Heinrich Hoffmann
Der Badeort Salzloch
Heinrich Hoffmann

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VI. Der Gebrauch des Bades im Allgemeinen

Vorkur und Vorstimmung. – Vorgymnastik. – Brunnenindulgenz. – Baderegeln; Altes und Neues. – Ernährungscodex. – Der Wein. – Pelle curas et sequere curam!

Vom Himmel stieg ein Gott vergebens,
Und brächt' in goldner Schale dar,
Geschöpft am Born des ewgen Lebens,
Den Trank der Weisheit, rein und klar,
Er würde schal und schlecht erfunden
Und matt, wie abgestandner Wein;
Wir träufeln, wenn er uns soll munden,
Erst Menschentorheit noch hinein.

Wohlbeleibte Bücher sind über Diätetik und zur Erhaltung der Gesundheit geschrieben worden, die nur wenige lesen, und die noch wenigere, Gott sei Dank, befolgen. In den Badeschriften ist diese Diätetik ein stehender Artikel. Wir wollen in diesen pedantischen Ton nicht einstimmen, und die Lebens- und Tafelfreuden, wie die Homöopathen und Schulmeister, in zwei große Klassen, in Erlaubtes und Nichterlaubtes teilen, ähnlich wie am jüngsten Tag die Seelen in Schafe und Böcke, da wir der Ansicht sind, daß viele Worte hier überflüssiger sind als irgendwo sonst und wie die des Predigers in der Wüste verhallen. Lehre mir einer Mäßigkeit vor einem Dindon aux truffes und Enthaltsamkeit vis à vis einer Gänseleber-Pastete! Die unfolgsamste Gemeinde für asketische Sittenlehren ist immer die, welche sich mit dem Champagnerglase versammelt. Zeigen wir unsre eigene Vernunft zuerst darin, daß wir von andern nichts Unvernünftiges, nichts Unmögliches verlangen!

Wozu dir selbst die Kraft gebricht,
Das fordere auch von andern nicht!

Wir glauben, daß es nicht überflüssig sein wird, einige wenige Worte über eine sogenannte Vorbereitungskur niederzuschreiben. Vor hundert Jahren war es für alle Badekuren und steht in allen alten Badeschriften die unumgängliche Vorschrift, »den Leib vorhin mit bequemen Purgationen auszureinigen und wohl zu präparieren«. Von einem solchen Exorzismus ist man nun allerdings zurückgekommen, aber immerhin sollte ein denkender Mensch niemals eine wichtigere Lebenshandlung vornehmen, ohne sich in reiflicher Überlegung dafür vorbereitet zu haben. Nach den verschiedenen Badeorten muß diese Vorbereitung eine verschiedene sein. Es gibt Kurorte, wo Schmalhans Bade- und Küchenmeister ist, und wo die Entbehrung unter die therapeutischen und virtuellen Eigenschaften des Brunnens gerechnet wird; ein solcher freudenleerer, magenverkleinerter Hungerleiderplatz ist Salzloch freilich nicht. Wer nach jenen traurigen Entziehungsbädern reist, der mag sich an der Grenze noch einmal recht bene tun und an guter Wirtstafel sich noch einmal recht satt essen. Es ist dies ja doch auf 4 bis 6 Wochen Dauer seine Henkersmahlzeit, und gibts auch eine kleine Indigestion, in Himmels Namen! die große Koch- und Bittersalzsündflut spült auch diesen Fehl mit den andern älteren fort; derselbe mag als blinder Passagier nur getrost in das Bad mitfahren. Eine solche Badereise ist wie eine Wallfahrt mit Sünden und Fleischeslust hinzu, aber mit Abstinenz und Pönitenz dort und heimwärts. Davon verlangen wir nichts; wir führen unsern Kurgast horazisch medias in res.

Bei uns existiert eine andre Badepropädeutik. Der Kranke sorge, daß er Zerstreuungslust, gute Laune, Geduld und namentlich hinreichend Geld mitbringe, das übrige findet sich. Seine Garderobe muß seinen Verhältnissen angemessen sein, und, wie schon früher angeführt worden ist, dem raschen Stoffwechsel entsprechen. Die Eigentümlichkeiten unserer Temperatur verlangen die Bereitschaft von Winterkleidern selbst für die Monate der hohen Saison; daß Damen die modernen Turnjacken und Kurkostüme, Ballkleider und Tanzschuhe nicht vergessen sollten, bedarf keiner Mahnung. – Ferner mag auch der Kranke mit der Überzeugung hierher reisen, daß er im nächsten Sommer wiederkommen müsse, um seine Kur zu vollenden; dies wird ihn vor mancher Täuschung bewahren.

Ein scheinbar unbedeutendes, aber doch recht wichtiges Moment der Vorbereitung liegt in dem schauderhaften Zustande der Landstraßen um Salzloch. Auf ihnen kommt der Patient in dem alten Omnibus gehörig zerschlagen und zerschüttelt an, mürbe wie ein gut präpariertes Beefsteak oder einem gelockerten Boden vergleichbar, in dem der Samen gut gedeihen muß. Dieser Zustand der Kommunikationswege sollte eigentlich nicht geändert werden dürfen, wir sollten hier der andringenden Zivilisation einen Damm entgegensetzen. Auch dürfte im Interesse des Ortes selbst nicht außer Auge gelassen werden, daß unter solchen Umständen die Kurgäste viel länger bleiben, weil sie sich vor der Heimreise fürchten.

Kommt in dem alten Gefährt auf der holprigen Straße der Gast an,
    Scheint ihm die rettende Bucht mitten im Sturme erreicht;
Taumlig und müd, seekrank und zerbläut, sich selber bewußt kaum
    Grüßt er den ödesten Strand, danket dem Himmel und schläft.

Besondere und ausreichende Vorschriften über den innerlichen Gebrauch eines Brunnens in einer Badeschrift zu geben ist unrätlich, es befördert die medizinische Selbstpfuscherei; dafür ist der Badearzt da. Bei aller Krankenbehandlung ist die Individualisierung die Hauptsache, alle allgemeinen Vorschriften reichen nicht aus, man muß den Einzelfall in dem Individuum studieren und diesem Individuum sein Recht widerfahren lassen. Trinkt einer lieber, so lasse man ihn trinken; zieht er das Baden vor, so mag er baden; tut er lieber gar nichts, so lasse man ihn gar nichts tun. Indem man so dem Kranken seinen Willen läßt, kann man es doch immer so einrichten, als geschähe dies alles auf ärztliche Autorität hin, und beide Teile fahren gut dabei. Im allgemeinen gesagt kann die Quantität des täglich zu verbrauchenden Wassers von 1 bis 20 Bechern variieren. Es gibt unter den Patienten wahre Zisternen, die erstaunliche Mengen fassen. Immer aber ist es besser, die Kranken morgens nüchtern trinken zu lassen, da manche nachmittags nicht mehr nüchtern zu sein pflegen. – Das nochmalige Abendtrinken mehrt die Kurarbeit, und ist deshalb gelangweilten und langweiligen Badegästen dringend zu empfehlen. An manchen Brunnen ist das sogenannte Abtrinken Mode, daß heißt das Herabsteigen von der höchsten Gläserzahl allmählich zu der anfänglich geringern. Wir sehen nicht ab, wozu! Es ist nur nach Analogie des Abgewöhnens kleiner Kinder geschehen. Aber ist der Salzlocher Brunnen ein Milchbrunnen, und sind denn die Salzlocher Kurgäste Säuglinge?

Spezielle Anweisungen über die Art des Badens muß der Badearzt geben. Doch mag hier zur beruhigenden Versicherung gesagt sein, daß die Dauer des Bades sich nach den Umständen zu richten hat; hat z. B. der Kurgast etwas Besseres vor, etwa eine Landpartie, ein Rendez-vous, so kann er es abkürzen oder wohl ganz aussetzen. Schon frühere weit strengere ärztliche Generationen haben dem Willen und Widerwillen des Patienten einen weit freieren Einfluß gegönnt, so sagte z. B. die Offenauer Badeordnung vom Ende des 16. Jahrhunderts: »Man solle so lange baden, biß ihn das Bad anstincket, daß er es nicht wol mehr leyden kann.«

Jedenfalls haben wir und unsere Pastoren es weit bequemer als die alten ägyptischen Priester, die täglich 4–5 Bäder nehmen mußten. Eine Warnung, wie sie der Med. Dr. Jägerschmid in seiner »Mineralischen Wasser-Nymphe« (1711, p. 118) gibt, ist heutzutage kaum nötig: »Wiederum werden einige gefunden, welche, damit sie bald fertig mit der Badekur werden, wie die Gänse und Enten den ganzen Tag in dem Wasser liegen, und nicht anders, als wenn sie, wie s. v. Schweine müßten gebrüht werden.« – Alte Wahrheiten bleiben eben immer neu, und so wiederholen wir auch aus einer andern alten Badeschrift (Kurze und einfältige Beschreibung des Burkbernheimber Wildbads durch Tobiam Knoblochium. 1620, p. 35) das goldne Wort: »Man soll in dem Bade nicht schlafen.« Hiernach richten sich einsichtsvolle Kurgäste und verjubeln lieber ganze Nächte. Alte vernünftige Badeordnungen befehlen ausdrücklich: Man soll in dem Bad nicht essen, nicht trinken, nicht schlafen, nicht schreien, nicht singen und noch andre Dinge nicht tun. So streng aber wie es die Badeordnung vorschreibt, welche Herzog Friedrich für das Bollerbad erließ, für dasselbe Schwefelbad Boll, welches immer in besonderem Geruch der Gottseligkeit stand, und wo auch jetzt wieder Pfarrer Blumhardt die Teufel aus den Leibern kranker Weiber hinausbetet, so streng wird es heutzutage nirgends mehr gehalten; dort aber heißt es im § 4: »Welcher den Namen Gottes leichtfertiger Weise mißbrauchen und lästern, auch ohne Ursache den Teuffel nennen wird, der soll jedesmal, so offt es geschieht, einen Batzen zur Straff in die hierunten verordnete sondere Büchsen zu legen, alsobald verbunden seyn.«

Daselbst wird noch mancherlei verboten, als Spielen, Tanzen, Schmausen und Zechen und leichtsinniges Gespräch; dagegen sollen sie im Bad und bei Spaziergängen fromme Lobgesänge anstimmen. Wer aber vor großen Schmerzen nicht singen könne, solle wenigstens inwendig singen. – Das Schröpfen im Bade besorgen hier wie anderwärts meist schon die Wirte selbst. Dampfbäder werden am bequemsten im Billardsaal des Konversationshauses oder in der Bierstube des »Goldenen Engels« genommen.

Vorschriften für die Mittagsdiät sind in Badeorten in der Regel ganz überflüssig. In einzelnen Gasthöfen ist die Kost so regelmäßig schlecht, daß jede Schüssel Enthaltsamkeit predigt, und daß die Wirte wahre Patres Mathews und temperance-society-Ehrenmitglieder sind; in andern dagegen ist die Kost so lecker, daß alle Vorschriften nichts nützen. Ein großjähriger Deutscher, der sich nicht beherrschen kann, lernt es wahrhaftig auch aus einem Buche nicht, selbst aus diesem, dem unsrigem, nicht. Spezielle Vorschriften sind, wie bemerkt, überflüssig, so z. B. ist es unnötig, den Genuß von Gefrornem bei dem Gebrauch des Salzlocher Brunnens zu verbieten, da es hier gar keines gibt. Und dann bedenke man den alten Spruch: Intemperantia medicorum nutrix; ein französischer Arzt ließ an sein prächtiges Landhaus die offenherzige Inschrift schreiben:

Les concombres et les melons
M'ont fait bâtir cette maison!

In Kürze nur das Folgende! Bei dem Essen kommt sehr viel auf gehöriges Kauen an, und ein hiesiger Badegast, wie jeder nicht hiesige Mensch soll sich daran erinnern, daß alte Pferde mit abgenutzten Zähnen, mit denen sie nicht mehr kauen können, an ungenügender Ernährung zugrunde gehen, wenn ihnen ihre Speise nicht zuvor gehörig verkleinert wird. Solange der Mensch noch keinen Vogelmagen hat, muß er sein Essen kauen. Solche Fälle sind uns zwar hier noch nicht vorgekommen, aber nichtsdestoweniger ziehen wir für unsere Gäste im allgemeinen das zähe Fleisch dem zarten vor, weil die Patienten durch jenes entschiedener an diese ihre wichtige digestive Pflicht gemahnt werden.

Laß dir die Steine gründlich gut behauen,
Willst du damit ein festes Haus erbauen;
Und deine Sorgen sollst du sorglich kauen,
Willst du zum Frommen dir die Kost verdauen.
Zur Unzeit sparen, heißt sein Geld verschwenden;
Bedachter Anfang bürgt für gut vollenden.

Kirschkerne soll ein Badegast in Salzloch nicht verschlucken, selbst unser Wasser löst sie nicht auf; bei den Fischen soll er acht haben, daß ihm die Gräten nicht im Halse stecken bleiben. Im allgemeinen gilt auch für die Diät der oberste Grundsatz, sie muß individuell sein, d. h. sie richte sich nach Hunger und Durst und nach den Liebhabereien des Kranken.

Hier aber begegnen wir wiederum dem Streben verkehrter moderner Kultur, die alles in gleichmachender Bildung uniformieren und drillen und jede Individualität verwischen möchte, als ob es eine Menschheit ohne Menschen gäbe. Geht heim mit euren diätetischen Formeln! Was dem einen gut ist, wiederstrebt dem andern. Der Handlanger wird krank, wenn er den Tag über sitzen soll, und der Herr Professor würde halbtot heimgebracht, wenn er 12 Stunden lang Chausseesteine geklopft hätte; der Spanier würde zerplatzen, wenn er so viel Bier trinken müßte wie der Altbaier, und der Straubinger geht zugrunde mit der Diät des Spaniers. So ist im Gesunden wie im Kranken alles Individualität, und was jedem bekommt, weiß jeder am besten. – Und dann muß der Magen sich an etwas gewöhnen, er muß etwas lernen. Badeorte sind Turnanstalten für schwache Magen, welchen Zustand die Ärzte der alten Zeit sehr treffend als »Magenblödigkeit« bezeichneten. Nun diese kann der Junker Ventriculus hier verlieren!

Was das Trinken angeht, so zitieren wir die Worte des alten ärztlichen Brunnenschriftstellers Lölius: »Meines Orts glaube ich festiglich, daß das Getränk zu deß Leibes Erhaltung eine natürliche und nothwendige Sach sey. Dieser meiner Meinung zufolge lobe ich vor allen bei unserein Bronnen zu trinken einen guten, geschlachten, hellen, lieblichen und weisen Catholischen Wein, der sich auf seine gute Werck verlassen mag.

Denn saur Wasser und saurer Wein,
Die dörffen nit beisammen sein!«

Bedürfte es weiterer Empfehlungen des Weins von badeärztlicher Seite, so könnten wir noch viele Aussprüche anführen, wie den des Dr. Moeren: »Den Wein mit verstandt trinken, ist das höchste mittel zu einem erfrewlichen Alterthumb.« Guten feinen Wein aber kann man schon deshalb jedem Kranken gerne zu passender Gelegenheit erlauben, weil der Doktor mittrinken und dadurch dem Zuviel vorbeugen kann, nach der vielgebrauchten Wahrheit: Praesente medico nihil nocet.

Die allgemeinen Lebensregeln ergeben sich ebenfalls aus dem, was ein Kurort bietet. Sorgen sollen dem Gaste fern bleiben, er sei ein fröhlicher Müßiggänger. Er soll nicht grob sein, keinen Randal machen, vorsichtig in Anknüpfung weiblicher Bekanntschaften sein, was namentlich in Hinsicht der französischen Spielnymphen und der Loreleys des grünen Tisches zu empfehlen ist. Sonst aber vertreibe er sich die Zeit mit Kurzweil, denn wie Fricker (Wildbad, p. 301) nach alten Autoritäten anführt: »Kurzweil und Spiel eröffnet die inneren meatus und Gänge, machet die humores dünnflüssig und eröffnet die Schweißlöchlein.« – Überhaupt ist eine heitere, unbesorgte, ja wir sagen leichtsinnige Stimmung in Bädern das Wichtigste.

Schon der weise Salomon sagt im 17. Kapitel seiner Sprüche: »Ein fröhlich Herz machet das Leben lustig, aber ein betrübter Mut vertrocknet das Gebeine!« Und der lebenskluge Sirach bestätigt dies im 30. Kapitel mit den Worten: »Denn Traurigkeit tötet viel Leute und dienet doch nirgend zu.« Könnte man diese frohe Seelenstimmung zu Hause gewinnen, so wäre das Wasser und das Baden schon zu entbehren. Der Gedanke: »Nützt es nichts, so schadet es doch auch nicht!« ist der schöne Trost unserer Quelle, der mit großen Buchstaben dort eingegraben werden sollte, nebst dem Spruche:

Non curatur qui curat!

Wir aber rufen unsern Gästen zu:

Willst du genesen sein,
Schau in die Flur!
Schmerz soll gewesen sein,
Wolle es nur!
Herzeleid, Traurigkeit
Nirgendwo, weit und breit!
Fröhlicher Einklang die ganze Natur!

Wirf nur die Sorgen hin!
Hebe das Haupt!
Sieh, wie die Erde grün
Neu sich belaubt!
Jauchzender Lustgesang!
Echoruf talentlang!
So nur hat Gott dir das Leben erlaubt.


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