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Dreiundvierzigstes Kapitel

Einblicke, Ausblicke

Zu Drönmitz schien das glänzende Badeleben ein rasches und trübseliges Ende zu nehmen. Und dieses begann also: Baron August machte eine kleine Reise, von der man ihn in ein paar Tagen zurückerwarten sollte – aber er kam nicht wieder. An einem der nächsten Morgen fand sich der Major Grüning von Liepen ein, ließ sich dem Baron Charles vorstellen und entfernte sich mit diesem gemeinsam. Tags darauf brach Frau von Korzin auf, und schließlich entdeckte man, daß auch Frau von Wildenow plötzlich abgereist sei. Es war in diesem vereinzelten und unvermuteten Aufbrechen etwas Unheimliches. Und wie zur Bestätigung dieses Eindrucks tauchte plötzlich – man wußte nicht recht, wie und woher – das Gerücht auf, daß beide Korzin wegen ihres Verkehrs mit dem Feinde in Untersuchung gezogen seien. Bei Frau von Wildenow sollte es sich um etwas Ähnliches handeln. Kein Wunder, da bald darauf bei Kaspar Bloom niemand mehr hauste als Frau Doktor Stephani.

Diese junge Frau, die wir vor Jahr und Tag in fieberhafter Aufregung kennengelernt haben und dann mit überraschender Entschlossenheit aus einem bedenklichen Verhältnis sich aufraffen sahen, hatte sich seitdem in einer Weise verändert, daß man sie kaum noch für dasselbe Menschenkind halten konnte. Eine Ruhe war in ihr ganzes zerfahrenes Wesen gekommen, als habe sie sich erst jetzt im Leben wirklich zurechtgefunden. Sie störte der allgemeine Aufbruch nicht: die Bäder, die sie zuerst versucht, hatten sie sehr angegriffen, und ein anderes Heilverfahren wünschenswert gemacht. Dieses, als sie sich seiner unterzog, zeigte sogleich gute Aussichten. Jedoch es war langwierig und sein Abschluß noch nicht abzusehen. Und so fragte sie ihren Wirt jetzt, ob er sie auch noch weiterhin bei sich behalten könne? Kaspar Bloom kraulte sich zwar ein wenig am Kopf, denn für eine so kleine Kostgängerei zu wirtschaften, war am Ende weder lohnend, noch leicht; allein die »Frau Doktor« hatte es ihm angetan, und er guckte sie daher wohlwollend an und meinte, das werde sich denn wohl machen lassen, man müsse eben sehen, ob man das Notwendige vom Menkendorfer Hofe erhalten könne.

»Ich will nichts von dorther,« lautete aber die Antwort mit kalter Bestimmtheit, wie es der Wirt von der stets ruhigen und freundlichen, mit allem zufriedenen Dame bisher noch nicht vernommen hatte. »Es wird auch so gehen – ich mache keine Ansprüche für mich und die Meinen. Also überlegen Sie's mit Ihrer Frau, Herr Bloom, und ich werde Ihnen sehr dankbar sein, wenn Sie mich noch behalten können. – Ich habe eine ordentliche Angst vor der engen, dumpfen Stadt.« Nach diesen Worten brach sie mit ihren Kindern zu dem Spaziergange auf, den sie morgens nach dem Frühstück, bald am Strande entlang, bald ins Land hinein, alle Tage zu machen pflegte.

Kaspar Bloom schaute ihr mit einem mitleidigen Kopfschütteln nach und sagte dann zu seiner Frau: »Daß Gott erbarm'! Die macht's auch nicht mehr lange mit!«

Zu der gleichen Zeit, wo Frau Klara mit den Kleinen zum Strande hinab und an ihm weiterging, ein passendes Plätzchen fand und von dort, während die Kinderchen mit Schiebkarre und Schaufeln vor ihr im Sande herumspielten, träumerisch in die weite See hinauslauschte, – kamen von der Menkendorfer Seite her, auf der gleichen Strecke zwei Männer im ernsten Gespräch dahergeschritten.

»Ja, ja,« sagte der eine gerade, »so hat Grüning sie nun also doch gepackt, wie er's uns verhieß. Möcht' nur wissen, Junge, ob der Korzin wirklich mit den beiden Schuften schon von alters her bekannt gewesen, oder ob er nur für die lustige Madame Wildenow da ein Tor geworden? Und ob die wirklich noch immer in Verbindung mit dem – dem – Lumpen steht, und wer zu Drömnitz und hier bei mir ihre Zuträger und Botschafter gewesen sind? Sag, Matthies, weißt du mir Antwort darauf?«

»Nun, Herr, am letzten ist nichts Besonderes! Zu Drömnitz ist mehr als einer, der's mit Ahrens hält und wenig besser ist als er. Was aber die Bekanntschaft zwischen dem Herrn und den beiden Schuften angeht – das glaub' ich nicht. Das hat nur die lüderliche Rittmeisterin so ins Werk gerichtet für den Herrn Eugen. Sie war nicht umsonst so eifrig mit dem Baron!«

»Ja, ja, mein Junge, wo eine Eva es auf unsereinen absieht, kommt immer eine Dummheit heraus! – Ich muß übrigens sagen, daß dem Magister und mir dieser Baron August nie besonders gefallen hat!«

»Kann mir's denken, Herr!«

»Junge, mir scheint, du weißt mehr als ich –. Heraus damit!«

»Nun, Herr, ich habe ihn ziemlich häufig im Park gesehen –«

»Du willst doch nicht sagen, Matthies, bei Nacht –?«

»Doch, doch, Herr!«

»Wie? Allein?«

»Ja, Herr, meistens, ein paarmal aber auch mit dem Fräulein.«

»Mit welchem Fräulein?«

»Ei, Euer Gnaden! Da bleibt ja wohl, dächt ich, keine Wahl – das gnädige Fräulein Rosa –«

»Sieh' da! Das ist ja wirklich allerhand! Na, meinetwegen!«

Sie waren inzwischen am Strande immer weitergegangen und nicht mehr weit von Drömnitz. In der Entfernung eines kleinen Büchsenschusses ging langsam eine Dame mit zwei Kindern hin. – Plötzlich machte der ›Junker‹ Halt. »Du, Junge! – sieh einmal, was gibt's da?« Die Gestalt der Dame war nicht mehr zu sehen, aber die Kinder weinten so laut, daß man's bis hierher vernahm. »Da gibt's ein Unglück!« rief Matthies aus und war schon mit raschen Schritten voran, und der ›Junker‹ nach. Und da sie die kleine Strecke zurückgelegt hatten, fanden sie Frau Klara Stephani umgesunken und völlig bewußtlos.

»Lauf' nach Drömnitz, Matthies, und hole Leute und eine Bahre!« befahl Detlef von Gunsleben und kniete vor der anscheinend Leblosen nieder. Aber nein, es war doch noch ein leiser Herzschlag zu fühlen. Und jetzt tat sie auch, obgleich nur für einen Augenblick und ohne ihre Umgebung zu erkennen, die Augen auf. Da erhob sich der alte Herr etwas erleichtert und sagte voll warmer Herzlichkeit zu den armen weinenden Kleinen: »Seid ruhig, Kinderchen, seid nur ruhig! Die Mama wird bald wieder aufwachen und euch freundlich ansehen können.«

Es war fast, als hätten diese Worte Heilkraft gehabt, denn die Darniederliegende schlug jetzt von neuem die Augen auf und lächelte die Kleinen an. Erst dann sah sie auch ihren Helfer und suchte sich, indem ein leises Erröten über das erblaßte Gesicht flog, aus seinem Arm aufzurichten. »Wie danke ich Ihnen, Herr von Gunsleben, daß Sie sich um mich bemühen! Ich hatte eine so seltsame Empfindung am Herzen und fühlte dann eine solche Schwäche, daß mir die Sinne schwanden. Aber es wird schon wieder besser.« Und sie erhob sich, mit einem neuen, etwas förmlich höflichen Lächeln die Unterstützung zurückweisend.

»Machen Sie sich nicht stärker als Sie sind,« – der sichtbar bedenkliche Zustand der jungen Frau und der Anblick der beiden ahnungslosen Kleinen, die, schon wieder getröstet, jauchzend um sie her sprangen, ging dem Sprecher tief zu Herzen, – »warten Sie nur ein paar Augenblicke! Ich habe ins Dorf um eine Trage geschickt; wir wollen Sie ganz bequem heimbringen.«

»Behüte Gott!« sagte sie lebhaft abwehrend und dennoch mit einem dankbaren Blick zu ihm aufschauend, »ich bin es gar nicht gewohnt, so viel Rücksicht auf mich zu nehmen oder nehmen zu lassen. Es hat nichts zu bedeuten – eine Doktorsfrau wird allmählich selber ein bißchen zum Arzt,« fügte sie lächelnd hinzu. »Und jetzt kann ich ganz gut gehen.«

»So nehmen Sie wenigstens meinen Arm, gnädige Frau!« Das tat sie denn auch, und er fühlt' es wohl, daß sie der Unterstützung noch bedurfte. So schritten sie weiter. Und da Matthies und ein paar andere Männer, die ihnen bald entgegenkamen, von ihr bestimmt bedankt wurden, führte der ›Junker‹ sie bis an ihre Wohnung. Da nahm er ihre Hand in seine und sprach herzlich: »Wissen Sie was, junge Frau? Gehen Sie bald in die Stadt zurück. Es könnte doch einmal schlimmer über Sie kommen als jetzt. Ich schicke Ihnen – Renate Stein –«

»Wie? Sie ist bei Ihnen?« unterbrach sie ihn lebhaft.

»Ja, Sie hat uns während des Winters zu großem Dank verpflichtet,« erwiderte er, »und gefiel meiner Frau gleich so gut, daß sie sie zum Mitgehen beredete. Wir haben sie gern und bedauern nur, daß wir sie bald ganz hergeben müssen; denn Sie wissen vielleicht, daß der alte Getreue sich gestellt und gute Aussichten zur vollen Begnadigung hat, ja obendrein in der Nähe ist – der Matthies, den Sie hier sicherlich oft genug und noch eben bei uns gesehen haben – ein braver Junge.«

Sie hatte ihm froh zugehört, und nun sprach sie fast innig: »O, Wie mich das für Renate freut, so unendlich freut! Sie hat mir im vorigen Sommer einmal davon erzählt und mich durch ihre Treue und Geduld zu Tränen gerührt. – Ja, Herr von Gunsleben, die schicken Sie mir – ich freue mich darauf. Es ist so etwas Schönes um ein Menschenkind, daß sich so tapfer zum Glück durcharbeitet.«

Der ›Junker‹ kehrte tief nachdenklich nach Menkendorf zurück. Er war auf dem Pfarrhofe, wo er kurze Zeit einkehrte, wortkarger als sonst, und nicht gesprächiger bei den Seinen am Mittagstisch. –

An diesem Tage kamen auch endlich wieder, und zwar zugleich, mehrere Berichte aus dem Felde nach Menkendorf. Früh nachmittags fuhren die ›Drakenhöfer‹ vor und überbrachten ein Schreiben ihres Sohnes Willi: Er wie Robert hatten den Marsch nach Sedan nicht mitmachen können. Er konnte indessen von den schweren Verlusten melden, die besonders das Offizierkorps dort getroffen hatten. Aber die Hauptsache war, was er über den Zustand des Onkel Moritz und Alfreds mitzuteilen hatte. Moritz war ungeduldig vom Krankenlager aufgestanden, aber schon an einem der folgenden Tage zurückgeführt worden, und das gleiche traf bei Alfred zu. Willi äußerte sich betrübt. Es schien mit beiden nicht gut zu gehen. – Ein paar Stunden darauf brachte die Liepener Posttasche zwei für die Menkendorfer selbst bestimmte Briefe, den einen von dem treuen Doktor Busch, den anderen von Viktoria. Die junge Frau hatte einen Brief voll Zärtlichkeit und innigen Dranges nach Versöhnung an die Großmutter geschrieben. Der Arzt – er hatte sich diesmal kurz gehalten – berichtete dieses: »Es schleicht hier und dort ein unsinniges Gerücht über das ›Malör‹ um, das unser Regiment bei Metz gehabt haben soll. Es hat schon Händel deswegen gegeben, und eben erfahre ich, daß der Divisionär eine Untersuchung zur Entdeckung der Verleumder und Genugtuung verlangt hat. Es kann vom Urheber nur die reine Nichtswürdigkeit sein und gar nicht einmal eine Verwechslung stattgefunden haben, da alles sich in gleicher Musterhaftigkeit bewährt hat. Aber der tatsächliche Gegenbeweis von Sedan ist uns allen dennoch lieb. – Horchen Sie doch daheim umher, ob Ihnen nicht irgendeine Spur sichtbar wird.« – –

Der ›Junker‹, der den Mitteilungen über die Verwundeten, gleich den übrigen, mit ernstem Schweigen gefolgt war, hatte schon bei den ersten Sätzen Buschs den Kopf mit einem Ruck erhoben und mit immer finsterer Stirn und immer zornigerem Blick dem folgenden gelauscht. Jetzt, als der ›Drakenhöfer‹ auffuhr: »Das ist ja eine bodenlose Gemeinheit, und ich –« – da warf er ihm einen versteckt abwinkenden Blick zu und sprach: »Ja, hilf mir nur, und sie sollen glauben, daß der ›Junker‹ sein Recht zu wahren versteht!«

Silberg aber schüttelte geringschätzig den Kopf. »Weiß nicht, wie du dich so über die Albernheit ärgern kannst. Ich habe schon vor Wochen davon gehört und –«

»Und nichts davon gesagt zu uns?« In dieser Frage lag eine fast unheimliche Ruhe.

»Nein, wie du siehst, mein Lieber!« versetzte der Pfarrer kaltblütig. »Damals, wo wir noch keine Nachrichten von den Unseren hatten, hätten wir Grund gehabt zum Zorn. Jetzt, mein' ich, haben wir nur noch Grund zur Verachtung.«

»Und von wem hörtest du davon? Oder scheint dir die Antwort gleichfalls noch nicht zeitgemäß?«

»Weshalb diese Spitze, Detlef? – Baron Mirow sagte mir davon und überließ es mir, Euch davon zu benachrichtigen. Er hatt' es von seinem Sohn als Gerücht vernommen. Ich glaubte aber nicht daran und sagt' ihm das auch und schwieg.«

»Wilhelm Mirow? Der Johanniter?« Diese Laute kamen wie von den Zähnen zermalmt heraus.

»Aber, lieber Vater,« fügte Frau Hildegard mit einem kalten Blick auf den Magister dazwischen, »Mirows werden doch sicherlich keine falschen Gerüchte aufbringen und weiter verbreiten –«

Detlef von Gunsleben faßte die Unterbrecherin mit großem Blick, dann lachte er kurz und schneidend auf und endlich sagte er ganz leise zu seiner Frau: Lies uns nochmals Viktorias Brief vor, Mamachen!«

Hildegards Verhalten wurde für ihre Umgebung tagtäglich peinlicher. Wer den ›Junker‹ genau kannte, konnte, wenn nicht bald ein entschiedenes Einlenken stattfand, über den endlichen Ausgang kaum noch in Zweifel sein. Gab der alte Herr einmal ein bißchen besser als gewöhnlich acht auf solche Erscheinungen, wie Hildegard sie ihm gegenwärtig nur allzu oft darbot, so mußte es sicher zu äußerst unumwundenen Bemerkungen beiderseits kommen, was insofern zu größtem Unheil werden konnte, als in dieser Frau nicht wenig von jenem Dünkel stak, daß eine Dame einem Mann gegenüber unabänderlich im Recht bleiben müsse.

Nach dem Abendessen begleiteten alle außer Hildegard das Silbergsche Paar noch hinaus. Der Abend war von einer ungewöhnlichen Milde und Schönheit und der weite Sternenhimmel wölbte sich in vollster Pracht. Das hielt einen jeden so ein bißchen für sich. Und so fiel es nicht auf, daß der ›Drakenhöfer‹ sich mit einem Mal davon machte und zum Hause zurückkehrte.

Hildegard schaute etwas befremdet auf, als Wolfgang jetzt allein zur Tür hereinkam und fragte mit einem ziemlich unsicheren Spott: »Hast du schon genug Luft geschnappt, Schwager?« Er machte es sich im nächsten Sessel bequem. »Ja, ihr Städter seht jeden Schritt vors Haus wie einen Ausflug an und die freie Luft wie was Fremdes! Bei uns Landleuten ist das anders!« Doch sie ging auf diesen Ton nicht ein und tat auffällig gelangweilt und sagte schließlich wie verloren: »Mich macht diese Fülle von freier Luft sterbensmüde, obendrein, wenn sich damit diese endlose Geselligkeit verbindet.«

»Geselligkeit? Endlose Geselligkeit?!«

»Nun ja, Silbergs sind ja eigentlich immer hier. Wir sind so gut wie nie mehr unter uns.«

»Nie mehr unter uns? Ich meine im Gegenteil, immer. Die lieben Alten kann ich nun einmal nicht von uns getrennt denken, sie sind die unseren, wie wir die ihren. Und früher, glaub' ich, hast du auch so gedacht, Hildegard?«

»So ist es eben anders geworden – zu Menkendorf.«

»Richtig – das heißt, in dir selber, Schwägerin. Man merkt's, du findest keinen Gefallen mehr an Menkendorf.«

»Nein,« sprach sie kurz und ohne aufzublicken.

»Wohl. Aber weshalb bleibst du denn eigentlich hier, Schwägerin? Du bist, dächt' ich, so frei wie irgendeiner, und brauchst dir doch wahrhaftig keinen Zwang anzutun,« sagte er womöglich noch trockener und verließ sie ohne Gruß.


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