Hans Hoffmann
Tante Fritzchen
Hans Hoffmann

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Das Tauende.

Ich kannte es sehr wohl, dieses Tauende, das da in Tante Fritzchens Wohnzimmer so schlaff und gleichgültig und doch so still bedrohlich von einem Nagel herabhing; ich kannte es seit meiner frühesten Kindheit und vermuthete ziemlich bestimmt, daß es seine Geschichte habe; denn ganz bedeutungslos war nicht leicht ein Gegenstand in diesen Räumen, am wenigsten ein solcher, der sonst in Damengemächern nicht gerade gewöhnlich ist. Denn, wie man weiß, dient so ein Tauende, nachdem es sonst ausgedient hat, immer noch zum Prügeln, und zwar zum männlich gediegenen Prügeln.

Ich hatte aber niemals nach seiner geheimen Bedeutung hier gefragt; denn solches vorwitzige Fragen hatte etwas Mißliches bei Tante Fritzchen; man stieß damit manchmal ahnungslos auf eine empfindliche Stelle, und sie kehrte dann leicht ihre sehr unangenehme Seite heraus. Und gerade bei einem Tauende: wer konnte wissen, ob sie einem dessen Daseinszweck nicht in nur zu sinnfälliger 84 Weise klar legte. Natürlich fürchtete ich so etwas ernstlich nur, so lange ich Kind war; aber die Scheu, zu fragen, blieb mir auch später.

Diese vieljährige Geduld und Entsagung ward nun endlich belohnt. Eines Tages hatte ich ohne mein Zuthun den unverhofften Genuß, den Prügel in nachdrücklichster Thätigkeit zu erblicken. Und ich kann wohl sagen, ich habe nicht leicht etwas Komischeres gesehen als die kleine, alte Dame, wie sie mit wunderwürdiger Kraft und Ausdauer auf einen lang aufgeschossenen Schlingel von siebzehn oder achtzehn Jahren losdrosch, der ihr Persönchen mit einem einzigen Schlage seiner derben Pranke hätte zu Boden strecken können.

Das that er aber durchaus nicht; er machte nicht den leisesten Versuch, sich ihres Grimmes zu erwehren, beugte sich vielmehr anscheinend geflissentlich noch etwas nieder, wie um die Schläge mit seinem breiten Buckel besser auffangen zu können. Und doch zweifelte ich nach Maßgabe eigener Jugendeindrücke nicht, daß diese Schläge sehr fühlbar waren selbst für einen Matrosen, der von seiner Schiffsjungenzeit her noch rückseitige Schwielen hat. Denn so winzig sie von Gestalt auch war, an gesunder Kraft fehlte es ihr auch im Alter nicht, zumal wenn sie es ernst meinte; und das war hier ersichtlich der Fall. Auch verrieth ein 85 recht schmerzliches Zucken im Gesicht des Bengels, daß der Ernst ihm sehr merkbar wurde.

Endlich waren ihre Kräfte denn doch erschöpft; matter und langsamer dröhnten ihre Hiebe, und sie mußte von ihm ablassen.

»So, nun lauf und bedanke Dich, Lümmel!« sprach sie schwer athmend und ließ das Tauende schlenkernd noch etwas nachschwuppen.

Und das that er denn wirklich; mit einer ungeschickten Verbeugung und scheu dankenden Blicken schlakste er hinaus.

»So, dem hab' ich ein paar Wochen Gefängniß und die Schande erspart,« sagte sie befriedigt, »der Racker hat gestohlen. Ja, ja, Ordnung regiert die Welt und der Knüppel den Hund und das Tauende den Matrosen,« fügte sie mit kräftiger Betonung hinzu.

Sie setzte sich in ihren Korbstuhl und that einige tiefe Athemzüge; das Tau aber hielt sie fest in der Hand und ließ es munter wippen, als ob sie noch Lust hätte zu weiteren Thaten. Da ich aber kürzlich mein Abiturientenexamen bestanden hatte und auch sonst ein fast völlig sauberes Gewissen besaß, fürchtete ich mich nicht, sondern setzte mich zutraulich sogar ganz in ihren Machtbereich und wartete, ob sie nicht noch etwas Weiteres dazu bemerken würde. Denn ihr Gesicht 86 sah so aus, als ob sie sich sachte in alte Erinnerungen verlöre. Das gab immer Hoffnung auf eine Geschichte, wenn man's abwarten konnte und sie nicht aufstöberte durch eine vorzeitige Frage.

Und richtig, auf einmal begann sie gemächlich zu erzählen:

»Als ganz junge Frau bin ich ein paarmal mit meinem Manne über See gewesen; später hab' ich's gelassen, obgleich es mir sauer genug wurde, allein zu Hause zu bleiben; aber ich hatte gelernt, daß Weiber nicht aufs Schiff gehören. Auf einem Haffkahn, na ja, da können sie sich nützlich machen, aber auf ordentlichen Seeschiffen sind wir nicht zu brauchen. Und auf welche Art ich das erkannt habe, will ich Dir erzählen, obgleich ich sonst gern über die Geschichte schweige. Denn die Welt ist heutzutage zu zimperlich geworden, um sie richtig zu verstehen.

»Also mein Mann fuhr damals die große schöne Bark ›Stubbenkammer‹ nach Australien, nach Melbourne, und nahm mich mit. Wir hatten einundzwanzig Mann Besatzung, darunter allerhand bedenkliches Gesindel aus fremden Häfen; auch ein Holländer und ein Däne waren dabei. Mein Mann hatte das Volk nehmen müssen, um keine Zeit zu verlieren, denn die Leute waren grade sehr knapp, weil zu viele auf englischen Schiffen dienten. Aber 87 er traute den meisten gleich nicht über den Weg und hielt sie von Anfang an so stramm wie möglich und ließ das Tauende fleißig unter ihnen tanzen.

»Diese Zucht that denn auch ihre Wirkung, die Kerle wurden wahrhaftig zahm wie die Lämmer und dabei fest im Dienst, daß es eine Freude zu sehen war. Und gegen mich die Gefälligkeit und Höflichkeit selbst, so weit einem Matrosen das möglich ist.

»Das war ja nun gewißlich die reine Eitelkeit von mir, aber ich kanns nicht leugnen, mir schmeichelte das, und ich fing an, Mitleid mit ihnen zu fühlen, daß sie für jedes kleine Vergehen gleich mit Prügeln bedient wurden; und ich fand das auch gegen die Menschenwürde: denn solche Redensarten liefen damals überall in den Zeitungen herum, und man konnte sich ihrer nicht erwehren: man sog sie so ein und wußte nicht, wie. Und für Frauenzimmer ist so was besonders gefährlich, weil wir schon von Natur ein bißchen wehleidig sind.

»Ich ging also meinem Manne so sachte um den Bart, er möchte doch die Leute ein bißchen menschlicher behandeln, sie wären ja ganz musterhaft sowohl in ihrer Arbeit wie in ihrem Betragen. Das ewige Prügeln wär' eine nutzlose Grausamkeit: ein freundliches Mahnwort zur rechten Zeit thäte gewiß die gleiche oder noch viel bessere Wirkung.

88 »Anfangs lachte er gemüthlich über mein Gehabe; dann wurde er manchmal doch ein bißchen ärgerlich und wies mich ernsthaft zurück. Ich aber ließ nun erst recht nicht nach in meinem schönen Bemühen und bildete mir ein, eine edle Kulturmission mit meinen Betteleien zu erfüllen. Wenn ich zufällig Zeugin war, wie ein Kerl seine Tracht ausbezahlt erhielt, legte ich mich aufs Schmollen und that, als müßte ich darin eine mir absichtlich zugefügte Beleidigung erblicken.

»Meinem Manne aber muß ich zu seiner Ehre nachsagen: er hat sich tapfer gegen mich gehalten und sich durchaus nicht so leichthin beschwatzen lassen. Eines Tages aber entschlüpfte ihm im Drange der Vertheidigung gegen mein Geplapper eine Grobheit, die ein bißchen kräftiger war als nöthig; und das wurde sein Unglück. Denn alsbald fühlte er sich im Unrecht gegen mich und glaubte etwas gut machen zu müssen. Und so fing er an nachzugeben; dem nächsten Sünder erließ er wirklich die Prügel und begnügte sich mit einer lahmen Verwarnung.

»Natürlich that das nun durchaus nicht gleich Schaden, wenigstens keinen offen merkbaren, und jetzt kriegte ich Oberwasser, legte los mit meinem ›Siehst Du wohl!‹ und brachte ihn auf die Art immer weiter dahin, die wüsten Burschen ungefähr 89 wie höhere Töchter zu behandeln. Und ich kann sagen, zu mir wurden sie nun noch immer netter, denn sie merkten ja wohl, woher dieser sanfte Wind wehte. Das rührte mich natürlich wieder oder kitzelte mich, und ich verfolgte meine humanen Bestrebungen nur um so eifriger. Und übrigens hatte mein Mann von meiner Seite her jetzt wirklich gute Tage.

»Trotz alledem fiel mir's mehr und mehr auf, daß er gar nicht sehr vergnügt war, sondern offenbar durch irgend etwas beunruhigt und aufgeregt wurde, das er mir Anfangs nicht sagen wollte. Allmählich aber kriegte ich es doch heraus: die Leute fingen an, sich faul und nachlässig zu zeigen, und das wurde ihm unter den Händen schlimmer und mit jedem Tage merklicher. Bald kamen bedenkliche Dinge vor: Schlafen der Wache auf Deck, stiller Ungehorsam und schwere Betrunkenheit, die nur durch einen Diebstahl von Schnaps ermöglicht worden, waren nichts Unerhörtes mehr.

»Als mein Mann hiervon Andeutung machte, und ich es selbst dann beobachtete, wurde ich freilich sehr kleinlaut, meinte aber doch, das werde wohl Alles leicht wieder in Ordnung kommen, wenn jetzt die Zucht wieder etwas verschärft würde, da es ganz im Guten offenbar nicht ginge.

»Da aber war er es, der an solche Maßregel 90 nicht recht heran wollte, merkwürdiger Weise. Er schien von der Richtigkeit meiner menschenfreundlichen Grundsätze auf einmal felsenfest überzeugt, jetzt da ich selbst stark ins Wanken gekommen war. Dabei sah er doch täglich sorgenvoller aus, und so setzte auch auf mich sich immer schwerer ein dumpfes Bangen.

»Einmal entfuhr es ihm: ›Wenn wir jetzt bald Land in Sicht bekämen, könnt' noch Alles gut werden. Eine kurze Zeit geht's noch so hin, und wenn sie Land wittern, werden sie zahm.‹

»Das war keine glänzende Hoffnung, denn wir waren noch nicht sehr lange ums Kap herum und segelten recht mitten auf dem indischen Ocean. Indessen ich suchte mich zu trösten: ›Zahm sind sie ja doch auch jetzt noch und nicht eigentlich aufsässig: und die andern Sünden können nicht so schlimm sein, wenn nicht ein besonderes Unglück dazu kommt.‹ Laut wagte ich aber schon gar nichts mehr darüber mitzureden. Leid that mir mein Mann, der sich jetzt doppelt anstrengte, überall auf dem Posten war und fast nicht mehr zum Schlafen kam. Ich suchte ihm das wohl durch verdoppelte Zärtlichkeit zu vergüten, vermochte ihn aber niemals zu einiger Heiterkeit zu stimmen.

»Und da kam eines Tages der große Krach, 91 den er heimlich vorausgesehen hatte. Die Kerle nämlich trieben es täglich ärger, verlotterten ganz und gar, tranken sich voll und toll, schliefen ihren Rausch aus und waren zu rechtschaffener Arbeit kaum mehr zu bringen. Da half denn nichts: sollten wir nicht mit dem Schiffe in beständiger Todesgefahr schweben, so mußte denn doch das Tauende wieder heran.

»Mein Mann kriegte also den Schlimmsten von dem Gesindel zu fassen, der Holländer war es, und drosch ihm das Fell in der alten Art, daß es nur so klatschte, wie wenn beim Sturm die Segel klappen.

»Ein Glück aber war's, daß der Halunke ganz schwer betrunken war und gar keine Kraft mehr hatte; sonst hätt' es wahrscheinlich gleich Mord und Todtschlag gegeben. Es war scheußlich zu sehen, wie er mit Händen und Füßen strampelte und stieß, und wie er die giftigen Augen dabei verdrehte. Mir kamen die Thränen vor Angst und Entsetzen.

»Aber mein Mann kriegte ihn unter. Die andern Kerle, die dabei standen und zusahen, machten aber auch ganz andere Gesichter dazu als früher, richtig so, als hätten sie's ganz gern gesehen, wenn ihr Kapitän unterlegen und von seinem Matrosen halb oder auch ganz todt wär' 92 geschlagen worden. Doch als er ihnen den Gefallen nicht that, verhielten sie sich ruhig und wagten nicht einzugreifen.

»Von da an führte das Tauende wieder ein scharfes Regiment auf dem Schiffe. Ich aber hatte bei jeder solchen Bestrafung eines Matrosen das dunkle Gefühl, daß es auf Tod und Leben ginge. Jeder Einzelne benahm sich so ganz anders dabei, als das früher gewesen war. Einer immer bockbeiniger und kratzbürstiger als der Andere, und jedesmal wurde es noch ein bißchen schlimmer. Mir war entsetzlich unheimlich dabei zu Muth.

»Mein Mann aber und sein Tauende ließen nicht nach in ihrer Arbeit; und da war ja auch kein Zweifel, daß die äußerliche Zucht sich schnell wieder besserte. Bloß daß ich die Angst nicht los wurde vor irgend einem plötzlichen Wuthausbruch eines erbosten Lümmels oder gar vor einer rachsüchtigen Hinterlist. Denn ich fing manchmal Blicke auf von so hinterhältiger Heimtücke, daß mir' s kalt über den Rücken lief.

»Diese Stimmung auf dem Schiffe war auf die Länge nun ganz erdrückend wie eine schwüle Windstille in dieser südlichen See. Und meinem Manne sah ich's an, daß er förmlich krank davon wurde. Und es ist möglich, daß er jetzt manchmal 93 zuschlug, wo es nicht so sehr nöthig war, was er früher nie gethan hatte.

»Inzwischen aber wurde die Haltung der Mannschaft auf einmal wieder musterhaft; die Kerle waren auf dem Posten wie kaum je im Anfang und thaten ihre Arbeit, daß es eine Lust zu sehen gewesen wäre, wenn sie nur nicht dabei so ein dumpfes, scheu brütendes und verbissnes Wesen an sich gehabt hätten, daß man doch merkte, sie thaten es nicht aus Freude und Güte, sondern aus einem andern, geheimeren Grunde. Und ich kann wohl sagen, mir war erst recht nicht wohl dabei ums Herz; ich hätte sie noch lieber manchmal aufsässig und trotzig gesehen. Und meinem Manne sah ich auch an, daß er sich etwas dabei dachte; schon daß er das Tauende zu gebrauchen gar keine Gelegenheit fand, that ihm nicht gut in seiner jetzigen Stimmung. Er lag so ewig auf der Lauer und kriegte beinahe so was Dumpfes und Scheues wie die Leute selbst.

»Wahrscheinlich hätte die Sache nun wirklich ein schreckliches Ende genommen, wenn nicht ein Zufall uns zu Hülfe gekommen wäre. Eines Tages glaubte ich zu bemerken, wie ich das Achterdeck entlang ging, daß der eine Schiffsjunge, der da zu thun hatte, mir offenbar auszuweichen suchte und sich in sonderbarer Weise hinter dem Segel versteckte.

94 »Halt, dachte ich gleich, der muß ein schlechtes Gewissen haben – aber doch immer ein Gewissen! Wenn du dem kräftig zu Leibe gehst, kann wohl etwas kund werden.

»Ich trat darum sofort dicht an ihn heran und sah ihm scharf, aber ganz ruhig ins Gesicht. Und da kriegte der arme Bengel aber so das Zittern, daß es ein Elend zu sehen war, und wurde blaß wie die Leinwand, und die Augen hätte er am liebsten in die Westentasche gesteckt.

»Nun, da wußt' ich Bescheid, daß etwas im Werke war; ich wußte aber zugleich, daß dieser dumme Junge kein Rädelsführer war. Ich nahm ihn also ganz still bei der Jacke und sagte mit recht gleichgültiger Miene: ›Solche Heidenangst brauchst Du nicht zu haben, Karl, Du nicht; ans Leben geht es Dir für diesmal noch nicht, Dir nicht: es wird Gnade für Recht ergehen, weil Du bloß der Verführte bist. Und ein offenes Geständniß gibt noch mehr mildernde Umstände; und das wirst Du ja machen. Aber je eher, desto besser für Dich; also komm nur gleich mit zum Kapitän, daß wir Deine Aussage noch mit zu Protokoll nehmen können. Und wenn Du klug bist, sagst Du genau das, was Du nachher vor Gericht aussagen wirst, wenn Du unter dem Eid stehst. Das kommt Dir beim Urtheil dann auch wieder zu 95 Gute. Also komm, mein Jung', aber ein bißchen munter, sonst könnt' es zu spät werden.‹

»Und richtig, der Bengel geht mit mir wie ein Lamm. Aber wie mein Mann ihn in unserer Kajüte ins Gebet nimmt, da gesteht er denn Alles auf dem Fleck und ohne Stocken: daß die Halunken sich insgesammt verschworen haben, beim ersten Schlage, den einer jetzt noch mit dem Tauende kriegen würde, sich Alle zugleich auf meinen Mann zu stürzen und ihn über Bord zu werfen. Und wenn ich etwas sehen sollte oder irgend einen Verdacht schöpfte, müßte ich mit dran glauben.

»Jetzt war es uns ziemlich klar, warum die nichtswürdigen Schlingel in der letzten Zeit sich so musterhaft hielten; sie wollten meinen Mann ins Unrecht setzen, wenn er doch einmal schlüge, und damit sich vor sich selbst entschuldigen. Auch mochte sich Jeder wohl heimlich scheuen, den Anlaß zur Meuterei zu geben und damit der Hauptschuldige zu werden.

»Nun, so wußten wir denn wenigstens, woran wir waren. Gemüthlich war die Lage nicht; aber sie konnte sich allenfalls hinziehen, bis Land in Sicht kam.

»Nach wenigen Tagen aber ging diese Hoffnung verloren. Die Burschen kriegten die Tugend satt und fingen sachte wieder an zu faullenzen und 96 Unfug zu treiben; ja, einige schienen es geradezu darauf anzulegen, meinen Mann zu reizen und es zum Klappen zu bringen.

»Jetzt wurde es Ernst. Wenn er einzuschreiten zögerte, wuchsen sie ihm im Handumdrehen ganz über den Kopf, und bei dem ersten Zwischenfall war das Schiff verloren. Griff er aber zum Tauende, so konnten wir nicht zweifeln, sie würden ihn und wahrscheinlich auch mich ohne viel Federlesens zu den Haifischen spediren. Und wollte er sich bis an die Zähne bewaffnen, gegen die wüste und verzweifelte Rotte konnte er doch niemals aufkommen. Für seine Person zwar würde er es sicherlich darauf gewagt haben; aber wenn er, wie fast gewiß war, unterlag, so konnten sie schon um ihrer eigenen Sicherheit willen mich gar nicht schonen, wenn sie sonst auch vielleicht gewollt hätten. Was also thun?

»Nach einigem Besinnen verfiel ich auf einen absonderlichen Plan, von dem ich meinem Manne aber nur die eine Hälfte sagte. Ich machte ihm den Vorschlag, er solle sich krank melden und in der Kajüte bleiben, natürlich im Geheimen verschanzt und bewaffnet. Das Kommando mußte dann der Steuermann übernehmen. Der war ein notorischer Hasenfuß und konnte uns beim Ausbruch einer Meuterei nichts nutzen, würde sich vielmehr sicherlich aus Angst auf die Seite der 97 Verschwörer wenden; da er aber sonst ein brauchbarer und geschickter Mensch war, konnte er möglicher Weise die Sache hinziehen bis zum nächsten Hafen. Ich wollte dabei im Stillen umher spähen, wie der Hase liefe.

»Daß dies nur ein Strohhalm war, an den wir uns klammerten, verbarg ich mir nicht. Ich hatte aber im Hintergrunde noch einen ganz anderen geheimen Gedanken, davon ich meinem Manne nur nichts sagen durfte; denn er würde nie seine Zustimmung gegeben haben. Schwer genug wurde es mir auch so schon, ihn endlich herumzukriegen; es kam ihm feige und elend vor, sich so zu verkriechen. Nur indem ich ihm wieder und wieder vorstellte, daß gerade meine Rettung diese Maßregel erforderte, ließ er sich zu dem seltsamen Versuche schließlich bereden.

»Als ich ihn so weit hatte, eilte ich schnell auf Deck, angeblich um in der Stille den Steuermann zu rufen. Den suchte ich nun zwar auch alsbald auf, beauftragte ihn aber dann, die ganze Mannschaft vor mir zu versammeln; ich müsse im Namen meines Mannes mit ihnen reden. Das geschah. Da es sich erfand, daß der Holländer, der Haupträdelsführer nach Aussage des Schiffsjungen und überhaupt von Allen der Schlimmste und Gefährlichste, gerade am Ruder war, befahl ich dem 98 Steuermann, ihn so lange abzulösen; denn ich wollte die ganze Meuterbande unter sich und vollzählig vor mir haben. Jener furchtsame Mensch konnte mir durch irgend ein Anzeichen von Schrecken und Schwäche nur Alles verderben.

»So stand ich denn vor der Rotte allein und ohne Waffen. Ein tüchtiges Tauende aber trug ich unter dem Umhang verborgen; damit hoffte ich mich durchzuschlagen – aber wirklich durchzuschlagen in des Wortes erster Bedeutung.

»›Der Kapitän ist krank,‹ berichtete ich kurz mit möglichst kraftvoller Stimme, ›er hat schweres Fieber und phantasirt; er führt schreckliche Reden. Jetzt bildet er sich ein, er sei von Meuterei bedroht und hat alle seine Waffen in Stand gesetzt, er will Jeden niederschießen, der seiner Cabine nahe kommt; mich kennt er zum Glück noch. Darum hab' ich ihn eingeschlossen, daß er unschädlich ist, solange nicht Einer gewaltsam zu ihm eindringen will; und dazu wird wohl Keiner Lust haben.

»›So weit ist Alles in Ordnung. Nun sollte der Steuermann ihn vertreten. Aber seht, Leute, ich weiß, dem fehlt es an rechtem Muth und Entschlossenheit, darum habt ihr auch nicht den rechten heiligen Respect vor ihm, und das ist das Schlimmste, was auf einem Schiffe vorkommen kann. Respect ist wichtiger als die ganze 99 Takelage. Damit will ich hierin für ihn eintreten. Also hört: ihr habt mir heute zu gehorchen als eurem Kapitän. Und das sage ich euch: aufs Wort zu gehorchen. Ich will doch mal sehen, wer von euch infamen Lümmeln die Frechheit haben wird, mir den Respect zu verweigern. Der kann was erleben.‹

»So sprach ich und sah mir die Schlingel mit scharfen Blicken einen nach dem andern an. Ich kann wohl sagen, ich wußte ganz genau, es ging hier um Leben und Tod, und ich konnte in einigen Secunden wie ein Gummiball über Bord fliegen: aber ich hatte in dem Augenblick nicht die leiseste Angst; und das ist wohl zweifellos meine Rettung gewesen. Ich fühlte mich merkwürdig sicher mit meinem Tauende in der Hand; ich hätte beinahe lachen können über die tolle Situation; aber ich machte mit aller Gewalt ein so fürchterliches Gesicht, als ich irgend aufbringen konnte. Und vielleicht habe ich damals in diesem Punkte zuerst etwas gelernt.

»Die Kerle waren vollkommen verblüfft und standen da wie die Maulaffen. Sie hätten wohl Alles in der Welt eher erwartet, als diese Zumuthung, einem Frauenzimmer so ohne Weiteres gehorchen zu sollen. Doch gerade die Ueberraschung hielt sie im Zaum: in etwas so Neues konnten sie sich nicht gleich finden.

100 »Ich paßte scharf auf, an wem ich etwa eine verdächtige Miene oder Gebärde wahrnähme; doch sie sahen wohl eine Minute lang oder noch mehr nur alle ganz gleichmäßig dumm aus.

»Endlich aber begann doch der Holländer ein bißchen seitwärts zu schielen und sein rohes Gesicht zu einem still höhnischen Grinsen zu verziehen.

»Da packte ich den Augenblick, zog mein Tauende hervor und fing an, den Schurken nach allen Regeln der Kunst damit zu bearbeiten.

»Er war einfach ganz steif vor Ueberraschung und so bodenlos benommen, daß er stand wie angewachsen und in fast rührendem Stumpfsinn die Prügel über sich ergehen ließ. Und doch kann ich auf meine Ehre versichern, sie waren kein Kinderspiel, denn ein Tauende hat Schwung auch in einer schwächeren Hand. Blaue Flecken und Striemen hat er zur Genüge gekriegt, so dick sein Fell auch sein mochte.

»Ganz allmählich aber erholte er sich denn doch ein bißchen, machte wieder seine heimtückischen und aufsässigen Augen, und ich konnte merken, jetzt würde er mir wohl bald an die Kehle fahren und mich dann natürlich abthun wie ein junges Huhn. Da ließ ich doch lieber vorläufig von ihm ab und drehte ihm mit einer gleichgültigen Bewegung den Rücken.

101 »So!« sagte ich bloß und das in einem sehr ruhigen Ton.

»Kaum war ich ein paar Schritte von ihnen fortgegangen, da hörte ich hinter mir ein Stampfen und Poltern und zugleich ein ganz unbändiges Gelächter. Und wie ich heimlich herumguckte, sah ich, wie die Andern den Strolch, der hinter mir herwollte, mit Gewalt an den Armen festhielten, und wie sie dabei alle herzhaft lachten, nicht tückisch und höhnisch, sondern in ehrlicher Heiterkeit. Da wußte ich, daß ich gewonnen Spiel hatte, nickte ihnen behaglich zu und ging sorglos weiter.

»Und unser Spiel war wirklich gewonnen und blieb es. Zwar mußte ich mir's etwas sauer werden lassen an diesem Tage und Jagdhiebe austheilen hierhin und dorthin, denn Jeder wollte sein Theil haben an der neuen Bescherung aus weiblicher Hand. Aber dann führten sie sich auch gut und arbeiteten wie in ihren besten Tagen im Anfang der Reise, als wenn's ihnen Vergnügen machte, und ordentlich mit einem stillen, fröhlichen Lachen.

»Und mein Mann konnte am andern Tage schon wieder gesund sein und das Kommando übernehmen. Und so kamen wir glücklich nach Melbourne und nachher auch glücklich wieder zurück mit meist denselben Leuten; nur wenigen der bedenklichsten Gesellen hatten wir dort den Laufpaß gegeben.

102 »Von da an bin ich nicht wieder mit auf See gegangen, immer nur bis Swinemünde, denn ich hatte gelernt von dem bösen Vorfall.

»Mit Vergnügen gesehen habe ich das Fuchteln mit dem Tauende niemals, am wenigsten heute es selbst geübt mit meinen alten Händen. Aber manchmal muß es sein, auch wenn es nicht wie damals ums eigene Leben geht. Denn jedes Ding hat seinen Lebenszweck und muß den erfüllen, also auch ein Tauende, wenn es auch für gewöhnlich schon ausgedient hat, ebenso wie ich selbst, und nur noch nachdenklich in Erinnerungen lebt.«

So erzählte Tante Fritzchen, und ich habe den sonderbaren Strick an der Wand seitdem immer mit einiger Hochachtung betrachtet.

 


 


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