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Siebentes Kapitel. Die Rache

Die Gefahr, welche Moschele und die Güter des Generals bedroht hatte, war durch des Ersten feste Treue und Standhaftigkeit zwar glücklich abgewendet worden, aber man konnte nicht wissen, ob dies auch für immer Bestand haben würde. Irgend ein Zufall, irgend eine neue Verrätherei konnte Moschele in neue Verlegenheiten bringen, und es war dann die Frage, ob er auch zum zweiten Male so gerechte und ehrenhafte Richter finden würde, wie bei der ersten Anklage. Moschele sah ein, daß irgend ein entscheidender Schritt geschehen müsse, um allen bösen Gelüsten nach den Gütern des Generals ein Ende zu machen, und traf demzufolge nach ernster Berathung mit Tante Blumele seine Maßregeln.

Wenige Wochen nach der Freilassung Moschele's flüsterte man sich auf der Börse in's Ohr, daß es sehr schlecht um seine Verhältnisse stehen müsse. Er habe große Verluste erlitten; während seiner Monate lang dauernden, strengen Haft seien seine Geschäfte in Verwirrung gerathen, bedeutende Summen wären verloren gegangen, kurz, Moses Meyer sei genöthigt, um seinen Kredit aufrecht zu erhalten, die erst vor einiger Zeit angekauften Güter des Generals wieder zum Verkaufe auszubieten.

Wie dem auch sein mochte, so viel zeigte sich bald, daß die heimlich verbreiteten Gerüchte, wenigstens soweit sie auf die Güter Bezug hatten, nicht aus der Luft gegriffen waren. Moschele selbst bot sie unter der Hand aus, und aus seinem gedrückten, niedergeschlagenen Wesen, das er selbst auf der Börse nicht verbergen konnte, ließ sich ohne großen Scharfsinn der Schluß ziehen, daß seine Angelegenheiten allerdings nicht in der glänzendsten Blüthe stehen mochten. Man hielt ihn für einen ruinirten Mann, und Moschele machte keinen einzigen Versuch, diesem Gerüchte ernstlich entgegen zu arbeiten.

Im Gegentheil. Als nach Verlauf einiger Monate die Güter des Generals wirklich verkauft worden waren, bis auf das einzige kleine Stammgut Barnefeld, welches der General vorzugsweise geliebt hatte, machte Moschele keinen Hehl daraus, daß der ganze Ertrag der Güter kaum hingereicht habe, seine Verbindlichkeiten zu decken, und er müsse nun wieder ganz von vorn anranzen und fleißiger als je arbeiten, um seine großen Verluste allmälig wieder zu ersetzen.

Seine Handlungen bestätigten seine Worte. Er entwickelte eine Thätigkeit, welche alle Welt in Erstaunen setzte, und lebte dabei so einfach, ging so unscheinbar und ärmlich einher, als ob er kaum das liebe Brod für sich und Tante Blumele erwerben könne. Uebrigens brachte ihm dies bei der Betreibung seiner Geschäfte keinen Schaden. Nach wie vor erfüllte er pünktlich seine Verpflichtungen und nach Jahr und Tag sprach man auf der Börse von ihm wie von Einem, hinter dem wohl mehr stecken dürfe, als seine Außenseite vermuthen ließe.

»Der Mann ist mir gut für manches Tausend,« sagten die angesehensten Kaufherren der Stadt, wenn von ihm die Rede war, obgleich Moschele stets in seinem abgeschabten, grauen Röckchen und in einem alten Hute einherging, den ein Anderer nicht von der Straße aufgenommen hätte.

Mittlerweile vergingen Jahre, ohne daß der General seit der ersten Nachricht, die er von sich gegeben hatte, je wieder etwas hatte von sich hören lassen. Er war verschollen, wie auch sein Sohn Robert, und trotz vielfachen Erkundigungen, die Moschele insgeheim und ganz unter der Hand einzog, konnte er nichts weiter über sein Schicksal erfahren, als daß er in Spanien gegen die Franzosen gekämpft und wahrscheinlich in einem der vielen dort vorgefallenen Gefechte das Leben verloren habe.

Endlich machte der heldenmüthige Befreiungskampf der Herrschaft der Franzosen in Europa ein Ende und brach ihre Macht. Deutschland athmete leicht auf, und die guten, alten Rechtsverhältnisse kehrten zurück. Jetzt stand auch der Rückkehr des Generals Barnefeld kein Hinderniß mehr im Wege, und er hätte unangefochten seine Güter wieder in Besitz nehmen können, wenn sie noch in den Händen Moschele's gewesen wären.

Moschele selbst dachte viel an den General, und oft, wenn er am Abend mit Tante Blumele im kleinen Hinterstübchen des kleinen, rumpeligen Hauses im Ghetto saß und mit ihr sein einfaches Abendbrod verzehrte, so einfach, wie er es damals genoß, als er noch mit dem Packen auf dem Rücken als Hausir-Jude von einem Dorfe zum andern ging, um da oder dort ein Handelchen zu machen, oft sprach er dann mit Bangen und Zweifel von dem General, und fragte: »Ob er wohl noch lebt? Und wo er sein mag? Und daß er auch gar nichts mehr hören läßt von sich! Blumele, was meinst, ob wir ihn wohl jemals wiedersehen, den lieben, gnädigen Herrn?«

»Wiedersehen oder nicht, Moschele,« antwortete die Tante eines Abends. »Du wirst einen schweren Stand haben gegen ihn, wenn er kommt. Du vergißt, daß du seine Güter verkauft hast!«

»Konnte ich denn anders, Blumele? Zwang mich nicht die Noth? Wäre nicht am Ende Alles verloren gewesen, wenn ich hätte lange geschwankt und gezögert? Wußte ich denn nicht von dem braven Oberst Romieu, der sich als ein rechtschaffener Herr gegen mich benommen jederzeit, daß der Richard Wilberg nicht nachließ, mich zu verfolgen, und schon wieder geneigtes Gehör gefunden hatte bei mächtigen Herren, denen die Güter ein recht gefundener Schmaus wären gewesen? Ich konnte nicht anders, Blumele, und der General, wenn der gnädige Herr wiederkehren sollte, wird mir recht geben, daß ich's gethan.«

»Wer weiß?« entgegnete Tante Blumele. »Ich würde mich vorsehen in deiner Stelle, Moschele. Du kannst es machen, also würd' ich's auch thun.«

Moschele ließ sich die Worte der Tante zu Herzen gehen, wie man wohl an seinem ernsten, nachdenklichen Gesicht sehen konnte, das er den ganzen Abend beibehielt. Am andern Morgen nahm er Abschied von Blumele, und gab vor, er habe eine Geschäftsreise zu machen, von der er erst nach ein paar Tagen oder noch später zurückkehren werde. Wirklich blieb er auch volle vierzehn Tage aus. Als er aber dann wiederkehrte, glänzte sein Gesicht, und er nickte Blumele freundlich zu.

»Was ist geschehen?« fragte sie. »Dein Auge strahlt, Moschele, wie die Sonne, die aufgeht in Misrach (Osten)!«

»Was es gibt?« antwortete Moschele. »Ein Maissele (Geschichtchen) gibt's, und ein Simohes Thora (ein Freudenfest) kann folgen darauf. Pass' auf, Blumele, der General und ich werden feiern Jom Kippur (Versöhnungstag), und ich werde nicht dastehen vor ihm wie ein Posche (Abtrünniger), noch wie ein Amhoretz (ein Dummer), wenn er kommt. Käm' er nur erst! Der Tag seiner Ankunft sollte mir sein wie ein Jontef (ein Feiertag)

»Aber was hast gethan, Moschele? Sag' mir's auch frei heraus,« bat Tante Blumele.

»Erräth'st du's nicht?« entgegnete Moschele. »Ich habe befolgt die Mitzweh (das Gebot), die du mir hast gegeben, und Jehova Schem boruch hu hat mein Thun gebentscht (gesegnet), daß es mir gelungen ist über alle Erwartung.«

»Die Güter? Du hast ...?« fragte Blumele erwartungsvoll.

Moschele nickte nur, und Blumele fiel ihm um den Hals und rief: »Gott sei Dank, daß du diesen Stein mir hast genommen vom Herzen! Jetzt kann ich ruhig Krischene leinen (mein Abendgebet) verrichten, und brauche nicht mehr mit Furcht an die Zukunft zu denken.«

Und in der That war es, als ob seit jenem Abende eine Last von Blumele und Moschele genommen sei, denn sie gingen Beide immer heiter umher, und wenn sie nach des Tages Mühen vom General sprachen, so geschah es immer ohne einen Schatten von Furcht und Besorgniß, immer mit dem hoffnungsvollen Wunsche, daß er doch endlich zurückkehren möge.

Und endlich kam er dann auch! Nach zehnjähriger Abwesenheit trat er eines Tages in das kleine Hinterstübchen, hoch und stattlich wie sonst, nur daß sein vormals graues Haar und grauer Bart weiß geworden waren, wie frisch gefallener Schnee. Trotzdem erkannte ihn Moschele auf den ersten Blick, und mit einem Jubelschrei aus voller Brust stürzte er auf ihn zu, warf sich vor ihm nieder und küßte seine Hand. Blumele, ganz betäubt von der Ueberraschung, stand bleichen Angesichts, und ohne daß sie es wußte, rollten ihr die hellen Thränen über die Wangen.

»Dem hochgelobten Gott sei Dank, daß mir diese Freude noch zu Theil wird!« rief Moschele aus, indem er immer und immer wieder die Hand des Generals an seine Lippen drückte. »Sie leben, mein gnädiger, lieber Herr! Sie sind gesund! Sie sind hier! Hosianna! Ehre sei Gott in der Höhe!«

»Ja, Moschele, mein Freund, ich bin zurückgekehrt, Gott hat mein und meines Sohnes Leben geschützt,« erwiderte General Barnefeld, – aber ich komme nicht heim, wie ich ging. Ich war reich, und bin arm geworden! Eine lange Gefangenschaft hat mir Alles geraubt, und wie ich schon vernommen habe, wie ich selbst jetzt mit eigenen Augen sehe – auch du hast nichts retten können von meinen Besitzungen, als mein kleines altes Stammgut, den Stammsitz meiner Vorfahren. Nun, er wird ausreichen, mich wenigstens auf meine letzten Tage vor bitterem Mangel zu schützen!«

»Gefangen? Sie waren gefangen, gnädiger Herr?« rief Moschele. »Warum aber schrieben Sie mir nicht? Warum forderten Sie nicht von mir, was Sie verlangen konnten, die Einkünfte von Ihren Gütern?«

»O, Moschele, ich hatte schon durch einen Freund gehört, daß du die Güter hast verkaufen müssen,« sagte der General. »Ich weiß Alles. Die Verfolgung und den Betrug jenes Verräthers Wilberg, deine lange Gefängnißhaft, deine treue Standhaftigkeit, Alles weiß ich schon längst! Weiß auch, daß du dich kümmerlich behilfst, und selbst von deinem eigenen Gut nichts gerettet hast. Auch komme ich nicht, dir einen Vorwurf zu machen, o nein! Danken will ich dir, Moschele, danken für deine Treue, danken, daß du wenigstens nicht Alles im Strudel untergehen ließest, sondern mir mein kleines Stammgut bewahrtest.«

»Und wer hat Ihnen gesagt, daß ich das Uebrige verloren gehen ließ?« fragte Moschele mit offenem Blick, in welchem Rührung und Freude schimmerte.

»Die Welt sagt es mir – Jeder, den ich fragte, hatte nur die eine Antwort, daß die Güter verkauft werden mußten. Mußten, Moschele, verstehe mich wohl! Ich weiß, daß du sie nicht behalten konntest!«

»Ja, gnädiger Herr, ich konnte sie nicht behalten,« erwiderte Moschele geheimnißvoll lächelnd. »Aber Geld hätte ich Ihnen schicken können, bedeutende Summen, Herr General.«

»Du, Moschele? Aber ich sehe doch, ich höre doch, du lebst ärmlich wie früher, obgleich freilich Mancher behaupten will, daß du reicher wärst, als du merken läßt.«

»Und Sie glauben nicht, Herr General, was diese Leute behaupten?« fragte Moschele.

»Wie kann ich's glauben, da ich dich in Armuth sehe?« erwiderte Graf Barnefeld. »Nein, Moschele, ich wenigstens habe den Glauben an deine Redlichkeit niemals verloren!«

»Und Sie haben recht gethan!« rief Blumele aus, während Moschele nicht länger seine Rührung unterdrücken, nicht länger eine zugleich stolze und demüthige Thräne zurückhalten konnte. »Sie haben recht gethan, gnädiger Herr! Mein Moschele-Leben ist ein treuer und ehrlicher Mann!«

»Ich will es ihm beweisen, ich will es ihm beweisen,« murmelte Moschele mit hohler Stimme, der er umsonst Festigkeit zu geben versuchte. »Mein lieber, gnädiger Herr, Ihr Wort war Balsam auf meine Seele, und sie jauchzt auf zum Himmel. Ja, ich war treu, ja, ich war redlich, ja, ich war ein rechtschaffener Verwalter Ihres Gutes, und mit freiem Auge kann ich Ihnen in's Auge schauen. Hier, sehen Sie, Herr General, sehen Sie diese Dokumente!«

Moschele schloß mit zitternder Hand einen Schrank auf und nahm einige Aktenstücke heraus. Der General warf einen neugierigen Blick darauf und fuhr dann betroffen zurück.

»Was bedeutet das? Die Güter? Auf meinen Namen zurückgekauft? Unmöglich!« sagte er.

»Zurückgekauft auf Ihren Namen und baar bezahlt von Ihrem Gelde, Herr General!« sprach Moschele mit fester Stimme, denn allmälig kehrte seine gewöhnliche Ruhe und Festigkeit zurück. »Noch ist dies ein Geheimniß, das ich beim Rückkaufe zur Bedingung machte. Die vermeintlichen jetzigen Besitzer sind nur Ihre Pächter, – diese Dokumente beweisen es.«

Der General las und konnte an Moschele's Aussage nicht zweifeln. »Aber warum dieses Geheimniß?« stammelte er.

»Weil ich als Jude in jetziger Zeit ja nicht selber Besitzer sein durfte,« entgegnete Moschele bescheiden. »Die Gesetze dulden es nicht, und darum mußten Sie als der Eigenthümer gelten, der Sie ja auch wirklich sind.«

»Moschele, treues, edles, rechtschaffenes Herz, komm' an meine Brust!« rief der General gerührt aus. »Wahrlich, ein Freund wie du ist ein großer Schatz, und mehr werth als Gold und Edelstein! Für mich also hast du gespart, gearbeitet, gedarbt, und dir selbst die gewöhnlichen Bequemlichkeiten des Lebens entzogen! Das ist zu viel, Moschele! Man kann auch die Tugend zu weit treiben!«

»Die Ehrlichkeit nicht, Herr General,« erwiderte Moschele. »Aber wir sind noch nicht zu Ende. Wir haben die Güter, aber noch nicht die Einkünfte von vielen Jahren her.«

»Die Einkünfte? Aber du hattest die Güter doch verkauft?«

»Ja, weil ich fürchtete, sie nicht behaupten zu können, nicht, weil ich Geld nöthig hatte,« erwiderte Moschele. »Der Verkauf brachte ein großes Kapital, ich hab' es für Sie verwaltet, und Gott segnete meinen Fleiß. Dies ist die Summe, die nach dem Rückkauf der Güter und nach ihrer Bezahlung übrig blieb, und es ist Ihr Eigenthum!«

Dem General schwindelte, als er die Summe las, auf welche Moschele mit den Fingern hindeutete. Mit großen Zahlen stand sie auf einem Blatte des aufgeschlagenen Hauptbuches, das Moschele, wie vorhin die Dokumente, aus dem Schranke genommen hatte.

»Zweimalhundert vierunddreißigtausend Thaler!« sagte General Barnefeld und wich zurück wie vor einem Zauberbuche. »Unmöglich! Dies ist dein Geld, dein Eigenthum!«

»Nicht so,« entgegnete Moschele einfach. »Mir gehört davon nicht ein Heller, denn mein Vermögen und auch noch ein Theil von dem Ihrigen, Herr General, wurde durch die Folgen einer langen Verhaftung verschlungen. Mir selbst blieb nichts übrig, und von Ihrem Eigenthum war ich natürlich nur der Verwalter. Ich habe freilich gelebt mit Blumele die ganze Zeit her von Ihrem Geld, aber ich habe nicht mehr davon genommen, als ich konnte verantworten und als ich brauchte, um unser Leben zu fristen. Dies ist die einfache Wahrheit, und das Geld ist also Ihr Eigenthum!«

Einen langen, staunenden, bewunderungsvollen Blick heftete der General auf den armen, aber in seiner Armuth durch die bewährte Treue und Rechtschaffenheit doch so erhabenen Juden, und die tiefste Erschütterung malte sich in seinen Zügen. In stummer Rührung drückte er ihn an sein Herz und hielt ihn lange fest umschlungen. Dann nahm er das Buch, riß das Blatt heraus, auf welches der Rechnungsabschluß geschrieben war, legte es zusammen und steckte es in seine Tasche.

» Mir das Blatt als eine stete und liebe Erinnerung an deine Redlichkeit; dir das Geld als der rechtmäßige Lohn deines Fleißes,« sagte der General. »Meinst du, Moschele, der Christ soll weniger gewissenhaft verfahren, als der Jude ...?«

»Aber das Geld ist Ihnen! Es ist mit dem Ihrigen verdient!« rief Moschele fast ängstlich.

» Dein ist es, dein bleibt es,« entgegnete der General mit Entschiedenheit, – »und das nach strengstem Recht und Gewissen. Das Aeußerste, was ich von diesem Gelde annehmen könnte und dürfte, nachdem du mir die dir anvertrauten Güter zurückgegeben hast, wären etwa die Zinsen. Aber auch auf diese kann und darf ich keinen Anspruch erheben, insofern du bei Vertheidigung meines Eigenthums das deinige eingebüßt hast. Also kein Wort mehr darüber, mein Freund, ich bitte darum. Von ganzer Seele aber freut es mich, daß du, ohne es zu wissen und zu wollen, ein reicher Mann geworden bist nur durch deine Treue und deine Redlichkeit!«

Moschele wischte sich die Augen und machte keine Einwendungen weiter, denn er sah wohl, daß der General in seiner Entscheidung unerschütterlich war. Er dankte ihm mit einem Blicke und einem Händedrucke für seine Großmuth, und dann, zu Tante Blumele gewendet, sagte er mit einem strahlenden Lächeln: »Da haben wir's, Tante Blumele! Ehrlich währt am längsten! Hätt' ich nicht das Lotterie-Loos wollen zurückgeben, wär' ich vielleicht heute noch ein armer Schlemiehl. Hätt' ich nicht Treue gehalten und ehrlich verwaltet das anvertraute Gut, wär' ich jetzt nicht ein reicher Mann, und würde mich nicht nennen der Herr General seinen Freund. Hab' ich's doch immer gesagt, ehrlich währt am längsten in der Welt, in dieser sowohl, wie in jener! ...«

Es machte nicht wenig Aufsehen in Ghetto und in der ganzen Stadt, als die Geschichte von den Gütern und Geldern des Generals bekannt wurde, und daß sie es wurde, dafür sorgte der General und sein Sohn Robert, die treuen Freunde des redlichen Moschele, mit der größten Beflissenheit. Alle Welt staunte über die strenge Gewissenhaftigkeit und Redlichkeit des Juden, und die natürliche Folge davon war, daß Moschele sich ein unbeschränktes Vertrauen in der Handelswelt erwarb. Seine Geschäfte nahmen einen gewaltigen Aufschwung, und es dauerte nicht lange, so galt das ehemalige kleine Juden-Bocherl aus dem Ghetto für den Fürsten der goldschweren Kaufherren in seiner Vaterstadt.

Moschele genoß sein Glück mit aller Bescheidenheit seines rechtschaffenen und edlen Gemüthes, und seine liebste Erholung von seinen Geschäften bestand darin, Segen zu verbreiten in die Hütten der Vielen, die ärmer waren als er. Aber auch das Wonnegefühl der Rache an einem erbitterten Feinde und Verfolger sollte ihm noch zu Theil werden. Nachdenklich saß er eines Tages in seinem Comptoir und blickte auf ein Häuflein Wechsel hin, die vor ihm auf dem Tische lagen, als der General Barnefeld kräftigen Schrittes und heiteren Antlitzes zu ihm eintrat.

»Heda, Freund, was gibt es, daß du so ernst aussiehst? rief er ihm zu. »Sind schlechte Nachrichten eingelaufen?«

»Schlechte, ja, aber nicht für mich,« erwiderte Moschele. »Sehen Sie diese Wechsel, Herr General. Das Haus Wilberg muß sie bezahlen, und ich weiß, daß es außer Stande ist dazu. Es wankt, und in meiner Hand liegt es, es vollends zum Sturze zu bringen.«

»Ach, Moschele, da kannst du ja vollständige Rache nehmen für alle Schmach und Verfolgung, die dein alter Feind Richard an dir geübt hat. Räche dich, Moschele, räche dich!«

Moschele schüttelte sanft den Kopf. »Was würde Tante Blumele dazu sagen, wenn ich den niedergeworfenen Feind noch tiefer in den Staub treten wollte,« erwiderte er. »Sie würde sagen: ›Die Rache ist mein! spricht der Herr!‹ Ich kenne Blumele darin.«

»Sie würde noch mehr sagen,« fiel Blumele selber ein, indem sie von ihrem Stuhle aufstand und ihren Arm um Moschele's Nacken schlang. »Sie würde sagen: Vergebet Euren Feinden, denn Vergebung spenden ist süßer als Rache üben.«

Moschele wiegte von Neuem sein Haupt nachdenklich auf den Schultern, aber ehe er Antwort geben konnte, öffnete sich abermals die Thür, und Richard Wilberg selbst trat ein mit bleichem Antlitz und verstörter Miene, ein Bild des Leidens und schrecklicher Seelenangst. Er sah die Wechsel in Moschele's Hand und sank um Gnade flehend vor ihm nieder.

»Herr Meyer!« sagte er, – »wenn Sie nicht Erbarmen mit uns haben, so sind wir verloren. Der Bankerott ist unausbleiblich, und mein armer, alter Vater wird mit Jammer in die Grube fahren.«

»So weit also ist es wirklich mit Ihnen gekommen, Richard Wilberg?« erwiderte Moschele. »Ich dachte es wohl, ich dachte es wohl, denn Sie haben nicht recht gehandelt an mir, und eben in diesem Augenblicke noch war die Rede von Ihnen zwischen uns. Was kann ich aber für Sie thun? Haben Sie vergessen, wie vieles und schweres Leid, wie vielen Kummer, wie viele Sorge Sie mir zugefügt haben von Jugend auf? Können Sie glauben, daß ich, der Geschmähe, der Verhöhnte, der Verfolgte, es jemals vergessen werde, daß Sie mich geschmäht, mich gehöhnt und verfolgt? O, Richard Wilberg, Sie haben sich schwer verschuldet gegen mich!«

Der Unglückliche ächzte. »Es ist wahr, nur zu wahr!« stöhnte er verzweifelnd. »Ich hätte wissen sollen, daß ich von Ihnen keine Großmuth erwarten darf!«

Todtenblaß, die Augen niedergeschlagen und zitternd wandte er sich ab, um zu gehen.

»Moschele! Um Gottes willen!« flüsterte Blumele, während der General einen forschenden Blick auf ihn heftete.

Moschele wandte sich lächelnd ab. »Herr Richard Wilberg, noch ein Wort!« rief er dem Verzweifelnden nach. »Sagen Sie mir aufrichtig, thut es Ihnen leid, daß Sie mir so viel Böses zugefügt haben?«

Richard hob Augen und Hände zum Himmel auf. »Mein Gott, du weißt es!« rief er mit bebender Stimme und zuckender Lippe. »Sie aber, Herr Meyer, Sie würden mir doch nicht glauben. O, ich habe oft bereut und schwer gebüßt!«

Eine Thräne schimmerte in Moschele's Augen. »Und ich,« rief er aus, »ich habe Ihnen längst verziehen und vergeben! Wenn ich aber vergebe und vergesse, warum soll ich denn nicht auch Böses vergelten mit Gutem? Richard Wilberg, hier sind die Wechsel! Ihr Vater soll nicht mit Jammer in die Grube fahren, und ich will nicht schuld sein an seinem Elende!«

Zerrissen flogen die Wechsel aus Moschele's Hand. Richard warf sich dem hochherzigen Juden zu Füßen und schluchzte laut: der General ergriff seine Hand mit starkem männlichem Drucke: Blumele aber flog ihm an den Hals und küßte ihn.

»Was willst du, Blumele?« flüsterte Moschele ihr zu. »Habe ich etwa nicht ehrliche Rache genommen an meinem Feinde? Ist Vergeben nicht die schönste Rache? Macht eine solche Rache nicht das Herz reich und groß? Hab' ich's also nicht ehrlich gemeint am meisten mit mir selbst? Was willst du nun weiter. Tante Blumele-Leben? Weißt ja doch, ehrlich währt am längsten hier wie dort! Und wenn wir vergeben unseren Feinden, so thun wir uns selbst die größte Wohlthat!«


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