geendiget. Sie machten zwar bisweilen einen Stillstand, aber es kam niemals zu einem völligen Frieden. Denn der Krieg ging zwischen ihnen beiden zu verschiedenen Malen von neuen an und ward mit abwechselnden Glücke geführet. Es würde viel zu weitläuftig fallen, wenn ich alle kleine Streifereien und die geringen Treffen, welche sie miteinander hielten, hier erzählen wollte. Ich will vielmehr nur noch zwo merkwürdige Feldschlachten anführen, in der einen büßte der Geistliche sehr viel ein. Es entstand ein Streit unter ihnen wegen einen Partikel, die in der Vulgata durch denn ausgedruckt worden, im hebräischen Grundtext aber soviel als und bedeutet. Der Student berief sich auf den Grundtext, und wie er merkte, daß der Priester darin ganz unerfahren war, so ließ er denselben nicht los, sondern führte ihn, alles Widerstandes ungeachtet, nach dem gelobten Lande, worüber aber der Priester dergestalt erschrak, daß er nichts darauf zu antworten wußte, sondern einen andern Gegner aufforderte. Aber das letzte Treffen fiel schlecht für den Studenten aus, da die Frage war: Wem es zukomme, die Schrift zu erklären? Wie der Geistliche damals von der Katheder stieg, so sahen ihn die Pariser ebenso an wie die Karthaginenser nach der Schlacht bei Cannas den Hannibal. Wenn der Student in der Kirchenhistorie besser wäre erfahren gewesen, so hätte er seinen Gegner mit seinen eignen Waffen bekriegen können. Er hätte ihm nur die Unbeständigkeit der römischen Kirche vorwerfen und ihm zeigen können, wie sehr die Canones, die auf den Conciliis festgesetzt worden, miteinander streiten. Denn durch solche Gründe kann man die Papisten am besten widerlegen. Aber unsere jungen Geistlichen üben sich nur in der Polemik und versäumen die Kirchengeschichte, welche Nachlässigkeit öfters den Weg zum Abfall bahnet. Die Papisten pflegen insgemein diese Frage, welche vielen Schein hat, aufzuwerfen. Da die Schrift so verschiedentlich erklärt und auf diese Art von den allgemeinen Conciliis, auf eine andre Art aber von einem wittenbergischen Mönchen ausgelegt wird, welchen Weg soll man nun erwählen als den sichersten? Wenn jemand in der Kirchenhistorie sich nicht umgesehen hat, so wird ihm ohnstreitig die Erklärung die sicherste und beste zu sein scheinen, welche von so vielen und fast von der ganzen christlichen Welt angenommen worden. Ein ganz andres Urteil aber wird derjenige fällen, dem die Betriegerei der Geistlichen, die Unbeständigkeit und schlechte Beschaffenheit der Concilien und die Gewalt, welche sich die Päpste dabei angemaßet haben, aus der Kirchengeschichte bekannt ist.

Diese Ausschweifung ist fast gar zu lang geraten, es ist Zeit, daß ich zu meiner eignen Geschichte zurückekehre. Ich merkte, daß mein Stipendium von hundert Reichstalern in Paris nicht hinreichen würde, und desfalls war ich in dem ersten Monate sehr besorgt, weil ich nach gemachten Überschlag nicht wußte, auf was für eine Art ich mich aus diesen bedrängten Umständen reißen sollte. Man mußte alles sehr teuer bezahlen, nur die Gelehrsamkeit konnte man um ein geringes kaufen, weil beinahe alle Gelehrte im ganzen Reiche nach Paris als dem Mittelpunkte des Landes sich begeben, wodurch die dortige hohe Schule mit Gelehrten recht beschweret ist. Man siehet allenthalben ganze Scharen von Rektoribus, Grammaticis und Juristen, welche für ein gar geringes Geld die Jugend unterrichten und insgemein Repetiteurs genannt werden. Einer unter diesen war mein vertrauter Freund. Von demselben erfuhr ich, daß Paris kein Paradies der Gelehrten sei, sondern daß dieselben an diesem Orte sehr elend leben müßten. Er war in der Arzneikunst wie auch in dem geistlichen und weltlichen Recht nicht unerfahren. Dennoch aber erwies er durch sein Beispiel, daß das Sprüchwort auch seine Ausnahme leide, wenn es heißt:

Dat Galenus opes, dat Justinianus honores. Dat Galenus opes ...: Als Arzt wird man reich, als Jurist ein angesehener Mann (neulateinisch, wörtlich: Galenus [der berühmte Arzt, hier gewissermaßen der Patron der Mediziner] gibt Reichtum, Justinian [der Kaiser, unter dem das Corpus Juris abgeschlossen wurde] bringt Ehren).

Denn es war zweifelhaft, ob er ärmer oder gelehrter war. Dieses muß man den Einwohnern von Paris zugestehen, daß sie die Gelehrsamkeit nicht nach dem Barte oder nach den groben Kleidern beurteilen, wie wohl ehedem zu geschehen pflegte, sondern derjenige ist nach dem Urteile des gemeinen Mannes der gelehrteste, der am meisten geputzt ist, da im Gegenteil derjenige, der schlecht oder unsauber einhergehet, als sehr ungeschickt und ungelehrt angesehen wird. In dem Hause, worinnen ich wohnte, hielt sich auch ein Zahnarzt auf, welcher aber mit seiner Kunst nichts verdiente, weil er sehr sparsam und genau lebte. Wie er aber nachher die Gemütseigenschaft der Nation kennenlernte, so schaffte er sich einen kostbaren Wagen an und lebte prächtig, wodurch er sehr viel Geld erwarb. So schwer hält es, daß man den gemeinen Mann in Paris dahin bringe, daß er glaube, was Cäcilianus sagt:

Saepe est etiam sub pallio sordido sapientia. Saepe est etiam ...: Oft birgt sich auch unter dürftigem Gewand ein weiser Sinn. (Caecilius Statius, Fragm. v. 266)

Mein Wirt, der ein Schneider war, ging stets sehr geputzt und nett und gab mir, wie ich mich nach der Ursache seiner Aufführung erkundigte, zur Antwort: Wenn ich mich nicht so sauber kleidete, so würde man mich für einen schlechten Arbeiter halten.

Es ist bereits sowohl von alten als neuen Scribenten bemerkt worden, daß die Einwohner in Paris vor allen andern darin etwas besonders haben, daß sie sich durch Kleinigkeiten, welche in die Augen fallen, so leicht einnehmen lassen, desfalls sie auch von ihren eigenen Landsleuten, welche umher in den Provinzen wohnen, les Badaux de Paris genannt werden. Denn obgleich Paris, wenn man auf die Menge der Einwohner sieht, allein eine kleine Welt ausmacht, ob man gleich dorten wie auf einem Sammelplatze alles antrifft, was der Fleiß und Hochmut, die Verschwendung und Eitelkeit der Menschen zuwege bringen kann, ja, obgleich Paris eine der fruchtbarsten Städte an Veränderungen und Abwechslungen ist, die man sich nur jemals vorzustellen vermögend ist: So kann doch nicht das allergeringste vorgehen, daß nicht gleich die ganze Stadt in Bewegung gesetzt wird und alle mit der größten Geschwindigkeit nach der Türe eilen, um das zu sehen, wesfalls unsre Bauren kaum einen Fuß aus dem Hause setzen würden. Aus dieser Ursache kann auch die Obrigkeit, welche das Naturell ihrer Bürger genau kennet, dieselben durch allerhand lächerliche Aufzüge zu allem, was sie wünschet, bewegen und dadurch in dem Gehorsam erhalten. Selbst in ihrem Aufruhre zeigen sie etwas Lächerliches. Auch die Ernsthaftesten werden die Historie der Schleuderer nicht ohne Lachen lesen können, welche alles und auch sogar ihr Brot wie eine Schleuder machen lassen. Ebenso lächerlich war der Aufruhr, der zu den Zeiten Clemens' des Eilften wegen der berüchtigten Konstitution entstand, da sich die Parteien durch verschiedene Bänder, die sie à la Constitution oder à la Regence nannten, voneinander unterschieden und dadurch anzeigen wollten, daß sie entweder zu der Partei des Papstes oder des Regenten gehörten. Manchmal ist ein Aufruhr durch die allergeringsten Dinge gedämpft worden, von dem man vorher besorgte, daß er den Untergang des gemeinen Wesens nach sich ziehen würde. Dieses war dem Kardinal Retz sehr wohl bekannt. Wenn die Bürger sich versammlet hatten und in der äußersten Bewegung waren, so pflegte er zu sagen, sie würden schon auseinander gehen, wenn die Zeit käme, daß sie speisen oder spazieren sollten, denn diese Stunden versäumen die Pariser nicht gerne. Sie nennen dieses mit einem eignen Namen, se Jesheurer.

Ich habe bereits vorher erwähnt, daß der Jurist, mit welchen ich in Paris eine vertraute Freundschaft aufgerichtet, mir den Zustand der Gelehrten so kläglich abgeschildert, daß bei mir alle Hoffnung verschwand, etwas durch das, was ich gelernet hatte, zu verdienen. Doch gab er mir zugleich sehr gute ökonomische Regeln. Ich hatte mein Zimmer in der Vorstadt St. Germain genommen, welche Gegend der Stadt den Fremden am bequemsten ist, da sie nahe bei dem Schlosse, dem Rathause, dem Opernhause und den öffentlichen Gärten liegt. Und aus dieser Ursache pflegen diejenigen, welche sich bloß ihres Vergnügens halber in Paris aufhalten, diese Gegend allen andern vorzuziehen. Man trifft auch deswegen hier die erfahrensten Wirte an. Hingegen die Franzosen selbst, welche aus den Provinzen nach Paris kommen, erwählen lieber die Gegend der Stadt, welche die Universität genannt wird, wo alles wohlfeiler, die Luft mehr gereinigt und das Wasser gesunder ist. In der Vorstadt St. Germain muß man Flußwasser trinken, welches zwar denen Einwohnern selbst keinen Schaden tut, aber den Fremden sehr ungesund ist. Denn diese werden insgemein, ehe sie sich dazu gewohnen, am Fieber oder auch an der Diarrhee krank, welches man in Paris nennt, den Schatz bezahlen oder hänseln. Ich lag einen ganzen Monat an der Diarrhee krank, mein einziger Trost aber bestand darin, daß alle Fremde mit mir ein gleiches Schicksal erfahren mußten.

Mit der Zeit ward ich in der Haushaltungskunst so erfahren, daß ich meinen Lehrmeister selbst darin übertraf. Wenn nachher ein Däne oder Norweger nach Paris kam und sich wegen solcher Umstände bei dem Bibliothecario Bormann, dessen ich bereits oben erwähnt, erkundigen wollte, so wies er denselben mit diesen Worten zu mir: Da habt ihr einen Landsmann, welcher die parisische Ökonomie weit besser als ich verstehet.

Wie ich die Vorstadt St. Germain verließ, so erhielt ich ein Zimmer nahe bei der Sorbonne für einen sehr geringen Preis. Diese Gegend ist ganz mit armen Studenten, teils Franzosen, teils katholischen Irländern angefüllt. Mit diesen letztern geriet ich leicht in Bekanntschaft, weil ich Englisch konnte. Unter denen, mit welchen ich umging, befanden sich auch Minister und Räte des St.-Georg-Ordens; ihr Umgang aber war mir gar nicht kostbar, weil ihr Adel, nicht aber ihre Reichtum sie allein von dem gemeinen Volke unterschied. Sie waren auch gar nicht hochmütig. Ein Glas Bier und eine Pfeife Tobak verschmäheten sie nicht, und in Ermangelung andrer Confituren konnte man ihnen dieses ohne Bedenken vorsetzen. Wie ich einmal von einem adelichen Irländer zur Hochzeit geladen ward, so bestand das ganze Gastmahl in Käse, verschimmelten Brot und schlechten Wein, mehr war nicht vorhanden. Die Nebengerichte waren Küsse, denn wir küßten alle die neue Braut, auch sogar in der Kirchen, welches bei den Irländern gebräuchlich ist. Mir aber gefiel diese Gewohnheit nicht. Denn unsre Braut war so beschaffen,

quali per medium nolis occurrere noctem. quali per mediam ...: ... daß man um Mitternacht so jemand nicht begegnen möchte. (Juvenal, Satiren V, 54)

Die meisten Irländer, welche sich in Paris aufhalten, leben von öffentlichen Geldern, weil sie kein Bedenken tragen zu behaupten, daß sie wegen der Religion ihr Vaterland verlassen haben. Sie reden alle von großen Mitteln, von ihrem hohen Stande, welche Vorzüge aber von ihnen der Religion wegen willig verlassen worden. Übrigens aber kann man sie durch ihre Aufführung im geringsten nicht von dem gemeinen Manne unterscheiden, wenn man den Hochmut allein ausnimmt, womit sie geplagt werden. Ihre Lebensart ist so grob und gemein, daß ich mich mit der Zeit ihres Umgangs gänzlich entschlug und die Freundschaft der Franzosen wieder suchte. Denn ob solche gleich sehr leichtsinnig und unbeständig sind, so zwingen sie doch einen jeden durch ihr angenehmes Wesen, daß man sie wider seinen Willen lieben muß. Wie aber keine Regel so feste ist, daß sie nicht ihre Ausnahme haben sollte, so bemerkte ich auch noch bei einigen Franzosen gewisse Überbleibsel der alten Grobheit. Denn es schien, als wenn diejenigen, welche mit mir in einem Hause wohnten, die französische Artigkeit ganz verbannt hätten. Sie waren alle hypochondrisch und mürrisch, bis auf die Wirtin, aber dieser Fehler ward durch einen sehr redlichen und aufrichtigen Umgang reichlich wieder ersetzt. Weil ich selbst hypochondrisch bin, so glaubte ich, daß ich durch eine magnetische Kraft in dieses Haus gezogen worden, wo ich alles fand, was meinem Sinne und Wunsche in der ganzen Stadt gemäß war. Wenn man ein Verzeichnis von denen hypochondrischen Personen in ganz Paris hätte machen wollen, so würde man nicht so viele in den allergrößten Gassen der Stadt als in diesem Hause allein angetroffen haben. Unter allen war keiner ärger und mürrischer als ein Studiosus theologiae, welche dorten alle Abbé genannt werden. Er war aber ehrlich, aufrichtig und ein sehr treuer Freund seiner Freunde, daß man ihm alles sicher und ohne das geringste Bedenken übergeben konnte. Ich faßte auch daher ein solches Vertrauen zu ihm, daß ich alles, was ich hatte, bis zu meiner Wiederkunft in seine Hände gab, da ich nach Italien reisete.

Kurz darauf kamen viele von meinen Landsleuten in Paris an. Der erste, den ich sahe, war Michael Rög, ein vortrefflicher Medaillist. Er hatte nebst mir die Schule zu Bergen besucht, und der berühmte Lintrup hatte ihn würdig befunden, daß er die hohe Schule in Kopenhagen mit Nutzen besuchen konnte, wo er sich auch eine Zeitlang aufhielt. Nicht lange darauf aber verließ er das Studieren und legte sich auf diese Kunst, worin er innerhalb einer kurzen Zeit der beste Meister bei uns geworden. Wie er nach Paris kam, so legte er seine Probe ab und ward in königliche Dienste aufgenommen. Nach ihm kamen noch mehrere von meinen Landsleuten, und desfalls hörte ich völlig auf zu philosophieren.

Ich war nunmehr anderthalb Jahr in Paris gewesen und war nicht damit vergnügt, daß ich Frankreich, Deutschland, Holland und England gesehen, sondern ich hatte eine große Begierde, noch mehrere Länder zu sehen. Die Lust, außerhalb Landes und immer weiter zu reisen, vergrößert sich allezeit mehr und mehr und hält ebensowenig Maße, als derjenige sich halten kann, der von einem steilen Berge herabläuft. Ich hörte von einem französischen Studenten, daß eine Reise von Paris nach Rom nicht mehr koste als zwanzig Reichstaler. Dieses war mir eine überaus angenehme Nachricht, und nachdem ich mir alle Umstände von ihm erzählen lassen, so konnte ich mich dieser Gedanken nicht mehr entschlagen. Auf der einen Seite hatte ich mit der Lust zu kämpfen, auf der andern aber stund die Vernunft und widerriet mein törichtes Unternehmen. Hier machten mich mein schwacher Körper, mein geringes Vermögen, Banditen, Seeräuber, Staub und Hitze unruhig. Dort aber winkte mir die eitle Ehre, wodurch die Menschen, und insonderheit meine Landsleute, angetrieben werden, daß sie kein Bedenken tragen, außerhalb Landes zu reisen, um dasjenige zu sehen, was sie mit viel geringerer Gefahr in ihrem eignen Vaterlande ebensogut sehen könnten. Ich stritte eine lange Zeit mit mir selbst, endlich ward dennoch die Vernunft durch die Lust überwunden, und ich faßte den Entschluß, die Reise anzutreten. Dieses gab Anlaß zu dem Gerüchte, welches man in meinem Vaterlande von mir ausstreuete, daß ich meine Religion verändert hätte und niemals wieder zurückekommen würde.

Im Anfang des Augustmonats ging ich mit einer Schoyte gerade nach Auxerre. Die Einwohner dieses Orts scheinen sehr andächtig zu sein. Denn die Bildsäule des heiligen Christoph, welche man hier siehet, ist weit größer als die Bildsäule dieses Heiligen zu Paris, obgleich diese auch so groß ist, daß ein Altar zwischen den Beinen stehet, worauf die Katholiken in der Marienkirche Messe halten. Beide Städte verehren den heiligen Christoph mit großer Andacht, welches aus den größten Statuen erhellet, die sie ihm zu Ehren errichtet haben. Doch gehöret Auxerre in diesem Stücke der Vorzug. Diese ganze Reise kostete mir nicht mehr als fünf oder sechs Gulden, da doch Paris und Auxerre einige Tagreisen voneinander entfernt sind. Dieses aber war mir am beschwerlichsten, daß wir auch des Nachts fahren mußten, denn unter so vielen Reisenden kann man niemals zum Schlaf gelangen. Einige lehnten sich an die Wand, einige lagen einander auf die Arme, einige steckten die Köpfe zusammen, und es schien mehr, daß sie schliefen, als daß sie wirklich schlafen sollten. Dennoch legte ich diese Reise nicht ohne Vergnügen ab. Denn das Ufer ist allenthalben mit Wäldern oder Feldfrüchten besetzt, hin und wieder sind auch einige Städte an diesen Flüssen gebauet, welcher Anblick dem Auge eine angenehme Veränderung macht, und endlich fehlte es auch nicht an allerhand Scherz und lustigen Historien. Ich sahe, daß der größte Teil meiner Reisegefährten den Entschluß faßte, zu Fuße weiterzugehen. Ich folgte ihren ruhmwürdigen Fußstapfen nach, welches mir auch am dienlichsten war, und ging zu Fuß nach Chalons in Burgund. Auf dieser Reise brachte ich sechs Tage zu. Ich erwählte zu meinen Reisegefährten diejenigen, welche ich für die besten und aufrichtigsten ansahe. Aber ich ward sehr betrogen und befand, daß der Poet wahr gesagt:

Nimium ne crede colori. Nimium ne crede ...: Verlaß dich nicht zu sehr auf den äußeren Schein. (Virgil, Eclogen II, 17)

Denn unter diesen dreien Reisegefährten war nur ein einziger befindlich, der ehrlich und wohlgesittet war, dem ich aber im Anfang gar nichts Gutes zutrauete. Die andern beiden waren nichtswürdige Leute. Auf der Reise hörte ich nichts anders von ihnen als Lügen und ein unzüchtiges und unnützes Geschwätze, wodurch sie hinlänglich zu erkennen gaben, zu was vor einem herrlichen Leben sie müßten gewohnt sein. Übrigens war ihre Aufführung nicht ganz ungeschickt, sondern sie hatten noch etwas Artiges im Umgange aus Paris an sich. Einer von ihnen versicherte sehr hoch, daß er mehr als zwanzig Maitressen von vornehmen Stande herrechnen könne, mit denen er in Paris sehr vertraut umgegangen. Der andere gab uns von einigen neuen, und wie er sie nannte, sehr klugen und noch nicht gemeinen Eidschwüren Nachricht, die er in Paris gelernet und die in denen Provinzen noch nicht gebräuchlich wären. Ob sie gleich der päpstlichen Kirche zugetan waren, so fand ich doch, daß die Verehrung der Heiligen ihnen nicht sonderlich zu Herzen ging. Denn da wir mitten in Burgund waren, überfiel uns ein so heftiger Platzregen, daß wir in eine Bauerhütte, die wir auf dem Wege antrafen, fliehen mußten. Hier erzählte uns ein altes Weib, daß die Einwohner diesen Regen durch eine feierliche Prozession von einem gewissen Heiligen, der ein Patron des Orts war, erbeten hätten. Wie aber die Frau dieses mit aufgehobenen Händen sagte, so ward einer von meinen Reisegefährten, der am Feuer stand und seine Kleider trocknete, darüber so erbittert, daß er derselben im Zorn antwortete: Que le diable vous emporte avec votre bougre de Saint. Ich hörte sonst auch von ihnen, daß sie die meisten Heiligen absetzen würden, wenn man ihnen zuließe, eine Reformation unter denselben vorzunehmen. Aber den Patriarchen Noah würden sie sich zum Patron wählen, weil er die Kunst erfunden, Weinberge anzulegen. Nichtsdestoweniger fielen sie doch alle Abend, ehe sie zu Bette gingen, auf die Knie und beteten sehr andächtig. Sie wunderten sich, daß ich nicht ein Gleiches tat. Ich aber bewunderte die Verwegenheit dieser gottlosen Leute noch weit mehr, welche ein so ruchloses Leben führten und sich doch nicht scheueten, sich so oft vor dem Angesichte Gottes einzustellen. Der dritte von meinen Gefährten war ein Apotheker aus Lyon, welchen ich als meinen Schutzgeist ansahe. Denn wenn derselbe bei mir war, so befürchtete ich nichts, weil er mir aufs verbindlichste die Versicherung gegeben hatte, daß er mir auf alle Art dienen wollte, und wenn die andern Strittigkeiten anzufangen Lust bezeugten, so hätte er Kräfte und Mut genug, es mit beiden aufzunehmen. Wie ich aber einmal des Abends des rechten Weges verfehlte, so büßte ich zugleich meinen Patron ein und war gezwungen, mit dem andern gottlosen Menschen durch die engen Wege zu gehen, worauf mich derselbe geführt hatte. Wie ich dieses merkte, so geriet ich in eine große Angst.

Obstipui, steteruntque comae, vox faucibus haesit. Obstipui, steteruntque ...: Ich fuhr zurück, die Haare standen mir zu Berge, die Stimme blieb mir in der Kehle stecken. (Virgil, Aeneis II, 774, III, 48)

Sobald er aber meine Furcht wahrnahm, so fing er an, mich mit allerhand Scheltworten zu belegen und mir zugleich mit dem Degen, an welchem er öfters die Hand legte, zu drohen. Hiedurch ward meine Angst verdoppelt, ich sahe mich nach der Flucht um, aber ich sahe keine Gelegenheit, zu entfliehen, da ich wußte, daß er schneller laufen konnte und stärker als ich war. Wie er aber mit seinem Degen ohne Unterlaß ins Gebüsche hauete und dadurch einen Ausgang suchte, so verlor er denselben in dem Gesträuche. Er ward durch diesen Verlust noch mehr erbittert, mir aber gereichte dieser Zufall zu einem großen Troste. Ich verbarg aber meine desfalls geschöpfte Freude auf alle Art und stellte mich vielmehr, als wenn mir dieser Zufall sehr zu Herzen ginge. Ich suchte dem Schein nach ebenso sorgfältig als er in dem Gesträuche, um den Degen wiederzufinden, ob ich gleich sehr erfreuet war, daß er denselben verloren, und ich es am liebsten gesehen hätte, wenn er ganz nackend gewesen wäre. Ich suchte den Degen sehr lange oder stellte mich vielmehr, als wenn ich ihn suchte, denn wenn ich ihn gleich gefunden hätte, so würde ich denselben doch meinen Gefährten nicht wiedergegeben haben, da er mich vor kurzer Zeit mit demselben gedrohet hatte. Endlich trafen wir ohngefähr einige Bauren an, welche uns wieder auf den rechten Weg brachten. Wir trafen endlich unsere andern Reisegefährten in einem Wirtshause wieder an. Ich erzählte dem Apotheker das Unglück, welches mir inzwischen begegnet war, und wir faßten im Anfange den Entschluß, allein unsre Reise fortzusetzen. Weil wir aber nur vier Meile von Chalons entfernet waren, so verbargen wir unsern Verdruß und blieben in ihrer Gesellschaft. Von Chalons reiseten wir mit einer Schoyte nach Lyon.

Auf dieser Reise hatte ich nebst meinen andern Reisegefährten ein großes Vergnügen an einem Abte, welcher ein eifriger Cartesianer und in der lateinischen und griechischen Literatur sehr wohl erfahren war. So große Wissenschaft er aber auch besaß, so grob und ungeschickt war seine Aufführung. Er konnte mit niemanden Frieden halten und ward deswegen auch von allen wieder angegriffen. Ich ruhete einige Tage zu Lyon aus, welche Stadt an Größe, Zierde und schönen Gebäuden keiner Stadt in Frankreich als Paris etwas nachgibt. Es schien, als wenn ich in eine neue Welt gekommen wäre, so sehr sind die Einwohner in Lyon von denen andern Franzosen in dem nordlichen Teil Frankreichs in Absicht auf die Sprache, Lebensart und Sitten unterschieden. Die Stadt war damals wegen des Todes Ludwig des Vierzehenten in großer Bestürzung, und wie insgemein die Todesfälle großer Herren durch wunderbare Begebenheiten pflegen vorher verkündiget zu werden, so bildete sich auch damals der Pöbel in Lyon ein, daß der Geist des Königs hin und wieder erschienen sei. Ich konnte aber nicht alles, was sie sagten, verstehen, weil ich das Gaskonische, was sie redeten, nicht verstand. Diese Sprache ist aus der italienischen und spanischen zusammengesetzt und ist also keiner von beiden vollkommen ähnlich, weil sie von beiden etwas angenommen hat. Zum Exempel: anstatt lieu und poule sagen die Gaskonier lega und gallina; und aus dieser Ursache können auch die übrigen Franzosen sie nicht verstehen. Von Lyon ging ich mit einer Schoyte nach Avignon. Diese Reise ist sehr bequem. Denn sie bedienen sich keiner Treckschoyten, sondern sie gehen allein mit dem Strome nieder über die Rhone. Der Strom ist zu gewissen Zeiten so stark, daß das Schiff leicht Schaden nehmen kann, wenn nicht ein verständiger und erfahrner Steuermann am Ruder sitzet. Denn das Schiff will sich bisweilen durch das Ruder nicht regieren lassen. Wir legten also diese vierzig gaskonische Meilen ohne Segel und Ruder in zwei Tagen zurücke, und daher rührt es, daß man kaum mit aller Macht wieder hinaufkommen kann, wenn der Strom stark niedergehet. Nun waren nur noch siebzehn Meile durch Provence übrig. Diesen Weg ging ich mit dem größten Vergnügen. Denn man trifft daselbst mehrere Städte als Dörfer an. Das Feld ist mit Korn, Wiesen, Weinbergen und kleinen Wäldern allenthalben angefüllet, daß es scheint, als ob man stets in einem Garten ginge. Und daß ich alles kurz zusammenfasse, ich habe niemals ein Land gesehen, welches fruchtbarer und angenehmer gewesen wäre als dieses. Wie ich aber auch diesen Weg zurückgelegt hatte, so stellte ich mir mein törichtes Unternehmen recht lebhaft vor Augen, daß ich mich durch eine blinde Lust so sehr hinreißen lassen und mich einer so großen Gefahr und so vieler Beschwerlichkeit unterworfen. Mein Gemüt aber ward bald wieder beruhiget, da ich mir vorstellte, daß ich das Schwerste bereits überwunden und daß ich in einer kurzen Zeit über alles, was mir etwa noch bevorstünde, würde gesiegt haben. Überdem gefiel es mir zu Marseille sehr gut, woselbst ich vieles sahe, was ich vorher noch niemals gesehen hatte und wodurch meine Neugierde sehr gereizt ward. Ich sahe daselbst verschiedene orientalische Nationen, eine große Menge Galeeren und viele christliche und türkische Gefangene, welche das Eisen, so ihnen entweder an die Hände oder Füße geschmiedet war, durch die Stadt schleppten. Dieser Anblick sollte einem billig Tränen auspressen, bei mir aber erweckte er eine Art des Vergnügens, weil ich solches vorher noch niemals gesehen hatte.

Außer den Galeeren war der Hafen auch mit andern Schiffen angefüllet, die segelfertig lagen und nach Konstantinopel, Smyrna, Alexandrien und andre Städte an dem mittelländischen Meere abgehen wollten. Der bloße Anblick des mittelländischen Meeres erweckte in mir eine besondere Freude, weil mich dünkte, ich sei in einer kurzen Zeit in eine neue Welt gekommen. Außerhalb der Stadt auf dem Felde sollte man im Anfange fast glauben, als wenn viele Städte beieinanderlägen. Denn die Dörfer sind an einigen Orten in einer sehr geringen Entfernung voneinander angelegt, an andern Orten aber liegen sie ganz nahe beisammen. Insonderheit gefiel mir der Ort, wo sich die Kaufleute zu versammlen pflegen und den die Einwohner les loges nennen, sowohl wegen des prächtigen Gebäudes, als auch wegen der großen Anzahl der daselbst befindlichen Kaufleute, welche in Absicht auf die Sprache und Sitten mit den übrigen europäischen nicht übereinstimmen, doch schienen mir die Einwohner an diesem Orte nicht so umgänglich und wohlgesittet zu sein als die andern Franzosen. Aus dieser Ursache pflegen auch die Italiener, welche den Städten gewisse Beinamen geben, diese Stadt Marsigli la brutta zu nennen.

Da ich mich acht Tage zu Marseille aufgehalten hatte, ging ich zu Schiffe nach Genua. Man kann in den Hafen zu Marseille nicht gut hineinkommen, und es fällt ebensoschwer, wenn man aus demselben wieder hinaus ins Meer will. Denn man muß gleichsam in einem Kreise segeln, ehe man in die offenbare See kommen kann. Je beschwerlicher es aber ist, in diesen Hafen zu kommen oder auch aus demselben wieder in die See zu gelangen, desto sicherer liegen auch die Schiffe in demselben. Denn die Macht der Wellen wird allemal vorher gebrochen, ehe sie in den Hafen dringen, und wenn es in der See am stärksten stürmt, so merkt man im Hafen nur sehr wenig davon. Ich übergehe alles, was uns auf dieser Schiffahrt begegnete, wie oft wir guten Wind gehabt und wie oft uns derselbe entgegen gewesen. Denn ich besorge, daß ich durch die auf den Schiffen gebräuchliche Redensarten, Südwest, Nordost etc., Ihr zärtliches Gehör beleidigen möchte. Dieses einzige will ich nur anführen, daß ich auf dieser Reise durch ein Fieber sehr angegriffen ward. Es ist sehr glaublich, daß ich mir solches dadurch zugezogen, daß ich gar zu viele Trauben gegessen, denn daher entstehet die meiste Zeit ein Fieber, in Sonderheit, wenn die Trauben noch unreif sind. Das Fieber nahm so sehr überhand, daß ich acht Tage in der Kajüte des Schiffers zubringen mußte. Meine andern Reisegefährten aber traten öfters ans Land, sich zu erfrischen. Wie sie einmal vom Lande wieder an Bord kamen, so erzählten sie mir mit einem großen Gelächter, daß die Einwohner in einer gewissen Stadt in Ligurien eine ganz wunderliche Sprache redeten. Sie sagten mir auch verschiedene Wörter, die weder französisch noch italienisch waren. Zum Exempel Tosa, wodurch sie eine Magd anzeigten. Die Norweger pflegen noch heutiges Tages eine Magd Tosa oder Tausa zu nennen, und daher zweifelte ich nicht, daß dieses Wort der Goten und Langobarden an noch den Ursprung schuldig sei, wie verschiedene andre, z. E. Tosca, Stuffo, Stalla, Stivali etc.

Wie ich nach Genua gekommen war, so hoffte ich, durch Hülfe einiger Arzneien in kurzer Zeit von meinem Fieber befreiet zu werden. Aber meine Krankheit nahm sosehr zu, daß ich gezwungen ward, das Bette zu hüten. Gleich darauf aber verwandelte sich mein Fieber in ein Quartanfieber, und man sagte mir in Genua, daß solches den ganzen Winter durch anhalten würde. Wenn man im Sommer mit dem Fieber befallen wird, so verwandelt sich dasselbe gegen den Herbst allemal in ein Quartanfieber und währet den ganzen Winter durch, welches Juvenal bereits zu seinen Zeiten durch diese Worte bemerkt hat:

Autumno quartanam sperantibus aegris. Autumno quartanam ...: ... im Herbst, wenn die Kranken das Viertagefieber erwarten. (Juvenal, Satiren IV, 57)

Ich würde mit Geduld diesen harten Zufall überstanden haben, wenn mir derselbe nur in einem andern Lande als Italien und in einer andern Stadt als Genua begegnet wäre. Denn an diesem Orte mußte ich erfahren, daß die Gottesfurcht, Barmherzigkeit und andere christliche Tugenden bei den Wirten niemals einen Eingang gewonnen. Denn wenn sie von den Italienern selbst Genti senza fede genannt werden, so können sie gewiß von andern keinen bessern Ruhm erwarten, ja da die Genueser selbst die Wirte Raben nennen, so können die Fremden dieselben sicher mit dem Namen der Wölfe belegen. Mein Wirt war von eben einer solchen Gemütsart. Er rechnete nicht, wieviele Nächte ich bei ihm zugebracht, wie andere Wirte zu tun pflegen, sondern er zählte jede Stunde, da ich schlief, und wenn ich mich nachmittags aus Mattigkeit bisweilen auf das Bette warf, so forderte er für eine jede Stunde Geld und sagte: Tanto per la notta, e tanto per il giorno.

Endlich griff mich die Krankheit so stark an, daß ich an meinem Aufkommen zweifelte. Sie können leicht erachten, mein Herr, wie sehr ich meine törichte Reise werde bereuet haben, da ich in Paris den Winter sehr vergnügt bei meinen vertrauten Freunden hätte zubringen können. Hier lag ich ohne alle menschliche Hülfe, es war niemand vorhanden, welcher meinen sinkenden Körper durch seine Hülfe unterstützte, und ich hatte keinen Freund, der sich meiner Seele, die bereits auf ihrer Flucht begriffen war, annehmen und solche zu dem wichtigen Schritte, den sie tun sollte, bereiten konnte. Dennoch verbarg ich meine gefährliche Krankheit, soviel es nur immer möglich war, weil ich mich für die Mönche fürchtete, die durch ihr ungereimtes Geschwätze mich vollends mit leichter Mühe würden hingerichtet haben. Ich überließ demnach alles dem Höchsten und dessen Vorsehung; ich sprach mir selbst einen Mut ein und widerstand dem Kummer, so gut ich konnte, ich ertrug alles mit Geduld und verbarg meine Krankheit. Dieselbe ward auch wirklich dadurch, daß ich mich so hart hielte, nicht nur gebrochen, sondern das Glück schien mir auch wieder gewogener zu werden. Denn da ich einmal aus dem Fenster sahe und einen jungen Franzosen erblickte, so bat ich denselben, ob ich ihn gleich sonst nicht gar genau kannte, daß er zu mir kommen möchte, und stattete ihm von meinen Widerwärtigkeiten, die ich hier erduldet hatte, einen umständlichen Bericht ab. Er trug Mitleiden mit mir und sagte dem Wirte derbe Wahrheiten. Dieser aber blieb ihm nichts schuldig, wesfalls der Franzose so erbittert ward, daß er aus allen Kräften auf ihn zuschlug. Der Wirt ersetzte dieses nach äußersten Vermögen wieder, welches alles ich durch eine Ritze in der Türe mit ansahe. Wie endlich der Streit geendiget war, so kam der Franzose wieder in mein Zimmer und bat mich, daß ich meine Sachen zusammensuchen möchte, weil er mir eine andere Wohnung anweisen wollte. Wie ich auf eine so glückliche Art aus diesem Raubneste entwischt war, so erholte ich mich in meinem neuen Quartier in kurzer Zeit so sehr wieder, daß ich, wenn das Fieber etwas nachließ, ausgehen konnte. Ich bewunderte die prächtigen Gebäude dieser Stadt ungemein, welche ich weit schöner und herrlicher fand, als ich jemals gedacht oder als mir solche auch von andern beschrieben worden. In der Gasse, welche Strada nuova genannt wird, siehet man keine Häuser, sondern lauter Paläste. In den andern Straßen der Stadt, ob sie gleich mit der sogenannten neuen Gasse nicht können verglichen werden, trifft man dennoch auch sehr herrliche und prächtige Gebäude an, unter denen einige von Marmor aufgeführet worden und die man nicht ohne Erstaunen und ohne die größte Bewunderung sehen kann. In den meisten Kirchen sind die Wände und der Fußboden mit Marmor überzogen. In dieser Stadt hörte ich auch zum ersten Mal ein italienisches Konzert, da aber die Genueser in vielen Stücken wegen der Nachbarschaft mit den Franzosen übereinstimmen, so sind ihre Konzerte auch den französischen ähnlich, denn sie brauchen viele blasende Instrumente, welche bei den andern Italienern mehrenteils abgeschafft worden. In der Vokalmusik scheint es, als wenn sie weinen, so daß ich auch glaubte, wie ich dieses zum ersten Mal hörte, daß der Sänger von dem Direktor geschlagen worden und gezwungen sei, wider seinen Willen zu singen. Aber ich habe befunden, daß dieses an andern Orten in Italien ebenfalls geschiehet. Und deswegen ist das Sprichwort der Franzosen nicht aus Neid entstanden, wenn sie sagen: Die Italiener weinen.

Die Regierungsform zu Genua ist aristokratisch, und die Stadt wird durch den Adel regieret. Der Vornehmste im Rat wird der Doge genannt. Diese Würde bleibt nicht beständig bei einer Person, wie bei den Venezianern gewöhnlich ist, sondern sie wechselt ab. Zu der Zeit, wie ich in Genua war, legte eben ein Doge sein Amt nieder, und ein andrer ward wieder an des vorigen Stelle erwählt, welches alles aber mit so wenigem Geräusche vollzogen ward, daß an vielen Orten ein weit größerer Auflauf ist, wenn nur ein neuer Rektor auf einer Akademie erwählet wird. Die Genueser sind dergleichen Umstände bereits so sehr gewohnt, daß sie keinen Fuß aus der Türe setzen, die Prozession anzusehen. Ich ging eben damals durch die Stadt und traf einen Haufen Soldaten an, welche meistenteils alle Korsen waren. Auf meine Frage, warum sie sich versammlet hätten, erhielte ich die Antwort, daß ihr neues Oberhaupt nicht weit mehr entfernt wäre. Gleich darauf kam er auch mit der ganzen Prozession und ging in die Kirche, um seine Danksagung gegen Gott abzulegen. Wie aber die Trommelschläger anfingen, die Trommel zu rühren, so konnte ich das Lachen kaum verbergen. Denn sie schlugen ebensooft auf den Rand der Trommel als auf das Fell, welchen Gebrauch ich aber nicht allein zu Genua, sondern auch an andern Orten Italiens wahrgenommen habe.

Vierzehen Tage hielt ich mich zu Genua auf, und in dieser Zeit bemühete ich mich, die Gemütseigenschaft dieser Nation kennenzulernen. Ich fand, daß sie alle sehr höflich und wohlgesittet waren, bis auf die Fuhrleute und Matrosen. Zugleich aber bemerkte ich auch eine große Falschheit an ihnen. Insonderheit sind sie so große Meister im Lügen, daß sie auch den Cretensern, wie solche zu den Zeiten des Epimenides beschaffen waren, darin den Vorzug streitig machen könnten. Dieses Urteil aber rührt die Vornehmsten dieses Volks nicht, mit denen ich nicht das Glück gehabt umzugehen. Denn vielleicht haben dieselben ebensowenig Teil an den Lastern der Nation als die vornehmen Personen in England. Ich rede bloß von dem Pöbel, welcher sich so stark in dieser Kunst übet, als wenn eine Belohnung von der Obrigkeit darauf gesetzt wäre.

Der junge Franzose, dem ich meine Gesundheit und meine Freiheit zu danken hatte, reisete nach einigen Tagen mit ebendemselben Schiffe von Genua wieder weg, mit welchem ich angekommen war. Er ward von allen für einen Franzosen gehalten, denn er redete das Französische so zierlich und rein, als wenn er in Paris oder Orleans geboren wäre. Gleich darauf aber erfuhr ich, daß er sein rechtes Vaterland verhehlt habe. Denn mein Wirt zeigte mir das Buch, worin alle Fremde auf Befehl des Rats ihre Namen aufzeichnen müssen. Hier fand ich seinen rechten Namen und sein wahres Vaterland, Carolo Montfort, Danese. Ich freuete mich herzlich, daß mir ein so großer Dienst durch einen mir unbekannten Landsmann erwiesen worden.

Denn er wußte meinen Namen auch nicht und woher ich gebürtig war. Ich verhehlte beides in Italien. Wenn man sich bei mir erkundigte, welches mein Vaterland sei, so antwortete ich: Aachen, und wenn man meinen Namen wissen wollte, so gab ich zur Antwort: Michael Rög. Diesen Namen hatte ich von meinem Landsmanne Michael Rög entlehnet. Wie ich nach Italien reisen wollte und mit keinem Passe versehen war, so gab mir derselbe seinen Paß, damit ich desto sicherer fortkommen möchte.

Nicht lange nach der Abreise meines Landsmannes, dessen ich vorher erwähnt habe, ging ich mit einem Schiffe nach Rom. Hier erfuhr ich neue Beschwerlichkeiten. Ich war von meinem Fieber noch nicht befreiet, und die Seeräuber schwebten mir auch stets vor Augen, welche das mittelländische Meer bis in den Herbst durchzustreifen pflegen, um welche Zeit sie wieder nach Hause zu kehren gewohnt sind.

Ich besorgte aber nicht unbillig, daß sie wegen der ungewöhnlichen Meeresstille, die wir damals hatten, ihre ordentliche Rückreise etwas weiter hinaussetzen dürften. Unser Schiff führte zwar zwo Kanonen, aber dadurch konnte man gegen ein Kriegsschiff, welches mit Stücken und Musketen gut versehen ist, nicht viel ausrichten. Und obgleich auf unserm Schiffe vierzig Personen ohne das Schiffsvolk befindlich waren, so konnte man sich doch auf dieselben sehr wenig verlassen. Es waren zehn Mönche darunter, welche zitterten, sooft sie nur von den Türken reden hörten, und sechs Frauenzimmer, welche die Kajüte des Schiffers für sich gemietet hatten. Daher war ich nebst meinen andern Reisegefährten gezwungen, auf dem Tauwerk oben auf dem Verdeck zu liegen, welches mir insonderheit sehr beschwerlich fiel, da ich mich noch mit meinem Fieber schleppen mußte. Unter meinen Reisegefährten befand sich auch ein französischer Kapitän, welcher in kaiserlichen Diensten gestanden hatte. Dieser trug Mitleiden mit meinem elenden Zustande und erwies mir große Gefälligkeiten. Er liehe mir seinen Mantel und sein übriges Reisegeräte, daß ich mich damit zudecken konnte. Er aber lag ganz frei unter offenen Himmel.

Wir hatten Genua kaum aus dem Gesichte verloren, so sahen wir schon die von den Italienern also genannten Sbirri, deren Amt darin bestehet, daß sie die auf dem Schiffe befindlichen Waren untersuchen, und wenn sie verbotene Waren antreffen, diejenigen strafen, welche solche einzuführen willens gewesen. Wenn man die türkischen Seeräuber ausnimmt, so fürchten sich die Schiffer für niemanden so sehr als für diese Sbirri, insonderheit, wenn sie kein gutes Gewissen haben. Wir wurden durch diese Untersuchung zwo Stunden aufgehalten, ehe wir weitersegeln konnten. Kaum aber hatten wir einige Meilen zurückgelegt, so war der Wind völlig still und uns endlich ganz entgegen. Wir waren deswegen genötiget, nachdem wir lange in der See herumgeschwebt, zu Porto Verdo, einem Hafen in Ligurien, einzulaufen, wo wir solange zu bleiben gedachten, bis der Wind sich ändern würde. Wir lagen neun Tage in diesem Hafen, weil der Wind uns noch stets zuwider war. Meine Reisegefährten suchten sich auf allerhand Art ein Vergnügen zu machen. Ich aber entzog mich ihrer Gesellschaft und schützte mein Fieber vor, wodurch ich gezwungen würde, sehr enthaltsam und ordentlich zu leben. Sie sahen diese Entschuldigung auch für gültig an, und meine Kasse befand sich zugleich sehr wohl dabei. Das italienische Frauenzimmer hielt sich die ganze Zeit über beständig in der Kajüte des Schiffers auf, außer einer Frau aus Rom, welche sich bisweilen nebst ihrem Manne ans Land setzen ließ. Diese Frau sprach auf der ganzen Reise fast kein Wort. Die Franzosen, welche vor allen andern Nationen am meisten zum Umgange mit andern geschickt sind, wandten ihre ganze Beredsamkeit an, das Stillschweigen dieser Frauen zu unterbrechen, aber vergebens. Wenn sie mit uns speisete, so sahe sie niemanden an, geschweige denn, daß sie mit jemanden hätte reden sollen. Mich allein durfte sie nicht nur ansehen, sondern sie hatte auch die Freiheit, mir eine kurze Antwort zu erteilen, wenn ich mich einiger Sachen halber bei ihr erkundigte. Denn da ich beinahe halb tot war, so konnte ich auch dem eifersüchtigsten Manne nicht verdächtig sein. Ich sahe so ohnmächtig und fast erstorben aus, daß man mich ohne Bedenken zum Aufseher eines türkischen oder persischen Serails hätte machen können.

Weil der Wind uns so lange entgegen war, so nahmen die Mönche, welche sich mit uns auf dem Schiffe befanden, daher Anlaß, uns einen klugen Vortrag zu tun, daß wir eine Summa Geldes zusammenlegen sollten, um einen gewissen Heiligen zu Ehren, dessen Gebeine ihrem Berichte nach an diesem Orte begraben worden, eine Prozession davon anzustellen und von demselben guten Wind zu erbitten. Dieser Vorschlag gefiel den Spaniern und Italienern sehr gut, weil diese sich einbilden, daß Gott durch das Gebet allein nicht könne versöhnt werden. Aber die Franzosen machten allerhand Einwendungen. Endlich gaben sie auch ihre Einwilligung, damit man sie nicht für offenbar gottlose Menschen halten möchte, jedoch mit dieser ausdrücklichen Bedingung, daß das Geld inzwischen an einem sichern Ort niedergelegt werden sollte, damit ein jeder seinen Anteil wieder zurücknehmen könnte, wenn wir unsern Zweck nicht erhielten und der Wind nicht gut würde. Wie die Mönche sahen, daß sie offenbar verspottet wurden, so kamen sie zu mir, weil sie mich für einen Deutschen, und also für frömmer als die Franzosen hielten. Sie beklagten sich bei mir über den Unglauben der Franzmänner und prophezeiten aus diesen Merkmalen, daß die wahre Religion noch einmal in Frankreich gänzlich untergehen würde.

Wie endlich neun Tage verflossen waren, so legte sich der Sturm, und der Wind fing an, uns günstig zu werden. Wir begaben uns deswegen ohne Verzug ans Schiff und zogen die Segel auf. Nicht lange darauf kamen wir zu Livorno, einer an der See gelegenen Stadt in Hetrurien, und endlich zu Civita Vechia an. Zwischen Livorno und Civita Vechia nahmen wir mitten in der Nacht nahe an dem Lande eine Jacht wahr, welche sehr langsam ging und nur ein halbes Segel aufgezogen hatte. Wir gerieten desfalls auf die Gedanken, daß es ein Seeräuber sein möchte. Unser Steuermann rief dreimal, wer er sei und woher er komme. Da wir aber keine Antwort erhielten, so konnten wir leicht denken, daß es ein Seeräuber sein müsse. Wir riefen alsobald, daß uns unsre Convoye zu Hülfe eilen sollte. Die Laternen wurden angebrannt, die Stücken in Ordnung gebracht und geladen, ein jeder, der auf dem Schiffe war, ward bewaffnet, und es ward ihm entweder ein gewisser Posten, den er verteidigen sollte, angewiesen, oder auch sonst ein Amt aufgetragen. Ich ward im Anfange über dieses Geräusch aus Furcht so kalt, daß ich einen neuen Anfall von meinem Fieber besorgte, welches mich eben verlassen hatte. Wie aber die erste Angst überstanden war, so kann ich mit Wahrheit zu meinem Ruhme sagen, daß man keinen Seufzer und kein furchtsames Wort von mir gehöret. Ich gedachte vielmehr, daß wir alle ein gleiches Schicksal zu erwarten haben würden, welches zwar ein elender, aber doch gewiß zugleich ein großer Trost bei solchen Unglücksfällen ist. Das italienische Frauenzimmer setzte die italienische Schamhaftigkeit ganz an die Seite und kam mit fliegenden Haaren aus der Kajüte heraus. Ihre Beständigkeit hatte ein Ende, und man konnte den Tod recht auf ihren Gesichtern abgemalt sehen. Sie gingen allenthalben auf dem Schiffe herum und machten ein so großes Geschrei, daß man es sehr weit hören konnte. Bis endlich das Schiffsvolk sie ermahnete, nicht so heftig zu schreien, wodurch doch nichts ausgerichtet würde. Sie hörten demnach zwar auf, laut zu schreien, aber sie fuhren doch fort, ihre Hände zu ringen und den Himmel mit tiefen Seufzern zu bestürmen. Die Mönche waren ebenso verzagt wie das Frauenzimmer. Obgleich ihre Lehre eine beständige Predigt vom Tode ist, so stellten sie sich doch ebenso bange und betrübt an als die andern. Einige unter ihnen lagen auf der Decke und riefen ihre Heiligen an, andre rauften sich selbst die Haare aus, und es war unmöglich, dieses Heulen und Schreien zu stillen, wie sehr sie auch von den andern deswegen bestraft und aufgemuntert wurden, mehr auf die Erhaltung des Schiffs und ihrer Personen bedacht zu sein, als ein so unnützes Geschrei und Wehklagen anzustellen. Wenn sie mich damals gesehen hätten, mein Herr, wie ich durch die langwierige Krankheit so ausgemergelt war, daß ich kaum gehen konnte, nichtsdestoweniger aber doch mit einem Degen an der Seite in Schlachtordnung stand und den heiligen Antonium ebenso andächtig wie die andern anrief, es würde Ihnen gewiß dieser Anblick überaus lächerlich gewesen sein. Aber der Seeräuber griff uns nicht an, sondern ging auf unsre Convoye los. Während der Zeit, daß der Kaper dieses Schiff beschoß und damit genug zu schaffen hatte, bedienten wir uns des Windes und entgingen dieser Lebensgefahr. Ich könnte zwar bei dieser Gelegenheit dieses magere Werkchen etwas ansehnlicher machen, wenn ich verschiedene Umstände hinzufügen wollte, welche der Geschichte zur Zierde gereichen könnten, wenn sie sich gleich nicht also verhielten. Ich könnte in diesen Stücke der Gewohnheit einiger Schriftsteller folgen, welche glauben, daß es besser sei, zierlich zu lügen, als ohne Schmink die nackte Wahrheit zu erzählen. Ich könnte hier (denn wer wollte mich wohl der Unwahrheit überzeugen?) mit vieler Weitläuftigkeit ausführen, wieviele Stunden wir mit den Türken gefochten, was für einen unsterblichen Ruhm wir durch unsre Tapferkeit eingelegt, wieviele Räuber ich allein durchbohrt und was sich sonst Merkwürdiges bei diesen Seetreffen zugetragen. Wenn man aber dieses kleine Werk tadeln will, so mag man es viel lieber deswegen tadeln, weil es gar zu trocken geschrieben worden, als daß ich zuviel darin gelogen habe. Es wird mir angenehm sein, wenn ich höre, daß man sagt, ich hätte die Geschichte des Don Juans beschrieben, als daß man urteilt, ich hätte geschmückte Fabeln und angenehme Lügen aufgezeichnet.

Wie wir dieser Gefahr entgangen waren, so schrieben die meisten, welche mit mir auf dem Schiffe waren, dieses Glücke den Gelübden zu, welche sie dem heiligen Antonius getan hatten. Ich aber schrieb es vielmehr der Untreue des Schiffers zu, welcher sein mit dem andern Schiffe aufgerichtetes Bündnis aus den Augen setzte und seine Convoye so schändlich verließ, wie sehr dieselbe auch schrie, daß er ihr zu Hülfe kommen sollte. Wenn die Schiffer und Seeleute einer Gefahr entgangen sind, so pflegen sie insgemein sehr weitläuftig von der großen Gefahr zu reden, worin sie sich befunden haben, und dies geschahe auch hier. Ein jeder stellte sich die widrigen und elenden Schicksale lebhaft vor, die man würde haben ausstehen müssen, wenn man in die Hände des Seeräubers gefallen wäre. Hierin stimmten sie alle überein, daß man mich, weil ich krank und elend war, als eine unnütze Last würde ins Wasser geworfen haben. Ich aber bildete mir im Gegenteil ein, daß ich nicht nur wegen der fremden Sprachen, die ich verstand, vor allen andren würde unbeschädigt geblieben sein, sondern, daß man mir auch in Algier das Amt eines Notarii oder Schreibers würde aufgetragen haben.

Nach dieser glücklich überstandenen Gefahr langten wir endlich zu Civita Vechia an. Ich war des Segelns bereits überdrüssig und faßte den Entschluß, zu Fuße nach Rom zu gehen. Ich hielt dieses für weit erträglicher, als daß ich mich noch drei Tage auf der Tiber sollte herumwerfen lassen. Der ganze Weg, welcher nach Rom gehet, war mit Schlangen angefüllt, deswegen durfte ich fast niemals stillestehen, viel weniger aber mich niedersetzen. Ich glaube, daß dieser Umstand und nicht die Nachtluft, welcher man es insgemein zuschreibt, zu dem Gerüchte Anlaß gegeben, daß die Luft in der Gegend der Stadt Rom so vergiftet sei, daß man ohne Lebensgefahr sich des Nachts nicht unter freiem Himmel aufhalten könne. Wenn dieses Übel allein von der ungesunden Luft herkommt, so muß man sich billig wundern, daß die Seeleute davon nichts empfinden, welche im Hafen unter freiem Himmel liegen.

Dieses kann man indessen nicht leugnen, daß die Fremden, welche im Sommer nach Rom kommen, insgemein krank werden. Deswegen pflegen auch alle diejenigen, welche sich, um ihre Neugierde zu stillen, dahin begeben, ihre Reise so lange auszusetzen, bis der Weinmonat seinen Anfang genommen. Aber es ist nicht so leicht, die Ursache davon anzuzeigen. Die Lage und Gegend der Stadt ist annoch unverändert, wie sie in alten Zeiten gewesen, und kein alter Schriftsteller erwähnt einer so giftigen und den Fremden so gefährlichen Luft. Wenn ich auch gleich einräume, daß das heutige Rom von dem Ufer des Meeres etwas weiter entfernet ist, wie einige glauben, die sich zu Bestärkung ihrer Meinung auf andere Städte berufen, welche vorher an die See gegrenzt haben und nun fast mitten im Lande liegen. So kann doch die Nähe des Meers zur Abwendung dieses Übels nichts beitragen, da die Luft ebenso ungesund, wo nicht noch ungesunder zu Civita Vechia ist, welches doch an der See liegt. Nach einer zweitägigen Landreise kam ich in Rom und zwar durch das Tor an, welches nahe bei dem Vatikan ist, wo der Papst ordentlich sich aufzuhalten pflegt. Es fiel mir also gleich das Wunderwerk in die Augen, welches nicht nur in Rom, sondern auch in der ganzen Welt am allermerkwürdigsten ist und am meisten verdient, gesehen zu werden. Bloß dadurch, daß ich die Kirche, das Schloß und den Schloßplatz besähe, vergaß ich alle meine vorigen Widerwärtigkeiten. Am meisten wunderte ich mich über die herrliche und über alle Maßen prächtige St.-Peters-Kirche. Denn wo man nur die Augen hinwendet, da findet man allenthalben den kostbarsten Marmor und die unschätzbarsten Überbleibsel des Altertums.

Wie ich meine Augen durch einen so prächtigen Anblick einigermaßen gesättiget hatte, so suchte ich ein Quartier und begab mich nach der Gegend der Stadt, welche heutigentages von den Römern Piazza di spagna genannt wird. Ich war bereits eine Stunde herumgegangen, da ich endlich ein Quartier fand, worin ich mich einen ganzen Monat aufhielt und mein hartnäckiges Fieber durch Pillen und Pulver zu vertreiben suchte. Ich erwählte zu meinem Arzte einen Mönch, der zugleich Apotheker in dem nicht weit von meiner Wohnung entlegenen Trinitatiskloster war. Aber es schien, daß die Krankheit durch die gebrauchten Hülfsmittel nur noch ärger ward. Ich faßte daher den Schluß, weil das Fieber nicht durch Arzneimittel sich wollte heben lassen, dasselbe bloß durch die Enthaltsamkeit zu vertreiben. Ich habe auch nachher erfahren, daß man dadurch das Fieber am sichersten loswerden kann. Wie der erste Monat zu Ende ging, so war ich bereits meines Quartiers überdrüssig und suchte ein andres. Denn mein Wirt war schwindsüchtig und weckte mich, da seine Schlafkammer nahe an meiner Stube war, durch sein beständiges Husten und Räuspern des Nachts über zehnmal aus dem Schlafe. Seine Frau war ein versoffenes und unverschämtes Weib, welche durch unerlaubte Kunstgriffe ihre Gäste zum Saufen und zu andern Unordnungen verleitete und dieselben bei dieser Gelegenheit um ihr Geld brachte. Sie schrieb es meinem Fieber allein zu, daß ich so enthaltsam lebte, und gab mir die Versicherung, daß ich dasselbe am leichtesten vertreiben würde, wenn ich mir ein Vergnügen machte und meinem Leibe nichts versagte. Sie pflegte auch bisweilen die Deutschen, weil sie von ihnen beschenkt worden, in diesem Stücke zu rühmen, daß dieselben kein Vergnügen aus den Händen gehen ließen und sich durch ein lustiges Leben, welches sie Tag und Nacht ohne Aufhören fortsetzten, am besten gegen die Krankheiten schützten, von denen die Fremden insgemein bei ihrer Ankunft in Rom pflegten überfallen und angegriffen zu werden. Hingegen schwur sie, daß ein junger Deutscher vor kurzer Zeit in einem sehr elenden Zustande in ihrem Hause gestorben sei, welchen die andern nicht zu einer so unordentlichen Lebensart hätten bereden können. Diese Philosophie mißfiel mir dergestalt, daß ich ohne Verzug ihr Haus verließ und mich nach einer andern Wohnung umsahe. Ich fand dieselbe auch bei einem Piemonteser, welcher Johann Paptist hieß. Hier traf ich alles anständiger und billiger an. Mein Wirt war ein sehr ehrlicher und dienstfertiger Mann, von dem ich lernte, wie man seine Wirtschaft in Rom einrichten müsse. Ich schaffte mir deswegen Kessel und Töpfe an und kochte selbst, was ich des Mittags und Abends speisen wollte. Dieses gereicht den Reisenden in Italien zu keinem Nachteil, weil es bereits allenthalben eingeführet worden. Der Wirt kommt alle Morgen, ehe er zu Markte geht, zu denen, die bei ihm wohnen, und erkundiget sich, was sie des Mittags und Abends speisen wollen. Sobald man ihm dieses gesagt, so gehet er aufs Markt und bringt Fleisch, Wurzeln, Kräuter oder was man sonst verlangt, mit zurück. Die Zubereitung aber überläßt er einem jeden selbst.

Ich will mich hier nicht weitläuftig mit der Erzählung aufhalten, wie ich meine Speisen zugerichtet, wie künstlich und ordentlich ich eine Suppe oder andere italienische Gerichte zubereiten können. Ich weiß wohl, daß nach den strengen Regeln auch solche Kleinigkeiten in einer vollständigen Historie Platz finden müssen. Aber ich will lieber den Namen eines nachlässigen Geschichtschreibers haben, als mich dem scharfen Urteil der französischen Köche unterwerfen, welche mir vielleicht öfters zeigen dürften, wie ich hin und wieder gefehlt und wie wenig ich ihre Regeln im Kochen in acht genommen. Habe ich gleich in den schönen Wissenschaften nicht sonderlich in Rom zugenommen, so habe ich doch solche Dinge gefaßt, die zum Küchenwesen gehören. Ich habe gelernt, wieviel Feuer man braucht, eine Menestra oder Suppe zu bereiten, wie lange Erbsen, Grütze und andere Speisen kochen müssen, wieviele Ave Maria man beten müssen, Eier abzusieden, und was man sonst noch von einem Koche zu fordern pflegt. Wenn man demnach auf diese Wissenschaften siehet, so leidet das Sprüchwort bei mir eine Ausnahme: Er reisete einfältig nach Rom und kam einfältig wieder zurücke. Einige behaupten, daß derjenige den Namen eines Gelehrten nicht verdiene, der seine eignen Schuhe nicht ausbessern kann. Wenn sich dieses also verhält, so kann derjenige noch mit weit wenigerm Rechte ein Gelehrter genannt werden, der nicht imstande ist, sich selbst im Notfall eine Suppe zu kochen. Damit aber die Stunden, die ich den Studien zu widmen gewohnt war, nicht durch meine Küchenverrichtungen leiden möchten, so hatte ich allemal, wenn ich vor dem Kamin stand, Feder und Tinte in der Nähe. In der einen Hand hielte ich das Buch und in der andern den Löffel. Ich erfuhr aber öfters mit meinem eignen Schaden, daß es nicht so leicht sei, zu einer Zeit zu kochen und zu philosophieren. Wenn ich bisweilen den Sachen, die ich las, gar zu eifrig nachdachte, so tyrannisierte das Feuer inzwischen so sehr über meine Töpfe, daß die Speisen entweder verbrannten oder auch einen räucherichten Geschmack annahmen und ins Feuer kochten. Im Anfange schien mir diese schmutzige Arbeit sehr niederträchtig zu sein, insonderheit, wenn ich daran gedachte, wie sauber ich mich allemal zu kleiden pflegte. Aber diese Schamhaftigkeit war von keiner langen Dauer, da ich sahe, daß diese Gewohnheit durchgehends in Italien eingeführt war. In meinem Quartier hielten sich auch zweene neapolitanische Edelleute auf, diese traf ich öfters bei ebenderselben Verrichtung an. Wenn wir unsre Türen eröffneten, so machten unsre Töpfe, wenn sie am Feuer stunden, ein rechtes Konzert. Mein Topf, welcher der kleineste war, sang den ersten Diskant, ihr Topf aber, der größer war, hielt den Baß.

Ich bemerkte auf dieser Reise, daß die Leute der Völlerei und Trunkenheit immer weniger ergeben sind, je weiter sie von den nordischen Gegenden entfernet wohnen. Ich habe in Frankreich nur sehr wenige trunken gesehen, keinen einzigen aber in Italien angetroffen, der einen Rausch gehabt hätte. Die Dänen glauben, daß die Norweger in diesem Stücke zuviel tun, dagegen meinen die Dänen und Deutschen, daß die Franzosen gar zu sparsam haushalten. Den Italienern scheinen die Franzosen große Verschwender zu sein, und von den Spaniern fällen sie im Gegenteil dieses Urteil, daß sie gar zu geizig sind. In den Häusern der vornehmsten Herren ist es nichts Ungewöhnliches, daß sie einige Speisen, welche des Mittags übriggeblieben sind, bis zur Abendmahlzeit aufheben.

Ich war einen ganzen Monat allein in meinem Quartier. Im Anfange wunderte ich mich sehr, daß sich in einem so großen Hause, worin so viele Zimmer waren, nicht mehrere Menschen aufhielten, aber ich befand nachher, daß es in den meisten Häusern der Stadt ebenso beschaffen sei. Wenn man Rom nach der Größe der Stadt an sich selbst betrachtet, so wird sehr wenig fehlen, daß dieser Ort nicht ebensogroß sein sollte als Paris. Wenn man aber auf die Anzahl der Einwohner sehen will, so wird diese Stadt von sehr vielen andern europäischen Städten übertroffen. Denn wenn man die Einwohner zählen wollte, so würde man kaum 200 000 Menschen zusammenbringen. Daher kann man auch außer der Zeit, wenn ein Jubelfest einfällt oder ein neuer Papst soll gewählt werden, ein Haus um einen sehr billigen Preis mieten. Bei diesen außerordentlichen Begebenheiten aber kommt eine so erstaunliche Menge Menschen nach Rom, daß sie kaum alle können untergebracht werden. Daher glauben auch die römischen Bürger, daß die Wohlfahrt der Stadt darin bestehe, daß öfters ein neuer Papst gewählt werde. Sie waren aus ebendieser Ursache mit dem Papst Clemens dem XI. gar nicht zufrieden, weil derselbe so lange lebte. Bis zu Ende des Christmonats war in meinem Quartier alles überaus stille. Aber nach dem neuen Jahre kamen alle Gaukler, Komödianten und Seiltänzer nach Rom, die, wie ich glaube, in ganz Italien befindlich waren. Unser ganzes Haus ward mit Komödianten angefüllet, welche sich bis in die späte Nacht in ihren Vorstellungen und Komödien übten. Hiedurch plagten sie mich, der ich annoch mit dem Fieber behaftet war, des Nachts, und des Tages verhinderten sie mich in meinem Studieren. Nach dem Weihnachtsfeste kommen allemal zehn bis zwölf Banden Komödianten nach Rom. Eine jede Bande hat ein gewisses Schauspiel, das sie jedesmal vorstellt. Die Bande, welche sich in unserm Hause aufhielte, hatte eine Komödie von einem Arzte, welche mit dem Lustspiele des Moliere, Medecin malgré lui, viele Ähnlichkeit hatte. Das Haupt dieser Bande spielte die Rolle des Doktors und desfalls war er den ganzen Winter durch der Doktor, weil sie nur dieses einzige Stück vorstellten. Er ward deswegen von allen, auch wenn man ernsthaft mit ihm sprach, Sign. Dottore genannt, und er nahm auch diesen Titel an, daß man denken sollen, er sei kein Komödiante, sondern diese Würde sei ihm ordentlich auf einer hohen Schule beigelegt worden. Vielleicht dürften einige glauben, daß solche Komödianten ihren eignen Nutzen entgegen handelten, da sie allezeit einerlei Vorstellungen aufführen, wodurch endlich die Zuhörer müde werden, wenn sie eine Sache so oft anhören sollen. Aber unter so vielen Menschen, als sich in dieser Stadt befinden, sind allemal einige, welche die Vorstellung eines solchen Stücks noch nicht gesehen haben, und die desfalls aus einer Komödie in die andre laufen.

Ich mußte mich in dieser ganzen Zeit mit meinem Fieber schleppen, welches sich durch keine Arznei wollte heben lassen. Man rühmte einen Schuster in Rom, welcher das Fieber allein durch einige Worte vertreiben könnte. Man riet mir, daß ich denselben um Rat fragen sollte. Ich habe aber jederzeit solche Leute gehasset, welche die Augen verdrehen, die Lippen regen, mit den Fingern spielen und endlich mit allen ihren Bewegungen und Possen nichts ausrichten. Ich hielte deswegen die Krankheit für erträglicher, als daß ich solchen Menschen zum Gespötte dienen sollte, die das Urteil nach dem Gelde fällen, was man ihnen gibt. Und da ich hörte, daß der Schuster selbst öfters krank sei, so fiel mir ein, was der Poet sagt:

Non habeo denique nauci Marsum Augurem,
Non vicanos haruspices, non de circo Astrologos,
Non Isiacos coniectores, non interpretes somnium,
Non enim sunt ii, aut scientia aut arte diuini,
Sed superstitiosi Vates, impudentesque harioli
Aut inertes, aut insani, aut quibus egestas imperat,
Qui sibi semitam non sapiunt, alteri monstrant viam,
Quibus diuitias pollicentur, ab iis drachmam ipsi petunt.
Non habeo denique ...: Weniger als eine taube Nuß achte ich marsische Auguren, Eingeweidebeschauer, die auf den Dörfern herumziehen, Sterndeuter aus dem Zirkus, weissagende Isispriester und Traumdeuter. Denn das sind keine Seher von Wissen und Können, sondern: ... (Cicero, De divinatione I, 132) abergläubische Propheten, unverschämte Wahrsager; entweder können sie nichts, oder sie sind verrückt, oder bittere Not treibt sie. Sich selber wissen sie keinen Pfad und wollen anderen den Weg weisen, und denen sie goldene Berge versprechen, von denen erbitten sie selbst eine elende Drachme. (Ennius, Telamo, Fragm. v. 272 ff.)

Ich antwortete deswegen immer meinen guten Freunden, wenn sie mir meinen Unglauben vorwarfen, wenn der Schuster mehr als seinen Leisten verstehet, so muß er sein Meisterstück dadurch beweisen, daß er sich selbst helfe.

Indessen hinderte doch mein Fieber nicht, daß ich nicht beinahe alle Tage ausgehen und die Merkwürdigkeiten dieser Stadt in Augenschein nehmen konnte. Ich besuchte auch die öffentlichen Bibliotheken fleißig, unter denen die Minerven- und Sapientienbibliotheken die vornehmsten waren. Die Bibliothecarii sind daselbst so dienstfertig, daß sie einem jeden nicht nur die verlangten Bücher reichen, sondern auch den Studierenden, wenn dieselben es begehren, Feder, Tinte und rein Papier verschaffen. Dennoch aber ist es nicht erlaubt, sich der verbotenen Bücher zu bedienen, wo es der Inquisitor nicht zugelassen. Aus dieser Ursache litte ich als ein andrer Tantalus bei einem so großem Vorrate Mangel und mußte mich allein damit begnügen lassen, daß ich die Bücher von außen ansahe. Denn was ich auch für ein Buch forderte, das war meistenteils immer verboten. Ein einfältiger und ungelehrter Mönch, welcher ein Famulus des Bibliothecarii war, reichte mir einmal auf mein Begehren das Wörterbuch des Bayle. Er ward aber wegen dieses Versehens von dem Bibliothecario, welcher ein Dominikaner und Mitglied des Inquisitionskollegii war, aufs heftigste ausgescholten.

Ich suchte denselben mit guten Worten zu besänftigen, aber es war vergebens, ich mußte das Buch wieder weggeben und erhielte die Antwort, daß ich die Erlaubnis von einem andern bitten müßte, welcher solche allein erteilen könnte. Aber es schien mir gar zu unsicher und zu beschwerlich, mich dieser Prüfung zu unterwerfen. Ich verließ desfalls die Minervenbibliothek, weil ich sahe, daß ich davon gar keinen Nutzen haben würde, und begab mich nach der Sapientienbibliothek. Es war die Aufsicht über dieselbe einem Weltlichen anvertrauet, daher hoffte ich, meinen Zweck desto eher zu erlangen und nicht einen solchen Widerstand wie bei den Geistlichen anzutreffen. Aber ich erhielt hier ebendieselbe abschlägige Antwort, ob ich gleich öffentlich sagte, daß ich ein Ketzer sei, der durch Lesung der verbotenen Bücher nicht geärgert werden könnte. Meine Studien wurden dadurch sehr genau eingeschränkt, und es war nichts weiter vor übrig, als daß ich mir die römischen Altertümer und einige neue Beschreibungen von Rom bekannt machte. Diese Bücher zeigten mir auch den Weg, wenn ich durch alle Gegenden und Straßen der Stadt ging und die Überbleibsel des Altertums aufsuchte. Ich ging alle Tage, sooft es nur das Wetter erlaubte, ganze Stunden zwischen den alten und merkwürdigen Ruinen herum und hatte die Nachrichten in der Hand, die ich mir auf der Bibliothek aufgezeichnet hatte, durch deren Hülfe ich alles finden konnte. Doch suchte ich beinahe einen ganzen Monat die portam trigeminam der Horatier, bis ich solche endlich auch durch die Anweisung meiner Auszüge entdeckte. Die meisten alten Monumente sind selbst den Gelehrten nach ihrem vorigen Namen unbekannt. Wenn man sich bei denen, die man auf der Gasse antrifft, erkundiget, wo man das Pantheon suchen müsse, so antworten sie, non lo so. Fragt man nach dem Amphitheatro Vespasiani, so erhält man die Antwort, non intendo. Da doch diese Monumente durch die Länge der Zeit noch nicht zerstöret worden. Wenn man also dieselben finden will, so muß man sich erstlich die neuen Namen bekannt machen, welche ihnen beigelegt worden. Man muß nach dem Celiseo fragen, so zeigt man einem den Schauplatz des Vespasians, und wenn man den alten Tempel aller Götter, das Pantheon, sehen will, so muß man la Rotonda sagen.

Ich vertiefte mich aber dennoch nicht so sehr in den alten und durch die Länge der Zeit fast aufgeriebenen Überbleibseln des alten Roms, daß ich mir nicht auch das neue Rom sollte bekannt gemacht haben. Bald fand ich an den alten Monumenten ein Vergnügen, bald aber betrachtete ich die neuen Gebäude. Ich ging durch alle Gassen und Winkel der Stadt und nahm die vornehmsten Paläste, Kirchen und Klöster in Augenschein. Vor allen andern gefiel mir die neue Kirche, welche man insgemein Chiesa Nuova nennet, und zwar wegen der zierlichen und netten Reden, die alle Tage daselbst von dreien Priestern des Predigerordens gehalten werden. Kaum verläßt einer von ihnen den Predigtstuhl, so tritt ein andrer wieder auf, und man kann also in anderthalb Stunden drei Reden hören, unter welchem allemal eine von dem Leben eines Heiligen und dessen Lobe handelt. Ich bin aber jederzeit zweifelhaft gewesen, ob ich bei diesen Lobeserhebungen der Heiligen mehr die Schönheit der Reden oder die geringe Wichtigkeit der Sachen bewundern sollen. Denn die geringsten Kleinigkeiten und die abgeschmacktesten Träume wurden in den prächtigsten Ausdrücken vorgetragen.

Wie ich mich in Rom aufhielte, so handelte einer von diesen Rednern von der kräftigen Fürbitte der Jungfrau Maria und bestätigte seinen Vortrag durch folgende Geschichte. Es lebte ehedem ein Mann, welcher den Namen Johannes führte und sich dem Schutze der Jungfrau Maria gänzlich übergeben hatte. Er mußte aber desfalls sehr viele Versuchungen und Anfechtungen von dem Teufel erdulden, welche er jedoch eine lange Zeit glücklich überwand, weil er sich alle Morgen mit dem Ave Maria verwahrte. Endlich ward er von einem seiner Verwandten zur Hochzeit eingeladen und kam halbberauscht wieder nach Hause. Der Satan wollte diese gute Gelegenheit nicht aus den Händen gehen lassen und nahm zu dem Ende die Gestalt einer schönen Jungfrau an und ging dem Johannes entgegen. Der gute Johannes tat zwar im Anfang eine ziemliche Gegenwehr, endlich aber ließ er sich durch die so oft wiederholten Reizungen hinreißen und schwächte die Jungfrau. Wie Johannes am andern Morgen den Rausch ausgeschlafen hatte und zugleich überlegte, was er gestern für eine große Sünde begangen, so wachte sein Gewissen nicht allein auf, sondern er schämte sich auch so sehr, daß er sich nicht getrauete, sein Ave Maria zu beten. Weil also Johannes sich seiner gewöhnlichen Waffen nicht bedienen konnte, so griff ihn der Teufel immer stärker an, ehe er sich durch die Buße seiner Gewalt wieder entreißen mochte. Johannes wollte kurz darauf in einem Boot über einen Fluß setzen, das Boot aber stürzte um, und Johannes ging zugrunde. Er mußte auch drei Tage in der Tiefe des Flusses verharren, wo er zugleich vom Teufel besessen war. Die Jungfrau Maria aber hatte dieses kaum vernommen, so ging sie zu ihrem Sohne und erzählte demselben, wie elend einer von ihren Anhängern von dem Teufel geplagt würde. Der Heiland stieg gleich auf seinen Richterstuhl und sprach den Johannes los, der denn alsbald von den Banden des bösen Geistes erlöset ward und aus der Tiefe hervorkam. Er floß so lange wie ein Stück Holz oben auf dem Wasser, bis ihn der Strom ans Land trieb. Hier ward er von der Jungfrau Maria sehr freundlich empfangen und erquickt, wodurch er seine vorigen Kräfte wieder erlangte und endlich auch der Jungfrau Maria eine Kapelle erbauete, in welcher er seine übrige Lebenszeit zubrachte. Aus dieser abgeschmackten Geschichte zog unser Redner diese Folge, was sich diejenigen für Vorteile zu versprechen hätten, welche die Jungfrau Maria aufrichtig verehrten. Ich habe noch andre Geschichte gehöret, welche ich nicht, ohne zu erröten, wiedererzählen kann. So leicht die Zuhörer alles glauben, so unverschämt und frech lügen die Redner.

Ich vergnügte übrigens mein Gesicht und Gehör sowohl durch die Pracht, welche in allen Kirchen herrschet, als auch durch die vortreffliche italienische Musik. Am meisten ward ich durch die Instrumentalmusik eingenommen, welche mir weit besser als die Vokalmusik gefiel, weil der erste Diskantist nach der italienischen Gewohnheit allezeit die Stücke mit einer weinenden Stimme absingt.

Zweimal habe ich nur das Glück gehabt, Clemens den Eilften zu sehen, weil er wegen Alter und Schwachheit sehr selten mehr öffentlich zu erscheinen pflegte. Vor dieser Zeit und wie er annoch jünger war, verstattete er einem jeden den Zutritt, da er am ersten Tage eines jeden Monats allen, die es verlangten, Audienz gab. Er ließ sich in die Kapelle von vier Schweizern tragen, welche die Leibgarde des Papstes sind. Wie er auf seinem Stuhl saß und von den Schweizern getragen ward, so hob er seine milde Hand auf und erteilte damit allen und jeden den apostolischen Segen, welcher bei den wahren Glaubigen von einer herrlichen Wirkung zu sein pflegt. Aber ich, als ein Ketzer, empfand gar keinen Nutzen davon, denn mein Fieber ward nicht im geringsten dadurch gelindert. Dem Papste folgten die Kardinäle in ihrer Ordnung und küsseten seinen Finger, welcher mit dem Fischerring gezieret war. Hierauf fing er mit einer zitternden Stimme an: Dominus Vobiscum, ein Cardinal aber setzte das übrige gleich hinzu. Weil ich gewohnt bin, Ihnen, mein Herr, alles zu entdecken, was ich auf dem Herzen habe, so will ich Ihnen auch zwei Verbrechen bekannt machen, die von mir in Rom begangen worden. Sie sind wichtig oder geringe, nachdem Sie, mein Herr, solche beurteilen werden. Das erste Verbrechen bestehet darin, daß ich mit dem ganzen Volk, wie der Papst vorübergetragen ward, auf die Knie niedergefallen bin. Hiezu müssen sich alle diejenigen verstehen, welche den Papst sehen wollen. Wenn man aber nach Rom reiset und den Papst nicht siehet, so ist solches so töricht, daß man ein eigenes Sprichwort davon gemacht hat. Ich bin zwar ein Lutheraner, aber ich falle der Meinung derer jenigen nicht bei, welche es als eine Todsünde ansehen, wenn man einem Potentaten, der einer fremden Religion zugetan ist, mit einer äußerlichen Ehrerbietung begegnet. Das andre Verbrechen kann um soviel weniger entschuldiget werden, weil ich nicht gezwungen war, es zu begehen, ich kletterte nämlich mit meinen Knien die heilige Stiege hinan, von welcher man sagt, daß unser Erlöser auf derselben in das Richthaus Pilati gegangen sei, wie er vor dessen Gericht sollte gestellet werden. Ich machte aber bei mir selbst diesen Schluß zu meiner Entschuldigung: Ist es wahr, was man von dieser heiligen Treppe vorgibt, so verdienen diese heiligen Fußstapfen mit allem Rechte, daß man sie verehret, verhält es sich aber nicht also, so verdient meine Aufführung doch keine Strafe, weil mein Irrtum selbst ein Beweis einer gottseligen Demut ist.

Auf solche Art brachte ich den ganzen Winter in Rom zu, und wie derselbe überstanden war, so mußte ich auf die Rückreise nach meinem Vaterlande bedacht sein. Ich hielte es aber für unsicher, mich wieder aufs Meer zu begeben und mich der Gefahr noch einmal zu unterwerfen, welcher ich vor kurzer Zeit so glücklich entgangen war. Hingegen war die Reise zu Lande, welche ich zu Fuß vorzunehmen willens war, zwar mühsamer und beschwerlicher, aber doch zugleich weit sicherer. Ich überlegte beides sehr wohl, und endlich erwählte ich das letzte, und zwar meistenteils auch deswegen, weil ich durch die Not dazu gezwungen ward. Ich hoffte auch, durch die beständige Bewegung mein Fieber zu vertreiben. Ich brach desfalls zu Ende des Hornungs von Rom auf und kam nach vierzehn Tagen gesund und vergnügt zu Florenz an. Im Anfange besorgte ich, daß die kurze Luft, womit ich geplagt war, mir die Kräfte benehmen dürfte, und deswegen ging ich auch sehr langsam, weil ich keine Ursache zu eilen hatte, außer daß ich mich bisweilen, um ein gutes Wirtshaus zu erreichen, etwas stärker angreifen und den Weg geschwinder wie sonst zurückelegen mußte. Aber durch das beständige Gehen ward ich mit der Zeit so abgehärtet, daß ich zu Florenz stärker und hurtiger zu Fuße war als zu Rom. Ich traf daselbst einen Deutschen an, welcher sich von freien Stücken anbot, daß er mich in der Stadt, um solche zu besehen, herumführen wollte. Ich dankte ihm für seine Höflichkeit und glaubte, daß sein gutes Gemüt ihn allein dazu antriebe. Da aber unser Spaziergang geendiget war und ich ihm durch die verpflichtesten Worte meine Danksagung abgestattet hatte, so trug er kein Bedenken, für seine Bemühung eine Bezahlung zu fordern. Dadurch hörte unsre vor kurzer Zeit aufgerichtete Freundschaft wieder auf. Denn man hat nicht nötig, jemanden für einen erwiesenen Dienst zu danken, wenn man denselben bezahlt. Und überdem wußte ich auch, daß er mit Recht keine Bezahlung fordern konnte, weil ich ihm nichts versprochen hatte. Und er konnte mich auch nicht zwingen, ihm etwas zu geben, weil er sich selbst von freien Stücken ohne mein Begehren angeboten hatte. Inzwischen fiel mir ein, was man zu sagen pflegt, daß man dem andern soviel und noch mehr wiedergeben soll, als man von ihm empfangen hat, wenn es möglich ist, und deswegen bezahlte ich ihn auch. Hierauf setzte ich meine Reise über das Apenninische Gebürge nach Bononien fort, woselbst ich, um von der Verordnung, in der Fastenzeit kein Fleisch zu essen, befreiet zu werden, zu einem Arzte ging und mir von demselben ein Zeugnis geben ließ, daß meine Krankheit mir nicht erlaubte, mich an dieses Gesetz zu binden. Ich erhielt dasselbe auch und verfügte mich gleich darauf zu den Priestern, die sich aus dieser Ursache in der Domkirche zu versammlen pflegten. Wie diese die Schrift des Doktors gesehen hatten, so erteilten sie mir die Erlaubnis, Fleisch zu essen, durch einen offenen Schein, welcher also abgefaßt war: Comme il Sign. Mich. Recco non puo senza pericolo di sanita guardare la Quaresima etc.

Da man mich von diesen Gesetzen befreiet hatte, so reisete ich weiter nach Parma, Placenz und Turin, in welcher Stadt ich mich einige Tage aufhielt, nicht eben aus der Ursache, mich auszuruhen, sondern meine Neugierde zu vergnügen. Denn Turin ist die schönste Stadt unter allen, die ich jemals gesehen habe. In der Gegend, welche die neue Stadt genannt wird und den halben Teil der Stadt in sich faßt, sind alle Häuser so prächtig und so genau nach den Regeln der schönsten Baukunst aufgeführt, daß man diese Gebäude nicht für Häuser, sondern für einen sehr großen und sich sehr weit in die Länge erstreckenden Palast ansiehet. Man kann die Häuser auch sonst nicht als durch gewisse Merkmale und durch die Überschriften der Türen voneinander unterscheiden. Ich hielte mich zwei Tage in dieser prächtigen Stadt auf und setzte hiernächst meinen Weg weiter fort, da ich zugleich ausgeruhet und, wie ich glaubte, meinen Körper eine Erfrischung gegönnt hatte. Aber ich merkte, daß eben durch diese Ruhe meine Kräfte geschwächt worden. Es fallen einem die Reisen lange nicht so schwer, wenn man dieselben in einer nie unterbrochenen Folge fortsetzt, als wenn man solche immer wieder von neuem anfängt. So mühsam es ist, das Feuer wieder von neuem anzuzünden, welches doch durch die beständige Bewegung auf eine sehr leichte Art kann erhalten werden, so sorgt auch ein Reisender viel besser für seine Kräfte, wenn er beständig reiset, als wenn er viele Rasttage dazwischen hält, desfalls konnte ich auch im Anfange nicht anders als sehr langsam gehen und in den ersten Tagen kaum zwo oder vier Meilen zurückelegen. Wie ich aber wieder gewohnt worden, zu Fuße zu gehen, so befand ich mich ebenso munter und hurtig wie vorher.

Von Turin reisete ich über die Alpen nach Savoyen, welches Land zwar wegen der vielen darin befindlichen Klippen und Berge einen fürchterlichen Anblick macht, aber dennoch mit sehr vielen schönen Örtern und Städten angefüllet ist. Man traf in beiden Fürstentümern noch viele traurige Spuren von der Grausamkeit der Franzosen an, welche fast alle Städte zerstört hatten. Aber desto leichter fiel es mir, allenthalben durchzukommen, da in den Plätzen, die ehedem sehr fest gewesen, aber nun durch den Krieg sehr viel gelitten hatten und allenthalben offen stunden, keine Besatzung befindlich war. Wie ich über die Alpen ging, so bemerkte ich an einem Tage drei Jahrszeiten. Auf der Ebne von Piemont war es so warm, wie es mitten im Sommer sein kann. Am Fuß der Alpengebürge schien es mir so kalt zu sein, als wenn der Winter bereits eingetreten wäre, und in Savoyen kam es mir vor, als wenn der Herbst seinen Anfang genommen hätte. Auf dieser Reise über die Alpen bedient man sich der Maulesel, welche man unten an dem Gebürge für einen sehr geringen Preis mieten kann. Oben auf dem Gebürge trifft man eine solche Ebne an, daß auch daselbst ein Wagen fahren könnte. Wie ich über diese Ebne gekommen war, so begegneten mir allenthalben Mietschlitten, worauf man in einigen Minuten hinunterfährt, oder wie es scheint, hinunterfliegt; und dieses nennen sie daselbst ramasser.

Hierauf ging ich abermals zu Fuß durch Savoyen und Dauphine bis Lyon, wo ich glaubte, alle Mühe und Gefahr überwunden zu haben, da ich den Weg, welchen ich noch vor mir hatte, ohne Beschwerde zurücklegen konnte, wenn ich einige Meilen durch Burgund davon ausnahm. Weil ich noch soviel Geld übrig hatte, daß ich dem Schiffer die Fracht bezahlen konnte, so trat ich zu Lyon sehr vergnügt ins Schiff, aber der Ausgang war sehr schlecht.

Ich erzählte meinen Reisegefährten den schlechten Zustand meiner Gesundheit, und diese rieten mir alle zum Trinken. Sie schrien alle aus einem Munde, es sei kein bewährteres Mittel gegen das Fieber vorhanden als ein Rausch, und ich müßte mich hiezu notwendig entschließen, wenn ich mich nicht ewig mit dem Fieber schleppen wollte. Ich ließ mich endlich durch ihr Zureden überwinden und trank den ganzen Abend in dem Wirtshause, worin wir eingekehrt waren, lustig mit ihnen herum und ging endlich ziemlich berauscht zu Bette. Weil ich aber krank und des Trinkens nicht gewohnt war, so ward mein Blut durch diesen Rausch so sehr erhitzt, und die Dünste hatten meinen Kopf so sehr eingenommen, daß ich mir vorstellte, meine Gefährten spotteten über mich, wie ich des Morgens frühe erwachte und dieselben mich mit ins Schiff ziehen wollten. Ich widersetzte mich ihnen also aufs äußerste. Da das Blut in einer so starken Wallung war, so wundere ich mich billig, daß meine Phantasie nicht noch ungereimtere Dinge hervorgebracht. Einige von meinen Reisegefährten griffen an meinen Arm, um mir die Ader zu öffnen, andre rissen mir die Kleider auf, um mir Luft zu machen, ich aber bildete mir ein, daß ich unter eine Rauberbande geraten war und rief deswegen nicht nur: Gewalt!, sondern ich flehete sie auch an, daß sie mir doch meine Freiheit und mein Leben schenken möchten. Ich mußte demnach allein in meinem Quartier zurückebleiben und büßte nicht nur meine Reisegefährte, sondern auch das Geld ein, welches ich dem Schiffer bereits gegeben hatte. An dem folgenden Tage aber, da ich diesen Rausch durch Fasten wieder gehoben hatte, erholte ich mich und legte den Weg, der nach Paris noch übrig war, zu Fuße ab. Wie ich hier ankam, so kannte mich weder meine Wirtin noch meine andern Freunde, teils, weil ich so braun im Angesichte geworden war, daß man mich für einen Mohren hätte ansehen sollen, teils, weil ich sehr stark am Leibe zugenommen hatte. Bei meiner Abreise nach Rom war ich so mager, daß ich fast durchsichtig war, nun aber kam ich so stark und völlig zurück, daß es nicht schien, daß ich so viele Länder zu Fuße durchgegangen, sondern daß vielmehr ich mich an einem Orte beständig aufgehalten und der Ruhe genossen hätte. So sehr zuträglich ist eine beständige Bewegung meiner Gesundheit. Ob ich mich auch gleich auf dieser ganzen Reise mit meinem Fieber plagen mußte, so hatte ich doch immer eine große Begierde zu essen, weil ich durch das immerwährende Gehen allezeit hungrig ward. Ich hielte mich einen ganzen Monat in Paris auf und wandte alle meine Zeit darauf, mein Fieber loszuwerden. Aber alle Mittel der bewährtesten Ärzte waren ebenso fruchtlos angewandt, als wenn man Wasser in ein Sieb gießet.

Ich ließ demnach alle Hoffnung fahren, jemals von meinem Fieber befreiet zu werden, und machte vielmehr alle Anstalten, die Rückreise nach meinem Vaterlande ohne Verzug anzutreten. Doch ward meine Reise einige Tage aufgehoben wegen eines Streits, worin ich mit einem Bürger in Paris wegen einer gewissen Summe Geldes geriet, die ich bei ihm niedergesetzt hatte.

Die Sache an sich war sehr klar, und dennoch erregte er mir einen Streit, weil der Wert des Geldes in meiner Abwesenheit heruntergesetzt war. Wir erwählten endlich einen gemeinschaftlichen Freund zum Schiedsmanne, welcher sich auch der Sache annahm und mir das Geld ohne den geringsten Abzug zuerkannte. Wie dieser Streit geendiget war und ich vermöge dieses Ausspruchs mein Geld erhalten, so reiste ich geradesweges nach Holland und fand bei meinem alten Wirte in Amsterdam alle meine Sachen in dem Zustande wieder, wie ich sie bei ihm zurückgelassen. Er war, wie er mir erzählte, bereits darauf bedacht gewesen, mein Zeug bei einer sich findenden Gelegenheit meinen Freunden zuzusenden, weil er nicht geglaubt, daß ich noch am Leben wäre. Bis hieher war das Fieber jederzeit mein beständiger Reisegefährte gewesen, und es erweckte bei allen eine Verwunderung, daß dasselbe weder durch die besten Arzneien, noch durch die beständige Bewegung, welche ich mir machte, konnte gehoben werden. Endlich ward ich davon auf eine ganz besondere Art befreiet. Unter meinen Freunden in Amsterdam war auch ein Bürger, welcher Adrian Geelmeyden hieß. Dieser war mein Landsmann und zu Bergen in Norwegen geboren worden. Er gab mir die Versicherung, daß er in seinem Hause einen Arzt hätte, welcher mich von meinem Fieber befreien sollte, ohne Geld für seine Bemühung zu fordern. Wie ich aber zu ihm in sein Haus kam, so fand ich anstatt eines Arztes einige Musikanten, mit denen ich ein Konzert zu halten pflegte, ehe ich nach Frankreich reisete. Diese boten mir ein Instrument an, und ich vertrieb den ganzen Tag bis in die späte Nacht mit Vergnügen und Musizieren, da ich mich endlich nach Hause verfügte und an dem folgenden Tage nach alter Gewohnheit mein Fieber erwartete. Aber ich fand, daß dasselbe ohne Zweifel nach Italien zurückgegangen war, wo ich es zum ersten Mal empfunden hatte. Ich habe auch nachher nicht den geringsten Anstoß von demselben gehabt, außer daß ich an den Tagen, da ich ehedem mit dem Fieber geplagt war, eine kleine Mattigkeit empfand. So ward ich durch die Musik wiederhergestellet, da alle Arzneien dieses nicht zu bewerkstelligen vermögend waren. Vielleicht dürfte man sagen, es wäre mir ebendasselbe begegnet, was andern Kranken zu widerfahren pflegt. Wenn diese ohne Arzneien gesund werden und die Krankheit endlich selbst weicht, so schreiben sie insgeheim ihre Gesundheit denen Ärzten zu, welchen sie sich zuletzt anvertrauet haben und verachten die andern, welche ihnen beigestanden da die Krankheit am heftigsten gewesen, wodurch sie aber denselben sehr zu nahe treten. Vielleicht scheint es einigen ebenso lächerlich, daß ich der Musik die Kraft zuschreibe, daß ich dadurch von dem Fieber befreiet worden. Es mag inzwischen durch die Kraft der Musik oder durch die Natur selbst geschehen sein, so war ich sehr froh, daß ich meine vorige Gesundheit wiedererlangt hatte. Gleich darauf ging ich zu Schiffe nach Hamburg und hiernächst gleich weiter zu Lande nach Kopenhagen.

Wie ich wieder zu Hause angelangt war, so mußte ich mich zwei Jahr sehr kümmerlich behelfen und war deswegen auch sehr mißvergnügt, daß kein öffentlicher Lehrer mir Platz machen wollte, deren langes Leben mir höchst beschwerlich war. Inzwischen gab ich eine Schrift in dänischer Sprache unter diesem Titel heraus: Einleitung in das Natur- und Völkerrecht. Ich bauete meine Arbeit auf die Grundsätze des Grotius und Puffendorfs, welche nebst Christ, Thomasius meine Wegweiser waren. Anstatt des römischen Rechts sind die dänischen und norwegischen Gesetze angeführt, und die historischen Beispiele, wodurch die Moral pflegt erläutert zu werden, habe ich ebensowohl von den Taten der nordischen Völker als aus den römischen und griechischen Geschichten entlehnt. Aber dem gemeinen Manne gefiel diese Schrift nicht, da es doch einem jeden in die Augen leuchtet, daß den Untertanen dieses Reichs nichts nützlicher und vorteilhafter ist, als daß sie das Recht der Natur verstehen. Das dänische Gesetz ist so kurz gefaßt und eingeschränkt, daß ein Richter, wenn er in dem Rechte der Natur nicht wohl erfahren ist, öfters zweifelhaft sein muß, was er für einen Spruch fällen soll. In Deutschland und an den Örtern, wo das römische Recht eingeführt ist, verhält es sich ganz anders. Denn daselbst kann ein Richter, wenn er gleich selbst unerfahren ist und seiner eignen Einsicht nicht trauen darf, bei einem so großen Vorrate allemal finden, wie dieser Fall durch einen rechtserfahrnen und verständigen Mann bereits ehedem entschieden worden, und er urteilt also nicht selbst, sondern stimmt nur dem Ausspruche bei, den andre bereits vor ihm gefället haben. Aber bei einem so kurz gefaßten Gesetze wird weit mehr Mühe erfordert, ein Urteil zu entwerfen, da man sich bei einem Falle sehr viele andere ähnliche Fälle vorstellen muß. Ich könnte dieses weitläuftig ausführen, wenn ich mir vorgenommen hätte, eine Vorrede zu dem dänischen Gesetze zu schreiben.

Jedoch diese kleine Schrift hatte ein sehr schlechtes Schicksal, indem von tausend Stücken, die gedruckt wurden, in zehn bis zwölf Jahren kaum dreihundert konnten abgesetzt werden. Der Buchführer, welcher die Kosten dazu hergegeben hatte, war sehr übel damit zufrieden, weil der Rest der Auflage dazu schien bestimmt zu sein, daß er vom Staub und Moder verzehrt würde. Vielleicht denken meine Landsleute, daß ich zu scharf urteile oder daß ich gesonnen sei, mit ihnen wegen der Liebe zu den Wissenschaften zu streiten, aber hievon bin ich weit entfernt. Ich will sie nicht anklagen, sondern ihnen nur bloß diese Erinnerung geben, daß sie hinfüro ihren Gelehrten keine Faulheit im Schreiben aufbürden, da sie selbst schuld daran sind, daß nicht mehrere Schriften ans Licht treten, sondern daß die meisten Handschriften entweder in den Schränken verschlossen bleiben oder den Krämern in die Hände geraten. Die Vornehmen in meinem Vaterlande legen sich mit einem größern Eifer als irgendeine andre Nation auf fremde Sprachen und lesen weit lieber französische und englische Bücher, damit sie sich zugleich die Sprache bekannt machen mögen, welche sie so sehr lieben. Der gemeine Mann aber ist so sehr an die geistlichen Schriften gewohnt, daß er nichts lieset, was den Namen einer weltlichen Abhandlung hat. Daher rührt es, daß einige arme Schriftsteller, um ihr Brot zu verdienen, so viele Gebetbücher, Kerne und Sterne der Gebeter, Himmelsleitern, Paradiesgärten, geistliche Andachten, und wie sie sonst die unzähligen Bücher von dieser Art zu nennen pflegen, zusammenschreiben, tausendmal aus andren wieder ausschreiben, neue Titel erfinden und für neue Bücher verkaufen.

Wie ich zwei Jahre so elend zugebracht und in denselben fast alle Stunden und Minuten gezählt hatte, so ging endlich mein Glücksstern auf, worauf ich so lange gehofft hatte, und ich erhielt ein ordentliches Gehalt, wodurch meine unerträgliche Armut einigermaßen gelindert ward. Ich erhielte das Amt, die Metaphysik öffentlich zu lehren, ob es gleich gegen meine Neigung war. Deswegen prophezeiten diejenigen, welche mich genauer kannten, dieser vortrefflichen Wissenschaft den Untergang. Und hierin irrten sie sich auch nicht. Denn ich bekenne aufrichtig, daß ich die Fußstapfen meiner Vorgänger nicht betreten und daß die Metaphysik niemals in größerer Gefahr gewesen als unter meiner Vormundschaft. Doch verbarg ich meine Absichten im Anfange, so gut ich konnte, und hielt kurz darauf eine Rede zum Lobe der Metaphysik. Aber diese Rede war so beschaffen, daß alle wahre Verehrer der Metaphysik dieselbe nicht ohne Ärgernis anhören konnten, weil sie glaubten, ich hätte eine Leichenrede auf den Tod der Metaphysik, nicht aber eine Rede zu ihrem Lobe gehalten. Wie sie aber zwei Jahr bei mir in der Dienstbarkeit gewesen war, so ward sie endlich wieder auf freien Fuß gesetzt.

Hiernächst geschahen bei der Akademie sehr viele Veränderungen. Einige öffentliche Lehrer gelangten zu der Würde eines Bischofs, andre wurden Prediger, und einige sturben. Hierdurch ward ich in einer kurzen Zeit Beisitzer im Consistorio und erhielt einen größern Rang und ein höheres Gehalt, welches sich, wie Ihnen bekannt ist, nach dem Alter richtet. Nun war ich also von Haus- und Nahrungssorgen befreiet, welche mir meine ganze Lebenszeit so sauer gemacht hatten. Ich war nunmehr auch einzig und allein darauf bedacht, meine Kräfte wieder zu erfrischen, welche durch eine so langwierige Krankheit, durch so viele beschwerliche Reisen und durch den Verdruß so vieler Jahre ungemein geschwächt waren, und meine übrige Lebenszeit in Ruhe und Stille zuzubringen. Aber es war ein andres über mich beschlossen. Einer von meinen Kollegen erregte mir einen Streit wegen gewisser Einkünfte, die nach der Stiftung dem Ältesten zufallen sollten. Wie aber die Sache von dem Consistorio untersucht worden, so ward mir das Vorrecht des Alters und zugleich das Recht zu den Einkünften zugesprochen.

Kaum war dieser Streit beigelegt, so mußte ich mich schon wieder mit einem andern Feinde einlassen. Dieses war ein neuer Geschichtschreiber, welcher einen kurzen Begriff der dänischen Historie in deutscher Sprache herausgab. In der Vorrede zu diesem Werke hatte er, außer andern Fehlern, die ich hier übergehen will, alle dänische, sowohl alte als auch neue, Geschichtsschreiber heftig durchgezogen und einige für nachlässig, andre für Schwätzer und gelehrte Diebe angegeben. Ich ward gleichfalls unter ihre Anzahl gerechnet und hart angegriffen, da ich doch nur einen kurzen Auszug aus der Universalhistorie zum Nutzen der Jugend herausgegeben. Es ward mir insonderheit vorgeworfen, daß ich die nordische Historie aus dem Puffendorf ausgeschrieben hätte. Ich nahm diese Beschuldigung im Anfange sehr kaltsinnig auf und hielte es nicht der Mühe wert zu sein, wegen einer Sache zu streiten, die an sich selbst falsch war. Ich ward mit Gewalt unter die dänischen Geschichtschreiber gerechnet, da ich doch keine dänische Historie, sondern einen kurzen Begriff der Universalhistorie geschrieben hatte. Und überdem war ich auch damals, wie ich zuerst Hand an dieses Werk legte, noch nicht zu reifen Jahren gekommen. Ich schätzte deswegen dieses Urteil keiner Antwort würdig, sondern schwieg solange stille, bis ich endlich durch das unermüdete Anhalten meiner Feinde überwunden ward, welche mein Stillschweigen einer Trägheit oder Furcht zuschrieben. Ich gab demnach eine kleine Schrift unter diesem Titel heraus:

Dissertatio Quinta
De
Historicis Danicis
Quam
in Collegio Regio publice tuebitur
Paulus Ryterus
cum Defendente pereximio
Christiano Andreae.
Dissertatio Quinta ...: Fünfte Abhandlung über die dänischen Geschichtsschreiber, welche in der Königlichen Gesellschaft öffentlich verteidigen wird Paulus Ryter unter dem Beistande des hochansehnlichen Christian Andreae.

Diese kleine Dissertation ward mit großem Beifalle aufgenommen, nur der einzige Paulus Ryter bezeugte sein Mißfallen darüber, weil ich seinen Namen angenommen hatte. Doch dieser sechzigjährige Mann gab sich bald wieder zufrieden, da er hörte, daß diese Schrift zur Verteidigung des Vaterlandes geschrieben worden. In dieser Abhandlung wird allein die bittere Vorrede des Verfassers untersucht. Denn das Werk selbst durchzugehen und den Verfasser wegen der vielen Fehler, die er in den Geschichten und in der Zeitrechnung begangen hat, gleichsam im Triumph aufzuführen, solches ist mir niemals in den Sinn gekommen. Diese Art der Untersuchung hat gar zuviel Schulmäßiges bei sich. Denn wo tritt doch wohl jemals eine Schrift ans Licht, von welcher die streitbaren Scholastici nicht behaupten, daß ihr Verfasser auf allen Seiten gefehlt habe?

Nicht lange darauf gab ebenderselbe Mann eine andere Abhandlung heraus, worin er zu behaupten suchte, daß die Ehen der nahen Anverwandten weder in dem göttlichen noch in dem natürlichen Gesetz verboten wären. Durch dieses Werk ward die kaum geheilte Wunde bei vielen wieder aufgerissen. Die Gottesgelehrten und Rechtserfahrnen griffen zu den Waffen, Meine Freunde trieben mich gleichfalls an, den Krieg wieder von neuen anzufangen. Ich ließ mich auch um so viel leichter dazu bereden, weil die vorige Hitze noch nicht völlig verraucht war. Desfalls setzte ich eine kleine Schrift auf und ließ sie unter diesem Titel drucken:

Olai Petri Norvagi
Dissertatio Juridica
De
Nuptiis Propinquorum in linea recta
iure naturali prohibitis.
Olai Petri Norvagi ...: Des Norwegers Olaus Petrus juristische Abhandlung über die vom Naturrecht verbotenen Ehen zwischen Verwandten in gerader Linie.

In diesen wenigen Blättern widerlegte ich bloß die Einwürfe des Verfassers, welche er gegen die Gründe der Rechtsgelehrten beigebracht hatte, die andern Sätze, die in dieser Schrift enthalten waren, überließ ich der Untersuchung der Gottesgelehrten, wider welche dieselben größtenteils gerichtet waren. Aus dieser Ursache schien einigen Fremden, denen meine Absicht unbekannt war, diese Widerlegung nicht vollständig und hinlänglich. Ich wollte aber nicht aus meinen Grenzen gehen und mich in fremde Dinge mischen, desfalls hielte ich es am ratsamsten, nur einen kleinen Versuch zu wagen und das übrige den Gottesgelehrten zu überlassen. Einige glaubten auch, daß ich meine Widerlegung gar zu bitter abgefaßt und in beiden Abhandlungen gar zu stark gespottet hätte. Und vielleicht ist dieses Urteil nicht ungegründet. Aber meine Gemütsart bringt es mit sich, daß ich allemal im Scherz die Wahrheit sage. Dennoch habe ich mich aller Scheltworte enthalten und den guten Namen des Verfassers nicht angegriffen, da ich kein Feind des Verfassers war, sondern nur seine Schriften prüfte. Wie der Verfasser meine beiden Abhandlungen aufgenommen und wie derselbe gegen mich gesinnet sei, das weiß ich nicht. Ich überlasse die ganze Sache dem unparteiischen Urteile der gelehrten Welt, ja des Verfassers selbst, welcher wegen einer großen Dreistigkeit sehr gelinde von mir gezüchtiget worden. Aber ich erfuhr selbst hernach, was vielen großen Eiferern zu begegnen pflegt, daß sie bisweilen selbst in den Irrtum fallen, von dem sie andre überzeugen wollen. Da ich meine Feder gegen Stachelschriften schärfte, so ward ich selbst ein Satiricus und hatte auch ebendieselben, ja noch viel härtere Schicksale, welche den Satiricis begegnen pflegen.

Caedimus, inque vicem praebemus erura sagittis.
Vinitur hoc pacto ...
Caedimus, inque vicem ...: Wir schlagen drein und lassen uns dafür unsererseits in die Beine schießen. So lebt man ... (Persius, Satiren IV, 42 f.)

Bisher hatte ich alle meine Zeit auf die Rechtsgelahrtheit, die Geschichte und Sprachen angewandt und alles andre, insonderheit die Dichtkunst, an die Seite gesetzt. Diese war mir so sehr zuwider, daß ich auch an dem schönsten Gedichte kein Vergnügen finden konnte. Ich las zwar bisweilen lateinische Gedichte, aber doch nicht anders, als wenn ich dazu gezwungen war. Ich las sie auch nicht in der Absicht, daß ich ein Vergnügen daraus schöpfen wollte, sondern allein, mich in der lateinischen Sprache zu üben. So wie die Kranken alle Tage widrige Arzneien einnehmen, nicht deswegen, weil sie ihnen wohlschmecken, sondern weil die Ärzte sagen, daß sie zur Gesundheit dienen.

Aber so ist es mit der Neigung der Menschen beschaffen. Bisweilen fängt man an, dasjenige hochzuschätzen, was man vorher verworfen hat. Die Veränderung der Studien ist uns ebenso angenehm und zuträglich wie dem Lande die Veränderung des Samens. Ich hatte bereits dreißig Jahre zurückgelegt, ehe ich mir jemals vorgenommen, ein Gedichte zu schreiben, ob ich gleich an einem Ort lebte, wo ebenso viele Poeten waren, als man Fliegen im Herbstmonate antrifft. Wie aber meine Ohren täglich durch lauter Verse betäubt wurden und ich sahe, daß fast alle Einwohner der Stadt Poeten geworden waren, so faßte ich endlich den Schluß, auch einen Versuch zu machen und ein Gedicht aufzusetzen, damit ich nicht allemal ein bloßer Zuhörer sein möchte. Ich machte also mit einer Stachelschrift den Anfang, worin ich mir vorsetzte, die sechste Satire des Juvenals nachzuahmen, und es ist dieselbe auch nebst andern Satiren vor kurzer Zeit ans Licht getreten. Wie ich damit zustande gekommen war, so zeigte ich sie nach einigen Tagen einem guten Freunde, welcher urteilte, daß die Gedanken zwar richtig und juvenalisch wären, aber die Regeln der Dichtkunst nicht in acht genommen worden. Er lobte ferner die gute Wahl der Sachen, aber er verwarf die Ordnung, welche ich erwählt, und die Wortfügungen, deren ich mich bedient hatte. Er unterrichtete mich hierauf in der dänischen Dichtkunst und gab mir gewisse Regeln, welche ich auch nachher sorgfältig beobachtete, sooft ich Gelegenheit hatte, ein Gedicht zu schreiben. Wie ich endlich noch einige Versuche gemacht und dieselben mir wohl gelungen waren, so nahm ich mir vor, das so bekannte scherzhafte Heldengedicht zu schreiben, welches noch jetzt von den Schweden und Deutschen gelesen und fast aus den Gedächtnis hergesagt wird, die sich, um dieses Gedicht zu verstehen, die dänische Sprache bekannt machten.

Diese poetische Schrift ward auf verschiedene Art aufgenommen. Einige konnten ihren Zorn nicht bergen, sondern ließen denselben öffentlich ausbrechen. Einige zürnten heimlich, und wie die Neigungen der Menschen sehr unterschieden sind, so mißfiel einigen diese und andern jene Stelle. Einige wurden dadurch gegen mich aufgebracht, weil sie glaubten, daß sie unter verdeckten Namen hier abgeschildert wären. Andre besorgten wegen ihres bösen Gewissens ebendasselbe und verbunden sich untereinander, gegen den Verfasser die Waffen zu ergreifen. Noch andere, welche nicht gewohnt waren, etwas anders zu lesen als Hochzeits-, Leichen- und Lobgedichte, erstaunten über diese Neuerung und tadelten die Kühnheit des Verfassers. Einige bildeten sich ein, daß ihre Feinde hier durchgezogen würden. Diese nahmen das Gedicht mit Freuden auf und glaubten, daß sie hiedurch Anlaß erhalten hätten, über ihre Feinde zu spotten. Sie ließen auch keine Gelegenheit aus den Händen gehen, ihren Feinden die ihrer Meinung nach auf sie gerichteten Stellen vorzusagen. Hierdurch ward aber nichts anders ausgerichtet, als daß die Leute noch mehr in ihrer ungegründeten Meinung bestärkt wurden. Der gemeine Mann, welcher sich nur bei der Schale aufzuhalten pflegt, hielt dieses Gedicht für eine unnütze Arbeit eines Menschen, der sonst keine Geschäfte habe. Einige Gelehrte, welche die Sache genauer überlegten, sahen diese Blätter, wie insgemein geschieht, mit neidischen Augen an. Es fehlte aber auch nicht an gesunden Auslegern und beherzten Verteidigern dieses kleinen Werks, welche es für etwas Großes und Angenehmes hielten, auf eine solche scherzhafte Art die nützlichsten Wahrheiten zu sagen. Und wie nachher mein Name bekannt ward, so erhielt ich desfalls von ihnen eine doppelte Danksagung. Anstatt daß einige daher Anlaß nahmen zu sagen, daß man anfinge, die Dichtkunst in ein Geschwätze zu verwandeln, so urteilten diese vielmehr, daß man nun aufhörte, dieses zu tun, und daß man nun ein Gedichte hätte, welches man ohne Schande den Franzosen und Engländern zeigen könnte. Durch deren Vorstellung ließ ich mich überreden, dieses Gedicht völlig zustande zu bringen, welches denn in einer kurzen Zeit ein großes Werk ward und aus vier Teilen bestand. Es ward auch in anderthalb Jahren, welches bisher noch keinem dänischen Buche jemals widerfahren war, dreimal wieder aufgelegt. Die letzte Ausgabe, welche ich aufs neue durchgesehen und ausgebessert, war vollständiger als die ersten und auch noch überdem mit Kupfern gezieret. Ich habe vor kurzer Zeit erfahren, daß meine Gedichte auch in Schweden und Deutschland verkauft werden, und freue mich, daß dieselben auch außerhalb Landes ebendenselben Beifall finden, den sie in meinem Vaterlande erhalten haben. Vielleicht dörfte mir dieses jemand als eine Ruhmrätigkeit oder als ein eigen Lob auslegen. Es ist zwar den Dichtern erlaubt, sich selbst sittsam zu rühmen, dennoch urteile ich aber in diesem Falle nicht selbst, sondern ich führe nur an, was andre davon geurteilet haben. Und die Urteile andrer Leute über mich und meine Arbeiten erwecken mir allemal ein Vergnügen, sie mögen gegründet sein oder nicht. Wenn ich meine eigne Meinung von dieser Sache entdecken soll, so halte ich dasjenige für anständig und unschuldig, was an so vielen Orten von allen gebilliget wird, und was auch die allerernsthaftesten mit Anmut und Vergnügen lesen.

Es würde zu weitläuftig und Ihnen, mein Herr, zu beschwerlich sein, wenn ich die Unruhe, welche durch dieses kleine Werk erregt worden, und die Beschuldigungen, womit man dasselbe angegriffen, hier umständlich erzählen wollte. Ich übergehe dieses alles vielmehr mit Stillschweigen. Dieses einzige will ich nur anführen, daß dies Gedicht auch von den höchsten und weisesten Räten Sr. Majest. selbst untersucht und für eine unschuldige und aufgeweckte Schrift erkläret worden.

Wie dieser Streit geendiget war und sich der Haß mit der Zeit verlor, den ich mir durch die Historie des Peter Paarsens, welchen Titel mein Gedicht führte, zugezogen hatte, so fing ich an, auf andre Satiren zu denken, und ließ gleich darauf noch fünf andere ans Licht treten. Die erste Satire ist die schärfste und spottet über die Torheit des menschlichen Geschlechts. Sie führt die Aufschrift: Democritus und Heraclitus. Die andre enthält eine Verteidigung des Sängers Tigellius. Es wird in derselben erwiesen, daß weder Horatius noch die meisten Menschen in der Welt von der Unbeständigkeit frei sind, welche Horatius dem Tigellius aufbürdet. In der dritten Satire wird die Historie des Peter Paarsens beurteilet. Die vierte Satire ist diejenige, in welcher ich den Juvenal nachzuahmen gesucht: Der Dichter sucht seinen Freund, einen alten Mann, von seinem Vorhaben, ein junges Mädchen zu heiraten, abwendig zu machen. Die fünfte Satire ist eine Schutzschrift über das Frauenzimmer. Es wird dargetan, daß das weibliche Geschlecht nicht nach dem Rechte der Natur, sondern bloß durch willkürliche menschliche Gesetze von allen öffentlichen Bedienungen und Ämtern ausgeschlossen worden. Einer jeden Satire ist eine Vorrede vorgesetzt, worin die Absicht dieser Gedichte entdeckt und die Gemütsart des Dichters bekannt gemacht wird und zugleich die Vorwürfe, welche man denselben machen könnte, abgelehnet werden. Der Zorn legte sich zwar nunmehro einigermaßen, dennoch aber hörte derselbe nicht gänzlich auf, und er ist auch noch nicht völlig verschwunden. Noch sind viele, welche einander heimlich ermahnen, daß man sich für den Dichter hüten müsse, dessen scharfe Feder mit einem so großen Nachdruck die Fehler der Menschen abmale.

Wie ich einmal von einem nicht ungelehrten Manne ersucht ward, auf seinen Bruder, welcher ein sehr unordentliches Leben führte, eine Schmähschrift zu machen, so antwortete ich ihm mit den Worten des Plinius: Man muß die Laster und nicht die Menschen verfolgen. Wenn ich außer den Schranken weichen und einen jeden tadeln wollte, so würde ich von mir selbst den Anfang machen. Durch diese aufrichtige Erklärung, welche ich öfters wiederholete, konnte ich doch die bösen Gedanken, welche man von mir gefaßt hatte, nicht austilgen. Die meisten glauben noch und lassen sich diesen Irrtum nicht benehmen, daß unter allen Worten, die ich rede, ein heimliches Gift verborgen sei, und aus dieser Ursache sehen sie auch meine Auslegungen nicht für aufrichtig, sondern als eine Frucht der Furcht an. Wenn ich auch nur von den Jahrszeiten oder von dem Wetter rede, so legt man diesen Worten gleich einen doppelten Sinn bei, wie sie teils nach den Buchstaben, teils nach meiner Absicht können verstanden werden: Da doch niemand offenherziger ist als ich. Diejenigen kennen mich nicht recht, welche mich für einen Meister in der Kunst, sich zu verstellen, ansehen. Weil ich von Natur hitzig und zum Zorn geneigt bin, so ist es mir ohnmöglich, weder durch Kunst noch mit Macht, meine Affekten zu unterdrücken und eine andere Gestalt anzunehmen, als die mit meinem Herzen übereinstimmet. Was ich auf dem Herzen habe, das entdecke ich frei, und man kann den Zorn oder die Freude allemal aus meinem Gesichte lesen. Wenn ich mich desfalls wegen einer Schwachheit, die ich an mir habe, tadeln wollte, so könnte solches mit weit mehrerm Rechte deswegen geschehen, weil ich gar zu offenherzig bin, als weil ich gar zu sehr heuchele.

Übrigens ist es einem jeden, sowohl aus den meisten Satiren, als auch aus der Rede, die ich zum Lobe der Metaphysik hielte, bereits zur Gnüge bekannt, daß mir nichts so schwerfalle, als jemanden zu loben. Wie ich Sekretär der Akademie war und es mein Amt erforderte, eine öffentliche Schrift abzufassen, worin diejenigen, welche den Titel eines Baccalaurei oder Magistri annehmen, nach der alten Gewohnheit mußten gelobt werden, so prophezeiten meine Freunde gleich, daß diese Arbeit keinen guten Ausgang nehmen würde. Und hierin irrten sie sich auch nicht. Denn mein Programma ward unterdruckt, und man redete in der ganzen Stadt sehr übel von mir. Ob man aber in diesem Stücke recht mit mir verfahren, solches werden Sie, mein Herr, am besten aus der Schrift selbst urteilen können, die ich hier von Wort zu Wort mitteile.

 

Urteilen Sie nunmehro selbst nach Dero großen Einsicht, ob dieses Programma so beschaffen sei, daß man deswegen einen so großen Streit anfangen dürfen. Urteilen Sie selbst auch hier so redlich und aufrichtig, wie Sie sonst zu tun gewohnt sind. Ich will mit Ihrem Urteile zufrieden sein und diese Schrift für verwerflich erkennen, wenn Sie dieselbe nicht billigen. Ich werde es aber auch gerne dulden, daß andre dieses Programma verwerfen, wenn ich nur damit bei Männern von Dero Einsicht Beifall finde.

Zum wenigsten ward dieses Programma, weil man es öffentlich auszuteilen verboten hatte, sehr teuer bezahlt, so wie sich ein Gerüchte immer stärker ausbreitet, je mehr man solches zu unterdrucken sucht.

Endlich ward ich einer solchen fruchtlosen Arbeit überdrüssig, welche mir einen so schlechten Lohn und einen so geringen Nutzen brachte, und nahm meine alten Bemühungen wieder zur Hand, welche ich eine so lange Zeit an die Seite gesetzt hatte. Ich nahm mir vor, das Werk zustande zu bringen, woran ich bereits vor einigen Jahren zu arbeiten angefangen. Es begreift dasselbe eine kurze Abbildung der geistlichen und weltlichen Verfassung in beiden Reichen. Wie ich aber mit dieser Arbeit beschäftiget war, so geriet ich auf die Gedanken, nach dem Beispiel andrer Völker, einige Schauspiele in dänischer Sprache abzufassen. Ich glaubte selbst, daß ich nicht ganz ungeschickt sein möchte, solche Fabeln zu schreiben, und deswegen bat man mich sehr oft, die Arbeit wieder fortzusetzen, welche ich neulich verlassen und fast verschworen hatte. Auf der einen Seite reizte mich das inständige Anhalten meiner Freunde, unter denen sich auch die vornehmsten Herren in der Stadt befanden, deren Befehl ich nicht gerne ungehorsam sein wollte. Auf der andren Seite aber schreckte mich von diesem Vorhaben der Verdruß ab, den dergleichen Schriften mit sich zu führen pflegen. Aus den Anfällen, die ich vorher erlitten, hatte ich bereits zur Gnüge gelernt, wie beschwerlich es sei, sich mit der ganzen Welt in einen Krieg einzulassen. Endlich ward ich durch das unermüdete Anhalten meiner Freunde überwunden, meine vorigen Arbeiten wieder anzufangen, und schrieb die Schauspiele, welche nachher auch gedruckt worden und nun in jedermanns Händen sind.

Ich habe mir in diesen neuen Schauspielen insonderheit angelegen sein lassen, neue Laster anzugreifen, die von andern noch nicht vorgestellt worden und zu welchen die dänische Nation für andern geneigt ist. Ich unterwarf meine Arbeit zuerst der Prüfung einiger Freunde und war annoch zweifelhaft, ob ich dieselbe sollte ans Licht treten lassen. Weil aber meine Freunde nicht nachließen, mich darum zu bitten, und ich auch besorgen mußte, daß die Stücke verstümmelt und unvollkommen herauskommen möchten, so gab ich doch endlich die fünf ersten Stücke einer hiesigen Bande Komödianten zur öffentlichen Vorstellung.

Das erste Schauspiel führte den Namen ›Der politische Kanngießer‹ und ward im Jahr 1722 mit dem größten Beifalle aufgeführt. Es war eine solche Menge von Zuschauern gegenwärtig, daß viele im Vorhofe mußten stehenbleiben, die sich auf keine Art durchdrängen konnten. Einigen aber mißfiel dieses Lustspiel doch, weil sie den Endzweck desselben nicht einsahen und sich einbildeten, daß der Magistrat der Stadt darin durchgezogen worden, da man doch noch niemals eine Komödie geschrieben, welche das Ansehen obrigkeitlicher Personen nachdrücklicher behauptet. Die Satire zielt allein auf gemeine Leute, welche in den Wirtshäusern die Obrigkeiten und Feldherrn tadeln, das Verhalten der Könige und Fürsten untersuchen und von allen ein freches Urteil fällen, daß man denken sollte, es wären keine geringe und gemeine Leute, sondern die erfahrensten Generals und die verdientesten Bürgermeister versammlet, welche ihre Ämter niedergelegt und sich der Ruhe gewidmet hätten. Die Torheit dieser Leute wird in diesem Lustspiel in der Person des Kanngießers lächerlich gemacht, zu dem einige Ratsherren gleichsam als Abgeordnete des ganzen Rats zu dem Ende kommen, daß sie ihm einbilden mögen, er sei zum Bürgermeister erwählt worden. Wie er hierauf in allerhand Geschäfte eingeflochten wird, welche er auszurichten nicht vermögend ist, so lernt er daraus, wie beschwerlich es sei, einer Republik vorzustehen. Er wird auch dadurch bewogen, seine vorige Torheit einzusehen und zu verlassen, die Schwäche seines Verstandes zu erkennen und sich inskünftige in seinen Schranken zu halten. Ich glaube nicht, daß man eine bessre und nützlichere Materie, besonders in freien und Reichsstädten, erwählen kann, wo die Freiheit des gemeinen Pöbels im Reden so weit gehet, daß sie weder durch Gesetze noch durch Strafen kann eingeschränkt werden.

Das andre Lustspiel führt den Namen ›Lucretia oder die Wankelmütige‹ und tadelt hauptsächlich die törichte Unbeständigkeit des Sinnes, welche bei vielen angetroffen wird. Der Inhalt ist nicht gemein und noch von niemanden auf der Schaubühne vorgestellt worden. Die Hauptperson in diesem Schauspiele ist ein unbeständiges und wankelmütiges Frauenzimmer, deren Sitten die Frau Montaigu so lebhaft vorzustellen wußte, daß man es nicht besser wünschen konnte. Dennoch ward dieses Lustspiel von einigen kaltsinnig aufgenommen, weil sie glaubten, daß verschiedene Auftritte gar zu ernsthaft wären. Andre aber, welche die Sache genauer einsahen, schätzten dieses Lustspiel ebensohoch als alle übrigen. Dieses ist mir Ehre genung. Die rechten Tonkünstler richten sich nicht nach dem Urteil ihrer meisten Zuhörer, sondern nach dem Ausspruch der wenigen Kenner. Und es ist mir gleichgültig, was die meisten urteilen, ich bin zufrieden, wenn ich nur den Beifall von einigen erhalte, die imstande sind, ein richtiges Urteil davon zu fällen.

Das dritte Lustspiel ist ›Jean de France oder der dänische Franzose‹. Hierin wird die Torheit unsrer Jugend lächerlich gemacht, welche in großer Anzahl außerhalb Landes reisen und, wenn sie ihre Mittel durchgebracht haben, halb nackend, aber reich an törichten und abgeschmackten Sitten zurückekommen und hiernächst alles in ihrem Vaterlande mit Verachtung ansehen. Von diesem Lustspiele kann man mit Recht sagen:

Omne tulit punctum, qui miscuit utile dulci, Omne tulit ...: Allgemeinen Beifalls erfreut sich, wer das Nützliche mit dem Angenehmen zu verbinden weiß. (Horaz, Ars poetica, 343)

denn es ist nützlich und aufgeweckt abgefaßt.

Das vierte Lustspiel ist ›Jeppe auf dem Berge oder der dänische Menalcas‹. Die Materie habe ich aus der Utopia des Bidermanns entlehnt, und desfalls eigne ich mir auch keinen Ruhm wegen dieser Arbeit zu. Doch hat mir Bidermann nur den ersten Stoff dazu hergegeben. Die erste Vorstellung ging nicht gut vonstatten, weil die Komödianten eben an demselben Abend untereinander uneins geworden waren. Aber die andre Vorstellung geriet desto besser. Dieses Lustspiel erhielt dadurch noch eine besondre Annehmlichkeit, weil ein Mitglied der Bande einen seeländischen Bauer in Absicht auf die Sprache, Gebärden und Sitten vortrefflich vorzustellen wußte.

Das fünfte Lustspiel, ›Gerhard Westphaler oder der schwatzhafte Balbierer‹, mißfiel allen Zuschauern so sehr, daß sehr viele weggingen, ehe noch die Komödie geendiget war.

Einige schlichen sich heimlich weg, einige aber gingen offenbar von dem Schauplatze. Dieses hätte ich mir niemals vorgestellt, weil ich dieses Lustspiel jederzeit fast allen andern vorgezogen. Wie ich die Ursache erfuhr, wesfalls diese Komödie einen so schlechten Beifall gefunden, und daß es den Zuhörern verdrießlich gewesen, daß einerlei Rede so oft wiederholt worden, so setzte ich eine Vorrede zu dieser Komödie auf, worin ich dieselbe verteidigte und die Absicht derselben entdeckte. Eben die beständige Wiederholung war der Kern der Satire, und es fehlte diesem Lustspiele nichts, als daß man dem Balbierer anstatt dreier Historien, womit er seine Freunde ermüdete, nur eine in den Mund legte, und ihn dieselbe immer wiederholen ließe. Wie ich hierdurch den Irrtum gehoben hatte, so veränderten sich auch die Gemüter. Und diejenigen, welche vorher dieses Lustspiel aufs äußerste verachtet hatten, hielten dasselbe nunmehr für eines der allerangenehmsten Schauspiele.

Das sechste Lustspiel führt den Namen ›Der eilfte Junius‹. Weil dasselbe an eben diesem Tage zum ersten Mal aufgeführt ward, so ward dadurch fast die ganze Stadt angereizt, die Vorstellung desselben mit anzusehen. Der Inhalt der Komödie besteht darin: Ein großer Kapitalist sendet seinen einfältigen Sohn nach Kopenhagen, um die Zinsen von den ausgeliehenen Geldern einzufordern. Denselben sucht ein Schuldner, welcher dem großen Kapitalisten sehr viel zu bezahlen hatte, bei dieser Gelegenheit zu betriegen. Der Diener des Schuldners gibt sich für einen Vetter des jungen Menschen aus und spielt seine Rolle so gut, daß er nicht nur seinen Herrn von allen Schulden befreiet, sondern auch den jungen Menschen fast nackend ausplündert. Dieses Lustspiel ist sehr aufgeweckt, aber nach dem allgemeinen Geschmack eingerichtet. Ich muß bisweilen meine eigne Neigung an die Seite setzen und mich nach dem Geschmacke des größten Haufens richten.

Das siebente Schauspiel ist ›Die Wöchnerin oder die Wochenstube‹, worin alle Beschwerden und Gebräuche, die in Wochenstuben üblich sind, mit lebendigen Farben abgemalt werden, welche Umstände noch empfindlicher und unerträglicher sind als die Geburtsschmerzen selbst. Es wird eine große Anzahl Frauenzimmer aufgeführt, welche mit verdrießlichen und abgeschmackten Glückwünschen wie auch mit andern höflichen Beschwerden die arme Wöchnerin plagen. Weil dieses Lustspiel den Torheiten des Frauenzimmers recht den Spiegel vorhält, so glaubten einige dadurch beleidiget zu sein. Aber eben aus diesem Grunde halten vernünftige Richter dieses Lustspiel für eines der allerbesten.

Das achte Lustspiel besteht bloß aus einem Aufzuge und wird ›Der Empiricus oder das arabische Pulver‹ genannt. Hierin werden die Toren lächerlich vorgestellt, welche sich auf eine recht unsinnige Art bemühen, Gold zu machen. Es wird ein Betrieger aufgeführt, welcher sich für einen Goldmacher ausgibt und einen vornehmen Herren zu hintergehen sucht, welcher sich denn auch durch dessen List dergestalt einnehmen läßt, daß er glaubt, den Stein der Weisen bereits zu besitzen. Endlich aber erfährt er, wiewohl zu späte, mit seinem größten Schaden, daß er betrogen worden, und beklagt mit Tränen, daß er dem fremden Betrieger gar zu leicht Glauben zugestellet. Es zielt aber dieses Lustspiel nicht allein auf die Goldmacher, sondern es begreift auch andre Vorstellungen in sich, welche diese Komödie sehr reizend und angenehm machen. Sobald sich das Gerüchte ausbreitet, daß dieser Mann aus gemeinem Stande durch Hülfe eines Pulvers Gold machen kann, so geraten alle Einwohner der Stadt in Verwunderung, und auch diejenigen, welche ihn vor kurzer Zeit verachtet hatten, dringen nebst andern in sein Haus, um ihren Glückwunsch abzulegen, und verraten dadurch ihre schändliche Verstellung. Das unvermutete Glück aber macht den andern Mann stolz, er empfängt diejenigen, welche ihm Glück wünschen wollen, auf eine sehr hochmütige Art und wirft ihnen in einer bittern Anrede ihre schändliche Aufführung vor. Wie er aber noch hiermit beschäftiget ist, so wird der Betrug entdeckt, und das ganze Haus erschallet von Heulen und Lachen. Weil der Inhalt dieses Lustspiels so wichtig ist, so ist an demselben nichts weiter auszusetzen, als daß es nur aus einem Aufzug bestehet.

Mit einem ebenso großen Beifall ward das neunte Schauspiel, ›Juulestue oder die Weihnachtstube‹, von den Zuschauern aufgenommen. Es ist nichts Wichtiges darin vorgestellt worden, aber es ist so lustig, daß man fast kein Wort davon hören konnte, wie es zum ersten Male vorgestellt ward, weil die Zuschauer durch ihr lautes Lachen solches verhinderten. Die Komödianten selbst konnten sich des Lachens kaum enthalten, und es fehlte nicht viel, so hätte man deswegen die Vorstellung in der Mitte abbrechen müssen.

Das zehnte Lustspiel ist von ebenderselben Beschaffenheit und führt den Namen ›Das Bacchusfest oder die Maskerade‹. Es ist zweifelhaft, ob dasselbe dem gemeinen Manne mehr gefallen, welcher nur auf das siehet, wodurch das Auge gereizt wird, oder den Vornehmen, welche zugleich das Ohr wollen vergnügt wissen. Der Inhalt ist angenehm und verliebt, und die Unterredungen sind durchgehends satirisch. Es ward dieses Lustspiel dreimal nacheinander aufgeführt, welches Glücke noch keiner Komödie bei uns jemals widerfahren.

Das eilfte Schauspiel, ›Jacob von Tyboe oder der prahlende Soldat‹, gefiel den Zuschauern gleichfalls, obgleich die Materie nicht neu war und ich in diesem Lustspiele einen Vorgänger an dem Plautus hatte. Ich halte aber selbst dafür, daß dieses Stück in etwas verändert werden müsse, weil gar zu lange Soliloquia darin vorkommen, welche zwar wegen der darin enthaltenen witzigen Stellen einem Leser, nicht aber den Zuschauern zum Vergnügen gereichen.

Das zwölfte Lustspiel, ›Ulysses‹, ward mit größerm Beifall aufgenommen. Hierin werden die abgeschmackten Komödien, da man eine Zeit von fünfzig Jahren in einem Abend vorstellt und gar keine Regeln der Schaubühne beobachtet, scharf durchgezogen. Solche Schauspiele pflegten ehedem von Landstreichern hieselbst gespielet zu werden. Dieses Lustspiel enthält eine Zeit von vierzig Jahren, die Maschinen werden stets verändert, die Fürsten und Generals unterscheiden sich bloß durch ihre hohen und schwülstigen Reden. Sooft ein König die Bühne betritt, so werden die Trompeten geblasen. Die Personen in diesem Lustspiele sind in dieser Stunde jung und in der andern sind sie schon so alt, daß sie auf der Grube gehen. Allenthalben werden Fehler in der Zeitrechnung gemacht, die Personen und Örter erhalten unrichtige Namen, und es ist nichts ausgelassen, was man in den Komödien der Landstreicher zu bemerken pflegt. Alle diese Fehler entdeckte Harlekin, ein Diener des Ulysses, auf eine so geschickte Art, daß dieses Lustspiel nicht nur dem gemeinen Mann gefiel, der doch sonst an moralischen und kritischen Vorstellungen keinen Gefallen findet, sondern es war auch den Großen und Vornehmen angenehm.

Das dreizehnte Lustspiel führt den Namen ›Kildereise oder Brunnenreise‹. Dieses zielt auf diejenigen, welche sich eine so große Vorstellung von der Kraft eines Brunnens machen, der nicht weit von Kopenhagen liegt, und daher zu einer gewissen Jahreszeit, nämlich in der Johannisnacht, in großer Menge dahin wallfahrten.

Das vierzehnte Stück ist eine Tragikomödie und heißt ›Melampus‹. Der Held in diesem Stücke ist ein kleiner Hund, welchen zwo Schwestern zugleich so heftig lieben, daß daher unter ihren beiden Liebhabern ein großer Streit entsteht. Es wird aber endlich dieser Krieg durch den Bruder der beiden Schwestern glücklich beigelegt, welcher den Hund, um den sie stritten, aus dem Wege räumte. Diese Vorstellung gefiel den Zuschauern ganz außerordentlich, wegen der seltnen und wohlausgeführten Erfindung, denn da die Betrübnis, welche aus einer so geringen und lächerlichen Ursache entstanden, überaus glücklich ausgedruckt wird, so werden die Zuschauer sowohl zum Lachen als Weinen bewogen. Dieses Stück hat eine doppelte Absicht. Teils werden die Trauerspiele lächerlich gemacht, die bloß in weitläuftigen und prächtigen Worten bestehen, teils werden dem Frauenzimmer einige höfliche Wahrheiten gesagt, welche, wie der Poet sich ausdrückt:

Morte Viri cupiunt animam seruare catellae. Morte Viri ...: ... den Mann umbringen möchten, wenn sie damit dem Schoßhündchen das Leben retten könnten. (Juvenal, Satiren VI, 654)

Das funfzehnte Schauspiel führt die Aufschrift ›Zweene ungleiche Brüder‹. Die Helden in diesem Stücke sind zweene Brüder, von denen der eine abergläubisch ist und alles glaubt, der andre aber will gar nichts glauben. Ein Freund sucht ihnen beiden zu helfen, durch seine Bemühung aber verfällt der Zweifler in den Aberglauben, und der vorher alles geglaubt hat, glaubt nun nichts mehr. Dieses Schauspiel zeigt, daß man niemals die Mittelstraße wähle, sondern daß der Eifer, jemanden von seinem Irrtum zu überzeugen, öfters so weit gehe, daß man selbst auf die entgegengesetzte Seite fällt. Aber dieses Schauspiel ist angenehmer, wenn man es lieset, als wenn man es aufführen sieht.

Diese funfzehn Lustspiele wurden in drei Bänden herausgegeben, von denen der erste dreimal in zwei Jahren gedruckt worden. Die andern wurden damals nicht unter die Presse gegeben, aber doch der Schaubühne mit Beifall der Zuschauer aufgeführt. Das erste Lustspiel hieß ›Dieterich von Menschenschreck oder der listige Henrich‹. Diesen Namen hat der Diener in allen meinen Lustspielen. Das andre ›Henrich und Petronille‹. Das dritte ›Der Pfalzgraf oder der verpfändete Bauernjunge‹. Das vierte ›Der geschäftige Müßiggänger‹ und das fünfte ›Der treulose Stiefvater‹.

Einige wunderten sich, daß ich in einer so kurzen Zeit zwanzig Lustspiele schreiben können, von denen die meisten solche Laster und Torheiten angreifen, die von andern noch nicht berühret worden. Einige bildeten sich auch ein, man könne auf mich deuten, was Horaz sagt:

Nam fuit hoc vitiosus, in hora saepe ducentos
Ut magnum, versus dictabat, stans pede in uno.
Nam fuit hoc vitiosus ...: Denn das war seine Schwäche: in einer Stunde diktierte er oft, als wäre das etwas Großes, stehenden Fußes zweihundert Verse. (Horaz, Satiren I, 4, 9 f.)

Aber diese Leute kann man nicht widerlegen, wo man nicht zugleich seinen eignen Ruhm ausbreiten will. Dieses einzige will ich nur anführen, daß meine Komödien, welche mit den besten Lustspielen des Moliere wechselsweise aufgeführt wurden, mit einem gleichen Beifalle aufgenommen worden, außer daß die Vorstellung der Molierischen Stücke besser vonstatten ging, da der Herr Montaigu, ein berühmter französischer Schauspieler in Kopenhagen, seine Leute in der Art des Vortrags, in den Sitten, Gebärden und andern Umständen aufs sorgfältigste unterrichtete. Hiezu kommt, daß fast keine Nation so wenigen Geschmack an dem findet, was bei ihnen zum Vorschein kommt, als meine Landsleute. Insonderheit hat das Frauenzimmer in diesem Lande den Fehler an sich, daß es weder etwas gerne siehet oder höret, wo es nicht in der französischen Sprache abgefaßt worden. Daß also meine Lustspiele einen so großen Beifall funden und so oft zum größten Vorteil der Komödianten aufgeführt wurden, solches rührte weder daher, daß sie neu waren, noch daß die Vorstellung derselben mit glücklichem Erfolg geschahe. Es fehlte vielmehr nicht an solchen Leuten, welche diese Schauspiele mit neidischen Augen ansahen und solche heimlich und offenbar ihres Ruhms zu berauben suchten. Allein ihre Bemühung ist vergebens gewesen, denn meine Schauspiele haben ihren Wert behalten und werden auch noch von vornehmen und geringen Personen hochgeachtet.

Sie wundern sich, mein Herr, in Ihrem letzten Schreiben, daß die Schauspiele bei uns aufgehört haben. Ich aber wundere mich noch weit mehr, daß dieselben noch so lange haben dauren können. Sie beklagen desfalls das Publikum und zugleich auch mich. Daß Ihnen, in Absicht auf das gemeine Wesen, der Untergang des dänischen Schauplatzes nahegehe, solches glaube ich sehr leicht, da ich weiß, wie patriotisch Sie gegen Dänemark gesinnet sind. Dieses ist auch von andern geschehen, die eben eine so zärtliche Liebe gegen ihr Vaterland hegen, wie Sie, mein Herr, zu tun gewohnt sind, und welche jederzeit in den Gedanken gestanden, daß die Ehre und der Nutzen der dänischen Nation durch die Schauspiele gar sehr befördert worden. Alle wohlgesittete Völker haben sich die äußerste Mühe gegeben, ihre Schaubühnen gut einzurichten, und eifern stets miteinander, die Schauspiele so regelmäßig und vollkommen zu machen, als es nur immer möglich ist. Und so muß es ja der dänischen Nation notwendig zur Ehre gereichen, wenn dieselbe auch in diesem Stücke andern Völkern nichts nachgeben darf. Der Nutzen, welchen die Schauspiele leisten, leuchtet einem jeden in die Augen. Die Tugenden und Laster werden in denselben mit lebendigen Farben abgeschildert. Der gemeine Mann hatte davon vorher gar keinen Begriff, weil er keine andere Komödien gesehen hatte, als welche die Landstreicher hier ehedem aufzuführen pflegten. Solange der dänische Schauplatz noch imstande war, so lange konnten die fremden und elenden Komödianten von unsern Grenzen abgehalten werden, welche sonst gewohnt waren, alle Jahre hierherzukommen, und nicht nur das Geld aus dem Lande schleppten, sondern auch die Zeit verdurben und ihren Zuschauern böse Sitten beibrachten. Wie Sie, mein Herr, vor einigen Jahren hier in der Stadt waren und nicht ohne Vergnügen anhörten, wie eine Magd über die Torheit des menschlichen Geschlechts, die man in den Schauspielen vorstellet, vernünftig urteilte, so brachen Sie in diese Worte aus: Die Stadt ist glücklich, wo die Dienstmägde philosophieren. Ich will den Nutzen nicht einmal berühren, welcher mit den Schauspielen verbunden ist, daß die dänische Sprache dadurch zu einer mehrern Reinigkeit kann gebracht werden, welche wegen der Unachtsamkeit der Schriftsteller noch viele Fehler hat. Ihr Urteil ist demnach vollkommen gegründet, wenn Sie den Untergang des dänischen Schauplatzes in Absicht auf das gemeine Wesen bedauren. Warum Sie aber auch mich zugleich beklagen, solches kann ich nicht einsehen. Ich bin nunmehr von allem Streit, von aller Arbeit und Mißgunst befreiet, womit ich stets beladen war, solange die Schauspiele währten. Diese Frucht brachte mir meine Bemühung an diesem Orte, da im Gegenteil ein Verfasser in Frankreich oder England durch ein Schauspiel, wenn es Beifall findet, zwei- bis dreitausend Reichstaler gewinnen kann. Desfalls sollten Sie mir billig Glück wünschen, daß ich von so beschwerlichen und kostbaren Arbeiten nunmehro befreiet worden.

Ich merkte endlich, daß meine Kräfte durch diese geschwinden und beständigen Arbeiten sehr geschwächt wurden. Ich faßte daher den Schluß, nach Aken ins Bad zu gehen, und trat auch diese Reise wirklich im Jahr 1725 im Anfang des Brachmonats an, nachdem ich mich vorher mit einem königlichen Reisepasse versehen hatte. Ich hoffte, daß die Bewegung des Leibes mir einen größern Nutzen schaffen sollte als das warme Bad. Aber ich erfuhr, daß die Bewegung meinem Körper bei zunehmenden Jahren und da ich der strengsten Mäßigkeit gewohnt war, ebenso vielen Schaden zufügte, als mir dieselbe bei jüngern Jahren und da ich noch nicht gar so strenge lebte, dienlich gewesen.

Die Witterung war in diesem Jahre sehr rauhe, und ob ich gleich im Anfange des Brachmonats meine Reise antrat, so war doch die Luft so kalt und stürmisch, als wenn der Winter bereits eingetreten wäre. Der Sturm hatte auch die See überaus unruhig und zur Überfahrt über den großen und kleinen Belt sehr gefährlich gemacht. Es fehlte auch nicht viel, daß ich nicht das Leben eingebüßt hätte, wie ich über den kleinen Belt fuhr. Endlich kam ich nach Hadersleben, woselbst die Einwohner sehr dienstfertig und höflich zu sein schienen. Aber in Flensburg merkte ich, daß man die Reisenden nicht so höflich aufnahm. Unter allen Einwohnern des Fürstentums Schleswig haben die Flensburger den Ruhm, daß sie die größten Haushälter sind. Sie sind genau und arbeitsam und wissen ihr Geld gut anzuwenden.

... parcum genus est, patiensque laborum.
Quaesitique tenax, et quod quaesita reseruat.
... parcum genus est...: Ein sparsames Geschlecht ist's, ausdauernd in Arbeit, eifrig bedacht auf Erwerb und wohl das Erworbene bewahrend. (Ovid, Metamorphosen VII, 656 f.)

Man darf sich deswegen auch nicht wundern, daß in Flensburg sehr viele reiche Leute angetroffen werden, zumal, da ihnen vor andern Einwohnern des Fürstentums Schleswig verschiedene Freiheiten zugestanden worden. Mein Quartier, welches ich in Flensburg erhielt, war sehr unbequem. Das Haus, worin ich einkehrte, war zwar sehr groß und hatte sehr viele Zimmer, aber es war zugleich allenthalben, wo man sich nur hinwandte, so unrein, daß man fast nirgends für Gestank bleiben konnte. Ich ward daher gezwungen, alle Stunden in meinem Zimmer räuchern zu lassen, wenn ich den häßlichen Geruch nicht beständig einziehen wollte. So war das Haus beschaffen, und diejenigen, mit denen ich speisete, waren ebensowenig reinlich. Unter meinen Tischgenossen waren zwo Personen befindlich, deren Gesellschaft mir ebenso lächerlich als verdrießlich war. Der eine stammelte sehr stark, und der andre hatte seine Nase ich weiß nicht in was vor einem Kriege verloren und schien mehr zu zischeln als zu sprechen. Beide hatten einen großen Trieb zu reden, und man konnte sie also teils nicht ohne Lachen, teils aber auch nicht ohne Verdruß anhören. Um den Tisch stunden fünf bis sechs große Hunde und Katzen, welche durch ihr Geschrei und Heulen mich bald umgebracht hätten. Alle diese Umstände waren mir unerträglich. Ich ging desfalls heimlich nach einem andern Wirtshause und erzählte dem Wirte daselbst alle Beschwerlichkeiten, die ich hier erdulden mußte. Ich ersuchte ihn zugleich, daß er mich in sein Haus aufnehmen möchte, da ich gezwungen wäre, mich noch einige Tage in der Stadt aufzuhalten. Dieser aber entschuldigte sich, daß er solches nicht tun könne, weil er besorgen müßte, daß ihn mein voriger Wirt bei der Obrigkeit verklagte. Wie also diese Hoffnung fehlschlug, so mußte ich mich zu meinem alten Quartier zurückbegeben. Ich stellte mich aber krank, damit ich allein auf meinem Zimmer speisen konnte.

Endlich verließ ich Flensburg und kam nach Hamburg. Hier ruhete ich einige Tage aus und setzte hernach meine Reise weiter fort. Obgleich in dieser prächtigen und reichen Stadt viele Merkwürdigkeiten enthalten und sehr viele berühmte Gelehrte anzutreffen sind, so besuchte ich doch keinen von ihnen, außer den hochehrwürdigen Herrn Fleischer, Probsten zu Altona, meinen sehr werten Freund und ehemaligen Reisegefährten.

Es sind drei Wege, welche nach Amsterdam gehen. Man kann entweder durch Osnabrück mit dem Wagen reisen, welcher, weil er sehr langsam gehet, die Ochsenpost genannt wird, oder man kann sich kleiner Schiffe und Fahrzeuge bedienen, die zu gewissen Zeiten des Jahrs dahin segeln, oder man kann auch seinen Weg über Bremen und Oldenburg nehmen. Diesen letzten Weg erwählte ich, weil er mir von meinen Freunden als der beste und sicherste gerühmt ward. Nach einer zweitägigen Reise langte ich in Bremen, aber vom Regen ganz durchnetzt und vor Kälte fast erstarret, an. Die Luft war in diesem Jahre mit Kälte und Regen so sehr angefüllet, und der Wind stürmte bisweilen so heftig, daß wir besorgten, er möchte die Bäume, wie an verschiedenen Orten geschahe, aus der Erde reißen und zu uns in den Wagen stürzen. Wegen der strengen Kälte waren wir gezwungen, in einem jeden Wirtshause ein Feuer anzumachen, um uns wieder einigermaßen zu erwärmen, und es war doch schon in der Mitte des Junius.

Die Einwohner der Stadt Bremen wissen von keiner Art der Wollust oder des Vergnügens, sondern führen ein strenges und rauhes Leben. Man siehet bei ihnen keine Komödien, niemals wird daselbst ein öffentliches Schauspiel aufgeführt, wo sich nicht zu gewissen Zeiten des Jahres einige Landstreicher einfinden und einige abgeschmackte Komödien vorstellen. Die Bremer gehen weder aus, andre zu sehen, noch sich von andern sehen zu lassen. Wenn also jemand sein Leben in der größten Stille und Ruhe zubringen will, der kann dazu keinen bequemern Ort als Bremen wählen, wo er nach seinem eignen Gefallen in der größten Ruhe leben kann, ohne durch jemanden darin gestöret zu werden. Es ist etwas sehr Seltenes, daß man in der Stadt von einem Tumult oder Aufruhr etwas erfährt, und fast niemals höret man, daß jemand bestohlen worden. Wie man zu der Zeit, da ich mich in Bremen aufhielte, einen Dieb ergriff, so ward dadurch die ganze Stadt in Bewegung gesetzt. Ein jeder eilte, den Dieb zu sehen, weil der Diebstahl in ihrer Stadt etwas gar Ungewöhnliches war. Mit der Regierungsform ist es fast in Bremen wie bei dem deutschen Contoir in Bergen beschaffen. An beiden Orten sind gewisse Altermanns und Achtzehner, so daß es fast das Ansehen gewinnt, als wenn die Gesellschaft in Bergen nach der bremischen Regierungsform eingerichtet worden. In Bergen trifft man ebendieselben obrigkeitlichen Ämter, ebendieselben Gebräuche, ja ebendieselben Namen an. So genau ist das bergensche Contoir in allen Stücken nach der bremischen Republik eingerichtet.

Man kann sehr bequem und mit wenigen Kosten durch Bremen und Oldenburg nach Amsterdam reisen, wenn man Reisegefährten hat. Weil ich aber allein war, so bereuete ich, daß ich diesen Weg erwählt hatte. Es war kein andres Fuhrwerk vorhanden, und also mußte ich die sogenannten Ordinanziewagen nehmen. In Oldenburg hielt ich mich einige Tage auf. Ich kann mit Wahrheit sagen, daß ich noch an keinem Orte mit mehrerm Vergnügen als hier gelebt habe. Ich hatte solches der gnädigen Aufnahme des Statthalters dieser Grafschaften, Sr. Exzellenz des Herrn von Sehestedt, zuzuschreiben. Dieser Herr war allem Hochmute feind und unterschied sich allein durch seine Tugend und Freundlichkeit wie auch durch seinen ungemeinen Verstand von den Geringern. Sein Haus war eine Zuflucht so vieler Gelehrten, daß dasselbe fast einer kleinen Akademie oder einem Gymnasio ähnlich war. Während der Tafel ward von lauter gelehrten Sachen geredet, woraus man sowohl Vergnügen als Nutzen schöpfen konnte. Vielleicht wäre man an andern Orten kostbarer bewirtet worden, nirgends aber konnte man freier und mit mehrerm Vergnügen speisen. Und daher ist es leicht zu vermuten, daß ich Oldenburg sehr ungern werde verlassen haben.

Der Weg, welchen man noch durch Ostfriesland bis Neucastel zurücklegen muß, ist kostbar und beschwerlich. Aber wenn man hier angelangt ist, so hat man das Schwerste überwunden. Man kann sich nunmehr der Treckschoyten für einen sehr mäßigen Preis bedienen. Die Reisenden pflegen dieses auch insgemein zu tun, insonderheit, wenn sie willens sind, auch des Nachts in den Schoyten zu bleiben. Denn man kommt nicht nur sodann geschwinder fort, sondern man vermeidet auch die Wirtshäuser, welche in Holland durchgehends kostbar und unbequem sind. Man findet in diesen Provinzen allenthalben prächtige Städte und kostbare Häuser. Auch in den ordentlichen Wohnhäusern ist alles sehr sauber und reinlich. Aber durch dieses alles wird das Auge mehr als das Gemüt vergnügt. Denn da die meisten Wirte sich noch aus allerhand Nebengewerben einen Vorteil zu machen wissen, so nehmen sie die Reisenden nicht so höflich auf wie in Frankreich oder Italien. Die Stuben sind daselbst wie in einem Lazarett eingerichtet und mit sehr vielen und hohen Betten besetzt, zu denen man mit Leitern hinansteigt. Hier muß man des Nachts liegen und in der Gesellschaft von Dieben und Räubern schlafen oder vielmehr wachen, daß man nicht von ihnen umgebracht werde. Die Reinlichkeit, von welcher die Holländer so viel Rühmens machen, gehört mit zu den Verdrießlichkeiten, die man dort empfindet. Denn wenn man auf den Boden speiet oder auch nur den kleinsten Tropfen Wassers auf den Boden fallen läßt, so drohet der Wirt gleich mit einem Prozeß, recht als wenn man eine große Missetat begangen oder einen heiligen Ort befleckt hätte.

Von der Reinlichkeit der Holländer habe ich allemal dieses Urteil gefället. Sie sind sauber und nette in Kleinigkeiten, aber schmutzig und unflätig in größern Dingen. Sie waschen ihre Straßen fleißig, aber nicht ihre Hände. Sie speisen alle aus einer Schüssel und schämen sich nicht, mit allen Fingern hineinzugreifen, welches den andern Tischgenossen notwendig einen Ekel erwecken muß, insonderheit, wenn man einen allenthalben mit Pech beschmierten Schiffer oder Bootsmann neben sich sitzen hat, welches sich öfters zuträgt, da diese Leute bei den Holländern in großem Ansehen stehen. Es ist kein Volk, dessen Schicksal ich mehr bedaure. Sie besitzen einen großen Reichtum und leben doch sehr arm. Sie wohnen in prächtigen Palästen und sind doch sehr enge eingeschränkt, weil sie keinen Hofraum bei ihren Häusern haben und die wenigsten einen Garten besitzen. Ich ward einmal von einem vornehmen Kaufmann zu Gast geladen, allein der ganze Schmaus bestand in einem Gerichte Fische. Desfalls entschuldigte ich mich nachher immer, sooft man mich wieder einlud. Dieses sind die Beschwerlichkeiten, denen die Reisenden in Holland unterworfen sind. Aber dieselben werden durch verschiedene herrliche Gesetze und nützliche Anordnungen wieder ersetzt, wodurch auch die entferntesten Völker nach Holland gelockt werden, daß man auch deswegen dieses Land als ein gemeinschaftliches Vaterland aller Einwohner der Welt ansehen kann. Übrigens sind die Holländer aufrichtig und redlich.

Wie meine Freunde in Amsterdam die Ursache meiner Reise erfuhren, so rieten sie mir alle einhellig, daß ich meinen Vorsatz ändern möchte. Im Anfang achtete ich ihre Erinnerungen nicht sonderlich. Endlich aber ließ ich mich doch durch die Vorstellungen derjenigen bewegen, denen die Beschaffenheit meines Körpers bekannt war, und änderte mein Vorhaben. Weil ich aber eine beschwerliche Reise gehabt hatte, so hielte ich es nicht für ratsam, die Rückreise gegen den Herbst anzutreten. Anfangs war ich willens, den Winter in Brüssel zuzubringen. Ich verwarf aber diesen Vorsatz wieder und faßte den Entschluß, mich den Winter über in Paris aufzuhalten. Ich ging deswegen mit einem Fahrzeuge von Amsterdam nach Rotterdam. Ich kann mich nicht entbrechen, von diesem Fahrzeuge eine Nachricht zu erteilen, damit andere sich dafür hüten können. Es scheint dasselbe, insonderheit solchen Leuten sehr bequem zu sein, welche ihr Zeug mit sich führen. Man muß aber vor allen Dingen darauf bedacht sein, daß man beizeiten des Schiffers Kajüt miete, wo man keine elende und schlaflose Nacht haben will. Dieses erfuhr ich zu meinem größten Verdrusse. Die Kajüt war bereits an andre vermietet, und ich war daher gezwungen, die Nacht bei den andern Passagiers zuzubringen. Der Raum, worin ich mich aufhielt, war mit Bootsleuten angefüllt, die vor kurzer Zeit aus Indien zu Hause gekommen waren und nun nach Zeeland reisen wollten. Dieses Schiffsvolk hätte mich beinahe durch die unzüchtigsten Reden und durch die ärgerlichsten Schandlieder umgebracht. Überdem hatten sie einen solchen Dampf von Tobaksrauch um mich her gemacht, daß ich nicht einen Schritt weit sehen konnte, ob es gleich am hellen Mittag war. Man hätte aus dem großen Dampf und Rauch urteilen sollen, daß wir einen feuerspeienden Berg im Schiffe bei uns hätten. Indessen ertrug ich dieses alles mit großer Geduld. Wie ich aber hörte, daß sie einen Rat hielten und in demselben beschlossen, daß niemand die ganze Nacht einen Augenblick schlafen sollte, so fürchtete ich mich nicht wenig. Ich hoffte, daß dieses Gesetz, welches in der Trunkenheit abgefaßt worden, wieder würde aufgehoben werden, wenn sie den Rausch ausgeschlafen hätten. Weil sie aber die ganze Nacht in der Völlerei zubrachten, so ward dieses Gesetz so genau in acht genommen, daß sie mich, sooft mir nur die Augen zufielen, gleich mit dem Ellbogen anstießen und mich aufweckten. Ich langte deswegen zu Rotterdam krank und sehr verdrießlich an und erzählte mein Schicksal einem französischen Obristen, der Ganeau hieß. Er war vor kurzer Zeit aus Spanien zurückgekommen und hatte auf dem Schiffe eben eine so elende Nacht als ich gehabt. Dieser Obriste war hiernächst mein Reisegefährte, und ich habe ihn als einen edelmütigen, redlichen und sehr wohlgesitteten Mann befunden, welcher mir auf alle mögliche Art zu dienen suchte. Man kann bisweilen, wenn der Wind gut ist, in einer Zeit von zwölf Stunden nach Antwerpen segeln. Weil uns aber der Wind entgegen war, so brachten wir auf dieser Reise vierundzwanzig Stunden zu. Wenn man von Rotterdam nach Antwerpen reiset, so sieht man, wie diese beiden Städte in allen Stücken einander recht gerade entgegengesetzt sind. Weil Rotterdam nach Amsterdam die vornehmste Handelsstadt in Holland ist, so trifft man dorten alles in großer Bewegung an; in Antwerpen aber ist alles ganz stille. Rotterdam hat lauter reiche Einwohner, in Antwerpen sind lauter Bettler. Dort sind die Bürger grob und unhöflich, hier wohlgesittet und artig. Dort trifft man verschiedene Glaubensgenossen und Sekten an, hier allein römisch-katholische. Denn Flandern und Brabant, welches so lange unter spanischer Herrschaft gewesen, gibt selbst den Italienern in Absicht auf den Aberglauben nichts nach und ist dem Papste ebenso treu und gehorsam. Städte, Vorstädte, Dörfer und Landstraßen sind dergestalt mit Klöstern und Heiligen angefüllet, daß man eher einen Heiligen als einen Menschen antreffen kann. Von Antwerpen reisete ich nach Mecheln, woselbst ich mich einige Zeit nach einem Wagen aufhalten mußte. Inzwischen ging ich durch die Stadt, um solche zu besehen, und traf einen Franziskanermönch an, welcher mich in sein Kloster führte. Dieser Mönch ging allenthalben mit mir herum und zeigte mir einen jeden Winkel in seinem Kloster. Es war ein schöner Garten bei demselben. Weil aber alle Gänge mit Bildern der Heiligen besetzt waren, so war es für einen Ketzer sehr beschwerlich, in demselben zu spazieren. In der Kirchen war der ganze Lebenslauf des heiligen Franziskus auf verschiednen Tafeln abgemalt. Hier verriet der Mönch seine Unwissenheit auf eine ausnehmende Art, da er mir eine von diesen Tafeln erklären wollte. Er sagte: Hier kann man sehe, wie der heilige Franziskus Buße tut und die calvinische Lehre wieder verleugnet, welcher er vorher ergeben war. Hier fällt er seinem Vater zu Fuße, welcher ihm desfalls einen harten Verweis gibt und ihn derbe abstraft.

In Brüssel blieb ich nur einige Tage und reisete gleich weiter nach Paris. In dieser berühmten Stadt sahe es damals wegen der großen Teurung sehr betrübt aus, da man für ein Pfund Brot zehn Sols bezahlen mußte. Der Pöbel ward darüber desperat und erregte einen Aufruhr, welcher nicht eher wieder gestillt werden konnte, bis zweene Bürger das Leben dabei eingebüßt hatten. Zu ebenderselben Zeit ward ein Weib, welches den Blutfluß gehabt, durch ein Wunderwerk geheilet. Die Geschichte ward gedruckt, und man konnte sie allenthalben kaufen. Aber die gemeinen Bürger waren nur allein darauf bedacht, wie sie den Hunger stillen möchten, und bekümmerten sich nicht um Wunderwerke, wovon sie doch sonst sehr viel zu machen pflegen. Ich hörte, daß einige zueinander heimlich sagten, dieses Jahr ist fruchtbarer an Wunderwerken als an Brot. Wie auch während der Zeit, daß die Wunderwerke geschehen, sterben wir für Hunger. An der Richtigkeit der Geschichte kann man fast nicht zweifeln, denn alle Nachbarn bezeugten es, daß dieses Weib seit einigen Jahren den Blutfluß gehabt. Und die schnelle Heilung desselben geschahe auch in Gegenwart des ganzen Volks. Wie man in der Prozession mit der Hostie ging, so richtete sich dieses Weib auf und folgte mit einem Stock der Prozession nach, wobei das Blut annoch stromweise von ihr floß. Kurz darauf aber kam sie ganz frisch und gesund aus der Kirche zurücke. Nur die Jesuiten und Ärzte wollten dieses Wunderwerk nicht recht gelten lassen und verringerten dasselbe auf alle Art. Die Jesuiten gaben eine sehr schlechte Ursache an und meinten, es sei unmöglich, daß Gott hier ein Wunderwerk zugelassen habe, weil der Priester, der die Hostie getragen, sich verdächtig gemacht, daß er der Lehre des Jansenius beipflichtete. Die Gründe der Ärzte waren wichtiger, denn diese behaupteten, daß eine solche Heilung ganz natürlich durch eine starke Einbildung könne zuwege gebracht werden, wovon sie unzählige Beispiele anführten. Aber ich muß fortfahren, von mir selbst zu reden.

Ich mietete mir ein Zimmer in der St. Jakobsstraße, nicht weit von dem Luxemburgischen Garten, welchen ich wegen der gesunden Luft den andern öffentlichen Gärten vorzog. Aber es war sehr verdrießlich, in demselben zu spazieren, wegen der vielen Bettler, womit alle Gänge angefüllet waren. Ich konnte mich bisweilen nicht enthalten zu lachen, wenn ich sahe, daß Leute, die sehr prächtig gekleidet waren, herumgingen und von einem jeden, den sie sahen, Almosen baten, oder wenn viele mit gepuderten und gekrausten Haaren und Perücken schrien: Wir sterben für Hunger, wir haben in einigen Tagen nicht das geringste gegessen. Ich traf einmal in ebendiesem Garten einen sehr sauber gekleideten Menschen an, der von einer vorübergehenden Dame ein Almosen bat, und gleich darauf bettelte diese Dame wieder bei einem andern. Nicht lange darnach kam eine Jungfer, die ein seidenes Kleid trug und in Ohnmacht fiel. Wie sie von den Anwesenden wieder ermuntert und nach Hause gebracht ward, so fand man, daß ihr Zimmer in einem Hause ganz oben unter dem Dache war, und daß ihre ganze Speiskammer in einigen Kohlsträuchen, Äpfeln und Erbsen bestand. Ich führe dieses nur zu dem Ende an, damit man daraus den Ehrgeiz dieser Nation auch bei der größten Armut sehen möge. Die Bettler selbst sind so sauber gekleidet, daß man sie nicht anders von reichen Leuten unterscheiden kann als allein dadurch, daß sie mager und bleich im Gesichte sind. Man kann also sehr leicht einen Komödianten, einen Fecht- oder Tanzmeister für einen Marquis ansehen. Wenn man einen Schuster oder Gerber sieht, so sollte man fast schwören, daß es ein Ratsherr wäre, ja, ein gemeines Weib führt sich so prächtig auf, daß man glauben sollte, es sei eine Hofdame. Dieses war auch mir einigermaßen beschwerlich. Denn ob ich gleich ganz anständig gekleidet war, so konnte ich doch mit genauer Not nur unter diejenigen gerechnet werden, welche die Franzosen honnettes gens nennen, insonderheit an diesem Orte, wo Armut und Hoffart unzertrennlich miteinander verbunden sind und wo die Bedienten selbst goldene oder silberne Zwickeln tragen.

Jedoch alles dieses konnte mich nicht bewegen, die parisischen Sitten und Torheiten anzunehmen. Ich war nicht zu dem Ende nach Paris gekommen, um meinen Namen daselbst durch Pracht und Verschwendung unsterblich zu machen, und alles, was ich hatte, auf einmal zu verzehren, welches die Wirte in der Vorstadt St. Germain, um die jungen Herren zur Verschwendung zu reizen, faire honneur à le Nation nennen. Meine Absicht ging bloß dahin, mich so lange an diesem Orte aufzuhalten, bis ich bei einer bequemen Jahreszeit die Rückreise nach meinem Vaterlande wieder antreten könnte. Man nannte mich desfalls auch nur schlechthin Monsieur, da man hingegen die Fremden, ja sogar auch die Kaufmannssöhne von Hamburg und Lübeck, Grafen und Barons zu nennen pflegt. Dieser letzte Titel ist der geringste, und den erhält ein jeder, der ein mit Silber besetztes Kleid trägt. Läßt man aber Gold auf seine Kleider setzen, so erhält man gleich den Titel Monsieur le Comte. Es ist nicht zu beschreiben, wie sehr die jungen Leute durch diese Heuchelei zur Verschwendung gereizt werden. Sobald nur ein Fremder in der Vorstadt St. Germain ankommt, so nehmen die daselbst befindlichen Wirte ihn gleich ungemein höflich auf und führen ihn in die kostbarsten Zimmer, die sie haben. Man bringt ihnen einige Mietlakaien zu, welche zugleich ihre Hofmeister sein sollen. Diese lassen es auch an einem treuen Unterricht nicht ermangeln und zeigen ihren Herrn einen sehr leichten und bequemen Weg, das väterliche Erbgut in kurzer Zeit zu verzehren. Es finden sich ferner allerhand Maitres ein, welche die Fremden im Tanzen, Fechten und in der Sprache unterrichten. Es sind aber dieselben durchgehends rechte Schmarutzer, welche sich nur um einen freien Schmaus, nicht aber um die Lebensart der Fremden bekümmern. Den Schluß dieser Tragödie macht das liederliche Weibsvolk, welches die jungen Leute ins Netz zieht und dieselben dadurch völlig um Ehre, Geld und Gesundheit bringet.

Ich greife hierdurch nicht die französische Nation an. Der Geiz ist kein Hauptlaster dieses Volks, sondern die Franzosen sind vielmehr freigebig und dienstfertig. Ich rede auch nicht von allen Einwohnern der Stadt überhaupt, sondern allein von den Wirten in der Gegend der Stadt, wo die Fremden insgemein sich aufzuhalten pflegen. Die Ursache fällt einem jeden leicht in die Augen, warum in diesem Teile der Stadt eine solche Lebensart herrschet. Die vornehmsten Städte in Europa, welche von den Fremden besucht werden, sind meistenteils Handelsstädte, welche ihre eigne Handlung treiben. Und dieselbe ist allein hinlänglich, die Einwohner nicht nur zu unterhalten, sondern auch zu bereichern. Aber Paris liegt mitten im Lande, und desfalls leben sehr viele Bürger allein von den Fremden, sogar, daß sie öfters ausgehen, um zu erfahren, ob keine Wagen von Brüssel, Metz oder Straßburg angekommen, so wie die Kaufleute an andern Orten sich erkundigen, ob ihre Schiffe im Hafen angelangt sind. Wenn ein junger Mensch dahin kommt und Gold und Silber mitbringt, so nimmt er nichts anders wieder mit nach Hause als einen leeren Beutel, einen närrischen und gezwungnen Gang und eine Menge von französischen Liedern oder andern parisischen Torheiten ( franchise parisienne), welche nach dem Ausspruche eines unbekannten Schriftstellers allein darin bestehen, daß man Capriolen schneiden und andre Leute durch Singen und Flöten taub machen kann. Ich suchte damals in Paris ein bequemes Zimmer, aber dieses ist sehr schwer zu erhalten. Denn die erstaunliche Menge von Menschen, welche in Paris ist, und der große Lärm, welchen die Kutschen und andre Zufälle beständig auf der Gassen erregen, gönnen einen fast gar keine Ruhe. Man ist oben und unten und an den Seiten von ganzen Familien umgeben, und da die Nation etwas Komisches an sich hat, so muß man sich hüten, daß man kein Zimmer miete, welches unmittelbar an die Stube eines jungen Kavaliers ( petit maitre) oder einer Jungfer stößt, wo man nicht durch ein unaufhörliches Singen allerhand verliebter Lieder geplagt sein will. Auch muß man der Wohnung eines Gelehrten nicht zu nahe kommen, weil man wegen des beständigen Gemurmels und Brummens niemals Ruhe haben kann. Denn die meisten Gelehrten in Paris können nicht studieren, wo sie nicht herumgehen und alles hermurmeln, was sie lesen. Diese große Anzahl von Menschen gibt auch noch zu mehrern Unbequemlichkeiten Anlaß, von denen man zu London und Amsterdam nichts weiß. Obgleich London weit größer ist als Paris, so glaube ich doch, daß in London lange nicht so viele Einwohner anzutreffen sind als in Paris. Die Engländer leugnen dieses beständig und bilden sich ein, daß sie aus den jährlichen Totenregistern ( the bills of mortality) das Gegenteil erweisen können. Weil aber Paris eine gesundere Luft hat und die Einwohner dieser Stadt eine viel mäßigere Lebensart führen als die Engländer in London, so können sie auch weit länger leben. Verschiedene Engländer gestehen selbst, daß alle Jahre einige Tausend Menschen aus den Provinzen nach London geschickt werden und daß die Stadt bald von Einwohnern würde entblößt sein, wenn man dieses unterlassen wollte. Hieraus erhellet, daß man aus den Totenregistern nichts Gewisses schließen kann und daß, um diesen Streit mit Gewißheit auszumachen, ein genauers Verzeichnis von den Einwohnern erfordert werde, weil die Listen der Gebornen und Verstorbenen dazu allein nicht hinlänglich sind. Überdem ist eine Nation allemal fruchtbarer als die andre. Man muß auch die vielen Klöster, Collegien und Societäten in Paris in Betrachtung ziehen, wo der göttliche Befehl: Seid fruchtbar und mehret euch, durch das geistliche Recht abgeschafft worden, welchen aber die englische Geistlichkeit auf das sorgfältigste beobachtet.

Dieses sind die Beschwerlichkeiten, die ich in Paris erfuhr, und dennoch lebte ich an keinem Orte vergnügter als hier. Ich war auch stets gesund und munter und durfte nicht, wie an andern Orten, durch eine Bewegung die Begierde zu essen bei mir erwecken. Ich konnte gut speisen und weiß nicht, ob ich solches der gesunden Luft oder der teuren Zeit zuschreiben soll, da man alles aufs genaueste abwog und austeilte. Dieses ist gewiß, daß der Überfluß mir den Appetit schwächt, und desfalls gehe ich auch wegen des großen Überflusses, den man bei den hiesigen Gastmahlen wahrnimmt, mehrenteils hungrig vom Tische. Es sind noch viele andre Dinge in Paris, welche insonderheit einem Gelehrten zum Vergnügen gereichen. Man findet daselbst so viele öffentliche Bibliotheken und so viele Gelehrte, öffentliche und besondere Gesellschaften, worin man gar leicht zum Mitgliede kann aufgenommen werden, denn die Gelehrten in Paris geben sich sehr viele Mühe, den Fremden gefällige Dienste zu erweisen. Zweimal besuchte ich den berühmten Montfoucon. Ich fand ihn zwar unter ganzen Haufen von Büchern vergraben, aber er war nichtsdestoweniger so munter und freundlich, als wenn er ganz müßig gewesen wäre. Ich redete mit ihm von der lateinischen Aussprache, und wie ich mich am meisten darüber wunderte, daß der Buchstab M mit dem vorhergehenden Lautbuchstaben in einem Verse ausgelassen und nicht gelesen würde, so antwortete er mir, daß die Alten diesen Buchstaben auch in ungebundener Rede weggeworfen, und daß er selbst einige lateinische Inschriften besäße, wo factu anstatt factum und Romanoru statt Romanorum stünde. Wie er aber eben im Begriffe war, mir dieses zu zeigen und meine Neugierde zu stillen, so kamen einige andre zu ihm und verhinderten es. Der Pater Harduin war nicht so höflich und freundlich und ließ selten jemanden zu sich kommen, wo man ihm nicht einbildete, daß man ihn in einer dunklen und schweren Sache um Rat fragen und solche von ihm entscheiden lassen wollte. Ich erfuhr dieses von einem andern Pater und besonn mich lange, was ich für einen Knoten binden wollte, um mir dadurch den Weg zu seiner Zelle zu bahnen. Endlich fiel mir ein, daß Herr Collin, der Verfasser des Buchs › De libertate cogitandi‹, De libertate cogitandi...: Von der Gedankenfreiheit. Messala Consule ...: Unter dem Konsulate des Messalla werden auf Befehl des Kaisers Anastasius die heiligen Evangelien, dieweil die Evangelisten, die sie aufgezeichnet haben, unwissende Leute waren, verbessert und berichtigt. aus der Chronik des Bischof Viktors folgende Worte angeführt: Messala consule, Anastasio Imperatore iubente, sancta evangelia, utpote ab idiotis Evangelistis scripta, corriguntur, et emendantur. Ich ging hiermit zu ihm und bildete ihm ein, daß ich dieses bloß für eine Erfindung des Herrn Collins hielte. Er aber sagte das Gegenteil, und damit er mir diesen Zweifel desto nachdrücklicher benehmen möchte, so langte er die Chronik des Victors aus seiner Bibliothek hervor und zeigte mir mit seiner alten und zitternden Hand selbst die angeführte Stelle. Er sagte zugleich, die Religion hätte durch diesen Befehl nichts gelitten, sondern der gute Name des Anastasius sei allein dadurch geschmälert worden. Und wenn derselbe auch gleich die byzantinischen neuen Testamente ändern lassen, so sei ihm doch ohnmöglich gewesen, alle übrige neue Testamente, die in den Händen der Rechtgläubigen gewesen, umgießen zu lassen. Mit welcher Erklärung ich zufrieden war. Wie er aber gleich darauf sagte, daß es ihm sehr leicht sein sollte zu erweisen, daß der Kaiser Anastasius niemals in der Welt gewesen, so konnte ich mich kaum enthalten zu lachen. Ich merkte, daß er noch aus dem alten Tone redete und annoch ein Zweifler sei, ob er gleich seine vorigen Irrtümer längst widerrufen. Er hatte damals bereits ein hohes Alter erreicht, aber er setzte sein Studieren noch immer fort und verwarf den Ausspruch des Milo als nachlässig und unanständig, welcher, da er alt geworden und wahrgenommen, wie andre sich in den Kampfspielen übten, seine Arme soll angesehen und folgende Worte mit Tränen gesprochen haben: Diese sind schon erstorben.

Nicht lange darauf besuchte ich den Pater Tournemine. Dieses war ein angenehmer, beredter und recht unvergleichlicher Mann. In seinen Sitten und in seinem Umgange hatte er so etwas Reizendes und Einnehmendes an sich, daß man ihn für einen Minister hätte halten sollen, und er ward auch bloß durch seine große Gelehrsamkeit von einem Hofmanne unterschieden. Er redete sehr lange mit uns von allerhand gelehrten Sachen, weil zugleich noch einige deutsche Studenten nebst dem dänischen Gesandtschaftsprediger, dem Herrn Cruse, zugegen waren.

Dieser letztere hatte sich durch seine Gelehrsamkeit und schönen Eigenschaften bei allen dortigen Gelehrten bekannt und beliebt gemacht, und es fiel mir deswegen nicht schwer, unter seiner Anführung einen Zutritt bei allen zu erhalten. Tournemine zeigte uns seinen eignen Büchervorrat, worin auch nebst andern dänischen Geschichtschreibern des Torfaei norwegische Chronik befindlich war. Zu den Seltenheiten seiner Bibliothek gehörte ein Exemplar des Neuen Testaments, welches 800 Jahr alt war und worin der wichtige Spruch bei dem Johannes fehlte, welcher gleichfalls in vielen griechischen Neuen Testamenten und auch in dem neuen und bekannten Exemplar nicht anzutreffen ist, welches in der St.-Victors-Bibliothek verwahret wird. Pater Tournemine glaubte, daß diejenigen, welche die Bibel nachsehen sollen, nämlich Eusebius, Lucianus und Hesychius, welche der arianischen Ketzerei verdächtig waren, diesen Spruch mit Fleiß ausgelassen hätten. Ich antwortete, daß die arianische Ketzerei sich am meisten gegen Abend ausgebreitet habe, und nichtsdestoweniger träfe man diesen Spruch in allen lateinischen Exemplaren an. Man fünde auch nicht, daß dieser Spruch von den rechtgläubigen Vätern gegen die Arianer angeführt worden. Hierauf aber gab er uns nur eine ganz kaltsinnige Antwort. Er führte uns hernach in die Bibliothek des Huetius, welche dieser berühmte Bischof dem Jesuitercollegio vermacht hat. Und endlich gingen wir in die gemeinschaftliche Bibliothek der Jesuiten, die größtenteils aus dem Büchervorrat des Menage besteht, welchen dieser gelehrte Mann den Jesuiten geschenkt hat. Der Pater Tournemine ist zugleich ein ungemein lebhafter und aufgeweckter Mann. Es arbeitete damals eben der Jesuit Castel an einem gewissen neuen Instrument, welches durch die Vorstellung der Farben die Augen auf ebendieselbe Art rühren sollte, wie die Ohren durch ein musikalisches Instrument pflegen gerührt zu werden. Wie ich mich desfalls bei Tournemine erkundigte, was er von dieser Bemühung des Herrn Castels urteilte, so lächelte er und sagte, er habe selbst ehedem an einer gewissen Orgel für den Geschmack gearbeitet und sein Vorhaben dem berühmten Tonkünstler, dem Herrn Marchand, entdeckt, dem diese Erfindung sehr wohl gefallen, weil solche für einen hungrichen Musikanten überaus nützlich sei. Nicht lange hernach besuchte ich den Pater Castel selbst, um zu erfahren, ob er würklich an einer solchen Orgel arbeite, oder ob alles, was man davon gesagt, nur Scherz sei. Er aber gab mir die Versicherung, daß sich alles wirklich so verhalte und nach den Buchstaben eigentlich zu verstehen sei. Er erklärte mir auch alles aufs genaueste und stückweise, aber ich konnte, aller angewandten Aufmerksamkeit ohngeachtet, dennoch nicht begreifen, was dieser vernünftige Mann eigentlich mit seiner Orgel sagen wollte. Denn wenn diese Orgel keine andre Wirkung hat als das Spielwerk, womit die Landstreicher herumlaufen, so kann gewiß diese Erfindung ihrem Urheber zu keiner sonderbaren Ehre gereichen.

Ich besuchte gleichfalls den berühmten Herrn Fontenelle, welcher in seinem hohen Alter noch nicht müßig, sondern stets beschäftiget war, daß man auch von ihm mit Recht sagen konnte:

Serit arbores, quae alteri seculo prosunt. Serit arbores...: Er pflanzt Bäume, die erst einem anderen Jahrhundert Nutzen bringen. (Caecilius Statius, Synephebi, Fragm. v. 210)

Er hatte vor kurzer Zeit in der Akademie der Wissenschaften eine Lobrede auf den verstorbenen Kaiser in Rußland, Peter den Ersten, abgefaßt, welche aber ein andrer abgelesen, weil er selbst durch eine Krankheit daran gehindert worden. Er hatte aber von der russischen Nation etwas hart geredet, um seinen Held desto mehr zu erheben und desto nachdrücklicher zu zeigen, was für eine erstaunliche Mühe dazu erfordert worden, ein so rohes Volk gesittet zu machen. Dieses aber nahm der russische Ambassadeur, der Fürst Cürakin, sehr übel auf, und man glaubte, daß Herr Fontenelle desfalls großen Verdruß haben würde. Ich war sehr begierig, von ihm zu erfahren, ob diese Rede sollte gedruckt werden, und er gab mir die Versicherung, daß solche von Wort zu Wort, wie sie gehalten worden, dem Drucke sollte übergeben werden. Fontenelle redet gleichfalls mit sehr großer Hochachtung von den Verdiensten der Dänen in gelehrten Sachen.

Diejenigen irren nicht, welche glauben, daß allein in Paris mehrere Bibliotheken anzutreffen sind als an andern Orten in ganzen Reichen. Denn außer den öffentlichen Bibliotheken des Mazarins, St. Victors und der Juristen hat fast ein jedes Kloster und ein jedes Collegium seine eigne Bibliothek, und es hält nicht schwer, die Freiheit zu erlangen, daß man sich derselben bedienen kann. Ehedem besuchte ich die vortreffliche Bibliothek des Abt Bignons, aber nun war dieselbe nebst ihrem Bibliothecario unsichtbar geworden. Die Bibliothek hatte der berühmte Law gekauft und nach England bringen lassen. Der Bibliothecarius aber saß bereits seit einigen Jahren in einem öffentlichen Gefängnisse. Es ist mir sein Verbrechen noch nicht eigentlich bekannt, doch bedauerte ich sein Schicksal der dänischen Nation halber. Ich besorgte, daß der Abt Bignon sich von den Dänen keinen guten Begriff machen möchte, insonderheit, da gleich darauf einer von meinen Landsleuten, Matthias Bagger, welcher durch Hülfe des Herrn Bignons Dolmetscher auf der Königl. Bibliothek geworden war, sein Gehalt vorher aufnahm und sich damit aus dem Staube machte. Es wäre wohl der Mühe wert, daß jemand das Leben dieses wandernden Ritters beschriebe, damit man zugleich ein Beispiel von einem überaus flüchtigen und unbeständigen Gemüte haben möchte. Ich würde diese Bemühung sehr gerne selbst übernehmen, wenn ich nur Stoff genug dazu hätte. Mir aber sind nur sehr wenige Umstände von ihm bekannt, und doch sind diese allein schon hinlänglich, einen Abriß von diesem höchst unbeständigen Menschen zu machen, welcher ein rechtes perpetuum mobile war, und dem es nicht schwerfiel, alle Augenblicke Aufenthalt, Religion, Neigung, Studien, Sitten und alles zu verändern.

Wie ich mich vor zehn Jahren in Paris aufhielte, so waren mir nur zwo öffentliche Bibliotheken bekannt. Denn ich wußte zu derselben Zeit nichts von der Juristenbibliothek, welche zwar nicht zahlreich, aber doch sehr bequem ist, da sie mitten in der Stadt liegt und also eingerichtet worden, daß man die Bücher selbst herausnehmen kann. Diese Bibliothek hatte damals zweene Aufseher, nämlich einen jungen Menschen ohngefähr von siebzehn Jahren und ein altes Weib, welches auf der Bibliothek saß und sponn, wenn die andern lasen und studierten. Wie ich die Bibliothek durchsahe, so erkundigte sich das Weib bei mir, was ich für ein Buch verlangte? Ich konnte mich kaum enthalten zu lachen und antwortete, daß ich solches schon dem Bibliothecario sagen wollte. Wie sie aber nicht nachließ zu fragen, so nannte ich endlich das Buch, das ich haben wollte, welches sie zu meiner größten Verwunderung gleich aus dem Bücherschrank herausnahm und mir in die Hände gab.

Der Aufseher der St.-Victors-Bibliothek hieß Bon ami, und sein Umgang kam mit seinem Namen vollkommen überein, denn er war überaus freundlich und dienstfertig. Ein artiger Zufall gab zu der vertrauten Freundschaft Gelegenheit, die wir nachher miteinander aufrichteten. Ich fand unter den dänischen Geschichtschreibern ein Buch unter dem Titel › Ludouici Requesensis Historia Danica‹. Weil ich aber dieses Buch gleich für verdächtig hielt, da der Verfasser, Ludovicus Requesensis, mir ganz unbekannt war, so ging ich zu dem Bibliothecario und bat denselben, daß er mir dieses Buch zeigen möchte. Ich hatte aber das Buch kaum eröffnet, so fiel mir der Irrtum in die Augen. Es war des Meursii dänische Historie, und zu derselben hatte man das von eben demselben Verfasser beschriebene Leben des Ludovici Requesensis gebunden. Einen ebenso lächerlichen Titel nahm ich in dem Bücherverzeichnisse der bodlejanischen Bibliothek wahr. Nämlich: Friederici II., Imperatoris, Constitutiones Haffniae.

Dieser Bibliothecarius zeigte mir auch einen schönen Vorrat von auserlesenen Handschriften. Es war eben damals zugleich der Sohn des Herrn Geheimen Rats Tott gegenwärtig, ein Herr, welcher nicht nur wegen seiner großen Eigenschaften und gründlichen Gelehrsamkeit, sondern auch wegen seiner vornehmen Herkunft eine besondre Hochachtung verdiente. Außer den öffentlichen und Privatbibliotheken, welche einem jeden offenstehen, sind noch unzählige gelehrte Gesellschaften in Paris, von denen man, wenn man nur einigermaßen einen Zutritt hat, sehr leicht zum Mitgliede kann aufgenommen werden. Ich besuchte zu verschiedenen Malen die Versammlung, welche man alle Sonntage bei einem Pater des Predigerordens zu halten pflegte. In dieser Gesellschaft wurden einige gründliche Abhandlungen hergelesen, welche in der vorhergehenden Woche von den Mitgliedern waren abgefaßt worden. Ein jeder fällte sein Urteil darüber und untersuchte die Abhandlung sowohl überhaupt als auch stückweise. Man sollte denken, diese ganze Gesellschaft bestünde aus lauter Protestanten, so groß ist die Freiheit, welche hier herrschet, und so wenig achtet man den Papst, mit welchem man öfters scherzet. Bisweilen fand ich mich auch in der Gesellschaft ein, die man mit einem besondern Namen und vor allen andern die galante Gesellschaft nennet und welche sich an dem Orte versammlet, der den Namen führt: Le Caffée des beaux esprits. Ich sage nicht ohne Ursache bisweilen, damit man nicht denken möge, ich hätte mich sehr fleißig daselbst eingefunden, um unter die galanten Köpfe gezählt zu werden. Die Wirtin in diesem Hause war eine alte Frau, welche den Namen Marion führte. Daher ward dieser Ort auch bisweilen aus Scherz genannt: Le Caffée des Marionettes. Der berühmte de la Motte, dessen Name den Gelehrten nicht unbekannt ist, fand sich fast alle Tage hieselbst ein und war gleichsam der Präsident in dieser Gesellschaft. Wenn man dieses alles bedenkt, so darf man sich nicht wundern, daß in Frankreich jährlich so viele schöne Schriften herauskommen. In solchen gelehrten Gesellschaften werden alle Bücher, ehe sie ans Licht treten, sorgfältig untersucht und ausgebessert.

Dieses gestehen inzwischen die Gelehrten in Paris selbst, daß die Künste und Wissenschaften bei ihnen in diesem Jahrhundert einen großen Abbruch gelitten. Tournemine gab eine dreifache Ursache an. Die erste Ursache war seiner Meinung nach die heutige Art, die Jugend zu erziehen. Dieser Unterweisung maßten sich nunmehr, wie er sagte, größtenteils die Priester an und, da dieselben Feinde aller weltlichen Wissenschaften wären, so glaubten sie, ein junger Geistlicher sei gelehrt genung, wenn er nur wisse, auf eine geschickte Art die Knie zu beugen, die Hostie in der Prozession auf eine anständige Art zu tragen und etwas bei der Messe herzumurmeln, so, wie ehedem bei den Russen jemand sehr gelehrt und zum geistlichen Amte geschickt genung gewesen, wenn er nur ohne abzubrechen die Worte hospodi pomilio zehnmal nacheinander hersagen können. Diese Ursache aber schien mir etwas parteiisch zu sein, weil die Jesuiten allein das Recht zu besitzen glauben, die Jugend zu unterrichten. Die andre Ursache, welche Tournemine von dem Verfall der Wissenschaften anführte, war von der gar zu ruchlosen und liederlichen Lebensart hergenommen, worin sich nun die Jugend vertiefte. Aber auch diese Ursache konnte ich nicht als gültig annehmen, ob ich gleich gestehen mußte, daß die Trunkenheit itzt viel stärker als vor zehn Jahren in Paris überhandgenommen. Die dritte Ursache aber war ohnstreitig die wahre und eigentliche Ursache, weil die Stipendia und die Gnadengelder, wodurch die Gelehrten ehedem pflegten zu allerhand Unternehmungen aufgemuntert zu werden, sehr verringert worden. Und es ist freilich nicht zu leugnen, daß dergleichen außerordentliche Belohnungen seit dem Tode des Königs Ludwig des XIV. nicht wenig abgenommen haben.

Ich merkte gleichfalls, daß die Pariser nicht mehr so hitzig waren, ihre Religion fortzupflanzen und die Ketzer zu bekehren, wie sie zu sein pflegten. Wie ich mich vor zehn Jahren in Paris aufhielte, so hörte ich fast nichts als lauter Religionsstrittigkeiten. Ich war aber damals noch sehr jung, und vielleicht glaubten sie, mich desto eher ins Netz zu ziehen. Nun erregte mir nur einmal ein alter Mann, welcher große Lust zu disputieren hatte, einen Streit der Religion halber. Ehe ich den Streit mit ihm anfing, so erkundigte ich mich bei ihm, ob er etwas Neues vorzubringen wüßte, welches noch nicht in gedruckten Schriften anzutreffen wäre. Denn wenn er nur die alten Beweisgründe, deren sich die Verteidiger der katholischen Religion zu bedienen pflegten, wieder vorbringen wollte, so würde die Zeit und Mühe nur vergeblich angewandt werden, weil mir ihre Sätze zur Gnüge bekannt wären. Wie er hierauf antwortete, daß er nichts Neues vorbringen würde, so bat ich ihn, daß er mich nicht zu diesem Streite auffordern möchte. Ich sagte ihm zugleich, es sei überaus töricht, einen Krieg wieder von neuem anzufangen, bei welchem auch die tapfersten und klügsten Streiter Zeit und Mühe unnützlich verschwendet hätten. Wie er aber dennoch nicht nachgeben wollte, so griff ich ihn auf eine neue und ungewöhnliche Art an. Ich räumte ihm ein, daß die meisten Glaubensartikel der Protestanten vielleicht noch zweifelhaft sein könnten, weil man die Schrift auf so verschiedene Art erklärte, und daß es daher geschehen könne, daß die Protestanten hin und wieder irrten. Aber ich behauptete auch zugleich, daß ihre Irrtümer selbst dennoch Gott nicht mißfallen könnten. Wie die andern, welche bei diesem Streite gegenwärtig waren, hierüber in eine große Verwirrung gerieten und nicht wußten, was ich eigentlich dadurch anzeigen wollte, so fuhr ich weiter fort und sagte: Die Papisten glauben, daß man durch gute Werke die Seligkeit verdienen könne, und vielleicht verhält es sich auch also. Wir aber glauben weit sicherer, daß man nichts dadurch verdienen könne. Denn wie ein König auf den Untertan keine Ungnade wirft, welcher nicht glaubt, daß er einige Belohnung verdient habe, ob er gleich die wichtigsten Dienste geleistet, sondern vielmehr die Vergeltung seiner Bemühungen nicht als ein Verdienst, sondern als ein Glück ansieht, welches er der königlichen Gnade lediglich zu danken hat: So muß auch unser Irrtum in diesem Stücke, wenn es ein Irrtum ist, Gott notwendig angenehm sein, weil er eine so große Demut anzeigt. Die Papisten glauben ein Fegfeuer, und vielleicht ist ein solcher Mittelort zwischen Himmel und Hölle, wo die Sünden können versöhnet werden. Dennoch glauben die Protestanten weit sicherer, daß man gleich nach dem Tode von dem auf der Welt geführten Leben Rechenschaft geben müsse. Denn dadurch werden die Menschen beständig aufgemuntert, einen unsträflichen Wandel zu führen, damit sie selig sterben mögen, weil keine Hoffnung übrig ist, daß die Sünden nach dem Tode können vergeben werden. Die Papisten beten die Heiligen an und glauben, daß dieselben im Himmel für sie bitten. Gesetzt, die Sache verhielte sich also, so handeln die Protestanten doch weit sicherer, daß sie die Heiligen nicht anrufen. Denn wenn wir auch hierin irren, so kann doch dieser Irrtum weder Gott noch den Heiligen mißfällig sein. Gott kann daran kein Mißfallen tragen, weil er diejenigen allemal gnädig aufnimmt, die unmittelbar ihn selbst anrufen, weil er uns selbst befohlen, daß wir zu ihm kommen sollen und weil er uns zugleich die Versicherung gegeben, daß er nicht müde werden wolle, unser Gebet anzuhören. Den Heiligen kann dieses Verfahren gleichfalls nicht mißfallen, weil wir sie als unsre besten Wegweiser ansehen, in ihre Fußstapfen treten und nebst ihnen den Heiland der Welt als unsern einzigen Fürsprecher erkennen und ansehen. Sollten aber die Heiligen darüber zürnen, daß man Gott allein anruft, so sind sie nicht mehr heilig. Die Papisten verehren die Bilder, und vielleicht ist der Bilderdienst unschuldig und gleichgültig, es ist aber sicherer, mit den Protestanten Gott allein zu verehren. Ich räume gerne ein, daß sich unter den Bilderdienste der Papisten und Heiden ein sehr großer Unterscheid befindet. Wenn aber jemand vor der Säule des heiligen Christophers auf der Erde liegt und zugleich einen Chineser wegen seines Bilderdienstes strafen will, so ist es ebenso lächerlich, als wenn ein besoffener Mann sehr wider die Völlerei und Trunkenheit eifert. Die Papisten glauben, daß beides, Brot und Wein, im Sakrament des Altars nicht nötig sei; und vielleicht ist es auch nicht allemal nötig, daß man beides gebrauche. Aber es ist dennoch sicherer, daß wir die Notwendigkeit sowohl des Brotes als des Weins im Abendmahl behaupten, da die Papisten selbst nicht leugnen können, daß dieses Sakrament unter beiderlei Gestalt von dem Erlöser selbst eingesetzt worden. Die Papisten glauben, daß die kleinen Kinder, welche vor der Taufe sterben, verdammt werden. Wir aber handeln weit vernünftiger, da wir behaupten, daß sie selig werden, damit es nicht scheine, als wenn Gott die Unschuldigen strafe. Denn diejenigen, welche sagen, daß Gott die Unschuldigen straft, müssen zugleich leugnen, daß die Welt von einem weisen, gerechten und barmherzigen Herrn regiert werde, und vielmehr ein blindes Schicksal in allen Dingen zugeben. Daß dieses Argument von einem großen Gewichte sein müsse, erhellet daraus, weil sich die Papisten selbst in dem Streite mit den Jansenisten wegen der Prädestination desselben bedienen. Die Papisten verbieten den Laien und Ungelehrten die Lesung der heiligen Schrift aus der Ursache, weil dadurch allerhand Irrtümer entstehen können. Und vielleicht entstehen solche auch daraus. Indessen handeln wir doch sicherer, daß wir allen und jeden verstatten, die Schrift zu lesen, indem es doch weit besser ist, einen irrigen Glauben als gar keinen zu haben. Diejenigen, welche blindlings alles glauben, ohne vorher zu untersuchen, was sie glauben, die glauben gar nichts, wo man nicht auch hier will gelten lassen, was man in den Rechten dafür hält, daß, wenn jemand etwas durch einen andern verrichten läßt, solches ebenso anzusehen sei, als wenn er es selbst getan habe, und daß es also auch ebenso kräftig sei, wenn jemand durch einen Gevollmächtigten glaubt, als wenn er selbst glaubte. Aber ich befürchte, daß ein päpstlicher Laie sich in diesen Gedanken sehr irren werde, wenn er meint, daß er den Höchsten, wenn derselbe von seinem Glauben Rechenschaft fordert, mit diesen Worten werde zufriedenstellen können: Ich habe aufs allergenaueste eben dasjenige geglaubt, was diejenigen glaubten, die mit mir in einer Gasse wohnten. Denn das Buch, worin die Sätze enthalten sind, die man glauben soll, habe ich niemals gesehen. Aber ich habe mich daran begnügen lassen, daß es einigen von meinen Landsleuten zu Gesichte gekommen. Gewiß, ein andrer wird weit besser mit dieser Entschuldigung bestehen: Dieses sind diejenigen Punkte, von denen ich nach langer und genauer Überlegung endlich geurteilet habe, daß man solche glauben müsse. Hierauf schwieg mein Gegner stille. Ich aber fuhr noch weiter fort und sagte zu ihm: Die Papisten können hieraus abnehmen, wie billig ich mit ihnen handele, da ich ihnen einräume, daß die meisten Streitigkeiten, welche unter uns und ihnen geführt werden, noch nicht außer allem Zweifel gesetzt sind. Ich habe ihnen zugestanden, daß die heilige Schrift schwer zu erklären sei, ja ich habe, um mich den Papisten noch gefälliger zu erzeigen, zugegeben, daß die heilige Schrift so dunkel sei, daß man, aller angewandten Mühe ohngeachtet, dennoch den rechten Verstand der Worte allemal zu treffen nicht vermögend sei.

Ich behaupte auch nicht, daß wir nicht irren können, sondern nur allein, daß, wenn wir ja irren, solches doch ohne Gefahr sei, da hingegen die Papisten, wenn sie irren, sich solcher Irrtümer schuldig machen, welche ihnen die größte Gefahr drohen. Wenn wir nicht durch die guten Werke selig werden, sondern wenn Gott will, daß wir die Seligkeit allein durch seine Gnade erhalten sollen, so ist der Stolz und Hochmut der Papisten auf keine Art zu entschuldigen, welche das als eine Schuldigkeit fordern, was ihnen aus bloßer Gnade verliehen wird. Wenn die Lehre vom Fegfeuer eine menschliche Erfindung ist, so können die Papisten diesen gefährlichen Irrtum niemals entschuldigen, da derselbe das Verdienst Christi unvollkommen macht. Man muß notwendig bei diesem Satze darauf fallen, daß das Verdienst Christi nicht allein hinlänglich sei, weil durch das Fegfeuer dasjenige muß ersetzt werden, was daran fehlet. Ich übergehe hier die Folgen, welche aus dieser Lehre fließen und welche den Menschen wegen der Sicherheit, die dadurch erweckt wird, zu einem ebenso großen Verderben und Schaden gereichen, als sie der Klerisei nützlich sind, welche sich dadurch bereichert. Wenn die Papisten in dem Dienst der Heiligen irren, so sündigen sie gröblich, da sie andern die Ehre beilegen, welche Gott allein zukommt. Überdem sind die Heiligen, welche von den Papisten angebetet werden, entweder wirkliche Heilige oder auch solche Heilige, die nur in der Einbildung bestehen und entweder niemals in der Welt oder doch wenigstens Betrieger gewesen. Wegen des Dienstes, den die Papisten den wirklichen Heiligen erweisen, können sie sich mit dem Unterscheid, inter cultum religiosum et civilem, dennoch von einer schändlichen Abgötterei nicht freimachen. Denn dadurch, daß sie den Heiligen Kirchen weihen und Gelübde tun, daß sie dieselben täglich anrufen und ihre Bilder anbeten, machen sie die Heiligen wenigstens zu Halbgöttern. Wenn aber die Heiligen niemals in der Welt gewesen, als die zehntausend Märtyrer, der heil. Almanach und andre, deren Namen von den klügsten Papisten selbst aus dem Verzeichnisse der Heiligen ausgetilget worden, so ist ja der Dienst, welchen man ihnen erweiset, höchst ungereimt und lächerlich. Sind aber die Heiligen gar Betrieger gewesen, so ist dieser Dienst noch ärger als der Götzendienst der Indianer. Diese beten die bösen Geister, die Papisten aber auf solche Art die allergottlosesten Menschen an. Wenn die Verehrung der Bilder ein Irrtum ist, so kann man den Papisten mit Recht den Vorwurf machen, daß sie Abgötter sind, und sie haben kein Recht, die Heiden desfalls zu tadeln. Denn der Unterscheid ist sehr geringe, ob man Gott unter der Gestalt eines Tiers oder eines andern goldnen Bildes anbetet. Wenn die Papisten darin irren, daß sie den Kindern, weil sie nicht getauft worden, die Seligkeit absprechen, so ist dieser Irrtum gewiß recht groß. Sie treten dadurch der Gerechtigkeit Gottes gar sehr zu nahe, da doch ein gerechter Richter die Unschuldigen niemals zu strafen pflegt. Und wenn endlich beide Teile im Sakrament des Altars nötig sind, so begehen die Papisten einen Diebstahl. Und wenn es notwendig ist, daß alle und jede die heilige Schrift lesen, so sind ja die Papisten schuld daran, daß die Laien keinen Glauben haben, weil derselbe nicht ohne Erkenntnis sein kann. Hieraus erkennet man deutlich, wie wenig König Henrich der Vierte auf seine Sicherheit gesehen habe, da er, um in einer zweifelhaften Sache das Sicherste zu erwählen, zu der katholischen Kirche überging.

Dieses alles aber brachte ich nicht auf einmal und in einer solchen Ordnung vor, denn mein Gegner wandte bei einem jeden Stücke etwas ein. Er berief sich auf das Alter der römischen Kirche, da die Protestanten nur einer neuen Sekte beipflichteten. Er führte die Unmöglichkeit zu irren an, womit die Päpste begabt wären. Er setzte mir die dem heiligen Petro gegebene Verheißung und noch andre Dinge entgegen, deren sich die Papisten bedienen, wenn sie in die Enge getrieben worden. Weil ich aber des Sieges versichert sein konnte, wenn ich mich nur fest an die bereits vorgetragenen Sätze hielte, so ließ ich ihm nicht zu, daß er aus den Grenzen weichen und allerhand Ausschweifungen machen durfte. Ich bat ihm demnach bloß darum, daß er unsre angeführten Irrtümer untersuchen möchte, ob sie mit der Gerechtigkeit und Barmherzigkeit Gottes stritten, ob die Majestät des Allerhöchsten Gottes dadurch geschmälert würde oder ob sie die Gottesfurcht und Liebe aufhüben. Wie mein Gegner nichts darauf antwortete, so verließ ich ihn mit diesen Worten: Warum verfolgt ihr denn diejenigen mit Schwert und Feuer, welche sich bei ihren Irrtümern nicht in so großer Gefahr befinden als ihr?

Wie ich diesen Streit glücklich geendiget hatte, so bin ich nachher von niemanden in Paris weiter der Religion halber beunruhiget worden. Wie ich aber auf der Rückreise begriffen war, so geriet ich mit einem beredten Kapitän und einer alten abergläubischen Frauen in Gesellschaft. Ich saß auf den Postwagen eben zwischen beiden, da der Kapitän erzählte, wie einige protestantische Soldaten, die unter seiner Kompanie gewesen, durch ein Wunderwerk vor kurzer Zeit bekehrt worden. Wie er aber hörte, daß ich solches nicht wie die andern glauben wollte, so geriet ich gleich bei ihm in den Verdacht, daß ich ein Protestant sein müßte, und er fing demnach mit mir ohne Verzug einen Streit der Religion wegen an. Ich bat inständigst um Friede und entschuldigte mich mit meinen Kopfschmerzen, weil ich es nicht für ratsam hielte, mich mit einem Offizier in Streit einzulassen. Ich konnte aber weder Frieden noch Stillstand erhalten. Denn er suchte durch ein weitläufiges Geschwätz meine Beständigkeit zu überwinden. Ich ließ mich aber doch davon nicht abwendig machen und sprach mit der alten Frauen vom Wetter. Diese sahe aus meiner ganzen Gesichtsstellung, daß ich erzürnt war, und glaubte, daß mich der Kapitän bereits überzeugt hätte. Sie wollte deswegen den Schluß zu meiner Bekehrung hinzutun und erzählte mir verschiedene ungereimte Geschichte und ein ganz Dutzend Wunderwerke, worauf sie den Kapitän zum Zeugen rief, der denn, weil er selbst sehr fruchtbar an Wunderwerken war, nicht nur mit seinen Feldeiden alles bekräftigte, was die alte Frau gesagt hatte, sondern auch noch einige neue Mirakel hinzusetzte, um diese Materie vollständig zu machen. Damit ich endlich diesem höchst verdrießlichen Geschwätze ein Ende machen möchte, so erdachte ich selbst auch einige Mirakel, von denen ich vorgab, daß solche vor kurzer Zeit in meinem Vaterlande geschehen wären. Ich erzählte, daß eine schwangere Frau, welche ihre Religion verändert, ein Kind mit zwei Köpfen geboren, und eine andere Frau eben in dem Augenblicke, da sie die lutherische Religion abschwören wollen, in einen Flintenstein verwandelt worden. Ich setzte hinzu, daß alle Jahre einige von dem Engel Gabriel geschriebene Briefe vom Himmel fielen, wodurch die Lutheraner gewarnet würden, die katholische Religion ja nicht anzunehmen. Wie sie sahen, daß ich offenbar über sie spottete, so wurden sie böse, und ich ward dadurch auf einmal von allen Wunderwerken befreiet.

Ich hatte den Entschluß gefaßt, den Winter über in Paris zu bleiben, weil ich bemerkt, daß die Luft an diesem Orte meiner Gesundheit sehr zuträglich war. Außerdem hatte ich zwei von meinen Lustspielen ins Französische übersetzt, und meine Freunde glaubten, daß es der Mühe wert sei, einen Versuch zu tun, wie die Vorstellung derselben auf dem parisischen Schauplatze gelingen würde. Aber ich ward durch verschiedene Umstände gezwungen, mein Vorhaben zu ändern. Die beiden Banden der Schauspieler wurden am Ende des Herbstmonats nach Fontainebleau gerufen, wo sie bis zu dem Weihnachtsfest blieben. Weil ich aber meine Rückreise nicht länger als bis in den Hornung aufschieben konnte, so schlug mir die Hoffnung fehl, sie dorten aufführen zu lassen, weil zum wenigsten einige Monate dazu erfordert wurden. Ich schickte allein durch einen guten Freund den Inhalt von dem ›politischen Kanngießer‹ nach Fontainebleau, um das Urteil der italienischen Bande davon zu erfahren. Das Haupt derselben, Herr Lelius, antwortete mir, daß dieses Schauspiel ihm sehr gut gefalle, da es sehr aufgeweckt und artig abgefaßt worden ( tutta meravigliosa); gleich darauf aber erklärte er sich in einem andern Briefe, daß ihm der Inhalt dieses Schauspiels so wichtig und bedenklich schiene, daß er besorgte, es möchte dasselbe so verkehrt aufgenommen werden, als wenn man verschiedene vornehme Herren darin hätte lächerlich machen wollen. Es wandte zwar mein Freund alle Mühe an, ihm diese Furcht zu benehmen, allein er wollte sich von dieser einmal gefaßten Meinung nicht wieder abwendig machen lassen. Inzwischen geriet dieses Lustspiel einem andern Verfasser in die Hände, der allezeit aus andern zu stehlen gewohnt war. Dieser gab kurz darauf dem Herrn Lelius ein Stück von ebenderselben Erfindung, aber auch dieses durfte Lelius aus der bereits angezogenen Ursache nicht auf den Schauplatz bringen. So sehr ist itzt die Freiheit eingeschränkt, welche man vorher in den italienischen Schauspielen so sehr bewunderte und die zu den Zeiten Ludwig des XIV. recht die Seele derselben war. Ich muß mich hier mit Recht über diejenigen beschweren, welche ich in diesem Stücke zu meinen Vertrauten machte. Denn ob sie mir gleich auf Treu und Glauben versprochen hatten, nichts auszuschwatzen, und dadurch von mir erhielten, daß ich ihnen mein Lustspiel anvertrauete, so hatten sie dasselbe doch nicht nur dem bereits obenerwähnten Verfasser gezeigt, sondern das Haupt der italienischen Bande hatte auch von demselben mit einigen französischen Schauspielern geredet. Diese letztern suchten auf alle Art zu verhindern, daß die Italiener, denen sie feind waren, dieses Schauspiel nicht erhalten möchten und ließen mir deswegen durch einen von ihrer Bande heimlich sagen, daß ich meinen Nutzen gar nicht gemäß handeln würde, wenn ich den Italienern eine so wichtige Komödie überließe.

Die andre Hindernis legte mir der verdorbene Geschmack der Pariser in den Weg, welche alle Dichter und andre Verfasser, die in diesem Stücke etwas Großes leisten könnten, aufs äußerste beneiden, wesfalls auch in einigen Jahren in Paris kein vernünftiges und regelmäßiges Schauspiel aufgeführet worden. Es stimmen alle einhellig darin überein, daß, wenn Moliere selbst annoch lebte, man doch so verkehrt urteilen und sein bestes Schauspiel verachten und verwerfen würde. Ich bin auch durch meine eigne Erfahrung hierin bestärkt worden. In einem ganzen Monate, da die allerregelmäßigsten und besten Komödien aufgeführt wurden, waren fast gar keine Zuschauer vorhanden. Wenn man aber das höchst ungereimte Stück › Le Boi des Coquaignes‹ mit allen seinen Gesängen, Tänzen und Gaukeleien vorstellete, so war eine große Menge von Zuschauern gegenwärtig, da doch dieses Stück nur für Landstreicher gehört und nicht verdient, daß es auf einer solchen Schaubühne aufgeführt werde.

Endlich hinderte mich auch die Mißgunst, welche unter beiden Banden herrschte. Dieser Neid brach zu Fontainebleau in einen öffentlichen Krieg aus, welcher auch sehr überhand nahm, daß sie sich, wie sie wieder zu Paris ankamen, mit den bittersten und giftigsten Stachelschriften angriffen. Die französische Bande spielte den italienischen Schauspielern zum Verdruß ein Stücke, welches sie › Impromptu de la folie‹ nannten und nach dem heutigen Geschmack der parisischen Einwohner in Gaukeleien, Tanzen und Singen bestand. Die Italiener, welche ohnedem sehr rachgierig sind, rächten sich kurz darauf durch zwei Stücke, welche fast von ebenderselben Art waren. Und dieser Krieg dauerte fast einen ganzen Monat.

Überhaupt aber ward ich durch einige abgeschmackte und ungereimte Regeln von meinem Vorhaben zurückgehalten, welche die Franzosen itzt bei ihren Schauspielen zu beobachten pflegen. Sie behaupten, daß ein moralisches Lustspiel nur aus einem Aufzuge bestehen müsse, da doch alle meine Lustspiele aus fünf oder wenigstens aus drei Aufzügen bestehen. Hiernächst wollen sie auch keine geringe Personen auf den Schauplatz kommen lassen. Wenn also der ›politische Kanngießer‹ dort sollte vorgestellt werden, so müßte ich alle Handwerksleute in Doktores und Advokaten oder andre vornehme Leute verwandeln, wodurch aber dieses Lustspiel recht sein Leben verlieren würde. Die Satire ist allein auf den gemeinen Mann gerichtet. Denn die Doktores, Advokaten und andre ihnen am Stande ähnliche Personen urteilen nicht nur bisweilen gründlich und vernünftig von Staatssachen, sondern werden auch selbst von Königen und Fürsten in solchen Angelegenheiten gebraucht. Die andre Absicht dieses Lustspiels, welche den Stolz derjenigen zeiget, die aus einem geringen Stande zu höhern Ehrenstellen gelangen, würde bei einer solchen Veränderung völlig wegfallen. Wenn man deswegen dieses Lustspiel in eine parisische Tracht einkleiden wollte, so würde man aus einer lustigen und moralischen Komödie ein schläfriges und ungereimtes Schauspiel machen. Daß aber die Regeln, welche die Pariser nun bei der Schaubühne beobachten, sich nicht auf eine gesunde Vernunft, sondern bloß auf den verdorbenen Geschmack der Zuschauer gründen, erhellet auch daraus, weil sie es nicht für unanständig halten, daß Bedienten und Bauern aufs Theater kommen. Die Pariser sind denen ähnlich, welche beständig Rebhühner essen und endlich derselben so überdrüssig werden, daß sie auch nicht einmal den Geruch davon vertragen können. Ein Schauspiel, welches aus fünf Aufzügen bestehet, und nicht nur regelmäßig abgefaßt ist, sondern sich auch auf eine artige Art schließet, gefällt ihnen gar nicht. Kurz, je ordentlicher und vernünftiger ein Schauspiel abgefaßt ist, desto verwirrter und unangenehmer scheint es itzt den Parisern zu sein. Wenn ich ihre meisten neuen Schauspiele untersuchen wollte, so könnte ich mit sehr leichter Mühe zeigen, daß sie nicht nur höchst ungereimt sind, sondern auch nicht die geringste Gleichheit mit einem Schauspiele haben. Wie ich mich in Paris aufhielt, so traten zwo Komödien von verschiedenen Verfassern ans Licht, welche den Titel › Le Babillard‹ und › L'indiscret‹ führten. Aber in diesen Lustspielen sind nicht nur die Regeln des Aristoteles völlig aus den Augen gesetzt, wie man dieses endlich auch von solchen elenden Schriftstellern, denen die rechte komische Schreibart ganz unbekannt ist, nicht anders vermuten kann, sondern die Ausführung stimmt auch nicht einmal mit dem Titel überein. Man müßte denn glauben, derjenige habe z. B. einen Schwatzhaften recht abgeschildert, der einen Menschen auftreten läßt, der durch sein Gewäsche einmal in einer Komödie die Zuhörer ermüdet, oder es sei einer, der kein Geheimnis verschweigen kann, dadurch recht nach dem Leben gemalt worden, wenn man ihn einige Mal das wieder offenbaren läßt, was ihm unter der Bedingung, es geheimzuhalten, anvertrauet worden. Dieses muß in einer Szene allein vorgestellet werden. Man muß in die Charaktere tiefer eindringen und denjenigen, welchen man aufführen will, auf eine solche Art vorstellen, daß weder Furcht, Gewalt noch Schimpf vermögend sind, ihn von seiner Torheit abzuhalten, welches alles sich zuletzt geschickt und wahrscheinlich auflösen muß, da die Zuschauer bisher wegen des Ausgangs ungewiß gewesen. In diesem französischen Schauspiele aber wird ein Schwätzer vorgestellt, der einmal mit seinen Freunden sehr lange von allerhand Dingen plaudert, bis endlich ein Diener oder ein andrer hineintritt und ihm sagt, daß er durch sein unnützes und weitläuftiges Gewäsche die schönste Gelegenheit versäumt habe, sein Glück zu befördern.

Dennoch sind diese Lustspiele, wenn man sie mit andern vergleicht, noch vortrefflich. Denn die folgenden, als: › Impromptu de la folie‹ und › Les Amusements de l'automne‹ wurden von allen vernünftigen Leuten für unwürdig gehalten, daß sie auf einem so berühmten Schauplatze und von so geübten Schauspielern sollten vorgestellt werden, welche, wenn sie Fleiß und Mühe anwenden, die Zuschauer in die größte Bewegung und Verwunderung setzen können.

Die Schauspiele der italienischen Komödianten sind nicht zu verwerfen, wenn sie solche in italienischer Sprache aufführen. Wenn sie aber französisch reden, so verlieren sie bei den Zuschauern allen Beifall, weil außer der Frau des Herrn Lelius kein einziger unter der ganzen Bande auch nur einigermaßen gut französisch redet. Der Harlekin, den sie haben, kann keine andre Person als einen Mops oder einen einfältigen Menschen vorstellen. Wenn also die Komödie einen guten Ausgang nehmen soll, so muß man ihm allemal diese Rolle geben. Desfalls kommen auch fast alle Schauspiele miteinander überein und sind fast von einem Inhalte; als: › Les Amants ignorans‹, › Arlequin poli par l'Amour‹, › Arlequin sauvoge‹, › Timon Misanthrope‹ u. s. f. Aus dieser Ursache kann auch keine von den alten Komödien mit gutem Erfolg gespielet werden, weil die heutigen Harlekins von denen alten Harlekins oder Scaramutzen unendlich weit unterschieden sind und nichts anders vorzubringen wissen, als was man in allen Schauspielen der Landstreicher antrifft. Doch erhalten die Parodien, welche nach den neuen französischen Trauerspielen eingerichtet werden, dieses Theater noch in einigem Werte. Denn einige von dieser Bande können die Gebärden und Stimmen der französischen Schauspieler überaus glücklich und natürlich ausdrücken. Diese Parodien sind sehr artig und haben mir ungemein gefallen. Allein, die Verfasser derselben machen gar zuviel davon. Und daher sind sie so gemein und häufig, daß die ganze Stadt, die Vorstädte, die öffentlichen Plätze und die Schaubühnen mit Parodien angefüllet sind. Einige können daher fast den Namen nicht mehr leiden und ziehen gleich Runzeln an der Stirne, sobald man nur anfängt, von Parodien zu reden.

Die Untersuchung der französischen Schauspiele ist fast zu weitläuftig geraten. Sie erwarten nunmehro auch ohne Zweifel, mein Herr, daß ich Ihnen von dem Zustande des Hofes Nachricht geben soll. Wenn ich an einen jungen Herrn oder auch an einen Hofmann schriebe, so würde ich ihnen den ganzen Hof aufs genaueste abmalen. Ich würde ihnen ein Bild von dem Könige, von der Königin, von den Prinzen vom Geblüte und von andern hohen Ministern entwerfen, und endlich würde ich auch von den Lustbarkeiten handeln, welche bei Hofe vorgenommen werden, die ich aber doch niemals gesehen habe. Ich würde dieses so weitläuftig, als es nur möglich wäre, ausführen, damit ich mich von dem Verdachte befreien möchte, daß ich als ein Einsiedler in Frankreich gelebt und dasjenige versäumt, was allein vermögend ist, andre dahin zu locken. Da ich aber diesen Brief an einen Freund und, was noch mehr ist, an einen Philosophen schreibe, so will ich frei bekennen, daß ich dieses Mal weder Versailles noch Fontainebleau gesehen habe. Doch dieses vertraue ich Ihnen abermals allein. Wenn mich sonst jemand ersuchen sollte, ihm von dem Zustande des Hofes eine Nachricht zu erteilen, so würde ich ihm sagen, der König schiene mir sehr munter und lebhaft zu sein, die Königin sei sehr gnädig und gottselig, der Herzog von Bourbon sei etwas schwärzlich und ernsthaft, und der Herzog von Orleans sei seinem Vater ähnlich. Wer wollte mich überzeugen, daß ich die Unwahrheit geredet hätte. Denn es verhält sich wirklich alles so, ich habe es aber nur von andern gehöret.

Wie ich den Winter in Paris zugebracht hatte, so mußte ich wieder auf die Rückreise bedacht sein. Ehe ich dieselbe antrat, so war ich beinahe einen ganzen Monat so betrübt und niedergeschlagen, als wenn ich nach Indien hätte reisen sollen. Wenn ich die Beschwerlichkeiten, die ich nachher erfuhr, stückweise erzählen wollte, so scheint es nicht der Mühe wert zu sein, davon zu reden. Wenn sie aber alle zusammengenommen werden, so sind sie nicht so gar geringe. Wie ich bereits reisefertig stand, so kam eine Verordnung heraus, worin bei harter Strafe verboten ward, daß kein Geld, es möchte französische oder andre Münze sein, aus dem Reiche sollte geführt werden, sondern es sollte alles in die königliche Schatzkammer mit Verlust des vierten Teiles geliefert werden. Hiedurch ward das Geld, welches ich zu meiner Reise nach Amsterdam bestimmt hatte, sosehr vermindert, daß ich nicht unbillig besorgte, ich möchte zu kurz kommen. Ich ward daher auch genötiget, mit meiner Reise zu eilen, und nahm mitten im Hornung einen Wagen von Paris nach Artois. Ein Reisender, welcher nicht viel Geld hat, muß sich insonderheit auf Reisen für zwei Dingen in acht nehmen, nämlich für Kapuziner und für Weibspersonen. Jene haben wegen ihres Standes und diese wegen ihres Geschlechts die Freiheit, daß sie nichts bezahlen, sondern von den übrigen Reisegefährten freigehalten werden. Wie ich auf dem Wagen stieg, so sahe ich, daß bereits einige artige Jungfern auf demselben saßen. Ich zitterte bei diesem Anblick, insonderheit, da ich wahrnahm, daß zweene Kapitäne gerade gegenüber saßen, deren Blicke und Unterredungen mit dem Frauenzimmer mir droheten, daß ich abermals den vierten Teil von meinem Gelde einbüßen würde. Ich hatte bereits aus der Erfahrung gelernt, wie sehr diese Art von Göttinnen von den Kriegsleuten pflegt verehrt zu werden, und daher mutmaßte ich gleich, daß die Herren Kapitäne nicht zugeben würden, daß diese edlen Kreaturen mitbezahlten. Ich irrte auch in diesem Stücke nicht. Wenn sie zu Tische gerufen wurden, so stellten sie sich alsbald ein, wenn sie aber bezahlen sollten, so gingen sie entweder weg oder sie schwiegen auch stille und gaben dadurch zu erkennen, daß sie Frauenzimmer waren. Zwei Tage wurden diese Gesetze in unserer kleinen Republik beobachtet. Wie ich aber mit meinem Gelde Rechnung machte, so merkte ich, daß ich diese Societät würde verlassen müssen, wenn die Regierungsart nicht anders eingerichtet würde. Ich offenbarte demnach dem einen Kapitän meinen Zustand, und dieser brachte es dahin, daß man das alte Gesetz abschaffte und an dessen Statt ein neues einführte, daß ein jeder selbst bezahlen sollte, was er verzehrt hätte. Wie wir in einem Dorfe nicht weit von Peronne angekommen waren, so wollte ich einen Tisch ans Feuer setzen, wobei ich aber beinahe meine Finger abgebrochen hätte. Man hätte fast denken sollen, dieser Tisch sei eine Maschine, welche mit Fleiß zu dem Ende gemacht worden, daß man die Finger einbüßen sollte, sobald man nur daran rührte. Meine Finger wurden so stark gepreßt, als wenn man sie unter einen Amboß gelegt hätte, und ich konnte solche mit aller Macht nicht wieder herausziehen. Meine Reisegefährten suchten ein Beil, die Bretter voneinanderzuhauen, inzwischen aber mußte ich doch die heftigste Pein empfinden. Wie ich nicht lange darauf vom Wagen stieg und einen Fußsteig gehen wollte, den mir der Fuhrmann zeigte, so verirrte ich mich von dem rechten Wege. Wie ich lange herumgeirret hatte, so traf ich endlich bei anbrechenden Abend einen Bauren an, welcher mich wieder auf den rechten Weg brachte. Damit ich aber auch wieder bei der Gesellschaft, die ich verlassen hatte, anlangen möchte, so war ich gezwungen, ein Pferd bis Bapaume zu nehmen. Man gab mir ein mageres und ausgehungertes Pferd, welches schien, daß es keine Stunde mehr leben würde. Ich befand es aber so mutig und hurtig, daß ich alle Augenblicke besorgte, es möchte mich abwerfen, und ich möchte, ehe ich selbst etwas davon wüßte, aus einem ansehnlichen Reuter ein lahmer Fußgänger werden. Ich fühlte auch daher den starken Nordwind nicht, welcher damals aufgestiegen war, weil ich in vollem Schweiß auf meinen Hengst und zwar aus Furcht saß, daß ich mit Schimpf und Schaden aus dem Ritterorden möchte gestoßen werden. Endlich langte ich zu Bapaume an, wo ich meine Reisegefährten wieder antraf und ihnen alle Verdrießlichkeiten erzählte, die mir seit unsrer Trennung begegnet waren. Wie ich hierauf zu Amsterdam anlangte, so waren die Briefe, die ich aus meinem Vaterlande erwartete, noch nicht angekommen. Ich war von allem Gelde entblößt und mußte mich desfalls acht Tage sehr genau einschränken, bis mir ein alter Freund auf mein Anhalten einige Dukaten liehe. Nach vierzehn Tagen kam endlich ein Brief an, aber der Inhalt war nicht so beschaffen, wie ich mir denselben vorstellte. Der Brief war von einem guten Freunde geschrieben, welcher mir riet, soviel nur immer möglich wäre, meine Rückreise zu beschleunigen, weil meine Feinde mir in meiner Abwesenheit allerhand Verdruß zu erwecken suchten. Dieses alles führe ich nur zu dem Ende an, daß ich zeigen möge, daß die Verdrießlichkeiten, welche mir begegnen, insgemein miteinander verbunden zu sein und wie eine Kette aneinander zu hangen pflegen. Ich könnte solches durch unzählige Beispiele beweisen, welche, ob sie gleich alle ihre Ursachen haben, dennoch nicht als bloße Zufälle anzusehen sind. Wenn man von Paris nach Brüssel reiset, so erwählt man insgemein den Weg, der durch Bergen in Hennegau gehet, weil man glaubt, daß dieses der nächste Weg sei und daß man bei demselben viel ersparen könne. Allein, man kann weit bequemer und mit weit geringern Kosten durch Ryssel reisen, auf welchem Wege man auch sehr viele andre Städte antrifft, die alle sehenswürdig sind, als: Bapaume, Arras, Douya, Ryssel, Cortryk, Menin, Gent, welche Örter so nahe beieinanderliegen, daß man nur einige Stunden braucht, von einer Stadt zu der andern zu reisen. Und da ich allemal an der Verschiedenheit der Menschen und Städte ein großes Vergnügen gefunden, so zog ich den Weg durch Ryssel allen andern vor, wo man alle Tage frische Pferde und neue Reisegefährten hat. Bald ist man mit Engländern, Spaniern und Deutschen, bald mit Kriegsbedienten und bald mit Gelehrten in Gesellschaft. Zwei Tage hatte ich einen alten Mann zum Reisegefährten, welcher in Westindien einen Räuber von der Gattung, die man Flibustiers oder Boucaniers zu nennen pflegt, abgegeben hatte. Von demselben erfuhr ich alles, was diese Räuberbande betrifft, überaus gründlich, und ich hörte vieles von ihm, was man sonst nicht findet oder in gedruckten Büchern nicht ausführlich genug beschrieben wird. Wie ich ihm meine Verwunderung entdeckte, daß er, als ein so frommer und redlicher Mann, wie er mir zu sein schien, eine so gottlose Lebensart hätte ergreifen können, so antwortete er mir, daß er sich als ein Knabe in diese ruchlose Gesellschaft begeben, da er noch keinen Unterscheid unter dem Guten und Bösen hätte machen können. Sobald er aber nur zu mehrern Jahren gekommen, so habe er diese schändliche Lebensart gleich fahrenlassen. Auf ebenderselben Reise traf ich um Mittagszeit noch einen andern Wagen an, und wir gingen alle ins Wirtshaus, um daselbst die Mittagsmahlzeit einzunehmen. Auf diesem fremden Wagen waren zweene Deutsche, zweene Franzosen und ein Spanier. Die Deutschen forderten alles, was nur in der Küche Gebratenes und Gekochtes anzutreffen war. Die Franzosen ließen sich bloß einige Eier bringen, und der Spanier trat ans Fenster und schien allein von der Luft zu leben. So druckte ein jeder das Naturell seiner Nation aus. Denn die Spanier sind wie Geister, die weder essen noch trinken.

Ich hielte mich drei Wochen in Amsterdam auf und lebte inzwischen in dieser berühmten Handelsstadt wie in einer Einöde. Denn da die Einwohner allein auf ihren Handel achtgeben und die Gelehrsamkeit dorten gar nicht hochgeschätzt wird, so kann sich ein Gelehrter dorten kein besonderes Vergnügen versprechen. Doch besuchte ich den berühmten Johann Clerk zweimal, dessen Leibes- und Gemütskräfte bei seinen hohen Alter annoch völlig ungeschwächt waren. Wir wurden einmal durch die Magd in dem Zimmer verschlossen, und ich gestehe es, daß mir diese Gefangenschaft überaus angenehm war. Denn während der Zeit, daß wir auf die Ankunft der Magd warteten, welche uns die Türe wieder öffnen sollte, redeten wir von allerhand gelehrten Sachen. Der Name dieses großen Mannes war selbst in der Gasse, worin er wohnte, ganz unbekannt, worüber man sich billig ärgern sollte. Denn wenn man fragt, wo Jacob der Wechsler, Cornelius der Gerber, Ephraim der Jude und Adrian der Schiffer, ja andre Leute bis auf die Fischweiber wohnen, so weiß ein jeder das Haus mit Fingern zu zeigen, wo sie sich aufhalten.

Wie endlich der Brief anlangte, nach dem ich mich so lange in Amsterdam gesehnt hatte, so reiset ich durch Ostfriesland nach Hamburg. Ich hörte sehr viel auf dieser Reise von der Unruhe, womit damals das Fürstentum Ostfriesland und insonderheit die Stadt Liere angefüllt war. Da ich aber bereits längstens aus der Erfahrung gelernet, daß das Gerücht größer zu sein pflegt als die Sache selbst, so setzte ich meine Reise ohne die geringste Furcht fort. Gegen Mittag langte ich zu Liere an, wo man nichts als lauter Anstalten zum Kriege sahe. Die Soldaten marschierten in geschlossenen Gliedern und stellten sich in Schlachtordnung, die Stücken wurden auf den Markt gepflanzt, der gemeine Mann lief mit allerhand Gewehr in der Stadt herum. Die Bauren waren gepanzert und hatten große Keulen, die mit Eisen beschlagen waren, nebst andern mörderischen Waffen in Händen. Ich hielt es für töricht, mich lange in dieser unruhigen Stadt aufzuhalten, und mietete deswegen unverzüglich einen Wagen, mit welchem ich, nachdem ich mich ein wenig erfrischet hatte, wieder aus der Stadt fuhr.

Damit man dieses desto besser verstehen möge, so will ich die Ursache des Streits hier zugleich beifügen. Es wird Ihnen ohne Zweifel bekannt sein, daß ein sehr gelehrter Geheimer Rat des Fürsten von Ostfriesland vor einigen Jahren eine ostfriesische Historie in zwei Teilen herausgegeben. In derselben zeigt der Verfasser, Herr Breneysen, daß die Gerechtsame des Fürsten gegen die kaiserlichen Decreta von den Ständen geschwächt worden. Er geht zu dem Ende die kaiserlichen Decreta aufs genaueste durch und erkläret sie zum Vorteil seines Fürsten. Aus dieser Ursache wird er auch von den Ständen für den ersten Urheber dieses Krieges gehalten. Es hat bei vielen eine Verwunderung erweckt, daß dieses Buch von niemanden widerlegt worden. Einige sagen, daß ein gewisser gelehrter Holländer die Widerlegung übernommen und den Ständen eine andre Geschichte, die der ostfriesischen Historie des Herrn Breneysens gerade entgegen wäre, angeboten hätte. Wie er aber wegen der Bezahlung mit den Ständen sich nicht vergleichen können, so hätte er seine Arbeit zurückgehalten. Es mag mit dieser Sache beschaffen sein, wie es will, so ist bisher noch nichts dagegen ans Licht getreten. Ob solches von der Unwissenheit der Rechtsgelehrten in solchen Sachen, die Ostfriesland betreffen, oder von dem Mißtrauen, welches man in die Gerechtigkeit dieser Sache gesetzt, herrühre, solches kann ich nicht eigentlich sagen. Nachdem man einige Jahre miteinander gestritten, so kam es endlich so weit, daß der alte Rat zu Emden abgeschafft und ein neuer Rat wieder zu Emden eingesetzt ward. Dieses war den Ostfriesen unerträglich. Sie schrien, nun sei es um ihre Freiheit geschehen, und griffen zu den Waffen.

Die Freunde und Anhänger der fürstlichen Partei behaupteten, daß der Fürst keine andre Absicht habe, als daß die Gevollmächtigten der Stände von den öffentlichen Geldern Rechenschaft ablegen sollten. Dieses aber leugneten diejenigen, welche die Rechte der Stände verteidigten, und sagten, es sei nur ein bloßer Vorwand, dessen sich Breneysen bediente, um die schon längst von ihm beschlossene Veränderung im Lande durchzutreiben. Und damit sie den gemeinen Mann desto leichter in ihre Partei ziehen möchten, so bildeten sie ihm ein, es sei um die reformierte Religion in Ostfriesland geschehen, wo man sich nicht diesen Neuerungen aufs äußerste widersetzte. In Emden nahm der Aufruhr zuerst seinen Anfang, der hernach zu Liere fortgesetzt ward, in welchem letztern Orte nicht ohne Blutvergießen gestritten worden. Nach einiger Zeit ward einige Mannschaft von dem Fürsten ausgesandt, um einen Ort, der nicht weit von Liere lag, wegzunehmen. Dieses wollten die Einwohner in Liere durchaus nicht dulden und zogen deswegen, nachdem sie einige Bürger und Bauren zusammengebracht hatten, bewaffnet aus der Stadt, um die Mannschaft des Fürsten wieder daraus zu vertreiben. Und wie sie eben marschfertig stunden, diesen Kreuzzug anzutreten, so langte ich in der Stadt an.

Wie ich mir einen Wagen gemietet hatte, so trat ich gleich nach der Mittagsmahlzeit meine Reise an. Der ganze Weg war mit bewaffneten Bauren besetzt, welche den Wagen umringten und sich nicht wenig darüber wunderten, daß jemand so verwegen sein könnte, mitten durch eine so fürchterliche Reihe bewaffneter Kriegsleute zu reisen. Jedoch, weil ich mit einem königlichen Reisepaß versehen war, so besorgte ich keine Gefahr und setzte meine Reise fort. Wie ich aber bei Natmora anlangte, wo beide Armeen in Schlachtordnung stunden, so wollte es der Kutscher nicht wagen, weiterzufahren, insonderheit, da er sahe, daß einige verwundete Bauren nach der Stadt zurückgebracht wurden, ob ich gleich nachher hörte, daß sie nicht von dem Feinde, sondern aus Unachtsamkeit von ihren eignen Leuten verwundet worden. Wie wir noch stillehielten und nicht wußten, wozu wir uns entschließen sollten, so zog sich die ganze Armee der Stände wieder in die Stadt zurücke. Man hätte denken sollen, daß sie die Flucht ergriffen hätten, wenn sie von einem Feinde wären verfolgt worden. Die Bürger und Bauren wandten vor, damit man nicht über sie spotten möchte, daß sie sich aus dieser Ursache zurückgezogen hätten, weil sie nicht mit Feldstücken, wie der Gegenteil, versehen wären. Es ist aber viel wahrscheinlicher, daß ihnen die Hitze vergangen war, da sie den Rausch ausgeschlafen hatten. Denn wie sie diesen Ausfall vornahmen, so waren sie ganz berauscht von Branntewein. Ich entschloß mich endlich auch, wieder umzukehren, und traf einen Kapitän an, welcher Andri hieß. Dieser erkundigte sich bei mir nach meinem Namen; und wie ich ihm alles gesagt, woher ich käme und wohin ich gedächte, so riet er mir auch, wieder umzukehren. Dieser Andri war ein Sohn eines Bürgermeisters aus Emden und ein sehr artiger Mann. Die Einwohner in Liere sahen ihn ebenso an wie die Römer den Junius Brutus, da sie für ihre Freiheit fochten. Wie ich wieder in die Stadt zurückgekommen war, so geriet ich mit meinem Fuhrmann in Streit, welcher sich von seiner Bezahlung, die ich ihm für die ganze Reise versprochen hatte, nicht das geringste wollte abziehen lassen. Ich antwortete ihm, daß ich an unserm Kontrakt nicht gebunden wäre, denn da der Wagen mir nicht die versprochene Dienste geleistet, so käme ihm gar nichts zu, und wenn die Sache zum Prozeß ausschlagen sollte, so würde er gewiß verlieren. Aber es ist vergebens, sich in einer Stadt, wo kein Gesetz gilt, auf die Gesetze und die Gerechtigkeit zu beziehen, und es ist auch der Obrigkeit ohnmöglich, in einer aufrührischen Stadt ihrer Pflicht eine Gnüge zu leisten, wenn man auch die allergerechteste Sache hätte. Ich mußte also nicht nur den Fuhrmann entrichten, was er von mir forderte, sondern ich mußte auch den Wagenmeister doppelt bezahlen. Nachdem ich eine betrübte und schlaflose Nacht in dieser unruhigen Stadt gehabt hatte, so mietete ich an dem folgenden Tage eine Schoyte. Doch durfte ich nicht ehe an das Ufer kommen, bis das Kriegsheer wieder aus der Stadt gezogen war. Diese mutigen Streiter hatten nun zwei Feldstücke mitgenommen und rüsteten sich zu einer neuen Unternehmung. Diese einzige Meile kostete mir mehr als beinahe der ganze Weg von Amsterdam nach Neucastel. Wie ich des Abends in einem Dorfe, welches Dederen hieß, anlangte, so erhielt ich die Nachricht, daß das Vornehmen der lierischen Einwohner einen glücklichen Ausgang gewonnen und daß die Soldaten des Fürsten von ihnen vertrieben worden. Ich setzte meinen Weg durch Oldenburg nach Bremen fort, woselbst ich mich drei Tage aufhalten mußte. Während der Zeit besuchte ich einige Professores bei dem dortigen Gymnasio und nebst andern auch den Doktor Hasäus, welcher ein sehr belesener Mann war. Er zeigte mir seinen Büchervorrat, welcher ohnstreitig der schönste und ansehnlichste in der ganzen Stadt war, und zwar sowohl in Absicht auf die Anzahl der Bücher, als auch, weil die Schriften alle auserlesen waren. Die Bibliothek des Gymnasii ist sehr zahlreich, aber alle Bücher sind meistenteils in Folio. Die Einwohner in Bremen können füglich in Gelehrte und Bürger eingeteilt werden. Es sind so viele Doktores in Bremen, daß man aus diesem Orden allein zu Kriegszeiten ein ziemliches Kriegsheer ins Feld stellen könnte. Denn wo man sich nur hinwendet, da siehet man einen Doktor. Wenn man also keinen Unterscheid macht zwischen doctus und Doctor, unter gelehrt sein und den Namen eines Gelehrten führen, so verdient Bremen mit allem Rechte, die gelehrteste Stadt in der ganzen Welt genannt zu werden. In Hamburg besuchte ich einige Gelehrte, den berühmten Fabricius, Johann Hübner und andre. Endlich langte ich glücklich und gesund wieder in Kopenhagen an.

Wie ich von dieser fünften ausländischen Reise wieder zu Hause gekommen war, so nahm ich mir vor, die poetische Schrift völlig zustande zu bringen, woran ich bereits vor meiner Abreise zu arbeiten angefangen und ihr den Namen Metamorphosis beigelegt hatte. Es wird darin eine Societät von Tieren, Bäumen und Pflanzen vorgestellt, welche von verschiedenen Waldgöttern und Göttinnen, als dem Pan, Sylvanus, Flora, Bubona, Pomona und andern regiert werden. Und wie die Menschen bei dem Ovidius in Tiere und Bäume verwandelt werden, so werden hier Tiere und Bäume in Menschen verwandelt. Z.B.: Eine große hohe Eiche wird in einen Menschen verwandelt, von demselben stammen die großen und vortrefflichen Leute her, welche ihrem Stamme gleichen und nicht wie andre Bäume Früchte tragen, sondern allein Blätter hervorbringen, unter deren Schatten die Armen Zuflucht suchen und leben müssen. Eine Alster wird in einen Balbier verwandelt, und daher rührt es, daß diese Leute so gerne plaudern. Aus einem Ziegenbock wird ein Philosoph, daher sind die Weltweisen streitbar und die alten Philosophen bärtig. Eine Sonnenblume wird in eine Hofdame verwandelt. Diese Blumen wenden sich allezeit gegen die Sonne und verwelken, ehe man es sich versiehet. Und auf ebendieselbe Art müssen sich auch die Hofdamen stets nach dem Willen ihrer Herrschaft richten, und wenn sie am schönsten blühen, so verdorren sie.

Ich habe mich äußerst bemühet, die Schreibart des Ovidius nachzuahmen, soweit es meiner ungeübten Feder möglich gewesen. So selten es aber den Malern glückt, die Vollkommenheit des Originals in ihren Copeyen in allen Stücken auszudrücken, so ist es mir auch in diesem Stücke ergangen. Denn in meinem Gedichte fehlt der Geist des Ovidius und der Reichtum nebst der Zierlichkeit der lateinischen Sprache. Bei Vornehmen und Gelehrten fand diese poetische Schrift großen Beifall wegen der artigen Erfindung, wegen der reinen und verständlichen Poesie, und endlich wegen der Einrichtung des ganzen Werks, welches eine stetswährende Kette von Fabeln ist, die immer aneinander hangen. Aber von dem gemeinen Manne, welcher bloß auf die Satire sieht und nur allein diejenigen Dinge, die ihm in die Augen fallen, zu beurteilen fähig ist, ward es nach verschiednen Absichten auch verschiedentlich aufgenommen. Gleich darauf kam ein abgeschmacktes und pöbelhaftes Gedicht gegen mich zum Vorschein, welches mit lauter groben Ausdrücken angefüllet war. Viele suchten mich zu überreden, daß ich mich dagegen verteidigen sollte. Aber je gröber und unverschämter sich der Verfasser in seinem Gedichte ausgedrückt, desto weniger schätzte ich ihn einer Antwort würdig. Unter den Stücken, worüber er sich beschwerte, war dieses das vornehmste, daß die Leute nachlässig und zu ihren Ämtern untüchtig werden würden, wenn sie hörten, daß sie ihren Ursprung Tieren und Bäumen zu danken hätten, gerade, als wenn ein Ehebrecher, den ich von einem Kuckuck herkommen lassen, dadurch weniger unzüchtig oder ein Balbier nicht so schwatzhaft oder ein Scholastiker sanftmütiger werden würde. Ich ließ mich durch die andern groben Beschuldigungen so wenig aufbringen, daß ich auch den Buchdrucker, welcher mich doch öfters schon gereizt hatte, desfalls nicht einmal zu Rede setzte, obgleich die Obrigkeit selbst mir die Mittel dazu an die Hand gab und auch viele mich antrieben, mich zu rächen, damit die Bosheit dieses Feindes nicht gestärket werden möchte. Aber die Zänkereien sind mir so sehr zuwider, daß ich lieber alles erdulden, als einen Prozeß führen will.

In der Vorrede, welche ich dieser poetischen Schrift vorsetzte, gab ich zu erkennen, daß ich mich ernstlich bestrebte, mit dem menschlichen Geschlechte Frieden zu halten, und daß ich inskünftige keine Satiren mehr schreiben würde. Einige glaubten, daß diese Friedensvorschläge aus einem bösen Gewissen herrührten und daß ich meine vorigen Bemühungen bereuete. Aber hierin irrten sie sich sehr. Es erweckte mir zwar einigen Verdruß, daß ich mich so viele Jahre ohne den geringsten Nutzen mit dieser Arbeit geplagt hatte, aber die Arbeit selbst habe ich niemals bereuet, welche meinem Urteile nach, dem Leben und übrigen Bemühungen eines wahren Philosophen zu keiner Schande gereichet. Die Ursache und den Endzweck, warum ich diese gefährliche Schreibart so lange fortgesetzt, zeigen die Schutzschriften an, welche ich meinen poetischen Arbeiten beigefügt habe. Sollten sich aber dennoch einige hierdurch nicht wollen besänftigen lassen, sondern beständig fortfahren, einen Verdacht auf mich zu werfen und widrige Gerüchte von mir auszustreuen, so ersuche ich dieselben, daß sie ihre Tadelsucht auch auf diejenigen gelehrten und rechtschaffenen Männer ausbreiten mögen, auf deren Antrieb und Gutbefinden ich meine poetischen Schriften, Satiren und Schauspiele herausgegeben. Habe ich denn geirret, so haben in diesem Falle auch alle diejenigen vernünftigen Männer geirret, welche mich teils zum Schreiben aufgemuntert, teils meine Schriften gebilliget haben. Und dieses ist hinlänglich, alle Beschuldigungen auf einmal von mir abzulehnen. Wenn ich nur bloß diejenigen nennen wollte, deren Rat ich jederzeit gefolgt bin und deren Urteil ich meine Schriften allemal unterworfen habe, ehe sie gedruckt worden, so würde gewiß alles Mißtrauen, welches man gegen mich hegt, auf einmal wegfallen. Es haben mich aber doch endlich die Schandschriften, welche beständig in der Stadt von einigen ungenannten Verfassern ausgestreuet wurden, ganz von diesen Bemühungen abgeschreckt, weil einige aus Unwissenheit und weil ihnen meine Gründe und meine Gemütsneigung nicht hinlänglich bekannt war, einige aber aus Bosheit für den Verfasser solcher unwürdigen Blätter ausgaben. Aber ich versichere heilig und aufs zuverlässigste, daß ich nichts in dieser Schreibart jemals herausgegeben habe, als was unter dem Namen Hans Mikkelsen ans Licht getreten ist.

Hier würde ich diesen Brief schließen, wenn ich nicht noch zum Beschlusse etwas von meinen Neigungen und Sitten hinzufügen müßte. Denn da keiner von den öffentlichen Lehrern bei der Akademie jemals so vielen Urteilen als ich unterworfen gewesen, so hoffe ich, es werde Ihnen, mein Herr, nicht unangenehm sein, wenn ich mein Bild mit eben der Aufrichtigkeit abmale, mit welcher ich das Bild von so vielen andern Menschen der Nachwelt übergeben habe.

Ich habe von meiner ersten Jugend an wahrgenommen, daß meiner Gesundheit nichts so schädlich sei als eine unordentliche und ausschweifende Lebensart. Aus dieser Ursache habe ich jederzeit sehr eingezogen und enthaltsam gelebt, daß man mich auch bereits in meinen ersten Jahren für einen Jüngling dem Alter nach, aber für einen Greis wegen meiner Lebensart gehalten. Ich ward daher auch öfters von einigen getadelt, welche glaubten, daß ein so strenges und enthaltsames Leben meinen Jahren nicht gemäß sei. Welche Erinnerungen mir um soviel verdrießlicher waren, je mehr ich zu derselben Zeit noch zum Zorne geneigt war. Nichtsdestoweniger blieb ich doch bei meiner alten Lebensart und veränderte solche nicht nach dem Gutachten meiner Freunde. Mit den Jahren nahm auch meine Enthaltsamkeit zu. In meiner Jugend pflegte ich noch Wein zu trinken, wenn ich ihn mit Wasser vermischt hatte. Nun aber scheue ich denselben ärger als Gift. Vor einigen Jahren trieb ich meine Enthaltsamkeit so weit, daß ich auch nicht einmal mit meiner gewöhnlichen Lebensart zufrieden war, sondern ich ließ alles, was ich essen und trinken wollte, nach dem Gewichte abmessen und folgte hierin dem Beispiel derjenigen, welche sich bei dieser mathematischen Lebensart sehr wohlbefunden haben. Aber meine Freunde hielten dieses für eine große Torheit und fingen desfalls an, mit mir zu streiten, ja sie prophezeiten, daß ich bald sterben würde, wenn ich dieses eine Zeitlang fortsetzen wollte. Sie führten mir zu Gemüte, daß nichts Törichters könnte erdacht werden, als sich bei blühenden Jahren allem menschlichen Umgange zu entziehen, und wenn man nicht in der Gesellschaft mit andern speisen wollte, so sei es ebenso gut, als wenn man die Welt bereits verlassen oder sich selbst landflüchtig gemacht hätte. Ich antwortete ihnen zwar, daß der Umgang nicht im Fressen und in der Völlerei bestehe, aber hierdurch richtete ich nichts aus. Andre, welche noch nachdrücklicher philosophierten, plagten mich mit einigen Sprüchen aus der Schrift und bemüheten sich, daraus zu zeigen, daß man, wenn man sich Speise und Trank abmessen ließe, dadurch der Vorsehung Gottes zu nahe trete. Ja, ihr Eifer ging soweit, daß sie mir einbilden wollten, es fehle nicht an Beispielen solcher Leute, welche sich durch diese Lebensart den Zorn und die Ungnade Gottes zugezogen hätten. Auch diesen suchte ich ihren Irrtum durch diese Antwort zu benehmen, daß mir dergleichen Exempel gar nicht bekannt wären, und wenn man ja einige erzählte, so würden solche doch ebenso wenigen Glauben als andre Fabeln und Märlein verdienen. Ich wüßte wohl, daß man dem Johannes Chrysostomus bei einer Kirchenversammlung dieses vorgeworfen habe, wie wichtig aber diese Beschuldigung gewesen, solches könne man aus den andern Vorwürfen, die man ihm gleichfalls gemacht, zur Gnüge abnehmen, da man an ihm getadelt, daß er sich allein badete usw. Überhaupt hielte ich dafür, daß ein jeder Mensch insonderheit darnach streben müsse, daß in einem gesunden Körper eine gesunde Seele wohne. Und da man verbunden sei, für die Seele Sorge zu tragen, so müsse man auch die Sorge für den Leib nicht aus den Augen setzen, weil die Seele sich darauf gründe und ruhe. Diese Vorstellungen setzte ich den Anfällen meiner Freunde entgegen, welche mich täglich mit neuen Ermahnungen angriffen. Da ich aber weder Frieden noch Stillstand erlangen konnte, so ließ ich mein Vorhaben endlich fahren, damit ich nicht ewig mit meinen Freunden streiten und immer einerlei hören möchte.

Die Schwachheit, womit ich geplagt bin, ist erblich. Denn die Erfahrung zeigt, daß die Krankheiten ebenso wie andere Dinge können fortgepflanzt werden. Doch brauche ich keine Arzneien, weil mir die Ursache meiner Krankheit unbekannt ist. Bisweilen überfällt mich eine so große Mattigkeit, daß ich fast nicht gehen kann, sondern nur von einer Stelle zur andern kriechen muß. Zu einer andern Zeit aber kann ich so hurtig und schnell als nur irgendein andrer gehen. Bald nimmt die Krankheit den Kopf, bald die Füße und bald den Magen ein, und alsdann empfinde ich bald Kälte, bald Hitze in den Gedärmen, bald bemerke ich gar zu viele Säure im Magen, und zu einer andern Zeit empfinde ich gar nichts davon. Ich war einmal beinahe zwei Jahr so heftig mit Kopfschmerzen geplagt, daß ich mich alles Nachsinnens und Studierens enthalten mußte und während der Zeit nichts anders als historische Bücher und Auszüge von Büchern und Schriften lesen konnte. Aber nach dieser Zeit und wie sich die Krankheit nach einem andern Orte gezogen hatte, so fand ich mein größtes Vergnügen an philosophischen Betrachtungen und an der Dichtkunst, und damals schrieb ich auch die Gedichte, die Satiren und die Schauspiele, von denen ich oben bereits Nachricht gegeben habe. Ich bin desfalls mein eigner Arzt und nehme von niemanden einen Rat an. Denn ich glaube nicht, daß die Ärzte imstande sind, eine so unbeständige und wandelbare Krankheit zu heben. Daher ist mein Sinn auch ebenso unbeständig, und desfalls bin ich mir selbst öfters nicht ähnlich. Ich muß alle Mühe anwenden, daß die Unbeständigkeit, welche in meinem Gemüte herrscht, nicht ausbrechen möge. Freude, Betrübnis, Furcht, Mut, Mattigkeit, Hurtigkeit, Hitze und Kaltsinnigkeit sind diejenigen Leidenschaften, welche wechselsweise bei mir die Herrschaft haben, und dieses richtet sich nach dem Orte des Leibes, den die bösen und scharfen Feuchtigkeiten bald hier, bald dort einnehmen. Wenn sie sich in der Gegend des Herzens aufhalten, so entdecke ich allenthalben Fehler und habe eine überaus große Lust, dieselben zu verbessern, ja ich lehne mich gegen die ganze Welt auf. Aber gleich darauf, wenn die Feuchtigkeiten sich an einen andern Ort ziehen, so ist niemand sanftmütiger und verträglicher als ich. Sooft mich also der Trieb zu reformieren überfällt, so halte ich es am ratsamsten, mich selbst zu reformieren, denn ich habe erfahren, daß sich dieser Eifer durch einige abführende Pillen heben läßt. Sobald dieser Zufall gehoben worden, so sehe ich die Menschen wieder mit andern Augen an, und die Welt scheint mir alsdann wieder besser als vorher.

Andre sind mit einem Magen geplagt, welcher nicht alle Speisen annimmt, ich aber bin mit einem Gemüte geplagt, welches fast vor allen Dingen einen Ekel hat, und unter hundert Menschen kann ich kaum einen finden, dessen Aufführung mir gefällt. Dieser erweckt mir durch sein Geschwätz und jener durch seine Gebärden Verdruß. Deswegen verlasse ich auch die meisten Gesellschaften mit Widerwillen und suche mein Vergnügen in der Einsamkeit. Und da mich nichts so sehr vergnügt als die Kürze, so ist mir auch im Gegenteil nichts mehr zuwider, als wenn einige nicht vier Worte reden können, wo sie nicht sechzehn Zwischensätze einschalten und ihre Erzählung mit so vielen Nebendingen anfüllen, daß man das Ende davon nicht absehen kann. Deswegen gefällt mir unter allen meinen Lustspielen ›Gerhard Westphaler oder der schwatzhafte Balbier‹ am allerbesten, weil darin diejenigen lächerlich gemacht werden, welche mir öfters durch ihre weitläuftigen und ungereimten Erzählungen den äußersten Verdruß verursachet haben. Weil ich mit solchen Leuten nicht gerne umgehe, so bin ich desfalls von einigen getadelt worden, die keinen Unterscheid unter dem Ekel und Haß zu machen wissen. Man kann einen Menschen fliehen, aber man darf ihn eben nicht zugleich hassen.

Einige urteilen gleichfalls, daß ich in meinen Satiren gar zu bitter gewesen und daß die gehörigen Grenzen von mir überschritten worden. Ich gestehe es, daß meine Satiren mit Bitterkeit angefüllet sind, aber ich schärfe meine Feder allein gegen die Laster und nicht gegen die Menschen. Ich sehe sehr wohl ein, daß den wenigsten diese Schreibart gefällt und daß ein Lobgedichte sich weit leichter aufsetzen lasse und weit besser aufgenommen werde als eine Stachelschrift. Die Herolde der Tugenden und großen Eigenschaften werden mit Ehre und Gütern überhäuft, aber die Satirenschreiber sieht man als Aufrührer an, da doch diese wieder aufbauen, was jene niederreißen, da diese Pflaster auf die Wunden legen, jene aber die Wunden wieder aufreißen. Diese sind insgemein verhaßt, weil sie wie die Ärzte bittre, aber doch gesunde Tränke den Kranken darreichen. Jene sind beliebt und angenehm, weil sie den Kranken heucheln und ihnen süße, aber tödliche Tränke geben. Diese hält man für böse und schädlich, jene sind es wirklich. Diese scheinen Feinde des menschlichen Geschlechts zu sein, da sie doch Freunde desselben sind. Diese hält man für Freunde, da sie sich doch als Todfeinde der Menschen beweisen. Viele haben sich darüber gewundert, daß ich eben diese Schreibart erwählt, wovon ich doch nichts anders vermuten können, als daß ich mir Neid und Mißgunst zuziehen und andre gegen mich aufbringen würde. Aber mich dünkt, es ist besser, etwas anzufangen, wenn es auch gleich mit Schaden verbunden ist, als ganz stille zu sitzen, und es ist rühmlicher, zwischen Klippen und Felsen zu segeln, als nachlässig und faul im Hafen stillzuliegen. Und überdem ist es sehr schwer, die Lust zu dämpfen, wozu man von Natur geneigt ist, und den Kräften des Geistes und Gemüts einen Zügel anzulegen, daß sie sich nicht äußern mögen. Insonderheit, wenn es nicht an Freunden fehlt, die uns zu einer solchen Arbeit aufmuntern, wodurch der Name bekannt, das Andenken ehrwürdig und das Leben selbst nach dem Tode verlängert werden kann. Hiedurch wird das Gemüt immer mehr angereizt, und es ist fast ohnmöglich, diesem Triebe, wenn er einmal überhandgenommen, wieder Schranken zu setzen.

In meinen Schriften ist überhaupt mehr Scherz als Bitterkeit anzutreffen, und die Fehler der Menschen werden nicht sowohl getadelt als verbessert. Indessen leugne ich nicht, daß nicht noch Verschiedenes darin könnte verbessert werden. Ob ich gleich niemanden ohne Ursache den Krieg angekündiget habe, so bin ich doch gar zu hitzig im Angriffe gewesen. Ich habe auch den Streit mit denen, von welchen ich gereizt worden, gar zu lange und eifrig fortgesetzt. Ich erkenne meinen Fehler und mißbillige selbst meine gar zu große Hitze. So wenig man es einem Sprachlehrer vergeben kann, wenn er schlecht redet, und so schlecht man billig von demjenigen urteilet, der sich für einen Sänger ausgibt und dennoch schlecht singt, weil beide eben in der Wissenschaft fehlen, in welcher sie Meister sein wollen: Ebensowenig und noch viel weniger ist es einem Weltweisen zu verzeihen, wenn er Fehler in seinem Leben begehet, weil er sich eben in den Stücken versieht, in welchen er andre unterrichten will. Gewiß, dadurch werden die Laster nicht aufgehoben und vertilgt, sondern vielmehr noch tiefer eingeprägt und befestiget. Aber wie leicht läßt man nicht den Zügel fahren, wenn man erhitzt und aufgebracht ist, und wie leicht begeht man denn selbst nicht die Fehler, welche man an andern getadelt hat. Ich wünschte, daß meine poetische Schriften bloß allein aus dieser Ursache wieder von neuem möchten aufgelegt werden, damit ich einige bittre Stellen auslöschen könnte, welche ich, ob man sie mir gleich abgezwungen, dennoch als Flecken und Fehler in meinen Gedichten ansehe. Es ist töricht, wenn einige den Zorn verteidigen, denselben gleichsam als einen Wetzstein des Mutes und der Tapferkeit ansehen. Ebenso abgeschmackt ist es, wenn einige nur diejenigen für rechte Redner und ehrliche Männer halten, welche in Eifer und Wut geraten können. Vernünftige aber halten denjenigen für keinen Mann, der nicht imstande ist, seinen Zorn zu dämpfen. Dieses sind meine natürlichen Fehler, welche ich zwar öfters bestritten habe, aber bisher noch nicht völlig unterdrücken können. Es wird sehr viele Mühe dazu erfordert, eingewurzelte Laster auszurotten. Ein Augenarzt muß weit mehr Mühe bei denen anwenden, welche schon lange Schaden an den Augen gehabt haben, als bei andern, denen die Augen nur seit einiger Zeit etwas geschwollen sind.

Da es unanständig ist, sich selbst zu rühmen, so überlasse ich es andern, von meinen guten Eigenschaften zu reden, wenn sie ja einige bei mir wahrnehmen sollten. Die Fehler, zu denen ich geneigt bin, sind bekannt. Doch haben auch die Tugenden bisweilen den Schein und das Ansehen der Laster. Einige halten meine Aufführung für unanständig, weil ich mich nett und sauber kleide und mich vielleicht öfterer in den Gesellschaften des Frauenzimmers finden lasse, als es einen Philosophen anstehet. Andre glauben, es sei einem Manne von meinem Stande nachteilig, Komödien zu schreiben und die Schauspieler zu verteidigen. Einige sehen mich für wollüstig an, und doch flieht niemand die Wollust und ein unordentliches Leben so sehr als ich. Ich spotte über die Philosophen, und doch philosophiere ich selbst. Ich rede von der Eitelkeit der Wissenschaften, und dennoch bemühe ich mich, dieselben zu fassen. Ein unschuldiges Vergnügen verteidige ich offenbar, und dennoch lebe ich selbst sehr strenge und eingezogen. Ehedem ging ich fleißig in die öffentlichen Wirtshäuser, aber ich habe niemals daselbst weder gegessen noch getrunken. Ich befand mich täglich in einer Gesellschaft, wo gespielt ward, ich habe aber niemals mitgespielt. Im Scherz verhehle ich bisweilen die Wahrheit, in ernsthaften Sachen aber niemals. In Kleinigkeiten und gleichgültigen Dingen bin ich verschwiegen, in wichtigern Sachen aber offenherzig. In meinen Schriften bin ich bitter und streitbar, im Umgange aber so verträglich und sanftmütig, daß ich auch oft wider den Willen meiner Freunde und mit meinem eignen Schaden mein Recht fahrenlassen.

Bei einer solchen Lebensart hat es wohl nicht anders sein können, als daß diejenigen, welche einen Philosophen allein nach dem Äußerlichen beurteilen, sehr schlechte Gedanken von meiner Person fassen müssen. Ich habe mir auch keine Mühe gegeben, diese unbilligen Richter auf bessere Gedanken zu bringen. Es ist einem wahren Philosophen Ehre genug, wenn er ein reines Gewissen hat und von den Lastern frei ist, die man ihm aufbürden will. Ich weiß wohl, daß der Schein öfters nützlicher als das Wesen selbst ist. Allein, was andre einem Philosophen höchst unanständig halten, das sehe ich als die schönste Zierde in seinem Leben an. Denn derjenige scheint es gewiß sehr weit gebracht zu haben, der die Wollust nicht so sehr scheuet, als ihr vielmehr entgegengeht, sie angreift und endlich überwindet.

Dieses mag von meiner Lebensart und von meinen Neigungen genug sein. Es ist nichts mehr übrig, als daß ich von meiner Religion noch etwas hinzufüge. Viele stehen in den Gedanken, weil ich den Lukian in meinen Schriften nachgeahmt, so sei ich auch ebensowenig ein Freund der Religion als derselbe gewesen. Dieses Schicksal habe ich mit allen den berühmten Männern gemein, welche nicht gleich alles ohne Untersuchung glauben wollen. Aber ebendenselben Philosophen, den ich in Bestreitung des Aberglaubens nachfolge, verabscheue ich aufs äußerste, wenn er mit der Religion scherzt und dieselbe angreift. Ich weiche zwar bisweilen von den allgemeinen Meinungen ab, aber die Vorwürfe, welche man mir aus meinen Schriften machen kann, sind so geringe und von so wenigem Gewichte, daß dadurch zwar allerhand Urteile, niemals aber ein rechter Streit wider mich erregt worden. Daß ein Gott sei, daran habe ich niemals gezweifelt. Derjenige müßte gewiß ein Stein und Klotz sein, der nach des Poetens Ausspruch sieht:

Coelum nitescere, arbores frondescere,
Segetes largiri fruges, florere omnia
Fontes scatere, herbes prata conuestirier;
Coelum nitescere...: ...wie der Himmel klar wird, wie die Bäume ausschlagen, wie auf den Feldern das Korn reift, wie alles blüht, wie die Quellen sprudeln, wie sich mit Gras die Wiesen kleiden. (Cicero, Tusculanen I, 69, wahrscheinlich aus den Eumeniden des Ennius)

und dennoch leugnen wollte, daß einer sein müsse, der dieses alles regiere und den Menschen soviel Gutes verleihe. Indessen gestehe ich doch aufrichtig, daß durch das Lesen gewisser verbotenen Bücher vor einigen Jahren verschiedene Zweifel gegen die Offenbarung in mir erregt worden. Da ich sahe, daß die Menschen von den unvernünftigen Tieren am allermeisten dadurch unterschieden werden, daß sie die Freiheit haben, sich ihrer Vernunft zu bedienen, so glaubte ich, daß es die Pflicht eines Menschen sei, das zu untersuchen, was er von seinen Vorfahren gehört hat; ich glaubte auch, daß es erlaubt sei, in den verbotenen Büchern zu lesen und an allen Dingen zu zweifeln. Aus dieser Ursache habe ich alle verbotene Bücher, die ich nur auftreiben können, gelesen; und ich gestehe, daß mir solche viele Zweifel erregt haben. Ich ward noch ungewisser, da ich einige neuere Schriften las, worin die Verfasser jüdische Sätze vorgetragen und fast in einem jeden Spruche ein Bild und Gegenbild anzutreffen glaubten. Die größte Unruhe aber verursachten mir einige päpstische Skribenten, welche das Ansehen der Offenbarung schwächen, damit sie die Macht der Kirche desto besser behaupten können. Denn was die Feinde des Glaubens offenbar tun, das bewerkstelligen die Papisten durch verborgene Kunstgriffe.

Diese Schriften, welche ich sehr fleißig las, brachten mich würklich auf einen Irrweg, von welchen ich aber doch nach einigen Jahren wieder befreiet ward. Ich habe solches der Abhandlung des Abadie von der Wahrheit der christlichen Religion hauptsächlich zu danken, welches unvergleichliche Buch die Wahrheit der heiligen Schrift überaus herrlich erweiset und den Unglauben durch die stärksten Waffen bestreitet. Grotius, Huetius und andre Verteidiger der Wahrheit der christlichen Religion leisteten mir auch in diesem Falle die vortrefflichsten Dienste. Es blieben mir zwar noch einige Zweifel übrig, welche das Studium physicae coelestis in mir rege machte, woran ich jederzeit einen sehr großen Gefallen gehabt. Die Vortices Cartesiani und die Vielheit der Welten schienen mir auch mit der Nachricht zu streiten, welche Moses von der Schöpfung erteilet. Aber einige vernünftige Ausleger, von welchen die Bücher Mosis erkläret worden, haben mir auch diese Zweifel benommen, da sie die Sätze der heutigen Weltweisen mit der mosaischen Nachricht von der Schöpfung überaus glücklich und vernünftig vereinigen.

Weil ich so oft krank und nicht wohl aufgeräumt bin, so finde ich eine große Erleichterung, wenn ich studiere, auch die betrübtesten Schicksale werden bei mir durch das Studieren ungemein gelindert. Wenn mich deswegen Sorgen und Bekümmernisse überfallen, so nehme ich zu den Studien als zu einem gewissen Mittel gegen den Schmerz meine Zuflucht. Ich lege mich auf verschiedene Arten der Wissenschaften, ich verlasse mich aber auf keine insonderheit. Ich lese ausgesuchte Bücher, worin bald diese, bald jene Wissenschaft abgehandelt wird. Aber medizinische und mathematische Bücher lese ich niemals, weil ich sie nicht verstehe. Ehedem wandte ich allen Fleiß einzig und allein auf die Geschichte und Sittenlehre. Ferner machte ich mich mit den alten Gesetzen bekannt; hierauf folgte die Dichtkunst, und endlich erneuerte ich die ersten Bemühungen wieder und beschäftigte mich am liebsten mit den Geschichten und mit der Moral. Ich hätte es vielleicht in den Wissenschaften weiter bringen können, wenn nicht die beständige Krankheit meinen natürlichen Trieb zum Studieren so oft unterbrochen hätte. Vielleicht wäre auch mein Namen auswärts berühmter geworden, wenn ich nicht meine Schriften in dänischer Sprache abgefaßt hätte, welche so sehr eingeschränkt ist, daß man fast in Dänemark selbst schon jemand suchen muß, der dieselbe verstehet. Aber es ist mir Ehre genug, daß ich mich einigermaßen von dem Vorwurfe der Nachlässigkeit befreiet, daß ich mir allein bei meinen Landsleuten ein Andenken gestiftet, daß ich mich um meine Muttersprache wohl verdient gemacht und daß ich Ihrem Befehl, mein Herr, welcher mich zum Schreiben aufgemuntert, gehorsam gewesen. Und da das Alter mir annoch keinen Stillstand auflegt, so werden Sie mich, wenn ich noch einige Zeit lebe, allemal gleich willig und munter finden, Ihr Verlangen zu erfüllen. Denn durch das Vergnügen, welches Sie bei dem Lesen bezeugen, wird meine Begierde zu schreiben immer stärker. Meine Arbeit ist mir reichlich genug bezahlt, wenn meine Bücher nur bei Ihnen Beifall finden und wenn Sie es für der dänischen Nation rühmlich halten, daß man nunmehr nicht nötig hat, aus fremden Schriften Tugend und Anständigkeit zu lernen. Die widrigen Urteile, welche andre von meinen Arbeiten fällen, werden mich von meinem Vorhaben nicht abschrecken. Ich bin derselben bereits so gewohnt, daß ich, wie jener bei dem Euripides, sagen kann:

Si mihi nunc tristis primum illuxisset dies,
Nec tam aerumnoso navigassem salo
Esset dolendi caussa ut iniecto equulei
Freno repente tactu exagtitantur novo.
Si mihi nunc tristis ..: Wäre heute mein erster Unglückstag, wäre ich nicht auf diesem Meere der Trübsal schon weit herumgefahren, ja, dann hätte ich Grund zum Klagen, gleichwie jungen Rossen, denen man plötzlich ein Gebiß anlegt, die ungewohnte Berührung eine Qual ist. (Cicero, Tusculanen III, 67; Übersetzung aus dem Phrixus des Euripides)

Aber ich bin durch die häufigen Verleumdungen bereits ganz abgehärtet, und wenn ich nur des Beifalls eines so großen Mannes versichert bin, so werde ich nicht nur alle Urteile gerne erdulden, sondern auch solche durch andre Arbeiten aufs neue verdienen. Die Scherzgedichte aber will ich andern überlassen, deren Alter dazu bequemer ist, indem der vorige Geist und die ehemalige Lebhaftigkeit, welche dazu erfordert werden, mich bereits verlassen haben.

Ich bin ...

Kopenhagen, den 31. des Christmonats 1727


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