Autorenseite

 << zurück weiter >> 

Anzeige. Gutenberg Edition 16. Alle Werke aus dem Projekt Gutenberg-DE. Mit zusätzlichen E-Books. Eine einmalige Bibliothek. +++ Information und Bestellung in unserem Shop +++

Drittes Kapitel. Die Feuersbrunst

Das kleine Abenteuer mit Richard war nicht das einzige, was Moschele auf seinen Wanderungen in die Umgegend erlebte. Etwa ein Jahr später sollte ihm noch eines begegnen, welches die wichtigsten Folgen nach sich zog und später von großem Einflusse auf sein ganzes Leben sein sollte.

Moschele kam eines Abends ziemlich spät in einem Dorfe an, das Meilen weit von anderen bewohnten Orten entfernt lag. Die Nacht schien dunkel werden zu wollen, finstere Wolken bedeckten den Himmel und am fernen Horizonte zuckte grelles Wetterleuchten. Er wäre gern noch weiter gewandert, der Moschele, aber er sah wohl ein, daß er vor Mitternacht nicht bis zur nächsten Ortschaft gelangen konnte, und überdies mußte er fürchten, daß ihn ein Gewitterregen überraschen und nicht nur ihn selbst, woraus er sich weniger gemacht haben würde, sondern auch die Waaren in seinem Packen durchnässen könne. Also blieb er und suchte das Gasthaus auf, um daselbst ein Unterkommen zu finden. Man wies ihn zurecht, und er fand es. Hatte er aber schon vorher gewünscht, daß der Tag noch zwei oder drei Stunden länger sein möge, so wünschte er's jetzt doppelt, denn das Wirthshaus war, als er ankam, bereits voller Menschen, die Nachtquartiere haben wollten, und in der Gaststube konnte man kaum noch ein Plätzchen finden. Moschele schwankte, ob er hinein gehen solle oder nicht, aber jetzt fielen bereits die ersten schweren Regentropfen aus den schwarzen Wolken nieder, und ganz in der Ferne konnte er auch schon das dumpfe Grollen und Murren des Donners vernehmen. Da blieb weiter nichts übrig, als ein Obdach zu suchen, wenn es ihm auch weiter nichts versprach, als Schutz vor dem Ungewitter, das jeden Augenblick mit Macht losbrechen konnte.

Moschele besann sich nicht länger. Er trat in das Wirthshaus und drängte sich in die Gaststube. Gelächter, Geschrei und dichte Wolken von Tabaksdampf drangen ihm entgegen. Aber das hielt ihn nicht auf, denn er war schon daran gewöhnt und überhaupt nicht sehr verzärtelt. Mehr schon verdroß es ihn, daß ihm neckende Stimmen entgegen riefen, wo er an irgend einem Tische ein Plätzchen suchen wollte, und daß Niemand zurückte, um ihm Raum zu machen.

»Was will der Judenjunge?« schrieen sogar einige von den Uebermüthigsten. »Hier gibt's nichts zu schachern! Werft ihn hinaus, wir haben ohnehin nicht Platz genug!«

Auch an derartigen Hohnreden und Demüthigungen roher Menschen war Moschele schon gewöhnt, und durch die Gewohnheit dagegen gestählt, anstatt sie also zu erwidern, zuckte er nur ein wenig die Achseln, und ging von einem Tische zum anderen, um irgendwo, wenn auch nur in einem Winkel eine ruhige Stätte zu finden. Aber an jedem anderen Tische erging es ihm, wie an dem ersten; man wies ihn bald mit Hohn, bald mit Grobheit ab, und der arme Moschele hätte vielleicht wirklich die Gaststube wieder verlassen müssen, wenn nicht endlich eine barmherzige Seele sich seiner angenommen hätte.

»Komm hierher, armer Bursche!« rief ihm eine freundliche Stimme zu, und ein junger Mann winkte ihm, der ganz allein an einem kleinen Tischchen in der dunkelsten Ecke der Stube saß. »Hier ist noch Platz und auch ein Stuhl. Setze dich!«

»Tausend Dank, gnädiger Herr!« erwiderte Moschele, indem er schnell den Wink befolgte und auf dem angewiesenen Stuhle Platz nahm. »Gott, der Herr, lohne Ihnen die Freundlichkeit, die Sie mir erzeigen!«

»Schon recht, schon recht,« entgegnete der hübsche, junge, vornehm aussehende Herr lächelnd. »Du suchtest einen Platz, und hier war einer leer, also bot ich ihn dir an. Da ist nichts zu danken.«

»Nicht Jeder ist so gütig gegen einen armen Wanderjuden,« antwortete Moschele mit glänzendem Blicke.

»Das ist wahr, und eine Schande ist's,« entgegnete der junge Mann. »Ich hab' es wohl gesehen, wie die rohen Bursche mit dir umgingen. Aber denk' nicht mehr dran; jetzt werden sie dich wohl in Frieden lassen. Iß und trink! Du siehst mir aus, als ob du heute einen weiten Weg zurückgelegt hättest.«

»Ja, gnädigster Herr, sechs Meilen seit heute früh,« erwiderte Moschele. »Aber wer frägt danach? Ein armer Jude muß warten, bis die Reih' an ihn kommt, und darf nicht fordern, wo so Viele bedient sein wollen.«

»Hast recht, armer Kerl,« sagte der junge Herr mitleidig. »Nun, so will ich fordern, vielleicht hört man mich eher und bedient mich schneller als dich!«

Ein kurzer Anruf brachte in der That schnell den Wirth herbei, und eben so schnell wurde Essen und Wein gebracht, was der junge, freundliche Herr gutmüthig Moschele hinschob.

»Nimm!« sagte er, und als Moschele sein Beutelchen ziehen wollte, fügte er lächelnd hinzu: »Laß nur stecken und für die Bezahlung mich sorgen! Unter so vielen Christenmenschen, die hier zusammen sind, muß doch wohl wenigstens Einer sein, der das Unrecht seiner Glaubensgenossen an dir gut zu machen sucht. Kein Wort, armer Kerl! Iß und trink, und damit Basta!«

Moschele aß und trank, und unterdrückte die Dankesworte, die sich aus seinem Herzen auf seine Lippen drängten, aber wenn der junge freundliche Herr nicht auf ihn Acht gab, sondern mit hellen Blicken die bunt gemischte Gesellschaft im Gastzimmer musterte, dann betrachtete er ihn verstohlen, und sein schönes Gesicht voll männlichen, kräftigen und zugleich wohlwollenden Ausdrucks kam ihm so bekannt vor, als ob er es früher schon einmal gesehen haben müsse. Nur konnte er sich durchaus nicht darauf besinnen, wann oder wo? »Es wird mir doch einfallen!« dachte er und aß weiter, bis er gesättigt war.

»Jetzt aber, wie wird's mit dem Schlafen aussehen?« fragte der junge Herr, indem er sich wieder zu Moschele wendete, dessen sanftes, bescheidenes Benehmen ihm Wohlgefallen und Mitleid einzuflößen schien.

»Oh, ich schlaf auf dem Stuhl, gnädiger Herr, wenn's keinen anderen Platz gibt,« erwiderte Moschele. »Hab' ich doch manchmal schon im Freien auf der bloßen Erde geschlafen.«

»Besser im Freien unter dem dunkeln Nachthimmel, als unter diesen Leuten, die dich schwerlich ungeneckt lassen würden. Nein, schlaf' du lieber im Stall oder auf dem Heuboden, nur nicht hier. Ich will mit dem Wirth reden.«

Ein paar Worte genügten, diesen günstig zu stimmen, und er gab das Versprechen, Moschele so gut wie möglich und jedenfalls sicher unterzubringen. Hierauf wünschte der fremde junge Herr seinem Schützlinge eine gute Nacht und entfernte sich aus dem Gastzimmer, um sein eigenes Lager aufzusuchen.

»Der Schem boruch hu sei mit dir, freundlicher Jüngling,« flüsterte Moschele ihm nach, und wandte sich dann hastig zum Wirthe, um ihn zu fragen, wer der Herr sei, der sich so herablassend und freundlich gegen ihn bewiesen.

»Kennst du ihn denn nicht, Jude,« entgegnete der Wirth. »Ich hab' gemeint, du müßtest ihn kennen, da er sich deiner so annahm. Aber freilich, so ist er immer. Ein Herz wie Gold!«

»Aber wie heißt er? Wie heißt er, Herr Wirth?« fragte Moschele dringend. »Sie werden mir doch den Namen meines Wohlthäters nicht verbergen?«

»Ei, der junge Herr von Barnefeld ist's ja, der Sohn des Generals in der Stadt, der ein paar Meilen von hier große Besitztümer hat. Im Sommer ist der junge Herr meist auf den Gütern, und da spricht er auch manchmal bei mir ein. Na, nun weißt du Bescheid. Was noch?«

»Nichts, Herr Wirth, ich dank' Ihnen,« erwiderte Moschele. »Nur, wenn Sie so gut sein wollen und mir zeigen, wo ich schlafen soll, ich bin müd'!«

»Geh' in den Pferdestall und laß dir's vom Knecht sagen, vom Johann, er weiß schon Bescheid,« gab der Wirth zur Antwort, und Moschele schlich mit seinem Packen still aus dem Gemach, um nicht noch einmal bemerkt zu werden und den rohen Gästen zur Zielscheibe ihrer schlechten Witze zu dienen. Glücklich kam er hinaus, suchte den Stallknecht Johann auf, brachte sein Anliegen vor und wurde auf den Heuboden über dem Pferdestall gewiesen. Auf einer Leiter kroch er hinauf, warf sich auf das duftende Heu nieder, welches ihm ein weiches, warmes, und jedenfalls viel behaglicheres Lager gewährte, als er in der Gaststube gefunden haben würde, und nach einem kurzen, inbrünstigen Gebete, in welchem er allen Segen des hochgelobten Gottes auf das Haupt seines gütigen Wohlthäters herab flehte, versank er bald in einen tiefen, erquicklichen Schlummer, wie ihn nur der Gerechte schläft, der sich in seinem Gewissen keiner Sünde bewußt ist.

Drüben im Gastzimmer des Wirthshauses ging es indeß noch eine ganze Weile lustig und laut her, und von den Dächern träufelte der Regen nieder, der sich mit Macht aus den immer dunkler gewordenen Wolken ergoß. Moschele hörte es nicht, er schlief. Allmälig ließ der Regen nach, und als Mitternacht herangekommen war, verstummte auch der Lärm in der Wirthsstube. Das mochte dem Moschele ganz recht sein, wenigstens schlief er noch immer fest und rührte sich nicht, bis in der Ferne die ersten Hähne kräheten. Da wachte er auf und erschrak, denn er glaubte die Zeit verschlafen zu haben, weil die Morgenröthe schon so gar hell und glühend durch die kleine Dachluke des Heubodens herein leuchtete. Nur wunderte es Moschele, daß Alles noch so still war auf dem Gehöfte und im Pferdestall unter ihm, denn sonst pflegt man doch auf dem Lande früher an die Arbeit zu geben, als in der Stadt, wo die faulen Schläfer sich gern von der Sonne erst wecken lassen, wenn sie schon recht hoch am Himmel steht.

»Am Ende hat der Johann, der Stallknecht, die Zeit verschlafen, wie ich,« dachte Moschele, und schrie in den Stall hinunter: »Johann, Johann, du mußt aufstehen und nach den Pferden schauen! He! Johann!«

Johann mochte gar nicht im Stalle sein, oder so fest schlafen, daß er den Ruf nicht hörte, wenigstens gab er keine Antwort darauf. Jetzt rappelte sich Moschele vollends aus dem Heuhaufens der ihm zum Lager gedient hatte, in die Höhe, schüttelte von seinen Kleidern die trockenen Grashalme ab, die sich angehängt hatten, fuhr mit dem kleinen Kamme, den er immer bei sich führte, durch seine schwarzen Locken, und suchte nun die Leiter, um in den Stall hinunter zu steigen, den Pferdeknecht zu wecken, und sich nach Wasser umzusehen, um sich damit zu waschen und vollends zu säubern.

Im Stalle regte und rührte sich immer noch nichts. Moschele stieß die Thür auf, die nach dem Hofe führte. Aber Herr Gott, was sah er da! Die hellen lichten Flammen, die aus dem Dache des Wirthshauses empor zum Himmel schlugen, und ein schauerliches, flackerndes Licht über den Hof hinwarfen. Was Moschele für den Schein der Morgenröthe gehalten hatte, war eine Feuersbrunst.

Einen Augenblick stand Moschele vor dem Unerwarteten und Entsetzlichen starr und wie gelähmt da, und war nicht im Stande, nur einen Schrei des Schreckens auszustoßen. Mit vor Entsetzen verwildertem Auge schaute er in die lodernde Gluth, die gelben Flammenspitzen, die sprühenden Funken, welche ein leichter Wind glücklicher Weise abwärts von den Ställen und übrigen Gebäuden des Gehöftes wehte. Dann auf einmal schrie er laut auf: »Feuer! Feuer!« schüttelte mit einer gewaltsamen Anstrengung den lähmenden Schrecken von sich ab, und stürzte auf die Thür des brennenden Hauses zu. Sie war verschlossen, aber nicht weit davon lehnte eine Axt gegen die Wand, und Moschele, schnell besonnen, ergriff sie und donnerte damit so wüthend gegen die Thür, daß sie nicht nur zertrümmert wurde von den Schlägen, sondern daß auch endlich alle Schläfer im Hause von dem furchtbaren Getöse aufwachten.

»Was gibt's? Was ist geschehen?« schrie der Wirth, der zuerst, nur halb angekleidet, aus seiner Kammer stürzte.

»Feuer, im Hause!« rief Moschele zurück. »Die Flamme schlägt schon zum Dache heraus! Weckt Eure Leute und die Gäste, die unten schlafen, ich will nach oben! Hurtig, hurtig, Herr Wirth! Sagt mir nur, wo der junge Herr von Barnefeld schläft!«

»Herr Gott, mein Heiland! Was für ein Unglück!« zeterte der Wirth. »Feuer! Feuer! Auf, Leute! Rettet, helft, löscht! Herr von Barnefeld! Herr von Barnefeld! Oben die zweite Thür rechts! Ach, barmherziger Gott, wir sind verloren!«

»Noch nicht, wenn Ihr nur den Kopf nicht verliert!« erwiderte Moschele, und stürzte die enge Treppe des Gasthauses hinauf, um vor Allen den jungen Herrn zu wecken, der am Abend vorher so freundlich gegen ihn gewesen war. Schon fielen glühende Funken vom oberen Boden, wo Alles brannte, auf die Treppe herab, und ein schwerer, dichter Qualm zog in erstickenden Wolken durch den Gang, welchen Moschele betrat, aber das tapfere Herz Moschele's ließ sich nicht von diesem Hindernissen zurückschrecken. Die zweite Thür rechts suchte er, und fand sie nach einigem Tappen und Tasten glücklich. Sie war verschlossen wie die Hausthür, aber Moschele hatte die Axt nicht vergessen. Mit drei Schlägen zertrümmerte er Schloß und Riegel.

»Gnädiger Herr, eilen Sie!« schrie er, »das Haus brennt! Kein Augenblick ist zu verlieren!«

Herr von Barnefeld sah schon selbst, daß er keine Zeit übrig hatte, denn auch sein Zimmer war bereits von Rauch erfüllt, der ihn wenige Minuten später vielleicht erstickt haben würde. Jetzt kam der Beistand noch im rechten Momente. Einige Augenblicke genügten Herrn von Barnefeld, die notwendigsten Kleider überzuwerfen; dann raffte er mit Hilfe Moschele's seine Habseligkeiten zusammen, und eilte die Treppe hinab, auf welche jetzt schon nicht mehr einzelne Funken, sondern ein wahrer Regen von Funken von oben herabfiel. Sie schüttelten die glühenden Tropfen von ihren Kleidern ab, und gelangten glücklich ohne Verletzung in's Freie.

Mittlerweile hatten sich auch die übrigen Gäste, welche in den unteren Räumen des Wirthshauses schliefen, auf den Hof hinaus geflüchtet, was ihnen um so leichter gelungen war, als sie sich völlig angekleidet nur aus ein Strohlager geworfen hatten und ihre geringe Habe sämmtlich bei sich trugen. Die Entschlossensten von ihnen halfen jetzt dem Wirthe das Haus räumen und die werthvollsten Sachen aus den Stuben und Kammern in Sicherheit bringen. Auch Moschele griff wacker mit zu, Herr von Barnefeld blieb nicht zurück, und da so viele kräftige Arme und Hände tüchtig am Werke waren, so wurde fast Alles gerettet, was in den unteren Räumen befindlich war. Nach oben zu gehen, fiel Niemanden ein, denn hier drohte die Gefahr aus nächster Nähe, und um einiger Möbel und Betten willen mochte Niemand sein Leben leichtsinnig auf's Spiel setzen.

An Löschen des Brandes dachte man nicht. Die Flammen hatten schon zu weit um sich gegriffen, als daß man hätte hoffen können, sie zu dämpfen, und zum Glück wehte, wie bereits erwähnt, der immer stärker sich erhebende Wind die Gluth abwärts von den übrigen Gebäuden, so daß für diese keine Gefahr befürchtet zu werden brauchte. So standen denn nun die Leute müssig da, und schauten stillschweigend in die knisternde Flamme hinein, welche unbehindert das alte Haus bis auf die Grundmauern hinunter verzehren mochte.

»Mein Himmel,« rief der junge Barnefeld plötzlich, – »was hab' ich vergessen!«

»Vergessen? Was?« fragte Moschele besorgten Blickes, denn er sah den jungen Barnefeld erbleichen, als ob ihm ein großes Unglück zugestoßen wäre.

»Ein Kästchen!« sagte er. »Es enthält höchst wichtige Papiere! Wenn sie verbrennen, so verbrennen mit ihnen zwei Drittheile unserer Güter!«

»Wie ist das möglich?« fragte Moschele.

»Ein Prozeß! Die Güter werden uns streitig gemacht und das Kästchen enthält alle Aktenstücke, die unser Eigenthumsrecht beweisen. Ohne sie können wir den Besitz nicht behaupten!«

»Das ist schlimm!« sagte der Wirth, der in der Nähe stand, kopfschüttelnd. »Ihr Zimmer steht schon in hellen Flammen, sogar die Treppe brennt bereits, da ist nicht mehr zu helfen.«

In der That war kaum noch eine Möglichkeit vorhanden, der furchtbaren Gluth zu trotzen, welche das Feuer, das indessen beinahe das ganze Haus ergriffen hatte, ausstrahlte. Der junge Barnefeld selbst wagte es nicht, sich in diese brennende Hölle zu stürzen, und Keiner von den Anwesenden bezeigte Lust, für einen Fremden seine Haut zu Markte zu tragen. Herr von Barnefeld gab die Papiere verloren.

Plötzlich huschte eine tief in eine große Decke verhüllte, von Wasser triefende Gestalt an ihm vorüber und stürzte, ehe Jemand sie aufhalten konnte, in das Haus hinein. Die nach oben führende Treppe stand in hellen Flammen, aber das hielt den kühnen Eindringling nicht ab, sie zu betreten. Mit drei Sprüngen war er oben und verschwand nun in dem Flammenmeere, das ihn von allen Seiten wie ein glühender Mantel einhüllte.

»Er ist verloren, wer es auch sein mag!« sagte der Wirth, während alle Uebrigen lautlos den Ausgang des verwegenen Unternehmens erwarteten. »Seht da, der Dachstuhl wankt – noch wenige Augenblicke und er stürzt zusammen und begräbt den Unglücklichen unter seiner Wucht. Herr Jesus, mein Heiland, da kracht er schon!«

Ein lauter Aufschrei der Angst und des Entsetzens aus der versammelten Menge folgte diesen Worten, denn ein Theil der halbverkohlten Balken des Dachstuhls brach in der That zusammen und stürzte mit furchtbarem Gepolter und eine dichte Wolke glühender Funken von sich sprühend, zur Hälfte nach innen in das brennende Haus, zur andern Hälfte krachte er erschütternd auf den Boden hin.

»Gott sei der armen Seele gnädig!« murmelte der Wirth. »Der kommt nicht lebendig wieder heraus. Der arme Bursche! Wer es wohl sein mag?«

Er erhielt keine Antwort, denn in demselben Augenblicke, wo er fragte, ertönte ein neuer, dieses Mal aber freudiger Aufschrei der Menge, denn lebend erschien auf der Schwelle des Hauses der Verwegene, den so eben noch Jeder für verloren gehalten hatte. Die nasse Decke, in der er eingehüllt war, dampfte zwar von der Gluth und war mit Brandflecken und glühenden Kohlen wie übersäet, aber ihr Träger schien unversehrt; leicht sprang er über die am Boden liegenden, qualmenden Balken hinweg, eilte auf Herrn von Barnefeld zu, warf die Decke von sich und überreichte ihm mit strahlenden Augen das Kästchen, das er glücklich dem verzehrenden Elemente entrissen hatte.

Jetzt erkannten ihn Alle.

»Der Jude! der Jude!« schrieen sie und drängten sich voll Verwunderung um ihn her.

Moschele achtete ihrer Aller nicht; er hatte nur Augen für Herrn von Barnefeld, der mit freudigem Erstaunen bald das Kästchen, bald Moschele anstarrte.

»Ist es das rechte?« fragte Moschele.

»Ja, das rechte,« antwortete Barnefeld, »das rechte, und Gott sei Dank, unversehrt. Aber welche Kühnheit von dir! An meine Brust, du tapferer Helfer in der Noth! Beim Himmel, verwegener sah ich niemals Jemanden sich der Gefahr in die Arme stürzen!«

»Es war nicht so gefährlich, als es vielleicht aussah,« erwiderte Moschele lächelnd. »Eine wollene Pferdedecke fand ich im Stalle, der Brunnen war da gleich zur Hand, eins, zwei, drei, hatt' ich sie naß gemacht und um mich geworfen, und nun war ich vor dem Verbranntwerden sicher genug. Nur die stürzenden Balken waren ein wenig gefährlich, aber da ich das Kästchen zum Glück gleich auf den ersten Griff fand, so entging ich auch ihnen, obgleich einer davon dicht neben mir niederkrachte und die Stubendecke durchschlug. Was er weiter für Unheil anrichtete, weiß ich nicht, denn Sie können sich wohl denken, gnädiger Herr, daß ich nicht stehen blieb, um noch Beobachtungen anzustellen. Ich sprang davon, und da ist das Kästchen.«

»Ein tapferes Herz! Ein braver Kerl, weiß Gott, wenn's auch ein Jud' ist!« murmelten die Leute voll aufrichtiger Bewunderung, die gestern Abend noch den armen Moschele so arg verhöhnt und von einem Tische zum andern gestoßen hatten, und manche rauhe, derbe, knochige Hand streckte sich aus, um treuherzig Moschele's zartere Finger zu drücken. Aber Moschele that, als ob gar nichts geschehen wäre, und wies lächelnd alle Lobsprüche und Liebkosungen zurück.

»Was wollt ihr?« fragte er. »Was ich that, hab' ich mir zu Gefallen gethan, weil Herr von Barnefeld gestern freundlich und voll Güte zu mir war. Und nun laßt mich gehen und meinen Packen holen. Es ist hell genug, daß ich den Weg sehen kann, und in zwanzig Minuten springt die Sonne aus ihrem Bett. Gehabt euch wohl, ihr Herren, und wenn ihr mir doch eine Liebe erweisen wollt, so thut mir Eins

»Was? was?« riefen Alle bereitwillig durch einander.

»Nun, ich will's euch sagen, dürft mir aber nicht bös werden drum,« entgegnete Moschele. »Ich mein' halt, behandelt in Zukunft einen armen Juden nicht mit Verachtung, nur, weil er ein Jud' ist. Die Juden sind eben so wenig Alle schlecht, wie die Christen Alle gut, und wie wir sind, sind wir doch alle Menschen und Kinder des hochgelobten Vaters im Himmel! Und nun, b'hüt euch Gott allesammt!«

Moschele ging. Anfänglich blieb Alles still hinter ihm, denn die Leute fühlten sich getroffen von seinen Worten und schämten sich ihres gestrigen rohen Betragens gegen den armen Wanderjuden. Aber kaum war er fünfzig Schritte weit gegangen, so schallte ihm ein lautes, herzhaftes Hurrah nach und bewies ihm, daß seine Rede die Achtung der Leute vor ihm nicht gemindert hatte. Moschele dankte mit freundlichem Winken der Hand, und dann eilte er im Doppelschritt weiter, weil er sah, daß der junge Herr von Barnefeld hastig hinter ihm hergelaufen kam.

»Das ist nicht recht, daß du so ohne Gruß und Abschied davon gehst,« sagte er zu Moschele, als er ihn fast athemlos eingeholt hatte. »Ich konnte mich noch nicht einmal bei dir bedanken, du treuer, muthiger Freund!«

»Bedanken? Was heißt bedanken?« erwiderte Moschele. »Sind wir doch jetzt nur erst quitt von gestern Abend her, gnädiger Herr! Bedanken Sie sich, wenn Sie durchaus danken wollen, bei sich selber, daß Sie freundlich und herablassend gewesen sind gegen ein armes Juden-Bocherl! Und nun ist's genug! Lassen Sie mich gehen, denn ich muß noch manchen Schritt machen, wenn ich heute zu rechter Zeit heimkommen will.«

»Schon recht, ich verstehe dich, du treues und edles Herz,« erwiderte Herr von Barnefeld freundlich. »Aber hier, nimm dieß! Es ist Alles, was ich bei mir habe, und du darfst mir's nicht abschlagen. Und deinen Namen mußt du mir auch sagen, damit ich deiner gedenken kann, ich bitte dich darum!«

»Meinen Namen können Sie schon erfahren; ich bin der Moschele, der Hausirer-Jud', und bekannt genug hier herum! Aber mit dem Geschenk da gehen Sie mir weg, ich nehm's nicht an!«

»Nimm es, Moschele, gutes Moschele, du machst mir eine Freude damit! Du mußt's nehmen, wenn du mich nicht kränken willst! Du mußt! Und hör' auch, Moschele, wenn ich dir ja in irgend etwas dienen kann, so komme dreist zu mir, oder zu meinem Vater, dem General in der Stadt, und ich verspreche dir, daß du immer einen treuen Freund an mir finden wirst. Und jetzt nimm, Moschele, und mach' mir's Herz nicht schwer. Willst du es nicht selber behalten, so wirst du doch Jemand kennen, den du lieb hast, und dann schenke dem was dafür!«

»Der Tante Blumele, meinen Sie, gnädiger Herr?« sagte Moschele in Gedanken, denn er glaubte wohl, daß die sich freuen würde, wenn er ihr etwas Hübsches mitbrächte von der Wanderung.

»Ja, der Tante Blumele,« erwiderte Herr von Barnefeld und schob rasch dem Moschele eine Hand voll Papiergeld in die Tasche. »Kauf' ihr was, Moschele, und sag' ihr, es käme von einem guten Freund.«

»Nun denn, das will ich thun, und bedanke mich auch tausend Mal in ihrem Namen, gnädiger Herr,« erwiderte Moschele. Dann schüttelten sich Beide noch einmal die Hände, und Moschele ging seines Weges, während Herr von Barnefeld langsam zu dem allmälig mehr und mehr niederbrennenden Gasthause zurückkehrte.

Beide waren froh und vergnügt, Moschele aber gewiß am meisten, obgleich es sich bei ihm nicht um so großen Gewinn und Verlust gehandelt hatte, wie bei dem Herrn von Barnefeld. Dagegen freute sich aber Moschele doppelt. Einmal über die muthige That, die er so kühn und furchtlos mit tapferem Herzen vollbracht hatte, und dann im Voraus über die Freude der guten, alten Tante Blumele, wenn er ihr etwas Schönes von der Wanderschaft mitbringen und ihr sein ganzes Abenteuer erzählen würde.

Aber was ihr mitbringen?

Moschele, ehe er seine Wahl traf, mußte doch in Allem erst wissen, wie viel Geld er in der Tasche hatte, und griff hinein. Da staunte er aber! Eine ganze Handvoll Papierthaler zog er heraus, und als er sie zählte, waren's fünfundzwanzig Stück, und außerdem noch ein Papierchen dabei, was kein Thaler, sondern ein Lotterie-Loos war.

»Das hat er aus Versehen mit hineingesteckt, der gute liebe Herr,« murmelte Moschele mit vergnügtem Gesicht, und dann wickelte er Alles, Thalerscheine und Lotterie-Loos, sorgfältig in ein Blatt Papier ein und barg das Päckchen in der Brusttasche seiner Jacke, aus der er es nicht leicht wieder verlieren konnte. Hierauf wanderte er leichten Schrittes seines Weges weiter fürbaß und dünkte sich reich wie ein König, da er in seinem ganzen Leben noch nicht so viel Geld in seinem Besitz gehabt hatte. Anstatt aber den gewöhnlichen Gang über die Dörfer zu nehmen und wie sonst Geschäfte zu machen, trieb es ihn heute in der geradesten Richtung nach Hause und zu Tante Blumele. Er wußte, was Tante Blumele sich wünschte und was ihr das liebste Geschenk sein würde, wenn er's mit heimbrachte, und jetzt, wo er so allmächtig reich war, könnt' er's ihr kaufen. In der Friedheimer Gasse war ein Pelzladen, und hier am Pelzladen hing ein wunderschöner, weicher, dichter, warmer Pelz, den Tante Blumele schon oft mit lüsternen Augen betrachtet und schon manchmal zu Moschele gesagt hatte: »Schau, Moschele, das wär' so was für mich im kalten Winter, wenn ich im kalten Hausflur sitzen muß und frieren, daß mir die Finger erstarren und die Zähne klappern vor Frost. Das wäre so was für mich, Moschele,« hatte sie gesagt, – »aber so arme Leute wie wir, müssen sich die Gedanken an solche Herrlichkeit wohl vergehen lassen, und der hochgelobte Gott richtet's wohl ein, daß der nächste Winter nicht so streng und eisig ist, wie der vorige, wo die Sperlinge, die armen Thiere, erfroren aus der Luft und von den Dächern herunter fielen.«

So hatte Tante Blumele gesprochen und Moschele jedes Wort behalten, und auch sogar einmal die Kühnheit gehabt, nach dem Preise des Pelzes zu fragen, in der Hoffnung, daß es doch vielleicht eine Möglichkeit wäre, den Preis zu erschwingen. Aber da wäre er schön angekommen. Zwanzig Thaler hatte der Pelzhändler gefordert und sich dabei doch noch verschworen, daß der Pelz bei diesem Preise halb geschenkt und unter Brüdern das Doppelte werth sei. Jetzt nun aber war's anders. Moschele hatte Geld, viel Geld, mehr Geld, als der Pelz kosten sollte, und seine einzige Besorgniß lag nun noch in der Möglichkeit, daß ihm Jemand zuvorgekommen sein und den herrlichen Pelz mittlerweile weggekauft haben konnte. Diese Besorgniß machte ihm ungewöhnlich flinke Beine. Ohne Rast wanderte er, bis er die Stadt erreicht hatte, und obgleich hier das rauhe Pflaster seinen müden Füßen wehe that, verdoppelte er dennoch seine Eile und rannte durch Gassen und Gäßchen, als ob er Sturm laufen müsse, bis er endlich in die Friedheimer Gasse einbog und schon von weitem den herrlichen Pelz am Thürpfosten schimmern sah. Nun war er beruhigt und die Angst fiel ihm wie ein Stein von seinem Herzen. Zehn Minuten später war der Pelz sein, und mit innerlich jauchzender Seele rannte er nach dem Ghetto und in den dunkeln Hausflur hinein, wo Tante Blumele ihn mit einem Ausrufe der Verwunderung in Empfang nahm.

»Moschele,« schrie sie ihm entgegen, »Moschele, wo kommst her? Es ist doch nicht Schabbes oder Jontef (Feiertag), daß du außer der Zeit heimkehrst! Bist du etwa meschuge (wahnsinnig) geworden oder hast den Sonnenstich, Moschele?«

»Nichts von Allem, Tante Blumele,« erwiderte der ehrliche Bursche mit strahlendem Lächeln. »Ich bin weder meschuge, noch ein Posche Jisroel (ein Abtrünniger von Israel), sondern ich will ein Simohes-Thora, ein Freudenfest feiern, woran deine Seele sich erlaben soll, Tante Blumele!«

Und hastig, mit vor Freude zitternden Händen nestelte er die Knoten seines Packens auf, in welchem er den Pelz verborgen hatte, und dann, mit Einem Rucke zog er ihn hervor und breitete ihn in seiner ganzen Pracht über den Tisch aus, so daß Tante Blumele wie geblendet dastand und anfänglich kein Wort vor Ueberraschung hervorbringen konnte.

»Heiliger Gott, Moschele, wo hast den Pelz her?« rief sie endlich. »Wirst ihn doch nicht geganft (gestohlen) haben, Moschele!«

»Wie heißt,« antwortete er und blickte die Tante mit großen Augen an, aus denen deutlicher, als er mit Worten ausdrücken konnte, sein reines Bewußtsein sprach, – »würd' ich mir doch lieber die Hand abhacken, als sie mit unrechtem Gut beflecken. Rein, geschenkt ist er, der Pelz, Tante! Geschenkt von einem guten Herrn, und du darfst dich dreist freuen darüber und brauchst dir keinen unrechten Gedanken zu machen. Probir' ihn an, Tante Blumele, probir' ihn an, damit ich auch sehe, wie er dir zu Gesicht steht, und ob er lang und weit genug für dich ist!«

»Bei der Hitze alleweil?« erwiderte Blumele schämig. »Es wär' ja zum Lachen, Moschele! Und erst muß ich auch wissen, wie du gekommen bist zum Pelz.«

Da erzählte Moschele kurz und bündig, wie sich Alles zugetragen hatte, und Blumele lachte und weinte vor Freuden und Schrecken in einem Athem, und dann, nachdem sie Alles wußte und Moschele an's Herz gedrückt und geküßt hatte, dann wollte sie doch noch schelten, weil er so gar viel Geld ausgegeben für den Pelz, und hinwiederum klang auch wieder ihr Schelten doch gar nicht ernsthaft, denn im Hintergrunde lauerte ja verstohlen die mühsam verhaltene Freude über das prächtige Geschenk, und zuletzt, als der Moschele sich stellte, als ob er bös werden wollte über die unverdienten Vorwürfe der Tante, da konnte Blumele auch nicht länger an sich halten, die Freude brach hervor lachend und weinend, und ehe Blumele sich's versah, hatte Moschele ihr den Pelz übergeworfen, und trotz der Sommerhitze war sie ganz glücklich darüber und konnte sich lange nicht wieder davon trennen, obgleich ihr in dem warmen Pelze die heißen Schweißtropfen über's Gesicht liefen.

Er hatte recht, der Moschele, es war ein ächtes Simohes-Thora, was er mit Blumele feierte, und auf der ganzen Welt gab es damals vielleicht keine zwei Menschen mehr, die sich glücklicher gefühlt hätten als Tante Blumele und er. Das machte, weil sie beiden bescheidenen und genügsamen Herzens waren, so wie Jene, die Salomo meinte, als er sprach: »Mancher ist arm bei großem Gut, und Mancher ist reich bei seiner Armuth.« Wer war denn reicher an Freude dazumal, als die beiden armen Judenleute im dunkeln Hausflur mitten unter dem alten Kram und Gerümpel, das kaum den Platz werth war, den es einnahm? Wenn sich alles das nutzlose Zeug in Gold und Silber verwandelt hätte, sie würden sich nicht glücklicher darüber gefühlt haben, die beiden genügsamen Seelen, denn nicht aus dem Reichthum erblüht ja das Glück, sondern am öftesten und vollsten aus einem reinen, zufriedenen und demüthigen Herzen.


 << zurück weiter >>