Hans Hoffmann
Tante Fritzchen
Hans Hoffmann

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Der Unruhteufel.

Einmal kam eine junge Schiffersfrau zu Tante Fritzchen, sich in heimlicher Beichte über ihren Mann zu beklagen, der wenig häuslichen Sinn zeige und, wenn er am Land sei, sich den größten Theil des Tages am Bollwerk, auf den Schiffen oder in den Hafenschenken herumtreibe, von fremden Ländern erzähle und sich erzählen lasse, im Hause aber durch seine Unruhe und sein fahriges Wesen sich erst recht meist nur lästig mache. Und sie bat inständig um einen Rath, ob sie sich das gefallen lassen dürfe, oder was sie dabei thun könne.

Tante Fritzchen hörte in gleichmüthigem Schweigen diesen Bekenntnissen zu und sagte am Ende kurz und kühl:

»Das Einfachste bleibt immer, Sie lassen sich scheiden.«

Die junge Frau fuhr entsetzt in die Höhe.

»Aber!« rief sie mit einer beredten Gebärde der äußersten Entrüstung.

»Warum machen Sie zu dem Vorschlage ein so dummes Gesicht?« fragte Tante Fritzchen treuherzig.

106 Der Ausdruck schien der armen Frau etwas hart; aber schließlich bei dieser wunderlichen Dame mußte man auf so etwas gefaßt sein und durfte es nicht so genau nehmen. Sie bemühte sich also, etwas klüger auszusehen, jedoch ohne recht durchschlagenden Erfolg; vielmehr brachte sie es nur zu einem hülflosen Erröthen und dem schüchternen Geständniß:

»Das ist nicht möglich! Ich hab' ihn viel zu lieb.«

»Das ist etwas Andres,« sprach Tante Fritzchen, »dann will ich nicht weiter zureden. Aber dann will ich Ihnen mal eine Geschichte erzählen. Sie kennen den alten Stelzfuß Pannemann hier am Bollwerk und seine Frau?«

»Die immer so vergnügt sind und so zärtlich zu einander?« versetzte die junge Frau. »Man möchte sie fast beneiden trotz seines Gebrechens. Natürlich, die kenne ich. Was ist mit denen?«

»Es ist das zufriedenste und einträchtigste Ehepaar, das mir noch vorgekommen ist,« bekräftigte Tante Fritzchen, »nur müssen Sie nicht glauben, das sei immer so gewesen. Durchaus nicht: es hat ganz andere Zeiten gegeben, Zeiten, wo die Frau drei Mal mehr zu klagen gehabt hat als Sie und mit noch besserem Recht. Bloß der Pannemann war eigentlich noch mehr zu beklagen, als 107 sie. Der ist damals nie zum rechten Behagen und zur Lebensfreude gekommen. Er hatte den Unruhteufel im Leib und konnte nichts dawider; den haben ja viele Schiffer, doch so wie Pannemann keiner. Kaum war er einen Tag zu Hause von einer großen Fahrt, da plagte ihn schon wieder die Sehnsucht nach der See und den überseeischen Ländern. Er konnte kein Wasser sehen, ohne schwermüthig zu werden; beim Anblick seines Waschbeckens träumte er vom Ocean.

Im Traum redete er fortwährend von Indien und Hawaii und den Canarischen Inseln, von den herrlichen Blumen und Schmetterlingen und Kolibris und den wunderschönen Frauen, die dort herumliefen, und was weiß ich von welchen Zauberdingen; und die arme Frau mußte das mit anhören. Er phantasirte sich das so bunt und schön in der Erinnerung zusammen, wie es in der Wirklichkeit nirgendwo ist und niemals gewesen ist. Und Tags über hatte er kaum eine Stunde Ruh', mal bei seiner Frau zu bleiben; er segelte auf dem Haff oder fuhr Schlitten und lief Schlittschuh auf dem Eise im Winter. Und das war noch das Beste, was er thun konnte; denn so lange er bei ihr war, plagte er sie bloß mit sehnsüchtelndem Geschwätz. Aber man darf ihm keinen schweren Vorwurf draus machen: es war seine Natur so, er konnte nicht 108 anders. Und wenn dann endlich der Tag kam, wo er wieder in See gehen konnte, da mußte man ihn sehen, wie er da strahlte von Glückseligkeit; schon richtig wie ein Kind, das den Weihnachtsbaum sieht. Ja, da hatte er wahrhaftig einen Tag des Glücks und der Ruhe. Aber nur einen Tag. Immer nur grade so lange, bis er aus dem Hafen war oder wenig länger.

Dann mit einem Male schlug Alles um. Sobald er die Wellen rund um sich sah und die große Einsamkeit draußen, so packte ihn das Heimweh. Er dachte an nichts mehr als an seine Frau und sein Haus und seine Rosenbeete und seine Ziege, an seinen Großvaterstuhl und seine alte Stutzuhr, und ob die auch immer richtig aufgezogen würde, und immer wieder an seine Frau. Und er ist beinahe seekrank geworden vor lauter Sehnsucht und ist allemal ganz schwermüthig geblieben während der ganzen Fahrt über das Weltmeer.

Und wenn er dann nach Indien kam oder nach Hawaii oder den Glücklichen Inseln, da ist er immer nur recht stumpfsinnig zwischen den Blumen und Elephanten und herrlichen Frauen herumgetrödelt und hat bloß schlappherzige Blicke für all' die Wunderdinge gehabt. Und wenn ihm einmal so ein Frauenzimmer ein bißchen extra gefallen hat und ist ihm vielleicht etwas schärfer aufs 109 Leder gerückt, wie sie das da so thun, da hat er am allermeisten nach seiner Eheliebsten geseufzt und hat sich von dem fremden Geschöpfe statt Küsse und so was einen Briefbogen um den andern geben lassen, um nach Hause zu schreiben.

Auf solche Art hat er zu Wasser und zu Lande, bei Licht besehen, ein erbärmliches Leben geführt und hat bloß, wenn er ausgesegelt und wenn er wieder gekommen ist, jedesmal einen schönen, ruhigen Tag gehabt oder, wenn's hoch kam, deren drei oder vier. Und seine arme Frau hat von ihm im Grunde immer noch am meisten gehabt, wenn er draußen in der Welt war, nämlich seine Briefe; denn darin ist er unmenschlich fleißig gewesen, und das will etwas besagen für einen Schiffer auf See.

Und wollen Sie nun wissen, wie dies zappelige Elend ein Ende gekriegt hat, und wie die beiden Leutchen zufrieden und glücklich geworden sind? Ganz einfach – und eben darum erzähl' ich die Geschichte –: eines schönen Tages, als Pannemann in Swinemünde eingelaufen war, ist ihm eine schwere Kiste mit Elfenbein auf beide Beine gefallen und hat ihm die Füße kurz und klein geschlagen, daß keine Möglichkeit blieb, sie wieder zusammenzuflicken; denn es ist kein Knöchelchen heil gewesen.

Das war nun ein schweres Unglück, muß Jeder sagen. Denn erstens hat es höllisch weh gethan und ist ihm dicht ans Leben gegangen, und zweitens 110 ist es mit dem Seefahren aus gewesen für alle Zeiten. Er hat fortan zu Hause bei seiner Frau sitzen müssen jahraus, jahrein und hat weder Indien noch ein anderes Wunderland je mit einem Auge wieder zu sehen gekriegt.

Ja, ein Unglück war's. Aber das Merkwürdige dabei ist, daß dies große Unheil ihm von Anfang an und für alle folgenden Jahre zum schönsten Segen ausgeschlagen ist und seiner Frau erst recht, so sehr die auch in den ersten Tagen gejammert und die Hände gerungen hat, als wären ihre eigenen Beine zerschlagen und außer Kurs gesetzt gewesen.

Er aber, Pannemann, hat schon gleich die großen Schmerzen mit einer Standhaftigkeit und, ich möcht' sagen, einer Fröhlichkeit ertragen, daß Jeder, der es gesehen hat, ihn staunend hat bewundern müssen. Und darüber hat auch seine Frau das Händeringen und Kläglichthun ganz und gar abgelegt und ist mit ihrer Pflege tapfer und vergnüglich um ihn herum gewesen, als hätt' er sich nur den kleinen Finger verknackt oder den Ohrzipfel aufgerissen und müßt' in drei Tagen wieder gesund werden.

Da hat er denn nun recht gründlich aus der Nähe erkannt, was er an ihr gehabt hat, und sie desgleichen, was er in aller Stille für ein starker Held ist gewesen. Sein bestes Heldenthum aber 111 war noch gar nicht dies gegen die Schmerzen, sondern mehr noch dies andere, daß er sich gesagt hat: Was geschehen, ist geschehen und ist nicht mehr zu ändern, und hilft kein Wimmern und kein Strampeln dagegen. Du mußt jetzt all' deine künftigen Lebetage zu Hause bleiben und kannst nie mehr in See gehen, höchstens als Spazierbummler und müßiger Geldverderber: und das ist deine Sache nicht. Also merke dir's und gewöhne dich dran, als ein stillfester Bürgersmann in der Stube zu sitzen und nicht nutzlos darum zu murren und zu knurren.

Und darnach hat er gehandelt. Ob es ihm von Anfang gleich so ganz leicht geworden ist, das kann kein Mensch wissen, denn er redet nicht drüber: aber daß es ihm später geglückt ist und ihm bis auf den heutigen Tag gar nicht schwer ankommt, sieht ihm Jeder an der Nase an. Und Sie selbst können's bezeugen: es gibt nicht leicht einen Menschen, dem wohler ist in seiner Haut und in seinem Hause als eben diesem Pannemann. Und von der ruhelosen Sehnsucht nach draußen spürt er keinen Hauch mehr: bloß daß er noch gern erzählt von den wundersamen Dingen über dem großen Wasser. Aber das thut er nicht anders, als wenn Unsereiner ein Märchen erzählt von dem Königreich, das ein armer Schlucker gewonnen hat: man erzählt es mit Vergnügen, hat aber kein Begehren, auch so eins zu gewinnen. Man weiß 112 eben, Märchen sind Märchen und können niemals zur Wirklichkeit werden.

So ist ihm das Meer und alles Land dahinter zu einem schönen Märchen geworden ohne Wünschen und Verlangen. Sie haben ja wohl den Aufzug zum dritten Stock seines Hauses gesehen, den er sich hat machen lassen, und worin er sich selbst an einem Strick in die Höhe zieht, bis er den Blick auf das Haff frei hat. Und da sitzt er manchmal stundenlang, starrt glückselig hinaus und bildet sich ein, er sehe das Meer und dahinter die fernen Länder. Und er selber sagt behaglich, diese Länder, die er da sieht oder träumt, die sind zehnmal schöner als alle, die er vordem mit Füßen betreten hat. Und weil er sie im Geist so ganz deutlich sieht, braucht er keine Sehnsucht mehr darnach zu haben.

Das ist die Lebensgeschichte von Pannemann's Unruhteufel. Was sagen Sie dazu, junge Frau? Können Sie sich darauf vielleicht einen Vers machen?«

»Ja, aber wie denn?« versetzte diese verlegen und unsicher, »auf meinen Mann paßt doch nur die erste Hälfte. Er hat seine gesunden Gliedmaßen und hat seine Unruhe.«

»Ja, ich meine nur,« bemerkte Tante Fritzchen mit grimmiger Gelassenheit, »Sie müssen sich überlegen, wie Sie Ihren Mann lieber haben wollen, zappelig und unruhig auf ganzen Beinen oder auf 113 Stelzfüßen vernünftig und häuslich. Ziehen Sie Letzteres vor, so brauchen Sie ja nur zum Beispiel bei einer Sternschnuppe so etwas zu wünschen; das geht dann in Erfüllung.«

Die junge Frau machte eine Gebärde erschrockener Abwehr.

»Nun, dann fügen Sie sich in das Unvermeidliche,« sagte Tante Fritzchen kühl, »und lassen Sie ihn zappeln, so lang' er zappeln kann. – Wenn Sie übrigens wollen, können Sie ihn mir immerhin einmal herschicken. Ich will die Geschichte doch auch ihm mal erzählen. Helfen wird sie zwar nicht, aber schaden kann sie erst recht nicht. Also meinetwegen; wenn er herfindet, erzählen will ich.«

»Ach ja!« rief das Frauchen mit hoffnungsvoller Dankbarkeit, »wenn Sie ihm das oder etwas Anderes sagen, hilft es schon sicher. Er hat vor Ihnen einen heillosen Respect! Na, Sie wissen ja schon – wie die andern Männer auch.«

Hier verrieth Tante Fritzchen's strenges Gesicht eine unverkennbare Genugthuung, und sie sprach beinahe gütig:

»Schicken Sie nur Ihren Mann; ich will sehen, was ich thun kann.«

 


 


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