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Fünfzigstes Kapitel

Bis zum frohen Ende

Es war ausgemacht worden, daß Alfred, nachdem seine Wunde endlich geheilt war, vorläufig noch nicht nach Hause käme, sondern in einem Bade erst weitere Hilfe für sein steifes Bein suche, und daß auch ein kurzer Besuch von seiten Blankas keinesfalls stattfinden dürfe. »Darin hat der Alte vollständig recht,« sagte der ›Drakenhöfer‹ einmal zu der über die »harte« Bedingung seufzenden Blanka, »und wenn ihr vernünftig seid, so dankt ihr ihm von Herzen für diese Anordnung, als die beste Wohltat. Ihr müßt, jedes für sich, mit der Vergangenheit abgeschlossen haben und nichts als eure niemals verkümmerte Liebe aus ihr mit in die sonnige Gegenwart herübernehmen. Zeiten und Erfahrungen, wie er und doch in gewissem Sinne auch du sie seit Jahr und Tag und zumal im letzten Sommer durchgemacht habt, die lassen sich nicht so ohne weiteres auf die Seite schieben. Sie und der Mensch selbst brauchen, wenn er ehrlich sein und bleiben will, eine ruhige, feste Selbstzucht und die gebührende Ruhe dazu.« Aber nun war diese Zeit endlich um und erwies sich in allem und jedem auch als eine wirkliche Wohltat für das Paar; denn Blanka hatte auch den letzten Rest der bebenden Scheu und Unsicherheit verloren, womit sie der plötzliche Schritt aus der anscheinend unwiderruflichen Entsagung hinüber zu einem durch nichts gestörten Glück erfüllt hatte, und auch in ihm war es hell und klar geworden, er hatte das Vertrauen auf sich selbst wiedergefunden, und der alte schwere Traum wich restlos zurück. Dazu trug freilich nicht wenig der rasche und glückliche Erfolg der neuen Heilbehandlung bei; der jüngste Brief berichtete sogar, das Bein sei wieder so gelenkig, daß er, der Schreiber, hoffe, sich dem Regiment beim bevorstehenden Rückmarsch anschließen zu können. Und das geschah auch. Das Regiment hatte bei Sedan schwere Verluste gehabt und ward also ins heimatliche Standquartier beordert.

Der Tag des Einzugs war ein großer Festtag für das gesamte Ländchen und besonders für unsere kleine, alte Stadt. Von nah und fern strömte alles herbei, was nur irgend abzukommen vermochte; galt es doch den braven Truppen eine glänzende Genugtuung für die entehrenden Gerüchte zu geben, die, wie es bereits feststand, von den Mirows aufgebracht und verbreitet worden waren.

Der ›Junker‹ mit den Seinen fehlte natürlich am allerwenigsten. Sie kamen alle schon am Tage vor dem Einzuge, und es war gut, daß das eigene Haus ausreichend war, denn an ein Unterkommen in den Gasthöfen wäre nicht zu denken gewesen. Es ging überall knapp her, zumal in den Gegenden, wo die Truppen vorüberziehen sollten. Den Vorzug, an einer dieser Straßen zu liegen, hatte allerdings das Haus unserer Freunde nicht. Zu anderen Zeiten und Verhältnissen hätte das wohl auch nichts zu bedeuten gehabt, da die Kommandantur am Markt günstige Plätze im Überfluß darbot und selbstverständlich der Familie und ihren Freunden offen stand. Allein unter den jetzigen Umständen wollte der ›Junker‹ davon keinen Gebrauch machen, sondern erklärte, unzugänglich für alle Vorstellungen der Seinen, daß er ohne eine ausdrückliche und schickliche Aufforderung Hildegards mit keinem Schritt wieder jenes Haus betrete. »Der teuflische Hochmut muß erst heraus aus ihr!« sagte er hart. Er hatte daher auch zum Einzugstage in einem anderen Hause am Markt die nötigen Fenster bestellen lassen und verbat sich, als Blanka bald nach dem Eintreffen zu den Verwandten gehen wollte, dies mit einer noch nie erhörten Entschiedenheit. Es kam indessen nicht zum Schlimmsten. Als der Diener bald nach der Ankunft mit dem Korbe voll Lebensmitteln hinüberging – der Brauch, den städtischen Verwandten von Zeit zu Zeit Vorräte zu schicken, war gleichwohl aufrechterhalten geblieben – kam Frau Hildegard selber an die Tür und bewirtete den Boten mit einem Glase Wein, und eine Viertelstunde darauf erschien sie mit ihrer Tochter bei den Eltern.

»Nicht wahr, meine Eltern,« sagte sie mit einer von ihr kaum jemals erhorchten flehentlich bewegten Stimme, »Sie können uns unmöglich den Schmerz antun wollen, morgen nicht bei uns zu sein? Moritz würde mir dies nie vergeben, und auch ich selber vermöchte es nicht. Lassen Sie die alten Störungen vergangen sein, und haben Sie Nachsicht mit mir – ich will mir alle Mühe geben, Ihre Liebe wiederzugewinnen!«

Auf solches Wort der stolzen Frau, in deren Augen dabei sogar etwas wie eine Träne zitterte, gab es allerdings kein Ablehnen weiter. Und so schlossen sich am nächsten Morgen die Menkendorfer den übrigen Gästen in der Kommandantur an, und die Festfreude war so allgemein und gehoben, daß davor auch die letzte Verlegenheit und das letzte Unbehagen verschwinden mußte. Hildegard erleichterte dies durch ihre ganze Haltung freilich nicht wenig, ja, selbst zu Blanka sagte sie einmal, ob auch ohne viel Wärme: »Wenn du dich wirklich glücklich fühlst und wahrhaft vertraust, liebes Kind – glaub' es nur, ich und Rosa gönnen es dir nicht weniger treulich als die anderen.«

Und nun – es war nicht mehr weit von Mittag – fingen endlich die Glocken an zu läuten, und aus der Ferne, vom Tor her, klang der ausbrechende Jubel der Volksmassen noch dumpf, aber rasch und immer rascher anschwellend und sich nähernd, lauter und lauter herüber, und dazwischen vernahm man schon das freudige Schmettern der Trompeten. Und nun quoll es denn auch hervor aus der engen Gasse, und ein unermeßliches Hurra schwang sich, von allen Seiten zusammenklingend, brausend zum blauen Himmel auf. – Aber man mußte sich vorderhand mit einer kurzen Begrüßung begnügen, denn gerade die Offiziere fanden vorläufig noch allzu viel Geschäfte, um sich schon den Ihren widmen zu können, und der ›Junker‹ wollt es nicht, daß sie durch ihr jetziges Säumen ihre volle Freiheit auch nur um Minuten verzögerten. Er duldete nur den lustigen Feldscher Busch als Begleiter.

»Du willst den Doktor wohl zur Annahme der Leibarztstelle überreden?« fragte Frau Agnes lächelnd, und der ›Junker‹ versetzte mit Schmunzeln: »Ja, du hast's gut im Sinn! Guck' einmal dahin –« und seine Hand winkte gegen die ›St. Jakobsbrüder‹, von deren Schwelle der alte dicke Peter Jansen einen lauten kräftigen Seemansgruß herüberrief – »und sieh' des Doktors durstige Augen! Da kommen wir noch lange nicht!« – Alfred war der erste, der sich wieder einstellte. Und als er allen die Hände gedrückt hatte und nun der mit schüchternem Glück zu ihm aufschauenden Geliebten sich näherte, da kam ihm der ›Junker‹ mit einem »Sachte, mein Junge!« zuvor. Er zog den Arm der liebenden Blanka in den seinen und trat mit ihr vor den jungen Mann hin. »So, und nun ein rundes Wort und eine runde Antwort! Bist du in dir wieder völlig frei von all' deinen Grillen?«

Der Gefragte begegnete offen dem Blick des Fragers. »Ja!«

»Fühlst du dich wirklich und wahrhaftig würdig des Glücks, nach dem du strebst? Und glaubst du die hier glücklich machen zu können als ein wackerer, herzvoller, ehrenhafter Mann, dein ganzes Leben lang, so daß sie und wir nicht eine Stunde zu bereuen haben, was sie und wir dir anvertrauen sollen?«

»Ich hoffe und erflehe es, Papa!«

Da nahm der ›Junker‹ Blankas Hand aus seinem Arm und legte sie in Alfreds Rechte. Er legte dann auch die eigene Hand auf die beiden vereinten und sprach: »Täuschet euch nicht, Kinder. Wir haben euch beiden von jung auf wohl gewollt und euch lieb gehabt. Aber ob es so zwischen euch hätte werden können, weiß ich nicht. So rasch und leicht wenigstens hätten wir sicher nicht ja und amen gesagt. Aber man hat mit euch beiden frevelhaft gespielt und gewissenlos an euch und eurer Reinheit gesündigt und das Unglück auf eure Wege gerufen. Dafür sind wir euch Ersatz schuldig und leisten ihn. Denn der Alte von Menkendorf bezahlt seine und der Seinen Ehrenschulden bis auf Heller und Pfennig! So nehmt einander hin, und der allmächtige Gott segne euch, wie eure Großeltern es tun.« –

Indem trat der Oberst mit Frau und Tochter ins Zimmer. »Da kommen wir, scheint's, zur guten Stunde!« rief er heiter, als er das junge Paar mit glücklichem Lächeln Hand in Hand sich entgegentreten sah. »Nehmt auch uns wieder auf in euren treuen Bund, meine Eltern und ihr alten Freunde alle! – Die Kämpfe und Wirren haben ein Ende, und der Friede herrsche allüberall, wie am Himmel und auf Erden wieder, so auch in unseren Herzen!«


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