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Achtundvierzigstes Kapitel

Ausgekehrt

Der ›Junker‹ pflegte dergleichen nicht auf die »lange Bank« zu schieben und so stieg er denn auch schon die Treppe zu Blankas Erkerzimmerchen hinauf.

»Ich bleibe ein bißchen da, Kind – oder störe ich dich?« fragte er dort eintretend.

»Aber wie solltest du, Großpapa?« meinte Blanka und lachte, denn er kam ihr so seltsam komisch, um nicht zu sagen linkisch vor.

»Also lege die Arbeit hin, Kleine, und setz' dich zu mir. Wir wollen ein wenig plaudern.«

Sie gab gehorsam seinem Wunsche nach, legte die Arbeit auf das Nähtischchen, stand auf und suchte sich einen Platz neben ihm, und er nahm ihre Hand in die seine.

»Gelt, Kindchen, der kleine Kopf hier und das kleine Herzlein darunter können auch ein bißchen Auskehrens brauchen? Sie müssen, glaub' ich, schier übervoll sein!«

Sie senkte die Augen, und die Wangen wurden ein bißchen blaß, und wie er ihre Hand noch festhielt, fühlte er darin eine leichte, zitternde Bewegung.

»Deine Mutter und ich glauben, daß die Zeit da ist, wo eine offene Frage not tut, und ich habe mir eigens ausgebeten, daß ich diese Frage tue und, was sich sonst noch daran schließt mit dir bespreche. Du hast Vertrauen zu mir, Kind?«

Sie schaute innig zu ihm auf. »Ja, Großpapa.«

»So hab' ich's auch immer geglaubt, mein Kind. Also – offen, Blanka! – wie stehst du mit Alfred?«

»Großpapa, wir sind zusammen aufgewachsen und ich habe ihn lieb gehabt, immer, so lange ich zu denken weiß, er ist stets mit mir eins gewesen. Und daß es, seit wir erwachsen sind, anders geworden, das glaub' ich nicht, wenn ich es vielleicht auch besser zu verstehen gelernt habe. Es ist das Gleiche geblieben.«

»Gut, das bist also du. Und nun er.«

»Ich glaube, Großpapa, daß es bei ihm ebenso gewesen ist.«

»Ihr habt miteinander geredet, mein Kind?«

»Ja, Großpapa, einmal nachmittags, drüben im Garten. Und so weiß ich jetzt von ihm und er von mir. Aber du mußt nicht böse werden, es ist ganz gewiß nichts Unrechtes dabei. Wir haben uns sehr – sehr lieb, aber so, wie ihr vielleicht glaubt, ist es zwischen uns nicht. Er und ich, wir hoffen auf kein anderes Glück, denn wir wissen beide, was zwischen uns steht, und ergeben uns demütig in unser Los. Und sei nicht böse, Großpapa, wenn wir noch bitter traurig sind – es ist gar so schwer für ihn und mich! Aber du weißt ja, ich kann schon wieder heiter sein und so wird's auch ganz gewiß mit ihm werden, wenn er nur erst gesund ist und ihr freundlich gegen ihn seid.«

Er hatte ihr mit einem seltsamen Ernst zugehört und sein Blick war immer milder und milder geworden. »So habt ihr uns zwischen euch gefunden, Kinder?« fragte er jetzt mit freundlichem Kopfschütteln und nahm auch ihre andere Hand, »und wir dachten, es sei nur jene unglückliche Frau gewesen?«

Sie schaute ihn wieder mit ihrer kindlichen, arglosen Offenheit an. »Nein, Großpapa! Für ihn ist es wohl so, denn sie hat ihn sehr lieb gehabt und sehr an ihm gehangen, vielleicht mehr als sie durfte. Aber sie war unglücklich und hatte keinen Freund als ihn, und er war herzlich zu ihr und gut und blieb's, selbst als er merkte, daß er doch kein rechtes und ganzes Herz für sie haben könne. Das hat ihm freilich ernstlich weh getan, aber heucheln kann er nicht, und so mußte sie's wohl merken und gab ihn, wie schwer ihr's wurde, frei. Sie hat mir neulich, im ›Liebenbusch‹ alles erzählt. Sie hatte ihn eben allzu lieb, als daß sie ihn hätte unglücklich sehen können. Froh und frei wurde er aber doch nicht, denn er sah es, wie sie litt um seinetwillen, und da fühlt er sich unglücklich. Denn glaub' es nur, Großpapa, Alfred ist ein Mann von Ehre! Er machte und macht es sich zum bittern Vorwurf, daß er es so weit hatte kommen lassen, und nun sich doch von ihr trennen sollte, um einer anderen willen. Und jetzt – o, es ist so sehr, sehr töricht! – jetzt hält er sich auch für unwürdig, daß ihn noch jemand liebt, und daß ich ihn lieb habe. Er heißt sich treulos gegen mich! O, Großpapa!« Sie hielt inne und deckte, wie übermannt von ihrem Schmerz, die Hände auf ihre Augen. Aber alsbald blickte sie wieder auf und redete kummervoll weiter: »Ach, liebster Großpapa, wie hätt' er's denn wissen können, daß ich ihn so innig liebe und so wie ihn keinen anderen mehr lieb haben könnte? Er wußt' es ja auch von sich selber noch nicht, daß es ihm ebenso erging. Wie kann er sich da unwürdig heißen oder gar treulos? Und daß er der armen Frau gut gewesen ist, das kann ich ihm nun gar nicht zum Vorwurf machen. Er hat damals von ihr erzählt und sie geschildert, daß man wohl Teil an ihr nehmen mußte – ich habe sie jetzt auch kennen gelernt und sage: sie hat es verdient. Man hat damals ja auch sonst noch freundlich über sie gesprochen. Man hatte sie gern und manche bedauerten sie, weil sie sich in ihrem Hause unglücklich gefühlt haben soll und niemand hatte, der ihr zuredete und sie beriet – ich sagt' es schon. Selbst Tante Hildegard dachte damals anders über sie als jetzt. Sie hat Alfred gelobt, daß er sich ihrer annahm und ihr zur Hilfe kam. Wie darf man es ihm dann so hoch anrechnen, daß er sich vielleicht eine Zeitlang weiter fortreißen ließ, als es für sie und ihn recht war? Glaub' es nur, Großpapa – ich hab' es neulich gemerkt, sie war eine Frau, die man wohl lieb haben durfte.«

»Gott segne dein treues Herz und deinen reinen Sinn, meine Kleine!« sagte er ergriffen und ließ seine Hand zärtlich über ihren Scheitel gleiten. »Ich kann die Sünde nicht auf mich nehmen, diese Reinheit zu verletzen. Und so sage ich dir nur: Andere waren nicht so gewissenhaft, sondern sündigten an dir und Alfred und auch sonst um gemeiner, eigennütziger Zwecke willen. Du wunderst dich, wie auch die anderen vielleicht, daß ich, der ich mich sonst um dergleichen nicht kümmere, doch davon weiß. Dabei ist nicht besonderes. Da ich einmal gemerkt hatte, wie es ungefähr mit dir und Alfred stand, gab ich auch ein wenig mehr acht; und als ich, da wir aus der großen Sorge um die Großmutter heraus waren, auch sonst wieder allerlei zu sehen bekam, was mir sonderbar erschien, so ging ich dem Dinge so unter der Hand ein bißchen nach und kam auch durch Zufall gleich an die rechte Quelle. Sieh', ich habe seit der Zeit immer beobachtet. – ich meinte, man möge sich doch endlich vielleicht besinnen. Aber es wurde nichts daraus. Und damit macht' ich dem ganzen schlechten Spiel ein Ende. Genug davon!« Er fuhr mit der Hand über die Stirn, als wollt' er die Runzeln des Ärgers fortwischen. Und das gelang ihm auch beinah, denn sein Auge traf wieder voll Herzlichkeit auf die verwundert schweigende Enkelin. »Aber nun zu der Hauptfrage, mein Kind. Wenn es so mit euch steht, wenn zwischen euch, von dir aus, nicht wir sind, noch die unglückliche Frau ist – was hält dich sonst noch von ihm zurück?«

Ihre Hand, die er wieder genommen hatte, erbebte. Sie blickte scheu zu ihm auf und wieder nieder. Ihre Farbe wechselte von dunkler Röte zur tiefen Blässe. Und mit zitternden Lippen versetzte sie endlich so leise, daß er's kaum vernehmen konnte: »Bitte, bitte Großpapa, frage mich nicht! Ich kann's nicht sagen!«

»Und ich kann es dir nicht erlassen! Wir müssen wissen, ob es ein Grund ist oder ein Einfall, es handelt sich um unsere Entscheidung.«

Sie schüttelte, ohne aufzublicken, den Kopf. »Wenn ihr dies wißt, könnt ihr auch nicht anders entscheiden als – als ich,« sagte sie wieder ebenso leise. »Für Alfred und mich gibt's kein Glück.«

Seine Brauen rückten hart zusammen. »Fängst du nun auch so an? Das leid' ich nicht! Also – wenn ich bitten darf?«

Und da umfaßte sie, nach einem scheuen, bangen Blick seine Hände und lehnte ihren Kopf an seine Schulter und stammelte: »Ach, Großpapa, es ist etwas zwischen seinem und meinem Vater – etwas so – so – Schreckliches –«

Der alte Herr zuckte in einer Weise zusammen, daß man hätte glauben mögen, er wolle aufspringen und sich auf jemand stürzen. Ja, er wurde sogar für eine kleine Zeit auffällig blaß. Aber dann war er auch schon wieder gefaßt. Er nahm Blankas Hände fest in seine Rechte und hob ihren Kopf auf und sagte rauh: »Sieh mich an, Kind, und sprich deutlicher! Was ist's zwischen denen?«

Sie öffnete aber die Augen nicht und lallte nur, wie vom Fieberfrust gepackt: »Sein Vater soll den meinen – er soll am Tode des meinen –« Und indem die Tränen unter den Wimpern hervorstürzten, fügte sie schluchzend hinzu: »Ich kann's – kann's nicht sagen, Großpapa!«

Da ließ er sie zurücksinken, und indem er die geballten Fäuste emporreckte, brach er knirschend vor Zorn aus: »Fluch und Verdammnis über den nichtswürdigen Verräter dieses wahnsinnigen Einfalls. Und wenn der Bursch selber dir das gesagt hat, so –«

»Um Gottes willen, Großpapa – wie kannst du das denken?« stammelte sie entsetzt über seine Heftigkeit. »Ich hoffe ja zu Gott, daß Alfred es gar nicht ahnt –«

Seine Miene wurde nicht heller, aber er atmete tief auf und seine Fäuste lösten sich. Und dazu sagte er, noch drohenden Blicks und mit rauher Stimme nur: »Das ist sein Glück!« – Und erst nach einer Pause: »Von wem hörtest du's?«

»Tante Hildegards Jungfer –«

»So soll mich Gott verd –, aber weiter, Kleine, weiter! Was sagte sie?«

»Nun ja, Großpapa, sie meinte zuerst, weil die Tante so schwer an einem schrecklichen Wissen trüge, ob ich ihr nicht durch guten Zuspruch Erleichterung –«

»Dieser Satan!! – Doch erzähl' nur weiter, Kleine!«

»Die Jungfer ist ohne Schuld, Großpapa, ich fragte sie ja und da mußte sie doch –«

»Sei ruhig, Kleine, die Jungfer meine ich auch gar nicht! Wie also ging's dann?«

»Ja, und da kam sie eben heraus damit, – nach vielem Zögern, Großpapa! – daß – aber nein, ich kann davon nicht weiter reden, Großpapa, bitte, bitte, fordere es nicht! Es ist zu schmerzlich für mich –« Und sie begann von neuem zu weinen.

Da zog er sie an sich. »Richte deinen Kopf auf, mein armes Kind, es ist ja eine teuflische Lüge! Hättest du nur Vertrauen zu mir gehabt, den Schmerz hätt' ich langst von dir nehmen können! Sieh', ich erfuhr's durch Alfred selber, der es aus allen Papieren herausgeheimnißt und nachher sogar eine Bestätigung dafür durch einen Zeugen der Tat erhalten haben wollte. Aber ich konnte ihn alsbald beruhigen, da ich ihm den Täter zu nennen wußte. Freilich mein Zeuge – es ist Drews – hat sich inzwischen als ein nichtsnutziger Lügenbold erwiesen und so scheint jetzt dieser abscheuliche Verdacht aufs neue in dem kranken Kopfe und wohl ärger als ehedem zu spuken, und so muß es nun unsere erste Sorge sein, daß es damit ein- für allemal ein Ende hat – dazu sollst auch du helfen, Kleine. Ich habe mich seither nach besseren Zeugnissen umgesehen und weiß nunmehr unumstößlich, daß Alfreds Vater an jenem Tage gar nicht hier sein konnte, er hätte denn Flügel haben müssen! So und nun werdet glücklich. Wir gönnen's euch!«

»O, Großpapa – wie seid ihr so gut – so gut!« jubelte sie da auf, »ach Gott – ach Gott, wenn ich ihn wirklich wieder recht – recht glücklich sehen könnte –«

»Na, Kind,« unterbrach er sie mit einem Aufleuchten seiner alten Laune, »wenn der Kerl nicht, wo er dich als sein vor sich sieht, steil aus dem Bett fährt vor Glück und die Wände angeht – da, Kleine, kriegt er's mit mir zu tun und gibt es keinen Pardon! – Und nun, mein gutes Kind, lasse ich dich allein,« setzte er hinzu und streifte mit den Lippen ihre Stirn.

Als er die Treppe hinabstieg, sah er drunten den Magister Silberg über den Flur kommen und sich mit seinen steifen Schritten den Stufen nähern, »Holla, Alter,« rief er ihm entgegen, »ich komme schon! Oder,« fügte er plötzlich stutzig hinzu, »hast du was anderes vor?«

Der Pfarrer blieb stehen und schaute zum Rufer hinauf, aber seine Züge sprachen heut nicht von der alten Munterkeit, und als der Freund in seiner Nähe war, legte er seine Hand auch nur mit einer gewissen Steifheit in die dargebotene und sagte in mißmutigem Ton: »Ja, ich hätte dich lieber noch oben getroffen, du warst doch sicherlich bei der Kleinen?«

»So? Die willst du besuchen? Na, da mußt du jetzt schon einmal wieder mit mir allein vorlieb nehmen, denn Blanka hat anderes im Kopf.« Und damit öffnete der Sprecher dem Freunde die Tür zum Arbeitszimmer. »Mache es dir bequem, Alter, oder nimm dir eine Pfeife. Ich will mir auch eine holen.«

Der Magister blieb aber mitten in der Stube stehen. »Danke,« sprach er trocken. »Meine Zeit ist knapp – muß daheim noch an meine Predigt denken. Was wir zu sprechen haben, ist in ein paar Worten abgemacht. Wir haben schon seit einiger Zeit gemerkt, daß ihr Alten hier und auch der Drakenhöfer es neuerdings gewaltig mit dem Alfred habt, und Marie hat uns heut morgen auf meine ernste Frage bekannt, wie es hier steht, und daß ich recht haben könnte, wenn ich bei euch einen gefühlsduseligen Plan argwöhne. Da durft' ich denn nicht langer säumen. Es ist sechzig Jahre lang zwischen uns Klarheit und Einigkeit gewesen, und wir können das einundsechzigste nicht mit Täuschung und Zwietracht beginnen. Also kurz und gut, ist es wirklich etwas mit diesem Plan, so steht uns allen zuliebe davon ab, wir können unsere Zustimmung nicht geben.«

»Redensart, Moritz! Es handelt sich hier gar nicht um euch, sondern um uns, denn die Kleine gehört uns. Aber gleichviel! Warum wollt ihr nicht, wenn man fragen darf?«

»Weil unser Urteil über den Jungen ein anderes zu sein scheint als das eure, und die treffliche Kleine uns zu gut für ihn ist.«

»Es ist doch schier unglaublich,« versetzte der ›Junker‹ etwas gereizt, »was für eine unergründliche Torheit zuweilen auch im besten und bravsten Menschen steckt!«

»Das mag sein, Detlef,« gab der Magister kalt zur Antwort, »nur dächte ich, hätte diese Torheit uns seit fünfzig Jahren mehr genützt als geschadet, und Grenzen werden niemals ungestraft verletzt.«

»Meinst du? Fragt einmal eure selige Marie und unsern Wolfgang, ob sie euch eure Torheit gedankt haben! Gottlob, diesmal ist das Ding anders, denn, wie ich sagte, die Kleine gehört uns, und wir sind ihrem Glück nicht entgegen. Wir werden also schon noch einig werden.«

»Schwerlich!« sagte Silberg ernst.


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