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».Daran siehst du, Michel, dass diese ganze Ankündigung, wie seine Kugeln sitzen werden, nichts als leere Prahlerei ist, eine Art Kampfgeschrei, dem Gegner Angst zu machen. Wahrscheinlich hat er das bei den Wilden gelernt, bei denen er sich ja längere Zeit aufgehalten haben soll. Unter uns ist das nicht üblich. Was soll denn das heißen: Erste Kugel – linke Schulter? Wer, der beim Duell nur einigermaßen richtig steht, kann in die linke Schulter getroffen werden? Sonst, bitte, wohin du willst. Nur ausgerechnet die linke Schulter, das ist ganz ausgeschlossen. Außer, du müsstest sie ihm absichtlich zuwenden. Oder er wäre im Besitz des Geheimnisses, wie man um die Ecke schießt. Wir wollen nicht annehmen, dass wir es mit einem Zauberer zu tun haben. Also haben wir es mit einem Renommisten zu tun, und das sind meist die ungefährlichsten Leute.« Also äußerte sich der Student, der für das bevorstehende Duell das Amt des Unparteiischen übernommen hatte. Ihm antwortete, ehe der Geforderte selber zu Wort kam, der Sekundant:

»Mein Lieber, ich muss dich darauf aufmerksam machen, dass es bei uns auch nicht üblich ist, einen Gegner, mit dem man hängt, in irgendeiner Weise herabzusetzen, wozu du unseren guten Michel soeben verleiten willst. Das schickt sich für dich als Unparteiischen schon gar nicht. Willst du ihm damit Mut machen? Ich halte das nach dem, was Michel uns über seine Auffassung von Mut mitgeteilt hat, zum mindesten für überflüssig. Und was die allerdings ein wenig lächerliche Ankündigung: erste Kugel – linke Schulter betrifft, nun, so meine ich dazu, dass wir auf dem Kampfplatz ja auch nicht bloß mit Hirtenstäben in der Hand antreten werden. Michel ist, wenn er auch selber noch nicht im Duell gestanden hat, im Pistolenschießen geübt und bekanntlich einer unsrer sichersten Schützen, ein Schnellschütze, wie man ihn nur selten findet. Es sieht mir ganz danach aus, als ob der Rackelhahn gar nicht erst dazu kommen wird, weder rechts noch links, weder gradaus noch um die Ecke zu schießen. Im übrigen, finde ich, können wir uns nur gratulieren. Michel hat sich für sein erstes Duell nicht den schlechtesten Gegner ausgesucht. Wenn das stimmt, was ich über ihn erfahren habe – alle Achtung! Scheint schon in seiner Jugend ein sonderbarer und recht wilder Vogel gewesen zu sein. Früh flügge, in die Welt hinaus, hat sich, der Himmel weiß wo, herumgetrieben. Hat jetzt auf seinem Gut, das er nur selten noch verlässt, eine sehenswerte Sammlung von Kuriositäten: ausgestopfte Vögel, Krokodile, Waffen von allerlei Völkern. Soll Freunde in allen Erdteilen haben, verkehrt aber im Land nur mit wenigen. Bin aber doch froh, dass er dich, mein guter Michel, nicht auf Pfeil und Bogen gefordert hat. Vor vergifteten Pfeilspitzen hätte ich Angst. Aber nun lass dir, da du ja bei unserer letzten Verhandlung nicht zugegen warst, die genauen Bedingungen noch einmal ausführlich erklären.«

Der mit Michel Angeredete, in diesem Fall also die Hauptperson, erwiderte auf die Ausführungen seiner beiden Freunde nichts. Den Erklärungen, die sie ihm betreffs der Bedingungen gaben, schenkte er bereitwillig die nötige Aufmerksamkeit, ohne jedoch dazu etwas zu sagen.

In dem Augenblick, als die drei sich eine mit zwei Pferden bespannte Mietdroschke, kurz »Zweispänner« genannt, heranwinkten, um nach dem Kampfplatz, einem vor der Stadt gelegenen Wäldchen, hinauszufahren, ging auf dem Bürgersteig jener Student und gewesene Korpsbruder vorüber, dessen mangelhafte »Haltung« der Ausgangspunkt ihres Gespräches über den Mut gewesen war. Er drückte sich bleichen Gesichtes scheu an ihnen vorüber, sie nicht grüßend, wohl weil er gewärtigen musste, dass sie seinen Gruß nicht erwidern würden. Und in dieser Annahme täuschte er sich sicherlich nicht. Denn man grüßt ja nicht einen Menschen, der für einen »nicht mehr existiert«. Im Wagen, dessen breiter Sitz Raum für drei schlanke Gestalten nebeneinander bot, saßen sie in ähnlicher Anordnung, wie sie am Tisch gesessen hatten: Michel in der Mitte, der Unparteiische rechts, der Sekundant links von ihm. Und so werden wir es bei dieser Bezeichnung lassen: der Rechte und der Linke. Der Erzähler mag seine Gründe dafür haben, wenn er die Namen verschweigt. In jedem Fall schafft es für den, der die Geschichte liest oder hört, den Vorteil, dass sein Gedächtnis verschont bleibt mit Namen, die er wahrscheinlich ja doch wieder vergessen würde.

Am vereinbarten Ort fanden sie den Gegner mit zwei Begleitern vor. Der eine war der Sekundant, der die Forderung überbracht hatte. Der andere stellte sich als Arzt vor. Die Studenten kannten ihn nicht. Es war ein Herr von fremdländischem Aussehen mit schwarzem Spitzbart. Die Vorbereitungen wurden getroffen.

Michel empfand nach all den Dünsten einer durchzechten Nacht wohltuend den Waldduft und die frische Kühle des klaren Herbstmorgens. Noch viel wohltuender empfand er die Feststellung, die er an sich selber machte: Er hatte keine Furcht. Da war, so schien es ihm, nichts, das erst zu überwinden gewesen wäre.

Es ging alles in der Weise vor sich, wie es die alten, erfahrungsreichen Regeln des Duells, abgewandelt nach den Gebräuchen der Zeit und des Ortes, vorschreiben. Man wählte den Platz, eine kleine, von Birken und jungen Kiefern umstandene Waldblöße, die übrigens nicht zum erstenmal den Knall von Pistolenschüssen widerhallen sollte. Es war ein für Duelle längst als geeignet befundener, sozusagen ein schon gut eingeschossener Platz. Auch der Waldhüter, der die Aufsicht über das Revier hatte, wusste Bescheid und würde sich, eines guten Trinkgeldes gewärtig, nicht störend bemerkbar machen.

Der Unparteiische schritt die Entfernung ab und bezeichnete durch in den Boden gesteckte kleine Zweige die Stellen, an denen die Duellanten stehen sollten. Entfernung – 15 Schritte. Die vom Linken beantragte Übersteigerung der Bedingungen auf nur 10 Schritte war von der Gegenseite abgelehnt worden. Dagegen hatte man dem Rackelhahn den Vorzug eingeräumt, mit seinen eignen Waffen loszugehen, worin für den Geforderten natürlich eine Verschärfung lag, die aber damit begründet wurde, dass er, der Rackelhahn, ja auch mit einer ihm bisher fremden Waffe, nämlich Brotkugeln, angegriffen worden sei. So hatte er also seinen eigenen Pistolenkasten mitgebracht. Es lagen in ihm zwei prachtvolle alte Duellpistolen, Meisterwerke des zu seiner Zeit berühmten Kuchenreuther, ausgezeichnet gehalten und von feinster Ausführung.

Die Pistolen für die Sekundanten, auf die es ja voraussichtlich nicht weiter ankommen würde, stammten aus dem Besitz des Vaters eines der Studenten und waren, um die Familie nicht unnötig zu beunruhigen, noch während der Nacht heimlich aus dem Haus entwendet worden.

Alle vier Rohre wurden also vom Unparteiischen unter Beisein der beiden Sekundanten geladen. Hierauf wurde, wie das so üblich ist, gelost. Der Rackelhahn, als der Beleidigte, durfte zuerst ziehen und zog die Nummer 2, die, nach Aberglauben oder Erfahrung als die glücklichere gilt. Bis auf den Arzt, der, Zigaretten rauchend, sich abseits hielt, nahm nun jeder den ihm angewiesenen Platz ein: Die Sekundanten ein paar Schritte linker Hand ihrer Parten, der Unparteiische in der Mitte, das heißt natürlich nicht in der Schusslinie, aber in gleicher Entfernung von den beiden Duellanten. Es folgte als nunmehr fällige Formalität die Aufforderung, sich zu versöhnen, die, mit Schweigen beantwortet, als abgelehnt galt. Hierauf wurden die Bedingungen noch einmal genau formuliert: Dreimaliger Kugelwechsel. Tritt bei einem der Duellanten vorzeitige Kampfunfähigkeit ein, wird bis zu seiner Wiederherstellung die Fortsetzung des Zweikampfes vertagt. Zielzeit: 5 Sekunden. Noch standen die beiden Partner unbewaffnet einander gegenüber. Langsam und deutlich sprechend, setzte der Unparteiische seine zum Ritual gehörenden Ausführungen fort: »Ich werde sprechen: Rüstet euch! Wonach die Sekundanten, jeder seinem Parten, die Waffen überreichen. Ich frage dann: Seid ihr fertig? – worauf ich mit ›fertig‹ zu antworten bitte. Dann werde ich: eins, zwei und drei zählen. Zwischen eins und zwei liegen drei, zwischen zwei und drei zwei Sekunden. Wer vor eins oder nach drei zielt oder schießt, hat die Kugel des Gegensekundanten zu erwarten. Vor dem eigentlichen Zählen werde ich ein Probezählen veranstalten.« Er zählte, auf die Uhr in seiner Hand blickend: »Eins«, ließ drei Sekunden vergehen, »Zwei«, wartete zwei Sekunden, »Drei«. Und dann fielen die schwerwiegenden Worte: »Jetzt gilt's.« »Rüstet euch!«

Michel fühlte, als ihm vom Linken die Pistole in die Hand gedrückt wurde, dass sie sich angenehm anfasste und gut in der Hand lag. Zugleich erinnerte er sich daran, dass er, entgegen den Mahnungen des Linken, sich vorgenommen hatte, ohne jede Übereilung zu zielen. Wenn er, so meinte er, genau auf das Kommando »Zwei« abkam, so würde das als eine Zeitdauer von mittlerer Länge einer auch sonst in jeder Hinsicht tadellosen Haltung am besten entsprechen. Was das Treffen oder Nichttreffen betraf, so müsse man das, dachte er, dem Schicksal überlassen. Denn natürlich schoss man nicht absichtlich daneben. Noch hielt er, wie auch sein Gegner, die Waffe gesenkt. »Seid ihr fertig?« »Fertig – fertig.« » Eins.«

Beide hoben die Pistolen.

Eine Zeit verging, deren genaues Maß nur der Unparteiische kannte, der auf den Sekundenzeiger seiner Uhr sah. »Zwei.«

Kurz nach Michels Schuss knallte auch der Schuss des Rackelhahns.

Michel machte, als habe ihn etwas in Drehung gebracht, eine Wendung nach links, fiel weich ins Gras und war, als der Arzt, ihm beizustehen, herzusprang, bewusstlos.


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