Heinrich Hoffmann
Der Badeort Salzloch
Heinrich Hoffmann

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II. Gegend und Lage

Georgika. – Romantik. – Eine Mineralwassersage. – Promenade. – Das Dorf. – Das Klima. – Die tanninsauren Luftbäder.

Schönheit, jedem Aug' versteckt,
Feiner Sinn hat sie entdeckt.

Das liebliche Pfarrdorf Salzloch liegt in dem nördlichen bergigten Teile der ehemals reichsfreien Fürstlich Schnackenbergischen Lande, etwa zwei Stunden von der Residenz entfernt und mit dieser selbst zwar noch durch keine Eisenbahn, aber durch eine der bekannten Schnackenbergischen Chausseen derart verbunden, daß die Stadt auf diesem Wege zu Fuß in 1½, zu Wagen in drei Stunden erreicht werden kann. Es liegt sicherlich über dem Meere; wie hoch, weiß man nicht genau anzugeben; aber darüber liegt es sicherlich. Das freundliche Tal, dessen Sohle teils Wiesen, teils Ackerland bilden, ist von dem stillen Faulbach durchrieselt. Es ist dies ein frommes und gefahrloses Wasser, welches sicherlich Wasserfälle würde bilden können, wenn Hindernisse seinem Laufe sich entgegenstemmten, und wenn der Bach mehr Wasser und mehr Gefalle hätte. Die Berge zu Seiten des Tales, fast bis zum Gipfel bebaut, tragen oben keine erschreckend finsteren Wälder, die der Kurgast nur mit dem Anflug einer Räuberangst betreten kann, sondern sie sind schmal durch einen lichten jungen Nadelholzwuchs gekrönt. Die ganze Gegend hat dadurch den halb kindlichen unfertigen Ausdruck einer Jünglingsphysiognomie mit leichtem Bartflaume, und sie atmet eine wohltuende Harmonie und Gleichförmigkeit, so daß die Seele unwillkürlich zur Ruhe, zu einer Art von Schlafbedürfnis und Schlummerlust gestimmt wird, welche für die Kur äußerst vorteilhaft wirkt und mit den Vergnügungen des Badeortes den heilsamsten Kontrast bildet. Überhaupt fragen wir bei dieser Gelegenheit, was soll man von der Landschaft für einen wirkungsreichen Badeort verlangen? Das, was man für alle Kranken verlangt: Ruhe, und dies um so entschiedener, je mehr das Leben um die Quelle selbst unruhig und geräuschvoll sich gestaltet. Eine gute Badelandschaft muß eine offizinelle Langweiligkeit bieten. Abgründe, Felsenwände, Wasserstürze und Gletscher kommen mir hier vor, als ob man am Bette eines Typhus-Kranken wollte Regimentsmusik und Trommler aufmarschieren lassen. Wiegenlieder brauchen wir, Wiegenlieder mit hundert Strophen! Und in diesem guten Sinne kann von der Gegend um Salzloch gesagt werden, Mensch und Natur gähnen sich einander heilkräftig und genesungsdurstig an.

Von sanften Hügeln blökt das sanfte Schaf,
Der Schnitter Abendlieder schallen nieder.
Dein höchstes Gut, o Mensch, der milde Schlaf,
Sinkt leis herab auf müde Augenlider.

Neben dem idyllischen Charakter der Landschaft ist nun aber doch das romantische Element vertreten durch die unweit auf einem Hügel liegende Turmruine, den sog. Zollklotz oder die Klotzenburg. Zwar unscheinbar und geringfügig an Umfang, blicken diese Reste so armselig und verlassen in die Landschaft hinein, daß den Beschauer unabwendbar das Gefühl der Wehmut und der Trostlosigkeit überschleicht. Ein dabei stehender einsamer Fichtenbaum möchte gern Schatten bieten, wenn die Sonne scheint, ein Loch in der Mauer gewährt Schutz bei Regenwetter.

Der Vorzeit Schauer
Weht um die Mauer,
Und was der Uhu schreit,
Ist Todesseufzer der Vergangenheit.

Ja, ich kenne in der ganzen Therapie nichts entschiedener Deprimierendes als einen Spaziergang nach dem Zollklotz bei anhaltendem Regen, abgesehen davon, daß das Gehen selbst schon auf den lehmigen Wegen ein Wandeln durch Kataplasmen ist. Es schwindet hier jeder Nervenerethismus schon nach den ersten fünfzig Schritten.

An diesen Turm knüpft sich eine Volkssage, die dadurch noch besonders interessant ist, daß sie eine mineralwässerliche Färbung hat. In grauer Vorzeit war die Burg, welche dort gestanden haben soll, von einem reichen und stolzen Ritter bewohnt, der eine über alle Maßen schöne und liebreizende Tochter hatte. Kein Wunder, daß sich ein junger blonder Knappe außerordentlich in sie verliebte, und auch die Maid fand an dem schönen, schwärmerischen Manne inniges Gefallen, obgleich er arm und niederer Abkunft war. Als nun aber der Vater von der Sache erfuhr, nahm er es sehr übel, wurde ganz zornwütig, warf den Liebhaber zur Türe hinaus, ja ließ die Hunde hinter ihm drein hetzen. Der Verstoßene fiel in tiefste Verzweiflung; wochenlang irrte er im Tal um die Heilquelle herum und beschloß, seinem Leben ein Ende zu machen, was er dadurch ausführte, daß er nichts zu sich nahm, als ein wenig trocken Brot und viel Mineralwasser. Natürlich schwand er bei dieser Kost zusehends dahin, und bald hauchte er am Rand der Quelle seinen Geist aus. Seine Geliebte starb bald an gebrochenem Herzen; das Geschlecht des hartherzigen Ritters aber ist erloschen und verschollen. In finsterer mitternächtlicher Stunde will man den mageren Geist des Knappen hinfällig und matt um den Turm haben wandeln sehen, einen Becher Bitterwasser in der Hand haltend und Klagelaute wimmernd. Aus der Geschichte läßt sich immerhin die Moral entnehmen, daß unsere Heilquelle gegen unglückliche Liebe nicht hilft.

Ebensowenig Aufregendes hat unsere Kurpromenade, ein in ziemlich gerader Richtung vom Konversationshause zum Mineralbrunnen sich ziehender Weg von etwa zehn Minuten Länge, dessen beide Seiten anmutig abwechselnd mit Pappeln und Trauerweiden bepflanzt sind. Er führt gleichmäßig dem Faulbach entlang; an geeigneten sonnigen Stellen finden sich einfache Ruhebänke. In dem Rondell in der Mitte soll ein plastisches Denkmal, eine Statue, aufgestellt werden, und es wäre dies schon geschehen, wüßte man: wem oder was? Die Phantasie gebesserter Kurgäste wird einstweilen diesen Mangel leicht zu ersetzen wissen. In dieser Wandelbahn ist durch anhaltende körperliche Bewegung schon so viel hypochonderische Belastung abgeworfen worden, sind schon soviel melancholische Steine von gedrückten Herzen herabgefallen, daß man von dem ganzen Wege mit mannigfacher Berechtigung sagen kann, er sei mit Trübseligkeit gepflastert. Solch ein Spaziergang ist eine wahrhafte peripatetische Gesundheitsakademie.

Im Schatten dieser Bäume wandelnd Schritt um Schritt
Ergeht die Seele sich Beruhigung; der Geist
Im Tauschgespräch mit Freunden mächtig angeregt
Gewinnt an klarer Festigkeit; die Pulse schlagen
In ebenmäßig gleicher Kraft, und regelrecht;
Entleert der Leib tagtäglich Überflüssiges.

Bei dieser Gelegenheit wollen wir auch nicht verfehlen, den Kurgästen als Spazierweg, vor dem Essen namentlich, ländliche Pfade durch Kartoffelfelder anzuraten; es liegt hier nahe, daß durch strikte Ideenassoziation sich die Vorstellungen von Koteletts und Beefsteaks in lebendigster Weise entwickeln und so den schlummernden Archeus des Magens wachkitzeln. Für die Frühmorgenpromenaden dagegen während des Brunnengenusses dürfte die diskrete Mahnung erlaubt sein, daß er bedrohlich werden kann, wenn der Wandelnde uneingedenk der beschleunigenden Kraft der Halipege sich zu weit von den stillen Zufluchtsaltären entfernt, die in dunkeln Fichtenpflanzungen hie und da passend zerstreut erbaut sind, um von unzweifelhafter Quellenwirkung überzeugende Beweise zu empfangen.

Das Dorf selbst und seine Bewohner zeichnen sich vorteilhaft durch sorgfältige Reinlichkeit aus, wofür als sprechender Beweis der Umstand geltend gemacht werden kann, daß selbst auf den Straßen gewöhnlich Wäsche getrocknet wird, und daß die Leute so wenig Schmutz und Kehricht in den Häusern und den Höfen dulden können, daß sie denselben sämtlich auf die Straßen werfen.

Diese Reinlichkeit verbunden mit der Heilsamkeit unseres Klimas äußern den entschiedensten Einfluß auf die Gesundheit und die Lebensdauer der Bewohner. Als ein Beleg hierfür wird gewöhnlich der alte Handelsjude Mendel gezeigt, der 96 Jahre alt sein soll, und den wenigstens kein jüngerer Taufschein Lügen strafen kann. Auch ist die Pest nie hier gewesen, und die ältesten Leute wissen sich nichts vom schwarzen Tod und vom englischen Schweiße zu erinnern. Wer unsre Bauern sieht, der denkt bei sich:

Ihre rotgefärbten Wangen
Gleichen Äpfeln, reif und schwer,
Und mit ihren derben Fäusten
Ist zu spaßen nimmermehr.

Es wäre ein leichtes für den Verfasser gewesen, auch seinen Badeort hermetisch gegen alle Nord- und Ostwinde zu schließen, wie dies fast alle Kollegen mit ihren Badeorten versuchen; allein er tut gerade das Gegenteil und erklärt: Boreas und Eurus blasen lustig und mutig durch das Tal und die Gasse. Er erklärt ferner dies für einen großen Vorteil und Vorzug von Salzloch; es kann stolz darauf sein, und gerade in dieser kräftigen Beschaffenheit seiner Atmosphäre liegt ein Teil seiner tonischen Heilkraft. Bäder sollen ja keine Verweichlichungsorte, sondern wahre Turnanstalten für die Gesundheit sein, und alles, was Haut und Lungen abhärtet, heißen wir mit Jubel willkommen, und somit sind auch Nordwind und Ostwind unsere therapeutischen Kollegen. Luft bleibt eben ja doch das erste Lebensbedürfnis. Wir essen 3 bis 4mal im Tag, aber wir atmen ungefähr 20 168mal in 24 Stunden, und für gute Luft sorgt der alte große Ventilateur par impulsion, der Wind, am allerbesten.

Es pfeifen die Winde gemütlich
Und fegen die Straßen aus;
Sie blasen durch Türe und Fenster
Und blasen durchs ganze Haus.
Geworden ist alles, so find ich,
Verblasen und flüchtig und windig.

Durch diese Erklärung aber und die folgende haben wir einen neuen Beweis unserer offenherzigen Ehrlichkeit abgelegt. Warum sollten wir nicht ebensogut berechtigt sein, das Klima unseres Bades auf dem Papier zu vermildern, ebensogut wie andre Badeärzte, die aus ihren Schneelöchern von Tälern den Winter ganz wegleugnen, die im Januar und Februar eine Junisonne herbeilügen und die Drillhosen gerne für Winterstoffe verkaufen möchten. Wir tun es nicht – obgleich uns, und wir wiederholen dies ausdrücklich, niemand daran hindern würde –, teils weil es nicht wahr wäre, und teils weil es gar nicht in unseren Kram paßt. Wir haben kalt, recht kalt. Das ist uns aber gerade lieb, denn dafür sind die Konversations- und Spielsäle bei uns geheizt und sehr behaglich. Wir betrachten die Kälte als ein Tonicum, sie ist das Eisen der Atmosphäre. Und somit eignet sich unser Bad ebensogut als andre zu den jetzt viel empfohlenen Winterkuren; ja wir gehen weiter und glauben, daß die meisten Kurgäste wenig oder keinen Unterschied zwischen unserem Bade und den verschiedenen belobten »Nizzas von Deutschland« verspüren werden.

Die klimatischen Verhältnisse sind überhaupt hier die dem menschlichen Organismus zusagendsten, die größte Hitze nämlich fällt in die Sommermonate, Juli und August, die stärkste Kälte haben wir im Winter. Auf heiße Nachmittage folgt im Sommer wie in den meisten Tälern abends rasche Abkühlung mit feuchten Nebeln, so daß auch hierdurch für heilsame Abhärtung gesorgt ist. An Feuchtigkeit und Niederschlägen fehlt es auch nicht, in einem früheren Sommer zählten wir auf 90 Tage etwa 30 Regentage. Die wohltätigen Abendnebel zwingen den Kurgast, sich zeitig zurückzuziehen und nicht zu lange umherzulaufen, sowie andererseits die Morgennebel ihn zu wärmerer Bekleidung nötigen. Ein nach Süden zu befindlicher großer Sumpf stärkt die Widerstandskraft des Organismus gegen Malaria. Mit einem Worte, das Klima unseres Bades ist so, daß, wer sich daran gewöhnt hat, zuversichtlich sagen kann, er könne jetzt etwas Gehöriges vertragen.

Nun verdient aber endlich noch ein ganz besonders vorteilhafter Umstand sehr der Beachtung, es ist dies die Gegenwart mehrer großer Gerbereien. Durch die weitreichenden Ausdünstungen derselben, welche jeden Ankömmling sogleich frappieren, wird ein ganz eigentümliches therapeutisches Agens geschaffen, eine Art animalischen Luftbades, eine Tiergasatmosphäre, und indem sich nun mit diesen animalischen Gärgasen die Gerbsäure verbindet, haben wir ein sehr merkwürdiges heilkräftiges Gemische erhalten, welches mildernd und tonisierend zugleich auf die Lungen und auf den ganzen Organismus wirkt, und dem wir den Namen:

Tanninsaure animalische Luftbäder

gegeben haben. Die Patienten gebrauchen sie einfach in der Weise, daß sie sich in der Nähe der Gruben der Gerbereien niederlassen oder tief atmend um dieselbe herum wandelnSpäter soll ein eigener Inhalationssaal und ein Apparat mit schönen Bernsteinmundstücken eingerichtet werden.. An das Unangenehme der Ausdünstung gewöhnt man sich bald. Über Gestank klagt überhaupt heutzutage kein gebildeter Mensch mehr, seitdem Moschus und Patschouli in der Modewelt duften. Und dann, was tut und duldet man nicht der Gesundheit wegen, zumal an salinischen Schwefelquellen?


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