Heinrich Hoffmann
Der Badeort Salzloch
Heinrich Hoffmann

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III. Das Leben in Salzloch

Alte Zeit, neue Zeit. – Die ländlichen Genüsse. – Sehenswürdigkeiten. – Das Konversationsgebäude. – Trinkhalle. – Der Wasserfall. – Wirtshäuser. – Reisegelegenheiten. – In Sachsen: 1704. – Kurpersonal. – Leben und Charakter der Gesellschaft. – Kurmusik. – Der Kanonier von Schwalbach. – Abhandlung über das Spiel.

Der Menge biet' ein buntgeartet Spiel;
Doch gib ihr reichlich, gib ihr viel.
Dann findet jeder etwas, was er mag,
Und lobt den Geber und den frohen Tag.

Wir werden in diesem Abschnitt alles dasjenige zusammenfassen, was wir dem Besuchenden über die Örtlichkeit und die Sehenswürdigkeiten von Salzloch mitzuteilen haben, wir werden uns über die geselligen Vergnügungen, über die Art des Lebens, über die Gasthäuser, über Reisegelegenheit, Vergnügungen und Erholungen des Badeorts auslassen, und dann werden wir mit einigen Andeutungen über die hohe therapeutische Bedeutung des Hasardspiels schließen.

Jedes lebende Geschlecht will sein Opfer haben, wie der tobende See im Teil, um daran seinen Mut und seinen Unmut auszulassen, oder, um uns derber auszudrücken, es bedarf eines Esels, dessen Sack es prügele. Zu einem dieser Opferesel hat man nun in den letzten Jahrzehnten die Bäder, deren Luxus und vor allem das Spiel an den Bädern auserwählt. Wie wenig die Angriffe dem Opfer geschadet, wie wenig die Prügel des Sacks bis zur Haut des Esels hindurchgedrungen sind, beweist aufs Überzeugendste die Blüte und das Gedeihen der alten bekannten, das Emporkommen neu erfundener Badeorte. Es ist ein immer noch gebrauchter, wenn auch verbrauchter Redemodus der Verderbtheit der Gegenwart, die Einfalt und Solidität der Vergangenheit der sogenannten alten guten Zeit vor das Antlitz zu halten, um sie zur Schamröte zu zwingen. Rücken wir aber dieser alten guten Zeit selbst einmal etwas näher auf den Leib, und heben wir ihr den historischen Nebelschleier von dem Haupte, so finden wir gemeinlich, daß sie gar nicht besser, oft wohl noch viel schlechter als die Enkelin, die Neuzeit, war:

Das Vergangene zu preisen und die Gegenwart zu schelten,
Muß von aller Art von Tugend stets für die bequemste gelten!

Geradeso geht es auch in bezug auf den beschrieenen Badeluxus. Das 17. Jahrhundert besaß in Schwalbach ein Luxus-Bad, wie nur heute eines existiert; Fürsten hielten dort hof, oft mit einem Gefolge von fast hundert Personen und vielen Pferden und großem Gepäckwesen. In den reichen Bürgerfamilien galt das, was jetzt dem Gatten durch Vermittelung des Herrn Hausarztes allenfalls abgeschmeichelt und abgeheuchelt werden muß, damals als Grundgesetz: Bei den wohlhabenden Bürgersfrauen in Frankfurt war es nämlich im Ende des 17. Jahrhunderts Brauch, daß sie sich ein Gewisses für den Badeaufenthalt in Schwalbach in den Ehepakten ausbedungen. Jedenfalls waren sie praktisch, die Bürgerinnen der guten alten Zeit. Daß das damalige Badeleben von dem heutigen nicht allzusehr verschieden war, geht aus der Beschreibung eines Johann Eikel hervor, der von Schwalbach im Jahr 1608 also meldet: »Da sitzen sie al under einander, Mann und Weib, in einem Zirkel herum, wie in einem Theater, und hatt ein jeder Person in Sonderheit ihr eigen Trinkgeschirr von vergülten oder unvergülten silbern Bechern, Gläsern, Krügen und andere Gefässen; sitzen, gehn und stehn und zechen des Bronnens mit Macht, ein jeder nach seiner Proportion und Gelegenheit. Darauf gehen sie dann umb die Berge herumb spazieren, hie eine Compagney und da eine, daß sie zum theil schwitzen, zum theil sich sonsten so ergehen, biß es bald essen's Zeit wird. – Da hört man allerley Discurß bei dem Bronnen. – Es sind auch hier allerley französische Gramer mit ihren Wahren und andre mehr, welche Nürnbergisch Silbergeschirr, Edelgestein und dergleichen feil haben, Kupferstücke und anderes: Summa ist fast wegen der vielerlei des Volks einem kleinen Frankfurter Meßlein zu vergleichen, ist warlich wohl sehenswerd.«

Konzerte und Bälle währten schon damals weit in die Nacht hinein; Deutsches Schauspiel und eine Oper waren dort. In Kleidung und Dienerschaft wurde der stolzeste Luxus getrieben, und was das Hasardspiel angeht, so hat es mit dem Schamrotwerden der Gegenwart gegenüber der guten alten Zeit keine besondere Eile: In Schwalbach waren mitunter 30 Spieltische vollauf umstellt, wo von wenigen Pfennigen bis zu Haufen Goldes gesetzt wurden, und gar mancher stolze Galan und manche üppige Edelfrau verloren hier den letzten Lappen vom Leibe. Hetzjagden wurden veranstaltet, Scheibenschießen gehalten, und auch eine Kurmusik war schon daselbst. Tout comme chez nous! Es wurde der Rat, den ein damaliger Poeta den Schwalbacher Kurgästen gab, so scheint es, gewissenhaft befolgt, und dieser Rat lautet:

Thue singen, spiele, tantz, sey fröhlich, frey und frisch,
Hier leget selbst der abt die würffel auf den Tisch,
Hier pfleg der Lust, und spiel, thue alle Freud genießen,
Das wird dir deine Cur allein, sonst nichts, versüßen.
Fort mit melancoley, angst, sorgen, zank und streit,
Die weilen Alles dieß hat Sein gewisse Zeit.

Das war damals Badeleben! das ist heute Badeleben! Wie die Alten gesungen, so zwitschern die Jungen, oder vielmehr sie können das Lied nur ein wenig besser.

Wenn es in unsern heutigen Bädern mitunter etwas gar toll hergeht, dann fällt uns die Fabel ein, daß auf der Insel Kos, der Geburtsstätte des Hippokrates, eine Quelle gewesen sein soll, welche die, so davon tranken oder darin badeten, zu Narren gemacht habe. Dasselbe könnte man noch von vielen modernen Brunnen- und Badeorten mit größerer Wahrheit behaupten.

Um nun von diesem Rückblick in die Vergangenheit wieder zur lebendigen Gegenwart zu gelangen, so mag vorerst hier die allgemeine Versicherung ausgesprochen werden, daß unser Salzloch zu Zerstreuungen im angegebenen Sinne zwar in bescheidenem, aber doch hinlänglichem Maße Gelegenheit bietet. Wir haben eine milde, friedlich stimmende Gegend, wechselvollen Gesellschaftswirbel, geräumige Konversationssäle und eine Spielbank.

Das Dorf Salzloch selbst hat, wie schon erwähnt, einen entschieden idyllischen Charakter, und die sanften Akkorde bukolischen Geblökes, Wieherns, Krähens, Bellens und Grunzens begleiten den darin Wandelnden und rufen in ihm den Sinn für einfache Naturfreuden wach. Für Frauen insbesondre mag das Füttern der Gänse und Enten eine angenehme Beschäftigung sein, gleichwie schon Dr. Kempfe in seiner Beschreibung von Töplitz (1706) das Schwanenfüttern im Schloßgarten »dem Frauenzimmer als einen gar anmutigen Zeitvertreib« preist. Für das männliche Geschlecht erwähnen wir das Kirchweihfest mit dem Hahnenschlag und anderen Schlägen. Die zwar unscheinbare und baufällige Kirche mahnt zu ernsteren Empfindungen, so wie neben ihr das kleine Schulhaus mit seinen Lauteübungen und chaotischen Choralversuchen, vor allem aber durch den Lärm der am Schluß der Unterrichtsstunden hervorbrausenden Dorfjugend die Erinnerung der eigenen frohen Kindheit als ein freundliches Bild vergangener Zeiten heraufzaubert. Es ist dies eine Dorfjugend:

Paradiesisch nackt und bloß,
Ohne Schmuck und Affenputz,
Und dem Adams-Erden-Kloß
Ähnlich noch in ihrem Schmutz!

Mitten im Dorfe steht das sogenannte Rathaus, dadurch kenntlich, daß sich eine Uhr ohne Zeiger an ihm befindet, eine Versinnlichung des Spruches: »Dem Glücklichen schlägt keine Stunde!«, und daß eine mit Drahtschutz versehene schwarze Tafel mit einer Verordnung von 1799 gegen das Betteln neben der einen Seite der Türe sich befindet, während auf der andern Seite gemeinlich eine alte Frau um eine Gabe anspricht. An diesem Merkzeichen ist es nicht leicht zu verkennen, zum Überfluß ist jedoch das eine Fenster des Erdgeschosses mit alten rostigen Eisenstäben vergittert, und, indem sich so der dahinter liegende Raum als Gefängnis manifestiert, mahnt er auf eindringliche Weise an die Hinfälligkeit und Unhaltbarkeit aller menschlichen Zustände, vielleicht für einen oder den andern Spieler ein dankenswerter Fingerzeig.

Mit leichtem Mut geht man vorbei;
Doch innen heißt's: erdulden!
Drum halt von schwerer Schuld dich frei
Und frei von leichten Schulden!

In der Nähe, etwa eine Stunde entfernt, liegt auch das Schnackenbergische Zuchthaus, wenn auch in wenig verlockender Gegend, doch immer in psychologischer Hinsicht interessant und eines Besuches wert, und insofern, als es durch Abschreckung heilsam wirken kann, für einen Heilort nicht ganz unpassend. Und wer weiß, wo des Lebens wirre Pfade enden? Wer nicht dahin will, kann es übrigens ja vermeiden.

Den interessantesten Punkt der Sehenswürdigkeiten von Salzloch bildet jedenfalls das Kurgebäude. Es ist neu in einem sehr schönen, aber bis jetzt noch nicht definierten Baustile gebaut, halb maurisch, gotisch, byzantinisch und Renaissance; nicht unpassend wurde er von Kunstkennern als ein ganz neuer, und zwar als Crédit-Mobilier-Stil bezeichnet. Der Eindruck ist ein sirenenartig schwindelerregender.

Sonderbarlich sieht es aus,
Fast wie ein verzaubert Haus,
Viel Geschnörkel, grad und krumm,
Unten, oben, drum herum.
Zwischen Säulen wie Gespenster,
Weiß kein Mensch, was Tür, was Fenster,
Und wer eintritt, weiß nicht recht,
Geht's ihm gut da oder schlecht.

In und um dieses Haus konzentriert sich nun das eigentliche Leben der Saison; hier treffen sich unerwartet alte Freunde; hier reizt der unbekannte Fremdling die Neugierde eingewohnterer Badegäste; hier entfalten reizende Frauen die wohlberechnete Pracht der modernen Toiletten. Nach wohlbesetzter und bequemer Mittagstafel schlürft sich hier im Schatten der Bäume behaglich der Mokkatrank gewürzt vom Dampf der Havanna; auf- und abwandelnd verplaudern Leute, die aus fernen Weltenden der Zufall hier zusammenführte, manche Viertelstunde in lehrreicher und angenehmster Weise, während es politisierenden Eremiten vergönnt ist, einsam durch die Spaltgassen mannigfacher Zeitungen zu pilgern oder sich an der Riesen-Times festzusaugen; mit einem Wort: Hier lernt sich schnell die sonst so schwere Kunst, die Zeit in geschäftigem Müßiggang hinzubringen und dem Genuß die angenehme Färbung einer pflichtgemäßen Beschäftigung, dem Vergnügen den Charakter einer angenehmen Arbeit zu geben. – Die Pracht der Spielsäle überbietet alles Dagewesene und alles Zukünftige.

An diesen Palast schließt sich die hölzerne Trinkhalle. Da dieselbe in der letzten Zeit an ihrer Bedachung etwas schadhaft geworden ist, so hat die Brunnenverwaltung die humane Sorge getragen, daß regelmäßig bei eintretendem starken Regenwetter Regenschirme und Überschuhe an der Quelle zu vermieten sind. Vor dieser Halle liegt der Mineralbrunnen in guter Fassung.

Die schon beschriebene einfache, aber stille Promenade begleitet den sanften Faulbach aufwärts etwa eine Viertelstunde weit, und dort an ihrem Ende befindet sich als beliebtes Wanderziel der Wasserfall; derselbe wird durch ähnliche Vorrichtungen wie in der Sächsischen Schweiz bei günstigem Wetter, d. h. nach oder bei Regen, gewöhnlich sonntags von 4 bis 4¼ Uhr nachmittags gegen 3 Kreuzer für die Person losgelassen, in sehr trockenen Monaten wird darauf verzichtet.

Für die Unterkunft der Fremden ist in den verschiedenen Gasthöfen und Wirtshäusern, sowie bei Privaten hinreichend Gelegenheit zu finden, und es richtet sich Art und Preis des Lebens nach den Wünschen, Bedürfnissen und Gewohnheiten. In den feineren Gasthöfen ist es etwas teuer, ein Umstand, den unser Bad mit andern Bädern ebenbürtig gemein hat. Mit dieser Teuerung in den Badeorten ist es ein eigentümlich Ding. Schon L. Lölius erzählt in der »Hygieia Weihenzellensis« (1682, p. 11) von einem Brunnen in der Oberpfalz, der, sobald er begann zu fließen, große Teuerung vorher verkündete, und dann so lange fortströmte, als diese dauerte, dagegen versiegte, wenn billige Zeiten anbrachen. Solche Wunderbrunnen sind aber fast sämtliche Badequellen, und billig wird es daselbst erst, wenn sie einmal versiegen sollten; mithin aber ist die Teuerung gar nicht die Schuld der Wirte, sondern des Wassers.

Bei dieser Gelegenheit muß auf einen Gebrauch aufmerksam gemacht werden, der aber dem unbefangen Urteilenden nicht mehr als billig erscheinen dürfte. Wenn nämlich in den Gasthäusern ersten Rangs, z. B. im »Roten Ochsen«, »Im Goldnen Rade« ein Zimmer mit Mittagstafel täglich drei Gulden kostet, so berechnet es der Wirt, wenn der Gast auswärts, etwa im Kurhaus, speist, mit vier Gulden, aus dem begreiflichen Grunde, daß der Wirt bei der kurzen Kurzeit etwas verdienen, und daß dieser Gewinn, wenn man außerhalb zur Tafel geht, dem Wirte auf hinreichende Weise ersetzt werden muß. Die Kost ist übrigens verschieden, von der feinen französischen Küche bis zur derberen Landeskost; für letzteres spricht schon der Scherz, daß der Gasthof »Zur blauen Luft« seit Jahren den Spitznamen »Zum steinernen Pudding« führt. Im allgemeinen gilt von den hiesigen Gasthöfen der Spruch, der auch anderwärts gilt:

Fordern kannst du nach Behagen.
Ob du's kriegst, wer kann es sagen?

Reisegelegenheit findet sich nach und von allen Seiten, und die bekannten Omnibus bringen die Fremden von der fünf Stunden entfernten Eisenbahn in hergebrachter Weise nach Salzloch. Eine Zweigbahn ist projektiert und wird ohne Zweifel in Kürze vollendet sein, wobei von seiten der Spielpächter die ebenso humane wie praktische Einrichtung getroffen werden soll, daß der Reisende nur die Hinfahrt zu bezahlen haben wird, während er auf der Heimreise bis zur Hauptstation umsonst spediert wird, dies alles aus dem einfachen Grunde, weil die Betreffenden in der Regel doch all ihr Geld an die Bank zu verlieren gewisse Aussicht haben.

Sollte nun aber einer oder der andere unserer Badegäste mit unseren Einrichtungen nicht zufrieden sein – und es gibt ja überall Leute, die dies nie sind –, so wollen wir diesem zum Tröste ein Stück der Darstellung mitteilen, wie sie ein Kollege (1704) gibt in seiner »Wahrhaftigen Beschreibung des Gesundbrunnen, so unweit Dölitzsch entsprungen«. Es mag dies Genrebild dem einen zur Ergötzung, dem andern zur Beruhigung dienen.

»Am allerbesten haben es die Bettler, denn die halten am längsten aus, wenn ihnen gleich auch gar nichts fehlt, als vivres; denn da setzt es accidentia vor sie. Sonsten ist nicht zu leugnen, daß zwei unanständige Dinge da sein, warum absonderlich vornehm nicht lange da bleiben und die gebührende Kur abwarten kann: 1. Incommodität oder Unbequemlichkeit; massen es wenig gute Bauernstuben gibt, darinnen Dames oder Cavallieres können ad interim zufrieden seyn; wiewohl auch hier der Trost seyn muß, daß es eben so lange nicht währen kann, man auch in der Zeit sich mit Spaziergängen in's grüne Feld, mit angenehmer Compagnie oder seinen eigenen Speculationen divertiren kann. 2. Theuer Leben; massen die Bauern so gut als die Wirthe in Leipzig, vor einer Stunde allein des Tages 8 bis 12 Gr. gefordert und auch bekommen müssen. Hat einer nur ein grob Bette zur Zudecke und ein Haupt-Küssen, muß er ordinär jegliche Nacht 1 Gr. geben, so gut als in dem besten Wirthshause. Was ist aber eine Comparaison zwischen den Leipzigischen Logie und den Bauern-Stuben, da einen die Fliegen dreimal wieder anstechen, wenn man sie zweymal weggejagt, welche so geizig sind als ihre Wirthe. Von den essenden Waaren mag nicht viel erwähnen, als mit welchen es vollends ransteigt und doch kahl aussieht. Drum gebe einem jeden die Lehre, daß er bey sich zu Hause Anstalt mache, auf 12 bis 14 oder auch mehr Tage verproviantirt zu seyn, wann er anders nicht mit größern Kosten die vivres aus Halle will holen lassen. Und bringt er nicht seine eigene Betten mit, so wird er den Flöhen, absonderlich im Julio und Augusto, zur Marterbank. Am besten kömmt das gemeine Volk aus, welches sich auff eine frische Schütte Stroh (wenn es allzeit wahr ist) hinlegt und mit einem Stücke Brod und Butter vorlieb nimmt, sich eine halbe Mandel Eyer macht, welche es doch auch so theuer bezahlen muß, als wenn sie die Bauersfrau in die Stadt traget; will es Fleisch essen, so läufft es das Eckgen nach Landsberg und kauft sich ein paar Pfund, denn in Dörffern kriegt man leichtlich keins, es müssten denn zum Frühlinge die Kälber kommen. Dieser Ort ist sonderlich zu Curen wohl auserkohren, als an welchem der Patient nicht leichtlich in Diaet pecciren kann; denn keinen Wald erblickt man hierinne, daß etwa Wildpret zu bekommen wäre, und ohne dem von dergleichen Waare keine Zuführe in die Dörffer ist, oder doch zum wenigsten, da keine gesehen wird; kein Wasser sieht man groß, daß ihm also die Fische den Magen auch nicht verschleimen können; Wein und andere delicate Bißgen werden ihm auch nicht schaden, denn das ist so ferne von dem Orte, bis ihn die Hällischen Weinhändler, Tracteurs, Confituriers was zeigen. Will er den Bauern die Hüner theuer genug bezahlen und schlecht zugericht, so steht es ihme frey. Wenn die Landsberger Becker nicht Brodt rausschafften, müssen die Patienten bei der Wasser-Kur zugleich auch eine Hunger-Kur anstellen; denn die Bauern backen Brodt für sich, und würde auch nicht zureichen.«

Wäre dies nicht ein treffliches Programm einer Korrektionsanstalt für unzufriedene Badegäste?

Der gesellige Verkehr in Salzloch steht auf der Höhe der Zeit, und die Anordnungen entsprechen allen verfeinerten Bedürfnissen. Das Publikum kommt aus den verschiedensten Weltgegenden hier zusammen, namentlich ist gesorgt, daß in jeder Saison die Britische Insel ihr Kontingent liefert, welches sich mit dem diesem Reisevolke eigenen Air bewegt und untrügliche Lords darstellt; auch finden sich immer mehr Russen, und der unentbehrliche ungarische Magnat fehlt nie. Ja, wollten wir unsere Schrift, wie andre Thermographen, zu einem Fremdenblatte machen, so würde man sehen, daß wir uns schon hoher und selbst schon allerhöchster Gegenwart zu erfreuen hatten; darüber gibt aber die wöchentlich erscheinende Salzlocher Brunnenzeitung hinlänglich Aufschluß. Nur um unsere Kurbevölkerung zu charakterisieren und um dem Schema von Ems zu folgen, geben wir von der vorigen Saison nachstehende Notiz. Es waren anwesend:

1. Fürstliche Personen aus regierenden Häusern 4
2. Fürstliche Personen aus nicht regierenden Häusern 16
3. Personen aus Gräflichen, Freiherrlichen und sonst adligen Familien, Minister, hohe Militärs und sonstige Notabilitäten 260
4. Menschen 2462

2742

Während so auf der einen Seite durch die Gesellschaft ein hocharistokratischer Duft zieht, ist doch auf der andern Seite der Ton ein so leichter und freier, daß er den bürgerlichen Bader nie unbequem berührt. Schroffe Scheidung der Stände und Lebensstellungen ist nirgends zu bemerken, und Reste der mittelalterlichen Barbarei, wo wie in Schwalbach einst die Juden nicht selbst am Brunnen schöpfen durften, sondern einen besonderen Platz inne und sich 14 Fuß von der Quelle entfernt halten mußten, wird man vergebens suchen. Wer hier seine Vergnügungen bezahlen kann, ist der vier- bis sechswöchentliche ebenbürtige Ehrenbürger des Landes.

Man fragt nicht, ob du Jud', ob Christ,
Noch wie du sonst wohl betend bist.
Ungläubig wird nur der genannt,
Der seinem Gläubiger durchgebrannt.

In den geselligen Abend-Vereinigungen im Kurhause herrscht ein leichter ungezwungener Ton, und die Fröhlichkeit der Mittagstafel dauert oft bis in die Abendstunden hinein. Es fehlt uns nicht an den Anklängen großstädtischer Vergnügungen; einzelne verirrte Virtuosen geben zuweilen Konzerte, wobei sie von dem ausgezeichneten Badeorchester möglichst unterstützt werden; klimakterische Mimen beiderlei Geschlechts arrangieren wohl mitunter eine deklamatorische Abendunterhaltung, oder ein reisender Taschenspieler erheitert durch mancherlei Scherze die Beendigung und den trocknen Dessert des Mittagessens. Die anwesende Badewelt gruppiert sich zu verschiedenen kleineren geselligen Kreisen, gemäß individueller Affinität und Assimilierbarkeit; Landpartien werden nach idyllischen Bauernhöfen veranstaltet, wo die unumgängliche Sauermilch und ein lustiges Pfänderspiel im Freien als regelmäßiges Ziel in Aussicht steht, und wo plötzlich hereinbrechender Platzregen ein Hauptvergnügen bildet. Bei ungünstigerem Wetter entschädigt das Lesezimmer des Konversations-Hauses, oder bietet die Leihbibliothek dem einen einen Roman von Feydeau, dem andern den Zauberer von Rom, wobei gewißlich der Himmel sich wieder aufhellt; in dem Musiksalon versammeln sich die Dilettanti um das Piano, wo endlose Variationen älteren Stils oder moderne Bravourstücke, wenn auch mit Hindernissen vorgetragen, die Unbilden des Himmels vergessen lassen, oder Lieder wie »Das Schiff streicht durch die Wellen« den besten Maßstab abgeben, ob der chronische Katarrh des Sängers in das Stadium der Auflösung getreten ist. Übrigens ist der Ankauf eines Flügels in Aussicht gestellt.

Man hat denen, welche sich an Badeorten aufhalten, ohne die Kur zu gebrauchen, nur der Lust und der Zerstreuung wegen, wohl mitunter den Vorwurf gemacht, sie seien Faulenzer und Tagediebe oder mitunter wohl gar noch schlimmere Diebe. Nun sind wir aber gerade ganz anderer Ansicht. Es ist ein Beweis höchster und reinster Humanität, sich an einem Orte vergnügen zu wollen, wo auf der einen Seite der Anblick menschlicher Leiden und irdischer Hinfälligkeit die aufbrausende Lust mäßigt und den Übermut herabstimmt, und wo anderseits das Schauspiel kommender und vollendeter Genesung mit Vertrauen und Dankbarkeit erfüllt. Von diesem Standpunkte aus erhält die sonst so frivol gescholtene Badegesellschaft einen leisen Anstrich religiöser Genossenschaft, ergo: Wer hier nicht krank ist, ist gut.

In der Kurzeit spielt morgens und abends die Schnackenbergische Hof-Kapelle hier, verstärkt durch musikalische Kräfte, namentlich blecherne aus den umliegenden Dörfern. Diesen Aufführungen ist zwar nachgesagt worden, daß, wenn zwei Instrumente zusammen spielten, notwendigerweise wenigstens eines immer falsch sei. Dies ist teils wohl Übertreibung, teils ein Umstand, den unser Badeort mit vielen andern teilt. Weiterhin muß ich aber die ärztliche Bemerkung einschalten, daß falsche Töne und Dissonanzen nach meiner Erfahrung eine unverkennbare therapeutische Bedeutung haben. In gewissem Grade schlechte Musik unterstützt wesentlich die Wirkung des Mineralwassers, vielleicht durch eine eigentümliche Wirkung auf den Nervus acusticus und durch mittelbare Affektion des Sympathicus des Abdomen; auch hat solche Musik etwas Sauermilchähnliches. Wenigstens ist mir ein Fall bekannt, wo ein zur Kur hier anwesender berühmter Kapellmeister nach achttägigem Gebrauch der Quelle und des Morgenkonzerts schnell abreiste mit der Bemerkung, er sei vollkommen von Salzloch kuriert! In einer sogleich weiter zu zitierenden Schrift über das Badeleben in Schwalbach heißt es schon vor mehr als 120 Jahren sehr richtig: »On prétend que cette Symphonie contribue à faire passer les eaux avec plus de facilité.« Wir charakterisieren Bademusiken der Art am besten durch die Worte:

In chaotischem Knäul verwirren sich Geigen und Flöten;
Blindlings aber hindurch wettert das schmetternde Blech.

Und für diese Musik zahlt jeder Kurgast in Salzloch die Woche einen Gulden.

Man sollte es nicht verschmähen, von seinen Vorfahren zu lernen, wo etwas wirklich Brauchbares zu lernen ist, statt daß wir uns gewöhnlich abmühen, nur die alten überlebten Vorurteile eigensinnig beizubehalten. So war z. B. in Schwalbach vor 130 Jahren eine allerliebste Einrichtung, um die Kurwelt alsbald in Kenntnis von der Ankunft neuer Gäste zu setzen, ein Verfahren, welches jedenfalls rascher wirkte als Badelisten, die meist erst dann erscheinen, wenn die Besuchenden schon längst wieder abgereist sind. Wir können uns nicht versagen, die Beschreibung, wie sie in den »Amusements des eaux de Schwalbach« (1739) steht, wörtlich hier wiederzugeben: »On ne peut manquer d'être averti lorsqu'il arrive quelque personne de considération aux bains. Car un vieux soldat invalide a construit un petit fort, qui pourroit servir aux peuples de Liliput dont parle Gulliver dans sa rélation, et il en a garni les remparts de boîtes et de petits canons, auxquels il met le feu dès qu'il apperçoit une voiture ou un cavalier sur la montagne de quelque coté qu'il arrive. Cette petite artillerie fait un bruit épouvantable au milieu de ces collines et à la faveur des échos, qui retentissent de tous cotés. Dès qu'en entend ces décharges on se met aux fenêtres, et les carosses étant entrés dans la cour, on examine les personnes, qui en sortent. Si ce sont des amis, on court au devant d'eux, et si ce sont des gens incommodes, dont la présence pourrait troubler les parties de plaisir auxquelles on se prépare, on se retire promptement dans sa chambre. Ainsi cet invalide rend de très bons Services à ceux qui prennent les bains.« – Solch ein Verfahren spricht gewiß für konsequente Durchführung des Prinzips des Knalleffekts, und der Kanonier von Schwalbach könnte noch heute an vielen Orten viel Pulver verbrauchen.

Nunmehr müssen wir in diesem Abschnitte noch einen Gegenstand besprechen, dem sich viele an unserer Stelle nur mit Scheu und Verlegenheit genähert hätten, den andre Badeärzte nur ängstlich und oberflächlich berühren, oder noch klüger gewöhnlich ganz mit Stillschweigen übergehen, wir meinen das Spiel und die Spielbank. Wir werden darüber unsere Meinung sagen, vielleicht abweichend von der aller andern, aber geradezu und ohne Scheinheiligkeit und Heuchelei.

Wenn dich dein Herz zu reden heißt,
Dann rede laut und wahr und dreist!

Wir werden den Beweis liefern, daß es in der Welt gar nicht auf die Dinge an sich ankommt, sondern allein auf den Standpunkt, von dem aus wir sie betrachten, und so viel Freiheit wird man doch dem Individuum noch zugestehen, daß es sich denselben wählen kann, wie und wo es ihm beliebt, und daß jeder Standpunkt ein gleichberechtigter ist.

Spielen heißt den Zufall herausfordern und ihm einen Teil unseres Besitzes zum Kauf anbieten; es ist dies ein freies Handelsgeschäft, wo es darauf ankommt, wer den andern übervorteilt. Was ist daran Unmoralisches? Tut der Kaufmann mit einer halbwegs gewagten Unternehmung nicht dasselbe? Der Fürst, der sein Kriegsheer hinaussendet, wettet er nicht gleichfalls auf das Glück? Wer einen Beruf ergreift, legt er nicht gleichfalls seine Existenz auf die Lebensbank? Und sind in allen diesen Fällen die Einsätze nicht unendlich größer, das Spiel nicht unendlich waghalsiger? Und selbst wenn es sich dabei sogar um fremden Besitz handelt, niemand schilt dies etwas Unmoralisches. Ob bei dem einen oder dem andern Spiel etwas mehr oder weniger von dem ist, was man Überlegung und Beherrschung nennt, was hat dies zu bedeuten bei der unendlichen Vielheit ungünstiger Zufälle und unberechenbarer Mißgeschicke, während doch bei Rouge und Noir es sich nur um eine oder die andere von zwei Farben handelt? Überhaupt ist das Bankhalten ein sicheres und mithin ein achtbares Geschäft und eine solide Geldanlage, wo freilich der Schnitt der Koupons mitunter quer durch die Kehle eines Unglücklichen fährt, und die Vorschüsse, die gemacht werden, mitten durch das Gehirn eines Verzweifelten gehen! – doch halt! – halt! – Ich falle aus der Rolle! Man wirft ein, es gehen so viele Existenzen dadurch zugrunde! Nun, im Krieg, in Spekulationen, an der Börse, in Geschäften, im Leben überhaupt ist dies auch der Fall und noch viel häufiger. Spielen ist kein Verbrechen, aber sich im Spiel ruinieren ist eine Dummheit. Kann nun der Staat die Dummheit verhindern? Diese Verpflichtung ihnen aufzulegen, wäre doch eine maßlose Zumutung für die Regierungen. Soll die Obrigkeit einschreiten, wenn einer sich im lustigen Leben ruiniert, mit Tänzerinnen sein Vermögen vergeudet, oder in tollen Liebhabereien, in Bildern, Pferden, Blumenzucht oder Jagdpartien sich wehe tut und ein armer Mann werden will? Die menschliche Gesellschaft wäre dadurch zu lebenslänglicher Unmündigkeit verurteilt. Das Verbot des Spiels ist ein Attentat auf die Grundrechte und die Urfreiheit des Menschen. Aus demselben Grunde müßte man den Weinbau verbieten, weil so viele sich zuschanden trinken; man dürfte keine Rasiermesser mehr machen dürfen, weil einzelne sich damit den Hals abschneiden; kein Seiler dürfte arbeiten, weil Stricke zum Erhängen dienen. Der Staat hat schon das Äußerste, schon mehr als zuviel getan, wenn er den eigenen Angehörigen das Spiel verbietet, eine Halbheitsmaßregel übrigens, die ohnedem in der Regel nichts taugt, da z. B. bei uns die nächste ausländische Spielbank nur drei Stunden entfernt liegt. Schon Vogler (»Über Wiesbaden«, p. 202) bemerkt mit Recht: »Da man das geheime Spiel nicht verhüten kann, so soll man auch das öffentliche nicht verbieten.« Eine ganz clairvoyante Logik! Und es wäre lächerlich einzuwerfen, daß man dann auch den Straßenraum privilegieren müßte, da man den Taschendiebstahl nicht unterdrücken kann.

Das Spiel als eine Herausforderung und ein Zweikampf mit dem Zufalle liegt, wie gesagt, in der menschlichen Natur. Es läßt sich schon aus der Beschaffenheit des menschlichen Gebisses beweisen, daß das Spiel etwas Naturgewolltes und mithin etwas Sittliches ist. Der Mensch hat Eckzähne wie die fleischfressenden Raubtiere und Mahlzähne gleich den krautfressenden Wiederkäuern, er ist Wolf und Schaf. So etwas aber kann man doch nicht zugleich sein; wir fassen also die Formel richtiger, wenn wir sagen: Es muß Wölfe und Schafe unter den Menschen geben, d. h. Croupiers und Pointeurs. – Schon die alten Germanen sollen, wenn ich nicht irre, arge Hasardspieler gewesen sein; im Mittelalter wurde wacker gewürfelt. Erinnern wir uns, daß die Römer nach der Genesung als Dankspende Geldmünzen den Quellgöttinnen in die Gesundbrunnen warfen. Wir nun tun dies vor oder während der Kur, und da es mit den Najaden ein Ende hat und man heutzutage niemandem mehr zumuten kann, sein Geld in das Wasser zu werfen, so werfen wir es den Spielpächtern, auch einer Art von Sirenen, in den Schoß. Ist dies nun nicht viel nobler und uneigennütziger?

Der Staat soll nur die Natur des Menschen sich frei entwickeln lassen und seine Bürger möglichst vor Schaden behüten. Wenn nun der Staat Spielbanken konzessioniert und überwacht, nämlich den falschen Spieler bei dem Kragen faßt, so wird er damit dem Wagnistrieb des Menschen gerecht und tut in demselben Maße seine Pflicht, wie wenn er die Prostitution überwacht oder Barrieren an Abgründen errichtet, für eine Feuerwache und Spritzen sorgt, Nachtwächter und Schutzmänner besoldet. Und von diesem höheren, wir möchten sagen, hyperhumanen Standpunkte aus erscheinen uns die s. v. Spielhöllen als sehr moralische Institute, welche man mit derselben Achtung und Ehrfurcht betreten müßte, wie andre öffentliche Wohltätigkeitsanstalten, und die Croupiers und Bankhalter sollten als Staatsdiener betrachtet und so gut als Militär und Geistlichkeit mit einem Respekt einflößenden Ornate bekleidet werden. Diejenigen, die so sehr dagegen eifern, haben gewiß einmal an der Spielbank mehr verloren, als ihnen zuträglich war, d. h. sie waren, wie oben angedeutet, dumm, und nun schimpft der Ärger aus ihnen heraus. Was uns persönlich angeht, so genüge die Versicherung, daß wir niemals im Spiele etwas gewonnen haben.

Dieser allgemeine sittliche Charakter der Spielbanken interessiert uns nun hier nicht weiter. Bedeutungsvoller für den Arzt und den Kranken ist ein andrer Standpunkt, von dem aus es sich durch die Erfahrung beweisen läßt, daß diese Institute für die Heilquellen noch eine weitere ganz spezifische Bedeutung haben, und daß sie hier von wesentlicher therapeutischer Kraft sind.

Es gibt in dem Arzneischatze eine ganze Reihe von Mitteln, die sehr energisch wirken, die auch häufig angewendet werden, ohne daß wir eigentlich wissen, welcher Art und wie stark möglicherweise diese Wirkung ist. Hierher gehören Strychnin, Morphium, Belladonna, Arsenik, Chloroform, Elektrizität, tierischer Magnetismus und viele andre, und hierher gehört auch das Hasardspiel. Alle diese Mittel verlangen große Vorsicht und ganz allmähliches systematisches Steigen in den Gaben. Schon der Anblick des Goldes auf den Spieltischen bringt eine Art von Hypnotismus, eine abulistische Konzentration und Katalepsis hervor, und es ist dieses Experiment, von dem jetzt die Franzosen so großen Lärm machen, hier längst vor Broca, Braid und Azam als eine alte Geschichte bekannt. So wie ein heftiger Schreck das Schluchzen vertreibt, wie man von gewaltsamen psychischen Eindrücken, z. B. durch ausbrechendes Feuer erzählt, daß sie monomanische Seelenstörungen heilen, so kann der Verlust an der Spielbank, als heilsame Emotion, mancherlei Nervenübel heilen. Bekannt ist, daß Angst und Furcht förderlich für die Darmsekretionen sind; wir haben also in dem Spiel ein mächtiges Hilfsmittel zur Unterstützung der abführenden Wirkung unseres Wassers. Da der Ärger die Tätigkeit der Leber zu vermehrter Gallensekretion anregt, so mag auch hierdurch im Spiel Verlust ein Heilmittel bei Unterleibsstockung und Leberleiden gefunden sein. Weiterhin ist es uns öfters zur Beobachtung gekommen, daß selbst stark und straff gefüllte Geldbörsen und Geldsäcke unter Gebrauch des Hasardspiels schnell und gründlich geschwunden sind; so läßt sich glauben, daß dieses Mittel bei Geschwülsten und Pseudoplasmen verschiedener Art mit Aussicht auf Erfolg in Anwendung gebracht werden könnte. Es vermehrt sichtlich die Auflösung und Aufsaugung. Es dürfte kein Mittel geben, um das nach Leo sog. skrophulöse Gesindel des Besitzes gründlicher zu kurieren. Wie rasch die Wirkung des Spiels gegen Verhärtung und Verknöcherung ist, sahen wir zum öfteren, indem Leute, die aus Hartherzigkeit nie einem Armen einen Kreuzer gaben, mit Gleichmut Tausende an der Spielbank verschleuderten. Endlich mögen wechselnde psychische Zustände und Erregungen des Gemüts in mannigfachen Übeln von weit größerem Nutzen sein als gleichmäßige apathische Ruhe, und dazu fehlt es wahrhaftig nicht an Gelegenheit. Die Alten fabelten von zwei Brunnen, dem einen in Phrygien, dem andern auf den glückseligen Inseln, jener mache zum Tode betrübt und bitterlich weinen; wer aber von diesem trinke, müsse sich totlachen. Wir möchten glauben, daß es Mineralquellen mit Hasardspielen gewesen sind.

Es bietet unsere Bank den Pointeurs 75% mehr Vorteil als alle andere Banken. Man spielt Roulette mit ¼ Zéro und Trente et quarante mit ¼ Refait und Pharao. An Sonntagen wird Roulette (wohl für die umwohnenden Landleute?) mit nur 1 Zéro gespielt. Hieraus geht hervor, daß die Quelle von Salzloch vollkommen das auch leistet, was Wildungen alle Tage in den Zeitungen anbietet.

Man hat den Vorwurf laut werden lassen, daß bei dem Gebrauche des Spiels leicht Störungen der Badekrisen dadurch entstehen, daß der Patient sich erschießt oder sonstwie seinem Leben ein Ende macht. Dies ist eine ganz einfältige Bemerkung, denn hier kann von keinem Gebrauch, sondern nur von einem Mißbrauch des Spiels die Rede sein, und wie viele Kranken sind nicht durch unzweckmäßige und überstarke Anwendung des Opiums, des Quecksilbers zugrunde gegangen? Hat die Wissenschaft die Verantwortung zu tragen, wenn ein Arzt sie albern befolgt? Können wir in solchen ärgerlichen und immer höchst unangenehmen Fällen nicht fragen, wie es vor mehr als 150 Jahren der ärztliche Lobredner des Brunnens zu Dölitsch getan hat: »Was kann der Brunnen davor, wenn die ältliche Frau aus Torgau, die ganz melancholisch und verzagt ist aus Sorgen der Nahrung, den andern Tag hier mitten in Teich springt und sich ersäufen will, daß der Kerle, der gleich die Schafe zur Wollschere am Rande abwäscht, durch den Sumpf tiefer rein waten und sie rauslangen muß? Was kann da der Brunnen davor?« – Und weiter liegt folgende Betrachtung nahe: Wenn einer verschwenderisch gibt, soll man dann schelten, wenn derselbe und selten nur, auch einmal nimmt? Die Quelle gibt Tausenden Gesundheit und Leben, was ist's nun, wenn einmal ein oder der andere unnütze Bursche es daselbst verliert? Und endlich, der Selbstmord ist ja eine statistische Notwendigkeit, so gut wie das Verbrechen und der Wahnsinn. Das tröstet und entschuldigt! Bei dieser Gelegenheit können wir den Vorschlag nicht unterdrücken, es möchte von Polizei wegen in Spielbädern strengstens verboten sein, sich bei dem Erschießen des Pulvers zu bedienen; die Schießbaumwolle ist weit anständiger, da sie weniger Knall und keinen Rauch und mithin weniger Skandal macht.

Bedenken wir weiter, daß viele der in Bädern Hilfe Suchenden nur dadurch krank geworden sind, daß sie zu reich und in Wohlwollen und Nichtstun versunken sind, so müssen wir die Heilkräftigkeit der Spielbanken noch höher anschlagen. Hier ist ein herrliches Mittel geboten, schnell arm zu werden, d. h. zur Einfachheit der Natur und zur Notwendigkeit der Tagesarbeit zurückzukehren. So wird uns der Spielverlust die beste Erfüllung der großen Vorschrift: Tolle causam et tolles morbum!, und der grüne Tisch wird so zur Brücke, die von der krankhaften Hyperzivilisation zur reinen sicheren Natürlichkeit zurückführt.

Fassen wir nach unseren bisherigen Erfahrungen die therapeutischen Wirkungen des Spieles in kurzer Andeutung zusammen, so findet dieses Mittel seine Indikation: bei Nervenkrankheiten, bei Abdominalplethora und Obstruktionen, bei Verhärtungen, Geschwülsten und Skrophulose und endlich als anti-hyper-zivilisatorisches Specificum. Wir können die Vereinigung der Kochsalzbäder mit dem Hasardspiel als eine eigene Kurmethode, nämlich als

psycho-salinische Kurmethode

auffassen. Ob nun und in welchen Fällen die Roulette oder das Pharao, in welchen der Gebrauch des Trente et quarante anzuwenden sei, dies muß der speziellen Beurteilung des Badearztes überlassen bleiben.

So haben wir denn einen ganz andern Standpunkt gewonnen und schließen diesen Abschnitt mit den Worten:

Rücksichtsvoll die alten Lügen
Schmuggelt ihr als Wahrheit ein;
Sich gewohnter Sitte fügen,
Heißt noch lang nicht sittlich sein!

Sollte nun der Kanonier von Schwalbach nicht alle seine Kanonen losschießen?


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