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Sechstes Kapitel. Der Moßerer

Die glücklich gelungene Flucht des Generals Barnefeld machte großes Aufsehen und versetzte die Gewaltsamen, welche sich an seinen Gütern zu bereichern gehofft hatten, in rachsüchtigen Zorn. Da man sich an dem General selber nicht mehr vergreifen konnte, so machte man wenigstens einen Versuch, sich der Güter zu bemächtigen, und erfuhr jetzt erst, daß sie vom General noch zu rechter Zeit verkauft worden wären. Moschele verhielt sich indeß ganz ruhig, als ob alle das Geschrei um den General ihn gar nichts anginge. Er besuchte die Güter als neuer Besitzer, traf daselbst einige nothwendige oder doch so scheinende Einrichtungen in Verbindung mit dem Rentei-Verwalter, welcher indeß nicht in das Geheimniß eingeweiht war, sondern Moschele als den wirklichen Herrn betrachtete, und reiste, nachdem diese Anordnungen getroffen waren, wieder nach Hause. Kaum war er aber hier angekommen, so trat ein französischer Offizier zu ihm ein, stellte sich selbst als den Oberst Romieu vor und zeigte eine Vollmacht, welche ihn beauftragte, Moschele über den Ankauf der vormals Barnefeld'schen Besitztümer zu vernehmen.

Moschele nahm den Offizier sehr höflich auf, verrieth nicht die mindeste Aengstlichkeit oder Verwirrung, sondern gab seine vollkommene Bereitwilligkeit zu erkennen, alle gewünschten Aufschlüsse zu ertheilen.

»Sie geben vor, die Güter des Generals angekauft zu haben,« sagte der Oberst. »Es werden Zweifel in Bezug hierauf gehegt, und ich muß Sie bitten, Ihr Besitzrecht nachzuweisen.«

»Mit Vergnügen, mein Herr Oberst,« entgegnete Moschele ruhig. »Hier ist der Kauf-Contrakt, hier die Quittung über die baar von mir bezahlten Kaufgelder, und hier die Unterschrift des Herrn Generals, die Ihnen vielleicht bekannt ist.«

Der Oberst Romieu sah bedächtig die Dokumente durch und schien jedes Wort zu prüfen. »Der Kauf ist in Ordnung,« sagte er dann, »die Dokumente sind richtig, und dennoch ... Ich muß Sie bitten, sich über den Erwerb der bedeutenden Summen auszuweisen, die Sie für die Güter bezahlt haben. Man hat Sie nicht für so reich gehalten, daß Sie aus eigenen Mitteln einen solchen Ankauf bewerkstelligen könnten.«

Moschele zuckte die Achseln. »Man hält den Einen für reich, den Andern für arm, und täuscht sich häufig über Beide,« erwiderte er. »Wer kann einem Geschäftsmanns nachrechnen, wie viel er Geld verdient im Jahre. Der wäre ein schlechter Banquier, der aller Welt Einsicht in seine Bilanz verstattete. Sie sehen die Kauf-Contrakte, Sie sehen die Quittung, was verlangen Sie mehr?«

»Aber könnte hinter all' diesem nicht ein Betrug verborgen liegen?« fragte der Oberst.

»Ein Betrug? Wer sollte hier betrügen?« fragte Moschele zurück. »Ich verstehe Sie nicht, Herr Oberst.«

»Unterschriften können nachgemacht, Dokumente verfälscht werden,« sagte der Oberst kurz und scharf.

»Ganz recht,« antwortete Moschele. »Aber wer hindert Sie, Nachfragen anzustellen? Die Beamten des Herrn Generals befinden sich noch auf den Gütern, da ich keine Veranlassung habe, sie zu entfernen. Erkundigen Sie sich bei ihnen, ob der Herr General die Güter verkauft hat und an wen. Man wird Ihnen ohne Zweifel die Wahrheit sagen.«

»Können jene Leute nicht ebenfalls Betrüger sein?« versetzte der Oberst.

»Auch sie Betrüger? Aber wer ist hier Betrüger?« antwortete Moschele. »Sie sehen ja doch, daß Alles in Ordnung ist!«

»Aber hat man nicht schon von Scheinkäufen gehört, mein Herr?« sagte der Oberst mit einem durchdringenden Blicke.

»Scheinkauf?« entgegnete Moschele unbefangen. »Verstehen Sie darunter, daß ich nur scheinbar der Besitzer der Güter sei, und die Kaufsumme dafür nicht bezahlt hätte?«

»Gerade das!«

Moschele lächelte. »Mein Herr Oberst,« sagte er, »Sie machen mir ein großes Kompliment! Gottes Wunder, sollte der Christ einem Juden so hohes Vertrauen schenken können? Sollte der Herr General nicht einen Anderen, als einen Juden, haben finden können, wenn es sich um so bedeutende Werthe handelt? Gerade einen Juden sollte er sich ausgesucht haben? Einen Juden, Herr Oberst? Einen Juden? Hat ein Jude Ehre? Hat er ein Gewissen, wenn sich's darum handelt, Geld zu verdienen, viel Geld? Wenn er's nur zu nehmen, nur zuzugreifen braucht, um dann auf- und davon zu gehen? Wer will ihn finden? Wer ihn zwingen, die Beute herauszugeben? Glauben Sie im Ernst, daß der Herr General so thöricht handeln könnte?«

»Aber man rühmt Ihre Redlichkeit, mein Herr.«

»Danke, danke sehr für die gute Meinung,« erwiderte Moschele. »Ja, ja, man ist ehrlich, wenn sich's um Hunderte handelt, man ist ehrlich, wenn es Tausende gilt, aber – Hunderttausende, Herr Oberst? Ja, ich kann sagen, ich bin ein ehrlicher Jud', und habe nie einen Menschen betrogen um einen Kreuzer, aber ich kann nicht sagen, ob ich würde ehrlich bleiben, wenn ich könnte nehmen mit Einem Griff und ohne Gefahr Hunderttausende. Geld ist Geld, Herr Oberst! Aber gleichviel! Ich danke Ihnen für Ihre gute Meinung, und wenn ich Ihnen kann jemals dienen oder gefällig sein, so zählen Sie auf meine Bereitwilligkeit.«

»Hm, es wäre allerdings lächerlich, etwas der Art zu glauben,« murmelte der Oberst vor sich hin. Dann griff er noch einmal zu den Dokumenten, prüfte sie noch einmal mit der genauesten Aufmerksamkeit und schob sie dann mit der Hand von sich. »Man hat zu lange gezögert und den Vogel entwischen lassen, den man schon in der Hand zu haben glaubte,« indem er mehr zu sich selber, als zu Moschele zu sprechen schien. »Wie dem aber auch sei, Ihnen kann man nichts thun, die Kaufbriefe sind in der Ordnung. Adieu, mein Herr! Ich glaube, Sie können ruhig sein.«

»Warum sollte ich's nicht sein, Herr Oberst, da ich doch ein gutes Gewissen habe?« entgegnete Moschele, und begleitete den Offizier höflich bis an die Thür, wo er noch eine letzte, tiefe, lächelnde Verbeugung machte. Dennoch war sein ehrliches Gesicht wieder ernst und sorgenvoll, als er in das Comptoir zurückkehrte.

»Man darf keine Vorsicht verabsäumen,« murmelte er. »Wie soll ich nachweisen, woher ich meinen Reichthum habe, wenn sie ernstlicher und genauer bei mir nachforschen. Zwar scheint jetzt Alles in Ordnung zu sein, aber der Argwohn schlummert vielleicht nur und kann leicht wieder aufwachen.«

Lange und genau überdachte Moschele die Mittel und Wege, jeder Entdeckung vorzubeugen, und auch Tante Blumele mußte ihren Rath dazu geben. Dann arbeitete er Tag und Nacht mit Blumele hinter verschlossenen Thüren, bis er endlich Alles nach seinen Wünschen mit der äußersten Sorgfalt geordnet hatte, und nun erst, nach wochenlangen Anstrengungen, verschwanden die Furchen wieder von seiner durch Nachtwachen und Sorgen gebleichten Stirn.

»Das wäre geschehen, Tante Blumele,« sagte er, indem er sich mit frohem Lächeln die Hände rieb. »Du bist eingeweiht in Alles, und wenn, was Gott verhüten wolle, ein Unglück käme, kann ich mich wenigstens auf dich verlassen.«

»Was kann geschehen?« erwiderte Blumele mit sanfter Trostesstimme. »Du machst dir Sorgen um nichts. Wo Niemand etwas weiß, kann auch Niemand den Moßerer (Verräther) spielen.«

»Besser bewahrt, wie beklagt,« antwortete Moschele. »Es ist eine große Verantwortlichkeit, die ich auf mich genommen habe, und ich will sie bestehen als ein redlicher Mann. Aber horch, es klopft, Blumele! Schließ' auf die Thür, jetzt darf ein Jeder wieder herein.«

Blumele öffnete und machte ein verwundertes Gesicht, als sie den jungen Herrn Richard Wilberg vor der Thüre stehen sah. Auch Moschele sprang fast erschrocken vom Stuhle auf, und eine böse Ahnung schien plötzlich wie eine dunkle Wolke seine Seele zu beschatten.

»Herr Wilberg!« sagte er. »Wie komm' ich zu dieser Ehre? In früheren Zeiten ...«

»Still, still von den alten Zeiten, mein Freund,« unterbrach ihn Richard schnell, indem er mit seiner freundlichsten Miene auf Moschele zuging. »Vergessen wir die früheren kindischen Geschichten, die ja von meiner Seite niemals böse gemeint waren, und wenn es Ihnen gefällig wäre, Herr Meyer – ich hätte ein paar Worte unter vier Augen mit Ihnen zu reden.«

»Ich bin sehr begierig,« erwiderte Moschele, indem er Tante Blumele einen Wink gab, welche im Nebenzimmer verschwand. »Setzen Sie sich, Herr Wilberg, und nun, lassen Sie doch hören, was Sie mir Wichtiges mitzutheilen haben.«

Richard Wilberg nahm eine ernste Miene an, rückte dicht an Moschele's Seite, und sprach leise, als ob er fürchtete, von irgend Jemanden gehört zu werden: »Mein lieber Herr Meyer, ich habe Nachricht vom General Barnefeld! Sie wissen, daß sein Sohn Robert und ich allezeit gute Freunde und Kameraden gewesen sind?«

Moschele konnte kaum einen Ausruf der Ueberraschung zurückhalten, und es kostete ihn Mühe, seine innere Bewegung vor dem forschend auf ihn gehefteten Auge Richards zu verbergen. Gleichwohl beherrschte er sich so weit, wenigstens im Aeußeren eine gewisse Gleichgültigkeit zu behaupten, und nach einer Pause hurtiger Ueberlegung fragte er kalt: »Nachricht vom General! Das freut mich. Wie geht es ihm? Hat er selbst an Sie geschrieben?«

»Nein, nicht er, Robert,« entgegnete Wilberg.

»So, so! Das wäre!« fuhr Moschele fort. »Aber was hab' ich eigentlich mit dem Brief zu schaffen, lieber Herr?«

»Sehr viel, Herr Meyer, mehr als Sie denken, denn es befindet sich eine Stelle darin, die Bezug hat ...«

»Bezug? Auf was?« rief Moschele ungeduldig.

»Hm! Auf die Güter des Generals, die er Ihnen zur Verwaltung übergeben hat!«

»Zur Verwaltung übergeben?« fuhr Moschele heraus. »Was wissen Sie davon?«

»Von Robert weiß ich es,« erwiderte Richard. »Er erzählte mir, daß sein Vater beabsichtige, Ihnen die Güter anzuvertrauen, und obgleich ich mir alle mögliche Mühe gab, ihn gegen diesen Plan einzunehmen, meinte Robert doch, sein Vater werde in diesem Punkte unerschütterlich bleiben. Er kannte ihn besser als ich, denn der Erfolg hat gezeigt, daß er ihn richtig beurtheilte.«

Eine Wolke über die andere, eine immer schwerer als die andere, lagerte auf Moschele's Stirn, und sein Auge blickte finster, während er in ein düsteres Grübeln über die so unerwarteten und unwillkommenen Mittheilungen Wilbergs versank. Plötzlich raffte er sich wieder zusammen.

»Gestatten Sie mir eine Frage. Herr Wilberg,« sagte er. »Was hatten Sie für Gründe, Robert gegen die Pläne seines Vaters zu stimmen?«

»Ich will es Ihnen offen eingestehen, Herr Meyer,« antwortete Richard. »Aber Sie dürfen mir nicht böse werden. Versprechen Sie mir das.«

»Ich verspreche es.«

»Nun denn, der Grund war, daß ich hoffte, der General werde uns, meinem Vater und mir, die Güter überlassen, wenn es uns gelänge, ihn gegen Sie einzunehmen,« – sagte Richard mit freimüthigem, offenherzigem Wesen. »Es war allerdings unrecht von uns, in dieser Weise hinter Ihrem Rücken zu verfahren, aber da uns die Sache einmal bekannt geworden war, und da am Ende jeder Kaufmann seinen Vortheil sucht, wo er ihn zu finden glaubt, so ...«

»Ja, ja, ich verstehe,« sprach Moschele bitter. »Sie glaubten den Juden leicht aus dem Sattel heben zu können. Aber der Herr General ...?«

»Ei, der General war hartnäckig! Obgleich wir ihm ansehnliche Vortheile boten, wollte er doch auf nichts eingehen, sondern erwiderte seinem Sohne kurz und bündig, daß es ihm nicht um irgend einen Vortheil zu thun sei, sondern um einen braven Mann, dem er volles, rückhaltloses Vertrauen schenken könne, und als einen solchen Mann habe er Sie kennen gelernt.«

»Ha! Ja, das sieht ihm ähnlich,« sagte Moschele. »Nur wundert es mich, daß er mir keine Sylbe von dieser ganzen Geschichte mitgetheilt hat. Darf ich den Brief Roberts wohl sehen, Herr Wilberg?«

»Ohne Zweifel! Ich dringe sogar darauf, daß Sie ihn lesen, denn er ist ja die Veranlassung meines Besuches bei Ihnen.«

Mit diesen Worten zog Richard ein Schreiben aus der Tasche und reichte es Moschele hin. Moschele betrachtete es mit einem scharfen, mißtrauischen Blicke. Es trug den Poststempel »London« und war mit des Generals Wappen gesiegelt.

»Lesen Sie, lesen Sie, Herr Meyer,« drängte Richard. »Der Brief enthält einen Punkt, über den wir weiter reden müssen.«

Moschele las. Der Brief beschränkte sich auf einige unwesentliche Geschäftssachen und berührte nur ganz am Schlusse das Verhältniß Moschele's in Bezug auf die Güter des Generals. Es waren nur wenige Worte, sie lauteten: »Mein Vater hat nichts dagegen, daß mit den Einkünften der Güter irgendwelche vortheilhafte Spekulationen gemacht werden, nur darf es nicht ohne die Zustimmung seines Geschäftsträgers Moses Meyer geschehen, welcher, wie Sie wissen, sein ganzes Vertrauen besitzt. Suchen Sie sich also mit Herrn Meyer hierüber zu verständigen. Ein Weiteres kann ich in der Sache nicht thun.«

»Nun, Herr Meyer?« fragte Richard, als Moschele, den er fortwährend mit lauerndem Auge betrachtet hatte, bleich und sichtbar erschüttert den Brief sinken ließ. »Was nun? Was sagen Sie dazu? Wir können ein schönes Geschäft mit einander machen, und ich biete Ihnen mit Vergnügen die Hand dazu.«

Moschele saß in bittere Gedanken verloren da. Es kränkte und schmerzte ihn, daß der General noch einem Dritten, und zwar gerade diesem Richard, seinem alten Feinde und Verfolger, das wichtige Geheimniß mitgetheilt hatte, und er konnte sich kaum überzeugen, daß es auch Wahrheit sei, was Richard gegen ihn vorbrachte. Aber der Brief Roberts! Des Grafen Siegel! Das Postzeichen »London!« Alles stimmte. Und wie hätte Richard überhaupt von der Güterabtretung wissen können, wenn er nicht vom General selber oder seinem Sohne unterrichtet gewesen wäre? Trotzdem, und obgleich er kaum noch einen Zweifel hegen konnte, beschloß er noch nicht allzu rasch, sondern nur mit großer Vorsicht zu Werke zu gehen.

»Ich verstehe den Brief nicht,« sagte er kalt, »und am allerwenigsten, was der junge Herr von Barnefeld über die Güter schreibt. Diese hab' ich gekauft, und also auch allein über die Einkünfte derselben zu bestimmen. Wie ich sie anlege, ob ich sie sammle oder damit spekulire, das kümmert doch Niemand weiter, als mich allein.«

»Ganz recht, Herr Meyer,« entgegnete Richard geschmeidig, »ganz recht. Aber die Güter sind doch immerhin des Generals Eigenthum, und so erfordert es doch Ihre Pflicht, den Ertrag derselben so vortheilhaft wie möglich anzulegen.«

»Meine Pflicht werde ich in keiner Beziehung versäumen,« antwortete Moschele zurückhaltend. »Wessen Eigenthum die Güter find, muß ich am besten wissen, und, gerade heraus, Herr Wilberg, ohne speziellen Auftrag des Generals thu' ich nichts, gar nichts.«

»Aber Sie haben doch die Vollmacht!«

»Vollmacht oder nicht, ich brauche keine Vollmacht,« entgegnete Moschele. »Die Güter sind mein und damit basta!«

»Werden Sie nicht hitzig, Herr Meyer,« nahm Richard mit schmeichelndem Wesen wieder das Wort. »Hören Sie mich ruhig an. Sie sehen doch, daß ich genau unterrichtet bin. Sie haben doch Roberts eigenhändig geschriebene Worte gelesen, also lassen Sie uns vernünftig mit einander reden. Ich will Ihnen die annehmbarsten Vorschläge machen. Geben Sie Ihr Geschäft auf und treten Sie als Kompagnon in das unsrige. Die Firma heißt dann Wilberg und Meyer, und wird eine der respektabelsten auf der Börse sein. Unser Haus ist groß, unser Name geehrt und geachtet, wie kein anderer mehr, die Verbindung mit ihm macht Ihr Glück für immer, und man wird sich tiefer vor Ihnen bücken, als es jemals geschehen ist, wenn Sie mit meinem Vater auf die Börse kommen. Nun, Herr Meyer, was sagen Sie dazu?«

Moschele staunte, als ob er aus den Wolken gefallen sei. Ein solcher Vorschlag von seinem alten Feinde? Das mußte einen besonderen Grund haben. Sollten die Güter des Generals Barnefeld vielleicht gar dazu dienen, den wankenden Kredit des Hauses Wilberg zu stützen? Das Anerbieten schien in der That zu glänzend, um nicht Mißtrauen zu erwecken. Moschele zögerte, eine Antwort zu geben.

»Wie? Sie besinnen sich?« fuhr Richard nach einem Weilchen mit vor Aerger, Angst oder Zorn gerötheter Stirne fort.

»Ja,« erwiderte Moschele, »der Jude besinnt sich, ob er mit dem Christen Hand in Hand gehen kann. Lassen Sie mir Zeit zur Ueberlegung, junger Herr!«

»Aber da ist nichts zu überlegen,« drängte Richard. »Sie beleidigen uns, Herr Meyer, wenn Sie unseren Vorschlag zurückweisen. Jeder Andere würde mit beiden Händen zugegriffen haben!«

Das Drängen und Eifern Richards verdoppelte Moschele's Mißtrauen, anstatt es zu beseitigen. »Alles schön, Herr Wilberg,« sagte er immer kälter. »Aber ich danke für die Ehre, und will bleiben, was ich gewesen bin, Moses Meyer bis an mein Ende. Gott verhüte, daß ich Sie beleidigen sollte, Herr Wilberg, aber die Compagnieschaft kann ich nicht eingehen.«

»Ist das Ihr letztes Wort?« fragte Richard mit mühsam verhehltem Verdrusse.

»Mein letztes!« erwiderte Moschele entschieden.

»Besinnen Sie sich wohl, Herr,« fuhr Richard drohend fort. »Ich warne Sie! Bis jetzt kennt Niemand das Geheimniß von den Gütern des Generals, als Sie und ich. Werden Sie unser Compagnon, so bleibt es Geheimniß, und wird Ihnen wie uns namhafte Vortheile bringen. Wo nicht, so ...«

»Nun? Reden Sie weiter, Herr Wilberg!«

»So mache ich heute noch an dem geeigneten Orte die Anzeige, wie es um Ihren Güterkauf eigentlich bestellt ist,« drohte Richard finsteren Blickes. »Jetzt wählen Sie! Zum letzten Male: Frieden, Freundschaft und Geheimniß, oder Krieg und rücksichtslose Enthüllung des Scheinkaufes! Bedenken Sie wohl, daß ich Alles weiß, daß ich Roberts Brief als Beweis habe, und daß Sie der schwersten Ahndung nicht entrinnen werden, wenn man erfährt, daß Sie einem Hochverräther, wie dem General, Beistand geleistet haben.«

Moschele warf einen Blick voller Verachtung auf Richard. »Gehen Sie und thun Sie Ihr Aeußerstes,« erwiderte er. »Ihre Drohungen schrecken mich so wenig, als Ihre Verlockungen mich reizen. Die Güter des Generals sind mein Eigenthum, und Ihr angeblich von Robert geschriebener Brief ist eine Lüge, Sie irrten, wenn Sie glaubten, mich so leicht täuschen zu können. Wir haben nichts mit einander zu schaffen.«

»Wohl denn, Sie werden es bereuen, mich so schnöde abgewiesen zu haben,« knirschte Richard mit einem Wuthblick auf Moschele und verließ das Comptoir. Kaum war er fort, so erschien Blumele mit einem Briefe, welchen sie mittlerweile in Empfang genommen hatte. Moschele stieß einen Freudenruf aus. Der Brief war vom General. Er enthielt nur die Nachricht, daß der General im Begriffe sei, nach Spanien abzugehen, um dort Kriegsdienste zu nehmen, und am Schluß die Bemerkung, geduldig seine Rückkehr abzuwarten, und das bewußte Geheimniß streng zu bewahren. »Niemand,« so lauteten die letzten Worte, »Niemand außer uns Beiden kennt es, nicht einmal mein Sohn, der es nur im Fall meines Todes erfahren wird.«

»Dacht' ich's doch, als Richard so eifrig in mich drang!« rief Moschele aus. »Er ist ein Betrüger und suchte mich zu hintergehen.«

»Wer, Moschele? Wer ist ein Betrüger?« fragte die Tante.

»Richard Wilberg, mein schlimmer Feind von Jugend auf,« erwiderte Moschele und erzählte der Tante die Unterredung, die er mit ihm gehabt hatte. Blumele erschrak.

»Das ist eine schlimme Sache,« sagte sie ganz bleich und zitternd. »Wenn er ein Moßerer (Denunciant) ist, so wird man ihm glauben, weil du nicht beweisen kannst, Moschele, daß der Brief untergeschoben und falsch ist. Wir leben in Goles (Bedrückung), mehr als je, und Keiner, am wenigsten ein Jud', ist sicher vor dem Arme der Gewaltigen. Moschele, was willst du thun?«

»Treu bleiben meinem Worte, was auch geschehen möge,« erwiderte er fest. »Mögen sie kommen und suchen, finden werden sie nichts, was mich verdächtig machen und einen Mackel auf mich bringen könnte.«

»Aber wenn sie dich gefangen setzen und werfen dich in den Kerker, Moschele?« rief Tante Blumele zitternd vor Angst.

»So wird der Schem boruch hu – der, dessen Namen gelobt sei – mich aufrichten in meinem Unglück,« versetzte Moschele. »Ein Zaddick (ein frommer Mensch) kann nicht verloren gehen wie ein Posche (Abtrünniger), und ich will lieber geworfen werden mit reinem Gewissen in das Gefängniß, als leben in Gan Eden (Paradies) mit bösem Gewissen. Ich will lieber sterben, als ein Verräther werden am vertrauenden Freunde.«

»Aber ich weiß doch, daß der gnädige Herr General dir Vollmacht gegeben hat, die Wahrheit zu bekennen, wenn du gedrängt wirst zum Aeußersten!« sagte Blumele.

»Was ist das Aeußerste?« entgegnete Moschele ernst. »Recht thun und nach bestem Gewissen handeln! Das ist's. Lieber will ich jeden Pfennig opfern von meinem Geld, als einen Kreuzer veruntreuen von fremdem Gut. Und jetzt sei ruhig, Tante Blumele. Geh' zu Krischene leinen (das Abendgebet zu verrichten) und bitte den hochgelobten Gott, daß er das Thun der Verräther zu Schanden mache. Wir haben keine Vorsicht versäumt, sondern rechtschaffen gethan, was an uns war, und das Uebrige walte Gott.«

In solcher Weise suchte Moschele die Tante und sich selbst zu beruhigen; aber so recht wollte es ihm nicht gelingen, alle Sorgen und Befürchtungen aus der Seele zu verscheuchen. Allzu gut wußte er, daß der Mißbrauch der Gewalt nur eines scheinbaren Vorwandes bedarf, um eigenmächtig das Recht zu vernichten, und nicht ohne Bangen sah er der nächsten Zukunft entgegen. Dennoch war er gefaßt und ruhig, als das gefürchtete Unglück endlich nach einigen Tagen wirklich eintraf. Mitten in der Nacht wurde er plötzlich aus seinem Hause abgeholt und in das Gefängniß abgeführt. Seine Papiere, seine Handelsbücher, Alles wurde in Beschlag genommen, und der jammernden Tante nichts gelassen, als ihr alter Rumpelkram, mit dem sie nun, wie in früherer Zeit, wieder Handel treiben mochte, um ihr thränenreiches und trauriges Leben zu fristen.

Moschele hatte einen schweren Stand vor dem Kriegsgerichte der Franzosen. Man drang in ihn, die Wahrheit zu sagen, und bedrohte ihn mit den schwersten Strafen, selbst mit dem Tode, wenn er nicht ein rückhaltloses Bekenntniß ablegen würde. Aber weder die Furcht vor Strafe, noch vor dem Tode schüchterte ihn ein. Standhaft blieb er dabei, daß die Güter sein wirkliches Eigenthum wären, und nicht einen Augenblick wankte er in der Treue, die er mit Wort und Handschlag dem General zugesagt hatte. Als man sah, daß ihm durch Furcht nichts abzugewinnen sei, versuchte man es mit Versprechungen. Man bot ihm die Hälfte der ganzen Güter an, wenn er eingestehen würde, daß sie noch das Eigenthum des flüchtig gewordenen Generals seien, – aber auch dieser Versuch einer Bestechung entlockte Moschele nur ein verächtliches Lächeln. Endlich, nachdem er schon Monate lang im Kerker geschmachtet hatte, wurde ihm eines Tages vor dem versammelten Kriegsgerichte kurz und bündig angekündigt, daß er am nächsten Tage erschossen und sein wirkliches oder vermeintliches Eigenthum in Beschlag genommen werden würde. Moschele erbleichte bei dem harten Spruche, aber doch blieb er standhaft.

»Nehmt mein Leben, nehmt Alles,« sagte er, »mein gutes Gewissen könnt Ihr mir doch nicht rauben. Ehrlich währt am längsten, das ist mein letztes Wort! Und Gott verzeihe Ihnen, meine Herren, daß Sie einen Unschuldigen morden wollen.«

Schon näherten sich die Kerkerknechte, um ihn zum letzten Male in's Gefängniß zu führen, das er nur wieder verlassen sollte, um zum Tode zu gehen, und Moschele glaubte nun keine Hoffnung mehr hegen zu dürfen, als mit einem Male einer von den Richtern von seinem Platze aufstand und den Schergen zurückwinkte.

»Es ist genug!« sagte er. »Diese Grausamkeit darf nicht weiter getrieben werden. Niemand vermag dem Angeklagten ein Verbrechen nachzuweisen, Niemand ihn irgend einer schlechten Handlung zu überführen. Ich halte ihn für unschuldig, und selbst wenn er schuldig wäre, so verdiente seine Treue gegen einen vertrauenden Freund keine Strafe, sondern eher Lob. Wer von uns möchte nicht wünschen, einen solchen Freund zu besitzen? Ich trage auf die sofortige Freisprechung des Angeklagten an!«

Moschele, der arme, hoffnungslose Moschele, glaubte eine Stimme vom Himmel zu hören. Er zweifelte, er staunte, er schaute hoch auf, und seine ganze Gestalt zitterte vor Erwartung. Hatte man wirklich nur eine Komödie mit ihm gespielt und ihn zum Tode verurtheilt, damit der Schrecken ihm ein Geständnis entreißen sollte? In der That, es hatte ganz den Anschein davon. Die Richter erhoben sich, wie der Erste, der für Moschele gesprochen hatte, und mehrere von ihnen stimmten diesem bei. Nach einer kurzen geheimen Berathung kündigte man Moschele an, daß er frei sei, und händigte ihm alle Papiere wieder ein, die man ihm bei seiner Verhaftung entrissen hatte. Ungehindert durfte er in sein Haus zurückkehren, und mit klopfendem Herzen eilte er zu Tante Blumele, die ihn mit lautem Aufschrei der Freude in ihre Arme schloß.

»Der hochgelobte Gott sei gepriesen, der dich den Krallen des Löwen entrissen hat!« rief sie aus. »Bist du aber auch wirklich frei, und haben sie dir etwas mehr gelassen, als das nackte Leben?«

»Frei und ungekränkt an Leib und Seele,« erwiderte Moschele. »Du weißt ja, Tante Blumele, ehrlich währt am längsten, und weil ich ehrlich habe gehalten dem General mein Wort, so hat Gott mich erlöst aus den Ketten und Banden der Verfolger. Ihm sei gebracht Preis und Dank aus dem tiefsten Grunde unserer Herzen!«


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