Hans Hoffmann
Tante Fritzchen
Hans Hoffmann

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Der Kahnschiffer.

So – so – so!« sagte Tante Fritzchen unangenehm überrascht und ordentlich aufgeregt, »Sie also wollen Geld haben? Sie, Petri, Sie? Wissen Sie, daß mir das sonderbar vorkommt? Von manchem Andern ist man so etwas ja gewöhnt, Sie aber waren bisher ein sehr ordentlicher Mensch: und Ihr Auskommen haben Sie auch: grade im letzten Jahr haben Sie ein paar schöne Frachten gehabt; und wenn Sie den Kahn noch eine fünf Jahr' so weiter fuhren, waren Sie ein gemachter Mann und konnten sich durch eine achtbare Heirath noch besser ins Fett setzen. Aber es scheint ja nun, als wollten Sie umschlagen und liederlich werden. Das sollte mir leid thun: grade auf Sie habe ich etwas gehalten. Aber jetzt machen Sie wenigstens den Mund auf und sagen Sie offen und ehrlich, wo Sie Ihr Geld gelassen haben und wozu Sie borgen wollen? Nicht wahr, Sie haben 'mal ein bißchen über die Stränge geschlagen?«

»Wie man's nehmen will, Frau Kapitän,« 70 antwortete der Kahnschiffer mit niedergeschlagenen Augen und stand in seiner Baumlänge wirklich wie ein armer Sünder vor der alten Kapitänswittwe, die ihm jetzt im Sitzen kaum bis an die unteren Westenknöpfe reichte. Er bemühte sich, möglichst gebückt zu stehen und sich recht klein zu machen, aber es wollte schlecht gehen. Die kleine Greisin aber war offenbar gewohnt, ihre Augen mit besonderer Kraft von unten nach oben funkeln zu lassen und damit ihre schneidigsten Wirkungen zu erzielen.

»Wie man's nehmen will,« sagte Petri demüthig, »es muß wohl schon richtig sein, denn ich hab' mehr Geld gebraucht, als ich hatte, und brauch' noch mehr; und das hab' ich mein' Tag' immer liederlich genannt, wenn's Andere thaten. Aber es ist so gekommen, so – sehen Sie, Frau Kapitän, ich konnt' wirklich nicht mehr anders.«

»So?« sprach Tante Fritzchen streng, »und das soll wohl eine Entschuldigung sein? Wenn ich nun auch sage, ich kann nicht anders, als das Geld Ihnen verweigern? Also erst heraus mit der Sprache! Welcher Teufel hat Sie geritten! Spiel? Trunk? Frauenzimmer?«

»Wie man's nehmen will,« meinte Petri zerknirscht, »mit 'nem kleinen Frauenzimmer wird es wohl was zu thun gehabt haben.«

71 »Dacht' ich's doch!« rief die alte Dame ärgerlich, »nüchtern und besonnen waren Sie immer, dafür kenn' ich Sie doch. Aber der Teufel kennt seine Leute auch und weiß, wo er seinen Haken einschlagen kann. Es ist schon nicht anders: ein bißchen dumm sind Sie in Allem, was nicht Schifffahrt und Geschäft ist; und da ist's kein Wunder, wenn die Weiber Sie auszuziehen wissen. In welchem Hafen war es denn, Petri? Aber daß Sie sich überhaupt in solche Spelunken verschleppen lassen, hätte ich Ihnen kaum zugetraut.«

»'ne Spelunke ist's eigentlich auch nicht grade gewesen, Frau Kapitän,« sagte der Kahnschiffer bescheiden, »sondern eher, wie man's nehmen will, ein feines, schönes Haus, und das gehörte einem Herrn Konsul in Swinemünde; und das kleine Frauenzimmer war da in Dienst bei den Kindern. Und sie machte mir die Thür auf, als ich mich da melden wollte; und ich wurde sehr roth, weil sie so sehr hübsch war und so schöne blanke Augen und oben auf dem Kopfe so 'nen schönen weißen Tüll hatte; 'ne Haube nicht, aber doch so ähnlich; in Hamburg ist das Mode und sieht immer so vornehm aus; und sie lachte darüber, nämlich über mich: aber nur ganz leise, müssen Sie wissen, und das stand ihr wieder so nett; und sie fing an mit mir zu reden, als wenn wir alte Bekannte 72 wären. Und Sie wissen ja, wie ich so bin, Frau Kapitän, nämlich, wie Sie selbst zugestehen, ein bißchen dumm in allerlei Dingen. Aber sie nahm das nicht übel, sondern hielt es mit mir aus und brachte mich mit der Zeit sogar ganz ordentlich zum Reden. Und so sind wir zusammen bekannt geworden, vor fünf Jahren war es –«

»Und da haben Sie sich in das Mädchen in aller Geschwindigkeit gründlich verplempert?« unterbrach Tante Fritzchen seine mühsame Darstellung mit ebenso viel Ungeduld als ernster Mißbilligung, »und dann natürlich das Geld für sie fortgeschmissen mit vollen Händen, so richtig, wie man sagt, zum Fenster hinaus –«

»Wie man's nehmen will,« sagte der Schiffer, »und richtig ist, daß ich sie gern heirathen wollt' und sie mich auch. Aber es ging noch nicht; sie war noch zu jung und hatte noch nichts gespart, und ich auch noch nicht genug; und da mußten wir warten. Aber es war sehr schön zu warten, weil ich doch öfter nach Swinemünde kam und dann mal mit ihr ausgehen konnte.«

»So?« rief Tante Fritzchen ärgerlich, »also da draußen scharwenzeln Sie Jahre lang herum und verthun Ihr sauer erworbenes Geld; und hier glaubt man, Sie wollten die Wittwe Mohnike heirathen, die doch eine stattliche Person ist und 73 gesetzt und ehrbar und ein bißchen was hinter sich hat, nicht bloß das schöne Haus in der Marktstraße, sondern auch sonst ordentlich was Blankes. Das war eine für Sie und nicht solche hergelaufene Dirn', oder nicht mal hergelaufen, sondern zu der Sie erst hinlaufen müssen. Und die ist Ihnen natürlich auch nicht treu geblieben; so sind ja solche Ausländ'schen, und Ihr Geld sind Sie los zusammt dem Frauenzimmer. Das haben Sie davon. Sie sind wirklich ein bißchen dumm, Petri. Ob die Mohniken Sie jetzt noch nimmt, ist doch sehr die Frage. Sie haben sich richtig zwischen zwei Stühle gesetzt.«

»Wie man's nehmen will,« sagte der Kahnschiffer, »daß mit der Mohniken ist Geklatsch von den Leuten, ich weiß nichts davon. Ich hab' ja nichts gegen sie; und daß sie ein bißchen was hat, könnt' mir ganz recht sein. Und es hätt' ja am End' auch was werden können, wenn die Andere nicht gewesen wär'. Aber die war nun mal da, und Riekchen heißt sie, und das ist doch der schönste Name in der Welt. Und treu ist sie mir geblieben all' die fünf Jahre, und gespart hat sie auch und ich erst recht. Und heut vor vier Wochen hab' ich sie geheirathet. Ich konnt' nun doch nicht länger warten, ich hielt's nicht mehr aus.«

»Ei der Tausend!« rief Tante Fritzchen in 74 höchster Ueberraschung. »Aber Mensch, und das sagen Sie erst jetzt? Das ist ja ganz was anders. Und mir reden Sie hier vor, Sie wären liederlich geworden!«

»Wie man's nehmen will, Frau Kapitän,« sagte Petri ruhig, »ich hab' nur gemeint, weil wir's eigentlich doch noch nicht so ganz dazu hatten. So zur Noth ging's ja; wir konnten uns das Nöthigste beschaffen, was wir so brauchten, und zum Leben konnt' ja wohl mein Einkommen reichen.«

»Nun, da seien Sie zufrieden,« sprach Tante Fritzchen, »wenn Ihr beide ordentlich bleibt, wird Gott schon weiter helfen. Aber vorher anzeigen konnten Sie mir Ihre Heirath doch wohl; ein kleines Hochzeitsgeschenk bin ich meinen Leuten am Ende schuldig.«

»Mau mag nicht so grade betteln,« erklärte der Schiffer einfach.

»Darin denken die reichen Leute anders,« meinte sie lächelnd. »Aber eines merken Sie sich, Petri; ich hoffe zwar, Sie werden sich durchschlagen: doch sollte Ihnen ja ein Unglück dazwischen kommen, so wissen Sie wohl: ich bin noch da, Ihnen beizuspringen. Bloß wegen richtiger Liederlichkeit thät' ich's nicht gerne. Jetzt aber heraus mit der Sprache: wozu wollen Sie heut' das Geld? Sie müßten doch auskommen, die erste Zeit am leichtesten, 75 wo noch keine Kinder da sind. Oder wollen Sie jetzt anfangen, liederlich zu werden? Unnöthige Ausgaben zu machen? Wohl einen hübschen Schmuck kaufen für die Frau Eheliebste?«

»Wie man's nehmen will,« sagte Petri ganz ruhig, nur mit einem sonderbar müden Ton seiner eben noch so festen und gleichmäßigen Stimme, »viel Schmuck braucht's ja nicht zu sein, aber ein paar Blumen und Kränze und Palmenzweige und so was soll sie doch haben. Aber das könnt' ich Alles noch zahlen, so weit langt es bequem: bloß die Särge machen es so theuer und die Plätze auf dem Kirchhof und dann auch der Pastor. Aber sehen Sie, Frau Kapitän, ohne Pastor möcht' ich sie nicht unter die Erde bringen lassen. Lieber will ich borgen, zum ersten Mal in meinem Leben.«

»Unter die Erde?« rief Tante Fritzchen entsetzt und riß die Augen weit auf: »Mensch, was reden Sie da? Um des Himmels willen, Ihre junge Frau ist doch nicht todt? Das ist ja ganz undenkbar.«

»Wie man's nehmen will,« sprach Petri langsam, »ich hab' erst auch nicht daran glauben wollen, aber der Doktor sagt's und den Todtenschein hab' ich. Da wird's wohl so sein müssen.«

»Aber das ist ja ganz entsetzlich!« rief sie tief ergriffen, »das ist ja trostlos. So nach vier 76 Wochen! Nicht auszudenken ist es. Und Sie sagen das so ruhig.«

»Wie man's nehmen will,« sagte der Schiffer, »es ist nichts dagegen zu machen. Was todt ist, ist todt.«

»Und wie ist das Unglück geschehen?« fragte sie theilnahmvoll, »eine plötzliche Krankheit?«

Er schüttelte den Kopf. »Sie war so gesund wie ein Fisch im Wasser. Und so frisch und vergnügt den ganzen Tag und hat immerfort gesungen. Es ist kein krankes Haar an ihr gewesen. Aber das Leben auf dem Kahn war sie ja nicht so von Jugend auf gewöhnt; sie konnte noch nicht so fest darauf gehen. So ist sie ausgeglitten und über Bord gefallen. Und weg war sie. Ich war nicht dabei; und die Leute, die es von Weitem gesehen haben, sind nicht schnell genug mit der Hülfe zur Hand gewesen. Sie war nicht wieder zum Leben zu bringen.«

»Schrecklich! Schrecklich!« rief Tante Fritzchen, und die Thränen liefen ihr über die Backen, »es ist ein Glück und Segen, daß Sie ein so ruhiger Mensch sind. Ein Anderer würde einfach verzweifeln.«

»Wie man's nehmen will,« sagte der Schiffer.

»Daß ich Ihnen das Geld gebe für den Sarg und das Andre, ist selbstverständlich,« fuhr sie eifrig 77 fort, »– aber Sie sprechen da von Särgen: ist denn noch Jemand verunglückt?«

»Nein,« sagte er still, »so viel ich weiß, nicht. Aber sehen Sie, Frau Kapitän, wenn ich gleich zwei Särge nehm', krieg' ich sie ein bißchen billiger; und das möcht' ich gern, weil es doch für Ihr Geld ist. Und brauchen thue ich ihn ja doch dann bald.«

»Um Gotteswillen, für wen?« fragte sie leise erschaudernd.

»Na, für mich,« sagte er gleichmüthig, »sehen Sie, und der muß ein bißchen groß sein, das macht ihn wieder theurer.«

»Petri! Petri!« rief Tante Fritzchen erschrocken und etwas entrüstet, »Sie werden doch nicht gottlose Gedanken haben? Sie werden sich doch nicht etwa ein Leids anthun wollen? Solche Schlechtigkeit kann ich von Ihnen kaum glauben! Aber wie können Sie auch bloß so etwas reden?«

»Wie man's nehmen will,« sagte der Kahnschiffer, »aber ich red' ja so was gar nicht. Das wär' ja rein sündhaft. Ich mein' das nur so: der liebe Gott wird schon selbst dafür sorgen, daß ich bald zu meinem Riekchen unter die Erde komme. Aushalten kann ja so was der Mensch nicht; da muß er dran sterben. Manches kann er aushalten, aber dies nicht. Wenn Sie mein Riekchen gekannt hätten, würden Sie's selbst sagen, Frau Kapitän.«

78 Tante Fritzchen bemühte sich vergebens, ihre Thränen zu unterdrücken oder auch nur ein wenig einzudämmen. Aber das gelang ihr doch, ganz ruhig zu ihm zu reden:

»Ich will Ihnen etwas sagen, Petri. Ich möcht' hier wirklich auch mal sagen: Wie man's nehmen will. Natürlich, wenn Sie sich jetzt hinsetzen und die Tage über nichts thun, als auf Ihrem Unglück herumhocken, dann kann es wohl sein, daß Sie daran eingehen. Aber, lieber Freund, ich sag' Ihnen, das gibt's nicht. Das dulde ich nicht. Ich will Ihnen hier keine Trostsprüche herbeten und kein ›Kopf hoch!‹ zurufen; das nützt doch zu gar nichts. Aber jetzt hören Sie! Es soll ein sehr anständiges Begräbniß werden, dafür will ich sorgen. Auf dem Fleck geb' ich Ihnen das Geld – aber nicht geschenkt! Davon ist keine Rede. Und Sie würden's auch nicht mal wollen. Aber wenn Sie jetzt in der Kürze sterben, wer soll mir nachher denn mein Geld zurückzahlen? Ich käme einfach drum; Sie würden mich darum betrügen mit Ihrem Sterben. Und das werden Sie nicht wollen, dazu sind Sie ein zu ordentlicher Mensch. Also ist es vorläufig nichts mit dem Sterben. Erst heißt es, Ihre Schuld abzahlen oder abarbeiten. Wenn das geschehen ist – ein Jahr wird's ja dauern, vielleicht noch ein bißchen länger – dann 79 können Sie sterben, so viel Sie wollen. – Nein, aber dann auch noch nicht. Dann müssen Sie erst das Geld für Ihren eigenen Sarg und alle Zubehör verdienen. Denn das wissen Sie doch ganz gut: ich lasse meine Schiffer nicht in einen Armensarg legen, wenn sie ohne Geld sterben, und ich lasse sie nicht ohne Sang und Klang wegtragen. Also darum würden Sie mich wieder betrügen. Und das thun Sie nicht, dafür kenn' ich Sie doch. So lange also bleiben Sie erst mal hübsch leben; haben Sie mich verstanden?«

Tante Fritzchen sah wieder gewaltig streng, ja wahrhaft grimmig aus unter diesen ihren Worten.

Petri wischte sich jetzt zum ersten Mal eine Thräne aus den Augen.

»Nehmen Sie's man nicht übel, Frau Kapitän, daß ich daran nicht gleich gedacht habe,« sagte er zerknirscht, »und Recht haben Sie ja damit: so lange muß ich leben. Es wird ein sauer Stück Arbeit, weil es so lang' dauern wird. Aber daran ist nichts zu ändern. Ich hatt' es mir so schön gedacht, bald mit meinem Riekchen wieder zusammen zu sein. Aber das geht ja nun nicht. Wir müssen beide noch mal wieder warten lernen. Aber wir sind ja darin nun schon geübt. Fünf Jahre hat's gedauert, ehe wir zusammen kamen, und so lange wird es wohl auch jetzt wieder dauern, wenn ich Alles richtig zusammen nehme und mich nicht lumpen lassen will. Aber zuletzt hat Alles ein Ende, oder wie man's nehmen will.«

Tante Fritzchen ging jetzt zu ihrem Geldschrank und murmelte leise so vor sich hin:

»Auch die Trauer und die Sehnsucht haben ein Ende, oder wie man's nehmen will. Ich hab' es damals auch nicht geglaubt, daß es sein könnte, aber es ist doch so. Man lernt wieder leben.«

Der Mann hörte nichts davon; er schluchzte jetzt so laut, daß er für nichts mehr ein Ohr hatte.

 


 


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